Johannes Gutenberg Universität Mainz Geographisches Institut Projektstudie: Wallis Leitung: Prof. Dr. Hans-Joachim Fuchs Ökologische Auswirkungen durch Gletscherrückgange in der Schweiz Verfasserin: Bianca Allspach Antel 115 56626 Andernach E-Mail: [email protected] Matr.Nr.: 2606707 LA: Geographie, Französisch Allspach, Bianca: Ökologische Auswirkungen 1 Inhaltsverzeichnis 1 Wo sind nur die Gletscher hin? ....................................................................... 2 2 Wie kommt es zu den weltweiten Gletscherrückgängen? - Einfluss des Klimas auf den Gletscher ......................................................... 2 3 Ökologische Folgen des Gletscherschwunds ................................................ 6 3.1 Tourismus .................................................................................................... 6 3.2 Wasserhaushalt............................................................................................ 8 3.2.1 Wasserhaushalt .................................................................................... 8 3.2.2 Abflussdefizit im Sommer...................................................................... 9 3.3 Gletscherseen ............................................................................................ 10 3.4 Hangrutschungen und Muren..................................................................... 11 3.5 Flora und Fauna ......................................................................................... 11 4 Fazit und Ausblick........................................................................................... 13 5 Literaturverzeichnis ........................................................................................ 14 Allspach, Bianca: Ökologische Auswirkungen 2 1 Wo sind nur die Gletscher hin? Viele Wintersportler haben es wohl schon erlebt, dass sie mit Vorfreude auf einen tollen Skiurlaub, angelangt am Ferienort plötzlich gegen ihren Erwartungen im Grünen standen. Was wurde aus den so schneesicheren Skigebieten? Wo ist nur der Schnee hin? Immer mehr Winterferienorte der Alpen beispielsweise haben mit dem Problem der Klimaerwärmung und deren Folgen zu kämpfen. Gebiete, die vor einigen Jahren noch als schneesicher galten, liegen heute oft im Grünen und es müssen Schneekanonen eingesetzt werden, um Wintersportler weiterhin anzulocken. Der Gletscherschwund ist jedoch nichts Unnatürliches. Gletscher unterliegen in ihrer Ausdehnung Schwankungen, genau wie das Klima. Schon immer hat es Gletschervorstöße und -rückzüge gegeben. Seit dem Ende der kleinen Eiszeit (13001850) befinden sich die meisten Gletscher global in einer Rezessionsphase. Jedoch hat sich das Ausmaß des Gletscherrückgangs seit der Industrialisierung erhöht und die Folgen dieses Gletscherschwunds sind schon deutlich sichtbar. Nicht nur der Skitourismus ist von den Auswirkungen betroffen. Die Folgen sind weit reichender. Im Folgenden sollen ökologische Wirkungszusammenhänge des Gletscherrückgangs dargestellt werden und deren Ursachen und Folgen beschrieben werden. (MAISCH, HAEBERLI 2003: 4- 6) 2 Wie kommt es zu den weltweiten Gletscherrückgängen? - Einfluss des Klimas auf den Gletscher Das wohl bedeutendste klimatologische Phänomen, das die Wissenschaftler unserer Tage beschäftigt, ist wohl die rasante Klimaerwärmung der letzten Jahrzehnte und Jahrhunderte. Wie schon erwähnt sind Klimaschwankungen nichts Außergewöhnliches und kommen in der Erdgeschichte häufig vor. Dennoch beunruhigt die Klimatologen die starke Temperaturzunahme der Erde, die besonders stark seit der Industrialisierung eingetreten ist. (s. Abb. 1) Abb. 1: Globaler Temperaturanstieg 1860- 2004 Quelle: HAMBURGER BILDUNGSSERVER 2004 Allspach, Bianca: Ökologische Auswirkungen 3 Neben natürlichen Faktoren, die das Klima beeinflussen, wie z.B. der Entfernung der Erde zur Sonne, der Neigung der Erde, dem Sonnenfleckenzyklus oder der natürlichen Zusammensetzung der Atmosphäre, beeinflusst besonders seit der Industrialisierung auch der Mensch das Klima in einem großen Ausmaß. Durch seine Aktivität werden klimarelevante Spurengase in die Atmosphäre freigesetzt. Eine besonders große Zunahme hat das Methan (CH4) und das Kohlendioxid (CO2) zu verzeichnen, das durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe freigesetzt wird, sich in der Atmosphäre anreichert und den natürlichen Treibhauseffekt auf der Erde verstärkt (s. Abb. 2/3). Dies geschieht dadurch, dass diese Spurengase die von der Erdoberfläche reflektierte langwellige Strahlung absorbieren, bzw. sie zur Erde emittieren. Dadurch erhöht sich die globale Durchschnittstemperatur. Neben Kohlendioxid und Methan sind auch Stickoxide (NOx), Fluorkohlenwasserstoff (FKW) und Fluorchlorkohlenwasserstoff (FCKW) so genannte Treibhausgase. Auch die Zerstörung der Ozonschicht, die durch das Freisetzten von FCKWs ausgelöst wird, trägt zu einer steigenden Weltdurchschnittstemperatur bei, denn es kann weniger kurzwellige energiereiche Strahlung zurückgehalten werden, die auf der Erde als langwellige Wärmestrahlung zurückgestrahlt wird. Abb. 2: Treibhauseffekt der wichtigsten klimawirksamen Spurengase Abb. 3 Treibhauseffekt der Erde Spurengase in der QUELLE: BÄR, BLASER 1995: 16 QUELLE: BÄR, BLASER 1995: 23 Seit der Kleinen Eiszeit (1300- 1850) steigt die Durchschnittstemperatur der Erde ununterbrochen und wurde durch die oben genannten anthropogenen Einflüsse noch verstärkt. Der IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) prognostiziert, wie im Bericht Frühjahr 2001 veröffentlicht, einen Temperaturanstieg von 1,4- 5,8 °C bis zum Jahr 2100. Diese weiter steigende Weltdurchschnittstemperatur hat einen großen Einfluss auf die Gletscherausdehnung der Erde. Mit der Zunahme der Temperatur ist ein Gletscherrückgang zu beobachten. Abbildung 4 zeigt den weltweiten Rückgang der Gletscherlängen ab 1500 bis heute und Abbildung 5 die relative Gletscherflächengröße 1850 (Höchststand) und den Gletscherflächenschwund seit 1850 für die Schweizer Alpen. Allspach, Bianca: Ökologische Auswirkungen Abb. 4: Weltweiter Rückgang der Gletscherlängen 4 Abb. 5: Flächenschwund der Gletscher seit dem Höchststand 1850 Quelle: MAISCH, HAEBERLI 2003: 7 Quelle: HAMBURGER BILDUNGSSERVER 2004 So kann man sagen, dass Gletscher „Schlüsselindikatoren“ (MAISCH, HAEBERLI 2003: 5) für die globale Erwärmung sind, sozusagen „globale Fieberthermometer“ (MAISCH, HAEBERLI 2003: 5). Besonders in den Alpen ist das Ausmaß des Gletscherrückgangs sehr hoch. Hier reagieren die Gletscher sehr sensibel auf Klimaänderungen, da Gefrier- und Schmelzpunkt nahe beieinander liegen. Die Alpengletscher erfuhren zwischen 1850 und 1973 einen Flächenschwund von 500 km2 oder 27,2% der ursprünglichen Ausdehnung. Es wird sogar vermutet, dass es im ersten Drittel des nächsten Jahrhunderts zu einem beschleunigten Eiszerfall kommen wird. Zuerst werden kleinere Gletscher und Regionen mit geringer Vereisung von der Schwundtendenz betroffen sein. Im Jahre 2035 sollen bereits die Hälfte und nach Mitte des 21. Jahrhunderts drei Viertel der heutigen Gletscher verschwunden sein. Nicht nur in den Alpen gehen die Gletscher zurück. Dieses Phänomen des Gletscherrückgangs ist weltweit zu beobachten. Bei einigen wenigen Gletschern, z.B. in Skandinavien, lässt sich erstaunlicherweise jedoch ein Gletschervorstoß verzeichnen. Das lässt sich so erklären, dass dort die Niederschläge, die den Gletscher nähren, zugenommen haben. Allspach, Bianca: Ökologische Auswirkungen 5 Doch solch ein Gletscherrückgang ist noch kein Grund zur Panik. Schon immer hat es Vorstoß- und Rückzugszyklen gegeben. Seit dem Ende der letzten Eiszeit, dem WürmSpätglazial, registriert man eine allgemeine Tendenz der Temperaturzunahme, die mit einer Zurückbildung der Gletscher einhergeht. Im Postglazial (Holozän) kam es dann zu dem endgültigen Rückschmelzen der Alpengletscher bis in weite Hochlagen der Alpen. Dennoch gab es in der Periode des allgemeinen Rückschmelzens auch immer wieder Phasen in denen es zu kleineren Vorstößen kam. Im Holozän können acht Vorstoßzyklen mit ebenso vielen Phasen der Gletscherrezession nachgewiesen werden. Eine solche Vorstoßphase war beispielsweise während der Kleinen Eiszeit (1300- 1850). Seitdem gehen die Gletscher durch die globale Temperaturzunahme immer weiter zurück. Das Ausmaß des Rückgangs ist nach Annahmen der Wissenschaftler derzeit auch nicht höher, als in früheren Warmphasen des Postglazials. So sollen die Minimalstände der Gletscher während des „holozänen Optimums“ zwischen rund 9000- 5500 Jahren vor heute noch kleiner gewesen sein, als heute. Auch die Rückgangsgeschwindigkeit der Gletscher unterscheidet sich nicht von denen früherer Warmphasen. Jedoch reagieren Gletscher immer zeitverzögert auf Klimaänderungen. Besonders große Gletscher und Gletscher in stark vereisten Gebieten reagieren mit einer größeren zeitlichen Verzögerung, als kleinere Gletscher. So ist zu erwarten, dass die Gletscher noch mehrere Jahre oder sogar Jahrzehnte weiter schmelzen werden und so vielleicht doch noch einen noch nie zuvor erreichten Minimalwert erreichen werden. So könnte es sogar sein, dass die Alpen Ende des 21. Jahrhunderts eis- und schneefrei sein werden. (MAISCH, HAEBERLI 2003: 5-8; MAISCH 2004: 204- 206; SCHÖNWIESE 2004: 4-9) Abb. 6: Klimakurve zur letzten Kaltzeit (Würm- Eiszeit) QUELLE: MAISCH 2004: 205 Allspach, Bianca: Ökologische Auswirkungen 6 3 Ökologische Folgen des Gletscherschwunds 3.1 Tourismus Die Alpen stellen seit über 200 Jahren eine beliebte und schneesichere Winterferienregion für Touristen dar. Durch den Gletscherschwund der Alpen, verlieren die Alpen immer mehr an Attraktivität, besonders für den alpinen Skitourismus. Wintersportler zögern ihren teuren Skiurlaub in den Alpen zu buchen, da die Schneesicherheit in vielen Gebieten nicht mehr gewährleistet ist. Heute liegt die Grenze der Schneesicherheit noch auf 1200 m ü. NN, doch in absehbarer Zeit (etwa 2050) wird sie auf 1500 m steigen. Viele Stationen eignen sich schon heute nicht mehr für den Skitourismus. So konnte man in Österreich beispielsweise im Sommer 2003 im Kaunertal, Sölden, und im Stubai- und Pitztal kein Ski mehr fahren. Einige Stellen mussten ihren Sommerbetrieb sogar ganz einstellen. Aber auch in der Schweiz stehen wichtige Stationen, wie z.B. „Les Portes du Soleil“ im Wallis auf der Roten Liste. Das Ausbleiben des Skitourismus hat schwerwiegende Folgen für die Volkswirtschaft. In der Schweiz beläuft sich der ökonomische Schaden zurzeit auf etwa 2,3 Milliarden Schweizer Franken (≈1,5 Milliarden Euro) pro Jahr. Besonders von der Krise betroffen sind Betriebe der touristischen Transportanlagen, wie Seilbahnen. Um ökonomischen Defizite ein wenig in Zaum zu halten, werden vielerorts Schneekanonen eingesetzt, die zumindest den Pisten ihr „Weiß“ zurückgeben. Doch Skigebiete unter 1500 m ü. NN werden auch mit Schneekanonen schon bald keine Zukunft mehr haben, da Kunstschnee sehr kostenaufwendig ist und die Temperaturen zu hoch sind. Zudem werden durch Schneekanonen die Trinkwasserreserven verringert, da ihr Wasserverbrauch immens ist. Pro Kubikmeter Schnee werden 500 Liter Wasser benötigt und 1- 9 Kilowattstunden elektrische Energie verbraucht. Abgesehen von Investitionskosten belaufen sich so die jährlichen Betriebskosten pro Kilometer Skipiste auf mehrere Zehntausend Euro. (ELSASSER, BÜRKI 2005: 16- 23). Neben hohen Temperaturen ist auch der Regen für das Schmelzen des Schnees verantwortlich. So gibt es Versuche mit auf dem Gletscher ausgebreiteten Planen die durch Regen bedingte Schneeschmelze aufzuhalten. Doch beeinflussen diese Planen das Abflussverhalten, den Boden, sowie die Flora und Fauna. Als Konsequenz auf diese Entwicklung haben besonders kapitalstarke Bergbahnunternehmen damit begonnen neue Skigebiete in immer höheren Lagen der Alpen zu erschließen. Bis jetzt sind 140 neue Skigebiete in Planung oder schon erschlossen. Diese neuen Skigebiete verlagern sich vor allem in nahezu unberührte und hoch sensible Hochgebirgsregionen - die letzten intakten Naturgebiete der Alpen. Dies wiederum hat schwerwiegende ökologische Folgen: Die Landschaft und Luft wird durch Müll und Abgase verschmutzt sowie das idyllische Landschaftsbild zerstört. Besonders die Flora und Fauna werden unter der Neuerschließung leiden. Durch die Verschmutzung der Gletschergebiete durch den Skitourismus verändert sich das Reflexionsvermögen der Gletscher. Denn verschmutzter Schnee hat eine höhere Strahlungsaufnahme, als weißer Schnee, d.h. er absorbiert mehr kurzwellige Sonnenstrahlung. Eine weiße Schneedecke reflektiert Sonnenstrahlung bis zu 90 %, graues Eis hingegen absorbiert bis zu 85% der Strahlung, die auf dem Erdboden in langwellige Strahlung (Wärmeenergie) umgewandelt wird. (TRIPPEL, EDMAIER, 2006: Allspach, Bianca: Ökologische Auswirkungen 7 112) Durch diese erhöhte Wärmezufuhr wird die Schneeschmelze noch mal leicht verstärkt. (ELSASSER, BÜRKI 2005: 16FF; TRIPPEL, EDMAIER, 2006: 104ff; Gesellschaft für ökologische Forschung 2005; CIPRA 2002:) Abb. 7: Verlegung für Schneekanonen und Pistenplanierung zum Kitzsteinhorn/Österreich Abb. 8: Schneekanonen: Bau am Patscherkofel, Betrieb oberhalb Kitzbühl/Österreich Quelle: GESELLSCHAFT FÜR ÖKOLOGISCHE FORSCHUNG 2005 Quelle: GESELLSCHAFT FÜR ÖKOLOGISCHE FORSCHUNG 2005 Abb. 9: Gletscherskigebiet mit Schneekanonen Hintertux/Tirol, Österreich Abb. 10: Schneeplanen Brunnenkogel Ferner, Pitztal Quelle: GESELLSCHAFT FÜR ÖKOLOGISCHE FORSCHUNG 2005 Quelle: ELSASSER, BÜRKI 2005: 16 Allspach, Bianca: Ökologische Auswirkungen 8 3.2 Wasserhaushalt 3.2.1 Wasserhaushalt Die durch die Klimaerwärmung hervorgerufenen Gletscherrückgange beeinflussen in einem sehr großen Ausmaß den Wasserhaushalt der Umwelt. „Im globalen Wasserkreislauf speichert sie [die Schneedecke] Niederschläge und kann damit durch Klimaänderungen wesentlich beeinflusst werden.“ (BAUMGARTNER, APFL 1998: 94) Die Schneedecke ist also eine „bedeutende Komponente im Wasserkreislauf“. (BAUMGARTNER, APFL 1998: 98) Aufgrund der steigenden Temperaturen verlängert sich die Schmelzperiode der Gletscher. Im Extremjahr 2003 war sie beispielsweise 100 Tage länger (das heißt doppelt so lang) als in den Jahren zuvor. Das Schmelzwasser der Gletscher sprudelt dann aus den Gletschertoren hervor und fließt talabwärts bis es letzten Endes in einen Fluss mündet. Im Winter ist dieses abfließende Schmelzwasser meist nur ein Rinnsal, im Frühsommer hingegen, wenn die große Schmelze einsetzt, ist es ein sprudelnder Strom. In den letzten Jahren führen diese Ströme immer mehr Wasser mit sich und gewinnen an Stärke, so dass sie oft über ihre Ufer hinaustreten und die umliegende Landschaft überfluten. Messungen haben gezeigt, dass die Hochwassermarken seit 1980 gestiegen sind. Dort, wo Siedlungen in unmittelbarer Nähe zum Gletscherstrom liegen, werden diese Wassermassen zur Gefahr für den Menschen. Die Anwohner versuchen sich oft durch kostenaufwendige Maßnahmen gegen das Wasser zu schützen und errichten Kanäle und betonierte Dämme. So wurde beispielsweise in Samedan ein 30 Millionen teures Projekt durchgeführt, um den Gletscherstrom in einem naturnahen Bett an dem Dorf vorbeizuführen. Erhöht wird das Ausmaß der Überschwemmungen, wenn zu dem Schmelzwasser noch Wassermassen von Starkregen hinzukommen. Denn in vielen Gebieten fehlt auf den Gletschern der Firn, der Niederschläge zurückhalten kann. Dieser ist besonders wichtig, wenn starke Niederschläge fallen. Denn die Schneedecke nimmt das Wasser wie ein Schwamm auf, speichert es und lässt es nach und nach ins Tal ab. Auf diese Weise bleiben trotz starker Regenfälle größere Überflutungen aus. Fehlt jedoch diese Schneedecke als Wasserspeicher, strömen die Wassermassen als Fluten direkt die Hänge hinunter und können viel Schaden anrichten. So stürzte beispielsweise im August 1987 Sommerregen, der auf nur kleine Reste von Altschnee und Firn traf, ins Tal und löste zusammen mit noch weiteren Hochwassern eine riesige Flutwelle aus, die 15 Menschenleben kostete und Sachschäden in Millionenhöhe anrichtete. Solche Extremereignisse häufen sich seitdem. Durch den Anstieg der Nullgradgrenze fällt weniger Niederschlag als Schnee, sondern mehr als Regen, der direkt abflusswirksam wird. Daher fallen die winterlichen Niedrigwasser nicht mehr ganz so niedrig aus. Es gibt jedoch eine Branche, die gegenwärtig Profit aus den Gletscherrückgängen zieht – Die Stromwirtschaft. „Uns hat der Sommer 2003 Gewinne beschert“ sagt ein Hydrologe, der für die Tauernkraftwerke verantwortlich ist. Die Kraftwerke werden hauptsächlich durch Gletscherwasser angetrieben. So bringen die herunterströmenden Wassermassen der „sterbenden Gletscher“ den Wasserkraftwerken nur Vorteile. 700 Millionen Kilowattstunden erhält man derzeit jährlich in Kaprun durch die Umwandlung von Wasserkraft in Strom. Doch was ist, wenn die Gletscher der Alpen fast vollständig geschmolzen sein werden? Werden dann die Wasserkraftwerke kein Antriebswasser mehr haben? Da die Entwicklung Allspach, Bianca: Ökologische Auswirkungen 9 der Niederschläge schwer abzuschätzen ist, sind Spekulationen darüber sehr vage. (BAUMGARTNER, APFL 1998: 94ff; HAGG 2003: 71ff) 3.2.2 Abflussdefizit im Sommer Während im Frühjahr noch immer eine erhöhte Hochwassergefahr besteht, herrscht im Sommer in einigen Gebirgsregionen oft ein Abflussdefizit. Dieses kommt durch die jahrelange und intensive Ausaperung der Gletscher und durch die Verkleinerung der Schnee- und Firndecke zustande. Somit verkleinert sich die vergletscherte Fläche fortlaufend und der Schmelzwasseranfall im Sommer ist rückläufig. So kommt es, dass im Sommer ein Abflussdefizit herrscht. Dies hat zur Folge, dass die Gebirgsvorländer nun weniger von den sommerlichen Abflusswassermassen durchflossen werden. „Je größer die hydrologische Diskrepanz zwischen Gebirgen und ihren Vorländern ist, desto mehr sind diese auf den Gebirgsabfluss angewiesen und desto bedeutender sind Veränderungen von hydrologischen Prozessen in den Gebirgen.“ (HAGG 2003: 73) Gerade in trockenen Regionen stellt dieses Abflussdefizit eine ungünstige jahreszeitliche Umverteilung des Wasserhaushaltes dar, denn in diesen Regionen wird das Abflusswasser der Gletscher zur Bewässerung landwirtschaftlich genutzter Flächen verwendet. Fällt dieser Wasservorrat weg, ist eine Bewässerung nicht mehr möglich. In der Alpenregion stellt dieses Abflussdefizit jedoch noch kein gravierendes Problem dar, da dort noch Sommerniederschläge vorhanden sind. Für die Vorländer einiger asiatischer Gebirge (wie z.B. das Himalajagebirge) ist das Abflussdefizit jedoch von sehr großer Bedeutung, besonders in Hinblick auf die landwirtschaftliche Nutzung in trockenen Gebieten. Doch auch in Europa könnte es in Zukunft durch die fortwährende Ausaperung der Gletscher zu Wassermängeln im Flachland kommen. Es ist zwar noch ungewiss, wie sich die Gletscherschmelze in einigen Jahren oder Jahrzehnten auf die Wasserführung der großen Flüsse auswirkt. Eventuell werden die Wasserpegel der großen Flüsse, wie Rhein, Rhône und Po im Laufe der Zeit so drastisch sinken, dass sie nicht mehr schiffbar sein werden. Auch sind Auswirkungen auf die Landwirtschaft denkbar. So könnte es sein, dass den Weinreben an den Hängen des Pos zu wenig Wasser zur Verfügung steht und der Weinanbau hier nicht mehr möglich sein wird. (HAGG 2003: 71ff; Gesellschaft für ökologische Forschung 2005) Abb. 11: Rhone unterhalb Rhonegletscher bei Gletsch/Wallis, Schweiz Quelle : GESELLSCHAFT FÜR ÖKOLOGISCHE FORSCHUNG 2005 Allspach, Bianca: Ökologische Auswirkungen 10 3.3 Gletscherseen Wenn das abfließende Schmelzwasser durch Eis- und Schuttmassen (z.B. von Moränen) gestaut wird, bilden sich so genannte Gletscherseen. Diese Gletscherseen gab es schon immer in Gebieten, wo es Gletscher gibt, doch aufgrund der Erwärmung der Atmosphäre, die ein erhöhtes Gletscherschmelzen hervorruft, bilden sich vermehrt diese Seen. Man kann also sagen, dass Gletscherseen auch Symptome des Klimawandels sind. Diese Gletscherseen befinden sich vermehrt in den südlichen Tälern des Kantons Wallis, wie z.B. am Grubengletscher. In den Sommermonaten Juni bis August – nach Einsetzen der Schneeschmelze- füllen sich die Seen schnell mit Wasser. In diesen Monaten sammelt sich meist mehr Wasser, als auf natürliche Weise abfließen kann. Somit steigt der Wasserpegel der Seen schnell an. Nicht selten kommt es vor, dass das Wasser die Ränder überflutet und somit die umgebende Landschaft überflutet. Außerdem üben die Wassermassen, die sich in dem See sammeln, einen gewaltigen Druck auf die Seitenwände aus. Diese können nicht immer diesem Druck standhalten und brechen auf. So stürzen dann Tausende Kubikmeter Wasser die Berghänge hinunter und stellen eine große Bedrohung für den Menschen dar. Auch kann es vorkommen, dass durch das Schmelzen des unteren Teils der Gletscherzunge ein hängender Gletscher über dem See entsteht. Wenn es dann zu einem Eissturz kommt und die Eismassen in den See stürzen, wird eine Flutwelle ausgelöst. Gerade in den Schweizer Alpen, die eine der weltweit am dichtesten besiedelten Gebirgsregionen sind, können solche Gletscherseeausbrüche erheblichen Schaden anrichten. Zwar sind die Seen in der Schweiz in der Regel nicht sehr groß, doch liegen Siedlung und Infrastruktur meist sehr nah an solchen Gefahrenzonen. 1968 kam es in Saas Balen zu einem solchen Gletscherseeausbruch. 170000 m3 Wasser durchbrachen die Moränenwände, stürzten talabwärts und rissen 400000 m3 Schuttmassen mit. Dabei kam es zu einem Todesopfer und zu Sachschäden von 2 Millionen Schweizer Franken. Seitdem untersuchen Experten regelmäßig die Stabilität der Eisränder des Sees. Wenn diese zu brechen drohen, werden Schutzmaßnahmen eingeleitet. So wurden in Saas Balen 2001 für 1,5 Millionen Franken die Moränenhügel stabilisiert und zusätzliche Abflusskanäle errichtet, sodass das Wasser langsam abfließen kann und der Druck auf die Eisränder verringert wird. (TRIPPEL, EDMAIER 2006: 104ff; BREUER, HORSTMANN 2005; Gesellschaft für ökologische Forschung 2005) Abb. 12: Gletschersee am Triftgletscher/Gadmental, Schweiz Quelle : GESELLSCHAFT FÜR ÖKOLOGISCHE FORSCHUNG 2005 Allspach, Bianca: Ökologische Auswirkungen 11 3.4 Hangrutschungen und Muren In den vergangenen Jahren sind die Naturgefahren in den Alpen gestiegen. Die Eismassen, die sich in den Alpen zurückziehen, rufen Massenbewegungen von Gesteins-, Schutt- und Schlammmassen hervor. Die Eismassen der Gletscher und der Permafrostboden können bewegliches Lockermaterial halten. Schmilzt jedoch das Eis, kommt dieses in Bewegung. Manchmal geschieht dies in Zeitlupentempo, doch kann es auch schnell in plötzlichen Hangrutschungen, Felsstürzen, Geröll- und Schlammlawinen geschehen. Starkregen spült das lockere Material, das durch den Gletscher entstanden ist und durch seinem Rückzug freigelegt wird, zu Tal. Aufgrund der hohen Reliefenergie der Hochgebirge werden diese Massen stark beschleunigt und es kommt zu Murgängen und Schlammströmen. (TRIPPEL, EDMAIER 2006: 104ff; Gesellschaft für ökologische Forschung 2005; CIPRA 2002) Abb. 13 : Bergsturz Bormio/Veltlin, Italien Quelle : GESELLSCHAFT FÜR ÖKOLOGISCHE FORSCHUNG 2005 3.5 Flora und Fauna Nach dem Rückzug der schmelzenden Gletscherzungen werden Schuttareale, die so genannten Gletschervorfelder, freigelegt. Hier entsteht ein neuer Lebensraum für Pflanzen und Tiere. Diese Gletschervorfelder, die Jahrzehnte lang von den Eismassen der Gletscher überlagert wurden, waren konserviert, vor äußeren Einflüssen geschützt und allenfalls mechanischer Verwitterung ausgesetzt. Man kann hier von einer Urlandschaft sprechen, deren Entwicklung bei Null beginnt und erst mit dem Schwinden der Gletscher einsetzt. So besiedeln Lebewesen ziemlich rasch nach dem Gletscherrückzug diese eisfrei gewordenen Areale. Chemische und biologische Verwitterungsvorgänge setzen ein und es kommt zu Bodenbildungsprozessen. Jedoch ist die Bodenentwicklung im Hochgebirge sehr dürftig und erreicht auch meist nicht mehr als eine vier Zentimeter mächtige Humusschicht, auch dann nicht, wenn der Prozess mehr als 100 Jahre dauert. In diese Schuttareale der Gletschervorfelder wandern, durch den Wind transportiert, Diasporen (= Samen, Früchte, vegetative Verbreitungseinheiten) aus der näheren Allspach, Bianca: Ökologische Auswirkungen 12 und ferneren Umgebung, die sich, wenn sie mit den dortigen Lebensbedingungen gut zurechtkommen, vermehren. Zunächst besetzten Pionierpflanzen das eisfreie Gebiet. Dies sind meist Schutt- und Felsspaltenpflanzen der alpinen Stufe, die mit den dürftigen Lebensbedingungen des Hochgebirges zurechtkommen, wie z.B. der Bachsteinbrech, das Einblütige Hornkraut, der Säuerling und der Rote Steinbrech (s. Abb. 14). All diese Pionierpflanzen sind Blütenpflanzen. Abb. 14: Pionierpflanzen der Hochgebirge Bachsteinbrech Roter Steinbrech Einblütiges Hornkraut Quelle: SLUPETZKY 2005: 57 Besonders geeignet für die Ansiedlung von Pionierpflanzen erweisen sich die schattigen Hänge, da diese in der Regel eine höhere Bodenfeuchtigkeit haben als die sonnigen Hänge. Hier findet man in den ersten 25 Jahren bereits 15 Pflanzenarten, auf den sonnigen Seiten hingegen nur drei. Außerdem brauchen die Samen zur Keimung Schutzstellen, wie größere Steine oder schon vorhandene Pflanzenpolster, die sie vor Wind schützen. Dennoch überlebt nur ein geringer Teil der Keimlinge, was auch auf die extremen Lebensbedingungen im Hochgebirge zurückzuführen ist. Da das Hochgebirge ein Extremökosystem darstellt, herrscht hier auch eine Artenarmut. Die Pionierpflanzen verschwinden mit zunehmendem Alter und werden von Folgearten gefolgt. Auch diese sind im wesentlichen Schutt- und Felsspaltenpflanzen. Mit steigendem Moränenalter treten an die Stelle der Pionierpflanzen Sukzessionsarten. Diese treten in Gesellschaften auf und bilden die Schlussgesellschaft der Pflanzenentwicklung der Gletschervorfelder. Solche Schlussgesellschaften sind meist Pflanzen der alpinen Rasen und Zwergstrauchheiden. Mit dem Schwinden der Gletscher wird es auch Veränderungen in Gebieten geben, wo schon Pflanzenarten vorhanden sind. Seltene und hoch angepasste Hochgebirgsflora wird konkurrenzstarken Arten von unten weichen müssen. Nach Schätzungen werden von 400 endemische Pflanzenarten (nur hier vorkommende Pflanzenarten) ein Viertel vom Aussterben bedroht sein. Daher ist abzusehen, dass es zu Biodiversitätsverlusten kommen wird. Auch die Fauna entwickelt sich relativ schnell auf den eisfreien Flächen. Bereits im ersten Jahrzehnt nach dem Abschmelzen des Eises haben sich hier die ersten Tierarten angesiedelt. Das Maximum der Artenvielfalt der Fauna wird allerdings, genau wie bei der Flora, erst nach 50 Jahren erreicht. Schon nach vier eisfreien Jahren besiedeln erste Räuber (Laufkäfer, Spinnen, Weberknechte) das Gebiet. (SLUPETZKY 2005: 56ff; CIPRA 2002) Allspach, Bianca: Ökologische Auswirkungen 13 4 Fazit und Ausblick Die Klimaerwärmung wird anhalten, die Gletscher werden weiter schmelzen und die Ökosysteme werden sich verändern. Dies sind natürliche Vorgänge. Schon immer gab es Schwankungen des Klimas, die durch natürliche Faktoren hervorgerufen wurden. Dennoch wurde der Prozess der natürlichen Erwärmung der Erde durch anthropogene Einflüsse, besonders seit der Industrialisierung mit der Freisetzung klimarelevanter Treibhausgase, verstärkt. Mit dieser rasanten Klimaerwärmung geht ein weltweiter Rezessionsprozess der Gletscher einher, der weit reichende ökologische Veränderungen hervorruft. So ändern sich nicht nur die Lebensbedingungen für Pflanzen und Tiere, auch der Mensch ist von den ökologischen Veränderungen betroffen. Für ihn entwickeln sich mit dem Rückgang der Gletscher neue Probleme, die direkt in den Gebirgen, wie in den Alpen, aber auch im Flachland auftreten. So hat die in den Alpen lebende Bevölkerung immer öfter mit Überflutungen, Hangrutschungen, Felsstürzen und Murgängen zu kämpfen. Für den Skitourismus eröffnen sich Probleme, da die Skipisten weg schmelzen und immer weniger Skigebiete schneesicher sind. Im Flachland ist in Zukunft immer mehr mit Wassermangel zu rechen, besonders in trockenen Regionen. Dies wirkt sich wiederum negativ auf die Landwirtschaft aus, der das Wasser zur Bewässerung fehlt. Stoppen kann man den Prozess des Gletscherschwunds nicht, da wir uns in einer Phase des natürlichen Temperaturanstiegs befinden. Jedoch könnten die anthropogen Einflüsse, die zur Erderwärmung beitragen, vermindert werden, sodass die Erwärmung der Atmosphäre nicht allzu schnell erfolgt. Die Probleme, die die Klimaerwärmung mit sich zieht, wurden von den Industrienationen erkannt. Vereinbarungen zu Emissionsbeschränkungen, die auf Klimakonferenzen, wie z.B. Kyoto, getroffen wurden, sind Ansätze zur Lösung der Problematik, haben bisher jedoch, wegen vorwiegend ökonomischer Interessen verschiedener teilnehmender Staaten, nur wenig Erfolg gehabt. Allspach, Bianca: Ökologische Auswirkungen 14 5 Literaturverzeichnis BAUMGARTNER, M., APFL, G. (1998): Die alpine Schneedecke. Modellierung von Schneeschmelzabfluss und Klimaszenarien mit Satellitendaten und GIS. In: Geographische Rundschau 1998 (50/2): 94- 98 ELSASSER, H., BÜRKI, R.(2005) : Klimawandel und (Gletscher-) Tourismus. In: Fachbeiträge des Österreichischen Alpenvereins. Serie: Alpine Raumordnung 2005 (27): 16-23 ERSCHBAMER, B. 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