FB Gk BGB I (Haberl/Schmid/Dr. Suyr), WS 15/16 FB 5 – Die Jugendstiluhr – Lösung FALL 2: DIE JUGENDSTILUHR AT: INVITATIO AD OFFERENDUM, RECHTZEITIGKEIT DER ANNAHME LÖSUNG: Anspruch aus § 433 I 1 K könnte gegen A einen Anspruch auf Übergabe und Übereignung der Jugendstiluhr aus § 433 I S. 1 BGB haben. Voraussetzung des Anspruchs ist, dass zwischen ihm und A ein wirksamer Kaufvertrag zustande gekommen ist. Ein Kaufvertrag wird durch zwei übereinstimmende Willenserklärungen, Angebot (§ 145 BGB) und Annahme (§ 147 BGB) geschlossen. a) Ein wirksames Angebot des A könnte in der Auszeichnung und Aufstellung der Uhr in seinem Schaufenster zum Preis von 75,- € liegen. Fraglich ist jedoch, ob ein auf Vertragsschluss gerichteter Rechtsbindungswille vorlag, weil sich die Anpreisung der Uhr im Schaufenster an eine unbestimmte Vielzahl potentieller Kunden und nicht an eine bestimmte Person richtet. Zwar ist es grundsätzlich für ein Kaufvertragsangebot nicht erforderlich, dass dieses an eine ganz bestimmte Person gerichtet ist. Es ist auch denkbar, dass der Verkäufer sein Angebot an eine Vielzahl von Personen richtet (sog. Angebot „ad incertas personas“). Indes ist hier zu bedenken, dass A nur diese eine Uhr hat. Würde man die Anpreisung im Schaufenster als ein bindendes Angebot auffassen, so wäre A bei Annahme des Angebots durch mehrere Kunden verpflichtet, an alle zu liefern, denn mit jedem von ihnen käme ein Kaufvertrag über diese Uhr zustande. Da A aber nur einmal liefern kann, würde dies dazu führen, dass er sich gegenüber allen anderen Kunden schadensersatzpflichtig machen würde. Mithin spricht die objektive Interessenlage gegen einen Rechtsbindungswillen des Ausstellenden. Folglich handelt es sich mangels Rechtsbindungswillen bei der Anpreisung im Schaufenster daher objektiv noch nicht um ein Angebot zum Kauf der Uhr für 75,- €, sondern lediglich um eine Aufforderung an die Kunden, selbst ein entsprechendes Angebot abzugeben, sog. invitatio ad offerendum (Aufforderung zur Offerte). Anmerkung: Das maßgebliche Kriterium für die Abgrenzung eines Angebots von der bloßen invitatio ist also, ob es der Sinn der Erklärung ist, dass durch das Eingehen auf sie bereits ein Vertrag zustande kommen soll. Ein wichtiges Indiz gegen ein Angebot ist dabei, ob die Anzahl der Waren beschränkt ist und gleichzeitig die Erklärung an eine unbestimmte Vielzahl von Personen gerichtet ist. Es ist aber keineswegs so, dass bei einer Erklärung an eine Vielzahl von Personen gleichsam zwangsläufig eine bloße invitatio vorläge. Man denke etwa an einen Automaten: Die Aufstellung bedeutet ein auf den vorhandenen Vorrat beschränktes bindendes Angebot des Automatenbesitzers an jedermann, das der Käufer mit Einwurf der Münze und Drücken des entsprechenden Knopfes konkludent annimmt (auf den Zugang der Annahme wird gem. § 151 S.1 BGB verzichtet). Es liegt auch nicht zwangsläufig eine invitatio vor, wenn die Erklärung an einen unbestimmten Empfängerkreis gerichtet ist. Denken Sie etwa an eine Garantie, die der Hersteller (nicht der Verkäufer, das regeln §§ 437 ff BGB) jedem Endabnehmer verspricht. Auch dies, so der BGH (NJW 1981, 275, 276), sei ein Seite 1 von 2 verbindliches Angebot, das der Endabnehmer gemäß § 151 S.1 BGB konkludent annehme. Stellen Sie also auf die konkreten Umstände des Einzelfalls ab. Eine bloße Aufforderung liegt im Zweifel vor bei öffentlichen Angeboten in versendeten Preislisten, Katalogen, Warenprospekten, Warenmustern zur Ansicht, in der Presse, auf Plakaten, in Ankündigungen etc. Kommen jedoch zusätzliche Umstände hinzu, so kann anders zu entscheiden sein: Enthält etwa ein Prospekt oder eine Zeitungsanzeige die Formulierung „Zwischenverkauf vorbehalten“, so ist regelmäßig ein Angebot anzunehmen. Wenn es sich nämlich schon gar nicht um ein Angebot handeln würde, dann wäre der Vorbehalt von vornherein überflüssig. Der Verkäufer ist hier an sein Angebot jedoch nur insoweit gebunden, als er bei Zugang der Annahmeerklärung noch nicht an jemand anderen verkauft hat, § 145 a.E. BGB. Die Formulierungen „freibleibend“, „ohne Obligo“ oder „unverbindlich“ können bedeuten, dass sich der Verkäufer ein Widerrufsrecht vorbehält bis zum Zugang der Annahmeerklärung, dass also ein nicht bindendes Angebot vorliegt, § 145 a.E. BGB. Allerdings kann sich aus den Umständen auch ergeben, dass nur eine invitatio vorliegt. Die Erklärung ist also auszulegen. b) Dadurch, dass K sein Kaufinteresse zum Preis von 75,€ dem A gegenüber kundtat, hat er ein Angebot abgegeben. Dieses Angebot hat A jedoch nicht angenommen; er wollte nur zu einem höheren Preis verkaufen. Ein Kaufvertrag zu einem Preis von 75,- € ist daher nicht zustande gekommen. c) Der zum Ausdruck gebrachte Wille des A, die Uhr zu einem Preis von 750,- € zu verkaufen, stellt nicht nur die Ablehnung des Angebots des K dar, sondern gleichzeitig auch ein neues Angebot, § 150 II BGB. Dieses Angebot hat nun aber K nicht angenommen, da er lediglich bereit war, einen Kaufpreis von 75,- € zu bezahlen. Damit ist auch kein Kaufvertrag zu einem Preis von 750,- € zustande gekommen. d) Mit der Ablehnung hat K gleichzeitig ein Angebot über 75,- € abgegeben, § 150 II BGB, welches wiederum von A abgelehnt wurde, der nunmehr nur für 600,- € verkaufen wollte. Auch ein Kaufvertrag zum Preis von 75,- € ist daher nicht zustande gekommen. e) Mit der Ablehnung hat A gleichzeitig ein Angebot über 600,- € abgegeben. Eine Annahme durch K könnte durch die Einverständniserklärung am nächsten Tag erfolgt sein. Die Annahme setzt aber voraus, dass das Angebot zu diesem Zeitpunkt noch nicht erloschen war. Gemäß § 146 BGB erlischt ein Angebot, wenn es abgelehnt (§ 146 Alt. 1 BGB) oder wenn es nicht rechtzeitig angenommen wird (§ 146 Alt. 2 BGB). Hier ist das Angebot bereits deshalb erloschen, weil A es bereits am Vortag abgelehnt hat. Anmerkung: Darüber hinaus wäre die Annahme durch A auch nicht mehr rechtzeitig gewesen (§§ 146 Alt. 2 BGB), denn A hätte das Angebot sofort annehmen müssen, § 147 I S. 1 BGB. © Leisch 99 / Maack/Dötterl 05 FB Gk BGB I (Haberl/Schmid/Dr. Suyr), WS 15/16 FB 5 – Die Jugendstiluhr – Lösung Die Annahmeerklärung des K ist daher als neues Angebot auszulegen (§ 150 I BGB analog). Dieses hat A mit der Bemerkung, die Uhr nunmehr seiner Freundin schenken zu wollen, abgelehnt. Es ist also auch kein Kaufvertrag zum Preis von 600,- € zustande gekommen. Ergebnis: Ein Anspruch des K auf Übergabe und Übereignung der Uhr besteht nicht. Anmerkung: Selbst wenn K nicht sofort abgelehnt hätte, sondern sich „die Sache noch mal überlegen“ hätte wollen, hätte das Angebot durch die Annahmeerklärung am nächsten Tag ebenfalls nicht mehr angenommen werden können. Die Annahme wäre nämlich nicht mehr rechtzeitig erfolgt im Sinne von § 146 Alt. 2 BGB. Was rechtzeitig ist, bestimmt sich nach den §§ 147 ff. Ein einem Anwesenden gemachtes Angebot kann gemäß § 147 I S. 1 BGB nur sofort angenommen werden, es sei denn, der Antragende hat eine bestimmte Annahmefrist bestimmt, § 148 BGB. Da eine Fristbestimmung nicht vorgenommen wurde, war das Angebot bereits erloschen, als K die Annahme erklärt hat. Hätte A dem K ein schriftliches Angebot geschickt, so könnte dieses nur bis zu dem Zeitpunkt angenommen werden, „in welchem der Antragende den Eingang der Antwort unter regelmäßigen Umständen erwarten darf“, § 148 II BGB. Die Formulierung „unter regelmäßigen Umständen erwarten darf“ müssen Sie nun konkretisieren. Zu berücksichtigen ist a) die Transportzeit, bis der Antrag normalerweise zugeht. Das ist eine Selbstverständlichkeit. b) sodann eine angemessene Überlegungsfrist. Die Angemessenheit hängt davon ab, ob es sich bei dem Vertragsangebot um eine einfache Entscheidung handelt, oder um eine mit weitreichenderen Konsequenzen (z.B. hohe finanzielle Belastung; langfristige Bindung etc). Ohne besondere Umstände: ca. 3 Tage c) die Transportzeit, bis die Annahme normalerweise zugeht. Dabei kann der Antragende erwarten („erwarten darf“), dass die Annahme in vergleichbar schneller Weise transportiert wird wie der Antrag. Kam der Antrag über Fax, so ist auch die Transportzeit für die Annahme entsprechend kurz zu bestimmen. Seite 2 von 2 © Leisch 99 / Maack/Dötterl 05