P O L I T I K MEDIZINREPORT Tonsillopharyngitis Je nach Alter deutliche klinische Unterschiede Schnelltests für den Nachweis von A-Streptokokken erlauben in der Praxis eine Diagnose innerhalb von Minuten. D ie Entscheidung für oder gegen eine Antibiotikatherapie bei Tonsillopharyngitis ist eine der häufigsten Fragestellungen in der allgemeinärztlichen und kinderärztlichen Praxis. Zu zwei Dritteln sind Kinder und zu einem Drittel Erwachsene betroffen. Virale Ursachen werden bei Kindern für bis zu 90 Prozent der Fälle verantwortlich gemacht. Mit steigendem Alter jedoch nimmt der Anteil der bakteriell bedingten Infektionen zu, für die in mehr als 90 Prozent der Fälle betahämolysierende Streptokokken der Gruppe A verantwortlich sind. Einer der wesentlichen Gründe für das rezidivierende Auftreten der Streptokokkenangina ist die Variabilität der AStreptokokken mit 80 verschiedenen Serotypen. Immunität wird jeweils nur für den die Infektion verursachenden Serotypus erworben. Die Tonsillopharyngitis ist im dritten bis fünften Lebensjahr am häufigsten. In den ersten eineinhalb Lebensjahren wird die Streptokokkenangina praktisch nicht beobachtet. In dieser Lebensphase sind nach einer Untersuchung von Prof. Josef-Peter Guggenbichler (Erlangen) die Haftrezeptoren für A-Streptokokken noch nicht ausgebildet. Der Altersgipfel für die Streptokokkenangina liegt bei den Kindern zwischen sechs bis 15 Jahren. Schnelltests für den Nachweis von A-Streptokokken ermöglichen heute auch in der Praxis eine rasche Diagnose, die innerhalb 15 Minuten zur Verfügung steht. Der Test besitzt bei Erwachsenen eine Sensitivität von 70 bis 85 Prozent bei einer Spezifität von mehr als 90 Prozent. Wenn der Test trotz klinischen Verdachtes für eine Streptokokkeninfektion negativ ist, muß zusätzlich ein Rachenabstrich im Transportmedium zur mikrobiologischen Untersuchung eingesendet werden. Dasselbe gilt in Fällen, die auf die Therapie nicht angesprochen haben. Hier sind eine Erregerdifferenzierung und Empfindlichkeitsprüfung erforderlich. Aus Kostengründen wird auf die mikrobiologische Diagnostik häufig verzichtet und die Entscheidung: virale oder bakterielle Infektion anhand der klinischen Symptome gefällt. Aus den anamnestischen Daten, dem klinischen Befund und besonders dem Lokalbefund ist es dem erfahrenen Arzt nach Prof. Wolfgang Elies (Bielefeld) in 90 Prozent der Fälle möglich, eine Streptokokkenangina von einer viral bedingten Tonsillopharyngitis zu unterscheiden. In der klinischen Symptomatik der Streptokokkenangina sind bei Erwachsenen und Kindern deutliche Unterschiede festzustellen. Beim Erwachsenen gilt die rein rote Tonsillenschwellung als typisch für die viral bedingte Tonsillopharyngitis. Gelbe Beläge weisen auf eine Streptokokken-Ätiologie, weiße Beläge auf eine Mischinfektion hin. Goldstandard: Penicillin V Der in der Praxis mittels Nycocard bestimmbare CRP-Wert bietet nach Erfahrung von Elies bei Erwachsenen einen guten Anhalt für das Vorliegen einer bakteriellen Infektion. Bei Wirksamwerden der antimikrobiellen Therapie fällt er rasch ab. Beim Kind ist der Lokalbefund der Streptokokken-Tonsillopharyngitis charakterisiert durch düster-rote, glasige Schwellung der Tonsillen, entsprechend einer phlegmonösen Ent- A-2450 (30) Deutsches Ärzteblatt 95, Heft 40, 2. Oktober 1998 zündung mit Petechien am weichen Gaumen und einer weichen, schmerzhaften Schwellung der regionalen Lymphknoten. Zusammen mit den Allgemeinsymptomen ist eine Entscheidung nach klinischen Kriterien in vielen Fällen möglich. In einer Studie mit über 300 Kindern konnte Guggenbichler bei Vorliegen der entsprechenden klinischen Symptomatik in 91 Prozent der Fälle A-Streptokokken aus dem Rachenabstrich isolieren. Im Kindesalter erwies sich der CRP-Test bei eitriger Tonsillopharyngitis im Akutstadium als wenig hilfreich, da der Anstieg erst mit Verzögerung erfolgt. Ohne adäquate Antibiotikatherapie treten in zwei Prozent der Fälle von Streptokokken-Tonsillopharyngitis eitrige Komplikationen wie der Peritonsillarabszeß und in drei Prozent immunologische Komplikationen wie rheumatisches Fieber und Glomerulonephritis auf. Ziel der Antibiotikatherapie ist daher nicht nur die Linderung der akuten Beschwerden und die Eradikation des Erregers, sondern vor allem auch die Prävention der gravierenden Sekundärkomplikationen. Aus diesem Grund sollte man sich nach Prof. Wolfgang Graninger (Wien) nicht auf das klinische Bild verlassen, sondern eine gesicherte ätiologische Diagnose stellen. Vielen Ärzten der jüngeren Generation fehlt, wie Graninger hervorhob, Erfahrung mit akutem rheumatischen Fieber, das sporadisch nach wie vor nicht nur bei Kindern und Jugendlichen, sondern auch bei Erwachsenen auftritt und nicht selten verkannt wird. Ausbrüche von akutem rheumatischen Fieber wurden in den letzten Jahren in den USA mehrfach beobachtet. Das Risiko der rheumatischen Herzschädigung nimmt mit der Zahl der Schübe von rheumatischem Fieber zu. Goldstandard der Therapie ist nach wie vor die 1953 von der American Heart Association empfohlene und seitdem erfolgreich praktizierte Behandlung mit Penicillin V für zehn Tage. Die Dosierung liegt bei Kindern nach Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI) bei zweimal 100 000 IE/kg KG bis maximal 1,8 Millionen Einheiten, bei Erwachsenen liegt die mittle- P O L I T I K MEDIZINREPORT re empfohlene Tagesdosis bei 1,5 bis lich seinen festen und unbestrittenen in Studien in der Therapie der Streptodrei Millionen IE, aufgeteilt in zwei Platz. kokkenangina als hochwirksam erwieEinzeldosen. Als Alternativen werBei Makrolidantibiotika muß mit sen. Aufgrund ihres breiten Wirkungsden von der DGPI und der Paul-Ehr- Resistenzentwicklung von A-Strepto- spektrums beeinträchtigen sie jedoch lich-Gesellschaft für Chemotherapie kokken gerechnet werden. Die Resi- stärker die körpereigene Flora und e.V. Cephalosporine und Makrolide stenzrate ist in Deutschland mit stehen bei breiter Anwendung in vorgeschlagen. Alle empfohlenen durchschnittlich zwei bis drei Prozent ihrem eigentlichen Indikationsbereich Substanzen haben sich hinsichtlich niedrig. Als warnendes Beispiel führ- bei schweren Infektionen nicht mehr klinischen Ansprechens und Erreger- te Graninger Erfahrungen in Finn- zur Verfügung (Graninger). eradikation als erfolgreich erwiesen. land an. Nach jahrelangem ausDie Rezidivneigung bei StreptoDie Befolgung der Therapie- schließlichen Gebrauch von Makroli- kokkenangina löst bei Ärzten, Eltern richtlinien, ist, wie Elies hervorhob, den zur Behandlung kindlicher Atem- und Patienten häufig Irritationen verbindlich. Die Übersicht über die wegsinfektionen kam es 1990 zu ei- aus. Bei adäquat durchgeführter Antibiotikaverordnungen bei Tonsil- nem Anstieg der Resistenzquoten auf Therapie muß davon ausgegangen lopharyngitis aus dem Jahr 1997 (Gra- 28 Prozent. Diese Situation erwies werden, daß eine Neuinfektion durch fik) läßt erkennen, daß immerhin in sich nach Änderung der Antibiotika- einen der 80 Serotypen erfolgte, ge6,6 Prozent der Fälle ungegen den der Patient noch Grafik eignete Antibiotika gegekeine Immunantwort entben wurden wie Co-Trimowickelt hatte. xazol oder Tetrazykline, In klinischen Studien Verordnete Antibiotikagruppen zur Tonsillitistherapie was ebenso wie das Unwurde festgestellt, daß es terlassen einer Antibiotiunter Behandlung mit PeniCotrimoxazol 3,0% katherapie bei Infektion cillin bei kulturell nachgeTetracycline 3,3% durch A-Streptokokken als wiesener A-StreptokokKunstfehler anzusehen ist. ken-Infektion in zehn bis 30 Penicillin 54,3% Cephalosporine 10,9% An Penicillin als MitProzent zu Therapieversatel der ersten Wahl bei gen kommt, obwohl Penidurch A-Streptokokken cillin gegen A-Streptokokausgelösten Infektionen ken unvermindert wirksam Aminopen. 10,9% wie Streptokokkenangina, ist. Die Gründe hierfür sind Scharlach, Erysipel und – nach wie vor nicht vollstäninsgesamt 4800000 dem in jüngster Zeit wieder dig aufgeklärt. Hypothesen Verordnungen 1997 Makrolide 17,5% häufiger beobachteten und wie Toleranzentwicklung verkannten – Puerperalfieder A-Streptokokken geber sowie der nekrotisierenden Faszi- strategien als reversibel. Heute kann gen Penicillin oder die Zerstörung von itis und dem Toxic-Shock-Syndrom auch in Finnland wieder mit Makroli- Penicillin durch b-Lactamase-bildende Keime der oralen Flora konnten wird mit gutem Grund festgehalten. den therapiert werden. Penicillin besitzt eine unübertroffene, Orale Cephalosporine stellen bei der kritischen Evaluierung und experasche Bakterizidie gegen Strepto- Überempfindlichkeit gegen Penicillin rimentellen Überprüfung nicht standkokken. Trotz des Einsatzes über und bei Versagen einer Penicillinthe- halten. Verminderte Resorption bei mehr als ein halbes Jahrhundert sind rapie (kein Fieberabfall und Reduktidie A-Streptokokken lückenlos emp- on des Krankheitsgefühls nach zwei Nichtbeachten der Einnahme auf findlich gegen Penicillin geblieben. Tagen) laut Elies eine sichere Alter- nüchternen Magen oder hohes Fieber Penicillin ist, wie Graninger her- native dar. Cephadroxil, ein Cepha- sind entscheidende Gründe für eine vorhob, hervorragend verträglich. Es losporin der ersten Generation mit Beeinträchtigung der Penicillintherahat von allen Antibiotika den gering- langer Halbwertszeit, besitzt ausge- pie. Wenn die Empfehlung Guggensten Einfluß auf die natürliche Darm- zeichnete Wirksamkeit gegen die bichlers, Penicillin V bei kleinen Kinflora. Die große therapeutische Breite Haupterreger der Tonsillopharyngitis dern in altersgerechter Dosierung in erlaubt die Anwendung hoher Dosen. und nahezu 100prozentige Bioverfüg- den ersten zwei Tagen in achtstündliBei Schwangeren und Kindern kann barkeit (auch bei gleichzeitiger Nah- chen Intervallen nüchtern zu verabreiPenicillin ohne Gefahren eingesetzt rungsaufnahme). Aufgrund seiner chen, eingehalten wird, ist mit einer werden. Nicht zu vernachlässigen ist, Pharmakokinetik muß es zur Behand- Erfolgsquote von 96 bis 99 Prozent daß Penicillin besonders preisgünstig lung der bakteriellen Tonsillopharyn- hinsichtlich klinischen Ansprechens ist. Der Beweis einer Präventivwir- gitis nur einmal täglich gegeben wer- und Erregereradikation zu rechnen. kung gegen die sekundären Kompli- den. Nach Guggenbichler werden mit Viele Eltern halten aber die konsekationen der Infektion mit A-Strepto- Cephadroxil klinische und bakteriolo- quente Applikation nicht durch. Einkokken liegt nur für Penicillin in gische Heilungsraten von bis zu 96 fachere Therapieschemata haben sich daher in der Praxis vielfach durchgezehntägiger Therapie vor. In der Pro- Prozent erreicht. phylaxe des rheumatischen Fiebers Orale Cephalosporine der zwei- setzt. Dr. Elisabeth Gabler-Sandberger behält Penicillin, so Graninger, folg- ten und dritten Generation haben sich A-2452 (32) Deutsches Ärzteblatt 95, Heft 40, 2. Oktober 1998