1 Wiederkäuerklinik Vetsuisse Fakultät Bern 20. August 2009 zum Thema Blauzungenvirus Serotyp 8 2 The Veterinary Journal Article in Press, Bovine infection with bluetongue virus with special emphasis on European serotype 8. Infektionen mit dem Blauzungenvirus bei Rindern mit spezieller Gewichtung des europäischen Serotyps 8 Fabiana Dal Pozzoa, b, Claude Saegermanb and Etienne Thirya, a Department of Infectious and Parasitic Diseases, Virology and Viral Diseases, Faculty of Veterinary Medicine, University of Liège, B-4000 Liège, Belgium b Department of Infectious and Parasitic Diseases, Epidemiology and Risk Analysis Applied to Veterinary Sciences, Faculty of Veterinary Medicine, University of Liège, B-4000 Liège, Belgium 1 Einleitung Das Blauzungenvirus (BTV=Bluetongue Virus) gehört zum Genus Orbivirus innerhalb der Familie Reoviridae. Es ist charakterisiert durch eine beträchtliche genetische Variabilität mit 24 verschiedenen Serotypen. BTV wird durch Culicoides-Stechmücken übertragen. Im August 2006 wurde mit dem Nachweis in den Niederlanden das Virus erstmals in Nordund Mitteleuropa in Blutproben von Kühen nachgewiesen, unmittelbar gefolgt von Fällen in Belgien und Deutschland. Innerhalb 2 Monaten verbreitete sich die Krankheit ostwärts über den Rhein und südwärts nach Luxemburg und Frankreich. Ende 2006 waren annähernd 1000 Betriebe von der Krankheit betroffen. Nach dem Stillstand im Winter 2006/07 verbreitete sich die Krankheit ab August 2007 wiederum sehr stark mit schlussendlich mehr als 200'000 infizierten Tieren (Mehlhorn et al.) im Jahr 2007. Dieser europäische BTV-8-Typ verursachte Krankheiten insbesondere bei den Schafen, aber auch bei den Rindern wo speziell Reproduktionsprobleme (Aborte, Totgeburten, Missbildungen) auftraten. Méroc et al. beobachteten eine deutliche Häufung (gegenüber dem Mittelwert der Jahre 2002-2005) der Anlieferung von toten Schafen in den Kadaverbeseitigungsanstalten unmittelbar nach neuen Ausbrüchen im Spätsommer 2007. Bei den Rindern wurden beinahe gleich viele tote Kühe angeliefert wie in den Vorjahren, jedoch deutlich mehr tote Feten. Während in endemischen Gebieten die BT-Infektion bei Rindern normalerweise ohne klinische Symptome abläuft, konnte beim Ausbruch in Mitteleuropa in den Jahren 2006/07 vermehrt klinische Symptome beobachtet werden. Eine ähnliche Häufung der 3 Krankheitssymptome wurde bei frühren Einbrüchen des Virus in eine naive Population auch schon gesehen (z. B: Portugal). 2 Empfängliche Wirtstiere Empfängliche Tiere für BTV (alle Serotypen) sind unter den Wild- und Haus-Wiederkäuer zu finden. Das Schaf ist das Wirtstier, mit den grössten gesundheitlichen Konsequenzen. Rinder werden in endemischen Gebieten als natürliches Reservoir angesehen, weil selten Krankheitssymptome auftreten und sie eine lange virämische Phase durchmachen. Mit wenigen Ausnahmen zeigen auch die Wildtiere keine klinischen Symptome. Spezialfälle: In Belgien wurde BTV-8 als Ursache einer tödlichen Infektion bei Yaks und 2 Luchsen gefunden, letztere vermutlich nach der Aufnahme von infizierten Feten und Kälbern. 3 Pathogenese Nach Aufnahme des Virus in den Körper durch den Stich eines kompetenten und infizierten Vektors gelangt das BT-Virus in den regionalen Lymphknoten. Dort findet eine erste geringgradige Replikation statt. Via Lymph- und Blutbahn und insbesondere mit Hilfe der Mononukleären Zellen gelangt das Virus an die Orte der sekundären Replikation, welches hauptsächlich Leber, Milz und grössere Lymphknoten sind. Es folgt darauf die Abgabe von grossen Mengen an Virus ins Blut. 3.1 Virämie Zwei virämische Phasen sind daher typisch für eine BTV-Infektion. Eine erste kurze auf tiefen Niveau und eine zweite lange auf hohem Niveau. Letztere ist epidemiologisch wichtig, weil in dieser Phase blutsaugende Vektoren das Virus aufnehmen können. In dieser Phase zirkuliert das Virus in Verbindung mit Blutzellen, insbesondere den Erythrozyten. Der Nachweis von BTV-RNA in Blutzellen gelingt bis 140-160 Tagen nach der Infektion, ein Intervall, das der Lebensdauer des Erythrozyts entspricht. Gleichzeitig können ab ungefähr Mitte dieser Phase keine Viren mehr isoliert werden. Es wird angenommen, dass die Tiere nicht mehr ansteckend auf den Vektor wirken. Zwei experimentell mit BTV-8 infizierte Kälber zeigten die typische Zeichen der Krankheit. Um eventuelle spezielle Eigenschaften von BTV8 in Bezug auf Virämie und Präsenz von infektiösen Viren im Blut abzuklären sind weitere Studien nötig. 3.2 Zelltropismus Die Infektionen mit europäischen BTV-8 zeigten bei den Kühen unerwartet häufig klinische Symptome. Gründe dafür müssen noch untersucht werden, aber es gibt verschiedene Hypothesen. Erstens eine erhöhte Virulenz von BTV-8: bei Schafen wurden jedoch ähnliche Morbiditäts- und Mortalitätsraten gesehen wie bei früheren Ausbrüchen in Europa (Lefèvre 4 et. al.). Zweitens eine naive Population ist empfänglicher für eine BTV-Infektion und zeigt eher Krankheitssymptome: dies wurde bereits aufgezeigt bei Neuausbrüchen in Portugal, Spanien und Israel (Lopez und Sanchez). Drittens eine Kombination von beiden und viertens das Auftreten von allergischen Reaktionen. Typ-1-Allergien werden bei sporadisch auftretenden klinischen Fällen von BT bei mehrfach Virus-exponierten Kühen als Ursache postuliert. 3.3 Infektionen des Reproduktionstrakts Vor dem jüngsten BTV-8 Ausbruch in Europa wurde die Fähigkeit die Plazentarschranke zu durchbrechen und kongenitale Infektionen zu verursachen nur bei zelladaptierten BTV Stämmen beobachtet (nach Züchtung in embryonierten Eiern oder auf Zellkulturen, Lebendimpfstoffe). Die undifferenzierten Zellen des sich entwickelnden Nervensystems in den Feten sind anfällig auf BTV. Im Speziellen können bis zum 130. Trächtigkeitstag Neuronen und Gliazellen in der subependymalen Platte nekrotisieren. Dies führt zu massiven ZNS-Missbildungen wie Hydranenzephalus (beinahe vollständige Absenz von Gehirnparenchym), Kleinhirnläsionen (Osborn 1994) und nachfolgendem Absterben des Feten. Wird der Fetus zu einem späteren Zeitpunkt infiziert, führt die selektive Zerstörung der Gliazellen zu Hirnzysten und dilatierten ventralen Ventrikel. Der Fetus ist ab ungefähr 175 Tagen Trächtigkeit fähig, neutralisierende Antikörper zu bilden. Nach dieser Immunokompetenz kann der Fetus überleben und er wird mit Virus spezifischen Antikörper geboren. Falls die Infektion in der zweiten Hälfte der Trächtigkeit stattfand, kann er bei der Geburt auch virämisch sein. Währen den BTV-Ausbrüchen 2006 – 2007 wurde eine höhere Inzidenz von angeborenen ZNS-Missbildungen beobachtet (De Clerq), welche identisch waren mit den Fällen bei adoptierten BTV-Viren. Der Nachweis von BTV-RNA im Gehirn und die tiefe oder abwesende Virämie deuteten darauf hin, dass die Infektion in einem frühen Trächtigkeitsstadium stattfand. Eine Studie, welche mittels PCR und Serologie Muttertiere und ihre Nachkommen vor der Kolostrumaufnahme testeten, konnte die transplanzetare Übertragung von BTV-8 bestätigen (DeClerq 2008). In der gleichen Studie wurden virämische und seronegative neugeborene Kälber entdeckt. Die Schlussfolgerung, dass es sich hier um persistent infizierte Kälber handelt (ähnlich wie BVD) ist verfrüht, weil die Tiere nicht lange genug untersucht wurden und weil die Infektiosität auf die Mücken nicht getestet wurde. 4 Virusübertragung Culicoides imicola, der wichtigste Vektor für BTV in Afrika und im Mittelmeeraum, hat seine Aktivität zwar in den letzten Jahren Richtung Norden ausgedehnt. Trotzdem war der Ausbruch von BT in Nord- und Mitteleuropa assoziiert mit anderen Culicoides Spezies, wie 5 die „einheimischen“ C. obsoletus and pulicaris. In beiden wurden BTV-RNA mittels PCR nachgewiesen, aber es konnten noch nie lebende Viren isoliert werden. Beide Spezies wurden sowohl im Gebäudeinnern wie auch während den Wintermonaten gefunden. Dies könnte eine Überwinterungsmöglichkeit für das Virus darstellen. C. imocola wurde in Deutschland nie nachgewiesen. Kürzlich gemachte Untersuchungen deuten darauf hin, dass die Übertragung von Rind zu Rind nicht ausschliesslich via Mücken als Vektor funktioniert. Die transplanzetare Übrtragung wurde bereits genannt. Eine Infektion durch BTV-haltige Nachgeburt, zu welcher Rindern Kontakt hatten, wird als weiterer möglicher Übertragungsweg beschrieben und die Verfütterung von Milch, vermischt mit BTV-haltigem Blut, führte bei Kälbern ebenfalls zu einer BTV-Infektion. 5 Klinische Symptome der BT-Krankheit bei Rindern Während den BT-Ausbrüchen 2006/07 in Nord- und Mitteleuropa waren Rinder häufiger infiziert worden als Schafe. Ob dies aufgrund einer veränderten Virulenz für Schafe oder wegen einer Verschiebung der Proportionen von Rind und Schaf zu tun hat, ist unklar. Verschiedene Berichte zeigten die häufigsten Symptome auf. Erhöhte Körpertemperatur wurde nicht immer beobachtet, jedoch Anorexie mit reduzierter Milchproduktion. Die frühesten und am häufigsten gesehenen Läsionen waren am Flotzmaul lokalisiert. Es handelte sich um Ulzerationen und Nekrosen, mit nachfolgender Krustenbildung. Einige Kühe zeigten Nasenausfluss. Häufig waren Ulcera auch in der Maulhöhle lokalisiert mit Symptomen von Hypersalivation und Regurgitieren. Perioculare Dermatitis wurde ebenfalls häufig diagnostiziert. Weitere Befunde waren lokalisierte Oedeme der distalen Gliedmasse mit Lahmheit und Entzündungen der Euter- und Zitzenhaut wie Erythema, Ulcus und Hautnekrosen. Eine gehäufte Anzahl von Fertilitätsproblemen wurde in Belgien beobachtet: Aborte, Totgeburten und Missbildungen kamen gegenüber den Vorjahren deutlich mehr vor. 6 Konklusion Der Ausbruch von BT-Krankheit in Nord- und Mitteleuropa 2006/07 zeigte neue Aspekte in Bezug auf Übertragung und Ausprägung der Krankheit auf. Der europäische BTV-8 Typ zeichnet sich gegenüber anderen Feldstämmen dadurch aus, dass er bei den Kühen deutlichere Symptome verursacht und dass er, wie die zelladaptierten Virenstämme, transplazentar den Fetus infizieren kann. 6 Weitere Kurzusammenfassungen zum Thema: 1 Entomological survey on vectors of Bluetongue virus in NorthrhineWestfalia (Germany) during 2007 and 2008. Mehlhorn H, Walldorf V, Klimpel S, Schmahl G, Al-Quraishy S, Walldorf U, Mehlhorn B, Bätza HJ. Das entomologische Monotoring-Programm (Entomologie = Insektenkunde), durchgeführt in 19 Betrieben in Nordrhein-Westfalen während den Jahren 2007 und 2008 zeigte auf, dass die Spezies Culicoides obsoletus und C. pulicaris die häufigsten waren und dass beide Spezies als Vektor für das BT-Virus funktionieren. Speziell C. obsoletus wurde über das ganze Jahr hindurch gefunden und auch innerhalb oder in der Nähe der Ställe während dem Winter. Es gibt also keine Vektor freie Periode. Wegen der Tatsache, dass keine NordwärtsMigration von „südlichen“ Culicoides Spezies, insbesondere von C. imicola, beobachtet werden konnte, muss die Globalisierung mit ihren intensiven Transporten von Tieren, Pflanzen und Gütern als Ursache für den Ausbruch in Zentraleuropa angesehen werden. 2 Evidence for transplacental transmission of the current wild-type strain of bluetongue virus serotype 8 in cattle. Desmecht D, Bergh RV, Sartelet A, Leclerc M, Mignot C, Misse F, Sudraud C, Berthemin S, Jolly S, Mousset B, Linden A, Coignoul F, Cassart D. Während dem Winter 2007/08 wurde eine noch nie dagewesene Häufung von Missbildungen im ZNS von neu- oder totgeborenen Kälbern beobachtet, welche routinemässig an die Veterinärfakultät in Liège, Belgien, zur Abklärung geschickt wurden. Die kongenitalen Veränderungen reichten von dünnwandigen Gehirnhälften, Hirnzysten variabler Grösse und dilatierten lateralen Divertikel bis zu Gehirnhälften, welche vollständig durch flüssigkeitsgefüllte Säcke ersetzt waren. Die Gehirnstamm-Strukturen waren üblicherweise vorhanden, aber das Kleinhirn war häufig missgebildet, mit Zysten oder ganz durch einen Flüssigkeit gefüllten Sack verdrängt. Da die Anzahl der zur Untersuchung eingeschickter Feten sich gegenüber früheren Jahren nicht geändert hatte, konnte diese Anhäufung nicht Zufall sein. Zusätzlich hatte man den Verdacht, dass ein Zusammenhang mit dem Ausbruch von BT in Belgien bestehen würde. Um die transplazentare Übertragung unter Feldbedingungen zu untersuchen, wurden 110 gepaarte Serumproben von Kühen und deren Kälbern in 65 verschiedenen Betrieben (vor der Kolostrumaufnahme) im Anschluss an einen Kaiserschnitt untersucht. 93% der Kühe waren seropositiv und 35% der Kälber ebenfalls. Da die transplazentare Übertragung von Antikörper sehr unwahrscheinlich ist, muss 7 angenommen werden, dass diese Kälber intrauterin infiziert wurden und nachfolgend Antikörper bildeten. a) Hydranencephalus bei einem 48 Stunden alten Kalb. Die Gehirnhälfte ist ersetzt durch eine dünnwandige flüssigkeitsgefüllte Zyste. Der Hirnstamm ist vorhanden, aber stark verkleinert. b) Porencephalie bei einem 2 Wochen alten Kalb. Zysten variabler Grösse sind erkenntlich in der grauen Substanz und der laterale Ventrikel ist dilatiert. c) Hydranencephalus bei einem totgeborenen Kalb: Reste der Gehirnhälfte erscheinen als eine 4mm dicke Wand, welche eine flüssigkeitsgefüllte Zyste umschliesst. 3 Transplacental infection and apparently immunotolerance induced by a wild-type bluetongue virus serotype 8 natural infection. De Clercq K, De Leeuw I, Verheyden B, Vandemeulebroucke E, Vanbinst T, Herr C, Méroc E, Bertels G, Steurbaut N, Miry C, De Bleecker K, Maquet G, Bughin J, Saulmont M, Lebrun M, Sustronck B, De Deken R, Hooyberghs J, Houdart P, Raemaekers M, Mintiens K, Kerkhofs P, Goris N, Vandenbussche F. Transbound Emerg Dis. 2008 Oct;55(8):352-9. Epub 2008 Jul 29. BTV-RNA (in der Milz) wurde mittels PCR bei 41% der abortierten Feten nachgewiesen, welche wegen Verdacht auf eine BT-Infektion untersucht wurden, da das Muttertier während der Trächtigkeit BT-Symptome gezeigt hatte. Demgegenüber standen 18.5% BTV-RNApositive Feten ohne speziellen BT-Verdacht. Serum- und EDTA-Proben, entnommen zwischen Dezember 07 bis März 08, von insgesamt 123 Kuh-Kalb-Paaren aus einer Region in Belgien mit grosser Verbreitung der BT-Krankheit standen zur Verfügung. Die Blutproben wurden vor der Kolostrumaufnahme entnommen und sie wurden auf BTV-RNA und Antikörper untersucht. Die Resultate sind in der nachfolgenden Tabelle aufgeführt. Kuh Antikörper A B C D E F G + + + + + + - 8 Kuh BTV-RNA - + + - - - - Kalb Antikörper - - + + + - - Kalb BTV-RNA - - + + - + - 105 3 2 3 4 3 3 Anzahl 3 Muttertiere waren bei beiden Untersuchungen negativ. Man kann annehmen, dass diese Tiere noch nie Kontakt hatten zum Virus. Ihre Kälber waren ebenfalls bei beiden Untersuchungen negativ (G). Bei den restlichen 120 Muttertieren konnte bei 115 keine BTVRNA nachgewiesen werden. Die Mehrheit der Kälber von AK-positiven Kühen war negativ in beiden Tests, so auch bei 3 Müttern wo gleichzeitig noch BTV-RNA nachgewiesen wurde (A & B). Insgesamt 12 Kälber waren zumindest bei einem Test positiv, was darauf schliessen lässt, dass sie in utero infiziert wurden. Bei 5 Kälbern konnten AK und RNA nachgewiesen werden (C & D). Von speziellem Interesse sind die 3 Kälber, bei welchen zwar BTV RNA aber keine BTV Antikörper nachgewiesen wurde (F). Diese Kälber können demzufolge als immuntolerant gegenüber dem BT-Virus angesehen werden. Bei einer Nachuntersuchung 1 Monat später waren 2 Kälber RNA negativ (das 3. konnte nicht untersucht werden). Die Seronegativität der untersuchten Kälber wurde mit der Aufnahme von Kolostrum und „Abdeckung“ des Virus durch maternale AK begründet (ähnlich zu BVD).