Insulinbedarf für Essen und Trinken

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Insulinbedarf für Essen und Trinken
Die Menge für das Kurzzeit-Insulin zu den
Mahlzeiten wird meist in Form eines Spritzplanes
schriftlich festgelegt.
Ein Mensch mit Typ 1-Diabetes löst sich mit zunehmender Erfahrung von diesem Plan und entdeckt
seinen individuellen Insulinbedarf.
Dazu gibt es Tipps und Denkanstöße von
Dr. Rudolf Herrmann, Klinik Saale,
Bad Kissingen.
Die Menge des Kurzzeit-Insulins, das
zum Essen gespritzt oder als Bolus abgeben wird, bestimmt sich größtenteils
durch:
- den Kohlenhydratgehalt der Lebensmittel im Essen und Trinken
- den aktuellen Blutzuckerwert
Das entsprechende Spritzschema wird in
der Regel von der Diabetesberaterin
erstellt. Allerdings gibt es in der konkreten
Gestaltung erhebliche Unterschiede. Es
gibt Pläne mit Anpassungsregeln, die zu
allen Hauptmahlzeiten gleiche Zahlenwerte haben; es gibt aber auch solche, die sehr
differenziert sind und je nach Tageszeit
unterschiedliche BE-Faktoren und Korrekturzahlen enthalten.
Ein Diabetiker wird mit zunehmender
Erfahrung - durch intensive Insulin-Dosisanpassung und gezielte Blutzucker-Kontrollen und systematisches Überdenken
der Ergebnisse - sein individuelles Konzept finden. Dann werden seine Diabetesberater zu Begleitern und Mutmachern.
Für diesen Prozess des Selbstmanagements sind umfassendes Wissen, systematische Blutzucker-Messungen und eine
weitreichende individuelle Analyse notwendig. Die Bereitschaft, Neues auszuprobieren, und das Bedürfnis, daraus zu
lernen, sind Voraussetzung für ein diabetisches Selbstbewusstsein.
Wieviel Engagement und Zeit dabei
investiert werden, legt der Betroffene
selbst fest. Damit wird die Rolle des eher
passiv Leidenden getauscht mit der des
aktiv Entscheidenden.
Die Erfahrung lehrt auch, dass es
außer der Kohlehydratmenge der
Lebensmittel und dem aktuellen BZWert weitere Faktoren gibt, die die
zweckmäßige Menge an Kurzzeitinsulin
beeinflussen können:
- Eiweiß- und Fettanteil
der Nahrung
- Glykämischer Index der Lebensmittel
- aktuelle Insulinempfindlichkeit /
Ausmaß der Insulinresistenz
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- Steigt oder fällt der Blutzucker?
- Ist körperliche Aktivität geplant
oder hat diese stattgefunden?
- psychische Situation
- Sonderbedingungen:
Infekt, Cortisontherapie,
Alkoholgenuss, Muskelauffüll-Effekt,
Zyklus bei Frauen, Schwangerschaft,
usw..
Die Regulation des BZ und der damit
zusammenhängende Insulinbedarf sind
komplexe Vorgänge. Sie werden durch
vielfältige biologische Gesetzmäßigkeiten
festgelegt. Macht man sich diese Zusammenhänge bewusst, leuchtet unmittelbar
ein, dass ein starrer Spritz- und Korrekturplan nicht zum Erfolg führen kann. Stattdessen sind differenziertes Denken und
überlegtes Ausprobieren notwendig.
Je flexibler der Lebensstil,
desto mehr variiert die
erforderliche Insulinmenge!
Das gilt auch umgekehrt: Je strukturierter und gleichmäßiger der Tagesablauf ist,
desto starrer und übersichtlicher gestalten
sich meist die Regeln für die Insulinanpassung. Aber selbst wenn die äußeren Rahmenbedingungen annähernd gleich sind,
bringen genau definierte Spritzpläne nicht
in jedem Fall eine optimale Lösung.
Bei intensiver Beobachtung werden Sie
immer wieder feststellen, dass die Insulinmenge für ein Lebensmittel nicht ausschließlich von dessen Kohlehydratanteil
abhängt. Es ist zwar die wichtigste Ein-
flussgröße, aber auch der Eiweiß- und
Fettgehalt spielen eine Rolle. Die theoretische Empfehlung für die Nahrungszusammensetzung mit 50% Kohlehydraten, 15%
Eiweiß und 35% Fett entspricht meist nicht
den üblichen Ernährungsgewohnheiten.
Sammeln Sie also gezielt Ihre
eigenen Erfahrungen und
beobachten Sie kritisch, was
erfolgreich ist und was nicht.
Damit finden Sie Ihre eigenen Anpassungsregeln.
Essen und Trinken sind für uns Menschen nicht primär Kalorienversorgung
und Befriedigung des Nahrungstriebes,
sondern bedeuten auch Genuss, Freude,
Lust, Entspannung, Gemeinschaft, Spontaneität, Vielfalt, Individualität usw. ... .
Die freie Auswahl von Essen und Trinken ist heute insbesondere bei gezielter
BZ-Selbstkontrolle und geeigneter, erfahrungsorientierter Insulindosis-Selbstanpassung für Menschen mit Diabetes in
einem sehr großzügigen Umfang möglich.
Allerdings besteht die ständige Herausforderung darin, die geeignete Insulinsorte in der zweckmäßigen Menge und zum
richtigen Zeitpunkt an der passenden
Spritzstelle zu verabreichen, damit der
Blutzucker möglichst im Normbereich
bleibt. Die praktische Umsetzung im Alltag hat da durchaus ihre Tücken.
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Hat man den BE-Faktor durch gezielte
Beobachtung und geduldiges Ausprobieren herausgefunden, erreicht man bei Therapie mit einem kurzwirksamen Insulinanalogon mit einer ausgewogenen Mischkost im Regelfall drei bis fünf Stunden
nach der Mahlzeit wieder den BZ-Ausgangswert, falls keine Besonderheiten vorliegen.
Für die Berechnung gilt in diesem Fall
als Faustregel:
Menge an Nahrungsinsulin =
BE-Menge x BE-Faktor
Dabei empfiehlt sich für die Genauigkeit
des BE-Faktors im Bereich bis 2 eine
Zehntel-Abstufung, also nicht nur 0,5
bzw. 1 usw. sondern durchaus auch 1,1
oder 1,2 oder 1,3 IE/BE etc..
Bei schlechter Insulinwirkung und
dadurch bedingter größerer Menge an
Tages-Gesamtinsulin sind meist 0,5er
Schritte ausreichend, also 2 bzw. 2,5 usw..
BE-Faktoren über 3 sollten stets Anlass
zum Nachdenken und kritischen Überprüfen der Zweckmäßigkeit sein.
Da der Fett- und Eiweißanteil einer
Nahrung für den angemessenen Insulinbedarf meist eine gewisse Rolle spielen,
mögen folgende Anhaltspunkte beachtet
werden:
ausgeglichene Mischkost:
übliche Menge an Nahrungsinsulin,
also regulärer BE-Faktor
sehr kohlehydratreiche Kost:
Nahrungsinsulin um 1/4 verringern,
d.h. 70 - 80% des regulären BE-Faktors
kohlehydratarme Kost,
und folglich viel Eiweiß und /
oder Fett:
Nahrungsinsulin um 1/4 erhöhen,
also 120 - 130% des üblichen
BE-Faktors
Diese Ausführungen sind nicht als
zusätzliche Berechnungsvorschriften zu
sehen, sondern sie zeigen eine Richtung
für neue Erfahrungen. Der notwendige
Insulinbedarf für die verschiedenen Ernährungsgewohnheiten stellt sich im Einzelfall teilweise noch viel komplexer dar. Hier
geht es nur darum, einen sinnvollen Kompromiss zwischen Theorie und Praxis zu
finden.
Ein anderes Berechnungsverfahren geht
von ähnlichen Voraussetzungen aus, verwendet ganze Zahlen und führt notwendigerweise zu ähnlichen Ergebnissen:
- Kommt es nach sehr kohlehydratreicher Kost - also wenig bzw. kein Fett
und Eiweiß - häufig zu niedrigen BZ-Werten oder sogar zu Unterzuckerungen, dann
wird die übliche BE-Berechnung um eine,
zwei oder selten um noch mehr Insulineinheiten verringert.
- Wird nach kohlehyratarmen - also nach
sehr eiweiß- und/oder fettreichen - Speisen
meist eine starke BZ-Erhöhung beobachtet, spritzt man ein, zwei oder auch mehr
Einheiten zusätzlich zu der mit üblichen
Faktoren errechneten Insulinmenge.
Dabei kann man den persönlichen Erfahrungen entsprechend feinere Abstufung bei
der Insulindosis und der zeitlichen Verteilung vornehmen.
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Zum Schluss
noch ein Denkanstoß zur Relation zwischen Nahrungsinsulin und basalem Insulin: Bei ausgeglichener Ernährung, d.h.
wenn das Körpergewicht sich nicht ändert,
und bei ansonsten stabilen Verhältnissen
(übliche körperliche Aktivität, kein Infekt,
kein besonderer Stress etc.) ist die tägliche
Gesamtmenge an Verzögerungs- bzw.
Basalinsulin in etwa so groß wie die Summe der Nahrungsinsulin- bzw. Bolusgaben. Das heißt
Basalinsulinmenge =
Bolusinsulinmenge.
Erhebliche Abweichungen davon
sollten ein Grund zum
Nachdenken sein.
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Diazink
s/w
wie Insuliner 91, Seite 65
Eine wichtige Herausforderung bei der
Versorgung mit Verzögerungsinsulin ist es,
den tatsächlichen basalen Insulinbedarf so
gut es geht zu ermitteln. Wenn das gelingt,
ist eine wichtige Grundlage gegeben, um
das Essens- und Korrekturinsulin geeignet
zu berechnen.
Aber Vorsicht:
Auch der Bedarf an basalem Insulin
kann situationsabhängig verschieden
sein.
Dr. Rudolf Herrmann
Egerlandstraße 11
97688 Bad Kissingen
[email protected]
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