Theoretische Grundlagen-mit Abb-01-02-2012

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Theoretische Grundlagen mit Fallbeispielen; Erbgänge,
Chromosomen, DNA, Methoden, Teratologie
(Tiemo Grimm, Würzburg)
Die klinische Humangenetik analysiert die genetischen Informationen auf der Ebene der
DNA (Desoxyribonukleinsäure), der Chromosomen, der Genprodukte und der
phänotypischen Merkmale. Ihr Ziel ist, durch ein besseres Verständnis der Ursachen
genetisch und teratogen bedingter Krankheiten den Weg zur genaueren Prognose, zur
Therapie und zur genetischen Beratung zu finden.
3.1
Formale Genetik
Die formale Genetik hat ihre Ursprünge in den Beobachtungen von Gregor Mendel (1866),
der anhand seiner Erbsenversuchen zeigte, dass Eigenschaften nach festen Regeln von
Generation zu Generation weitergegeben werden. Heute weiß man, dass nicht
Eigenschaften sondern die Erbanlagen (Gene) von den Eltern an die Kinder vererbt werden.
Durch Mutationen können verschiedene Varianten eines Gens entstehen, die man Allele
nennt. Die Vererbung von Eigenschaften bzw. Erbkrankheiten, die durch Mutationen in
einem Gen verursacht werden, bezeichnet man als monogene Erbgänge.
3.1.1
Abb. 3.01
Autosomal-dominanter Erbgang (Abb. 3.01)
Autosomal dominanter Erbgang; Vater erkrankt (heterozygot: D n), Mutter gesund (homozygot
normal: n n), 50 % der Kinder erkrankt (heterozygot: D n) und 50 % gesund (homozygot normal: n n) (Quelle: T.
Grimm)
Falls ein Allel im heterozygoten Zustand allein den Phänotyp prägt, wird es als
dominant bezeichnet. Autosomal-dominante Erbleiden können entweder als
sporadische Fälle, als Neumutationen auftreten oder von einem der Eltern vererbt
sein, wobei das Wiederholungsrisiko 50 % beträgt. Gelegentlich sind auch mehrere
Kinder eines gesunden Elternpaares betroffen. Die Erklärung ist in einem
Keimzellmosaik zu suchen, d. h. in einer Mutation, die bei einem der Eltern bei den
mitotischen Teilungen in der Keimzellentwicklung aufgetreten ist. Solche
1
Keimzellmosaike wurden z. B. bei der Osteogenesis imperfecta oder der
Neurofibromatose I nachgewiesen.
Typisch ist beim autosomal dominanten Erbgang auch, dass die einzelnen Träger
einer Mutation, selbst in der gleichen Familie, unterschiedlich schwer betroffen sein
können (variable Expreeivität). Bei vielen autosomal dominanten Erbkrankheiten
müssen nicht alle heterozygote Personen erkranken (unvollständige Penetranz).
Falls Mutationsträger erst im späteren Leben erkranken (z.B. Huntington-Krankheit),
liegt eine altersabhängige Penetranz vor.
Beispiele für Erbkrankheiten mit autosomal dominantem Erbgang (Tab. 3.01):
Erbkrankheit
Huntington-Krankheit
Marfan-Syndrom
Myotone Dystrophie Typ 1
Achondroplasie
Tab. 3.01
3.1.2
Abb. 3.02
Bemerkungen
Neurodegenerative Erkrankung;
Erkrankungsalter um 35 bis 60 Jahre;
Mutation: CAG-Repeat im HuntingtinGen (Mutation ab 39 CAG-Repeats)
Bindegewebsdefekt; Klinik sehr
variabel; hohe Neumutationsrate
Multisystemerkrankung, sehr variable
Expressivität (nur isolierter Katarakt
bis schwerer Muskelerkrankung);
Mutation: CTG-Repeat im DMPK-Gen
Dysproportionierter Minderwuchs;
über 90 % Neumutationen
Prävalenz
1 auf 15 000
1 auf 15 000
1 auf 10 000
1 auf 30 000
Beispiele für Erbkrankheiten mit autosomal dominanten Erbgang
Autosomal-rezessiver Erbgang (Abb. 3.02)
Autosomal rezessiver Erbgang; Vater und Mutter gesund, aber heterozygot (N r), 25 % der Kinder
homozygot gesund (N N), 50 % der Kinder heterozygot gesund (N r) und 25 % der Kinder erkrankt (homozygot: r r);
unter den gesunden Geschwistern sind 2/3 heterozygot. (Quelle: T. Grimm)
Wenn ein Gen nur im homozygotem, nicht aber in den heterozygoten Zustand in
Erscheinung tritt, wird es als rezessiv bezeichnet. Autosomal-rezessive Erbkrankheiten
entstehen, wenn beide Eltern (heterozygot) einen Defekt des gleichen rezessiven Gens an
ein Kind weitergeben, das Risiko für ein homozygotes krankes Kind beträgt 25 %. Hat ein
Betroffener zwei verschiedene Mutationen von seinen Eltern geerbt, bezeichnet man ihn als
compound heterozygot.
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Ein rezessiver Erbgang liegt z.B. bei sehr vielen Stoffwechseldefekten vor. In heterozygotem
Zustand genügt meist die genetische Information des „normalen Gens“ um z. B. eine
ausreichende Enzymaktivität zu gewährleisten. Erst bei homozygotem Zustand kommt es
zum völligen Ausfall der genetischen Information, z. B. zum Ausfall der Enzymproduktion.
Beispiele für Erbkrankheiten mit autosomal rezessivem Erbgang (Tab. 3.02):
Erbkrankheit
Mukoviszidose (Zystische
Fibrose; CF)
Penylketonurie (PKU)
Spinale Muskelatrophie
(SMA)
Tab. 3.02
3.1.3
Abb. 3.03
Bemerkungen
Multisystemerkrankung, exokrine
Schweißdrüsen sind betroffen
Schwere geistige Retardierung;
sofortige Therapie mit phenylalaninarmer Diät, dann normale Entwicklung
Defekt der Vorderhornzellen im
Rückenmark; häufig sehr schwerer
Verlauf
Inzidenz
1 auf 2 500
1 auf 10 000
1 auf 10 000
Beispiele für Erbkrankheiten mit autosomal rezessiven Erbgang
X-chromosomal-rezessiver Erbgang (Abb. 3.03)
X-chromosomal rezessiver Erbgang; Vater gesund (hemizygot: Xn Y), Mutter gesund (heterozygot:
Xn Xd), 50 % der Söhne gesund (hemizygot: Xn Y), 50 % der Söhne krank (hemizygot: Xd Y), 50 % der Töchter gesund
(homozygot: Xn Xn) und 50 % der Töchter gesund (heterozygot: Xn Xd) (Quelle: T. Grimm)
X-chromosomal-rezessive Erbleiden treten praktisch nur bei Knaben auf, da diese nur ein XChromosom haben, also hemizygot für die X-chromosomalen Gene sind. Bei Mädchen
treten X-chromosomal-rezessive Erkrankungen nur auf, wenn diese homozygot für das
betreffende X-chromosomale Gen sind oder bei ihnen ein 45-X-Karyotyp vorliegt. In seltenen
Fällen kann eine heterozygote Frau auch betroffen sein, wenn durch Zufall bei ihr
überwiegend das jenige X-Chromosom genetisch aktiv ist, auf dem die Mutation liegt. Das
Erkrankungsrisiko für Söhne heterozygoter Frauen beträgt 50 %. Töchter heterozygoter
Frauen sind zu 50 % Konduktorinnen. Söhne hemizygoter Männer haben kein
Erkrankungsrisiko, Töchter hemizygoter Männer sind immer Konduktorinnen.
Beispiele für Erbkrankheiten mit X-chromosomal rezessivem Erbgang (Tab. 3.03):
3
Erbkrankheit
Bemerkungen
Hämophilie A
Hämophilie B
Mutationen im FVIII-Gen
Mutationen im FIX-Gen; trat bei
Nachkommen der Königin Victoria von
England auf
Progressive Muskeldystrophie;
Mutationen im Dystrophin-Gen
unter Männern häufigste Ursache für
geistige Retardierung; Mutation CGGRepeat im FMR1-Gen
Mehrere ähnliche Gene auf dem
langen Arm des X-Chromosoms,
Deletionen aufgrund eines ungleichen
Crossing-overs
Muskeldystrophie
Duchenne
Fragilies-X-Syndrom
Rot-Grün-Sehschwäche
Tab. 3.03
3.1.4
Inzidenz
(Knabengeburten)
1 auf 10 000
1 auf 30 000
1 auf 3 500
1 auf 1 250
1 auf 11 (Männer)
1 auf 125 (Frauen)
Beispiele für Erbkrankheiten mit X-chromosomal rezessiven Erbgang
Multifaktorieller Erbgang (komplexe Vererbung)
Viele Merkmale sind nicht durch ein einzelnes Gen, sondern durch eine Kombination vieler
Gene und durch den Einfluss von Umweltfaktoren bedingt (z.B. koronare Herzkrankheiten,
Diabetes mellitus, Psychosen, Lippen-Kiefer-Gaumenspalten, angeborene Herzfehler,
Neuralrohrdefekt). Sie folgen keinem Mendel-Erbgang. In neuerer Literatur wird auch der
Begriff komplexe Vererbung benutzt. Es kann sich dabei um qualitative (z.B. angeborener
Herzfehler) oder um quantitative Merkmale (z.B. Bluthochdruck) handeln. Für
Wiederholungsrisiken werden in der Regel empirische Daten benutzt, wobei das
Wiederholungsrisiko mit der Anzahl weiterer Fälle in der Familie ansteigt und für nah
verwandte höher ist als für weiter entfernt verwandte. Bei sporadischen Fällen liegt das
Wiederholungsrisiko häufig in der Größenordnung von ca. 5 %.
3.2
Zytogenetik
Der Mensch hat 46 Chromosomen, von den 23 Chromosomenpaaren sind die 22 Autosomen
in beiden Geschlechtern gleich. Die homologen Chromosomen der Autosomen enthalten je
ein Allel desselben Gens, aber diese Allele müssen nicht identisch sein. Zusätzlich liegen
zwei Geschlechtschromosomen (Gonosomen) vor, beim Mann ein X- und ein Y-Chromosom,
bei der Frau zwei X-Chromosomen. In den Eizellen und in den Spermien liegen nur ein
einfacher (haploider) Chromosomensatz (23 Chromosomen) vor.
Die Chromosomen enthalten die Gene. Sie bestehen aus DNA (Doppelhelix) die sich um
Proteine formiert. Das Metaphase-Chromosom besteht aus zwei Chromatiden, die am
Centromer zusammenhängen. Den oberen kurzen Arm bezeichnet man mit p und den
unteren langen Arm mit q.
Die Chromosomen werden in abnehmender Größe durchnummeriert (Abb. 3.04). Die
Chromosomen 13, 14, 15, 21 und 22 bezeichnet man als akrozentrische Chromosomen, da
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sie nur einen sehr kleinen kurzen Arm haben.
Abb. 3.04
3.2.1
Die menschlichen Chromosomen (G-Bänderung) (Quelle: T. Grimm)
Numerische Chromosomenaberrationen
Numerische Chromosomenaberrationen sind Anomalien der Zahl der Chromosomen und sie
treten überwiegend sporadisch auf. Mit steigendem Alter der Mutter nimmt die Häufigkeit von
Trisomien der Autosomen sowie Störungen mit zusätzlichen X-Chromosomen beim
Neugeborenen zu. Sie entstehen in der Regel in der Meiose durch Nondisjunktion (Abb.
3.05).
Abb. 3.05
Nondisjunction in Meiose I oder Meiose II (Quelle: Abb. A; S. 135; 3. Auflage, Passarge,
Taschenatlas Humangenetik, Thieme Verlag, 2008)
5
Autosomale Chromosomenaberrationen zeigen in der Regel folgende Befunde:
-
Wachstumsrückstand
-
Dysmorphiezeichen
-
Fehlbildungen
-
Entwicklungsverzögerung und Intelligenzdefekt
3.2.1.1
Down-Syndrom (Trisomie 21)
Die Inzidenz des Down-Syndroms beträgt etwa 1 auf 600 bis 1 auf 800. In der Meiose
werden die beiden homologen Chromosomen 21 nicht getrennt, so dass eine Eizelle mit
zwei Chromosomen 21 entsteht. Die Folge ist eine sog. freie Trisomie 21 (ca. 95 %). Etwa 3
% der Trisomien 21 entstehen durch Translokationen von einem Chromosom 21 und einem
anderem akrozentrischen Chromosom (Robertsonsche Translokation). Die häufigste Form
ist eine 14;21-Translokation. Die restlichen 2 % sind Mosaike
Klinische Befunde des Down-Syndroms sind:
–
Intelligenzdefekt
–
fakultativ angeborene Fehlbildungen (z.B. Herzfehler wie AV-Kanal)
–
Wachstumsdefizit
–
Dysmorphiemuster (z.B. nach lateral ansteigende Lidachsen; Makroglossie; kurze,
breite Hände; Vierfingerfurche; Sandalenlücke)
3.2.1.2
Edwards-Syndrom (Trisomie 18)
Die Inzidenz der Trisomie 18 beträgt etwa 1 auf 2500. Es sind deutlich mehr Mädchen (ca.
80 %) als Knaben betroffen. Die Lebenserwartung ist deutlich reduziert, ca. 50 % sterben
innerhalb der ersten Lebenstage, 90% versterben im ersten Lebensjahr.
Klinische Befunde des Edwards-Syndrom sind:
–
Mikrozephalus
–
Hypertelorismus
–
tief angesetzte dysmorphe Ohren ( Faunenohren )
–
Mikroretrognathie
–
Flexionskontrakturen der Finger mit Überlagerung von II über III und von V über IV,
–
niedriges Geburtsgewicht
–
schwerste geistige Retardierung
6
3.2.1.3
Pätau-Syndrom (Trisomie 13)
Die Inzidenz der Trisomie 13 beträgt etwa 1 auf 6000. Die Lebenserwartung ist deutlich
reduziert (den ersten Monat überleben weniger als 50 %)
Klinische Befunde des Pätau-Syndrom sind:
–
Mikrozephalie
–
Kopfhautdefekte
–
Mikrophthalmie
–
Lippen-Kiefer-Gaumen-(LKG-)Spalte
–
tief angesetzte dysmorphe Ohren
–
postaxiale Hexadaktylie
–
Holoprosenzephalie
–
schwerste geistige Retardierung
3.2.1.4
UlIrich-Turner-Syndrom (45,X)
Die Inzidenz beträgt etwa 1 auf 3000. Es besteht eine hohe intrauterine Letalität, d. h. ca.
95 % der Schwangerschaften mit 45,X-Konstitution enden mit einer Fehlgeburt (Hydrops
fetalis). Postnatal tritt eine große Variabilität im Phänotyp (ca. 50 % haben 45,X;
verschiedene Mosaike liegen bei ca. 50 %: z. B. mit 46,XX- oder/und 47,XXX-Zelllinien, auch
Strukturaberrationen des X-Chromosoms).
Klinische Befunde des Ulrich-Turner-Syndroms sind:
–
Ödeme an Hand- und Fußrücken
–
Pterygium colli
–
Pterygium colli
–
tiefer Nackenhaaransatz
–
Minderwuchs
–
Stranggonaden ohne differenziertes Ovarialgewebe (primäre Amenorrhö)
–
Infertilität
–
Herzfehler (20 %, meistens Aortenisthmusstenose)
Personen mit dem Karyotyp 45,Y sind nicht lebensfähig.
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3.2.1.5
Triplo-X-Frauen (47,XXX)
Häufig sind Triplo-X-Frauen asymptomatisch ohne charakteristischen morphologischen
Besonderheiten. Die Pubertät ist meist normal, oft verkürzte fertile Phase.
Entwicklungsverzögerungen sind besonders im sprachlichen Bereich zu beobachten. Die
Intelligenz der Mädchen ist im Vergleich zu den gesunden Geschwistern leicht erniedrigt.
3.2.1.6
Klinefelter-Syndrom (47,XXY)
Die Inzidenz bei männlichen Neugeborenen beträgt etwa 1 auf 1000. Die Ursache ist ein
zusätzliches X-Chromosom bei männlichem Karyotyp.
Die klinischen Befunde des Klinefelter-Syndroms sind:
normale Geburtsmaße, häufig liegt ein Großwuchs vor
verzögerter oder ausbleibender sekundärer Geschlechtsentwicklung (kleine Hoden,
Gynäkomastie, weiblicher Behaarungstyp, Infertilität)
normale geistige Entwicklung, aber etwas niedriger als bei den gesunden Geschwistern
3.2.1.7
47,XYY-Männer
Männer mit dem Karyotyp 47,XYY zeigen außer einer überdurchschnittlichen Körperhöhe
keine charakteristischen morphologischen Besonderheiten. Die Pubertät verläuft normal.
Entwicklungsverzögerungen sind besonders im sprachlichen Bereich möglich.
3.2.2
Strukturelle Chromosomenaberrationen
Strukturelle Chromosomenaberrationen entstehen durch Umbauten innerhalb eines
Chromosoms (z. B. Deletionen, Duplikationen) oder zwischen verschiedenen Chromosomen
(z. B. Translokationen; Insertionen).
8
3.2.2.1
Deletionen (Fehlen von Chromosomenabschnitten)
Ab einer Deletionsgröße von mehr als 5 Millionen Basenpaare ist sie im Karyogramm
erkennbar, damit fehlen meist mehr als hundert Gene eines Chromosoms. Die andere Kopie
des Chromosoms (homologes Chromosom) ist intakt, d. h. im Genom liegt eine Monosomie
des deletierten Chromosomensegmentes vor. Da Deletionen auch familiär gehäuft infolge
einer balancierten Translokation bei einem Elternteil auftreten können, d. h. unbalancierte
Translokationsprodukte darstellen (s.u.), ist eine Untersuchung des Karyotyps der Eltern
indiziert.
Kleinere Deletionen, die mehrere Gene oder nur größere Abschnitte eines Gens umfassen,
werden als Mikrodeletionen bezeichnet. Sie lassen sich im Fluoreszenzmikroskop mit einer
speziellen Technik, der sogenannten Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung (FISH) oder mit
molekulargenetischen Methoden (MLPA, s.u.) nachweisen. Charakteristische, durch
Mikrodeletionen verursachte Krankheitsbilder, werden als Mikrodeletionssyndrome
bezeichnet (siehe Tabelle 3.04).
Syndrom
a
Wolf-Hirschhorn-Syndrom
Deletion
4p16
Symptome
LKG-Spalte, faziale Dysmorphien,
Kopfhautdefekte, Organdefekte, geistige
Retardierung
Katzenschreisyndrom (Cri-du5p15
Mikrozephalie, faziale Dysmorphien,
a
chat-Syndrom)
charakteristischer Säuglingsschrei, geistige
Retardierung
Williams-Beuren-Syndrom
7q11
Herzfehler (supravalvuläre Aortenstenose),
geistige Behinderung, Verhaltensauffälligkeiten
WAGR-Syndrom (Wilms11p13
Wilms-Tunor, Aniridie, urogenitale
Tumor-Aniridie-Syndrom)
Fehlbildungen, Retardierung
b
Prader-Willi-Syndrom
15q12 (pat)
Neonatale Hypotonie, Adipositas, Minderwuchs,
Hypogenitalismus, geistige Retardierung
(Inzidenz: 1 auf 10 000)
b
Angelman-Syndrom
15q12 (mat)
Schwere geistige Behinderung, Epilepsie,
Ataxie, Lachanfälle
Miller-Dieker-Syndrom
17p13
Lissencepahlie (fehlende Gehirngyrierung mit
schwerster geistiger Behinderung), faziale
Dysmorphien
DiGeorge-Syndrom
22q11
Entwicklungsstörungen von Thymus,
(Velokardiofaziales-Syndrom,
Nebenschilddrüse und Aortenbogen; Herzfehler
Shrintzen-Syndrom)
(Inzidenz: 1 auf 5 000)
a
= Die Mehrheit der Patienten haben größere lichtmikroskopisch sichtbare Deletionen.
b
= neben Mikrodeletionen können z.B. auch Punktmutationen oder Isodisomie entsprechende
Krankheitsbilder verursachen.
Tabelle 3.04 Beispiele von Mikrodeletionssyndromen
9
3.2.2.2
Chromosomen-Translokationen
Bei einem Stückaustausch zwischen zwei Chromosomen (reziporke Translokation) ohne
Verlust oder Zugewinn von genetischem Material handelt es sich um eine balancierte
Translokation (Abb. 3.06), sie entsteht durch eine alternierende Segregation in der Meiose.
Eine balancierte Translokation hat i.d. Regel keine pathologische Bedeutung für den Träger
und kann über mehrere Generationen vererbt werden. Liegt jedoch eine nicht alternierende
(adjacent-1 oder adjacent-2) Segregation vor, entstehen unbalanzierte Chromosomensätze
(Deletionen und Duplikationen).
Abb.3.06 Segregation bei einer reziproken Translokation (Quelle: Abb. A; S. 137; 3. Auflage, Passarge, Taschenatlas
Humangenetik, Thieme Verlag, 2008)
Eine Translokation, bei denen die langen Arme von zwei akrozentrischen Chromosomen (13,
14, 15, 21, 22) im Zentromerbereich unter Verlust der kurzen Arme verschmelzen,
bezeichnet man als Robertsonsche-Translokation.
10
3.3
Molekulargenetik
Die Molekulargenetik befasst sich mit den Vererbungsmechanismen auf molekularer Ebene.
Träger der Erbinformationen sind die Nukleinsäuren, die aus Nukleotiden aufgebaut sind
(Abb. 3.07).
Abb. 3.07
Von der DNA-Struktur zum Chromosom (Quelle: T. Grimm)
Die Einflüsse auf die Genregulation und die Genexpression untersucht die Epigenetik.
3.3.1
Grundlagen
Das menschliche Genom besteht aus ca. 3,2 Milliarden Basenpaaren. Nur 1–2 % der DNA
sind kodierende Abschnitte, die ca. 25.000 Gene enthalten. Diese Gene kodieren für ein
oder mehrere Proteine (über die mRNA) bzw. für Ribonukleinsäuren (z. B. rRNA, tRNA), die
eine regulatorische oder enzymatische Funktion haben. Insgesamt gibt es ca.
250.000 Proteine. Veränderungen in der DNA entstehen durch Mutationen, die in der Regel
als Zufallsbefunde entstehen. Die Mutationsrate µ (Zahl der Neumutationen pro Gamete)
liegt beim Menschen in der Größenordnung von 10-4 bis 10-6.
Man unterscheidet mehrere Mutationstypen:
–
Substitution (Austausch) einer Base.
–
Deletion (Stückverlust) einer und mehrerer Basen.
–
Insertion (Einschub) einer oder mehrerer Basen.
11
Trinukleotid Repeats: Es liegt eine abnorme Wiederholung von 3 Basenpaaren vor. Gesunde
Personen haben eine niedrige Repeatzahl. Sobald die Repeatzahl eine bestimmte Größe
erreicht, werden sie instabil und können sich von Generation zu Generation vergrößern.
Vergrößerte Repeats treten in der Regel mit klinischen Symptomen auf. Es sind auch
Mutationen mit Tetra- oder Pentanukleotid-Repeats beschrieben worden.
Eine Mutation kann in folgenden Formen auftreten:
–
Stille Mutation: Gleiche Aminosäure wird kodiert.
–
Missense-Mutation: Falsche Aminosäure wird kodiert (Sinnveränderung).
–
Nosense-Mutation: Stop-Codon wird kodiert (Sinnentstellung).
Veränderungen in der Erbinformation (Mutationen)
(3 Basen bilden ein Kodon, welches für eine Aminosäure kodiert)
Wildtyp
MAX HOL MIR EIN EIS
Austausch einer Base (Substitution )
MAX HOL DIR EIN EIS
a) Sinnveränderung
MAX HOL MIR EIN EFS
b) Sinnentstellung
Verlust von Basen (Deletion)
MAX HO*M IRE INE IS
a) Deletion von 1 Base
b) Deletion von 3 Basen MAX HOL *** EIN EIS
Abb. 3.08
Modell für Mutationen auf DNA-Ebene (Quelle: T. Grimm)
Wenn aufgrund einer Mutation das Genprodukt nur noch eine eingeschränkte oder gar keine
Funktion mehr hat, bezeichnet man diese Mutationen als Funktionsverlustmutationen (loss of
function). Zeigt jedoch das Genprodukt bei einer Mutation eine anomale Funktion, liegt eine
Funktionsgewinnmutation (gain of function) vor.
3.3.2
Mitochondrien
Neben der DNA im Zellkern gibt es Zytoplasma Mitochondrien, die ein ringförmiges DNAMolekül (mtDNA) enthalten. Die Mitochondrien dienen dem oxidativen Energiestoffwechsel.
Mitochondrien werden in der Regel nur maternal weitervererbt. Mutationen in der mtDNA
können zu sehr schwer verlaufenden Erkrankungen führen (z.B.Kearns-Sayre-Syndrom).
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3.3.3
DNA-Diagnostik
DNA-Analysen sind sehr aufwendige Untersuchungen, die nur aufgrund guter klinischer
Voruntersuchungen eingesetzt werden sollen. In der Regel liegen bei einer Erbkrankheit sehr
viele unterschiedliche Mutationen vor, so dass häufig jede Familie ihre spezifische Mutation
hat. Ausnahmen sind Erbkrankheiten mit z.B. Trinukleotid-Repeat-Mutationen.
Das in der DNA-Diagnostik angewendete Methodenspektrum ist sehr breit (siehe Beitrag:
Methoden der genetischen Diagnostik).
3.4
Teratologie
Bei der Entwicklung des ungeborenen Kindes ist das Risiko einer Schädigung der Frucht
durch physikalische, chemische oder biologische Noxen ein Hauptrisiko. Die bekannteste
Embryopathie ist die Schädigung der Extremitäten nach Einnahme von Thalidomid
(Contergan) um den 35 – 40 Tag p.m.
Neben Art und Ausmaß der Noxe ist der Zeitpunkt der Einwirkung entscheidend.
In der Zeit der Blastogenese (bis 2. SSW p.c.) sind die einzelnen Zellen noch nicht
determiniert, gesetzte Schäden werden entweder vollständig regeneriert oder die Blastula
stirbt ab („Alles-oder-Nichts-Regel“).
Die Sensibilität gegenüber teratogenen Noxen erreicht ihr Maximum in der
Embryonalperiode (Embryogenese: 3.-8. SSW p.c.), in der eine intensive
Organdifferenzierung stattfindet. In dieser Zeit können Fehlbildungen induziert werden. In der
Fetalperiode sinkt die Sensibilität rasch ab, teratogene Wirkungen manifestieren sich in
dieser Periode vor allem in Wachstums- und Differenzierungsstörungen des Gehirns. Die
häufigste teratogene Noxe ist der Alkoholkonsum in der Schwangerschaft
(Alkoholembryopathie).
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