NZZ am Sonntag vom 28.08.2011

Werbung
Die Schlacht um den
Franken
Dank ihren geordneten Finanzen ist die Schweiz ein
Opfer von Währungs- kriegen - wie schon in den 1930er
Jahren. Kehrt das Vertrauen in den Dollar und den
Euro nicht bald zurück, kann das Land den Wert des
Frankens nur vermindern, wenn es ihn an den Euro
bindet oder der Europäischen Währungsunion beitritt,
schreibt Harold James
D
ie Welt erlebt gegenwärtig wieder einige der unangenehmsten
Erscheinungen der 1930er Jahre, dazu gehören auch
Währungskriege. In der damaligen Weltwirtschaftskrise dienten
Währungen als Instrumente von Politik, Staatskunst, internationaler
Konkurrenz und Rivalität. Der Ausdruck «Währungskrieg» wurde
damals oft verwendet, verschwand dann aber in den
Geschichtsbüchern, bis ihn der brasilianische Finanzminister Guido
Mantega im letzten Jahr wieder hervorholte. Heute wird dieses
Schlagwort überall gebraucht - in China, in der Türkei, aber auch
in Europa.
Damals wie heute liegt das Problem in einer Kombination von
grundsätzlichen ökonomischen sowie strukturellen Schwächen und
gezielten politischen Strategien. Viele Staaten leiden unter hoher
Verschuldung der öffentlichen und privaten Haushalte, können sich
aber nicht darauf verständigen, einen Schuldenabbau in Angriff zu
nehmen. Und Zweifel an der Stabilität ihrer Währung können zu
Marktschwäche und Abwertung führen, was wiederum neue
Exportchancen eröffnet. Eine schlechte Geldpolitik kann also den
Export ankurbeln.
Kapitalmarkt vernichtet
In der Zwischenkriegszeit war die Schweiz ein Opfer von
Währungskriegen. Dank ihrer Neutralität und ihren geordneten
staatlichen Finanzen während des Ersten Weltkriegs erschien die
Schweiz wie die Niederlande als Oase der Stabilität inmitten eines
Kontinents, der von Inflation - mancherorts von Hyperinflation geschüttelt wurde und dann die Auswirkungen dieser Inflation
erleben musste: die Vernichtung des Kapitalmarkts und eine
grössere Anfälligkeit für Deflation und Rezession. All diese
wirtschaftlichen Probleme verstärkten die politische Instabilität,
deshalb wurde es umso schwieriger, die wirtschaftlichen
Schwierigkeiten in den Griff zu bekommen.
Das Kapital wich in sichere Zufluchtsorte aus, aber die
gigantischen Geldströme machten ihrerseits diese Zufluchtsorte
unsicher. Als Deutschland und andere mitteleuropäische Staaten
1931 eine grosse Bankenkrise erlebten, floss viel Geld in die
Schweiz. Dabei bestand immer die Möglichkeit, dass dieses
vagabundierende Kapital rasch wieder abwandern würde.
Tatsächlich kam es in der Schweiz zu Bankenkrisen und
Bankenschliessungen. Andere Länder reagierten mit Abwertung
oder Devisenkontrolle und Kapitalverkehrsbeschränkungen oder
beidem. Solche Massnahmen führten zu einem raschen und
dramatischen Einbruch des Welthandels. Die sicheren Häfen
standen nun - mit schwacher Wirtschaft und hoher Arbeitslosigkeit
- gar nicht mehr so sicher da. Die letzten Länder, die noch am
Goldstandard festhielten, gerieten ins Straucheln.
Bereits in den zwanziger Jahren hatte die Schweizerische
Nationalbank (SNB) immer verzweifelter versucht, die
Kapitalströme zu begrenzen. In einem Gentlemen's Agreement vom
Juni 1935 kamen die Schweizer Banken überein, sich nicht an
«spekulativen» Bewegungen zu beteiligen. Gold- und
Währungsgeschäfte sollten beschränkt werden. Doch schon bald
zeigte sich, dass massiv gegen diese unverbindliche Absprache
verstossen wurde und die SNB über die Lage auf dem Finanzsektor
nicht sonderlich gut im Bilde war. Im Juni 1936 gab es einen absehbar untauglichen - Bundesratsbeschluss, dass Spekulationen
gegen den Franken unter Strafe gestellt würden.
Das Thema Währungsintervention war jedoch höchst umstritten.
Ein Abweichen von der Goldparität galt als Gefahr für die
staatliche Ordnung, ja für die Moral. Ein internes Dokument der
SNB vom Juni 1936 listet Vor- und Nachteile einer Abwertung auf.
«Es wird erwartet: eine Lockerung der Thesaurierung,
Heimschaffung der im Ausland und in ausländischen Werten
investierten Kapitalien, Entspannung des Kapitalmarktes, Belebung
der Exportindustrie, raschere wirtschaftliche Anpassung an das
Ausland.» Und die Risiken: «Unsicherheit der wirtschaftlichen und
finanziellen Entwicklung, Benachteiligung der Gläubiger zugunsten
der Schuldner, teilweise Vernichtung des Sparkapitals, allgemeine
Preissteigerung, Kämpfe um Lohnerhöhungen, Radikalisierung der
politischen Entwicklung, Erschütterung der Moral.» [SNB-Archiv
2.3/2244,
5. Juni 1936]
Die Abwertung des Frankens, die letztlich zu mehr ökonomischer
Stabilität (und politischer Harmonie) führte, war politisch erst
möglich, als Frankreich im September 1936 voranging - ein
einseitiger Schritt wäre undenkbar gewesen.
Bretton Woods kollabiert
Das Abkommen von Bretton Woods sollte der destabilisierenden
und destruktiven Suche nach Währungsvorteilen ein Ende bereiten.
Der englische Nationalökonom John Maynard Keynes und sein
amerikanischer Kollege Harry Dexter White schufen einen
Mechanismus mit festen, aber anpassbaren Wechselkursen. Keynes
legte besonderen Wert auf eine gewisse Anpassungssymmetrie:
Defizitäre Staaten sollten kontrahieren und eine deflationäre Politik
verfolgen, Staaten mit Haushaltsüberschuss sollten expandieren
oder Inflation in Kauf nehmen.
In den 1970er Jahren brach das System von Bretton Woods
zusammen, vor allem weil die Amerikaner am Vietnamkrieg und
den sozialen Reformen in ihrem Land festhielten und ihre Währung
nicht anpassen wollten. Der US-Dollar wurde ein unzuverlässiger
Anker der internationalen Ordnung. Daraufhin gründeten die
Europäer 1978 ihre eigene Version des Bretton-Woods-Regimes das Europäische Währungssystem (EWS).
Bretton Woods und EWS waren anfällig für die Attacken von
Spekulanten, sobald grössere Kapitalbewegungen begannen. Die
Teilnehmer am Markt konnten diese Anfälligkeiten relativ leicht
erkennen und dann testen. Man setzte einfach gegen eine Währung
und gewann, so viel es eben ging, während die Zentralbank oder
das Finanzministerium des betreffenden Landes zur Verteidigung
seiner Währung antrat. Je mehr interveniert wurde, desto grösser
waren aber die Spekulationsgewinne. Ohne Erfolg blieben nur
partielle oder halbherzige Attacken: Je massiver der Angriff, desto
grösser die Aussicht, dass die Staaten am Ende verlieren.
In der Folge kam nahezu jede wissenschaftliche Untersuchung zu
dem Schluss, dass Währungsinterventionen zum Schutz fester
Paritäten oder Wechselkursbandbreiten nutzlos (und kostspielig)
seien.
Die einzige Ausnahme wären sogenannte unsterilisierte
Interventionen - also Korrekturen über geldpolitische Eingriffe. Bei
erheblichen Kapitalzuflüssen sollte mittels Geldmengenerhöhung
ein gewisser inflationärer Preisanstieg in Gang gesetzt werden.
Doch die Länder mit Leistungsbilanzüberschuss (bei Bretton
Woods vor allem Deutschland und Japan, im EWS gewöhnlich
Deutschland) waren meist nicht bereit, eine solche Anpassung
vorzunehmen. Die Wähler, namentlich die Deutschen, wollten
nichts von Inflation hören.
Wenn eine Währungsintervention derart problematisch war, musste
die Antwort konsequenterweise in Extremlösungen bestehen entweder eine völlige Freigabe der Wechselkurse oder ein festes
Wechselkursregime. Genau diese Logik führte zur Europäischen
Währungsunion. Die Motive für diese Unternehmung gelten noch
immer und sind intellektuell wie politisch überzeugend.
Kleines Land, grosser Druck
Alle wichtigen Währungen der Welt erleben heutzutage Schwächen
und Zweifel und laden zu spekulativen Angriffen ein. Amerika
scheint ausserstande, eine Haushaltspolitik zu verfolgen, die
langfristig Stabilität gewährleistet. In der EU ist die
Staatsverschuldung zwar geringer. Aber die Zweifel an der
Kreditwürdigkeit einiger Mitgliedsstaaten machen ebenso zu
schaffen wie die Tatsache, dass immer hektischere Krisengipfel
keine überzeugende Lösung produzieren, wie man die
Staatsverschuldung in den Griff bekommen will. Die hohe
Verschuldung Japans ist nur bei sehr niedrigen Zinsen
aufrechtzuhalten.
Wenn die Märkte die grossen Währungen testen wollen, müssen sie
in ihre Spekulationen kleinere Länder mit stabiler Währung und
stabilem Banksystem einbeziehen: die Schweiz, aber auch
Norwegen und Kanada. Je kleiner das Land, desto grösser der
Druck. Deshalb sträubte sich Deutschland in den 1970er und
1980er Jahren so hartnäckig gegen die D-Mark als
Reservewährung, die Skepsis der Schweizer war noch grösser.
Die Optionen sind allesamt wenig attraktiv. Wenn es nur
vorübergehende Zweifel an den grossen Währungen wären und die
Aussicht auf ein realistisches Stabilitätsprogramm bestünde, wäre
eine kurzfristige Intervention zur Verhinderung einer exzessiven
Frankenstärke
sicherlich
angemessen.
Ein
Ende der
Schwierigkeiten der Big Three ist aber nicht in Sicht. Unter diesen
Bedingungen sind sterilisierte Interventionen nur ein rotes Tuch für
die Spekulationsbullen - oder um ein besseres Bild zu verwenden:
eine kostenlose Einladung an die internationalen Märkte.
Eine Steigerung der Geldmenge zum Zwecke eines gezielten
Preisanstiegs wäre noch unglücklicher. Die Vermögensblasen,
besonders auf dem Genfer und Zürcher Immobilienmarkt, sind
bereits eine Folge der Attraktivität der Schweiz. Eine weitere
Erhöhung der Geldmenge würde zur legitimen Forderung führen,
die Preise für die sozial Schwachen zu senken. Selbst in der
gegenwärtigen Situation gibt es wachsenden Druck, diejenigen zu
entschädigen, die unter dem starken Franken ganz besonders zu
leiden haben - Exportindustrie und Fremdenverkehr.
Zunehmend Anklang findet der Vorschlag, die Schweiz solle in
grossem Umfang ausländische Staatsanleihen kaufen. Ein Modell
wäre die bekannte chinesische Praxis, die den Wert des Renminbi
niedrig halten will. Ein anderes Beispiel wäre der gigantische
norwegische Staatsfonds. Wie im Fall Norwegen, aber anders als
bei China, würde ein Schweizer Staatsfonds niemandem politische
Kopfschmerzen bereiten. Langfristig wäre das aber nicht ohne
Risiken. Soll die Schweiz gezielt Käufe tätigen, um die Welt zu
stabilisieren? Sollte man US-Anleihen oder griechische Inseln
kaufen? Ein solches Programm wäre zwangsläufig mit
Verlustrisiken behaftet und würde die Schweiz in Zeiten von
Ungewissheit oder Panik auch angreifbar machen.
Die kleineren Länder sind einfach nicht stark genug, um in ihrer
neuen Position dem Druck standzuhalten. Langfristig gibt es nur
zwei wirklich sinnvolle Optionen - beide liegen nicht in der Hand
der Schweiz allein. Die eine wäre die Rückkehr von Vertrauen in
den Dollar und den Euro. Damit ist zurzeit nicht zu rechnen. Die
zweite wäre eine feste (nicht nur vorübergehende) Bindung an den
Euro oder sogar ein kompletter Beitritt zur Europäischen
Währungsunion. Diese Variante ist im Moment undenkbar - genau
sowie die Idee einer Änderung der Frankenparität in den 1930er
Jahren. Mit der Zeit wird diese Option jedoch an Attraktivität
gewinnen.
Sie wäre auch nicht so neu oder gar beispiellos. Im 19. Jahrhundert
gehörte die Schweiz zur Lateinischen Münzunion, der Franken galt
auch in Frankreich, Belgien und Italien als gesetzliches
Zahlungsmittel. Diese Union endete erst mit der Suspendierung des
Goldstandards bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs.
Der Euro bleibt wichtig
Die Schweiz hat die gleichen Motive, eine Einführung des Euro zu
erwägen, aus denen heraus Deutschland am Euro festhält. Die
grösste Angst der Deutschen besteht darin, dass eine wieder
eingeführte D-Mark stark aufgewertet und den deutschen Export
sofort ruinieren würde. Viele deutsche Politiker weisen im privaten
Gespräch darauf hin, dass nur ein Festhalten am Euro die
Konkurrenzfähigkeit der deutschen Exportindustrie sichern könne die euroskeptischen Briten verwenden genau dies als Argument
gegen den Euro.
Trotz allen Problemen, die sich in den Debatten über die
europäische Wirtschaftspolitik offenbaren, bietet der Euro als
Währung eines grossen Wirtschaftsraums noch immer einen guten
Rahmen für Währungsstabilität, die eine Voraussetzung für ein
dynamisches und kreatives Wirtschaftsleben ist.
Man kann nicht der einzige glückliche Mensch auf der Welt sein.
Glück ist eine kollektive Angelegenheit. Das gilt auch für die
Währungsordnung. Kleine Länder haben - weit mehr als grosse
Länder - ein ausgeprägtes Interesse an einer allgemeinen Stabilität.
Die Schweiz kann nicht - wie das in der Zwischenkriegszeit der
Fall war - das einzige stabile Land sein. Denn damit riskiert sie eine
ausgeprägte Instabilität.
Übersetzung aus dem Englischen von Matthias Fienbork
Herunterladen