Donizetti Lucia di Lammermoor

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o l a f m at t h i a s r ot h
Donizetti
Lucia di Lammermoor
Weitere Bände der Reihe O P E R N F Ü H R E R K O M P A K T :
Daniel Brandenburg  Verdi  Rigoletto
Detlef Giese  Verdi  Aida
Michael Horst  Puccini  Tosca
Malte Krasting  Mozart  Così fan tutte
Silke Leopold  Verdi  La Traviata
Robert Maschka  Beethoven  Fidelio
Robert Maschka  Wagner  Tristan und Isolde
Volker Mertens  Wagner  Der Ring des Nibelungen
Clemens Prokop  Mozart  Don Giovanni
Olaf Matthias Roth  Puccini  La Bohème
Marianne Zelger-Vogt / Heinz Kern  Strauss  Der Rosenkavalier
Olaf Matthias Roth, geboren in Nürnberg, studierte Romanistik und Germanistik in
Erlangen und Düsseldorf. 1998 Promotion über »Die Opernlibretti nach Dramen Gabriele d’Annunzios«, parallel dazu durchlief er eine private Gesangsausbildung. Er
übersetzte zahlreiche Romane und Sachbücher aus dem Italienischen, Französischen
und Englischen. Nach Stationen am Staatstheater Nürnberg und am Theater Kiel ist er
seit 2012 als Leiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit am Theater Dortmund tätig.
OPERNFÜHRER KOMPAKT
o l a f m at t h i a s r ot h
Donizetti
Lucia di Lammermoor
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten
sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
© 2014 Seemann Henschel GmbH & Co. KG, Leipzig
Gemeinschaftsausgabe der Verlage Bärenreiter, Kassel, und
Seemann Henschel GmbH & Co. KG, Leipzig
Umschlaggestaltung: Carmen Klaucke, Berlin, unter Verwendung eines Fotos
von Ken Howard (Anna Netrebko als Lucia di Lammermoor an der Metropolitan
Opera, New York 2009)
Lektorat und Bildredaktion: Claudia Thieße
Innengestaltung: Dorothea Willerding, Kassel
Satz: Das Herstellungsbüro, Hamburg
Notensatz: Tatjana Waßmann, Winnigstedt
Druck und Bindung: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 978-3-89487-921-1 (Henschel)  ISBN 978-3-7618-2295-1 (Bärenreiter)
www.henschel-verlag.de  www.baerenreiter.com
Inhalt
»Lucia di Lammermoor« – Versöhnung zweier Welten
7
Musik wie ein Vulkan – die 71 Opern des »Maestro Orgasmo«
10
Italiens Opernszene um 1830 – goldene Zeiten? 11  Rossini, der
Hausgott 13  Vom Souterrain zur Scala 18  Neue Wahrhaftigkeit: die erste »Tudor-Queen« 20  Das Ende der Legende 26
Vom Libretto zur Oper
29
Gegensätze ziehen sich an: Italiens Hang zum Norden 33  »Kill
your darlings«: vom Roman zum Libretto 37  Die Handlung 41 
Die Figurenkonstellation 45
Die musikalisch-dramaturgische ­Gestaltung
46
»Der Abschied« 46  »Der Heiratsvertrag« 53  Fazit 82  Echt
Wahnsinn! 84
Uraufführung und Rezeption
88
Diven und Devotionalien 92  Jugendlich-dramatische Über­
nahme 96  Der Commonwealth triumphiert 98  Interpreten
der Gegenwart 100  Vom Kostümfest zum Eurotrash: »Lucia«Inszenierungen in der Alten und Neuen Welt 101
Jenseits der Bühne: »Lucia« auf CD / DVD, in Literatur und Film
106
Für die Nachwelt konserviert: »Lucia« auf Tonträgern 106 
»Lucias« erstaunliche literarische Laufbahn 111  »Lucia« im
Film 113  »Donizetti revisited«: musikalische und filmische
­Reminiszenzen 115
117
Anhang
Glossar 117  Zitierte und empfohlene Literatur 118  Bildnachweis 120
Vom Libretto zur Oper
Wenn Opern wie am Fließband produziert werden, sind Libretti begehrt – und gute Libretti Mangelware. Kein Wunder, dass sich die
besten Komponisten Italiens um die Operntexte des
größten Librettisten jener Tage förmlich prügelten. Die melodrammi Felice Romanis, von dem
hier die Rede ist, wurden daher häufig von
mehreren Komponisten vertont.
Felice Romani (1788–1865) gelingt es,
dem italienischen Libretto wieder zu jener
Qualität zu verhelfen, die ihm gegen Ende
des 18. Jahrhunderts abhandengekommen
war. Doch erhalten die Libretti nicht mehr
dieselbe Wertschätzung wie noch zur Zeit
Metastasios, wird ihrem Stil und ihrer Rhetorik weniger Aufmerksamkeit geschenkt. Wohl
damit einher gehen sprachlich-metrische Konventionen, die sich zu Regeln verfestigen und von
den Librettisten fast mechanisch-routiniert angewandt
werden. Romani ist genau deshalb so gefragt, weil er den Spagat zwischen der geforderten neuen Kürze und kunstvollen Versen beherrscht
wie kein Zweiter.
Die Librettisten stehen damals nämlich vor einem Problem:
­Einerseits wird die Forderung nach knappen, klaren Worten immer
lauter – schon der Rossini-Apologet Stendhal wünschte sich von einem
Operntext vor allem »un seul mot«, um die der Szene zugrundeliegende
Emotion erfassen zu können. AndererEiner der wichtigsten italienischen Liseits sitzt ihnen die Zensur im Nacken,
brettisten des 19. Jahrhunderts: Felice
was dazu führt, dass sie zu GemeinplätRomani (1788–1865).
zen und Euphemismen Zuflucht neh29
men. Von der literarischen Freiheit der französischen Libretti können
italienische Librettisten nur träumen. Und es kommt noch ein Drittes
hinzu: Die Sprache in der Oper hat, so Albert Gier, »das Privileg der
Informationsvergabe verloren«, weshalb nun »die Singstimme ›instrumental‹ geführt« werden kann.
In dieser Situation ist auch für Donizetti der elegant und dabei
ökonomisch dichtende Romani erste Wahl als Librettist. Drei seiner
größten Erfolge basieren – neben sieben weiteren Opern – auf RomaniTexten: Anna Bolena, L’elisir d’amore sowie das ursprünglich für den
Komponisten Saverio Mercadante vorgesehene Libretto zu Lucrezia
Borgia nach der gleichnamigen Tragödie von Frankreichs Vorzeige-­
Romantiker Victor Hugo. (Auch dieses »Libretto-Swapping« ist ein
durchaus üblicher Vorgang.) Bereits sein Lehrer Johann Simon Mayr
hatte große Erfolge mit Romani-Texten gefeiert, so auch bei seinem
Hauptwerk Medea in Corinto.
Anfang 1835, im Uraufführungsjahr der Lucia, ist Donizetti wegen der bevorstehenden Premiere seines Marin Faliero in Paris. Am
24. Januar besucht er die Uraufführung von Bellinis I puritani am
Théâtre-Italien und berichtet einige Tage später Romani vom Erfolg
des Sizilianers:
»Bellinis Erfolg war sehr groß, trotz eines mittelmäßigen
Librettos. Er hält noch an, obwohl wir schon die fünfte
Vorstellung haben, und so wird es bis zum Ende der Saison weitergehen. Ich erzähle dir das, weil ich weiß, dass
ihr Frieden geschlossen habt. Heute beginne ich nun mit
meinen Proben, und ich hoffe, es kommt Ende des ­Monats
zur ersten Vorstellung. Ich verdiene nicht den Erfolg der
Puritaner, aber ich möchte auch nicht missfallen.«
Zwischen Bellini und Romani war es vorübergehend zum Bruch gekommen, der Fall hatte für großes Aufsehen gesorgt. Bellini ließ sich
das Libretto zu seiner letzten Oper (die Motive aus Walter Scotts Roman
Old Mortality aufgreift, also auf der Scott-Welle mitschwimmt) von dem
italienischen Literaten und Politiker Carlo Pepoli schreiben, sehnte sich
aber gleich wieder nach einem Romani-Libretto. Sein Wunsch blieb
unerfüllt: Romani übernahm 1834 die Leitung der Gazzetta ufficiale
piemontese und schrieb keinen einzigen Librettovers mehr.
Dass Donizetti sich auf eine Zusammenarbeit mit Salvatore
Cammarano einlässt, wo er doch mit Größen wie Jacopo Ferretti, Gae­
30
tano Rossi und Andrea Leone Tottola auf Duzfuß stand, wird sich als
großer Glücksfall erweisen. Cammarano hatte zwar kaum Erfahrung
als Librettist und konnte dem begehrten Romani nicht das Wasser reichen; immerhin aber kannte er das Thea­termetier durch seine Eltern
und hatte selbst schon mit eigenen Stücken auf sich aufmerksam gemacht.
Die Umstände dieser ersten Zusammenarbeit sind denkbar ungünstig. Auch einem Komponisten wie Donizetti, der gewohnt war,
rasch zu arbeiten, brennt die Zeit allmählich unter den Nägeln. Doch
der Reihe nach. Im November 1834 verpflichtet sich Donizetti vertraglich, drei
Das Teatro San Carlo nach einem Stich
Opern für das Teatro San Carlo in Neapel
von ca. 1850.
zu schreiben, die erste davon soll 1835
zur Uraufführung kommen. Doch auch
nach seiner Rückkehr aus Paris im April des Jahres liegt ihm noch kein
Libretto vor. Die Direktion des Teatro San Carlo hätte es ihm längst
liefern müssen. Damals geht es jedoch am wichtigsten Opernhaus der
Südhälfte Italiens drunter und drüber. Opfer dieses Missmanagements
wird Donizetti. Immerhin steht am 18. Mai das Sujet endlich fest, wie
aus seinem Brief an seinen Freund Spadaro Del Bosch hervorgeht. Am
31
Salvatore Cammarano
Sein Vater hatte die Deckengemälde und Innenausstattung im traditionsgesättigten Teatro San Carlo in Neapel geschaffen – dass sich auch Salvatore (oder auch Salvadore) Cammarano dem Theater zuwandte, war da nur
folgerichtig. Als Donizetti die Zusammenarbeit mit dem Libretto-Novizen
begann, konnte er nicht ahnen, dass er seinen künftigen Lieblingslibrettisten vor sich hatte. Doch Cammarano schuf nach der Lucia die Texte für
nicht weniger als sieben weitere Donizetti-Opern: Belisario, L’assedio di
Calais, Pia de’ Tolomei, Roberto Devereux, Maria di Rohan, Poliuto und Maria
de Rudenz. Damit bediente Cammarano die Vorliebe des Komponisten für
historische Dramen – eine Opera buffa schrieb Cammarano nicht.
Seinen Glanz hatte das Metier des Librettisten in der Romantik
längst verloren. »Wenn er sich überhaupt noch als ein Mitglied in der
Familie der italienischen Literaten fühlen kann, dann ist er jetzt der arme
Verwandte, den man vor wichtigen Besuchern verstecken muss«, schrieb
Fabrizio della Seta. Oft waren die professionellen Librettisten bei dem Impresario eines bestimmten Theaters angestellt und mussten jährlich eine
vertraglich vereinbarte Anzahl von Texten produzieren. Das galt auch für
eine Größe wie Felice Romani: Er hatte laut Vertrag dem Teatro alla Scala
in Mailand sechs Libretti pro Jahr zu liefern. Reich wurde man damit nicht,
und so übten selbst prominente Librettisten oft noch einen »bürgerlichen«
Nebenberuf aus. Der Librettist hatte sich zudem mit den Zensurbehörden
herumzuschlagen und war zuweilen auch für die szenische Einstudierung
verantwortlich.
Cammarano begann seine Laufbahn als Theaterschriftsteller – mit
18 schrieb er sein erstes Drama – und schwenkte dann zum Metier des
Librettisten um. Einen ersten Erfolg hatte er mit dem Libretto zu Giuseppe
Persianis Ines de Castro. Lucia ist erst sein viertes Libretto – allein daran
lässt sich Cammaranos frühe Meisterschaft ablesen.
Auch nach Donizettis Tod sollte der Name Cammarano einen guten
Klang behalten. Seine Verse, die in ihrer Eleganz an den großen italienischen Dichter Giacomo Leopardi erinnern, inspirierten insbesondere Giu­
seppe Verdi. Für Verdi verfasste Cammarano auch das angeblich verworrenste italienische Opernlibretto: Il trovatore – Der Troubadour. Indiz für die
Block-Dramaturgie Cammaranos sind die etwas plakativen Untertitel der
einzelnen Akte, so in Lucia, aber auch beispielsweise im Troubadour (»Das
Duell – Die Zigeunerin – Der Sohn der Zigeunerin – Das Hochgericht«)
und in Luisa Miller (»Liebe – Intrige – Gift«). Verdis Herzenswunsch, das
Libretto zu einer Lear-Oper nach Shakespeare zu erhalten, blieb unerfüllt:
Cammarano starb unvermittelt im Jahr 1852.
32
25. und erneut am 29. Mai muss Donizetti bei seinen Auftraggebern nachhaken, ob Cammarano
und er denn nun mit der Arbeit an der künftigen Lucia beginnen könnten. Ursprünglicher
Abgabetermin für die fertige Komposition war
Juli – das ist kaum mehr zu schaffen. Und doch
geschieht das Wunder: Am 6. Juli kann Donizetti »Vollzug« vermelden und schreibt unten aufs
letzte Blatt das Wörtchen fine.
Doch das lieto fine, das Happy End,
steht noch aus. Zunächst einmal gerät
die Direktion des San Carlo in eine Führungskrise, der König selbst muss intervenieren. Ende A
­ ugust beginnen endlich
die Proben, und Lucia ist der Weg zum
Ruhm geebnet.
Gegensätze ziehen sich an: Italiens Hang zum Norden
Dass die Wahl für die neue Oper Donizettis auf Sir Walter Scotts The Bri­
de of Lammermoor fällt, ist nicht nur dem engen Zeitfenster geschuldet.
Scott ist seit Rossinis Vertonung der Lady of the Lake in Gestalt von La
donna del lago (1819) ein absoluter Modeautor für Librettisten geworden. Zu den wichtigsten Scott-Opern zählen: La Dame blanche (Boiel­
dieu), Rob Roy und Alice nach Scotts Woodstock (Flotow), Der Templer
und die Jüdin nach Scotts Ivanhoe (Marschner), Il templario, ebenfalls
nach Ivanhoe (Nicolai), ein weiterer Ivan­
hoe und ein Talismano (Pacini), Leices­
Salvatore Cammarano (1801–1852),
Librettist der »Lucia«. Später schreibt
ter ou Le Château de Kenilworth (Auber,
er für Giuseppe Verdi und stirbt überauch von Donizetti vertont), Richard en
raschend während der Arbeit an »Il
Palestine nach The Talisman (Adam) und
trovatore«.
La Jolie Fille de Perth (Bizet). Die Gründe liegen auf der Hand: Scotts Romane
kannten ein eindeutiges Gut-und-Böse-Schema, das ­einer stark aufs
Wesentliche reduzierten Opernhandlung entgegenkam. Außerdem entzündete sich wohl die Fantasie der Komponisten an ihren plastischen
Naturschilderungen. Von der Bride of Lammermoor existieren bereits
vor Donizettis Oper vier italienische Versionen, die allerdings eher an
den Rändern des italienischen Opernimperiums aufgeführt wurden.
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Walter Scott
Kaum vorstellbar, dass Sir Walter Scott sein literarischer Erfolg lange Zeit
unangenehm war. Doch hatte das Verfassen von Romanen zu Beginn des
19. Jahrhunderts noch etwas leicht Anrüchiges – Lyrik, also das Schreiben von Gedichten, war dagegen hoch angesehen. Hinzu kam: Scott war
Jurist und fürchtete um seinen guten Ruf. Dennoch schuf er mit Waverley
seinen ersten schottischen Roman. Obwohl er sich selbst durchaus für die
britische Monarchie einsetzte und als Unionist sah, kamen in seinen Werken auch die schottischen Traditionalisten zu Wort, die sich nach wie vor
dem Hause Stuart verbunden fühlten. Aber auch englische Themen waren
ihm nicht fremd: Berühmtestes Beispiel hierfür ist sein »schwarzer Ritter«
Ivanhoe.
Auf der Höhe seines Ruhms angelangt, folgte für Scott der Absturz:
Sein Verlag ging bankrott, als Miteigentümer war er haftbar. Doch Scott
zog sich förmlich selbst aus dem schottischen Sumpf und schuf unermüdlich Werk um Werk, bis seine gigantischen Schulden abbezahlt waren. Wie
sein Zeitgenosse Balzac rieb er sich dabei auf, setzte die eigene Gesundheit aufs Spiel und bezahlte schließlich mit seinem Leben.
In Gestalt von Hollywoodverfilmungen (Ivanhoe mit Elizabeth
Taylor und Robert Taylor) oder TV-Serien (wie dem Dreizehnteiler Quentin
Durward, der in den frühen 1970er-Jahren über deutsche Bildschirme flimmerte) leben seine Werke bis heute weiter.
Scotts Romane sind allesamt historisch, hatten aber einen gewissen politischen Einfluss. Er lenkte den Blick auf die in Vergessenheit
geratenen Traditionen der schottischen Highlands und trug so zu einem
gestiegenen Renommee Schottlands bei.
Der erste, der sich an eine Vertonung der Bride of Lammermoor
wagte, war wie Donizetti Italiener: Michele Carafa. Heute weitgehend
vergessen – sein Nozze-di-Figaro-Sequel I due Figaro hatte immerhin
vor Kurzem Erfolg in der deutschen Rossini-Hochburg Bad Wildbad –,
war Carafa zu Lebzeiten ein renommierter Komponist, was sich schon
allein daran ablesen lässt, dass Le nozze di Lammermoor – Die Hochzeit
von Lammermoor, wie die Oper auf einen Text des erfahrenen Librettisten Luigi Balocchi schließlich hieß, am Théâtre-Italien in Paris zur
Uraufführung kam (1829). Nach einer glanzvollen Karriere, die Carafa
an die großen europäischen Opernhäuser führte (die Pariser Opéra ist
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