FAZ Rezension (Verbundzentrale des GBV)

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Rezension: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.11.1979, S. 9
Bandura, Albert: Aggression
Nach einer deutlich beobachtbaren "Baisse" an der Aggressions-Literatur-Börse ist jetzt eher wieder eine steigende
Tendenz zu vermerken. Dazu tragen auch Übersetzungen von längst bekannten Büchern amerikanischer Autoren
bei. Eines davon ist das umfangreiche Werk "Aggression. Eine soziallerntheoretische Analyse" (amerik.
Erstveröffentlichung 1973) des an der Stanford-Universität lehrenden Psychologie-Professors Albert Bandura. Er
wird von deutschen Psychologen gern genannt, wenn sie einen Fachmann vorstellen sollen, der exemplarisch das
Paradigma vertritt, das sie als charakteristisch für die gegenwärtigen Forschungstendenzen gelten lassen, sofern sie
nicht überwiegend neurophysiolo» gisch orientiert sind.
ïm Gegensatz zu orthodoxen Behavioristen, wie Watson und noch Skinner, sieht er im Menschen nicht nur einen
"schwarzen Kasten", der auf bestimmte Stimuli mit vorhersagbaren Reaktionen antwortet, sondern durchaus einen
"denkenden Organismus", der mit "neurophysiologischen Mechanismen ausgestattet" ist, die sich einer "kortikalen
Kontrolle" unterziehen lassen. Kurz: der Mensch hat zwar schon lange keine Seele mehr, aber er "besitzt
Fähigkeiten, die ihn mit einem gewissen Selbststeuerungsvermögen versehen*. Soweit sich diese langfristig einem
konstanten Plan fügen, prägen sie einen Lebensstil. Und schon überschreitet er die Grenze zu den so heftig
bekämpften Tiefenpsychologen, von denen Adler, den er jetzt zitieren müßte, nicht posthum die Ehre hat, von. ihm
gekannt zu werden.
Banduras Werke führen alle das Stichwort des sozialen Lernens im TiteL Damit will der Autor immer sofort
zweierlei deutlich machen,, nämlich einmal, daß er eine homogene Lerntheorie vertritt und zum andern, daß ihm die
sozialen Determinanten des Lernens wichtiger sind als alle Innereien. Die Grundthese lautet: "Die Theorie des
sozialen Lernens menschliehen Aggressionsverhaltens nimmt den Standpunkt ein, daß der Mensch mit
neurophysiologischen Mechanismen ausgestattet ist, die ihn in die Lage versetzen, sich aggressiv zu verhalten: die
Aktivierung dieser Mechanismen ist jedoch auf geeignete Stimulation angewiesen und ist abhängig von kortikaler
Kontrolle. Deshalb werden die spezifischen Formen, die aggressives Verhalten annimmt, die Häufigkeit, mit der es
zum Ausdruck gebracht wird, und die spezifischen Zielobjekte, die für den Angriff ausgewählt werden, weitgehend
durch soziale Erfahrung bestimmt."
Verdienstvoll ist das Buch in allen Teilen, in denen Bandura diese sozialen Aspekte des Lernens minuziös unter
Bezugnahme auf rund 650 Publikationen darstellt, nachdem er vorab geklärt hat, daß Menschen meistens nicht so
vier aus eigener mühevoller Erfahrung lernen wie aus "Modellen", die in den verschiedensten Bereichen der
Gesellschaft als. 'ganze Handlungssequenzen v-äf-*!?
teil unter ihnens, wer hätte es anders erwartet, machen Aggressïoms-Mocîëlië' aus. Auslöse- und
Beibehaltungs-Bedingungen werden ausführlich abgehandelt sowie Modifikationen und Kontrolle. Die Analyse der
Aggressions-Modell-Angebote des Fernsehens kommt nicht zu kurz. Interessant ist das Untersuchungsergebnis, daß
sich wenigstens für das amerikanische Fernsehen ein deutlich reichhaltigeres Aggressions-Angebot in den
Programmen der kommerziell betriebenen Anstalten feststellen läßt. - Auch die Kritik am Aggressionsklima der
Gesamtgesellschaft nimmt Bandura tapfer in Angriff. Dagegen versucht er von erfolgversprechenden Beispielen aus
ermutigend Bürgersinn zu mobilisieren. In diesen Teilen ist das Buch wirklich lesenswichtig und lobenswert.
Kein halbwegs auf dem möglicherweise für die meisten Forscher erreichbaren - oder doch wenigstens angestrebten
-*-- Informationsniveau operierender Aggressionsforscher wird Banduras Verdienste im Bereich, der Erforschung
von sozialen Lern-Determinanten in Zweifel ziehen, aber ärgerlich muß er werden, wenn er die grundlegenden
Eingangskapitel durcharbeitet, in denen die vorher auf ein Mindestmaß reduzierten Gegner aus dem weiten Bereich
der Tiefenpsychologie abqualifiziert werden, soweit sie überhaupt zur Kenntnis genommen werden. Erstaunlich
genug, daß unter den geschätzten, fast nur amerikanischen Forschern geltenden Literaturangaben wenigstens Freud
und. Lorenz in die Erörterung einbezogen sind. Ein Autor, der Fachzeitschriften mit noch weniger als drei Seiten
aufzuspüren weiß, müßte eigentlich auch in der Lage sein, Autoren anderer Länder zu ermitteln, die dort die
Diskussion bestimmen. Keine Rede jedoch von Fromm, Mitscherlich, Eibl-Eibesfeldt, Wickler oder anderen, um
nur ein paar deutsche Wissenschaftler zu nennen.
Das Referat über Freud erstreckt sich über kaum zwei Seiten dürftiger und dazu noch fehlerhafter Wiedergabe. Als
ob nicht gerade Freuds Lehre von Anfang an eine Sozial-Theorie gewesen wäre, die sich weniger mit den "Trieben"
als mit den "Triebschicksalen" befaßte, wie etwa Mitscherlich nicht müde wurde, zu betonen, das heißt mit den
Schicksalen, welche die Triebe im sozialen Bereich erfahren. Noch offensichtlicher gilt das für die
Individualpsychologie Adlers, wie neuerlich wieder bei Manès Sperber nachlesbar. - Adler wird darum immer als
einer der Mitbegründer der modernen Sozialpsychologie genannt.
Etwas ausführlicher und überzeugender, zumal in der Kritik, gerät das Referat über Lorenz. Doch auch er wird hier
zum Trieb-Theoretiker (eine Nachlässigkeit des Übersetzers?), obwohl sein Dilemma gerade ist, menschliches
Verhalten analog zu tierischem Verhalten im. Rahmen seiner Instinkt-Theorie erklären zu wollen. Aber selbst
Lorenz unterschlägt nicht die sozialen Aspekte der Instinktbeeinflussung, wie sich unter Hinweis auf sein
Gründtheorem von der Instinkt-Dressur-Verschränkung leicht erhärten läßt. Ähnlich ungenau wird auch die
Frustrations-Aggressions-Hypothese skizziert, für die nun wiederum typisch ist, daß sie eben nicht von einem
originären Aggressionstrieb ausgeht. Nahezu absonderlich wird das Bild, wenn Bandura die einzelnen Theorien
schematisiert. Die Trieblehre kann er mit einem Pfeil so eben noch kennzeichnen, für die eiferte Theorie dagegen
trägt er neun Pfeile ein. weil sie allein differenziertes Denken repräsentiert.
Man möchte Autor und Verlag zu grundlegenden Korrekturen vor weiteren Auflagen schon jetzt ermuntern, ebenso,
die unnötige Einführung von Rolf Verres künftig wegzulassen, Welcher Aggressionsforscher, der auf der Höhe
dieses ansoruchsvollen anthropologischen Terrains arbeitet, hätte je ernsthaft die These vertreten, es gehe in der
Aggressions-Analyse letztlich um die Frage, ob die Aggressivität angeboren oder umweltbedingt sei. Die Wahrheit
liegt in diesem Fall, wie auch sonst selten, nicht einmal in der Mitte. Das anspruchsvolle Werk Banduras hätte sonst
gute Chancen, zur Hai-monizel Wissenschäften vertretenen Forschimgsanslrfee beizutragen, doch mit den
grundlegenden Teilen werden fast schon überspringbare Graben neu verbreitert.
ROLF DENKER
Albert Bandura: "Aggression. Eine sozial-lerntheoretische Analyse", Mit einer Einführung von Rolf Verres. Aus
dem Amerikanischen von tTwé Olligschläger. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 19-79. 407 S., Register, gêb.j 48,- DM.
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