Unionssoldaten in einer Stellung beim Fluss Bull Run, Virginia (August 1862) Er war der erste totale Krieg der Moderne: Rund 620 000 Soldaten starben im amerikanischen Bürgerkrieg – mehr als die USA später in den beiden Weltkriegen verlieren sollten. Mit dem Sieg des Nordens über den Süden ging die Sklaverei zu Ende, doch die Afroamerikaner waren bald schon neuen Diskriminierungen ausgesetzt. „WIR WATETEN IN BLUT“ Von Christoph Gunkel BETTMANN / CORBIS (O.); AKG (U.) D er Blick von der kleinen Anhöhe bei Charlestown im Herzen Virginias bot an diesem klaren Dezember-Tag 1859 ein Stück Bilderbuch-Amerika: sanfte Bergketten, weite Felder, weiße Farmhäuser. „Die Aussicht war unübertrefflich schön“, schwärmte Reporter David Strother und erkannte „Zeichen von Frieden und Reichtum“. Die Idylle täuschte. Auf der Spitze des Hügels stand ein Galgen, Hunderte Soldaten kontrollierten den Strom der Schaulustigen, auf den umliegenden Anhöhen beobachteten Kavallerie-Einheiten argwöhnisch die nahende Hinrichtung. Charlestown war „wie unter Besatzung“, so ein Augenzeuge. Und das nur wegen eines einzigen, 59-jährigen Mannes: John Brown. Der Verurteilte kam in einem Kutschenwagen, auf seinem eigenen Sarg sitzend. Er ließ sich bereitwillig auf das Schafott führen und den Strick anlegen. Die Zuschauer suchten vergebens nach Zeichen der Reue oder Angst. „Er stand bewegungslos da und wartete auf den Fall“, berichtete Strother. Brown wusste: Bald würde er als Märtyrer verehrt werden. Denn kaum jemand hatte so unerbittlich die Sklaverei der Südstaaten bekämpft – im Namen Gottes und der Moral, ohne selbst moralische Skrupel gekannt zu haben. 1856 metzelten seine Guerillakrieger fünf Befürworter der Sklaverei nieder. Gefasst wurde Brown bei einem Vorfall, der noch mehr Aufsehen erregte: Im Oktober 1859 überfiel er mit einer Handvoll Getreuer in der Kleinstadt spiegel special geschichte 4 | 2008 Harpers Ferry ein bundesstaatliches Waffendepot, um das Signal für einen Sklavenaufstand im Süden zu geben. Als sich am 2. Dezember 1859 um 11.15 Uhr die Falltür öffnete und John Brown am Galgen baumelte, spürten viele Zuschauer, dass sie gerade nur den Auftakt zu einer viel größeren Tragödie gesehen hatten. Brown war tot, doch die Frage der Sklaverei spaltete den Norden und Süden mit immer heftigerer Wucht. Im Süden ein feiger Mörder, im Norden ein Freiheitskämpfer – die unterschiedliche Wahrnehmung des John Brown spiegelte das Bewusstsein KAMPF UM ATLANTA Konföderierte verteidigen die Stadt gegen die Unionsbataillone unter General William T. Sherman. Umsonst: Am 2. September 1864 fällt Atlanta. Sherman lässt die Stadt brandschatzen. 37 38 spiegel special geschichte 4 | 2008 ALEXANDER GARDNER / CORBIS SCHLACHT VON ANTIETAM Am Fluss Antietam führte der Konföderationsheerführer Robert E. Lee seine Männer in die bis dahin verlustreichste Niederlage. Tote Artilleristen aus Lees Armee liegen am 19. September 1862 außerhalb der Dunker Church – die Kirche war einer der blutigsten Schauplätze des Gemetzels. spiegel special geschichte 4 | 2008 39 DIE GRÜNDERZEIT CINETEXT PRÄSIDENTENBESUCH Präsident Abraham Lincoln (M.), Agent Allan Pinkerton (l.) und General John A. McClernand 1862 vor der Schlacht beim Fluss Antietam, die Lincolns Armee unter hohen Verlusten gewann. 40 spiegel special geschichte 4 | 2008 Gespaltene Nation PENNSYLVANIA IOWA Die USA um 1860 ILLINOIS INDIANA Harpers Ferry OHIO MARYLAND WEST VIRGINIA Nördliche Grenze der Sklavenhalter-Staaten 1860 VIRGINIA MISSOURI KENTUCKY TENNESSEE INDIANER TERRITORIUM SOUTH CAROLINA ARKANSAS MISSISSIPPI TEXAS LOUISIANA ALABAMA eines zutiefst zerrissenen Landes wider. Auch wenn der Aufstand scheiterte, die Saat für Hass, Hysterie und Verschwörungstheorien war gelegt. Der Todeskandidat selbst hatte in seiner letzten Notiz prophezeit, „die Verbrechen dieses schuldigen Landes“ könnten „nur mit Blut“ gesühnt werden. Kurze Zeit später sollte die Frage der Sklaverei den idyllischen Bundesstaat Virginia zerreißen – und wenige Meilen nordwärts würde am Fluss Antietam eine der blutigsten Schlachten in der Geschichte der USA toben. Ein knappes Jahr nach Browns Hinrichtung wurde der Republikaner und Sklavereigegner Abraham Lincoln zum 16. Präsidenten der USA gewählt. Seine Wahl heizte den Konflikt an. Lincoln hatte schon im Juni 1858 gesagt, die Union könne „nicht dauerhaft“ zur Hälfte aus Sklavenhaltern und Sklavereigegnern bestehen – entweder werde sie „ganz das eine oder ganz das andere sein“. Aber er war zu sehr Realpolitiker, um das sofortige Ende der Sklaverei zu verlangen. Lediglich deren Ausbreitung wollte er verhindern. Das genügte, um ihn zur Hassfigur im Süden zu machen. Aufgebrachte Südstaatler verbrannten Puppen mit seinem Konterfei – und South Carolina wagte im Dezember 1860 einen radikalen Schritt: Es beschloss den Austritt aus der Union und brachte damit eine Lawine ins Rollen. Mississippi, Florida, Alabama, Georgia, Louisiana und Texas folgten. Die abtrünnigen Staaten gründeten in Windeseile die Konföderation, ein unabhängiges Staatenbündnis mit eigener Verfassung und einem eigenen Präsidenten: Jefferson Davis. Für Lincoln bedeutete das nicht nur einen klaren Verfassungsbruch, sondern de facto eine Kriegserklärung, da er sich qua Amt als Bewahrer der Union verstand. spiegel special geschichte 4 | 2008 Charleston/ Fort Sumter GEORGIA Mobile Konföderierte Staaten Aus der Union ausgetretene Sklavenhalter-Staaten: im Dezember 1860 im Januar und Februar 1861 im Mai und Juni 1861 ULLSTEIN BILD Richmond NORTH CAROLINA KANSAS Grenze zwischen Union und konföderierten Staaten DELAWARE Washington FLORIDA Der Union angehörige Sklavenhalter-Staaten, gespaltene Haltung der Bevölkerung Die Wurzeln für diese Eskalation lagen tiefer. Seit seiner Entstehung spaltete die Sklavenfrage den jungen Staat, und niemand verkörperte diese inneren Widersprüche besser als Thomas Jefferson, einer der Gründungsväter: Er verfasste 1776 die Unabhängigkeitserklärung, postulierte die Freiheit der Menschen – und hielt selbst etliche Sklaven. Doch die Sklaverei bescherte dem Land nicht nur ein moralisches Dilemma, mit ihr waren auch handfeste machtpolitische Konflikte verbunden. Hier rangen zwei gegensätzliche Wirtschaftsund Gesellschaftssysteme miteinander – peinlichst darauf bedacht, von der anderen Seite nicht dominiert zu werden. Der agrarische Süden war nahezu völlig abhängig vom Export seines einzigen Reichtums, der Baumwolle. Die Industrie hingegen stand zu 90 Prozent im Norden. Überall schossen Fabriken aus dem Boden, der Norden erwirtschaftete 1861 schätzungsweise dreimal so viel wie der Süden. Aber die Industrialisierung heizte weltweit auch die Baumwollnachfrage an – womit die rechtlosen schwarzen Plantagenarbeiter umso wertvoller wurden. Während der stolze Süden glaubte, ohne Sklaven bald völlig zum armen und abhängigen Verwandten des Nordens degradiert zu werden, sah das emanzipierte Bürgertum des Nordens in den aristokratischen Südstaatlern rückständige und gewissenlose PRÄSIDENTENMORD Am 14. April 1865 erschoss der Sklavereianhänger John Wilkes Booth während einer Theatervorstellung in Washington Abraham Lincoln und rief: „So geschehe es Tyrannen immer!“ 41 NAHAUFNAHME Im Bürgerkrieg wurden Maschinengewehr und U-Boot erstmals erfolgreich eingesetzt. SCHÜSSE AUS DER KAFFEEMÜHLE D ✦ starben bis heute durch diese Waffe, so das Ergebnis einer Schätzung des amerikanischen Navy Bureau of Ordnance. Nicht nur die Nordstaaten probieren Neues aus, auch der stärker agrarisch strukturierte Süden hat seine Erfindungen und setzt sie ein. Es ist der Winter 1864, fast vier Jahre dauert der Bürgerkrieg schon. Seit Monaten ist Charleston in South Carolina seeseitig vom Nachschub abgeschnitten. Immer enger ziehen die Truppen der Union den Belagerungsring. Das Blei für Gewehrkugeln wird knapp. Etwas muss geschehen, sonst ist die Stadt nicht mehr zu verteidigen. Ein Unterseeboot, eine neue „Geheimwaffe“, könnte die Rettung bringen. Die „H. L. Hunley“ soll die Seeblockade sprengen. Im Juli des Vorjahres ist das Tauchboot in Mobile, Alabama, fertig geworden, nun wird es getarnt mit der Eisenbahn nach Charleston an den Atlantik transportiert. Doch die Militärs sind von dem Gerät nicht überzeugt – bei Probefahrten ist es zweimal gesunken und hat 13 Männer in den Tod gerissen, darunter auch Erfinder Hunley. Der junge Infanterieleutnant George Dixon, der den Bau in Mobile verfolgt hat, teilt die Skepsis nicht und möchte die Funktionsfähigkeit des Bootes beweisen. Sieben Freiwillige begleiten ihn, als er am Abend des 17. Februar 1864 mit dem seltsamen Ungetüm aufs Meer hinausgleitet. Die acht Männer haben sich in die zwölf Meter lange, nur gut einen Meter breite eiserne Röhre gezwängt. Sieben von ihnen hocken nebeneinander auf einer Holzbank und drehen mit einer primitiven Kurbelwelle die Schraube. Fünfeinhalb Kilometer in der Stunde kann das Boot so zurücklegen. Kommandant Dixon navigiert mehr schlecht als recht mit Hilfe eines Kompasses. Direkt vor dem Angriff muss er die Ballasttanks leerpumpen, auftauchen und durch winzige Bullaugen den Kurs korrigieren. Am Bug trägt das Boot eine sechs Meter lange Spiere, an der Spitze die tödliche Waffe: eine 60 Kilogramm schwere Sprengladung, mit einem scharfen Widerhaken versehen, der in den hölzernen Rumpf des Gegners gerammt wird. Danach fährt das Boot knapp 50 Meter zurück, und der Torpedo wird per Reißleine zur Explosion gebracht. Der Plan funktioniert. Obwohl die Besatzung des Blockadeschiffes „USS Housatonic“ den Angreifer bemerkt und ihn aus Gewehren beschießt, versenkt zum ersten Mal ein U-Boot ein Schiff, fünf Nordstaaten-Matrosen sterben. Die „Hunley“ meldet ihren Erfolg mit Lichtsignalen an die Verteidiger der belagerten Stadt. Aber sie kehrt nie zurück, warum, ist bis heute nicht eindeutig geklärt. Vielleicht wurde sie bei der Explosion beschädigt. Erst 1995 wird das Wrack entdeckt und im August 2000 gehoben. Der Einsatz der „Hunley“ hat Charleston nicht vor der Kapitulation bewahrt. Ein Jahr noch hielt die eingeschlossene Stadt durch, dann gab sie auf. Thorsten Oltmer CORBIS er Präsident ist hingerissen, die Vorführung ein voller Erfolg. Abraham Lincoln, seit je fasziniert von Technik und besonders von Waffen, wird im Herbst 1861 eine neuartige Erfindung präsentiert: ein Maschinengewehr. Die „Kaffeemühle“, wie sie ihrer Form wegen genannt wird, kann etwa 120 Schuss in der Minute abfeuern, und J. D. Mills, der smarte Vertreter der Herstellerfirma, spricht euphorisch von einer „Armee auf sechs Quadratfuß“. Am 16. Oktober 1861, der amerikanische Bürgerkrieg tobt seit einem halben Jahr, wird der Vertrag unterzeichnet. Zu dem enorm hohen Preis von 1300 Dollar je Stück ordern die Nordstaaten 10 Gewehre. General George McClellan beschafft im Dezember desselben Jahres 50 weitere für seine Truppen, er kann den Preis auf 735 Dollar drücken. Den ersten wirklichen Einsatz erlebt die neue Waffe in einem Gefecht am Shenandoah-Fluss in Virginia am 29. März 1862. Ein Offizier berichtet später: „Eine unserer Waffen wurde auf eine Distanz von gut 700 Metern gegen eine Kavallerieschwadron des Südens eingesetzt. Es riss die Einheit in Stücke, und sie mussten fliehen.“ Ganz so zufrieden scheinen die Militärs indes doch nicht gewesen zu sein, denn die beiden Maschinengewehre dieser Einheit landen kurz darGatlings Maschinengewehr auf im Washingtoner Waffenlager und werden für je acht Dollar als Altmetall verramscht. Einen Mann ärgert die Beschaffung der Kaffeemühle besonders, ist er doch fest davon überzeugt, das bessere Mordwerkzeug bauen zu können: Richard Gatling, 1818 in North Carolina geboren, später in den Norden gezogen, tüftelt in Indianapolis an seiner Erfindung. Gatling ist eher Spezialist für landwirtschaftliche Maschinen, allein 1860 meldet er fünf Patente an. Eine Saatmaschine bringt ihn auf die entscheidende Idee – ein Korn nach dem anderen wird durch eine präzise Mechanik freigegeben und fällt in die Ackerfurche. Dieses Prinzip überträgt er auf seine Waffe und entwickelt ein in seinen Grundzügen bis heute verwendetes Design: Eine handbetätigte Kurbel lässt sechs Läufe um eine Achse rotieren, es wird kontinuierlich nachgeladen, die leeren Patronenhülsen fallen zu Boden. Im Sommer 1863 ist Gatlings Schießwerkzeug einsatzbereit. Es ist der Kaffeemühle weit überlegen. Dennoch wird die Waffe bis zum Kriegsende im April 1865 kaum eingesetzt, nur einige Truppenkommandeure beschaffen sie mit eigenen Finanzmitteln. Gatling ist frustriert, hatte er doch, so sagen es seine Biografen, für seine Tüftelei nur hehre Motive: Die enorme Feuerkraft seiner Waffe sollte Kriege von vornherein verhindern, eine frühe Form der Abschreckungsdoktrin. Der massenhafte Einsatz des Maschinengewehrs in den vielen Kriegen, die folgen sollten, widerlegt den Erfinder allerdings: Mehr als acht Millionen Menschen 42 spiegel special geschichte 4 | 2008 BETTMANN/CORBIS Ausbeuter. Als Millionen Menschen der Welterfolg „Onkel Toms Hütte“ zu Tränen rührte, feierte der Süden euphorisch ein Urteil des Supreme Court, das Schwarzen jegliches Bürgerrecht absprach. Gleichzeitig ließ die rasante Besiedlung neuer Gebiete im Westen immer wieder alte Wunden aufbrechen: Wird der neue Bundesstaat Sklaven halten? Verschiebt sich dadurch das politische Gleichgewicht in der Union? Und: Zählt die Autonomie der Einzelstaaten mehr als die Verfassungsprinzipien der Union? „Wir sind keine Nation; wir sind nur eine Ansammlung von Gemeinschaften, die bei der ersten ernsthaften Erschütterung auseinanderfallen wird“, schrieb ein Anwalt 1860 besorgt in sein Tagebuch. Er behielt recht. Immer wieder hatte sich die Union zu zähen Kompromissen durchgerungen. Mit dem Austritt der Südstaaten war die Zeit des Verhandelns vorbei. „Der ganze aufgestaute Hass der letzten Monate und Jahre bricht sich mit diesem Kanonendonner Bahn“, schrieb Konföderierten-General Pierre Beauregard über den von ihm langersehnten Kriegsbeginn. Um halb fünf in der Früh am 12. April 1861 hatte er seinen Kanonieren den Befehl zum Beschuss von Fort Sumter gegeben. In der Festung im Hafen von Charleston, South Carolina, hatten sich Unionstruppen verschanzt, vom Norden mit Schiffen versorgt. Doch im Herzen des Südens waren die Unionisten chancenlos. Die Aristokratie des Südens plagten derweil andere Sorgen. „Dieser Kanonendonner macht jede regelmäßige Mahlzeit unmöglich“, schrieb die Frau eines Senators in ihr Tagebuch. Noch viel mehr beunruhigte sie, was nun in den Köpfen ihrer „Negerdiener“ vorgehen könnte. „Man unterhält sich in spiegel special geschichte 4 | 2008 ihrer Gegenwart, als wären sie Tische oder Stühle. Sie lassen sich nichts anmerken. Sind sie von einfältiger Dummheit? Oder warten sie, klüger als wir, schweigend und fest ihre Zeit ab?“ Nach 34 Stunden unter Dauerbeschuss kapitulierten die Unionstruppen. Der Süden feierte euphorisch einen erwarteten Sieg. „Die Straßen von Charleston machen den Eindruck wie die von Paris während der letzten Revolution“, berichtete der Londoner „Times“-Korrespondent. Aber auch der Norden glühte vor Patriotismus. Lincoln rief 75 000 Freiwillige zu den Waffen, um „die Rebellion niederzuschlagen“. Aus Angst, noch mehr Staaten in die Sezession zu treiben, formulierte er gleichzeitig ein zurückhaltendes Kriegsziel. Der Präsident wollte lediglich die Union wiederherstellen – die Sklaverei sollte unangetastet bleiben. Entlaufene Sklaven, die sich zur Armee meldeten, wurden daher nach geltendem Recht wieder zurückgeschickt – bis im Jahr 1862 ein neues Gesetz in Kraft trat. Einige SklavenhalterStaaten konnte Lincoln so zum Verbleib in der Union gewinnen, doch vier weitere traten trotzdem aus – darunter das mächtige Virginia. Ein Teil Virginias schlug sich allerdings auf die Seite der Union und bildete als West-Virginia einen neuen Staat. Der Riss trennte nicht nur Norden und Süden, sondern spaltete eine ganze Gesellschaft: Aristokraten aus dem Norden kämpften für den aristokratischen Süden. Enge Verwandte waren plötzlich erbitterte Gegner. Arbeiter aus dem Norden wünschten sich aus Angst um ihren Job die Sklaven weiter in Ketten. Der spätere Kriegsheld und Oberkommandierende der Konföderierten, Robert E. Lee, bezeichnete die Sklaverei als „moralisches Übel“. Der BEFREITE SKLAVEN 1862 stellte Lincoln das Ende der Sklaverei in Aussicht. 90 000 Sklaven flüchteten zu den Unionstruppen (1863). Onkel Toms Hütte Im Mittelpunkt des Romans von Harriet Beecher Stowe, einer aus Connecticut stammenden Schriftstellerin und Pfarrersfrau, steht das Schicksal eines Sklaven, der von einem brutalen Plantagenbesitzer zu Tode misshandelt wird. Zuerst veröffentlichten die Abolitionisten die zu Tränen rührende Geschichte in ihrer Zeitung. „Uncle Tom’s Cabin“ gab ihrem Kampf gegen die Sklaverei neuen Schwung. Das später publizierte Buch wurde in viele Sprachen übersetzt und in den USA bereits im ersten Jahr nach Erscheinen 300 000-mal verkauft. 43 GANG ZUM GALGEN John Brown, skrupelloser Sklavereigegner, nimmt vor seiner Hinrichtung am 2. Dezember 1859 Abschied von Anhängern. Sein Tod wurde der Auftakt zur Tragödie des Bürgerkriegs zwischen Nord- und Südstaaten, die sich an der Sklavenfrage aufrieben. 44 erste Oberbefehlshaber des Nordens, Winfield Scott, stammte aus dem Süden, lehnte aber die Sezession ab. Für beide Seiten war der Bürgerkrieg das einschneidendste Ereignis in ihrer nationalen Geschichte. Und Norden wie Süden glaubten zunächst, das Gemetzel werde ihnen einen schnellen Sieg bringen. „Das war großartig. Himmel!“, entfuhr es am 21. Juli 1861 einer Frau, die das Kriegsgeschehen durch ein Opernglas beobachtete, als eine besonders heftige Salve inmitten der Truppen der Rebellen ein- schlug. „Wenn es so weitergeht, werden wir morgen in Richmond sein“ – der Hauptstadt der Konföderierten. In Erwartung eines klaren Sieges waren sie und etliche andere Schaulustige an diesem Juli-Tag in Kutschen, bewaffnet mit Sekt und Picknickkörben, zur ersten großen Schlacht am Flüsschen Bull Run gepilgert. Taschentücher und Hüte wurden geschwenkt, als das Blau der Unionstruppen das Grau der Südstaatler immer weiter zurückdrängte. Siegesgewissheit auch im nur 25 Meilen entfernten Washington. Lincoln konnte die Kanonenschüsse an seinem Schreibtisch hören. Der oberkommandierende General Scott hatte sich zu einem Schläfchen niedergelegt. Die Ernüchterung kam gegen sechs Uhr abends per Depesche: Die Schlacht war verloren. Die Konföderierten hatten überraschend eine Panik ausgelöst – und die flüchtenden Zuschauer hatten das Chaos verstärkt. Am nächsten Morgen taumelten völlig erschöpfte Einheiten des Nordens bei strömendem Regen in ihre Hauptstadt zurück. „Die Einnahme von Washington“, schrieb der spätere Kriegsminister Edwin Stanton bestürzt in einem Brief, „scheint jetzt unvermeidlich. Die Armee ist vollkommen demoralisiert und zerschlagen.“ Doch auch der Sieger war zu geschwächt, um den Angriff zu wagen. Mit der Niederlage am Bull Run zeigte sich, dass der Norden nicht zwangsläufig Sieger des ungleichen Bruderzwists sein würde – allen Statistiken zum Trotz. 22 Millionen Nordstaatlern standen gut 9 Millionen Menschen im Süden gegenüber. Der Norden hatte die stärkere Wirtschaft, die größeren Waffenfabriken, das doppelt so dichte Eisenbahnnetz und konnte mit seiner gewaltigen Flotte eine Seeblockade spiegel special geschichte 4 | 2008 TOPHAM PICTUREPOINT / KEYSTONE (O.); GETTY IMAGES (U.) CHARLESTON ALS FESTUNG Konföderierte Truppen eroberten am 12. und 13. April 1861 Fort Sumter im Hafen der Stadt. Das war der Beginn des Krieges. Am 18. Februar 1865 wurde Charleston nach langer Seeblockade aufgegeben. BRADY-BUCH (O.); BETTMANN / CORBIS (U.) durchsetzen – und damit den lebenswichtigen Handel des Südens empfindlich treffen. Der Süden wollte das mit feurigem Temperament und großer Moral wettmachen. Nach den ersten Erfolgen glaubte auch der letzte Zweifler, dass „ein Südstaatler fünf Yankees aufwiegt“. Außerdem setzte man auf seine exzellenten Offiziere und hoffte auf Hilfe des baumwollhungrigen Großbritanniens. Der größte Vorteil war jedoch, dass der Süden den Krieg nicht gewinnen musste, sondern ihn nur nicht verlieren durfte. Das führte lange zu einem militärischen Patt. So standen die Truppen der Union im Mai 1862 kurz vor Richmond. Doch der geniale Heerführer Robert E. Lee konnte den Sturm auf die Hauptstadt der Konföderation verhindern und die Unionssoldaten in sechs kurz aufeinanderfolgenden Schlachten sogar weit zurückdrängen. Wie so oft war der Blutzoll dabei aber so hoch, dass die Trennlinie zwischen Sieg und Niederlage eher eine psychologische war. Lee verlor mit über 3400 Toten und 16 200 Verwundeten sogar doppelt so viele Männer wie die Union unter General George McClellan. Als Lee nachrückte, wurde er in der bis dahin verlustreichsten Schlacht am Fluss Antietam im September seinerseits von McClellan besiegt. Das Patt stand wieder. Das zähe Ringen um winzige Vorteile und das stille Sterben Zehntausender wollte kein Ende nehmen. Im Bewusstsein des sicheren Todes nähten sich manche Soldaten vor dem Kampf Zettel mit ihrer Adresse an die Uniform – um später leichter identifiziert werden zu können. Viereinhalb Millionen kämpften an 10 000 Schauplätzen von der Ost- bis zur Westküste. Doch die Bilder ähnelten sich. Trotz präziser Waffen stürmten die Soldaten oft einfach aufeinander zu. Minuten später waren etliche getötet, verstümmelt, verblutet. Anhöhen wurden tödliche Fallen, Stellungen bis zum letzten Mann verteidigt, Schützengräben wurden breit eingesetzt – und nach der Schlacht kamen die Leichenfledderer. Der Bürgerkrieg wurde zum ersten großen Abnutzungskrieg der Moderne, der viele Entwicklungen der Weltkriege vorwegnahm: Massenheere, Medienpropaganda, minderjährige Rekruten. Aber eines war anders als in den Schlachten neuerer Zeit: Im Bürgerkrieg starben prozentual weit mehr Soldaten. In Feldlazaretten wurden den Verwundeten im Akkord die Gliedmaßen amputiert. Seuchen und Infektionen rafften doppelt so viele Soldaten dahin wie die Schlachten. „Wir wateten in Blut und Wasser“, berichtete eine Krankenschwester aus Alabama. Sie empfand es schon als großen Fortschritt, als der neue Leiter des Lazaretts durchsetzte, dass amputierte Gliedmaßen nicht einfach mehr im Hinterhof liegen gelassen werden durften. Als Lincoln einsah, dass dieser Krieg nicht in wenigen Monaten zu gewinnen war, wagte er eine radikale politische Entscheidung, die das Jahr 1862 doch noch zum Wendepunkt des Krieges machen sollte. Am 22. September erklärte er feierlich, alle Sklaven der Sezessionsstaaten seien ab Januar 1863 „für immer frei“. Die Sklavenhalterstaaten, die auf seiner Seite kämpften, sparte er geflissentlich aus. Dennoch erhob er die Sklavenbefreiung mit diesem Beschluss erstmals zu seinem Kriegsziel. „Es ging nicht mehr um die Wiederherstellung der spiegel special geschichte 4 | 2008 Union, wie sie war“, schrieb ein Unionsgeneral. „Es ging um die Union, wie sie sein sollte, das heißt, reingewaschen von ihrer Ursünde.“ Aus Angst vor einem „revolutionären Kampf“ war Lincoln stets vor diesem Schritt zurückgewichen. „Wenn ich die Union bewahren könnte, ohne einen einzigen Sklaven zu befreien, so täte ich dies“, hatte er einem befreundeten Journalisten geschrieben. Jetzt wusste er: Die Sklavenbefreiung war sein stärkster Trumpf. Denn auch wenn die Emanzipationserklärung den Krieg weiter ideologisieren und brutalisieren sollte, war sie ein brillanter Schachzug: Lincoln schwächte die Opposition der Abolitionisten, die seit langem für eine Abschaffung der Sklaverei kämpften und die immer mehr Zulauf bekamen, und sicherte sich gleichzeitig weltweit Sympathie. Der Krieg war geadelt, die Moral auf Seiten der Union. Keine der europäischen Mächte konnte nunmehr daran denken, den Süden zu unterstützen. Psychologisch waren die Vorteile noch DOKUMENTIERTE GREUEL Kriegsgefangenenlager in Andersonville (o.). Dessen Kommandant wurde als einziger Konföderationssoldat wegen Kriegsverbrechen zum Tode verurteilt. Kriegsfotograf Mathew Brady (u.) zog mit seiner Laborkutsche zu den Kampfstätten. 45 46 größer: Im Süden fürchteten sich die Menschen wieder vor Sklavenaufständen – eine Angst, die seit John Brown tief saß. „Diese arme, unerfahrene Rasse ist zu einem Werkzeug geworden“, beschwerte sich die Tochter eines reichen Plantagenbesitzers. Die Unionssoldaten dagegen zogen mit einer provokativen Hymne in den Kampf: „John Browns Körper liegt verrottend im Grab. Aber seine Seele marschiert weiter.“ Und wie sie das tat: Aufstände blieben zwar aus, aber bis zum Kriegsende liefen mehr als 90 000 Sklaven über und kämpften in Freiheit – für die Freiheit. Nicht zuletzt deshalb kippte das militärische Patt. Mitte 1863 ging es um alles. William Christian, Offizier der Südstaaten, schrieb seiner Frau: „Eine Niederlage hier würde unser Ruin sein. Unsere Armee bereitet sich auf einen Kampf vor, wie sie noch nie einen geführt hat.“ Die Konföderierten waren im Westen stark in die Defensive geraten. General Lee versuchte im Osten eine Offensive, um mit einem Sieg die Friedensbewegung im Norden so entscheidend zu stärken, dass Lincoln zu Verhandlungen gezwungen sein würde. Es sollte die größte Schlacht des Krieges werden. Anfang Juli standen sich in der Nähe der kleinen Gemeinde Gettysburg etwa 75 000 Konföderierte und 95 000 Unionssoldaten gegenüber. Beflügelt durch erste Erfolge plante Lee für den dritten Tag der Schlacht – trotz der Einwände führender Offiziere – den Angriff auf einen strategisch wichtigen Hügel. Das Manöver wurde zum Desaster. „Nun ist alles vorbei“, schrieb General George Edward Pickett, der den Angriff leiten musste, entsetzt an seine Frau: „Ich höre immer noch ihr Hurra, als ich den Befehl ‚Vorwärts!‘ gab. Ach, wie vertrauensvoll folgten sie mir – vorwärts und vorwärts – bis in den Tod, und ich führte sie vorwärts – vorwärts – vorwärts – o Gott!“ Lee verlor 28 000 Mann, mehr als ein Drittel seiner Armee. Von diesem Schlag sollte sich der Süden nicht mehr erholen und war von da an nur noch zur Verteidigung fähig. Lincoln hingegen nutzte den Sieg für eine historische Ansprache. Mit Bezug auf die Unabhängigkeitserklärung von 1776 überhöhte er den Bürgerkrieg zum generellen Überlebenskampf der Demokratie. Die Opfer des Krieges seien für „eine Wiedergeburt der Freiheit“ gestorben. Doch diese Wiedergeburt war gleichzeitig ein zweijähriger Todeskampf des Südens. „Wie ein Bahrtuch“, schrieb Unionsgeneral William T. Sherman, hing eine schwarze Rauchwolke über den Trümmern Atlantas – nachdem er die Stadt selbst im September 1864 erobert und zwei Monate später niedergebrannt hatte. In einem langen Marsch zog seine Armee nun 300 Meilen westwärts, eine Schneise der Verwüstung schlagend. Sherman wandte systematisch die Strategie der verbrannten Erde an, ließ Brücken einreißen, die Ernte anzünden und überprüfte persönlich die Zerstörung der Eisenbahnschienen. Die Terrorstrategie versetzte dem Süden den Todesstoß. Die Bevölkerung hungerte. In ihrer Not aßen viele Menschen Maultierfleisch, und die hohe Aristokratie diskutierte plötzlich, ob vielleicht auch Eichhörnchen- und Rattenfleisch schmecken würde. Demoralisiert, oft barfuß marschierend und in großer Angst um ihre Familien, desertierten die Soldaten scharenweise – trotz drohender Todesstrafe. Als Richmond von zwei Armeen bedroht wurde, gab Lee die Hauptstadt auf und kapitulierte am 9. April 1865 bedingungslos. Bis auf ein paar Scharmützel war der Krieg vorbei. Am vierten Jahrestag der Kapitulation von Fort Sumter hisste der damalige Unionskommandant dort symbolisch die zerschossene Flagge. In diesen vier Jahren waren nach gängiger Schätzung 360 000 Unionssoldaten und 260 000 Konföderierte gestorben – weit mehr Soldaten, als die USA in beiden Weltkriegen zusammen verlieren würden. Der Süden war verwüstet, sein Gesellschaftssystem revolutioniert – während der Krieg die Industrie des spiegel special geschichte 4 | 2008 BRADY-BUCH (L.); BAPTISTED / INTERFOTO (M.) KRIEGSENDE Ein vom Hunger gezeichneter Unionssoldat nach seiner Entlassung aus der Gefangenschaft in Andersonville. Am 3. April 1865 wurde Richmond, die Hauptstadt der Konföderation, von Unionstruppen eingenommen. Sechs Tage später endete der Krieg mit Lees bedingungsloser Kapitulation. CULTURE-IMAGES / UA (O. R.); BAPTISTED / INTERFOTO (U. R.) Nordens weiter boomen ließ. Doch trotz solcher Gegensätze schweißte der Bürgerkrieg langfristig die amerikanische Nation untrennbar zusammen. Zunächst aber feierten die Afroamerikaner ihre plötzliche, per Verfassung garantierte Freiheit. „Wir gingen alle auf goldenen Wolken“, berichtete ein ExSklave. „Wir fühlten uns wie Helden.“ Manche umarmten zum ersten Mal seit Jahrzehnten Angehörige, die ihnen die Sklaverei entrissen hatte. Die Freude sollte nicht lange anhalten. 1859 hatte John Wilkes Booth, ein glühender Anhänger der Sklaverei, aufmerksam die Hinrichtung von John Brown beobachtet. Am 14. April 1865 machte sich der Schauspieler auf, selbst eine Hinrichtung zu vollstrecken. Mit Dolch und Pistole drang er während einer Theateraufführung in die Präsidentenloge ein und schoss Abraham Lincoln aus kürzester Distanz in den Kopf. Booth stach einen Bewacher nieder, sprang auf die Bühne und nahm sich noch die Zeit zu rufen: „So geschehe es Tyrannen immer!“ Dann verschwand er hinter den Kulissen. Als Lincoln am folgenden Morgen starb, hielten trotz des kalten Regens Hunderte Schwarze stundenlang eine Trauerwache vor dem Weißen Haus. Marineminister Gideon Welles notierte beeindruckt: „Sie schienen nicht zu wissen, was aus ihnen werden würde, nachdem ihr großer Wohltäter tot war, und ihr hoffnungsloser Schmerz rührte mich mehr als alles andere.“ Vielleicht war es eine böse Vorahnung. Die Zeit nach Lincoln garantierte den ehemaligen Sklaven zwar mit zwei Verfassungszusätzen die Bürgerrechspiegel special geschichte 4 | 2008 te und das Wahlrecht. In Wirklichkeit konnten sie diese Freiheiten aber nur als Magerkost genießen. Nicht nur, dass vielen ohne eigenen Besitz nichts anderes übrigblieb, als auf ihren alten Plantagen zu schuften, diesmal für einen Hungerlohn. Unmittelbar nach dem Krieg schränkten zudem regionale Vorschriften im Süden die Bürgerrechte der Schwarzen drastisch ein – und machten sie fast wieder zu Sklaven. Diese „black codes“ verboten ihnen mancherorts eigenen Grundbesitz oder Ausgang ohne schriftliche Genehmigung. Gleichzeitig versuchten paramilitärische rassistische Geheimbünde wie der Ku-Klux-Klan, die Schwarzen mit Mord und Terror von Wahlen abzuhalten. Der Preis der neuen Freiheit wurde grassierende rassistische Diskriminierung. Der Bürgerkrieg hatte ein moralisches Dilemma beerdigt und die Saat für ein neues gelegt. Viele Menschen sahen in den Afroamerikanern „Abschaum, der nach oben geschwommen ist“, eine Bedrohung des eigenen Sozialstatus. Etliche Gesetze separierten daher ab Mitte der siebziger Jahre die Schwarzen von den Weißen: in Kirchen, Krankenhäusern, Zügen. Eine verhängnisvolle Entwicklung, die der Supreme Court sogar noch langfristig sanktionierte, als er 1883 urteilte, die Verfassung schütze nur vor staatlicher, nicht aber vor privater Diskriminierung. Der Bürgerkrieg hatte mit der Trennung des Südens vom Norden begonnen – und endete mit der Trennung der Weißen von den Schwarzen. ✦ KRIEGSOPFER Verwundete Soldaten wurden in Feldlazaretten betreut, hier in Fredericksburg, Virginia. Gliedmaßen wurden im Akkord amputiert. SIEGERPARADE Ende Mai 1865 ließen sich berittene Unionstruppen in Washington feiern. Nach Schätzungen starben in den vier Kriegsjahren 360 000 Soldaten aus den Nordstaaten und 260 000 Konföderierte. 47