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Fritz Vischer
Hölzliweg 11
4106 Therwil
+41 (0)61 723 15 50
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www.fritzvischer.ch
Text
Kunde
GZI Nottwil / Redaktion paraforum Johannes Kinast
Projekt
Kolumnen zu intimeren Themen im Umgang mit Querschnittlähmung
Zielpublikum
Querschnittgelähmte in allen Sprachregionen der Schweiz sowie dem Ausland, namentlich auch in den
angelsächsischen Ländern.
Inhalte
- Cannabis
Mittel
Prägnante und etwas aufrüttelnde Kurztexte – z.B. kurze Erfahrungsberichte, die Fragen aufwerfen,
geschrieben von Fritz Vischer
Datum / Zeichen
6. Januar 2016 / fvi
s. Folgeseiten
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Cannabis und die Medizin (1)
Wiederentdeckung eines Heilmittels
Seit dem 1. Januar 2016 ist Marihuana auch im Staate New York,
zu dem mit der gleichnamigen Stadt das grösste Finanzzentrum
der Welt gehört, als Heilmittel zugelassen. Grund genug, auf das
Thema hier im Forum unter der Rubrik <Gesundes Leben> näher
einzugehen. Vorweg: Cannabis als Heilmittel können wir uns auch
in der Schweiz verordnen lassen, wenn die Indikation dazu gegeben ist. Zur Anwendung kommt entweder die Tinktur aus der ganzen Pflanze oder ein Präparat, das die beiden wesentlichsten
Wirkstoffe enthält: THC und CBD.
Sogar der Börsensender CNBC hat am 23. Dezember 2015 über Marihuana berichtet und dabei die Firma Vireo Health – www.vireohealth.com
- in Minnesota vorgestellt. Das Unternehmen ist kein romantisches Kräuterhäuschen, sondern eine straff geführte Aktiengesellschaft. Sie hat eine
von fünf Lizenzen erhalten, um im Staate New York an fünf Standorten
Heilmittel auf Basis von Marihuana zu verkaufen und dafür fünf Millionen
Dollar investiert.
Bereits in 23 US-Staaten legal
Mit New York ist Marihuana in den USA bereits in 23 Staaten als Heilmittel
zugelassen, in vier sogar „zur Rekreation“1 und damit als Vergnügungsdroge. In New York ist die Anwendung rezeptpflichtig und auf zehn Indikationsbereiche beschränkt – so etwa Schmerz infolge von Krebs und Immunschwäche (AIDS) sowie neurologische Krankheitsbilder, allen voran
ALS2, MS3 und Parkinson, aber auch Epilepsie. Spastizität fällt ebenfalls
darunter. Mithin gehören auch Paras und Tetras zu den möglichen Patienten. Die Symptome müssen allerdings schwerwiegend, lebensbedrohlich
oder anderweitig nicht behandelbar sein. Behördenvertreter gehen davon
aus, dass in ihrem Staat mit seinen knapp 20 Millionen Einwohner 500‘000
Menschen leben, die berechtigt wären, sich Marihuana-Heilmittel verschreiben zu lassen. Sie rechnen mit monatlichen Behandlungskosten von
zwischen 300 und 1000 Dollar pro Patient.
1
2
3
Alaska, Colorado, Oregon, Washington
Amyotrophe Lateralsklerose
Multiple Sklerose
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Keine Joints
Zu rauchen gibt es nichts im Staate New York. Als Heilmittel zugelassen
sind Pillen, Tabletten, Kapseln sowie Tinkturen und Lösungen und schliesslich der Verdampfer, der dem Rauchgenuss wohl am nächsten kommt. Berauschung ist nicht das Ziel. Dagegen interessiert die seit 3000 Jahren
bekannte entkrampfende und schmerzlindernde Wirkung der indischen
Hanfpflanze Cannabis sativa. Sie enthält etwa 600 Substanzen, darunter
60 Cannabinoide, von denen vor allem zwei als äusserst wirksam bekannt
sind: THC4 und CBD5. Dabei eignet sich CBD für medizinischen Gebrauch
besonders. Die Züchtung geht deshalb in Richtung von Pflanzen mit hohem CBD-Anteil.
Von den USA in die Schweiz
2007 hat das Rehab Basel6 in der wissenschaftlichen Publikation Spinal
Cord7 über eine Studie8 mit 25 Patienten berichtet. Sie erhielten reines
THC9. Die Resultate waren, etwas salopp zusammengefasst, gemischt.
Wesentlich besser sind die Erfahrungen mit der Kombination von THC und
CBD10 oder einem noch breiteren Spektrum an Wirkstoffen in der Pflanze,
wie es zum Beispiel im Sativa-Öl zu finden ist. Die Entwicklung dieses Öls,
das die Firma Hänseler AG in Herisau11 herstellt, geht auf Bea Goldmann
zurück. Sie ist Pflegefachfrau am Muskelzentrum des Kantonsspitals St.
Gallen, das sich namentlich in der Behandlung von ALS-Patienten landesweite Anerkennung erworben hat.
Mit dem am Rehab Basel tätigen Oberarzt Holger Peer Lochmann haben
wir in der Schweiz einen weiteren Spezialisten im Umgang mit Cannabis
als Heilmittel. Er setzt auf die natürliche Cannabis-Tinktur von Manfred
Fankhauser. Dieser Apotheker aus Langnau im Emmental stellt das Heilmittel in seinem eigenen Labor her. Die Verträglichkeit bezeichnet Lochmann als gut. Auch im Falle der Tinktur dämpft die Vielzahl von Wirkstoffen die Wirkung von THC auf unsere Psyche12. Im Zusammenhang mit
medizinischen Zielsetzungen ist das wesentlich, auch wenn es genau diese
4
Tetrahydrocannabinol
Cannabidiol
6
Klinik für Neurorehabilitation und Paraplegiologie
7
Nr. 45, 2007; Verlag Nature www.nature.com
8
Doppelblind-Studie, also mit Placebo und Kontrollgruppe
9
Dronabinol bzw. Marinol
10
Sativex, ein Mundspray, heisst das entsprechende Medikament
11
www.haenseler.ch
12
Psychotrope Wirkung
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Magie rund um das psychowirksame THC ist, derentwegen die einen Cannabis bejubeln und die andern es verteufeln. Die Mediziner stehen hier
zwischen den Fronten, denn für sie ist die entkrampfende und angstlösende Wirkung das massgebliche Kriterium.
Therapeutische Option
Dass Cannabis überhaupt wirken kann, setzt allerdings voraus, dass wir in
unserem Nervensystem die nötigen Rezeptoren haben. Bea Goldman sagte in einem Interview13, dass das bei 25 bis 30 Prozent der Patienten nicht
der Fall ist. Sie kriegen lediglich allfällige Nebenwirkungen zu spüren. Im
selben Interview bezeichnet Bea Goldman Cannabis „als therapeutische
Option“. Dabei ist zu beachten, dass die Reaktionen individuell unterschiedlich sind. Die Therapie beginnt deshalb mit möglichst tiefen Dosierungen, und in der Behandlung zusätzlich behindernder Spastizität gilt der
Grundsatz, Bewusstseinsveränderungen zu vermeiden. Entsprechend sind
auch höhere Dosen individuell so bemessen, dass wir einsatzfähig und
auch fahrtüchtig bleiben.
Zugang erschwert
Nach wie vor erschwert ist der Zugang zur therapeutischen Option Cannabis. Das ist aber nicht das Problem von uns Patienten. Ist die Indikation
gegeben und überdies erklärbar, dass sich andere Produkte gar nicht oder
weniger bewähren, sind uns Heilmittel auf Basis von Cannabis auch in der
Schweiz zugänglich; dies dank der Revision des Betäubungsmittelgesetzes
im Jahre 2008, die Bewilligungen für medizinische Zwecke ermöglichte.
Als interessierte Patienten sollten wir uns aber beraten lassen und nicht
auf den Schwarzmarkt ausweichen. Es geht um unser anhaltendes gesundheitliches Wohlergehen und nicht um vorübergehende, zauberhafte
Höhenflüge.
Unbefriedigender Kenntnisstand
Der unklare rechtliche Status der Cannabinoide behindert auch die Erforschung von deren Wirksamkeit. Das hat zur Folge, dass sie sich mangels
Wissen nicht hinreichend einordnen lassen. Nebst dem unvertrauten administrativen Aufwand für die Genehmigung trägt dies dazu bei, dass Ärzte Cannabis-Produkte nur zögerlich oder gar nicht verschreiben. Holger
Lochmann wird aber im Frühsommer eine weitere Studie veröffentlichen
können. Das ist sehr zu begrüssen, denn in unseren Gesellschaften pen13
A. Vogel Gesundheitsnachrichten 02/15; „Etwa 25 bis 30 Prozent sind <NonResponder>.“
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deln wir zwischen panikartigem Verbot und gutgläubiger Verklärung des
indischen Hanfs. Das widerspiegelt sich auch in den Bezeichnungen, die
sich die Pflanze mit ihren Substanzen in unterschiedlichen gesellschaftlichen Kreisen erworben hat: Cannabis sativa, Cannabis, Haschisch, Marihuana, Kiff, Shit, Pot, Gras, Dope.
Fritz Vischer
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