ZUSAMMENFASSUNG DER DISSERTATION Stability and change in academic, social, and emotional development from early adolescence to young adulthood - The interplay with negative life events and protective factors Julia Tetzner Eingereicht bei der Humanwissenschaftlichen Fakultät der Universität Potsdam im Februar 2014 Die menschliche Entwicklung ist durch eine Vielzahl von Ereignissen und Anforderungen gekennzeichnet, die Entwicklungsverläufe in die unterschiedlichsten Richtungen lenken können (vgl. Lerner, 2006). Die Entwicklung vom Jugendlichen zum jungen Erwachsenen stellt in diesem Zusammenhang eine besonders bedeutende Lebensphase dar, da sie Individuen vor eine Vielzahl normativer und non-normativer Herausforderungen stellt und darüber hinaus wichtige Implikationen für Entwicklungsverläufe im Erwachsenenalter hat (Spinks et al., 2007; Trzesniewski et al., 2006; Wang & Eccles, 2012). Insbesondere im akademischen, sozialen und emotionalen Bereich sind Jugendliche und junge Erwachsene bedeutsamen normativen Anforderungen ausgesetzt (vgl. Havighurst, 1972; Masten, Obradović, & Burt, 2005). Zusätzlich zur Bewältigung dieser normativen Anforderungen können Individuen zu unterschiedlichen Zeitpunkten des Entwicklungsprozesses mit non-normativen stressreichen Ereignissen konfrontiert sein. Die Anpassungsreaktionen auf solche kritischen Lebensereignisse und die daraus resultierenden Auswirkungen auf die Entwicklungsverläufe unterscheiden sich jedoch stark zwischen Personen (Brim & Ryff, 1980; Lucas, 2007). Die Resilienzforschung erklärt diese Unterschiede durch den Einfluss protektiver Faktoren, die es Individuen ermöglichen, kritische Lebensereignisse erfolgreich zu bewältigen (vgl. Keyes, 2004). Gegenstand der vorliegenden Dissertation ist eine detaillierte Betrachtung der Entwicklungsverläufe vom Jugendlichen zum jungen Erwachsenen im akademischen, sozialen und emotionalen Bereich. Unter einer ressourcenorientierten Perspektive wurde als erster Schwerpunkt der Arbeit der Frage nachgegangen, ob Entwicklungen in verschiedenen Lebensbereichen entwicklungsförderlich füreinander sind und ob sich eine positive Entwicklung im Jugendalter auch im Erwachsenenalter fortsetzt. Der Einfluss kritischer Lebensereignisse und protektiver Faktoren auf Entwicklungsverläufe vom Jugendalter zum jungen Erwachsenenalter bildete den zweiten Schwerpunkt der Arbeit. ZUSAMMENFASSUNG DER DISSERTATION Vor dem Hintergrund dieser zwei Themenschwerpunkte wurden insgesamt vier Teilstudien mit unterschiedlichen inhaltlichen Akzenten durchgeführt. Als Datengrundlage diente die Längsschnittstudie BIJU (Bildungsverläufe und psychosoziale Entwicklung vom Jugendalter zum jungen Erwachsenenalter; vgl. Baumert, Gruehn, Heyn, Köller, & Schnabel, 1997), die in sieben Erhebungswellen Entwicklungsverläufe vom Anfang der siebten Klasse bis zum Alter von 30 Jahren untersuchte (N = 10503). Im Zentrum der ersten Teilstudie („Development in multiple areas of life during adolescence - Interrelations between Academic, Social, and Emotional Development”) standen die Untersuchung der Struktur und Kontinuität von Entwicklungsverläufen in der akademischen Domäne (Schulleistung), der sozialen Domäne (wahrgenommene sozialen Anerkennung) und der emotionalen Domäne (Selbstwert) über den Verlauf des Jugendalters. Ein Fokus wurde dabei auf Zusammenhänge zwischen Entwicklungsverläufen gelegt. Anhand eines Cross-Lagged-Panel Modells sowie multivariater Wachstumskurvenmodelle zeigten die Ergebnisse dieser Untersuchung positive querschnittliche Zusammenhänge zwischen den Entwicklungsbereichen. Jugendliche, die bessere Leistungen in der Schule erreichten, nahmen sich im Mittel auch als sozial anerkannter wahr und berichteten einen höheren Selbstwert. Die Analyse längsschnittlicher Entwicklungsprozesse zwischen den Domänen zeigte keine Zusammenhänge zwischen der akademischen und sozialen Entwicklung. Es fanden sich aber entwicklungsförderliche Effekte der akademischen Leistung für die Entwicklung des Selbstwertes sowie bidirektionale entwicklungsförderliche Beziehungen zwischen der sozialen und emotionalen Entwicklung. Daran anknüpfend untersuchte die zweite Teilstudie („Predicting developmental outcomes in adulthood using domain-specific development in adolescence”) die Vorhersage von Entwicklungsoutcomes dieser drei zentralen Entwicklungsbereiche im jungen Erwachsenenalter (beruflicher Status, wahrgenommene soziale Unterstützung, Lebenszufriedenheit, Depressivität). Der Fokus lag dabei auf längsschnittlichen Vorhersagen vom Jugendalter zum jungen Erwachsenenalter innerhalb und zwischen Entwicklungsbereichen. Die Ergebnisse querschnittlicher Analysen im Erwachsenenalter zeigten positive Zusammenhänge zwischen den Entwicklungsoutcomes. Personen, die einen höheren beruflichen Status erreichten, berichteten dementsprechend im Mittel auch mehr soziale Unterstützung, eine höhere Lebenszufriedenheit und ein niedrigeres Ausmaß an Depressivität. Die Ergebnisse multivariater Wachstumskurvenmodelle und längsschnittlicher Regressionsanalysen zeigten jedoch auch, dass sich Entwicklungsoutcomes im Erwachsenenalter vorwiegend durch die Entwicklung im Jugendalter innerhalb der jeweiligen ZUSAMMENFASSUNG DER DISSERTATION Entwicklungsbereiche vorhersagen lassen. Nach Kontrolle längsschnittlicher Zusammenhänge innerhalb von Domänen, ließen sich ausschließlich bereichsübergreifende entwicklungsförderliche Effekte einer guten akademischen Leistung im Jugendalter für soziale und emotionale Entwicklungsoutcomes im Erwachsenenalter nachweisen. Ein zusätzlicher Fokus wurde dabei auf den prädiktiven Einfluss entwicklungsbedingter Veränderungen während des Jugendalters gelegt. Die Analysen belegten, dass ein stärkerer Leistungsanstieg zwischen dem Anfang der siebten Klasse und dem Ende der zehnten Klasse (zusätzlich zum Leistungsniveau) als Ressource für das Erreichen eines höheren beruflichen Status im Erwachsenenalter angesehen werden kann. In gleicher Weise stand ein Anstieg des Selbstwertes während des Jugendalters in Zusammenhang zu einer niedrigeren Depressivität im Erwachsenenalter. Teilstudie 3 („The protective role of optimism in coping with parental separation”) untersuchte die Auswirkungen der elterlichen Trennung für Entwicklungsverläufe im Jugendalter und den protektiven Effekt von Optimismus in der Bewältigung dieses kritischen Lebensereignisses. Zusätzlich wurde der Frage nachgegangen, ob sich diese Einflüsse zwischen akademischen, sozialen und emotionalen Entwicklungsverläufen unterscheiden. Mit Hilfe von latent-change-Modellen wurden sowohl kurzfristige Effekte der elterlichen Trennung während des zweiten Schulhalbjahres zum Ende der siebten Klasse als auch längerfristige Auswirkungen zum Ende der zehnten Klasse unter Kontrolle eines Ausgangslevels vor Eintritt des negativen Ereignisses untersucht. Die Ergebnisse zeigten negative Effekte der Trennung der Eltern für intraindividuelle Entwicklungsverläufe, unterschieden sich aber zwischen den Entwicklungsdomänen. Die Trennung der Eltern bewirkte einen kurzfristigen Einbruch der Schulleistung, hatte aber keine längerfristigen Auswirkungen auf die akademische Entwicklung. Die Analysen belegten zudem sowohl kurzals auch längerfristige negative Konsequenzen der elterlichen Trennung für den Selbstwert und ausschließlich längerfristige negative Effekte in der wahrgenommenen soziale Anerkennung. Optimismus zeigte generelle entwicklungsförderliche Zusammenhänge zu allen drei Entwicklungsbereichen. Optimisten erreichten demnach im Mittel bessere Schulleistungen, hatten einen höheren Selbstwert und nahmen sich selbst als sozial anerkannter wahr. Optimismus wirkte zudem als ein protektiver Faktor für die Bewältigung des kritischen Lebensereignisses der elterlichen Trennung in der akademischen Domäne, zeigte jedoch keinen protektiven Effekt für die Bewältigung der elterlichen Trennung in der emotionalen und sozialen Domäne. ZUSAMMENFASSUNG DER DISSERTATION Das Zusammenspiel kritischer Lebensereignisse, protektiver Faktoren und intraindividueller Entwicklungsverläufe stand auch im Zentrum der Teilstudie 4 („The interplay of negative life events and self-esteem - protective effects of high self-esteem and social support”). Es wurde der Zusammenhang zwischen dem Auftreten verschiedener negativer Lebensereignisse und der Selbstwertentwicklung im werdenden und jungen Erwachsenenalter analysiert (Selektions- und Sozialisationseffekte). Zudem wurde die protektive Wirkung eines hohen Selbstwertes und sozialer Unterstützung für die Bewältigung negativer Lebensereignisse untersucht. Die Ergebnisse von latent-change-Modellen sprachen gegen die Annahme von Selektionseffekten. Ein niedriger Selbstwert vor dem Auftreten negativer Ereignisse zeigte weder einen Zusammenhang zu einem häufigeren Auftreten spezifischer Lebensereignisse, noch zu einer größeren Anzahl negativer Ereignisse. In Übereinstimmung mit vorhergehenden empirischen Befunden zeigten sich kurzfristige Sozialisationseffekte für einen Teil der spezifischen negativen Lebensereignisse. Die Analysen belegten einen niedrigeren Selbstwert als Konsequenz der Trennung oder Scheidung der Eltern sowie der eigenen Trennung oder Scheidung, einem Umzug der Familie oder der eigenen Arbeitslosigkeit. Zudem zeigten sich sowohl kurz- als auch längerfristige negative Auswirkungen des Erlebens einer größeren Anzahl negativer Lebensereignisse für die Selbstwertentwicklung. Die Befunde belegten zudem die protektive Wirkung eines hohen Selbstwertes und einer hohen sozialen Unterstützung im Umgang mit negativen Lebensereignissen. So konnte gezeigt werden, dass sich negative Auswirkungen einer größeren Anzahl kritischer Lebensereignisse für die Selbstwertentwicklung sowohl durch einen hohen Selbstwert vor dem Eintritt der Ereignisse als auch durch stärkere soziale Unterstützung abmildern lassen. Mit Bezug auf die zwei inhaltlichen Schwerpunkte dieser Untersuchung können die Ergebnisse der vier Teilstudien wie folgt zusammengefasst werden. Bezüglich des ersten Themenschwerpunktes zur Beschreibung von Entwicklungsverläufen vom Jugendalter zum jungen Erwachsenenalter im akademischen, sozialen und emotionalen Bereich zeigten die Ergebnisse der empirischen Analysen (Teilstudien 1 und 2), dass eine positive Entwicklung in einem Lebensbereich nicht notwendigerweise als Ressource für Entwicklungserfolg in anderen Lebensbereichen zu betrachten ist. Obwohl wechselseitige Zusammenhänge zwischen Entwicklungsbereichen angenommen werden können, scheinen sich positive Entwicklungen vorwiegend innerhalb von Lebensbereichen fortzusetzen. Der zweite Themenschwerpunkt zum Einfluss kritischer Lebensereignisse und protektiver Faktoren auf intraindividuelle Entwicklungsverläufe wurde in den Teilstudien 3 und 4 untersucht. Die ZUSAMMENFASSUNG DER DISSERTATION Befunde zeigten, dass negative Lebensereignisse sowohl kurz- als auch längerfristige Auswirkungen auf intraindividuelle Entwicklungsverläufe ausüben können. Die Ergebnisse empirischer Analysen belegten zudem, dass einem hohen Optimismus, einem hohen Selbstwert und einer hohen sozialen Unterstützung ein protektiver Effekt in der Bewältigung kritischer Lebensereignisse zugeschrieben werden kann. Es konnte zudem gezeigt werden, dass sich sowohl die Auswirkungen kritischer Lebensereignisse als auch die Wirkung protektiver Faktoren zwischen Entwicklungsbereichen im akademischen, sozialen und emotionalen Bereich unterscheiden können und somit bereichsspezifisch zu betrachten sind. Die vorliegende Arbeit konnte einen Beitrag zur Erforschung intraindividueller Entwicklungsverläufe vom Jugendalter zum jungen Erwachsenenalter leisten, indem sie zeigen konnte, dass das Jugendalter eine wichtige Entwicklungsphase ist, die Weichenstellungen für weitere Entwicklungsverläufe beinhaltet. Der Mensch sollte dabei auch in der statistischen Modellierung von Entwicklungsprozessen als ein komplexes Individuum betrachtet werden, das seine Entwicklung vorwiegend innerhalb von Entwicklungsbereichen vollzieht, aber dennoch wechselseitige Beziehungen zu anderen Entwicklungsbereichen sowie Einflüssen der Umwelt aufweist. Diese Arbeit zeigte zudem wie wichtig es ist, eine ressourcenorientierte Sichtweise auf Entwicklungsverläufe einzunehmen, um nicht nur Risikobedingungen für Fehlanpassungen zu untersuchen, sondern zudem zu betrachten, unter welchen Bedingungskonstellationen Entwicklungen positiv verlaufen. ZUSAMMENFASSUNG DER DISSERTATION Literaturverzeichnis Baumert, J., Gruehn, S., Heyn, S., Köller, O., & Schnabel, K.-U. (1997). Bildungsverläufe und psychosoziale Entwicklung im Jugendalter (BIJU). Dokumentation – Band 1. Berlin, Germany: Max Planck Institute for Human Development. Brim, O. G., & Ryff, C. D. (1980). On the properties of life events. In P. B. Baltes & O. G. Brim (Eds.), Life-span development and behavior (pp. 367–388). New York: Academic Press. Havighurst, R. J. (1972). Developmental tasks and education (3d ed. [newly rev.]). New York: McKay. Keyes, C. (2004). Risk and Resilience in Human Development: An Introduction. Research in Human Development, 1(4), 223–227. doi:10.1207/s15427617rhd0104_1 Lerner, R. M. (2006). Developmental Science, Developmental Systems, and Contemporary Theories of Human Development. In W. Damon & R. M. Lerner (Eds.), Handbook of child psychology: Vol. 1. Theoretical models of human development (6th ed., pp. 1–17). New York: Wiley. Lucas, R. E. (2007). Adaptation and the Set-Point Model of Subjective Well-Being: Does Happiness Change After Major Life Events? Current Directions in Psychological Science, 16(2), 75–79. doi:10.1111/j.1467-8721.2007.00479.x Masten, A. S., Obradović, J., & Burt, K. B. (2005). Resilience in Emerging Adulthood: Developmental Perspectives on Continuity and Transformation. In A. J. Jensen (Ed.), Emerging adults in America: Coming of age in the 21st century. (pp. 173–190). Spinks, R., Arndt, S., Caspers, K., Yucuis, R., McKirgan, L. W., Pfalzgraf, C., & Waterman, E. (2007). School achievement strongly predicts midlife IQ. Intelligence, 35(6), 563–567. doi:10.1016/j.intell.2006.10.004 Trzesniewski, K. H., Donnellan, M. B., Moffitt, T. E., Robins, R. W., Poulton, R., & Caspi, A. (2006). Low self-esteem during adolescence predicts poor health, criminal behavior, and limited economic prospects during adulthood. Developmental Psychology, 42(2), 381– 390. doi:10.1037/0012-1649.42.2.381 Wang, M.-T., & Eccles, J. S. (2012). Social Support Matters: Longitudinal Effects of Social Support on Three Dimensions of School Engagement From Middle to High School. Child Development, 83(3), 877–895. doi:10.1111/j.1467-8624.2012.01745.x