Erfassung, Erhaltung und Wiederansiedlung der

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Programm zur Erfassung, Erhaltung und Wiederansiedlung
der Bachmuschel (Unio crassus PHIL. 1788)
im Regierungsbezirk Tübingen
Josef Grom, Büro für Landschaftsökologie, Altheim
Zusammenfassung
Die Bachmuschel ist eine charakteristische Fließgewässerart. Wie alle heimischen Großmuscheln
durchläuft sie zur Fortpflanzung eine parasitäre Phase an einem Wirtsfisch. Die Verschmutzung, der
Ausbau und die Unterhaltung unserer Fließgewässer haben in den vergangenen Jahrzehnten den
Lebensraum der Bachmuschel und ihrer Wirtsfische stark eingeschränkt. Im Regierungsbezirk Tübingen gibt es nach derzeitigem Kenntnisstand nur noch 12 Vorkommen der früher weit verbreiteten Art.
Mit dem Programm zur Erfassung, Erhaltung und Wiederansiedlung der Bachmuschel sollen die letzten Vorkommen stabilisiert und langfristig wieder auf andere Gewässer ausgedehnt werden. Das Projekt der Bezirksstelle für Naturschutz und Landschaftspflege Tübingen wird von der Stiftung Naturschutzfonds Baden-Württemberg finanziert.
Einleitung
Die Bachmuschel oder Kleine Flussmuschel ist eine von 6 in Baden-Württemberg vorkommenden
Großmuschelarten. Sie lebt in schnell fließenden, sauerstoffreichen Bächen, wo die empfindlichen
Jungmuscheln ein gut durchströmtes und mit Sauerstoff versorgtes Lückensystem (Interstitial) vorfinden. Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts war die Bachmuschel weit verbreitet und eine typische
„Dorfbachmuschel“. Aufgrund der dramatischen Bestandseinbußen in den letzten Jahrzehnten ist die
Art in Baden-Württemberg „vom Aussterben bedroht“. Mit der Aufnahme in den Anhang II der FFHRichtlinie erhielt sie auch einen europäischen Schutzstatus.
Im Auftrag der Bezirksstelle für Naturschutz und Landschaftspflege Tübingen sollen in Anlehnung an
das Bachmuschel-Schutzprogramm im Regierungsbezirk Freiburg (RUPP 1996-2002) die rezenten
Vorkommen im Regierungsbezirk Tübingen erfasst und durch entsprechende Schutzmaßnahmen
dauerhaft gesichert werden. Die Tätigkeit im ersten Projektjahr konzentrierte sich in erster Linie auf
die Erfassung der letzten Bachmuschelbestände. In diesem Jahr liegt der Schwerpunkt auf der
Umsetzung von konkreten Schutzmaßnahmen sowie der Öffentlichkeitsarbeit.
Zur Biologie der Bachmuschel
Die Tiere sind getrennt geschlechtlich und haben einen komplizierten Fortpflanzungszyklus. Während
der Fortpflanzungsperiode (April bis Juli) geben die Männchen ihre Spermien ins Wasser ab, die von
bachabwärts sitzenden Weibchen eingestrudelt werden. Die befruchteten Eier entwickeln sich dann in
Bruttaschen der äußeren Kiemenblätter zu Larven (Glochidien). Die reifen Glochidien werden ins
Wasser abgegeben und durchlaufen anschließend ein parasitisches Stadium an den Kiemen bestimmter Fischarten. Als Wirtsfische kommen vor allem Elritze (Phoxinus phoxinus), Groppe (Cottus
gobio) und Döbel (Leuciscus cephalus) in Frage. Nach drei bis vier Wochen fallen die fertig entwickelten Jungmuscheln vom Fisch ab und graben sich für zwei bis drei Jahre im Sediment ein. Anschließend steigen sie an die Oberfläche des Bachgrundes und leben dort als Filtrierer. Die Lebensdauer der Tiere beträgt ca. 10-15 Jahre.
Gefährdungsfaktoren
Die Gründe für die negative Bestandsentwicklung sind sehr vielschichtig. Die wichtigsten Gefährdungsfaktoren sind:
•
Gewässerverschmutzung durch Abwasser-/Regenwassereinleitungen und diffuse Einträge aus
landwirtschaftlich genutzten Flächen
•
Gewässerausbau (Begradigung, Ufersicherung, Verdolung, Querbauwerke, fehlende Beschattung)
•
Gewässerunterhaltung (Grundräumungen)
•
Schwebstoffeinträge durch Erosion, Teichwirtschaft und Grabenräumungen
•
Rückgang der Wirtsfische durch Besatz mit nichtheimischen oder nicht gewässertypischen
Fischarten (Regenbogenforelle, Aal)
•
Dezimierung durch den Bisam (Ondatra zibethica)
Von zentraler Bedeutung für das Vorkommen der Bachmuschel sind die Nährstoff- und Schwebstoffeinträge in die Gewässer. Sie führen zu einer Verschlammung der Gewässersohle und setzen das
Lückensystems zu. Ein Aufwachsen der empfindlichen Jungmuscheln ist dann nicht mehr möglich.
Methodik
Als Grundlage der Untersuchungen wurden bereits vorhandene Daten zu ehemaligen und rezenten
Vorkommen innerhalb des Regierungsbezirks Tübingen ausgewertet (FÜRST 1998/2002, GROM
1999, JUNGBLUTH et al. 1992, RUPP 1996-2002, mündl. Mitteilungen von J. BAUER 2001, R.
BAUER 2001, BUND-Ortsgruppe Dietenheim 2001, SCHETTLER 2003 und SCHMIDT 2003). Aktuelle
Bestandsdaten
wurden
vom
den
Autor
übernommen,
während
Gewässer
mit
unklarer
Bestandssituation systematisch untersucht wurden.
Bei einer Bestandserfassung werden zunächst die Besiedlungsstrecke und die Verteilung der Tiere
ermittelt. Hierzu wird der Gewässerabschnitt mit Hilfe eines Sichtkastens relativ zügig, bei längeren
Gewässerstrecken auch nur stichprobenartig kontrolliert. Danach werden repräsentative Probestrecken quantitativ abgesucht und die Größe sowie das Alter der Lebendfunde notiert. Anhand der Anzahl der gefundenen Tiere kann dann unter Berücksichtigung der Suchbedingungen und der Gewässerbeschaffenheit die Bestandsgröße abgeschätzt werden. Parallel zu den Muscheluntersuchungen
wird auf das Vorkommen von Wirtsfischen und des Bisams geachtet. Außerdem wird der morphologische Zustand der Gewässer beschrieben.
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Verbreitung
Im Regierungsbezirk Tübingen existieren nach bisherigem Kenntnisstand noch 12 Vorkommen der
Bachmuschel mit zusammen etwa 6.000 Tieren (vgl. Übersichtskarte). Insgesamt ist eine Gewässerstrecke von rund 27 km besiedelt. Im nördlichen Regierungsbezirk ist bislang nur die Große Lauter auf
der Schwäbischen Alb als Muschelgewässer bekannt. Die übrigen Vorkommen konzentrieren sich
überwiegend auf den südlichen Teil des Regierungsbezirks. Die meisten Bachmuscheln leben im
Schwarzenbach (1.000-2.000 Individuen), im Guntenbach (1.000-2.000 Ind.), im Mühlbach (800-1.000
Ind.) und in der Ablach mit ihren Seitengewässern (ca. 800 Ind.). Bei den übrigen Vorkommen handelt
es sich um kleinere Populationen, die aufgrund ihrer Altersstruktur und der kurzen Besiedlungsstrecken häufig nur noch Reliktvorkommen darstellen.
Abb.1: Vorkommen der Bachmuschel (Unio crassus) im Regierungsbezirk Tübingen
(Stand: August 2003)
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Schutzmaßnahmen
Im Rahmen des Projekts werden für alle rezenten Vorkommen individuell zugeschnittene Schutz- und
Optimierungsmaßnahmen ausgearbeitet. Das langfristige Ziel der Schutzmaßnahmen ist die dauerhafte Stabilisierung der Bestände. Dies gilt auch für kleine Populationen, die im Hinblick auf die Erhaltung eines möglichst vielfältigen Genreservoirs unverzichtbar sind (LFU 2001). Dazu müssen die
Gefahrenpotentiale verringert und ihre Besiedlungsstrecken wieder ausgedehnt werden.
Am Soppenbach konnten bereits erste Maßnahmen verwirklicht werden:
•
Räumliche Konzentrierung von Einzeltieren
Zur Erhöhung des Fortpflanzungserfolgs wurden die Tiere in stark ausgedünnten Gewässerabschnitten zu kleinen Gruppen zusammengesetzt.
•
Stützung des Wirtsfischbestandes
Es wurden wiederholt Elritzen aus einem benachbarten Gewässer in den Soppenbach umgesetzt.
•
Anwendung der halbkünstlichen Glochidieninfektion
Seit zwei Jahren werden Elritzen unter kontrollierten Bedingungen mit Glochidien infiziert und im Bereich des Hauptvorkommens der Bachmuschel eingebracht. Der Bach wird zuvor mit feinem
Maschendraht abgesperrt, um ein Abwandern der Fische in für Jungmuscheln ungeeignete Gewässerabschnitte zu verhindern.
•
Umsetzung des Gewässerentwicklungsplans
Auf der Grundlage eines auf die Bedürfnisse der Bachmuschel abgestimmten Gewässerentwicklungsplans (GROM 2000) führten zwei Anliegergemeinden Ausgleichsmaßnahmen am Soppenbach durch.
Eine Renaturierungsmaßnahme wurde dabei vom Bachmuschelprojekt finanziell unterstützt.
Ausblick
Im weiteren Verlauf des Projekts soll verstärkt Öffentlichkeitsarbeit betrieben und die Durchführung
von Optimierungsmaßnahmen angestoßen werden. Im Einzelnen sind folgende Tätigkeiten vorgesehen:
•
Fortführung der Bestandsaufnahme als Grundlage des Bachmuschel-Schutzprogramms
•
Untersuchungen zur Bestandssituation der Wirtsfische
•
Physikalisch-chemische Gewässeruntersuchungen
•
Anwendung der halbkünstlichen Infektionsmaßnahme bei stark gefährdeten Restvorkommen
•
Erstellung eines Faltblattes zur Biologie der Bachmuschel und zu notwendigen Schutzmaßnahmen
•
Information und Beratung der betroffenen Gemeinden, Fischereivereine, der Gewässerdirektionen
sowie der unteren Naturschutzbehörden
•
Initiierung und Betreuung von Optimierungsmaßnahmen
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Quellenverzeichnis
BAUER, J. (Mündl., 2001):
Mitteilung
zum
Vorkommen
der
Bachmuschel
im
Landkreis
Ravensburg
BAUER, R. (Mündl., 2001): Mitteilung zum Vorkommen der Bachmuschel im Andelsbach, Rubelisbach
und Rinkenbach
BUND-Ortsgruppe Dietenheim (Mündl., 2001): Mitteilung zum Vorkommen der Bachmuschel im
Riedgraben
FÜRST, J. (1998): Schutzkonzept für Steinkrebs (Austropotamobius torrentium) und Bachmuschel
(Unio crassus) im Landkreis Ravensburg. – Unveröffentl. Gutachten im Auftrag des
Landratsamtes Ravensburg
FÜRST, J.
(2002): Gewässerunterhaltungspläne für Steinenbach, Hühler Ach, Rot/Rotbach,
Schwarzenbach, Mollenbach und Argenseebach unter besonderer Berücksichtigung des
Vorkommens der Kleinen Flussmuschel (Unio crassus). – Im Auftrag der PRO REGIO
Oberschwaben GmbH; unveröffentl.
GROM, J. (1999): Untersuchungen zum Vorkommen der Kleinen Flussmuschel (Unio crassus PHIL.
1788) im Soppenbach (Lkr. Sigmaringen und Biberach). – Unveröffentl. Gutachten im Auftrag
der Bezirksstelle für Naturschutz und Landschaftspflege Tübingen
GROM, J. (2000): Gewässerentwicklungsplan Soppenbach. – Im Auftrag der Stadt Mengen und der
Gemeinden Herbertingen, Ertingen, Altheim und Langenenslingen; unveröffentl.
JUNGBLUTH, H.; H. FUCHS; J. GERBER; K. GROH (1992): Unio crassus – Kleine Flußmuschel – in
Baden-Württemberg 1987, 1988-1992; Projektgruppe Molluskenkartierung. – Unveröffentl.
Gutachten für die LfU Baden-Württ.
Landesanstalt für Umweltschutz Baden-Württemberg/LfU (2001): Fließgewässer in Baden-Württemberg
als
Lebensraum
ausgewählter
Artengruppen.
–
Oberirdische
Gewässer,
Gewässerökologie 66, S. 32-37
RUPP, L. (1996-2002): Programm zur Erfassung, Erhaltung und Wiederansiedlung der Bachmuschel
(Unio crassus PHIL. 1788) im Regierungsbezirk Freiburg. –Unveröffentl. Berichte im Auftrag
des Regierungspräsidiums Freiburg (Fischereibehörde) und der Bezirksstelle für Naturschutz
und Landschaftspflege Freiburg
SCHETTLER, W (Mündl., 2003).: Mitteilung zum Vorkommen der Bachmuschel im Mühlbach
SCHMIDT, B. (Mündl., 2003): Mitteilung zum Vorkommen der Bachmuschel im Mühlbach und
Guntenbach.
Anschrift des Autors:
Dipl.-Biol. Josef Grom/Büro für Landschaftsökologie
Vogelsangweg 22
88499 Altheim
Tel.: (07371) 965375
E-mail: [email protected]
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