Erhöhen Parallelimporte die Wohlfahrt in regulierten Märkten?

Werbung
Monatsthema
Erhöhen Parallelimporte die Wohlfahrt in regulierten Märkten?
Eine Welt ohne altruistisch
forschende Pharmaproduzenten
und erschwingliche Medikamente
wird erkranken. Darum wird beharrlich versucht, die Pharmaindustrie in ein komplexes Regulierungskorsett zu stecken:
Staaten verleihen Produzenten
beschränkte Monopole, um sie
zur Forschung zu bewegen; über
Preisregulierungen reduzieren
sie diese Monopolgewinne wieder, um Konsumentenpreise tief
zu halten. Zudem variieren die
Preisplafonds, die aus Verhandlungen hervorgehen, je nach Land
und Region. Kann unter diesen
Bedingungen eine Öffnung des
Der Bundesrat entschied sich dafür, das Parallelimportverbot bei patentierten Gütern beizubehalten. Es stellt sich
die Frage, ob patentierte Güter – insbesondere Pharmazeutika – wirklich so speziell sind, dass sie einer besonderen
Bild: Keystone
Behandlung bedürfen. Im Bild: Pharmazeutisches Forschungslabor.
internationalen Handels für
Pharmaprodukte der weltweiten
Wohlfahrt förderlich sein?
Diese Frage soll unter spezieller
Berücksichtigung der Schweiz
untersucht werden.
1 Siehe das Monatsthema in Die Volkswirtschaft 7/2003:
«Hochpreisinsel Schweiz».
2 Parallelimporte und Patentrecht. Bericht des Bundesrates in Beantwortung des Postulats (00.3612) WAK-N
und zu den verschiedenen Regulierungen im Markt für
Humanarzneimittel, November 2002, S. 7 (kurz: BR).
3 BR, S. 5.
Die Schweiz ist teuer. Das merkt der aus
dem Ausland heimkehrende Tourist. Internationale Preisvergleiche auf gesamtwirtschaftlicher Ebene bestätigen dies, so z.B. diejenigen
der OECD oder kürzlich des Staatssekretariats
für Wirtschaft (seco).1 Die Diagnose: mangelnder Wettbewerb im Inland. Die Medizin:
eine aktivere Wettbewerbspolitik. Durch eine
Verschärfung des Kartellgesetzes in Norm und
Vollzug sollen sich absprechende Firmen wieder den Prinzipien der Marktwirtschaft unterstellt werden.
Eine andere Option stellt die Öffnung von
geschützten und regulierten Märkten für den
internationalen Handel dar. Denn je geringer
die Importschranken, desto grösser der Kon-
Prof. Dr. Rolf Weder
Ordinarius für Ökonomie
und Europäische Integration, Wirtschaftswissenschaftliches Zentrum
(WWZ) und Europainstitut, Universität Basel
Guido Barsuglia
Mag. oec., Wissenschaftlicher Mitarbeiter und
Assistent, Wirtschaftswissenschaftliches Zentrum (WWZ) und Europainstitut, Universität Basel
21 Die Volkswirtschaft Das Magazin für Wirtschaftspolitik 10-2003
kurrenzdruck aus dem Ausland, was inländische Preise sinken lässt. Dass davon die
Konsumenten profitieren, ist klar. Und die
inländischen Produzenten? Einige dürften zumindest kurzfristig verlieren. Doch Handel ist
bekanntlich gut für eine Volkswirtschaft, solange die Gewinne der einen Seite die Verluste
der anderen Seite übersteigen.
Entscheid des Bundesrates
gegen einen Systemwechsel
«Mehr Wettbewerb dank Parallelimporten»
lautete denn auch eine Interpellation des Nationalrates im Jahre 1999 als Reaktion auf den
Kodak-Entscheid des Bundesgerichtes, welcher Parallelimporte patentgeschützter Güter
untersagte. Der Bundesrat antwortete damals,
dass «in gewöhnlichen Märkten» das Argument zutrifft und «aus wirtschaftstheoretischer (...) Sicht ein Systemwechsel – d.h. die
Zulassung von Parallelimporten – sachgerecht» wäre.2 Er bezweifelte aber, ob dies auch
für «preisregulierte Märkte (insbesondere
Arzneimittel)» gilt, und setzte verschiedene
Arbeitsgruppen zur Beantwortung dieser
Frage ein.
Aufgrund der Ergebnisse dieser Studien
«und unter Berücksichtigung politischer Erwägungen»3 kam der Bundesrat zum Schluss,
Monatsthema
Grafik 1
Internationaler Handel und Wohlfahrt
für «gewöhnliche» Güter
Beispiel Gemüsemarkt
Preis
A
PKART
D
PAUT
A
B
C
PWM
E
N
Q3
Q1
Q2
Menge
Quelle: Weder, Barsuglia / Die Volkswirtschaft
Kasten 1
Begriffe
Konsumentenrente: Differenz zwischen
dem Betrag, den die Konsumenten für verschiedene Mengen zu bezahlen bereit wären
(Grenzwertschätzung), und dem tatsächlichen Einkaufspreis. Entspricht der Fläche
zwischen Nachfragekurve und Preis.
Produzentenrente: Differenz zwischen
dem Verkaufspreis und den Grenzkosten, die
bei der Herstellung verschiedener Mengen
entstehen. Entspricht der Fläche zwischen
Angebotskurve und Preis.
Gesamtwohlfahrt: Summe aus Konsumenten- und Produzentenrente. Ziel ist es, diese
zu maximieren. Theoretisch ist jede Form der
Rentenumverteilung zwischen Konsumenten
und Produzenten möglich. Wir sehen dies
auch in Grafik 1. Selbst bei vollständiger
Kompensation der Produzentenverluste (A)
durch die Konsumenten steigt die inländische Gesamtwohlfahrt um (B+C). Alle könnten so besser gestellt werden.
4 BR, S. 17f.
5 Danzon, P. (1997), «Price Discrimination for Pharmaceuticals: Welfare Effects in the US and the EU», in:
International Journal of the Economics of Business,
Bd. 4, Nr. 3, S. 301–321.
6 Vgl. z.B. Infras/Basys (2002), Auswirkungen staatlicher
Eingriffe auf das Preisniveau im Bereich Humanarzneimittel, im Auftrag des Bundesrates, S. 41.
7 Zur grafischen Vereinfachung lassen wir die Grenzerlöskurven wie auch die aggregierte Nachfragekurve weg.
8 Z.B. Fiala, M., Clement, W. (2000), Empirische Grundlagen des österreichischen Pharmagrosshandels im
europäischen Vergleich, IWI, Wien.
dass sich ein Systemwechsel nicht aufdränge.
Die Einführung der internationalen Erschöpfung,so wird begründet,führe zwar «zu einem
geringen gesamtwirtschaftlichen Zusatznutzen», doch können die «negativen Signalwirkungen nicht wettgemacht werden». Dazu
gehören Punkte wie die Schweiz als «Trittbrettfahrerin» in Bemühungen der internationalen
Gemeinschaft zur Senkung der Arzneimittelpreise für Entwicklungsländer, die Abwanderung der forschungsintensiven Industrie, ein
Erscheinen auf der US «Watch-List» wegen
Verletzung wirtschaftlicher Interessen oder die
Preisgabe eines Verhandlungstrumpfes in den
WTO-Verhandlungen bei weiteren Marktöffnungen.4
Bei vielen stösst diese Nichtaufhebung des
Parallelimportverbots patentierter Güter auf
Unverständnis. Der heimische Markt bleibt
geschlossen und Medikamente sind weiterhin
– vielleicht gerade deswegen – in der Schweiz
teurer als in Resteuropa. Es stellt sich also die
Frage, ob patentierte Güter und insbesondere
Pharmazeutika wirklich so speziell sind, dass
sie einer besonderen Behandlung bedürfen.
In den folgenden Überlegungen setzen wir
uns mit Entscheid und Argumentation des
Bundesrates aus ökonomischer Sicht auseinander. Die Fragestellung ist, wie sich gleich
zeigen wird, alles andere als trivial, und der
Bundesrat tat gut daran, die Angelegenheit
sorgfältig untersuchen zu lassen.
22 Die Volkswirtschaft Das Magazin für Wirtschaftspolitik 10-2003
In Grafik 1, die sich in jedem Lehrbuch zur
Aussenwirtschaftstheorie findet, sei z.B. der
Markt für Gemüse dargestellt, welcher durch
die Angebots- (A) und Nachfragekurve (N)
für das Inland beschrieben wird. Wir nehmen
an, dass in der Ausgangssituation der Markt
durch ein Importverbot vollständig vom Ausland abgeschottet ist. Zahlreiche inländische
Produzenten buhlen um die Gunst der Konsumenten, wodurch sich inländischer Gleichgewichtspreis (PAUT ) und -output (Q1) ergeben. Die heimischen Gemüseproduzenten
erhalten insgesamt eine Rente in Höhe der
Fläche A+E, die Konsumenten eine Rente im
Ausmass von D. Dies sind die klassischen Produzenten- und Konsumentenrenten als Wohlfahrtsmass (vgl. Kasten 1). Was passiert nun,
wenn wir das Importverbot für ausländisches
Gemüse aufheben?
Der Marktpreis des kleinen Inlandes sinkt
auf das Weltmarktniveau (PWM), was die Konsumenten aus zwei Gründen besser stellt: Erstens können sie die alte Menge (Q 1) zu einem
tieferen Preis konsumieren, was ihnen eine
zusätzliche Rente (A+B) beschert. Zweitens
können sie ihren Konsum von Q 1 auf Q 2 erhöhen, was ihnen eine Zusatzfreude als Differenz
zwischen Grenzwertschätzung und Preis im
Umfang von C bereitet. Die Produzenten geraten unter Druck. Diejenigen mit Produktionskosten oberhalb des Weltmarktpreises
werden aus dem Gemüsemarkt aussteigen
und einer anderen, produktiveren Tätigkeit
nachgehen.Der inländische Output fällt in der
Folge von Q 1 auf Q 3. Der Profit der Produzenten sinkt um A. Kurz: Die Konsumenten
gewinnen, die importkonkurrierenden Produzenten verlieren. Die importierte Menge
entspricht Q 2–Q 3. Wichtig ist die Einsicht,
dass durch die Öffnung die Gesamtwohlfahrt
eindeutig im Ausmass der beiden Dreiecksflächen B und C ansteigt, was der Differenz
zwischen dem Gewinn der Konsumenten
(A+B+C) und dem Verlust der Produzenten
(A) entspricht.
Sollten die Produzenten in der obigen Ausgangssituation bemerkt haben, dass sie beschützt durch die Importschranke ihre Profite
mittels Kartellbildung in die Höhe treiben
können, so führt eine Abschaffung des Importverbotes zu einem noch grösseren gesamtwirtschaftlichen Gewinn. Dann läge nämlich
der Kartell- oder Monopolpreis (PKART) in der
Ausgangssituation über dem eingezeichneten
Autarkiepreis (PAUT) (gestrichelt eingezeichnet), mit dem Resultat höherer Profite und
einer tieferen Konsumentenrente. Das Entfernen des Importverbots zerschlägt jedoch sofort die Monopolmacht, und es bliebe den
Monatsthema
Produzenten – auch bei weiterem Liebäugeln
mit dem Kartell – nichts anderes übrig, als
zum Weltmarktpreis anzubieten. Moral der
Geschichte: War eine Wettbewerbsbehörde
während des Importverbotes noch stark gefordert,so kann diese bei offenen Grenzen ihre
Energien anderweitig einsetzen.
Charakteristika des Pharmamarktes
Inwieweit lassen sich diese Überlegungen
auf den Pharmamarkt übertragen? In Analogie müsste die Beseitigung des (Parallel-)Importverbots zu einer Wohlfahrtserhöhung im
Inland führen, weil zum einen billige Medikamentenimporte möglich werden und zum
anderen das Monopol auf dem inländischen
Markt eliminiert wird. Zur Beantwortung
dieser Analogiefrage müssen wir kurz auf
Charakteristika des Pharmamarktes eingehen,die eine Erweiterung unserer Analyse verlangen. Drei Eigenheiten unterscheiden ihn
vom gewöhnlichen Markt:
– Jeder Produzent hat ein «Quasimonopol»
auf seinem eigenen Präparat: «Quasi», weil
es in Konkurrenz zu ähnlich wirkenden
Substituten steht; «Monopol», weil der
Produzent eine gewisse Monopolmacht
bezüglich der Preissetzung besitzt.
– Jeder dieser Märkte ist in ein enges Regulierungskorsett eingebettet, wobei insbesondere die Preisregulierung ins Auge sticht. In
vielen Ländern wird eine Höchstpreisregulierung (Preisplafond) für pharmazeutische Produkte zwischen Produzent und
Behörden ausgehandelt. Je nach Verhandlungsstärke und Berechnungsmodi sind
die Preise somit von Land zu Land verschieden.
Grafik 2
Beispiel Pharmamarkt
Preis
Preis
Schweiz
Ausland
E
P
A
PGG
F
D
P*
B
P*
C
N
N*
Menge
GK
Menge
Quelle: Weder, Barsuglia / Die Volkswirtschaft
23 Die Volkswirtschaft Das Magazin für Wirtschaftspolitik 10-2003
– Pharmazeutische Produkte weisen einen
sehr hohen einmaligen Anteil an Forschungs- und Entwicklungsausgaben
(F&E) auf. Im Durchschnitt schätzt man
diese Fixkosten auf rund 20% der Verkaufserlöse, etwa fünfmal so viel wie in
der übrigen Industrie.5 In Anbetracht der
Eigenschaft von Wissen als öffentlichem
Gut vergeben Staaten Patente auf Erfindungen, wodurch Firmen das oben beschriebene Monopol auf Zeit und Raum
für ihr Präparat erst erhalten. Der Zeitrahmen beträgt in der Regel 20 Jahre und der
geografische Raum wird juristisch durch
das Erschöpfungsregime geschaffen, was
Möglichkeiten zur Preisdiskriminierung
eröffnet.
Über diese Charakteristika hinausgehend
ist für unsere Überlegungen wichtig, dass die
Schweizer Pharmaindustrie 90% ihres Umsatzes im Ausland erzielt.6
Parallelimporte und Wohlfahrt
im schweizerischen Pharmamarkt
Mit Hilfe von Grafik 2 sollen nun die
Effekte des internationalen Handels auf
den Pharmamarkt studiert werden. Sie setzt
sich aus zwei Diagrammen zusammen: links
dem Pharmamarkt Schweiz für ein bestimmtes Präparat und rechts dem ausländischen Markt für dasselbe Gut. Wir nehmen
an, dass genau ein Pharmaproduzent das
Produkt im In- und Ausland absetzt und
ihm dabei konstante Grenzkosten (GK)7 pro
Stück entstehen. Der Produzent stelle das
Produkt in der Schweiz her. Die Nachfrage
der Schweiz (N) sei bei gegebenem Preis kleiner und preisinelastischer als im Ausland
(N*). Die Preise im In- und Ausland sind reguliert.
In der Ausgangssituation sind die beiden
Märkte durch ein Parallelimportverbot voneinander getrennt. Pharmaproduzent und nationaler Preisregulator können so einen Preis
P in der Schweiz und einen Preis P* im Ausland festlegen. Empirische Beobachtungen
bestärken uns dahingehend, dass der Preis in
der Schweiz höher ist als im angrenzenden
Ausland.8 Da die Preise in beiden Märkten
über den Grenzkosten liegen, erzielt der Produzent eine positive Rente (Differenz zwischen Verkaufspreis und Grenzkosten). Pro
Stück ist diese in der Schweiz klar grösser. Mit
diesem ihm über den Patentschutz zugestandenen «Profit» deckt der Hersteller seine F&EAusgaben. Was sind nun die Effekte bei Aufhebung des Parallelimportverbots? Generell
wird der potenzielle Eintritt von Parallelimporten ein neues Preisgleichgewicht hervorrufen.
Monatsthema
Wie die Analyse zeigt, profitieren inländische
Konsumenten in der Regel von einem Systemwechsel von der nationalen zur internationalen Erschöpfung.
9
Die Möglichkeit, dass ein tieferer Preis im Erzeugerland einen noch tiefer regulierten Preis im Ausland
provozieren kann, klammern wir aus.
10 PGG kann der Weltmonopolpreis – Resultat der
Maximierung der aggregierten Nachfragekurve – sein,
muss es aber nicht.
11 Wir nehmen an, dass der Gleichgewichtspreis nicht
(stark) über den Monopolpreis hinausschiesst.
Bild: Keystone
Einfacher Fall: Preisübernahme vom Ausland
Beginnen wir mit dem einfachsten Fall:
einer Preisübernahme vom Ausland. Der
Schweizer Preis P sinkt durch eine Marktöffnung auf das ausländische Niveau P*. Dieser
Fall tritt dann ein, wenn entweder der schweizerische Pharmamarkt vernachlässigbar klein
ist und/oder der Preis im Ausland einmal
und unabänderlich festgelegt wurde. Wie
im Markt für gewöhnliche Güter entstehen
auch im Pharmamarkt folgende, in Grafik 2
nicht speziell eingezeichnete Wohlfahrtseffekte: Schweizer Konsumenten profitieren, der
Produzent verliert, die Gesamtwohlfahrt steigt
in der Schweiz und im Ausland verändert sich
nichts. In Summe steigt also auch die Weltwohlfahrt.
Neu zur vorigen «Gemüsemarktoptik»
kommt hinzu, dass die durch Marktöffnung
verlorene Rente bewusst der F&E zugestanden
wurde. Eine Umverteilung des Konsumentengewinns auf den Produzenten ist in der Praxis
nicht zu erwarten. Wie sich die Gewinnreduktion auf das Verhalten des Produzenten auswirkt, hängt davon ab, wie wichtig der schweizerische Markt für den Pharmaproduzenten
ist. Berücksichtigen wir, dass 90% des Umsatzes im Ausland erwirtschaftet wird, dann
dürfte der Effekt auf die gesamte Produzentenrente und damit die zukünftigen Forschungsanstrengungen gering sein. Kurz: Die
Schweiz profitiert als Ganzes von der Aufhebung des Parallelimportverbots. Der marginale Verlust des Produzenten trägt kaum spürbare Auswirkungen auf sein F&E-Verhalten.
24 Die Volkswirtschaft Das Magazin für Wirtschaftspolitik 10-2003
Es lohnt sich, hier noch etwas hypothetisch weiterzudenken. Man sieht nämlich aus
Grafik 2, dass obiger Rentenverlust sehr bedeutend wird, wenn der Preis im Ausland
ausserordentlich tief liegt – im Extremfall gerade auf den Grenzkosten (P*=GK). Dies
kann aus einer extrem restriktiven Preisregulierung oder einer sehr hohen Preiselastizität
in einem Ausland mit niedrigem Einkommen
herrühren. Unter diesen Umständen führt
die Aufhebung des Parallelimportverbotes
dazu, dass der Produzent nur noch die
Grenzkosten (d.h. die variablen Produktionskosten) decken kann. Über kurz oder
lang verschwindet in diesem Extremfall der
Pharmaproduzent durch die Marktöffnung
und mit ihm die Existenzgrundlage für neue
Medikamente. Ein Wohlfahrtsverlust für alle
Beteiligten. Ein alternatives Ergebnis bei
P*=GK wäre natürlich, dass der Produzent
schlicht das Ausland nicht mehr beliefert und
im Inland weiterhin zum Preis P sein Produkt
absetzt. Im Inland ändert sich durch die Aufhebung des Importverbotes gar nichts. Leidtragende sind allein die ausländischen Konsumenten.
Komplexer Fall: Preiseffekte auf das Ausland
Im komplexeren Fall bleibt der schweizerische Markt zwar klein, doch hat die erhöhte
Importnachfrage der Schweiz Preiseffekte im
Ausland zur Folge, dies als Resultat einer dort
entstehenden Knappheit. Wir unterstellen
auch, dass der Produzent Druck auf den ausländischen Preisregulator 9 ausübt. Damit ist
Monatsthema
Kasten 2
Optimales Regulierungssystem
in der Theorie
Man kann sich Regulierungssysteme
vorstellen, welche eine weltwirtschaftlich
optimale Allokation von Pharmaprodukten
ermöglichen – zumindest theoretisch. So
könnte man argumentieren, dass Pharmaprodukte auf der ganzen Welt zu Grenzkosten
verkauft werden sollen, was die Konsumentenrente maximiert. Die Forschung müsste
öffentlich finanziert oder vom Staat selbst
übernommen werden. Dies mutet etwas zentralistisch an und schafft auch bezüglich der
Forschungsanreize erhebliche Umsetzungsprobleme.
Bleiben wir also bei der Vergabe von
Patenten an den privaten Sektor. Glaubt
man an den engen Zusammenhang zwischen
erwartetem Monopolgewinn und Forschungsanstrengungen bzw. -erfolg, dann müsste
man für eine maximale Preisdiskriminierung
eintreten. Das Parallelimportverbot bleibt
bestehen und die Preisregulierung muss
fallen. Man spricht vom so genannten
«Ramsey-Pricing», wonach Länder mit einer
hohen Wertschöpfung bzw. hohem Einkommen einen tendenziell höheren Preis – und
damit höheren Beitrag an die Forschung –
bezahlen als andere Länder. Auf diese Weise
würde die Konsumentenrente maximiert,
die Produzentenrente müsste genau die
Forschungsanstrengungen abdecken.
Generell ist zu sagen, dass bei einer
Abschaffung der Preisregulierung in wirtschaftlich vergleichbaren Ländern vom Produzenten ohnehin ein ähnlicher (Monopol-)
Preis gesetzt würde und sich somit die Frage
nach Parallelimporten innerhalb solcher Regionen nicht mehr stellt. Zu überlegen wäre
in diesem Fall, ob allenfalls die Patentdauer
zu lang bemessen ist.
In der Praxis kann man solch «grosse
Würfe» selten bewerkstelligen. Vielmehr
geht es darum zu fragen, wie sich Veränderungen einer einzelnen Regulierung in einem
gemischten System von Regulierungen auswirken, das bereits suboptimal ist. Genau
das ist die Problematik, in der wir uns mit
den Parallelimporten bewegen. Die ökonomische Theorie lehrt, dass es in solchen
Fällen äusserst schwierig ist, allgemeine
Aussagen zu Wohlfahrtseffekten zu machen.a
a Bekannt geworden unter dem Begriff «Theory of the
Second Best» nach Kelvin Lancaster und Richard Lipsey.
in der Praxis zu rechnen, da das Verhalten von
Pharmaproduzenten in den Verhandlungen
mit den Preisregulatoren endogen ist.
Für die Bewertung einer Öffnung ist es
entscheidend, ob der Preis im Ausland vor der
Aufhebung des Parallelimportverbotes auf
Monopolpreisniveau oder aber darunter lag.
Der Grund liegt darin, dass eine induzierte
Preiserhöhung im Ausland den Profit des Produzenten tendenziell erhöht, wenn der Preis
vor der Marktöffnung unterhalb des Monopolpreises lag. Entsprach der Preis gerade dem
Monopolpreis, dann reduziert jede Preiserhöhung im Ausland den Profit des Produzenten.
Dieser Punkt sowie Wohlfahrtsimplikationen
für das In- und Ausland lassen sich anhand
von Grafik 2 veranschaulichen.
Preis im Ausland entspricht dem Monopolpreis
Nehmen wir zuerst an, der Preis P* im Ausland entspreche dem Monopolpreis. Ein Aufheben des Parallelimportverbotes führt tendenziell zu einer Angleichung der beiden
Autarkiepreise auf einen neuen Gleichgewichtspreis (PGG), der zwischen P und P*
liegt.10 Betrachten wir die Wohlfahrtseffekte:
Die schweizerischen Konsumenten gewinnen
(A+E); der Pharmaproduzent erfährt eine
Veränderung der Rente am schweizerischen
Markt (F-A) und im Ausland (D-C). Die
Fläche D-C stellt einen Verlust dar, weil jede
Abweichung vom lokalen profitmaximalen
Monopolpreis negativ ist. Die Auswirkungen
auf die Schweizer Gesamtwohlfahrt entsprechen der Summe der genannten Veränderungen von Konsumenten- und Produzentenrente: (F+E)+(D-C). So wird die Wohlfahrt
der Schweiz nur dann sinken, wenn das Ausland relativ gross ist und folglich der negative
zweite Term (Profitverlust im Ausland) den
positiven ersten Term übersteigt. Die ausländischen Konsumenten verlieren durch die
Öffnung im Umfang der Flächen D+B. Der
Anreiz auf die F&E-Tätigkeit ist negativ.
Preis liegt unterhalb des Monopolpreises
Nehmen wir nun alternativ an, dass der
Preisregulator den Produzenten in Verhandlungen dazu «verdonnert», den Preis P* so
anzusetzen, dass er unterhalb des Monopolpreises liegt. Dies ist realistisch, wenn der
Preisregulator einen gewissen Einfluss auf die
Preissetzung hat, und in der Praxis zu erwarten.Was passiert nun durch die Aufhebung des
Importverbotes im Inland? Wie zuvor soll
die Öffnung zu einer Angleichung der Preise
zum Gleichgewichtspreis (PGG) führen. Die
Wohlfahrtseffekte auf schweizerische und ausländische Konsumenten sind gleich wie zuvor.
Allerdings ist der Effekt auf den Pharmaproduzenten nun anders zu bewerten. Seine Profitveränderung setzt sich zwar nach wie vor
25 Die Volkswirtschaft Das Magazin für Wirtschaftspolitik 10-2003
aus den Flächen (F-A)+(D-C) zusammen,
doch ist der zweite Term jetzt positiv. Der
Grund liegt darin, dass die Marktintegration
eine Preiserhöhung im Ausland näher an den
ausländischen Monopolpreis provoziert, was
im Interesse des Produzenten ist.11 Falls der
Markt im Ausland zudem relativ gross ist,
überkompensiert dieser positive Effekt sogar
den Rentenverlust des Produzenten im Inland.
In diesem alternativen Beispiel führt eine
Aufhebung des Parallelimportverbotes nicht
nur zu einer Erhöhung der Konsumentenrente in der Schweiz, sondern aufgrund des preiserhöhenden Effektes im Ausland auch zu einer
Profiterhöhung des schweizerischen Produzenten. Die Wohlfahrt in der Schweiz steigt
klar an. Ausländische Konsumenten verlieren
hingegen wieder, doch wäre hier der Anreiz
auf die F&E positiv. In diesen beiden Beispielen mit einer induzierten Preiserhöhung im
Ausland beteiligen sich die ausländischen
Konsumenten vermehrt an den Kosten der
F&E.
Schlussfolgerungen
Hat der Bundesrat mit der Nicht-Aufhebung des Parallelimportverbots für patentierte Güter – insbesondere Pharmaprodukte –
richtig gehandelt? Falls es ihm nur um die
Auswirkungen auf die Gesamtwohlfahrt der
Schweiz ging, dann hat er wohl falsch entschieden.Wie unsere Analyse zeigt,profitieren
inländische Konsumenten in der Regel. Ihr
Gewinn dürfte in den meisten Fällen grösser
sein als ein allfälliger Verlust der inländischen
Pharmaproduzenten, dessen Grösse und Vorzeichen jedoch entscheidend von den induzierten Effekten auf die ausländischen Preise
abhängt.
Der Bundesrat entschied sich aus politischen Gründen gegen eine Aufhebung. Dieser
Entscheid kann aber durchaus ökonomisch
begründet werden, dann nämlich, wenn er das
Wohl der Welt vor Augen hatte (vgl. Kasten 2).
Nicht die Hinweise auf Forschungsverlagerung oder «Watch-List» stehen unseres Erachtens im Zentrum. Vielmehr ist die Einsicht
wichtig, dass in einem System von (undurchsichtigen) Preisregulierungen die Aufhebung
des Verbots langfristig negative Effekte auf
Konsumenten in ärmeren Ländern und auf
die weltweite F&E-Tätigkeit von Pharmafirmen haben könnte. Vielleicht waren ja diese
negativen Effekte mit den Begriffen «negative
Signalwirkungen» und «Trittbrettfahrerin»
gemeint.
Herunterladen