Besteuerung: Steuerinzidenz (Prof. Dr. Thomas Kuhn), FIWI WS 14/15 ___________________________________________________________________________ Literatur: • Musgrave, R.A./Musgrave, P.B./Kullmer, L. (1993): Die öffentlichen Finanzen in Theorie und Praxis, Bd. 2, 5. Aufl., Tübingen: J.C.B. Mohr, Kapitel 12/13. • Rosen, H.S. (1992): Public Finance, 3. ed., Homewood: Irwin, chapter 13 (chapter 11 in alter Aufl.). • Kotlikoff, L./Summers L. (1987): Tax Incidence, in: Auerbach, A.J./Feldstein, M. (eds.) (1987): Handbook of Public Economics, vol. 2, Amsterdam: Elsevier. • Stiglitz, J.E. (1992): Economics of the Public Sector, 3. ed., New York: Norton, chapter 17. ___________________________________________________________________________ 1.1 Zum Inzidenzbegriff Steuerinzidenz: Behandelt das Problem: Wer trägt die Steuerlast? Gesetzliche Inzidenz: rechtliche Verpflichtung zur Steuerzahlung. Die gesetzliche Inzidenz muss nicht mit der ökonomischen Inzidenz (= tatsächliche Inzidenz) übereinstimmen: Problem der Steuerüberwälzung: Steuerüberwälzung liegt dann vor, wenn man die Traglast einer Steuer, die man gesetzlich entrichten muss, weitergeben kann. Beispiel: Mehrwertsteuer Mehrwertsteuer zahlt gesetzlich das Unternehmen. Bei Erhöhung der Mehrwertsteuer: → Preiserhöhung durch Unternehmen → Überwälzung auf Konsumenten bzw. Käufer der Waren ⇒ gesetzliche Inzidenz: Verkäufer ⇒ ökonomische Inzidenz: Konsument / Käufer Andere Gründe für das Auseinanderfallen von gesetzlicher und ökonomischer Inzidenz: Steuervermeidung: Verpflichtung zur Steuerleistung ist normalerweise eine Funktion einer ökonomischen Variablen / des ökonomischen Verhaltens, z.B.: Einkommensteuer = f(steuerbares Einkommen), wobei sich das steuerbare Einkommen aus Lohn, Gehalt, Kapitaleinkommen, Zinsen und Gewinnen (Dividenden), etc. zusammensetzt. Die Steuern beeinflussen die Höhe der Bemessungsgrundlagen (etwa die Arbeitsleistung, Arbeitszeit → Substitution Freizeit gegen Arbeit). Partialmodelle: Es werden drei Arten von Steuern unterschieden: 1. Produktsteuern: Mengensteuer oder Wertsteuer 2. Gewinnsteuer 3. Faktorsteuer Wie sieht die Steuerinzidenz aus? Partielle Gleichgewichtsbetrachtung: Reaktionen von Käufern Partialmärkten: a) vollständige Konkurrenz b) Monopol c) (Oligopol) 1.2 und Verkäufern Inzidenz einer Mengensteuer (bei vollständiger Konkurrenz) Mengensteuer: wird pauschal pro Einheit eines verkauften Guts erhoben (z.B. Mineralölsteuer: Pfennige pro Liter Benzin). Abb. 1: Gleichgewicht auf Markt mit vollständiger Konkurrenz (Gleichgewicht vor Besteuerung) p A A: Angebotskurve N: Nachfragekurve ⇒ Gleichgewicht: ( p0* , x0* ) * p0 N x0* x Nun wird eine Mengensteuer in Höhe von u erhoben: auf a) Gesetzliche Zahlungspflicht beim Käufer (Abb. 2) Eine Mengensteuer, dem Käufer auferlegt, führt zu einer parallelen Verschiebung der Nachfragekurve (wie sie für den Produzenten gilt). Begründung: Die marginale Zahlungsbereitschaft der Konsumenten bleibt gleich, der Produzent erhält aber nur p N ( x) − u . p N (x) : Nachfragekurve u: gehen an Fiskus. Neues Gleichgewicht: ( p *A , x1* ) ( p *N , x1* ) mit p *A : Preis, den Verkäufer erhalten (Nettopreis). p *N = p *A + u : Preis, den Käufer zahlen (Bruttopreis). Abb. 2: Mengensteuer auf Käufer bei vollständiger Konkurrenz p A p N* C D p0* p A* F E H A B N u N' x1* x0* x Charakteristika des Gleichgewichts: • x1* < x0* • p *N ist höher als p 0* aber p *N − p 0* < u , d.h. die Differenz zwischen altem und neuem Preis ist kleiner als die Steuer. Einen Teil der Last tragen daher die Produzenten: p 0* − p *A > 0 . In Renten ausgedrückt: (Verlust an Produzenten- / Konsumentenrente) • • • Verkäufer tragen: ABEH Käufer tragen: HECD Die Steuereinnahmen sind: ABCD → Rentenverlust > Steuereinnahmen ABECD > ABCD → Differenz: BEC. Diese Differenz heißt excess burden (Zusatzlast) der Steuer. Allgemein: Da eine Steuer ökonomische Entscheidungen verzerrt, entsteht ein Wohlfahrtsverlust, in Höhe der Differenz zwischen dem Verlust an Konsumenten- und Produzentenrente und den Steuereinnahmen. → excess burden (soziale Kosten der Besteuerung). b) Gesetzliche Zahlungspflicht beim Verkäufer (Abb.3) Angenommen: u wird vom Verkäufer getragen. Dies führt zu einer Verschiebung der Angebotskurve parallel nach oben mit Abstand u. Begründung: Angebotskurve spiegelt die Minimalkosten wieder (→ Mindestpreis), Steuer erhöht den Preis, den Unternehmen fordern, weil sie die Steuerzahlung an den Staat in den Preis einkalkulieren müssen, um einen mindestens kostendeckenden Preis zu erzielen: • Produzentenpreis: p A (x) • Konsumentenpreis: p N = p A ( x) + u neues Gleichgewicht in C: ( p *N , p *A , x1* ) Abb. 3: Mengensteuer auf Verkäufer bei vollständiger Konkurrenz A' p A u p N* C D p0* p A* H E F B A N N' * x1 x0 * x Die Preise und Mengen bei gesetzlicher Zahlungspflicht des Verkäufers entsprechen den Preisen und Mengen im Gleichgewicht bei gesetzlicher Zahlungspflicht des Käufers, daraus folgt: Grundsatz (I): Die Inzidenz einer Mengensteuer ist unabhängig davon, ob sie dem Verkäufer oder Käufer auferlegt wird. Formaler Beweis: gegeben.: p N ( x) = a − bx p A ( x) = c + dx → Gleichgewicht ohne Steuern: p A ( x) = p N ( x) ⇒ x0* = a−c b+d a−c p 0* = a − b ⋅ b+d → Gleichgewicht bei Mengensteuer u: ⇒ p N' ( x) = a − bx − u (Käufer) a−c−u < x0* b+d a−c−u p *N ( x1* ) = a − b ⋅ b+d p *A ( x1* ) = p *N ( x) − u b⋅u p *N ( x1* ) − p 0* ( x 0* ) = b+d ⇒ x1* = → Bruttopreis: → Nettopreis: → Preisänderung: Das gleiche Ergebnis ergibt sich, falls: p A' ( x) = c + dx + u denn es gilt: p N ( x ) = a − bx = c + dx + u = p 'A ( x ) ⇔ (Verkäufer) p N' ( x ) = a − bx − u = c + dx = p A ( x ) In beiden Fällen ist es möglich, einen Teil der Steuern zu überwälzen. → Die Anteile an der Steuerzahlung verteilen sich wie folgt: Produzent: ABFH ABCD bzw. Konsument: Grundsatz (II): Die Inzidenz hängt von den Angebots- und Nachfrageelastizitäten ab: 1. „Produzentensteuer“ 2. „Konsumentensteuer“ → Preiselastizität der Nachfrage → Preiselastizität des Angebots HFCD ABCD 1. Produzentensteuer: Nachfrage völlig inelastisch: (Abb. 4a) ( p *A = p 0* , p *N = p 0* + u ) vollständige Überwälzung, da ∆p = u , Nachfrage völlig elastisch: (Abb. 4b) keine Überwälzung möglich, da ∆p = 0 , ( p 0* = p *N , p *A = p 0* − u ) Es gilt: Je elastischer die Nachfrage, desto geringer die Überwälzung. Abb. 4a: Mengensteuer auf Anbieter bei vollständiger Konkurrenz und vollkommen preisunelastischer Nachfrage p A' N A u p N* ∆p tragen Konsumenten pA* = p0* x0* Abb. 4b: x Mengensteuer auf Anbieter bei vollständiger Konkurrenz und vollkommen preiselastischer Nachfrage p A' A p N * = p 0* u ∆p = 0 N tragen Unternehmen u p A* x1* x0* x 2. Konsumentensteuer: Angebot völlig elastisch: (Abb. 5a) ( p *A = p 0* , p *N = p 0* + u ) keine Überwälzung möglich, da ∆p = u , Angebot völlig inelastisch: (Abb. 5b) vollständige Überwälzung, da ∆p = 0 , Abb. 5a: ( p *N = p 0* , p *A = p 0* − u ) Mengensteuer auf Nachfrager bei vollständiger Konkurrenz und vollkommen preiselastischem Angebot p N N' p N* u * pA = p0* A u x1* Abb. 5b: x0* x Mengensteuer auf Nachfrager bei vollständiger Konkurrenz und vollkommen preisunelastischem Angebot p N A N' pN* = p0* p A* u x1* = x0* x