PARTEIEN UND PARTEIENSYSTEME IN AFRIKA Berichte der Friedrich-Ebert-Stiftung MADAGASKAR POLITISCHE PARTEIEN UND PARTEIENSYSTEM IN MADAGASKAR Stefanie Hanke, FES Madagaskar Jean-Aimé Raveloson 2005 Warum diese Berichte? Politische Parteien sind unverzichtbare Ak- Aufgrund der jahrzehntelangen Präsenz in teure eines repräsentativen demokratischen vielen Ländern Sub-Sahara-Afrikas und der Systems. Um ihre Funktionen erfüllen zu kontinuierlichen Unterstützung der Demo- können, müssen Parteien in ein funktionie- kratisierungsprozesse in diesen Ländern, rendes sein. verfügen die MitarbeiterInnen der Friedrich- Während zur Arbeit politischer Parteien und Ebert-Stiftung über detaillierte Kenntnisse den konsolidierten der historischen Entstehung von Parteien westlichen Demokratien zahlreiche Studien und Parteiensysteme in den jeweiligen Län- existieren, ist dies für die Länder Sub- dern. Diese werden in den Länderberichten Sahara-Afrikas nicht der Fall. Verlässliche der Reihe „Parteien und Parteiensysteme in Informationen liegen, wenn überhaupt, nur Afrika“ gebündelt präsentiert. Es liegen sehr verstreut vor. Sie sind außerdem meist Berichte zu den folgenden Ländern vor: Parteiensystem eingebettet Parteiensystemen in nicht sehr detailliert, häufig nicht aktuell und beschränken sich zudem üblicherweise • Angola auf das formale Regelwerk, ohne auf die • Äthiopien tatsächlichen Abläufe einzugehen. • Benin • Botswana • Côte d’Ivoire • Ghana • Kamerun • Kenia • Madagaskar • Mali • Mauritius • Mosambik Transiti- • Namibia onsprozessen, deren Ergebnisse noch offen • Nigeria sind. Für ein besseres Verständnis und eine • Sambia präzisere Einschätzung des Verlaufs und des • Senegal gegenwärtigen Transiti- • Simbabwe onsprozesse fehlen oft detaillierte Informa- • Südafrika tionen. Indem die Berichte dieser Reihe die • Tansania historische Entwicklung von Parteien und • Uganda Dabei sind detaillierte Informationen zu den politischen Systemen Sub-Sahara-Afrikas heute notwendiger denn je. Die „dritte Welle der Demokratisierung“ (Samuel P. Huntington 1993) hat seit 1990 auch den afrikanischen Kontinent erreicht. In den meisten Ländern wurden Mehrparteiensysteme geschaffen und demokratische Wahlen abgehalten. Seitdem befinden sich diese Länder in mühsamen politischen Standes dieser Parteiensystemen nachzeichnen sowie die aktuelle Situation in den Ländern SubSahara-Afrikas darstellen, tragen sie dazu bei, diese Informationslücke zu schließen. Aufgrund des thematischen Fokus auf Parteien konnten alternative Akteure der Demokratisierung nur am Rande berücksichtigt werden. POLITISCHE PARTEIEN UND PARTEIENSYSTEM IN MADAGASKAR Inhaltsverzeichnis I. GESCHICHTE UND STRUKTUR DES MEHRPARTEIENSYSTEMS 1. Historische Genese 2. Rechtliche Rahmenbedingungen des Mehrparteiensystems 3. Institutionen des Mehrparteiensystems 4. Richtlinien, Fördereinrichtungen und Sanktionsformen II. DIE PARTEIEN 1. Überblick über die wichtigsten Parteien 2. Einzeldarstellung III. DIE PARTEIEN IM PARLAMENT 1. Politisches System und Wahlergebnis 2. Wahlergebnisse der letzten drei Wahlen 3. Arbeit der Parteien im Parlament 4. Relevanz der Fraktionen 5. Dienstleistungen der Parlamentsverwaltung für Parteien und Fraktionen 6. Verhaltenskultur von Politikern im Kontext von Wahlen IV. ZUSAMMENFASSENDE BEWERTUNG V. AUSBLICK POLITISCHE PARTEIEN UND PARTEIENSYSTEM IN MADAGASKAR Stefanie Hanke, FES Madagaskar Jean-Aimé Raveloson 2005 I GESCHICHTE UND STRUKTUR DES Regierungschef eingesetzt wurde. Er initiier- PARTEIENSYSTEMS te die Bildung einer „Nationalen Front zur Verteidigung der Revolution“ als Vorstufe 1. Historische Genese der angestrebten Einheitspartei. Diese Nati- Die ersten Parteien entstanden im Prozess onale Front galt als der offizielle Rahmen für der Entkolonialisierung Madagaskars im Jahr alle politischen Aktivitäten, sie kontrollierte 1946. jegliche Parteitätigkeit. Sieben Parteien exis- Die im Februar gegründete MDRM (Mou- tierten innerhalb dieser Nationalen Front. vement Démocratique pour la Rénovation Malgache), die sich für die sofortige Unab- Um den zögerlichen Prozess der Bildung hängigkeit Madagaskars einsetzte, wurde einer Einheitspartei voranzutreiben, gründe- ein Jahr später nach einem landesweiten te Ratsiraka 1976 die AREMA (Avant Garde blutigen Aufstand gegen die Kolonialherr- de la Révolution socialiste Malagasy). Die schaft, der mehr als 80.000 Tote forderte, massive Kooptation, vor allem von ehemali- aufgelöst. Die im Dezember 1946 gebildete gen PSD- und PSM-Mitgliedern, die teilwei- PADESM (Parti des Déshérités de Madagas- se Zwangsmitgliedschaft in Armee und car) wurde von der Kolonialregierung als Verwaltung, die Schaffung von AREMA Gegenbewegung initiiert und gefördert. Komitees und Gruppen in staatlichen und Interne Machtkämpfe führten 1956 zur Ab- parastaatlichen Betrieben und Einrichtungen spaltung der PSD, der Partei des zukünfti- an Schulen und Universitäten und nicht zu- gen Staatspräsidenten Philibert Tsiranana. letzt massiver Wahlbetrug führten zur raschen Etablierung der AREMA als dominie- Mit Unterstützung Frankreichs wurde Tsira- render Staatspartei. Damit hat in Madagas- nana 1958 durch eine „Assemblée constitu- kar nie eine echte Einheitspartei existiert, ein ante” zum Präsidenten gewählt und Mada- Umstand, welcher vom langjährigen Dikta- gaskar am 26.6.1960 in die Unabhängigkeit tor Ratsiraka immer wieder dazu benutzt entlassen. Die Oppositionsparteien wurden wurde, sein Land als Ursprungsland des zu regionalen Parteien reduziert oder koop- Mehrparteiensystems zu propagieren. tiert. Tsiranana wurde 1972 mit 99,72% der Stimmen wiedergewählt. Bereits im selben Im Rahmen der politischen Liberalisierung Jahr wurde er durch eine studentische Pro- wurde 1990 schließlich ein neues Parteien- testbewegung gestürzt. gesetz erlassen, welches die Bildung politischer Parteien auch außerhalb der FDRN Übergangsregie- zuließ. Von den 24 neu gegründeten Partei- rungen, bis schließlich 1975 Fregattenkapi- en positionierten sich acht im Oppositions- tän Didier Ratsiraka zum neuen Staats und lager. Sie hatten kein programmatisches Es folgten verschiedene 4 Profil und stützten sich im Wesentlichen auf der, sowie ihren thematischen Zielen und einige politische Persönlichkeiten und deren Schwerpunkten. Änderungen sind dem Mi- reaktivierte Klientelnetze. nisterium laut Gesetz innerhalb einer einmonatigen Frist mitzuteilen. Alle politischen Parteien wurden vor allem aktiv im Rahmen der ersten Demokratisie- 4. Richtlinien, Fördereinrichtungen und rungswelle von 1991/92. Nachdem sich die Sanktionsformen Oppositionsparteien zunächst an die vom 4.1 Parteienfinanzierung ökumenischen Bund der Kirche geführten Die Parteien erhalten vom Staat keine Mit- Oppositionsplattform „Forces Vives“ an- tel, generell gibt es keine besonderen Rege- schlossen, konnten sie schließlich 1993 im lungen bezüglich der Parteienfinanzierung. Alleingang eine Konvention mit Präsident Es gibt keine Pflicht zu Finanzberichten und Ratsiraka aushandeln, die eine weitere De- Audits. mokratisierung des Landes einleitete. 4.2 Regelungen für Parteien Im Rahmen der gewalttätigen Auseinander- Artikel 14 der Verfassung (siehe oben) und setzungen im Jahr 2001 agierten die Oppo- das Parteiengesetzt sind der gesetzliche sitionsparteien an der Spitze des Ravaloma- Rahmen für Parteiaktivität. Demnach stellen nana - Unterstützungskomitees und setzten die Parteien für die Bürger die politische sich für die Anerkennung des heutigen Prä- Ausdrucksform mit „demokratischen und sidenten als Wahlsieger ein. pazifistischen” Mitteln dar. Reglementierungen gibt es jedoch wenige. Verboten 2. Rechtliche Rahmenbedingungen des Mehrparteiensystems sind Parteien, die sich gegen die „nationale Einheit, nationale Souveränität, territoriale Die rechtlichen Grundlagen des Parteiensys- Integrität” stellen oder Segregationismus tems sind im Parteiengesetz von 1990 (siehe nach Ethnie, Stamm oder Konfession an- 4.2) geregelt, welches im Zuge der politi- streben (Artikel 4). Die Parteien â∏ååÉå=Par- schen Liberalisierung entstand. Laut Artikel teitage und Versammlungen abhalten nach 14 der Verfassung „organisieren sich die den in ihren Statuten festgelegten Bedin- Bürger frei und ohne vorige Autorisation in gungen. Vorgeschrieben ist dagegen die Assoziationen und politischen Parteien“. Organisationsform Alle Parteien setzen sich heute für die Ände- und „Lokalsektionen”, sowie der Parteisitz rung des bestehenden Parteiengesetzes ein, auf madagassischem Territorium. in „Zentralgremium” jedoch mit unterschiedlichen Zielsetzungen. Für das Kandidieren um Mandate ist keine Parteiämter können nur von Madagassen Parteizugehörigkeit notwendig. (mit einem Mindestalter von 21 Jahren) wahrgenommen werden. 3. Institutionen des Mehrparteiensystems Spenden und Beiträge â∏ååÉå die Parteien Die Parteien sind beim Innenministerium entgegennehmen, ohne festgeschriebene registriert mit Name, Abkürzung, Adresse Höchstgrenze oder sonstige Reglementie- des Hauptsitzes, Statuten, den zwei Haupt- rung (Artikel 11). vertretern, Emblem, Organen, Aufnahmebedingungen und Beitragshöhe für Mitglie5 Im Parteiengesetz ist die unter 3. ausgeführ- expandierte „Tiako Iarivo“ über die Stadt- te Registrierungspflicht beim Innenministeri- grenzen hinaus. Die Partei hat keine regio- um festgeschrieben. Verstöße gegen das nale oder ethnische Bindung, aber eine Parteiengesetz werden laut Gesetzestext mit „strukturelle“ und personelle Bindung zum Geldstrafen (ca. 15 bis 150 Euro) bis hin zu Megakonzern TIKO, der die Partei auch Parteiverboten geahndet. hauptsächlich finanziert. Die Farben der Partei sind identisch mit den Farben des Konzerns und der Hauptsitz der Partei be- II. DIE PARTEIEN findet sich im TIKO-Hauptgebäude. Laut 1. Überblick über die wichtigsten Par- Verfassung darf der Präsident keine Parteiarbeit machen. Ravalomanana hat also kein teien Aus heutiger Sicht sind die bedeutendsten offizielles Amt in der Partei, was aber die Parteien: Folgsamkeit der Partei gegenüber dem Kurs • TIM (Tiako i Madagasikara = Ich mag der Regierung in keiner Weise mindert. Madagaskar) • • AREMA (Avantgarde pour la Rénais- Organe der Partei sind ein nationales Büro, sance de Madagascar) sowie verschiedene Sektionen in den Regio- AVI (Asa Vita no Ifampitsarana = nen, Kommunen und Fokontany (kleinste Judged by Your Work) • MFM (Mpitolona ho amin ny Fampandrosoana an’I Madagasikara = Partei für die Entwicklung Madagaskars) • RPSD (Rassemblement pour la SocialDémocratie) • TEZA • AKFM Renouveau (Erneuerte Madagassische Kongresspartei) Aus historischer Sicht sind in erster Linie anzuführen die AKFM (Madagassische Kongresspartei und die PSD (Parti SocialDémocrate). Sekretariat mit fünf festen Angestellten, an dessen Spitze der Generalsekretär steht. Die TIM hat keine internationale Mitgliedschaft, unterhält jedoch besondere Kontakte zur KP China. Im Dezember 2004 fand der erste Kongress statt, zu dem 4000 Delegierte aus dem ganzen Land angereist waren. Dort wurden erstmals Mandatsträger gewählt, wobei sich die Basis aus zahlreichen Ex-AREMA Mitgliedern rekrutierte. Gleichzeitig wurde das Programm verabschiedet, welches quasi identisch mit dem kurz vorher erstellten 2. Einzeldarstellung TIM (Tiako i Madagasikara = Ich mag Madagaskar) Die Partei TIM wurde 2002 durch den heutigen Staatspräsidenten Marc Ravalomanana gegründet. Sie entstand auf Basis der Assoziation „Tiako Iarivo“, mit welcher Ravalomanana bereits zum Bürgermeister der Hauptstadt Antananarivo gewählt worden war. Über Strukturen und Personal von Ravalomananas Verwaltungseinheit). Die Partei unterhält ein Nahrungsmittelfirma langfristigen Regierungsprogramm des Präsidenten ist. Die TIM hat nach eigenen Angaben ca. 500.000 Mitglieder, deren Beiträge sich nach Kategorien monatlich zwischen mindestens 500 Ar. (= ca. 20 cent) und bis zu 50.000 Ar. (= ca. 20 Euro) für Amtsträger bewegen. TIKO 6 AREMA (Avant Garde la Révolution so- befindet sich seit den verlorenen Präsident- cialiste Malagasy) schaftswahlen von 2001 in einer schweren Die AREMA wurde 1977 als Vorhutpartei strukturellen Krise. Die Mitgliederzahl ist von einer vom damaligen Staatspräsidenten Rat- einer Million aus Zeiten der Einheitspartei siraka angestrebten Einheitspartei gegrün- (1977-1990) inzwischen auf unter 300.000 det. Die AREMA hat zwar keine besondere gesunken. Mitgliederkarten werden seit regionale oder ethnische Bindung, allerdings 2002 nicht mehr ausgegeben, die Mitglie- kam es in der Vergangenheit immer wieder derlisten werden zur Zeit auf Aktualität ü- zu internen Konflikten, die von einzelnen berprüft, Beiträge (vormals ca. 0,10 Euro im Führungspersönlichkeiten geschürt wurden, Monat) nicht mehr erhoben. Viele Repräsen- die sich regional-ethnisch zu profilieren ver- tanten sind nach Frankreich geflohen, wie suchten. Spannungen gab es auch vor den der Nationalsekretär, andere inhaftiert oder Wahlen 2001, als sich interne Flügel um den nur noch „in Untergrundstrukturen aktiv“. ehemaligen Staatspräsidenten Ratsiraka einerseits und seinen Premierminister Pierrot Die Partei hat keine internationalen Mit- Rajaonaivelo andererseits bildeten. Nach wie gliedschaften, auch keine bezahlten Ange- vor droht die Abspaltung einzelner Flügel, stellten. bestehend aus Anhängern Pierrots und Zafys einerseits, zweitens Anhängern Ratsira- AVI (Asa Vita no Ifampitsarana) kas und drittens Sympathisanten des amtie- Gegründet renden Staatspräsidenten Ravalomanana. Staatschef Norbert Ratsirahonana (Interims- wurde die AVI durch Ex- regierung 1996 nach der Enthebung Zafy Die Partei hat seit ihrer Gründung erst einen Alberts aus dem Präsidentenamt), welcher in Parteitag abgehalten. Auf diesem wählten der ersten Republik der PSD und in der 1997 800 Delegierte die Nationaldirektion, zweiten Republik der AREMA angehörte. (ein sich monatlich treffendes Gremium Aus juristischen Gründen ist AVI heute nicht bestehend aus je 10 Vertretern pro Region, mehr als Partei angemeldet, sondern hat die davon sind 22 z. Zt. auch Senatoren) sowie Form einer Assoziation angenommen. das Politbüro aus Nationalsekretär, VerwalNationalkoordinator. Allgemein gilt die AVI als Partei der Staats- Außerdem legten sie die immer noch aktuel- beamten. Allerdings sind die meisten Mit- len Statuten fest. glieder Mandatsträger oder Beschäftigte in tungssekretär und der öffentlichen Verwaltung. So zählen 300 Programmatisch folgt die AREMA dem Slo- Bürgermeister (die größte Konzentration gan „République écologiste et humaniste“ befindet sich in den Provinzen Fianarantsoa (ökologische und menschliche Republik), und Antanarivo) zu der Partei. bleibt jedoch inhaltlich sehr vage. Fest steht die Förderung kleiner und mittlerer Unter- AVI wird von einem „bureau national“ ge- nehmen, gerade um die nach Ansicht der leitet, das aus einem Präsidenten, einem Partei bestehende Monopolisierung durch Generalsekretär, einem Vize-Generalsekretär Präsident Ravalomananas Firma TIKO aufzu- und einem Schatzmeister besteht. Darunter halten. gibt es Strukturen in den Provinzen, den Regionen, den Distrikten und den Kommu- Die wichtigste Oppositionspartei AREMA nen. Die Partei hat keine festen Angestell7 ten. Es gibt keine Parteitage, da aber die MFM (Mpitolona ho amin ny Fam- meisten Mitglieder sich in Ämtern oder in pandrosoana an’i Madagasikara = Partei der Verwaltung befinden, gibt es themen- für die Entwicklung Madagaskars) bezogene Treffen sogenannter Assoziatio- Die MFM wurde von den Führern der nen, die eng mit dem „bureau national“ 1972er Studentenbewegung als progressiv- zusammenarbeiten. Außerdem treffen sich linke Partei im Jahr 1973 gegründet. Im alle AVI Bürgermeister zwei Mal im Jahr in Zuge des Zusammenbruchs des real existie- der Hauptstadt. Die Statuten der Partei renden Sozialismus in Osteuropa und der wurden durch die sieben Gründungsmit- negativen Auswirkungen des madagassi- glieder verfasst und dann weiter durch das schen Sozialismus fand 1988 eine radikale „bureau national“ bearbeitet. inhaltliche Umorientierung zugunsten des Liberalismus statt. Seitdem verfolgt die Par- Durch die hohe Zahl an Bürgermeistern und tei das Ziel, kleinere und mittlere Betriebe zu Stadträten unter den Mitgliedern kann man unterstützen und so Arbeitsplätze zu schaf- von einer in ganz Madagaskar repräsentier- fen (deshalb der Slogan „200.000 Arbeits- ten und relativ dezentral agierenden Partei plätze pro Jahr“). Hierfür hält die MFM nach sprechen. Angabe des Nationalsekretärs einen „liberalen Kontext“ für am aussichtsreichsten, d.h. Nach eigenen Angaben hat die Partei etwa Freiheit der Märkte und des Kapitals. Seit 5000 Mitglieder. Der Status einer Associati- Ende der 80er Jahre fordert sie die politische on ermöglicht es der AVI aber, die Frage der Liberalisierung und eine auf Regionen und Mitgliedschaft sehr locker zu handhaben. Kommunen basierende Dezentralisierung, Um Mitglied zu werden, ist ein monatlicher welche heute realisiert wird. Auf Wirken der Beitrag von umgerechnet etwa 4 Euro-Cent MFM begann der Staatspräsident 2001 mit zu entrichten. Zusätzlich müssen all jene, die dem Bau von 20.000 Straßenkilometern, ein Mandat ausüben oder einen öffentli- um die 22 Regionen miteinander zu verbin- chen Posten haben, 10% ihres Gehaltes in den. die Parteikasse zahlen. Da es jedoch keine Sanktionen gibt, liegt die Deckung der Zah- Die MFM galt stets als Hauptinitiator bzw. lungen nach Angaben der Partei bei 58%. Hauptträger aller „mouvements populaires“ Trotz der hohen Konzentration von Mitglie- in Madagaskar und ist darüber hinaus die dern in bestimmten Gegenden, rekrutiert einzige Partei, die nicht versucht, Mitglieder die Partei nicht anhand regional-ethnischer entlang regionalethnischer Linien zu rekru- Kriterien. tieren. Basisstrukturen existieren also landesweit, sind aber zum Teil abgekoppelt Die Ziele der Partei sind eigenen Angaben von der Parteispitze. entsprechend die folgenden: die Umsetzung von rechtstaatlichen Prinzipien, Good Go- Die Partei verfügt über ein Bureau Politique, vernance sowie die Einhaltung der Men- dieses besteht jedoch zur Zeit nur aus dem schenrechte. Diese Prinzipien sollen auch Präsidenten (die anderen beiden Posten des auf dezentraler Ebene verfolgt werden. Generalsekretärs und des Schatzmeisters sind seit deren Tod vor 2 Jahren vakant). Der Präsident wird vom alle 4 Jahre stattfindenden Partei-Kongress gewählt. In der Praxis 8 fanden jedoch keine Wahlen statt, so dass ein Komitee (das Vovonana, letzte Wahl Im Rahmen der politischen Liberalisierung 2002) aus 3 gewählten Repräsentanten der der 80er Jahre spaltete sich von ihr die 111 Distrikte den Präsidenten ernennt. Wei- AKFM-Renouveau rund um den protestanti- teres Parteiorgan ist das Comitee Directeur schen Pastor Richard Andriamanjato ab. (Repräsentanten der 22 Regionen), welches Von jener AKFM-Renouveau spalteten sich vom Conseil national (bestehend aus 3 Rep- später die TEZA rund um Moxe Ramandim- räsentanten pro Region) gewählt wird. Dar- bilahatra, sowie die AME unter Général Ra- unter folgen die Parteistrukturen in Kom- makavelo ab. munen und schließlich die Basis. Alle Parteiämter sind ehrenamtlich, es gibt keine be- Die AKFM zählt zwischen 3000 bis 6000 zahlten Mitarbeiter. Mitglieder bei einem Monatsbeitrag von ca. 0,10 Euro. und setzt sich aus Bauern, Beam- Vor Eintritt in die Partei ist ein internes Reg- ten und Selbstständigen aber auch Arbeits- lement (Statuten) zu unterschreiben. Der losen zusammen. Beitrag der über 50.000 Mitglieder beläuft sich auf ca. 1,5 Dollar jährlich. Laut Statuten und internem Reglement wählt ein Kongress aus ca. 250 Mitgliedern Da die MFM noch nie in der Regierungsver- alle 5 Jahre ein Zentralkomitee mit 10 Ver- antwortung war, wird sie von vielen Wäh- tretern für jede der 50 Provinzen. In der lern als regierungsunfähig betrachtet. Die Praxis fanden die letzten Kongresse 1998 MFM ist seit 2001 Mitglied des African Libe- und 2004 statt. Jenes Zentralkomitee wählt ral Network, sowie Mitgliedskandidat der das Politbüro, bestehend aus Präsident, 6 Internationalen Liberale. Vizepräsidenten, einem Generalsekretär und dessen 5 Vertretern; es tritt zweimal wö- AKFM (Madagassische Kongress Partei) chentlich zusammen und wird kontrolliert Diese älteste Partei Madagaskars wurde vom Koordinationskomitee der Provinzen, 1958 als Plattform für die Unabhängigkeit welches aus den untergeordneten Gliede- aus mehreren kleinen Parteien gegründet. rungen (Regionen, Kommunen, Stadtteilen) Das Ziel verschob sich nach Erreichen der aufsteigend gewählt wird. Unabhängigkeit hin zum Aufbau des Sozialismus in Madagaskar, woran die Partei in Auf dem Kongress werden die Statuten ihrer Regierungszeit von 1975 bis 1981 ar- debattiert und abgestimmt, welche jedes beitete. Heute ist die AKFM postkommunis- Neumitglied erhält. Die AKFM leistet sich tisch eingestellt, gesteht jedoch eine gewis- lediglich einen bezahlten Sekretär, alle an- se Anpassung an die neoliberale Tendenz deren Personen arbeiten ehrenamtlich. der aktuellen Regierung ein, und würde bei einem erneuten Machtgewinn nicht den Mitgliedschaften bestehen bei attac und Sozialismus, sondern „mehr soziale Gerech- dem Weltfriedensrat. Allerdings pflegt die tigkeit und Gleichheit” und Abschaffung AKFM enge Kontakte und Informationsaus- der „Ausbeutung des Menschen durch den tausch zu den kommunistischen Parteien Menschen” verfolgen. Weiteres Ziel ist die Europas, Chinas, Japans, Vietnams und be- Unabhängigkeit Madagaskars von ausländi- sonders der Réunion. schem Kapital. 9 TEZA EÄÉå~ååí=å~ÅÜ=ÇÉê=_~ìã~êí=qbw^F PSD (Parti Social-Démocrate) Die kleinere TEZA-Partei wurde 1998 von Die PSD wurde in der ersten Republik durch ihrem heutigen Vorsitzenden Moxe Raman- den ersten madagassischen Präsidenten dimbilahatra (vormals AKFM und dann Philibert Tsiranana gegründet, sie wurde in AKFM-Renouveau) gegründet, welcher ge- der zweiten Republik verboten. Zur Zeit gibt genwärtig Berater des Präsidenten ist. Im es folgende Abspaltungen der aktuell von Gegensatz zur AKFM steht die TEZA somit Tsirananas Adoptivtochter Ruffine Tsiranana Präsident Ravalomanana nahe. Die Partei geführten PSD : stellt sich als die demokratischste dar: Sie • Die RPSD rund um Marson Evariste, plädiert für ein Parteiengesetz und hält mo- der inzwischen Berater des Präsiden- natlich themenbezogene Treffen zwischen ten ist, mit starker regionaler Bindung Politbüro und interessierten Mitgliedern zum Südwesten des Landes; zum Informations- und Meinungsaustausch • Die RPSD-Nouveau, gegründet vom ab. Das Politbüro, bestehend aus dem Vor- Oppositionspolitiker Jean-Eugène Vo- sitzenden, 4 Stellvertretern, dem General- ninahitsy mit starker Bindung zum sekretär mit 2 Stellvertretern beschäftigt Distrikt Maintirano; zwei bezahlte Mitarbeiter und wurde auf • Die ebenfalls in Mahajanga verankerte dem ersten Kongress der Partei 2003 ge- PFDM von Tsiarananas Sohn Pierre Tsi- wählt, gemeinsam mit den Statuten und ranana, einem Oppositionspolitiker. einem Wahlprogramm. Zukünftig sollen alle 5 Jahre Parteitage stattfinden. Die 600 Mit- Alles in allem ist die PSD aber heute so gut glieder der Partei sind in 20 Regional- und wie nicht mehr aktiv. weiteren Kommunalbüros organisiert und zahlen 50.000 FMg, bzw. 5 Prozent ihres UNDD (Nationale Union für Entwicklung Gehalts pro Jahr. Eine große Zahl führender und Demokratie) Parteimitglieder stammt aus ländlichen Gebieten, vor allem im Süden, Mittelwesten und Osten des Landes, wo die TEZA über insgesamt 120 Bürgermeister und Conseils Municipaux sowie einen Senator verfügt. Ein wichtiges programmatisches Ziel ist deshalb die Dezentralisierung in 22 Regionen, wofür sich Berater Moxe beim Präsidenten schwerpunktmäßig einsetzte. Der Vorsitzende hat sich inhaltlich weitgehend vom einstigen Sozialismus seiner Ex-Partei AKFM gelöst, die Programmatik der TEZA ist aber weniger liberal als die der Regierungspartei TIM. Die TEZA pflegt besondere Kontakte (Informationsaustausch und gemeinsame Seminare) mit den Grünen Frankreichs. Die UNDD wurde 1990 durch Albert Zafy und Emmanuel Rakotovahiny gegründet, beide Ex-Minister der Militärregierung von 1972-73. Die Unzufriedenheit der Bevölkerung über die Misswirtschaft der Ära Ratsiraka und dessen Verlust an Legitimität durch den Fall der Sowjetunion ermöglichte Zafy, als Kandidat der Erneuerung die Wahl zur Präsidentschaft 1992 zu gewinnen. Er legte einen sehr populistischen Führungsstil an den Tag und vernachlässigte die Entwicklung des Landes zugunsten seiner politischen Ambitionen. Mit der Änderung der Verfassung, durch die das damals parlamentarisch geprägten Systems in Richtung Präsidentialdemokratie rückte, brachte er 1995 das Parlament gegen sich auf, das ihm 1996 das Vertrauen entzog und damit seines Am10 tes enthob. Zafys Regierungsstil war geprägt Heute nicht mehr an der Regierung, hat die von systematischem Misstrauen gegenüber UNDD ihr politisches Vokabular etwas an- den großen Parteien, da die UNDD im Ver- gepasst. Die UNDD konzentriert sich weiter- gleich sehr unbedeutend war. hin auf ethnisch-provinziale Strukturen. Die Mitglieder werden vor allem in den Regio- Die Partei ist inhaltlich und strukturell stark nen Diego, Mahajanga und Tuléar gewor- auf die Person Albert Zafys ausgerichtet und ben. Sie sieht sich gerne als Opfer eines dient ihm zur Umsetzung seiner politischen undemokratischen Systems. Die Wahlergeb- Ambitionen. Sie ist heute eine radikale Op- nisse von 2002 und die neue Regierung positionspartei, die formal die aktuelle Re- wurden bisher nicht anerkannt. Deshalb gierung nicht anerkennt. Das erklärt, warum betrachtet die UNDD den konventionellen die Partei heute nur sehr schwach organi- politischen Rahmen (Verfassung und Wahl- siert ist und viele ihrer ehemaligen Mitglie- gesetz) nicht als den Weg, um an die Macht der in andere Parteien, vorzugsweise in die zu gelangen, sondern fordert, dass eine Regierungspartei, gewechselt sind. „pouvoir de transition” (Übergangsgewalt), dessen Bestandteil sie ist, die Regierungsge- Es ist derzeit keine offizielle Mitgliederzahl schäfte übernimmt. bekannt, doch dürfte sie relativ gering sein. Um Mitglied zu werden, muss man von ei- III. DIE PARTEIEN IM PARLAMENT nem Mitglied der Partei vorgeschlagen werde. Von den Mitgliedern wird erwartet, jähr- 1. Politisches System und Wahlsystem lich einen symbolischen Beitrag zu entrich- Es handelt sich beim politischen System Ma- ten. Die Finanzierung der Partei stützt sich dagaskars um ein präsidentielles System also ausschließlich auf klientelistische Struk- nach französischem Vorbild. Der Präsident turen der Partei und dessen Umfeld, die je wird alle 5 Jahre direkt gewählt und kann nach Bedarf und Kontext aktiv werden. bis zu zwei Mal kandidieren. Der letzte Parteitag fand 1993 statt. Damals Der Präsident ernennt den Premierminister wurden die 1990 festgelegten Statuten ü- und sitzt dem Ministerrat vor. Der Premier- berarbeitet. Es scheint aber keine regelmä- minister ernennt die Minister und leitet den ßigen partizipativen Strukturen in der UNDD Regierungsrat. zu geben. Sie wird von einem Politbüro geleitet, bestehend aus einem Präsidenten, Senat und Nationalversammlung bilden die einem Ehrenpräsidenten und einem Gene- zwei Kammern. Die Abgeordneten zur Nati- ralsekretär. Die Partei beschäftigt einige onalversammlung werden alle 5 Jahre direkt Angestellte. gewählt. Der Senat dagegen setzt sich zu zwei Dritteln aus gewählten Repräsentanten Während seiner Regierungszeit stützte Zafy der Regionen und zu einem Drittel aus seine Legitimität vor allem auf einen popu- „aufgrund ihrer Kompetenz“ durch den listischen regional-ethnischen und sich auf Präsidenten ernannten Senatoren zusam- traditionelle Werte (wie das „fihavanana” = men. Die Senatsmandate gelten für 6 Jahre. Solidarität) berufenden Diskurs. Substantiel- Allgemein herrscht heute das Prinzip des le Konzepte zur Entwicklung des Landes Mehrheitswahlrechts, das Wahlgesetz ist waren nicht Bestandteil des Programms. jedoch unterschiedlich interpretierbar. 11 Kompetenzen und innere Organisation der NVVT= zwei Kammern sind fast identisch. Die Nati- mê®ëáÇÉåíëÅÜ~Ñíëï~ÜäW== onalversammlung besitzt das exklusive • Didier RATSIRAKA (AREMA) 50,7% Recht, die „motion de censure“ (Misstrau- • Albert ZAFY (AFFA) 49,3% ensantrag) einzubringen und sie kann bei k~íáçå~äîÉêë~ããäìåÖ=W Uneinigkeit mit dem Senat die entgültige • AREMA: 63 Sitze Entscheidung über ein Gesetz treffen. Vor- • LEADER/Fanilo: 16 Sitze • AVI: 14 Sitze • RPSD: 11 Sitze • AFFA: 6 Sitze • MFM: 3 Sitze • AKFM/Fanavaozana: 3 Sitze • GRAD/Iloafo: 1 Sitze • Fihaonana: 1 Sitze • Unabhängige: 32 Sitze her muss das Gesetz jedoch durch beide Kammern gegangen und an einem Vermittlungsausschuss gescheitert sein. Wenn der Präsident durch gesundheitliche oder andere Gründe daran gehindert ist, die Geschäfte der Regierung weiterzuführen, übernähme dies für eine Übergangszeit der Präsident des Senats. Das Parlament – also Senat und Nationalversammlung – hat die Aufgaben, einerseits OMMNLOMMO= über Gesetze abzustimmen und zweitens mê®ëáÇÉåíëÅÜ~Ñíëï~Üä=W== die Regierung zu kontrollieren (siehe 3.). • Marc RAVALOMANANA (TIM) 50,5% Das Parlament besitzt ebenso wie die Regie- • Didier RATSIRAKA (AREMA) 37,7% rung das Recht, Gesetzesinitiativen einzu- k~íáçå~äîÉêë~ããäìåÖ=W= bringen. Außerdem berät der Senat die Re- • TIM: 102 Sitze gierung in Fragen der Dezentralisierung. • FP (Nationale Union): 22 Sitze • RPSD (Rassemblement pour la social- 2. Wahlergebnisse der letzten drei Wahlen démocratie): 3 Sitze • NVVOLNVVP= socialiste Malagasy): 3 Sitze mê®ëáÇÉåíëÅÜ~Ñíëï~ÜäW== • • Albert ZAFY (UNDD) 67% • Didier RATSIRAKA (AREMA) 33% k~íáçå~äîÉêë~ããäìåÖ=W= • Cartel AREMA (Avant Garde la Révolution FV = HVR Leader Fanilo (Fackelträger): 1 Sitz Die nächsten Präsidentschaftswahlen finden im November 2006 statt. (Hery Velona Rasalama): 47 Sitze 3. Arbeit der Parteien im Parlament • MFM: 15 Sitze Die Arbeit der Parteien im Parlament ist ge- • Leader Fanilo (Fackelträger): 14 Sitze kennzeichnet durch die überwältigende • PROAREMA: 11 Sitze Mehrheit der TIM Fraktion in der National- • FIHAONANA: 9 Sitze versammlung und eine starke Vertretung • RPSD (Rassemblement pour la socialdémocratie): 8 Sitze • AKFM/F: 5 Sitze • UNDD: 5 Sitze derselben im Senat, obwohl hier die oppositionelle AREMA die meisten Sitze inne hat. Die TIM-Parlamentarier unterstellen sich in 12 ihren Entscheidungen den Direktiven der men die Prioritäten der Tagesordnung bei- Parteiführung bzw. des Staatspräsidenten der Kammern. Ravalomanana. Der Zusammenhalt innerhalb der Partei ist sehr groß und es wird Um die Regierung zu kontrollieren gibt es 4 keine Kritik an der mögliche Prozeduren: Regierung geübt. Die Oppositionsfraktionen, die den Senat domi- 1) Die Minister legen Jahresberichte ab, nieren, verhalten sich bei Abstimmungen als für die sie sich in der Nationalver- „Blockwähler“ zugunsten der eigenen Par- sammlung rechtfertigen müssen. tei. Dies wird dadurch verstärkt, dass, um 2) Monatlich findet eine offene Frage- gewisse Interventionsrechte wahrnehmen zu stunde statt, welche oft von 9 Uhr bis können, die Parlamentarier einer sogenann- Mitternacht dauert und live im öffent- ten „groupe parlementaire“ angehören lichen TV und Radio übertragen wird. müssen, die aus mindestens 8 Personen in 3) Die Opposition kann schriftliche An- der Nationalversammlung und mindestens 5 fragen an Minister schicken, die ge- im Senat bestehen muss. meinsam mit deren Antworten im Journal Officiel de la Republique veröf- Obwohl der Opposition theoretisch die fentlicht werden. Möglichkeit offen steht, in beiden Kammern 4) Letztlich können auch Anhörungen Gesetzesentwürfe einzubringen, hat sie in der Minister zu bestimmten Fragen der Praxis bisher wenig unternommen, um anberaumt werden. auf diese Weise die Politik des Landes zu gestalten. Zum Teil ist dies durch die Domi- In der Praxis werden diese Instanzen auf- nanz des Präsidenten und seiner Regierung grund der großen Dominanz der TIM Frakti- im politischen System Madagaskar zu erklä- on selten in Anspruch genommen. ren. Der Präsident besitzt unter anderem das Recht (ähnlich wie in Frankreich) Gesetze Im Parlament stellt jede Provinz einen Vize- unilateral über den Ordonanzweg (ordo- präsidenten. nances, décrets) durchzusetzen. Andererseits schöpfen die Parlamentarier aber ihren Die regierungsbildenden Parteien sind TIM, Handlungsrahmen auch nicht voll aus. Dies sowie mit je einem Minister AVI (Tourismus liegt an ihrem Mangel an Organisiertheit, und Kultur) und MFM (Energie und Berg- einem Fehlen finanzieller Ressourcen sowie bau). Im Präsidialamt sind vertreten die Par- von Know-how und an fehlendem Engage- teien RPSD (in Form des Präsidentenberaters ment der Parlamentarier, außerhalb einer Marson Evariste), TEZA (durch Berater Moxe) Beteilung am Regime die Politik mitzube- und die MFM (durch den Berater Manada- stimmen. fy). Außerdem gibt es noch parteilose Minister. In der Nationalversammlung gibt es insgesamt neun themenbezogene Kommissio- Bei der letzten Regierungsumbildung wurde nen, deren Präsidenten aus allen Parteien die Viceprimature abgeschafft und ein De- kommen, allerdings stellt die TIM Fraktion zentralisierungsministerium geschaffen. die Mehrheit aller Kommissionspräsidenten. Im Senat gibt es zwölf solcher Kommissio- Das Präsidialamt verfügt über Parallelstruk- nen. Die Kommissionspräsidenten bestim- turen zu einigen bereits bestehenden Minis13 terien (z.B. Direction de la décentralisation). Die wichtigsten Großprojekte sind ebenfalls Es gibt 5 Dienstleistungsdirektionen: Sicher- der Presidence unterstellt. Darunter finden heit, Öffentlichkeitsarbeit, Innerparlamenta- sich u.a. FID, CSLCC/BIANCO zur Korrupti- rische Beziehungen und Kommunikation, onsbekämpfung, Lutte contre le sida zur Legislation und schließlich Verwaltung und HIV/Aidsbekämpfung, MCA, Programme de Finanzen. Gouvernance et de Développement des Institutions (PGDI), sowie „Vitrine de Mada- Die weiteren Dienstleistungen umfassen den gascar“. wissenschaftlichen Dienst, den EDV-Service, den medizinisch-sozialen Dienst sowie Fahrdienst und Protokoll. 4. Relevanz von Fraktionen In der Nationalversammlung existieren vier Fraktionen: TIM, AVI, RPSD und GPR (Groupe Parlementaire pour le Rassemblement). 6. Verhaltenskultur von Politikern im Kontext von Wahlen Letztere sind ein Zusammenschluss aus Ab- Auf lokaler Ebene werden in Madagaskar geordneten mehrerer Parteien: MFM, ARE- Koalitionen gebildet, die nicht unbedingt MA und Unabhängige. Somit ist Partei nicht den Kräftekonstellationen auf nationaler gleich Fraktion. Ebene entsprechen. Politiker verschiedener Parteien versuchen, das schlechte Image Die Fraktionen im Senat sind TIM, AVI und ihrer Partei dadurch zu umgehen, dass sie AREMA. Aufgrund der Mehrheit der opposi- im Rahmen von Assoziationen zu Wahlen tionellen AREMA im Senat will die Regie- antreten, durch die sie Kontakt zur Zivilge- rung jedoch nicht vom Senat beraten wer- sellschaft halten. den, mit Ausnahme der Dezentralisierungsthematik, hier sind die Senatoren zu Mit- So sind die meisten Parteien bei den letzten gliedern des Conseil Régional geworden. zwei Wahlen (nationale und kommunale Durch die AREMA-Mehrheit ist der Senat Wahlen) Allianzen mit anderen Parteien der Regierung gegenüber also zwar prinzi- eingegangen. Daraus ergaben sich z.B. die piell kritischer eingestellt, jedoch fehlen den „Nationale Senatoren inhaltliche Kenntnisse, um die pirenena“), bestehend aus TIM, AVI und Regierung letztlich wirksam kontrollieren RPSD, was wiederum zur Spaltung der RSPD oder beraten zu können. Auch ist der Senat führte, da ein Flügel nicht mit der TIM ko- formal der Nationalversammlung unterstellt operieren wollte und in die Opposition ging. und kann Gesetzesentwürfe nur zeitlich Einzelne Parteien, wie etwa die MFM oder blockieren, nicht aber ganz kippen. die Leader-Fanilo, wollen ihre Unabhängig- Solidarität“ („Firaisankinam- keit wahren und gehen keine Koalitionen 5. Dienstleistungen der Parlaments- verwaltung für Parteien und Frakti- ein. Damit verspielen sie jede Chance auf einen Sitz im Parlament. onen Die Nationalversammlung wird von einem Langfristige Parteibindungen von Politikern Bureau Permanent verwaltet, bestehend aus sind eher die Ausnahme. Parteipolitiker, die einem Präsidenten, 6 Vizepräsidenten und 2 sich hohe Posten erhoffen, tendieren dazu, Quästoren. Alle Mitglieder des Büros gehö- sich opportunistisch kritiklos gegenüber der ren der TIM an. Regierung zu verhalten und sind gegebe14 nenfalls auch bereit, aus der Partei auszutre- rungspartei, hat ein detailliertes Programm ten oder diese zu wechseln. Präsident und verabschiedet, welches identisch mit dem Premierminister rekrutieren ihre Minister in bereits der Regel außerhalb der Parteikanäle. Viele gramm des Präsidenten ist. Diese Chronolo- Minister sind parteilos, andere – auch hohe gie ist symptomatisch für die Beziehung von Beamte – haben die Partei gewechselt und Präsident und Regierungspartei. Letztere sind in die Regierungspartei TIM eingetre- vollzieht kritiklos jede Entscheidung des ten, z.B. der amtierende Arbeitsminister. Präsidenten und entwickelt keine sichtbare vorher erstellten Regierungspro- Eigeninitiative. IV. ZUSAMMENFASSENDE BEWERTUNG Es gibt keine Partei, die wegen ihrer ProDas Mehrparteiensystem in Madagaskar hat grammatik oder Politikgestaltung der Fried- keine ausreichende gesetzliche Grundlage. rich-Ebert-Stiftung besonders nahe steht. Zwar hatten sich insgesamt 22 größere Par- Der „traditionelle“ oder „natürliche“ Part- teien im Jahr 2002 auf einen Minimalkon- ner der Stiftung in Madagaskar, die sozial- sens geeinigt und ein entsprechendes Par- demokratische Partei Tsirananas PSD, ist teiengesetz vorbereitet, dieses wird jedoch diskreditiert und spielt keine Rolle bei der heute von der Regierungspartei blockiert. Politikgestaltung. Die Regierungspartei TIM Ein neues Wahlgesetz wird von der Opposi- ist dominiert von ihrem Ehrenvorsitzenden, tion eingefordert, die Regierung zeigt je- dem Präsidenten, und finanziell abhängig doch bis jetzt keine Initiative, dringend not- von dessen Unternehmen TIKO. Sein mehr wendige Änderungen in Angriff zu nehmen. oder weniger offen ausgesprochenes Motto Die Opposition ergreift jedoch ihrerseits lautet in etwa: „Die Armen reicher machen, keine Initiative, ein solches Gesetz zu ent- ohne die Reichen ärmer zu machen”. Die werfen und vorzuschlagen. Dies ist um so AREMA ist mit internen Machtkämpfen be- dringlicher, als die für 2006 anstehenden schäftigt und in sich gespalten. Weiterhin Wahlen unter dem Eindruck des Wahldesas- ziehen die alten Machthaber um Ratsiraka ters von 2002 unter hohen Erfolgsdruck im Hintergrund wichtige Fäden. stehen. Das Parteiensystem hat keine Relevanz für Der Parlamentarismus in Madagaskar ist die Politikgestaltung. Die wesentlichen Ent- gekennzeichnet durch die Dominanz der scheidungen sind beim Präsidenten oder Regierungspartei, die sogar die Tagesord- beim Präsidialamt zentralisiert. Die Regie- nung im Parlament bestimmt. Das Parla- rungspartei vollzieht die Politik des Präsiden- ment ist nicht in der Lage, die Exekutive zu ten, innerparteiliche Diskussionen über Poli- kontrollieren. Die Opposition ist weder per- tikgestaltung werden nicht geführt. Einzelne sonell noch strukturell in der Lage, ihre Parteien mit intellektuellem Potential wie Funktion wahrzunehmen. Die Volatilität ist TEZA oder MFM sind nach französischem hoch, das Parteienspektrum fraktioniert. Vorbild, ad personam durch persönliche Berater des Präsidenten in das System integ- Die politischen Parteien haben in der Regel riert und versuchen auf diese Weise, die keine Programme. Wenn sie ein Programm Politikgestaltung zu beeinflussen. haben, wird dieses nicht in konkrete Politik umgesetzt. Lediglich die TIM, die Regie- Die Politikgestaltung ist geprägt durch das 15 tagespolitische Geschehen. Kennzeichnend ist die aktuelle Krise der in diesem Jahr privatisierten Stromgesellschaft. Hier wurde seit der zweiten Republik unter Ratsiraka so lange Mangelverwaltung betrieben, bis die Stromversorgung in einigen Landesteilen komplett zum Erliegen gekommen ist. Langfristige Vorhaben lassen sich erst neuerdings in Ansätzen erkennen und entstehen vor allem auf Druck der Weltbank oder nach dem Willen des Präsidenten. Diese betreffen vor allem die Reform der Zollverwaltung, den Ausbau der Ökonomie und den Umweltschutz. V. AUSBLICK Ein echter Demokratisierungsprozess ist in Madagaskar erst mit dem Politikwechsel im Jahr 2002 eingeleitet worden. Dementsprechend hoch ist der Reformbedarf. Dringend notwendige Änderungen betreffen vor allem die Verfassung, das Wahlgesetz, die Schaffung einer unabhängigen Wahlkommission, ein neues Parteien- und Parteienfinanzierungsgesetz und die Förderung der politischen Parteien in Sachen Programmatik, Mobilisierungsfähigkeit und interne Demokratie. Ein reibungsloser Ablauf der 2006/2007 stattfindenden Wahlen ist unabdinglich für die Konsolidierung der Demokratie. Ein Scheitern dieser Wahlen wird zu ernsthaften Konflikten oder gar einer Wiederholung des Krisenszenarios von 2001 führen. 16 Die Friedrich-Ebert-Stiftung Die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) wurde 1925 gegründet und ist die älteste politische Stiftung Deutschlands. Sie ist eine private und gemeinnützige Institution und den Ideen der Sozialen Demokratie verpflichtet. Die Stiftung trägt den Namen des ersten demokratisch gewählten deutschen Staatspräsidenten, Friedrich Ebert, und führt sein Vermächtnis der politischen Gestaltung von Freiheit, Solidarität und sozialer Gerechtigkeit fort. Diesem Auftrag entspricht sie im In- und Ausland mit ihren Programmen zur Politischen Bildung, Internationalen Zusammenarbeit sowie Studienförderung und Forschung. Die Internationale Arbeit der Friedrich-Ebert-Stiftung Die Abteilung Internationale Entwicklungszusammenarbeit der Friedrich-Ebert-Stiftung fördert nachhaltige Entwicklung und Demokratie in Afrika, Asien, Lateinamerika sowie dem Nahen Osten. Zusammen mit ihren Partnern, gesellschaftspolitischen Akteuren in über 100 Ländern, trägt sie dazu bei, dass in Zukunft: • Demokratische Strukturen unter Einbeziehung möglichst aller gesellschaftlicher Gruppen gesichert, • Reformprozesse und Mechanismen eines friedlichen Interessenausgleichs gefördert sowie • Globale Zukunftsstrategien gemeinsam gestaltet werden. Gegenwärtig unterhält das Afrika-Referat der Friedrich-Ebert-Stiftung in den Ländern südlich der Sahara 19 Büros mit 23 deutschen Mitarbeitern und ca. 180 Ortskräften. Darüber hinaus werden Projekte in 4 weiteren Ländern (Kapverden, Togo, Mauritius, DR Kongo) durchgeführt, die jeweils von einem angrenzenden Büro oder der Zentrale mitbetreut werden. Für diese Arbeit standen im Jahre 2005 ca. 12 Mio. € zur Verfügung. Weitere Informationen sowie FES-Publikationen zu Afrika finden Sie auf unserer Homepage unter: http://www.fes.de/international/afrika. Friedrich-Ebert-Stiftung Referat Afrika Abteilung Internationale Entwicklungszusammenarbeit Leiter: Dr. Werner Puschra Godesberger Allee 149 53175 Bonn Tel.: +49 228 883-576 Fax: +49 228 883-623 17