Fall 2

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Arbeitsgemeinschaft Zivilrecht, 1. Semester - Lösung
AG 5 - FALL 2: DIE JUGENDSTILUHR
INVITATIO AD OFFERENDUM, RECHTZEITIGKEIT DER
ANNAHME
LÖSUNG:
Anspruch aus § 433 I 1
K könnte gegen A einen Anspruch auf Übergabe und
Übereignung der Jugendstiluhr aus § 433 I S. 1 BGB
haben.
Voraussetzung des Anspruchs ist, dass zwischen ihm und
A ein wirksamer Kaufvertrag zustande gekommen ist.
Ein Kaufvertrag wird durch zwei übereinstimmende
Willenserklärungen, Angebot (§ 145 BGB) und Annahme
(§ 147 BGB) geschlossen.
a) Ein wirksames Angebot des A könnte in der
Auszeichnung und Aufstellung der Uhr in seinem
Schaufenster zum Preis von 75,- € liegen. Fraglich ist
jedoch, ob ein auf Vertragsschluss gerichteter
Rechtsbindungswille vorlag, weil sich die Anpreisung der
Uhr im Schaufenster an eine unbestimmte Vielzahl
potentieller Kunden und nicht an eine bestimmte Person
richtet. Zwar ist es grundsätzlich für ein
Kaufvertragsangebot nicht erforderlich, daß dieses an
eine ganz bestimmte Person gerichtet ist. Es ist auch
denkbar, daß der Verkäufer sein Angebot an eine
Vielzahl von Personen richtet (sog. Angebot „ad incertas
personas“). Indes ist hier zu bedenken, daß A nur diese
eine Uhr hat. Würde man die Anpreisung im
Schaufenster als ein bindendes Angebot auffassen, so
wäre A bei Annahme des Angebots durch mehrere
Kunden verpflichtet, an alle zu liefern, denn mit jedem
von ihnen käme ein Kaufvertrag über diese Uhr zustande.
Da A aber nur einmal liefern kann, würde dies dazu
führen, daß er sich gegenüber allen anderen Kunden
schadensersatzpflichtig machen würde. Mithin spricht die
objektive
Interessenlage
gegen
einen
Rechtsbindungswillen des Ausstellenden. Folglich
handelt es sich mangels Rechtsbindungswillen bei der
Anpreisung im Schaufenster daher objektiv noch nicht
um ein Angebot zum Kauf der Uhr für 75,- €, sondern
lediglich um eine Aufforderung an die Kunden, selbst ein
entsprechendes Angebot abzugeben, sog. invitatio ad
offerendum (Aufforderung zur Offerte).
Anmerkung: Das maßgebliche Kriterium für die Abgrenzung
eines Angebots von der bloßen invitatio ist also, ob es der Sinn
der Erklärung ist, daß durch das Eingehen auf sie bereits ein
Vertrag zustande kommen soll. Ein wichtiges Indiz gegen ein
Angebot ist dabei, ob die Anzahl der Waren beschränkt ist und
gleichzeitig die Erklärung an eine unbestimmte Vielzahl von
Personen gerichtet ist.
Es ist aber keineswegs so, daß bei einer Erklärung an eine
Vielzahl von Personen gleichsam zwangsläufig eine bloße
invitatio vorläge. Man denke etwa an einen Automaten: Die
Aufstellung bedeutet ein auf den vorhandenen Vorrat
beschränktes bindendes Angebot des Automatenbesitzers an
jedermann, das der Käufer mit Einwurf der Münze und Drücken
des entsprechenden Knopfes konkludent annimmt (auf den
Zugang der Annahme wird gem. § 151 S.1 BGB verzichtet).
Es liegt auch nicht zwangsläufig eine invitatio vor, wenn die
Erklärung an einen unbestimmten Empfängerkreis gerichtet ist.
Denken Sie etwa an eine Garantie, die der Hersteller (nicht der
Verkäufer, das regeln §§ 437 ff BGB) jedem Endabnehmer
verspricht. Auch dies, so der BGH (NJW 1981, 275, 276), sei
ein verbindliches Angebot, das der Endabnehmer gemäß § 151
S.1 BGB konkludent annehme.
Stellen Sie also auf die konkreten Umstände des Einzelfalls ab.
Eine bloße Aufforderung liegt im Zweifel vor bei öffentlichen
Angeboten
in
versendeten
Preislisten,
Katalogen,
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Warenprospekten, Warenmustern zur Ansicht, in der Presse, auf
Plakaten, in Ankündigungen etc.
Kommen jedoch zusätzliche Umstände hinzu, so kann anders zu
entscheiden sein: Enthält etwa ein Prospekt oder eine
Zeitungsanzeige
die
Formulierung
„Zwischenverkauf
vorbehalten“, so ist regelmäßig ein Angebot anzunehmen. Wenn
es sich nämlich schon gar nicht um ein Angebot handeln würde,
dann wäre der Vorbehalt von vornherein überflüssig. Der
Verkäufer ist hier an sein Angebot jedoch nur insoweit
gebunden, als er bei Zugang der Annahmeerklärung noch nicht
an jemand anderen verkauft hat, § 145 a.E. BGB.
Die Formulierungen „freibleibend“, „ohne Obligo“ oder
„unverbindlich“ können bedeuten, daß sich der Verkäufer ein
Widerrufsrecht
vorbehält
bis
zum
Zugang
der
Annahmeerklärung, daß also ein nicht bindendes Angebot
vorliegt, § 145 a.E. BGB. Allerdings kann sich aus den
Umständen auch ergeben, daß nur eine invitatio vorliegt. Die
Erklärung ist also auszulegen.
b) Dadurch, daß K sein Kaufinteresse zum Preis von 75,€ dem A gegenüber kundtat, hat er ein Angebot
abgegeben. Dieses Angebot hat A jedoch nicht
angenommen; er wollte nur zu einem höheren Preis
verkaufen. Ein Kaufvertrag zu einem Preis von 75,- € ist
daher nicht zustande gekommen.
c) Der zum Ausdruck gebrachte Wille des A, die Uhr zu
einem Preis von 750,- € zu verkaufen, stellt nicht nur die
Ablehnung des Angebots des K dar, sondern gleichzeitig
auch ein neues Angebot, § 150 II BGB. Dieses Angebot
hat nun aber K nicht angenommen, da er lediglich bereit
war, einen Kaufpreis von 75,- € zu bezahlen. Damit ist
auch kein Kaufvertrag zu einem Preis von 750,- €
zustande gekommen.
d) Mit der Ablehnung hat K gleichzeitig ein Angebot
über 75,- € abgegeben, § 150 II BGB, welches wiederum
von A abgelehnt wurde, der nunmehr nur für 600,- €
verkaufen wollte. Auch ein Kaufvertrag zum Preis von
75,- € ist daher nicht zustande gekommen.
e) Mit der Ablehnung hat A gleichzeitig ein Angebot
über 600,- € abgegeben. Eine Annahme durch K könnte
durch die Einverständniserklärung am nächsten Tag
erfolgt sein. Die Annahme setzt aber voraus, daß das
Angebot zu diesem Zeitpunkt noch nicht erloschen war.
Gemäß § 146 BGB erlischt ein Angebot, wenn es
abgelehnt (§ 146 Alt. 1 BGB) oder wenn es nicht
rechtzeitig angenommen wird (§ 146 Alt. 2 BGB). Hier
ist das Angebot bereits deshalb erloschen, weil A es
bereits am Vortag abgelehnt hat.
Anmerkung: Darüber hinaus wäre die Annahme durch A auch
nicht mehr rechtzeitig gewesen (§§ 146 Alt. 2 BGB), denn A
hätte das Angebot sofort annehmen müssen, § 147 I S. 1 BGB.
Die Annahmeerklärung des K ist daher als neues
Angebot auszulegen (§ 150 I BGB analog). Dieses hat A
mit der Bemerkung, die Uhr nunmehr seiner Freundin
schenken zu wollen, abgelehnt. Es ist also auch kein
Kaufvertrag zum Preis von 600,- € zustande gekommen.
Ergebnis: Ein Anspruch des K auf Übergabe und
Übereignung der Uhr besteht nicht.
© Leisch 99 / Maack/Dötterl 05
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Anmerkung: Selbst wenn K nicht sofort abgelehnt hätte,
sondern sich „die Sache noch mal überlegen“ hätte wollen, hätte
das Angebot durch die Annahmeerklärung am nächsten Tag
ebenfalls nicht mehr angenommen werden können. Die
Annahme wäre nämlich nicht mehr rechtzeitig erfolgt im Sinne
von § 146 Alt. 2 BGB. Was rechtzeitig ist, bestimmt sich nach
den §§ 147 ff. Ein einem Anwesenden gemachtes Angebot kann
gemäß § 147 I S. 1 BGB nur sofort angenommen werden, es sei
denn, der Antragende hat eine bestimmte Annahmefrist
bestimmt, § 148 BGB. Da eine Fristbestimmung nicht
vorgenommen wurde, war das Angebot bereits erloschen, als K
die Annahme erklärt hat.
Hätte A dem K ein schriftliches Angebot geschickt, so könnte
dieses nur bis zu dem Zeitpunkt angenommen werden, „in
welchem der Antragende den Eingang der Antwort unter
regelmäßigen Umständen erwarten darf“, § 147 II BGB. Die
Formulierung „unter regelmäßigen Umständen erwarten darf“
müssen Sie nun konkretisieren.
Zu berücksichtigen ist
a) die Transportzeit, bis der Antrag normalerweise zugeht. Das
ist eine Selbstverständlichkeit.
b) sodann eine angemessene Überlegungsfrist. Die
Angemessenheit hängt davon ab, ob es sich bei dem
Vertragsangebot um eine einfache Entscheidung handelt, oder
um eine mit weitreichenderen Konsequenzen (z.B. hohe
finanzielle Belastung; langfristige Bindung etc). Ohne besondere
Umstände: ca. 3 Tage
c) die Transportzeit, bis die Annahme normalerweise zugeht.
Dabei kann der Antragende erwarten („erwarten darf“), daß die
Annahme in vergleichbar schneller Weise transportiert wird wie
der Antrag. Kam der Antrag über Fax, so ist auch die
Transportzeit für die Annahme entsprechend kurz zu bestimmen.
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