Juristische Fakultät Konversatorium zum GK BGB I von Bien/Sonnentag Wintersemester 2015/16 Fall 7: Scheingeschäft beim Notar Sachverhalt V und K sind sich über den Verkauf eines dem V gehörenden Baugrundstücks am Bodensee zum Preis von 300.000 EUR einig. Um Steuern und Notarkosten zu sparen, geben beide im notariellen Kaufvertrag einen Kaufpreis von nur 200.000 EUR an. Bevor dem K das Eigentum an dem Grundstück übertragen wird, kommt es zu Streit zwischen den Parteien. Kann K von V die Übertragung des Eigentums am Grundstück verlangen? Abwandlung V erklärt die Auflassung, K wird als Eigentümer im Grundbuch eingetragen. K überweist 200.000 EUR. Hat V einen Anspruch auf die Differenz von 100.000 EUR? 1 Juristische Fakultät Konversatorium zum GK BGB I von Bien/Sonnentag Wintersemester 2015/16 Lösung [„Schwarzkauf“: Formmangel beim Grundstückskaufvertrag, nachträgliche Heilung durch Erfüllung; Scheingeschäft und verdecktes Geschäft; Rechtsbindungswillen] Grundfall Fraglich ist, ob K von V die Übertragung des Grundstücks aus Kaufvertrag, § 433 I BGB, verlangen kann. Voraussetzung für den Anspruch ist ein wirksamer Kaufvertrag zwischen K und V. 1. Kaufvertrag zum Preis von 200.000 € (Scheingeschäft) Als Vertragsschluss kommt zunächst der vom Notar beurkundete Kaufvertrag über 200.000 € in Betracht. Die essentialia negotii (Käufer, Verkäufer, Kaufgegenstand und Preis) liegen vor. Angesichts von § 117 I BGB stellt sich aber die Frage, ob die Willenserklärungen von K und V wirksam sind. Voraussetzung für die Wirksamkeit einer Willenserklärung ist das Vorliegen des so genannten äußeren Erklärungstatbestandes. Problematisch ist im vorliegenden Fall der Rechtsbindungswille. Zwar haben K und V in der notariellen Urkunde erklärt, dass das Baugrundstück gegen Zahlung von 200.000 € dem K übertragen werden soll. 2 Juristische Fakultät Konversatorium zum GK BGB I von Bien/Sonnentag Wintersemester 2015/16 Diese Erklärung wurde jedoch übereinstimmend nur zum Schein abgegeben. Sie ist daher gemäß § 117 I BGB nichtig. Ein Kaufvertrag über das Grundstück zum Preis von 200.000 € ist damit nicht zustande gekommen. Der Umstand, dass dieser Preis notariell beurkundet wurde, hat rechtlich keine Bedeutung. Die Beurkundung soll nur das übereinstimmend von den Parteien gewollte den Formvorschriften entsprechend wiedergeben. 2. Kaufvertrag zum Preis von 300.000 € (verdecktes Geschäft) Es fragt sich, ob die Parteien einen wirksamen Kaufvertrag über den tatsächlich gewollten Preis von 300.000 € geschlossen haben. Die Vorschrift § 117 II BGB stellt zunächst klar, dass sich die Nichtigkeit des Scheingeschäfts nicht auf ein möglicherweise hinter dem Scheingeschäft verborgenes verdecktes Geschäft bezieht. Vorliegend verbirgt sich hinter dem zum Schein vor dem Notar abgeschlossenen Kaufvertrag ein solches dissimuliertes Geschäft, da die Parteien darüber einig waren, einen Kaufvertrag über 300.000 € abschließen zu wollen. Der Kaufvertrag über 300.000 € ist aber nur dann wirksam, wenn die für diesen Vertrag geltenden Wirksamkeitsvoraussetzungen erfüllt sind, § 117 II BGB. Möglicherweise ist der Kaufvertrag wegen eines Formmangels nichtig nach § 125 BGB. Zu den Wirksamkeitsvoraussetzungen eines Kaufvertrages über ein Grundstück gehört ge3 Juristische Fakultät Konversatorium zum GK BGB I von Bien/Sonnentag Wintersemester 2015/16 mäß § 311b I 1 BGB die notarielle Beurkundung. Zwar ist eine notarielle Beurkundung erfolgt. Diese hatte aber das Scheingeschäft zum Preis von 200.000 € und nicht das tatsächlich gewollte Geschäft zum Gegenstand. Der tatsächlich gewollte Kaufvertrag ist daher mangels Beachtung der vorgeschriebenen Form nichtig gemäß § 125 BGB. 3. Ergebnis Da kein wirksamer Kaufvertrag abgeschlossen wurde, kann K von V nicht die Eigentumsübertragung (Auflassung und Eintragung ins Grundbuch) verlangen. Abwandlung Zu prüfen ist ein Anspruch des V gegen K auf Zahlung von 300.000 € aus Kaufvertrag, § 433 II BGB. 1. Anspruch entstanden? Der von dem Scheingeschäft beim Notar verdeckte, eigentlich gewollte Kaufvertrag lautete über 300.000 €. Zwar haben die Parteien die Formvorschrift des § 311b I 1 BGB nicht beachtet. Möglicherweise ist dieser Vertrag aber gemäß § 311b I 2 BGB wirksam geworden. Nach dieser Vorschrift tritt die Rechtsfolge der Wirksamkeit ein, wenn Auflassung und Eintragung in das Grundbuch erfolgt sind. Das ist hier der 4 Juristische Fakultät Konversatorium zum GK BGB I von Bien/Sonnentag Wintersemester 2015/16 Fall. Damit ist der zunächst unwirksame Vertrag über 300.000 € später1 wirksam geworden. Damit besteht grundsätzlich ein Kaufpreisanspruch des V. 2. Anspruch erloschen? Dieser ist in Höhe von 200.000 € von K bereits teilweise erfüllt worden und insoweit erloschen, § 362 BGB.2 3. Ergebnis Ein Anspruch des V gegen K in Höhe von 100.000 € aus dem wirksam gewordenen Kaufvertrag besteht, § 433 II BGB. 1 mit dem Zeitpunkt, in dem Auflassung und Eintragung erfolgt sind. Siehe zu dieser Problematik auch oben (Fall 15 Geldkoffer). 2 Die bereits bezahlten 200.000 € sind aus Sicht eines objektiven Dritten als Leistung (Anzahlung) auf das verdeckte Geschäft zu qualifizieren. Es ist nicht zu erkennen, weshalb K ein Interesse daran haben sollte, auf ein nichtiges Scheingeschäft zu leisten. 5