Grundlagen der Zellulären Biochemie

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Grundlagen der Zellulären Biochemie
Hämoglobin
Vorlesung zum Modul BCB P07
im Bachelor-Studiengang Biochemie Hannover
Prof. J. Alves, Institut für Biophysikalische Chemie, MHH
Hämoglobin das erste gut untersuchte Protein
Warum beginnen wir die Diskussion von Enzymen mit Myoglobin
und Hämoglobin, die gar keine Enzyme sind?
Hämoglobin war das erste Protein
 von dem Kristalle gezüchtet (1840 Friedrich Hünefeld) und zwischen Spezies
verglichen (1909 Edward Reichert und Amos Braun) wurden,
 dessen Molekulargewicht genau bestimmt wurde,
 dessen physiologische Funktion herausgefunden wurde,
 dessen pathogene Veränderung auf eine Punktmutation mit einem Einzelaminosäurenaustausch zurück geführt werden konnte (Sichelzellenanämie),
 von dem die ersten Röntgenkristallstrukturen (Myoglobin, 1958 John Kendrew,
Hämoglobin, 1976 Max Perutz) gelöst werden konnten und
 somit die ersten molekularen Erklärungen der Mechanismen der Funktion
aufgestellt wurden.
Speziell die Theorien zur kooperativen Bindung von Liganden und damit die Vorstellungen zu allosteren Beeinflussung von Proteinfunktion und Proteinstruktur
wurden am Hämoglobin entwickelt.
Außerdem ist die Bindung anderer Moleküle (hier Sauerstoffmoleküle) die Grundlage aller Funktionen, die Proteine übernehmen. Sie ist Voraussetzung für Strukturgebung, Katalyse, Kommunikation und Transport.
Aufgaben von Hämoglobin und Myoglobin
Beide Proteine sind an der Versorgung des Körpers mit Sauerstoff beteiligt.
Das Hämoglobin transportiert den Sauerstoff von
den Lungen in das Gewebe. Das Myoglobin in
Herz- und Skelettmuskeln übernimmt den Sauerstoff und stellt ihn für die Atmungskette zur Verfügung.
Durch die Bindung an die Proteine wird die Menge Sauerstoff pro Liter Flüssigkeit von 4,5 ml
physikalisch gelösten Sauerstoff auf 200 ml
transportierten Sauerstoff erhöht.
Bei kleinen Tieren, in denen Gewebe nie weiter
als ungefähr 1 mm von der Oberfläche entfernt
ist, reicht die Diffusion des Sauerstoffs zur Versorgung aus.
Auch bei uns spielt die Diffusion des Sauerstoffs
durch die Haut eine nicht zu vernachlässigende
rolle. Sie führt zusätzlich zur Beladung von Hämoglobin, wenn Arterien dicht genug an der
Oberfläche verlaufen.
Sauerstoffbindung durch Hämoglobin und Myoglobin
In der Graphik ist die Sauerstoffsättigung gegen den Partialdruck des
Sauerstoffs aufgetragen, der mit der
gelösten Sauerstoffkonzentration
direkt korreliert.
YO2 =
[ProtO2]
[Prot] + [ProtO2]
=
pO2
P50 + pO2
Bei dem hohen Sauerstoffpartialdruck
(pO2 = 100 Torr = 100 mmHg) in der
Lunge wird Hämoglobin mit Sauerstoff beladen. 95 % der Bindungsplätze sind besetzt.
Bei dem niedrigen Sauerstoffpartialdruck (pO2 = 30 mmHg) in den Kapillaren des
Gewebes gibt Hämoglobin den Sauerstoff ab. 55 % der Bindungsplätze sind
besetzt. Myoglobin in den Muskeln kann ihn dort aufnehmen (91 % Besetzung)
und für die gleichmäßige Versorgung der Mitochondrien mit Sauerstoff sorgen.
Neben der Speicherung von Sauerstoff scheint es dort auch eine Transportfunktion in den Zellen zu haben.
Wieso binden die beiden Protein Sauerstoff so unterschiedlich?
Häm bindet reversibel Sauerstoff
Porphyrine dienen mit unterschiedlichen Metallionen als
Liganden (anstelle der H-Atome) vielfältigen Aufgaben.
Die Elektronen werden über das gesamte Porphyrinsystem
verteilt, sodass die zentralen Stickstoffatome gleichmäßig
an das zentrale Metallion koordinativ gebunden sind.
Mg2+ ist in Chlorophyllen gebunden, die der Lichtabsorption dienen.
Fe3+ ist im Häm der Cytochrome gebunden, die Elektronen
aufnehmen und abgeben können (Fe2+  Fe3+).
Fe2+ im Häm der Globine kann reversibel O2 anlagern.
Dafür ist wichtig, dass eine weitere Koordinationsstelle des zentralen Fe2+-Ions fest durch ein Histidin
des Globins besetzt ist, während an der letzten Stelle O2 binden kann.
Die Farbe des Hämoglobins wechselt mit
der Sauerstoffbeladung von hellrot (arteriell) bis zu dunkel rotviolett (venös).
Strukturen von Hämoglobin und Myoglobin
Beide Proteine sind evolutionär verwandt, wobei Myoglobin als Monomer beiden
Untereinheiten des tetrameren Hämoglobins (22) ähnelt.
Identisch in - und -Hb, in beiden und Mb; invariant in Vertebraten-Hb und -Mb
Hämoglobin
Myoglobin
Die Globine gehören zu den all--Proteinen. Die -Helices bilden eine hydrophobe Bindungstasche, in der die
Häm-Gruppe gebunden ist. In ihr sind
noch zwei Histidine, die auf jeder
Seite neben dem Fe2+-Ion stehen.
Bindung von Sauerstoff an Myoglobin
Desoxy-Myoglobin
Animation
Oxy-Myoglobin
Im sauerstofffreien Myoglobin ist das Eisen
kaum zu dem proximalen Histidin aus der Ebene des Häms herausgezogen, obwohl eine Koordinationsstelle gegenüber nicht besetzt ist.
Der Sauerstoff wird zwischen dem Fe2+ und
dem distalen Histidin gebunden, das eine Wasserstoffbrücke mit dem Sauerstoffmolekül
ausbildet.
Vergleich Desoxy - Oxy
Die Sauerstoffbindung führt aber zu keiner signifikanten Änderung der Myoglobinstruktur.
Bindung von Sauerstoff an Hämoglobin
Desoxy-Hämoglobin
Oxy-Hämoglobin
Im sauerstofffreien Hämoglobin ist das Eisen
deutlich zu dem proximalen Histidin aus der
Ebene des Häms herausgezogen.
Der Sauerstoff wird auch hier zwischen dem
Fe2+ und dem distalen Histidin gebunden, das
eine Wasserstoffbrücke mit dem Sauerstoffmolekül ausbildet.
Vergleich Desoxy - Oxy
Die Sauerstoffbindung führt aber zu einer signifikanten kooperativen Änderung der Hämoglobinstruktur.
Sauerstoff moduliert die lokale Konformation
Helix F
proximales Histidin
Fe2+
Häm
Häm
Häm
Fe2+
Häm
O
O
Die Bindung des ersten Sauerstoffmoleküls an eine Untereinheit führt zu einer Konformationsumwandlung, die
sich durch das ganze Tetramer fortsetzt.
Die Desoxy-Hämoglobinstruktur wird
durch mehrere Salzbrücken in einem
gespannten Zustand gehalten. Dies
erschwert es dem ersten Sauerstoffmolekül, gebunden zu werden.
Dadurch werden Salzbrücken aufgebrochen und umorientiert, sodass das Tetramer in eine relaxiertere Konformation
kommt.
Weitere Sauerstoffmoleküle können
leichter gebunden werden.
Kooperativität der Bindung
Archibald Hill hat die Kooperativität, die zu der sigmoiden Bindungskurve des
Sauerstoffs durch Hämoglobin führt, 1910 zum ersten Mal beschrieben.
Dazu hat er in die Gleichungen den Hill-Koeffizienten n
(pO2)n
eingeführt, der die Kooperativität beschreibt und zwischen
YO2 =
1 und der Anzahl der Bindungsplätze liegt. Je größer n ist,
(p50)n + (pO2)n
desto stärker ist die Kooperativität.
Für eine Darstellung kann
man die Gleichung auch in
eine Geradengleichung umformen:
log
(
YO2
1 - YO2
)
= n log pO2 - n log p50
Aus Auftragungen nach dieser Gleichung kann man den
Hill-Koeffizienten ermitteln.
Er liegt für Hämoglobin zwischen 2,8 und 3,0. Das zeigt
eine starke Kooperativität
an.
Beschreibung der Kooperativität
Archibald Hill ging im Prinzip davon aus, dass alle Sauerstoffmoleküle auf einmal binden.
Tatsächlich aber müsste man mikroskopische Bindungskonstante für das erste, zweite, dritte und vierte gebundene Sauerstoffmolekül bestimmen (Gilbert Adair).
Das trägt wiederum nicht der Tatsache Rechnung, dass
die Umwandlung von der schlechter bindenden T-Form in
die besser bindende R-Form nicht notwendigerweise
nach Bindung des ersten Sauerstoffmoleküls erfolgen
muss.
Entsprechend sind allgemein zwei
Modelle für solche allosterischen
Aktivierungen von Proteinen entwickelt worden:
das Symmetriemodell
das Sequenzielle Modell
Beide können die Sauerstoffbindung gleich gut beschreiben.
pH-Effekt auf die Sauerstoffbindung (Bohr-Effekt)
Der pH-Wert hat einen deutlichen Einfluss auf die Sauerstoffbindung durch Hämoglobin: je saurer der pH-Wert desto leichter die Sauerstoffabgabe.
Desoxy-Hämoglobin bindet
Protonen besser als Oxy-Hämoglobin.
In den Erythrozyten werden
Protonen frei, wenn im Gewebe das dort produzierte
CO2 aufgenommen und in
Kohlensäure umgewandelt
wird.
Das CO2 hat auch direkten
Einfluss auf das Hämoglobin, indem es an die N-terminalen Aminogruppen
gebunden werden kann.
Auch dies geht besser im
Desoxy-Hämoglobin.
Das gebildete HCO3- wird über die Erythrocytenmembran gegen Cl- ausgetauscht.
Auch dieses bindet besser an Desoxy-Hämoglobin.
Alle drei Effekte ergänzen sich zum Bohr-Effekt, der den O2-Transport steigert.
Effekt von 2,3-Bisphosphoglycerat auf die Sauerstoffbindung
In den Erythrozyten kommen hohe
Konzentrationen des Metaboliten 2,3Bisphosphoglycerat vor, der in anderen Zellen wenig vorhanden ist.
Es wird sogar vermehrt gebildet, wenn
zum Beispiel in großen Höhen eine
schnelle Anpassung der Transportleistung gefordert ist.
2,3-Bisphosphoglycerat bindet auch
wieder besser an Desoxy- als an OxyHämoglobin.
So kann in vitro die Sauerstoffbindungskurve des Hämoglobins erst
durch entsprechende Konzentrationen
von CO2 und 2,3-Bisphosphoglycerat
an die von Blut angepasst werden.
Methämoglobin
Hämoglobin kann Sauerstoff nur transportieren, wenn das Eisen im zweiwertigen
Zustand bleibt.
Seine Oxidation zum Fe3+ wird aber nicht vollständig unterdrückt, weil es ja direkt
mit dem Sauerstoff in Kontakt ist. Es wird zum Methämoglobin.
Die Erythrozyten enthalten dafür
aber eine Methämoglobin-Reduktase, die die Konzentration von
Methämoglobin unter 1 % hält.
Ist dieses Enzym defekt, wie bei
Familien in Kentucky, die Nachfahren von Martin Fugate sind,
dann reichert sich Methämoglobin an und färbt das Blut charakteristisch blau.
Neben der Reduktion des Methämoglobins ist für die Erythrozyten auch wichtig,
das gebildete Superoxidradikal zu entgiften. Dafür enthalten sie die zwei Enzyme
Superoxiddismutase und Katalase.
Sichelzellanämie
Eine Punktmutation an der Position 6 von Glutamat zu Valin macht das DesoxyHämoglobin anfällig für eine Aggregation.
Das kann zu entsprechenden sichelförmigen Veränderungen des Erythrozyten in den Kapillaren des Gewebes
führen, die verstopfen können.
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