35 Konrad Lorenz Institut für Vergleichende Verhaltensforschung, KLIVV Leiter: Dustin J. Penn Ziele und Aufgaben Der Forschungsbereich des KLIVV ist die Verhaltensbiologie der Tiere, wobei vor allem die grundlegenden Fragestellungen zu den Mechanismen und der Entwicklung von Verhaltensweisen interessieren (d.h., Verhaltensbiologie, Verhaltensökologie und Soziobiologie). Tiere werden im Feld studiert als auch unter naturnahen Bedingungen und im Labor. Das ermöglicht Einblicke in die ökologischen Herausforderungen zu gewinnen, denen Tiere in der realen Welt gegenüber stehen. Der Schwerpunkt liegt auf dem Verhalten von Wirbeltieren (Vögel, Fische und Säugetiere) und Modell-Organismen (Hausmäuse und Zebrabärblinge). Letztere bieten eine Fülle an Informationen, die beim Studium ihrer wilden Artgenossen genutzt werden. Die Forscherinnen und Forscher setzen eine Vielzahl von Techniken ein, inklusive molekulargenetischer Analysen. Gerade wird der Einsatz neuester Methoden der Genomik erweitert. Der gegenwärtige Forschungsschwerpunkt ist die Sexuelle Selektion, welche Partnerwahl, Sexuellen Konflikt und Kooperation einschließt, da sie einen wesentlichen Bestandteil des Verständnisses der Evolution des Tierverhaltens liefert. Sexuelle Selek­ tion kann z. B. die Entwicklung der auffallenden Ornamente und des Balzverhaltens erklären, welche wohl zu den faszinierendsten Aspekten der Biodiversität zählen. Die Erkenntnisse der Verhaltensforschung können zum besseren Verständnis unserer eigenen Spezies dienen als auch Anwendung zur Behandlung von praktischen Problemen finden, insbesondere im Umweltschutz und in den biomedizinischen Wissenschaften. Arbeitsergebnisse der Jahre 2004–2005 Psychologinnen und Psychologen, Wirtschaftswissenschafterinnen und -wissenschafter und Werbefachleute wissen seit langem, dass menschliche Entscheidungen stark vom Verhalten anderer beeinflusst werden. Immer mehr Indizien legen nahe, dass dies auch im Tierreich zutrifft. Dr. Richard Wagner und Kollegen haben einen Artikel über „Public Information“ geschrieben, eine spezielle Art von Informationen, die Aufschluss über die Qualität von Individuen gibt. (Danchin, E. et al. 2004 Science 305: 478–491) Die Weibchen der Dreizehenmöwe, einer monogamen Seevogelart, stoßen häufig Sperma ihrer Paarungspartner ab, mit denen sie lange vor der Eiablage kopuliert haben. Weibchen, die altes Sperma behielten, legten oft Eier, die nicht schlüpften. Weibchen, die altes Sperma ausstießen, hatten einen höheren Schlupferfolg. Diese Studie zeigt zum ersten Mal in einer Tierart, dass Weibchen Sperma aufgrund des Alters wählen. (Wagner et al. 2004. Proc R. Soc. Lond. B. (Suppl.) 271: 134–137) Dr. Sarah Zala und Dr. Dustin Penn haben jahrzehntelange Forschung über chemische Schadstoffe zusammengefasst, die als „endocrine disruptors“ bekannt sind und eine Vielzahl an pathologischen Effekten auf das Verhalten von Menschen und anderer Arten haben. (Zala, S.M. & Penn, D.J. 2004. Animal Behaviour 68: 649– 664) Männliche Mäuse investieren die meiste Zeit ins Markieren ihrer Territorien, Weibchen untersuchen diese Geruchsmarkierungen. Eine Studie von Dr. Sarah Zala und Dr. Dustin Penn zeigte, dass diese tatsächlich ein sexuelles Signal sind und von Männchen verstärkt abgegeben werden, wenn sie sexuell stimuliert sind. Geruchsmarkierungen der Männchen sind zudem ehrliche Signale, die ihren Gesundheitsstatus widerspiegeln. (Zala, S. M., Potts, W. K. & Penn, D. J. 2004. Behavioral Ecology 15: 2. 338–344) Telomere, Schutzkappen an den Enden von Chromosomen, schrumpfen mit jeder Replikation und können deshalb als molekulare Marker zur Altersschätzung einzelner Tiere verwendet werden. Die Telomerlänge eines bestimmten Alters kann aber zwischen Individuen deutlich schwanken. Eine Studie am KLIVV deckte auf, dass diese – alterskorrigiert – ein brauchbarer Qua­ litätsindex von Individuen sein kann. (Pauliny, A., et al. 2005. Molecular Ecology 10: 1681–1687). 36 Konrad Lorenz Institut für Vergleichende Verhaltensforschung, KLIVV Abb. 1: Mikrobiologische Spurensuche im Labor. Lange dachte man, Individuen hätten ihren eigenen charakteristischen Körpergeruch, der durch Genetik beeinflusst wird. Dr. Penn leitet ein großes Projekt, um diese Idee zu prüfen. Er und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter veröffentlichten eine Studie über den Geruch von Zwillingen, der von menschlichen „Schnüfflern“ bewertet wurde. Die Resultate zeigen, dass der Geruch von eineiigen (“identischen”) Zwillingen ähnlicher zueinander ist, als der Geruch von zweieiigen („geschwister­ lichen“) Zwillingen. Das Ergebnis stützt die Idee, dass die Genetik Einfluss auf den menschlichen Körpergeruch hat. (Roberts, C. S. et al. 2005. Chem. Senses 30: 1–6) Vögel können UV-Licht sehen, welches für das mensch­ liche Auge unsichtbar ist. Weibliche Vögel bevorzugen Männchen, die Gefieder mit strahlender UV-Reflexion haben. Die Gruppe von Dr. Herbert Hoi konnte zeigen, dass Männchen sich putzen, um ihr UV-Reflexionsvermögen zu behalten. (Zampiga, E. et al. 2004. Ethology, Ecology & Evolution 16: 339–349) Man glaubte lange, die Übertragung von Vogelgesang in Wäldern werde durch Bäume behindert, da sie Schallwellen zurückstrahlen. Dr. Erwin Nemeth, Dr. Hans Winkler und Kollegen konnten aber zeigen, dass Vögel des tropischen Regenwaldes Anpassungen entwickelt Abb. 2: Ökologische Nistkästen für Vögel (Vordergrund) und Menschen. Konrad Lorenz Institut für Vergleichende Verhaltensforschung, KLIVV haben, um diese Echos auszunutzen, was möglicherweise die Übertragung bestimmter Wellenlängen verbessert. So können Vögel ihre Gesänge wahrscheinlich ähnlich ihrer Umwelt anpassen, wie Komponisten ihre Werke bestimmen Konzerthallen. (Nemeth, E. et al. 2006. J. of the Acoustical Society of America) 37 Vorschau auf die Jahre 2006–2007 • Erforschung Sexueller Selektion mit verstärkter Zusammenarbeit der Wissenschafter • Dr. Hoi und Dr. Penn erforschen das Sozialverhalten der hügelbildenden Ährenmaus (mit Dissertationsprojekt) • Gemeinsame Studie von Dr. Penn, Dr. Schaschl und Dr. Hoi über Sexuelle Selektion u. MHC-Gene beim Haussperling • Neuentdeckung, dass Mäuse vogelähnliche Gesänge haben, wird verfolgt (Studentenprojekt mit Dr. Winkler, Dr. Penn, Dr. Musolf ) • Erweiterung molekularbiologischer Methoden, um die Wechselwirkungen zwischen Genexprimierung und Verhalten zu untersuchen • Untersuchung der Wildformen von Mäusen und ­Zebrabärblingen mittels Genetik, Genomik, Proteonomik, Metabolomik u. a., um Verhalten besser zu verstehen • Prüfung von Mechanismen der Sensorik und Kommunikation • Erforschung der Gameten-Selektion (Spermakonkurrenz; postkopulatorische Partnerwahl) und der von Parasiten beeinflussten Sexuellen Selektion • Studien zur Funktion von Sozialverhalten und Lernen (öffentliche Information, ,Kopieren‘) bei Partner- und Habitatwahl mittels Fortschritten der Kognitionsund Hirnforschung. [1083]