Psychiatrische und psychotherapeutische Behandlung

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Psychiatrische und
psychotherapeutische Behandlung
von Kindern und Jugendlichen mit
geistiger Behinderung und
psychischen Erkrankungen
J. Jungmann KJPP
21.03.2009
1
Verständnis Psychiatrischer Störungen
bei Kindern und Jugendlichen mit
geistiger Behinderung
als Problem sozialer
Normenorientierung
als Problem von
Entwicklungsorientierung
Als komplexe Störung
2
Geistige Behinderung als
Verminderung der Fähigkeit zur
Selbstregulation (komplexe Störung)
In den Bereichen:
Soziale Selbstregulation
Emotionale Selbstregulation
Motivationale Selbstregulation
Körperliche Selbstregulation
Intellektuelle Selbstregulation
3
Intelligenzminderung (ICD-10- F 7)
Schweregradeinteilung
Leichte Intelligenzminderung IQ 50-69
(F70)
Mittelgradige Intelligenzminderung IQ 35-49
(F 71)
Schwere Intelligenzminderung IQ 20-34
(F 72)
Schwerste Intelligenzminderung IQ < 20
(F 73)
4
Risikoerhöhende und risikomindernde Faktoren
in der kindlichen Entwicklung
(modifiziert nach Petermann, 1997)
Risikoerhöhende Faktoren
Risikomindernde Faktoren
Kindbezogen
(Vulnerabilität)
Kindbezogen
(Persönlichkeit)
Umgebungsbezogen
(Risikofaktoren)
Resilienz
Phasen erhöhter
Vulnerabilität
Umgebungsbezogen
(Schutzfaktoren)
Bilanz: Belastungen vs. Ressourcen
- Gesamtbelastbarkeit des Kindes und seiner Familie
- Anstrengungen zur Belastungsbewältigung
- Entwicklungsprognose des Kindes
5
Folgen für die Familie:
Eltern und ihr behindertes Kind
Herausforderung vs. Bearbeitung
Verunsicherung vs. Ängste
Schuldzuweisung vs. Verdrängung
Förderung vs. Fehlerwartungen
Behütung vs. Symbiose
Abschirmung vs. Rückzug
Ablösung vs. Ausstoßungstendenz
6
Belastungen der Angehörigen durch
besondere Anforderungen
In den Bereichen:
Körperl./motor. Förderung
Kognitive Förderung
Erziehung
Kooperation mit Therapeuten
Kooperation mit Institutionen
Dauerhafte Verfügbarkeit
Verantwortung
7
Das behinderte Kind und seine
Geschwister
Verantwortungsübernahme
Paternalisierung
Eifersucht
Benachteiligung
Konkurrenz
8
Die Familie und ihr Umfeld
Isolation vs. Kommunikation
Verteidigung vs. Erklärung
Stigmatisierung vs. Kooperation
9
Auswirkungen von Störungen der
Selbstkonzeptentwicklung bei jungen Menschen
mit geistiger Behinderung auf:
Psychische Stresstoleranz
Soziale Rollenfindung
Sexuelle Rollenfindung
Bindung und Autonomie
10
Der Jugendliche mit geistiger
Behinderung zwischen Protektion und
Autonomie
Entwicklungsziele und ihre
Erreichbarkeit
Teilhabe an Gesellschaft /
Arbeitsleben und erlangte soziale
Kompetenz
Lebensqualität und Struktur
Selbstbestimmung und Versorgung
Expansivität und Begrenzung
11
Folgen zusätzlicher psychischer Krankheit für
die Teilhabefähigkeit von Menschen mit
geistiger Behinderung
Weiterer Verlust von Leistungsfähigkeit
Zunahme von Misserfolgsempfindlichkeit
Verstärkung der emotionalen Irritierbarkeit
Verstärkter sozialer Rückzug
Ausgrenzung
Absinken des psychosozialen Funktionsniveaus
Psychische Störungen bei Menschen
mit geistiger Behinderung
3-4 mal höher als in
Allgemeinbevölkerung
Mit dem Grad der
Intelligenzminderung ansteigend
Gleiche Krankheitsbilder wie in
Allgemeinbevölkerung
Häufigkeit insgesamt 30-40 %
Häufigkeit bei Heimbew. 50-80%
13
Psychopathologie und Besonderheiten
des psychischen Ausdrucksverhaltens
geistig behinderter Menschen
Verändertes Erscheinungsbild
psychopathologischer Symptomatik
Verhaltensphänotypen
Spez. Verhaltensweisen (z.B. Stereotypien,
Zwangsrituale, aggressive Äußerungen
Einfluss von Komorbidität (organischen
Störungen)
Kommunikationsproblematik
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Probleme qualifizierter psychopathologischer
Bewertung und Diagnostik
Mangelhafte direkte sprachliche Verständigung
mit dem Betroffenen
Mangelhafte Introspektionsfähigkeit des
Betroffenen
Fehlerhafte Interpretation auffälligen Verhaltens
durch Bezugspersonen
Mangelhafte Anamnese
Mangelhafte organische Abklärung, Komorbidität
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Häufige körperliche u. neurologische
Erkrankungen bei Menschen mit
geistiger Behinderung
Zentralbedingte Störungen der Bewegung
(20-30%)
Sprachstörungen
Sensorische Behinderungen
Epilepsien
Störungen des Verdauungstraktes
Atemwegsinfektionen
16
17
Multiaxiale Diagnostik in der KJPP
Achse
I :
Achse II :
Achse III :
Achse IV :
Achse V :
Achse VI :
Psychiatrisches Syndrom
Entwicklungsstörungen
Intelligenzniveau
Körperliche Symptomatik
Psychosoziale Belastung
Psychosoziales Funktionsniveau
18
19
Krankheitsbilder nach WHO ICD 10
F8 Entwicklungsstörungen
F4 Neurotische, belastungs- und somatoforme
Störungen
F3 Affektive Störungen
F9 Verhaltens- und emotionale Störungen mit Beginn in
der Kindheit und Jugend
F2 Schizophrene, schizotype und wahnhafte Störungen
Krankheitsbilder nach WHO ICD 10
F6 Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen
F5 Verhaltensauffälligkeiten mit körperlichen
Störungen und Faktoren
F0 Organische und symptomatische psychische
Störungen
F1 Psychische und Verhaltensstörungen durch
psychotrope Substanzen
Intelligenzminderung (ICD-10- F 7)
mit nicht anderen psychiatrischen Diagnosen
zugeordnete Verhaltensauffälligkeiten
Hyperkinetische Störung mit
Intelligenzminderung und
Bewegungsstereotypien (F 84.4)
Leichtgradige begleitende
Verhaltensstörung (F7X.0)
Deutliche begleitende
Verhaltensstörung (F7X.1)
22
Überaktive Störung mit
Intelligenzminderung und
Bewegungsstereotypien F 84.4 (1)
Motorische Ruhelosigkeit und exzessive
Aktivitäten, oft in unangemessenen
Situationen
Repetitives und stereotypes Verhalten
23
Überaktive Störung mit
Intelligenzminderung und
Bewegungsstereotypien F 84.4 (2)
Die soziale Interaktionsfähigkeit,
die Kommunikationsfähigkeit und
die Kontaktaufnahme zu anderen
Personen sind nicht beeinträchtigt
Intellektuelle Fähigkeiten im
mittleren geistigen
Behinderungsbereich oder darunter
24
Entwicklungsstörungen
Teilstationär behandelte Patienten der Klinik für Kinderund Jugendpsychiatrie und Psychotherapie im Klinikum
am Weissenhof im Alter von 3 – 7 Jahren
60 % Sprachentwicklungsstörungen
21 % Motorische Funktionsstörungen
19 % Wahrnehmungsstörungen
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Teilleistungsstörungen
Einfache
Artikulationsstörungen
Expressive Sprachstörungen
Rezeptive Sprachstörungen
Lese- und
Rechtschreibstörungen
Rechenstörungen
Entwicklungsstörungen der
motorischen Funktionen
26
ADHS
Hyperkinetische Störungen sind durch ein
durchgehendes Muster von Unaufmerksamkeit,
Überaktivität und Impulsivität gekennzeichnet,
das in einem für den Entwicklungsstand des
Betroffenen abnormen Ausmaß
situationsübergreifend auftritt.
Die Störung beginnt vor dem Alter von 6 Jahren
und sollte in mindestens zwei
Lebensbereichen/Situationen (z.B. in der
Schule, in der Familie, in der Untersuchungssituation) konstant auftreten.
27
Autistische Störungen
Tiefgehende Beeinträchtigung der
Entwicklung
Qualitative Beeinträchtigung in der
gegenseitigen sozialen Interaktion
Qualitative Beeinträchtigung sozialer
Kommunikationsmuster und der Sprache
Repetitives, restriktives und stereotypes
Repertoire von Interessen und Aktivitäten
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Autistische Störungen:
Komorbidität/Koinzidenz
Geistige Behinderung (55%)
Besonderheiten der Sprache
Motorische Unruhe
Gravierende
Verhaltensstörungen
Neurologische Auffälligkeiten
Epilepsien
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Sonstige desintegrative Störungen
(ICD-10 F84.4) (1)
Verlust erworbener Fertigkeiten
nach normaler Entwicklung in
den ersten 2 Jahren
Auffälligkeiten der
gegenseitigen sozialen
Interaktion und der
Kommunikation, Auftreten
stereotyper Verhaltensmuster
und Interessensverlust an der
Umwelt
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Depressive Episoden
(ICD-10 F32)
Es handelt sich um eine
mindestens 2 Wochen
andauernde Störung mit
gedrückter Stimmung, Verlust
von Freude und Interesse und
erhöhter Ermüdbarkeit.
31
Depressive Störungen
(ICD-10 F33)
Es handelt sich um wiederholte depressive
Episoden. Die einzelnen Episoden dauern
zwischen 3 und 12 Monaten, sie werden
häufig durch belastende Lebensereignisse
ausgelöst
32
Spezifische therapeutische Ansatzpunkte
Kognitive Verhaltenstherapie
Körperbezogene
Therapieformen
Psychopharmakologie
Interventionen im
Kindergarten/in der Schule
33
Spezifische therapeutische Ansatzpunkte
Physiotherapie (Behandlungsziele z.B.
Verminderung der Handstereotypien;
Verbesserung des Laufens; Vorbeugung
einer Skoliose)
Musiktherapie (Behandlungsziel z.B.
Verbesserung der sozialen Orientierung)
Hydrotherapie (Behandlungsziel z.B.
Muskelentspannung)
Ergotherapie (Behandlungsziel z.B.
Verbesserung der Konzeptkompetenz)
Sprachtherapie
34
Spezifische therapeutische Ansatzpunkte
Soziales Kompetenztraining bei sozialen
Defiziten und aggressiven Verhaltensstörungen
Einzel- und/oder Gruppenpsychotherapie
Übungsbehandlungen zur Verminderung von
umschriebenen Entwicklungsstörungen
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Medikamentöse Ansatzpunkte
Behandlung mit Psychopharmaka
Neuroleptika
SSRI
Stimulanzien
Lithium
Antiepileptika bei zerebralen Krampfanfällen
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Behandlungsprobleme
durch Beeinträchtigung von:
Verständnisvermögen
Sprachlicher Kommunikation
Erkennbarer Bedürfnisäußerung
Natürlicher Willensbildung
Interaktionsfähigkeit
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Besondere Behandlungsanforderungen (1)
Wertschätzung von
Eltern/Sorgeberechtigten/Betreuern
Einbeziehung von
Eltern/Sorgeberechtigten/Betreuern
Diagnostische- und
Behandlungskompetenz
Transparenz, Information,Erklärung
Verantwortungsbereitschaft
Korrektur- u. Lernbereitschaft
Konstanz, Verfügbarkeit
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Besondere Behandlungsanforderungen (2)
Diagnostische Kompetenz
Symptom-/Störungsbewertung
Entwicklungsdiagnostik in den
Bereichen der sozialen, emotionalen,
kognitiven und körperlichen
Selbstregulation
Diagnostische Einordnung (MAS)
Differentialdiagnostik
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Besondere Behandlungsanforderungen (3)
Psychiatrische/ Psychotherapeutische
Behandlungskompetenz
Pharmakologische
Behandlungskompetenz (psychiatrisch,
epileptologisch)
Psychoedukation
Beratung, Behandlungsplanung
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Besondere Behandlungsanforderungen (4)
Rechtliche und Institutionelle
Kenntnisse
Leistungssystematiken/
Kostenträger
Gesetzliche Zuständigkeiten
Entscheidungsprozeduren
Betreuungsrecht
Sachverständigenkompetenz
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Schnittstellenmanagement
Bei ausgeprägten Störungen des
Sozialverhaltens sind häufiger
langfristige Hilfen notwendig, die
eine Kooperation mit der
Jugendhilfe erfordern und die Hilfe
zur Erziehung bzw.
Eingliederungshilfe entsprechend §
27 bzw. 35 a nach SGB VIII
erfordern.
(Leitlinie KJPP)
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Die Familie und ihre Kooperationspartner
Pädiatrie
SPZ
Orthopädie
Kinder- und
Andere medizinische
Jugendpsychiatrie
Disziplinen
und Psychotherapie
Ambulant/stationär
HNO
Menschen mit
Jugendhilfe
Augenheilkunde geistiger Behinderung/
Ambulant/stationär
Andere
Eltern/
Erziehungsberatung
Therapeuten
Sorgeberechtigte
Andere PsychoKinder- u. Urologie
soziale Fachdienste
Interne
Medizin
Nichtärztliche
Psychotherapeuten
Jugendärztlicher
Dienst
Zahnheilkunde
Schule
Sonderpäd. Dienste
Sozialhilfe
Schulpsychologie Gynäkologie
Psychiatrie
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Kinder und Jugendliche mit psychischer Behinderung
haben gemäß § 35a SGB VIII Anspruch auf
Eingliederungshilfe
wenn ihre seelische Gesundheit mit
hoher Wahrscheinlichkeit länger als 6
Monate von dem für ihr Lebensalter
typischen Zustand abweicht
und
daher ihre Teilhabe am Leben in der
Gesellschaft beeinträchtigt ist oder eine
solche Beeinträchtigung zu erwarten ist
44
Die Internationale Klassifikation der
Funktionsfähigkeit, Behinderung und
Gesundheit (ICF) der WHO (2001)
Die ICF ergänzt die ICD
Zusätzlich zur bio-medizinischen
Betrachtungsweise der ICD (Köperfunktionen
und -strukturen) werden in der ICF Aspekte
des Menschen als handelndes Subjekt
(Aktivitäten) unter der Maßgabe von
Selbstbestimmung und Gleichberechtigung in
der Gesellschaft (Teilhabe) einbezogen (biopsycho-soziale Betrachtungsweise)
45
Wechselwirkungen
zwischen den Komponenten des ICF
Gesundheitsproblem:
geistige und mehrfache Behinderung
Körperfunktionen
Umweltfaktoren
Aktivitäten
Teilhabe
Personenbezogene
Faktoren
46
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