Ich-Störungen

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Vorlesungen Psychiatrie für
Zahnmediziner 2011
Einteilung, Grundlagen
Psychopathologie Intelligenzminderung Demenzen
Prof. Dr. Peter Keel ([email protected])
Chefarzt Klinik für Psychiatrie und Psychosomatik
Bethesda-Spital Basel
1
Klinik für Psychiatrie &
Psychosomatik
Ambulante Abklärung, Begutachtung und Behandlung
(einzeln oder in Gruppen) von Patienten mit:
- chronischen Rückenschmerzen (inkl. Nacken, Kopf)
- Fibromyalgie
- Schleudertrauma
- andere Störungen (funktionelle St., Depression, Angst)
Konsiliar- und Liaisondienst für Spital (Rheumatologie,
Rehabilitation, Gynäkologie, Urologie, Onkologie etc.
2
Ursachen: Pathologie
• hirnorganisch = makroskopisch oder
laborchemisch fassbar
• „endogen“ = genetisch strukturell
bedingt („Stoffwechseldefekt“, neuronal)
• psychogen = lebensgeschichtlich
bedingt (Entwicklungsstörung bei
Traumen, Mangeler-fahrungen; Prägung,
Lernen durch Erfahrung)
! aber Vorsicht:
 multifaktorielle Störungen
 hypothetische Ursachen
3
Ursachen: Störungsgruppen
(häufig multifaktoriell)
• hirnorganisch angeboren: bestimmte Formen der
Minderbegabung (z.B. Trisomie 21
[„Mongolismus“])
• hirnorganisch erworben: Demenzen (z.B.
vaskuläre Demenz, organische Psychosen
(passager, z.B. Delir )
• „endogen“ (genetisch determiniert):
Schizophrenie, affektive Psychosen (z.B.
manisch-depressive Psychosen),
Minderbegabung, ev. Sucht, Persönlichkeit
• Psychogen: „neurotische“ Störungen (z.B.
Phobie), Anpassungs-, Persönlichkeitsstörungen,
Sucht (z.B. Traumafolgestörungen)
4
Neurosen - Psychosen
5
Psychosen (Psychotische
Störungen)
• Uneinfühlbar (Wahrnehmungs- und
Denkstörungen: Bewusstsein, Ich-Identität,
Orientierung, Realitätskontrolle, Wahn)
• scheinbar unerklärlich, aber oft
Zusammenhang mit normalen
lebensverändernden Ereignissen
• Geisteskrankheit, schwere Störung
(oft invalidisierend)
• ev. fehlende Krankheitseinsicht und
Zurechnungsfähigkeit
 aber Grenzen fliessend: psychotische
Depression
6
Neurosen* (Neurotische
Störungen)
• Einfühlbar (Angst, Zwang, Depression)
• lebensgeschichtlicher Zusammenhang
klar, seelisches Leiden, bewusste
Konflikte, Beziehungsprobleme
• Krankheitseinsicht meist vorhanden
(Leidensdruck), „repetitives Fehlverhalten“
• Im allgemeinen leichtere Störungen
*überholter Begriff: Ersetzt durch
„Anpassungsstörungen“
7
ICD-10 Internationale Klassifikation
der Krankheiten (WHO): F0 – F4
• F0 Organische, einschließlich
symptomatischer psychischer Störungen
• F1 Psychische Störungen durch
psychotrope Substanzen
(Substanzmissbrauch, Suchtkrankheiten)
• F2 Schizophrenie, schizotype und
wahnhafte Störungen
• F3 Affektive Störungen (manischdepressiv, depressiv)
• F4 Neurotische, Belastungs- und
somatoforme Störungen
8
ICD-10 Internationale Klassifikation
der Krankheiten (WHO): F5 – F9
• F5 Verhaltensauffälligkeiten mit körperlichen
Störungen oder Faktoren (Ess-, Schlaf-,
Sexualstörungen etc.)
• F6 Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen
• F7 Intelligenzminderung
• F8 Entwicklungsstörungen (Kinder- und
Jugendpsychiatrie)
• F9 Verhaltens- und emotionale Störungen mit
Beginn in der Kindheit und Jugend
9
Allgemeine Psychopathologie:
Überblick
• Bewusstsein und Orientierung
• Aufmerksamkeit, Konzentration,
Merkfähigkeit, Gedächtnis; Intelligenz
• Denkstörungen, Störungen der
Wahrnehmung, Wahnsymptome
• Ich-Störungen
• Störungen der Affekte
• Störungen der Motorik, des Antriebs,
der Sprache
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Bewusstsein
• quantitativ (Vigilanz)
 wach – benommen - schläfrig – soporös bewusstlos
• qualitativ
 getrübt, verwirrt, delirant; eingeengt,
verschoben
 Leitsymptom für Delir (symptomatische
Psychose)/ ev. Demenz
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Orientierung
•
•
•
•
Zeit: Datum? Uhrzeit?
Ort: wo sind Sie?
Situation: warum sind Sie hier?
Person: wer sind sie?
 Leitsymptom für Delir/Demenz
12
Aufmerksamkeit,
Konzentration, Gedächtnis
• Aufmerksamkeit, Konzentration:
Fokussieren, Aufnehmen erschwert (
Vigilanz, Gedankenkreisen)
• Merkfähigkeit: Kurzgedächtnis (10
Minuten)
• Langzeitgedächtnis: Spätabruf nach >
10 Minuten (Speicherung)
• Amnesie: Gedächtnislücke
• Konfabulation: Lücken füllen
 Leitsymptom für Demenz
13
Tests
• Aufmerksamkeit: Begriffe lernen (3-8
Begriffe je nach Schweregrad)
• Auffassung: Fabel begreifen (
Intelligenz)
• Konzentration: 100 – 7, rückwärts
buchstabieren, aufzählen
• Gedächtnis: Spätabruf gelernte
Begriffe
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Denkstörungen (unspezifisch)
• formal: Hemmung, Verlangsamung,
Gedankendrängen, Logorrhoe
(Plauderi), Perseveration, umständlich, Sperrung, Kontamination,
Neologismus u.ä., zerfahren,
inkohärent, sprunghaft
• inhaltlich: Wahn, überwertige
Ideen, Zwang, Phobie
15
Logorrhöe als Brief
56 vollgeschriebene Seiten, laufende Wiederholungen
16
Der nächste Brief ...
17
... auf Rückseite des Couverts.
18
Störungen der Wahrnehmung
(unspezifisch)
• quantitativ (lückenhaft,
vermindert): meist organisch
bedingt
• qualitativ: Illusionen,
Halluzinationen, (Leib-)
Gefühlsstörungen
 Halluzinationen: akustisch,
optisch, olfaktorisch/Geschmack,
taktil, Körpergefühl
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Wahn
(inhaltliche Denkstörung, unspezifisch)
• Definition: aus krankhafter Ursache
entstehende, irrige (laut Umwelt),
gegenwärtig nicht korrigierbare
Überzeugung (Gewissheit) trotz
Widerspruch zur Realität
• Wahnthemen: Beziehung (Bedeutung/ Zusammenhang), Beeinträchtigung,
Kontrolle, Verfolgung, Querulation,
Eifersucht, Grössenwahn, Schuld,
nihilistisch (Minderwertigkeit), symbiotisch
(folie à deux)
20
Ich-Störungen
• Derealisation
• Depersonalisation
• Gedankenausbreitung/ - entzug / eingebung
• Andere Fremdbeeinflussungs-erlebnisse
(Beziehungs-/ Beeinträchtigungswahn)
 Denk- und Ichstörung, Kernmerkmal
der Schizophrenie, DD wichtig.
21
Störungen der Affekte
• Gefühle
 bedrückt – gehoben (euphorisch)
 keine, gefühlsarm, starr, unpassend, labil,
inkontinent
 ratlos, hoffnungslos, vital beeinträchtigt
 gereizt, dysphorisch, jammrig, klagsam,
ängstlich, ambivalent
 Schuld, Selbstwert (überwertig/ miderwertig), Insuffizienzgefühle
 Typisch aber nicht spezifisch für affektive
Störungen (auch bei Angst-, organischen
Störungen oder Schizophrenie)
22
Störungen des Antriebs
•
•
•
•
•
arm, gehemmt – gesteigert
mutistisch – logorrhoisch
maniriert, bizarr, theatralisch
sozial: Rückzug, umtriebig
aggressiv, suizidal
23
Illustration Psychopathologie
• Ausschnitt aus dem Film „Ekel“
(Repulsion; 1965) von Roman
Polanski (mit Catherine Deneuve
in der Hauptrolle)
• Welche der besprochenen
Symptome sind beobachtbar?
 Bitte notieren Sie diese.
Video Psychopathologie ab 1:25:58
24
Ekel (Repulsion)
Die in London lebende Französin Carol
arbeitet als Kosmetikerin. Sie fühlt sich in
einer von Männern dominierten Welt hilflos,
von den Menschen angewidert und bedroht.
Als ihre Schwester verreist und sie allein
lässt, gerät sie immer stärker in den Bann ihrer
Gefühle und verkriecht sich tagelang in der
Wohnung. Die psychische Hölle ihrer Angst
und ihr Ekel gegenüber dem (aufdringlichen)
männlichen Geschlecht lässt sie schliesslich
zur mehrfachen Mörderin werden.
http://www.artfilm.ch/ekel.php
25
Intelligenzminderung
26
Intelligenzminderung (-mangel)
• Synonyme: Minderbegabung, Schwachsinn,
geistige Behinderung, Oligophrenie
• Definition: IQ unterhalb Normbereich von
70-130
• Probleme: Störung der sozialen Integration
und Bildungsfähigkeit, hohe Komorbidität* für
andere psychische Störungen (v.a.
Persönlichkeitsstörungen, auch
Schizophrenie und affektive Störungen)
*gleichzeitiges Vorkommen anderer Krankheiten
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Verteilung der Intelligenzkategorien (nach WechslerIntelligenz-Test)
Minderbegabung
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Intelligenzminderung:
Symptome
 Differenzierung der psychischen Struktur:
Antrieb, Willen, Gefühle, Empfinden (->
Verstimmungen, Willensschwäche, Starrheit,
Sturheit; soziale Anpassung)
 Störung im Denken: Abstraktion,
Kombination, Begriffs- und Urteilsbildung (->
Urteilsschwäche; Bildungsfähigkeit)
 Beeinträchtigungen von Aufmerksamkeit,
Wahrnehmung, Auffassung, Merkfähigkeit
und Gedächtnis (-> aber Teilfunktionen ev.
überdurchschnittlich)
 bei schweren Störungen: Sprache und
Motorik beeinträchtigt
29
1. Leichte Intelligenzminderung
(Debilität)
• ca. 90% aller Fälle, 2-4% der
Bevölkerung
• IQ ca. 50-70, entspricht etwa 8-10j.
Kind
• Primarschule mit Repetition oder
Sonderschule (Kleinklassen)
• meist keine Berufsbildung, ev. Anlehre
• Berufstätigkeit in freier Wirtschaft und
selbständiges Leben möglich
30
Leichte Intelligenzminderung:
Ursachen
• 50-70% „vererbte“ Minderbegabung
• organische Schäden wie angeborene
Chromosomen- oder Stoffwechselstörungen
(z.B. Trisomie 21, Hypothyreose,
Phenylketonurie, teils auch vererbt)
• pränatale Hirnschäden (Fetopathie z.B. bei
Rötelninfekt, Rhesusinkompatibiltät)
• perinatal (hypoxischer Geburtsschaden) und
postnatal (z.B. Meningitis)
• multifaktorielle Verursachung häufig
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2. Mittelgradige Intelligenzminderung
(Imbezillität)
• IQ 35-50, entspricht etwa 6j. Kind
• knapp bildungsfähig (1-2 Klassen, Sonderschule)
• unselbständige Tätigkeit in geschützten
Werkstätten
• selbständig in elementaren Verrichtungen des
täglichen Lebens (Essen, Ankleiden,
Körperpflege)
• unselbständig in anspruchsvolleren Tätigkeiten
(Wohnen, Finanzen etc.)
• ca. 6% aller Fälle
• Ursachen wie leichte Formen, häufiger organisch
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3. Schwere Intelligenzminderung
(Idiotie)
• IQ 20-35, entspricht etwa 4-5j. Kind
• kaum bildungsfähig
• einfachste Tätigkeit in
Behindertenheimen
• selbständig nur in elementarsten
Verrichtungen des täglichen Lebens
(Essen, Ankleiden)
• ca. 3% aller Fälle
• Ursachen meist hirnorganisch
33
4. Schwerste Intelligenzminderung
• IQ unter 20, entspricht etwa 3jährigem Kind
• nicht bildungsfähig
• völlig unselbständig, brauchen
dauernde Pflege und Betreuung
(Heim)
• rudimentäre Sprachentwicklung,
motorische Defizite
• ca. 1% aller Fälle
• Ursache: meist hirnorganische
Schädigung
34
Demenzen
35
Demenzerkrankungen:
Symptome
• Leitsymptom:
Frischgedächtnisstörung als Folge
von Störungen der Merkfähigkeit
und Auffassung
• sekundär: Störung der
Orientierung (Zeit, Ort, Situation,
Person)
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Demenzerkrankungen:
Zusatzsymptome
• Denkstörungen: (Einengung, Versimpelung,
egoistisch, stur, umständlich; Urteilsfähigkeit
beeinträchtigt)
• Karikierung der Persönlichkeit: verstärkte
Ausprägung vorbestehender Züge
• Affektstörungen: Labilität, Dysphorie,
Euphorie/Depressivität, Abstumpfung
• psychotische Symptome: Wahnsymptome
(Bestehlung, Verfolgung, ev. Dermatozoenwahn)
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Demenzursachen
• Primär degenerativ: Alzheimer
• Vaskulär: Multiinfarktdemenz
• Systematrophien: Lewy-Körperchen-Demenz (Morbus
•
•
Parkinson), Chorea Huntington
Hirntraumen: Kontusionen, subdurales Hämatom
Infektionen: progressive Paralyse, Creutzfeldt-JakobKrankheit, HIV
Intoxikationen: Alkohol, Schwermetalle (Pb), u.a.
Liquorzirkulationsstörung: Hydrozephalus
Neoplasmen: intrakranielle Tumoren u.a.
•
•
•
• Metabolisch: Hypothyreose, Hypoglykämien u.a.
• Vitaminmangel: B12, B1, Nikotin-,Folsäure
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M. Alzheimer (senile Demenz):
Spezielle Merkmale
• markante Frischgedächtnisstörung
• schleichender Verlauf, wenig
Fluktuation
• Stimmung eher heiter, Dissimulation
• neurologische Begleitsymptome wie
Tremor, Steife, Dyskinesien
(extrapyramidal)
• Sprachzerfall
• im übrigen eher gute körperliche
Gesundheit
39
M. Alzheimer: Neuropathologie
• Makroskopisch: diffuse Hirnatrophie (v.a.
frontal, parietookzipital, Hippocampus,
Verschmälerung der Hirnwindungen,
Verbreiterung der Furchen)
• Histologisch: Degeneration von Neuronenendigungen; Verminderung der Neuronenpopulation; Auftreten von neurofibrillären
Knäueln, senilen Plaques und Drusen aus
Amyloid
• Biochemisch: Verminderung von Acetylcholin
und Cholin-Acetyltransferase und anderer
Neurotrans-mitter -> Ansätze für
medikamentöse Therapie
40
Multiinfarktdemenz
(Gehirnarteriosklerose)
• plötzlicher Beginn, wechselhaft, schrittweise
Verschlechterung, Verbesserungen möglich
• Exazerbationen nachts, bei körperlicher
Erkrankung, Medikamenteneinflüssen
• arteriosklerotische Begleiterkrankungen:
cerebral (CVI), inselartige (partielle) Ausfälle,
Hirnwerkzeuge befallen; allgemeine
Arteriosklerose
• Charakter erhalten, Depression häufig
• starker Leidensdruck
• Histologisch: Gefässhyalinose, Mikroinfarkte,
Demyelinisierung
41
Alkoholbedingte Demenz
(Korsakow-Syndrom)
• V. a. Frischgedächtnisstörung
• Dissimulations- und
Konfabulationstendenz
• Charakterveränderungen:
Distanzlosigkeit, Logorrhö
(Redefluss), Affektinkontinenz und
–Labilität
• ev. zusätzliche Polyneuropathie
(zentral/peripher)
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Falls Zeit noch reicht:
Testverfahren
• Demenz
• Intelligenz
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Mini Mental Status (MMS)
44
Mini Mental Status (MMS)
Nr. 10:
Figur
abzeichnen
45
Mini Mental Status (MMS)
Folstein MF et al., J. Psychiatr. Res. 189-198, 1975
46
Hamburg-Wechsler Intelligenztest für
Erwachsene HAWIE-R
Verbaltests
(steigende Schwierigkeit, Abbruch nach 5 Fehlern in
Folge oder Zeitüberschreitung)
• Allgemeines Wissen: Monate des Jahres? Auf
welchem Kontinent liegt Brasilien?“
• Zahlennachsprechen: vor- und rückwärts
• Wortschatz-Test: „Was bedeutet Beginn, Pelz“ ...
• Rechnerisches Denken: 1 Apfel = 80 Rp., 6
Äpfel?
• Allgemeines Verständnis: Weshalb muss man
viele Nahrungsmittel kochen?
• Gemeinsamkeiten finden: Schiff - Auto
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Hamburg-Wechsler Intelligenztest für
Erwachsene HAWIE-R
Handlungstests
• Bilderergänzen (Zeiger fehlt bei Uhr,
Schwanz bei Pferd etc.)
• Bilderordnen (Bildergeschichte -> Bsp.)
• Mosaik-Test (Mosaikfiguren legen mit
Spielsteinen -> Bsp.)
• Figurenlegen („Zusammensetzspiele“)
• Zahlen-Symbol-Test („chinesische
Zahlen“ -> Bsp.)
48
Bilderordnen (Bildergeschichte)
A
D
B
E
C
F
49
Mosaik-Test (Mosaikfiguren legen
mit Spielsteinen)
50
Zahlen-Symbol-Test
(„chinesische Zahlen“)
Instruktion:
1.  6. 
2.  7. 
3.  8. 
4.  9. 
5. 
Test:
4. ?
7. ?
8. ?
2. ?
7. ?
51
ENDE
52
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