Das Salz in der Suppe: vom weißen Gold zum Killer von Brigitte Neumann Unsere Vorfahren führten Kriege, um an die heiß ersehnten Kristalle zu gelangen, und viele Kaufleute vergangener Jahrhunderte verdankten ihren unermeßlichen Reichtum dem "weißen Gold". Das Salz war ein wertvolles Zahlungsmittel, das fast überall auf der Welt sämtliche Türen öffnete. Diese Wertschätzung zieht sich durch die Geschichte der Menschheit wie ein roter Faden. Sie hat ihren Grund. Denn nur wenige Völker konnten auf Salz verzichten: Beduinen in Südarabien, Nomaden in Nordsibirien, Eskimos in Ostgrönland, Indianderstämme in Nordamerika. Sie kannten das Salz nicht, weil ihr Land kein Salz lieferte. Und weil sie sich als Jäger, Fischer oder Nomaden von tierischen Produkten nährten. Salz wurde erst durch die Aufnahme pflanzlicher Nahrung in die Speisekarte der Menschheit zum essentiellen Element, denn Pflanzen sind natriumarm. Somit ist Natriumchlorid die Grundlage des Vegetarismus. Schon dem Chemiker Bunge fiel auf, dass vegetarisch lebende .Völker ein unwiderstehliches Verlangen danach tragen." Hochdruck-Verfahren Heute kämpfen Ernährungsmediziner einen erbitterten Kampf gegen das Salz. Ihre Botschaft ist einfach: Kochsalz erhöht den Blutdruck und senkt so die Lebenserwartung. Deshalb soll unsere tägliche Kochsalzzufuhr von rund 10 auf 6 Gramm reduziert werden. Von den USA ausgehend hat der Aufruf zur Salz-Askese seinen Siegeszug längst auch in den anderen Industrienationen angetreten - obwohl noch immer ein wissenschaftlicher Beleg dafür fehlt, dass weniger Salz vor Bluthochdruck schützt, dass der Verzicht einen bereits erhöhten Blutdruck nachhaltig senkt und dass dieser Angriff auf den Wohlgeschmack unserer Speisen niemandem schadet. Salz • Salz und Bluthochdruck 3-6 • Arztseite: Wie fängt man Kaninchen? 7 • Hochdruck: Komparsen und Stars 8-9 • Vom Hunger nach Salz 10-11 • Vorsicht Salzmangel 11-12 Gentechnik aktuell • Streit um Bt-Mais 13-14 Facts and Artefacts • Ameisen-Antibiotika • Parkinson durch Pestizide • Modedrink Noni-Saft • Risiko Klärschlamm Rattenscharf Kurznachrichten Einer der "Erfinder" der Salzhypothese war Lewis Dahl vom US-Bundeslabor in Brookhaven. Er hatte 1972 an Laborratten gezeigt, dass ein hoher Salzkonsum zu Bluthochdruck führt. Dass es sich bei seinen Tieren um einen speziell gezüchteten, extrem salzempfindlichen Stamm handelte und dass ein Mensch jeden Tag ein ganzes Pfund Salz essen müßte, um die gleiche Dosis aufzuneh- • Fettarm schadet dem Herzen • Kaugummi - ein Kalorienräuber men, wird dabei gerne verschwiegen. Dahl war es auch, der behauptete, dass eine Salzrestriktion den Blutdruck auf jeden Fall senkt. Wenn dem einmal nicht so wäre, sei dies ein Beweis dafür, dass der Patient seine Diät nicht eingehalten habe. Real itätsfremd Nach jahrelangen Anti-Salz-Kampagnen erhebt die amerikanische Fachöffentlichkeit nun schwere Vorwürfe gegen die Urheber: 36 medizinische Gesellschaften und sechs Bundesbehörden hätten ohne jeden wissenschaftlichen Beleg vor Salz gewarnt. Ärztezeitschriften hätten wider besseres Wissen manipulierte Ergebnisse veröffentlicht. Für die Präventivmedizin ist es ein böses Erwachen, denn kaum eine Empfehlung galt als "gesicherter". Gesalzene Erkenntnis Für Drummond Rennie, Herausgeber des Ärztemagazins JAMA, ist heute "ohne jeden Zweifel" erwiesen, dass sich die Empfehlungen zur Salzreduktion "fern von wissenschaftlichen Fakten bewegen". Und Bill Harlan, Direktor des Bundesgesundheitsamtes der USA, gestand ein, in seiner Position sei man ständig gezwungen, Empfehlungen auszusprechen, "die sich wissenschaftlich nicht rechtfertigen lassen". Man darf gespannt sein, wann es sich in Deutschland herumgesprochen haben wird, dass beim Thema Salz und Hochdruck ein Paradigmenwechsel stattgefunden hat. Für Schwangere gibt die DGE nun Entwarnung: Bei der Schwangerschaftshypertonie sei kein positiver Einfluß durch salzarme Kost bewiesen. Immerhin, ein Anfang. IMPRESSUM Herausgeber: Wissenschaftlicher Beirat: Spenden: Europäisches Institut für Lebensmittel- und Ernährungswissenschaften (EULE.) e.V. Treffauer Str. 30, 81373 München Internet: http://www.das-eule.de Vorstand und V.i.S.d.P.: Josef Dobler, München Prof. Dr. Herman Adlercreutz, Helsinki Prof. Dr. Michael Böttger, Hamburg Prof. Dr. Gisla Gniech, Bremen Dr. Hans F. Hübner, MD, Berlin Prof. Dr. Hans Kaunitz (t), New York Prof. Dr.Heinrich P. Koch, Wien Prof. Dr. Egon P. Köster, Dijon Prof. Dr. Bernfried Leiber, Frankfurt Prof. Dr. Karl Pirlet, Garmisch-Partenkirchen Prof. Dr. Hermann Schildknecht (t), Heidelberg EULE. e.V. ist als gemeinnützig und besonders förderungswürdig anerkannt. Spenden sind steuerabzugsfähig. Ansprechpartner:: Redaktion: Dr. med Gunter Frank Schlossberg 2 D-69117 Heidelberg Tel: 06221/40 81 00 oder 4081 01 email: frankhealth.de Dipl. oec. troph. Ulrike Gonder Dip!. oec. troph. Jutta Muth Dip!. oec. troph. Brigitte Neumann Lebensmittelchemiker Udo Pollmer Dr. med. Dip!. Ing. Peter Porz (Internist) Lebensmittelchemikerin Gertraud Rieskamp Dip!.-Lebensmitteltechnologin Ingrid Schilsky Dr. rer.nat. IIka Schröder Dr. med. vet. Manfred Stein I Bezug: Der EU.L.E.n-Spiegel erscheint alle 6 Wochen. Die Fördermitgliedschaft kostet 180,- DM für Privatpersonen und 975,- DM für Firmen. 2. Auflage, Februar 2002 Salz und Bluthochdruck Die Idee, Bluthochdruck sei eine zwangsläufige Folge von zu viel Natrium und damit Kochsalz, hat aus physiologischer Sicht zunächst etwas Bestechendes: Salz bindet Wasser, eine Tatsache, die uns er Durst nach dem Genuss salziger Speisen eindrücklich demonstriert. Wird dem Blut mehr Natrium zugeführt, muss die Niere dies durch eine Zunahme des Wasseranteils ausgleichen. Ein höheres Volumen übt natürlich auch einen höheren Druck auf die Gefäße aus. Soweit die Theorie. Der Körper reagiert wesentlich differenzierter. So ist bei bestimmten Krankheiten wie einer Nierenarterien-Stenose der Blutdruck umso höher, je weniger (!) Natrium sich im Körper befindet. Angesichts der Bedeutung konstanter osmotischer Verhältnisse für den Organismus muss die Existenz weiterer endogener und exogener Faktoren angenommen werden, die osmotischen Druck, Flüssigkeitsvolumen, Gefäßtonus und Natriumausscheidung kontrollieren und für die notwendige Homöostase sorgen. Salz, Politik und .Datenmassaqe": die Intersalt-Studie Intersalt Cooperative Research Group: Intersalt: An international study of electrolyte excretion and blood pressure. Results for 24 hour urinary sodium and potassium excretion. British Medical Journal 1988/297/S.319-328 Die Beweislage für die Hypothese, dass zu viel Salz beim Menschen Hypertonie verursacht, blieb bis 1988 eher dürftig. Das Fehlen eindeutiger Korrelationen zwischen Salzzufuhr und Bluthochdruck wurde darauf zurückgeführt, dass in den westlichen Industrienationen der Salzkonsum insgesamt viel zu hoch sei, um den Nutzen einer geringeren Zufuhr mit statistisch hinreichender Genauigkeit erfassen zu können. Mit der Intersalt-Studie wollte man diesen Widerspruch auflösen. In 52 Zentren auf der ganzen Welt wurden Blutdruck und Kochsalzzufuhr (Na im 24-Stunden-Urin) bei rund 10.000 Teilnehmern gemessen. Die Forscher konnten, wenn sie die Daten aller Länder poolten, einen schwachen Zusammenhang errechnen: Würde man die Kochsalzzufuhr von durchschnittlich 10 g täglich auf 4 g senken, wäre ein Blutdruckabfall von 2,2 bzw. 0,1 mm Hg zu erwarten. Dieses Ergebnis war so enttäuschend, dass die Ausgangshypo- Speisesalz : Kochsalz (Natriumchlorid, NaCI) ist reichlich vorhanden: Die Meere enthalten 36 x 1015 t NaCl, dazu kommen 1015 t in unterirdischen Salzlägern. Die Weltproduktion liegt bei 180 Mio t im Jahr, von denen aber nur wenige Prozent Speisezwecken dienen. Siedesalz wird durch Einpumpen von Wasser in unterirdische Lagerstätten gewonnen. Dabei werden die Läger angebohrt, Spülrohre ins Bohrloch eingehängt und Süßwasser hineingepumpt. Das gelöste Salz steigt als Sole im zentralen Rohrstrang auf und wird in Salinen eingedampft. Steinsalz kommt aus bergmännischem Abbau. Zur Entfernung des unerwünschten Calciumsulfates wird es bei über 100 C in Wasser gelöst, weil bei dieser Temperatur Calciumsulfat kaum löslich ist. Die Sole wird im Vakuum abgekühlt, das gereinigte Kochsalz kristallisiert aus. 0 Meersalz erhält man durch Eintrocknen von Meerwasser in Salzgärten, in kalten Gegenden durch Ausfrieren von Meerwasser, wobei sich das Salz im nichtgefrorenen Wasseranteil anreichert. Zunehmende Bedeutung gewinnt es als Nebenprodukt der Meerwasserentsalzung. Weltweit stammen ca. 30% des gesamten Bedarfs aus Meerwasser und Salzseen. Analytisch unterscheiden sich die Salzarten kaum. Siedesalz hat den höchsten Reinheitsgrad (bis 99,98%). Stein- und Meersalz enthalten etwa 1% Begleitstoffe, vor allem Calciumsulfat, daneben etwas mehr Magnesium und Bromid. Für Endverbraucher wird das Salz gewöhnlich mit Rieselhilfsstoffen wie Calcium- oder Magnesiumcarbonaten, Hexacyanoferraten oder kolloidaler Kieselsäure versetzt. Das im Haushalt verwendete Salz macht nur 15% der Salzzufuhr aus, weitere 10% stammen aus dem natürlichen NaCI-Gehalt tierischer Lebensmittel. these durch eine zweite Theorie ergänzt wurde: Mit zunehmendem Alter nähme der Einfluß des Salzes auf den Blutdruck zu. Der Umkehrschluss, dass die Kochsalzrestriktion bei jungen Menschen dann sinnlos wäre, wurde nicht weiter verfolgt. Betrachtet man die Ergebnisse etwas genauer, fallen bei der graphischen Darstellung von Blutdruck und Natriumausscheidung zwei Dinge auf: Erstens sind die Daten nach dem Schrotschussprinzip verteilt. Zweitens gibt es eine kleine Gruppe von Ausreißern. Dabei handelt es sich um vier Naturgesellschaften wie z.B. die Yanomami-Indianer im Amazonasgebiet, die kaum Salz essen, einen niedrigen Blutdruck haben und sich auch sonst in jeglicher Hinsicht von den anderen Populationen unterscheiden. Läßt man diese vier Exoten außen vor, wird der umgekehrte Trend sichtbar: Je mehr Salz, desto niedriger der Blutdruck. Aber auch diese Korrela- Salz zur Lebensmittelproduktion I Für die Lebensmittelwirtschaft stehen nebeJ Kriterien wie Reinheit vor allem Mischbarkeit~ Korngröße, Löslichkeit und Haftfähigkeit im Vorderj grund. Für Brezeln sind z.B. grobe Salzkörner erwünscht. Mit besonderen Verfahrenstechniken lasseri sich spezielle Kristallformen und Oberflächen erzeugen. Ein Cracker, der vor dem Backen gesalzen wird: stellt andere Anforderungen an die Hafteigenschaften der Kristalle als etwa fritierte Kartoffelchips. Früher war Salz das wichtigste Konservierungsmittel, um Fleisch, Fisch, Käse, aber auch Gemüse haltbar zu machen. Die Tatsache, dass Salz noch vor gut 200 Jahren doppelt so viel kostete wie Rindfleisch, zeigt, in welchem Umfang die Lebensmittelproduktion und damit auch das Bevölkerungswachstum vom Salz abhängig war. Das Salz war auch der limitierende Faktor bei der Viehhaltung: Ein Kalb braucht 25 g am Tag, ein Pferd 50 g und eine Kuh 90 g Salz. Verschiedentlich wurde die Auffassung vertreten, dass der Hunger nach Salz bei Wildtieren eine wichtige Rolle für deren Domestizierung gespielt haben dürfte, speziell beim Rentier. Dank der modernen Verfahren zur Haltbarmachung wie Kühlung, chemische Konservierung oder Hitzesterilisation wird heute weniger Salz zugesetzt. Bei fetten Rohstoffen fördert es aufgrund seiner prooxidativen Eigenschaften außerdem das Auftreten eines ranzigen Geschmacks, ein Effekt, der durch Schwermetallspuren im Salz gefördert wird. Heute dient Salz vor allem als Geschmacksträger bzw. Impact Factor (s.S.1 0). Dafür sind wesentlich geringere Konzentrationen erforderlich als zur Konservierung. Die Kunden bevorzugen heute milder gesalzene Speisen, womöglich eine Reaktion des Körpers auf die Abnahme schweißtreibender körperlicher Arbeit. tion ist schwach und eher ein Zufallsergebnis. So hatte die Gruppe mit dem höchsten Salzkonsum, die Bewohner des chinesischen Tianjin mit 14 g Salz am Tag, keinen höheren Blutdruck als Afro-Amerikaner in Chicago, die nur 6 g täglich aßen. Der einzig greifbare Befund der Intersalt-Studie war die wenig neue Erkenntnis, dass Übergewicht und hoher Alkoholkonsum den Blutdruck steigern. Anmerkung: Trotz der negativen Ergebnisse wurde die Intersalt-Studie als Beleg für den Nutzen einer Salzrestirikon gewertet und markiert den Beginn der großen Kampagnen gegen "zu viel Salz". Seltsamerweise weigern sich die Autoren, interessierten Wissenschaftlern Einblick in die Originaldaten zu gewähren - ein ungewöhnliches Vorgehen bei Studien, die mit öffentlichen Geldern gefördert wurden. Statt dessen bereiteten sie ihre alten Daten mit neuen statistischen Methoden noch einmal auf. In .Intersalt revisited" stellten sie 1996 fest, der Einfluß des Salzes auf den Blutdruck sei ausgeprägter als befürchtet. Nun sollte eine Salzreduktion um 6 g täglich den Blutdruck um 4,3 bzw. 1,8 mm Hg senken (British Medical Journal 1996/3121S.1249-1253). Dieses Vorgehen wirft ein erschreckendes Licht auf die Qualität epidemiologischer Ernährungsstudien: Nachdem jede Messung mit gewissen Ungenauigkeiten behaftet ist, können nicht nur Zusammenhänge vorgetäuscht werden, die gar nicht vorhanden sind. Es kann auch zu einer Abschwächung des tatsächlichen Effektes kommen. Bei .Intersalt revisited" wurden die Daten so lange korrigiert, bis das erwünschte Ergebnis vorlag. Der Intersalt-Kritiker Friedrich Luft spricht von "Datenmassage" (Deutsche Medizinische Wochenschrift 1999/124/S.1351-1355). Salzarme Kost: vergebliche Mühe Midgley JP et al: Effect of reduced dietary sodium on blood pressure. Journal of the American Medical Association 1996/275/S.1590-1597 Graudal NA et al: Effects of sodium restriction on blood pressure, ren in, aldosterone, catecholamines, cholesterols, and triglyceride. Journal of the American Medical Association 1998/279/S. 1383-1391 Aussagekräftiger als epidemiologische Vergleiche sind Interventionsstudien, bei denen eine Gruppe weiter isst wie bisher, während eine andere ihren Salzverbrauch einschränkt. Da der Unterschied zu schmecken ist, sind jedoch Placeboeffekte nicht auszuschließen. Auch muß an hand der Natriumausscheidung im Urin kontrolliert werden, ob die Teilnehmer ihre Diät einhalten. Unter den zahlreichen Studien dieser Art befinden sich immerhin 50 aussagekräftige prospektive, randomisierte und kontrollierte Untersuchungen. Sie wurden von zwei Arbeitsgruppen einer Metaanalyse unterzogen: Sowohl Midgley als auch Graudal und Mitarbeiter fanden, dass eine deutliche Verminderung der Salzzufuhr den normalen Blutdruck nur minimal senkt. Bei hohem Blutdruck war die salzarme Diät geringfügig wirksamer. Zu signifikanten Druckabnahmen kam es jedoch nur bei den älteren Patienten. Beide sehen keinen Grund für eine allgemeine Warnung vor Salz. Eine salzarme Diät sei allenfalls als Begleittherapie für Hochdruckpatienten geeignet. Biochemische Parameter stützen die Schlussfolgerung: Parallel zur Natriumabsenkung stiegen die Werte der blutdruckerhöhenden Hormone Renin und Aldosteron auf das 3- bis 4fache an - ein deutliches Zeichen für die Gegenregulation des Körpers. Auch das LDL-Cholesterin nahm zu. Anmerkung: Die Wirkung des Salzverzichts ist möglicherweise noch geringer vermutet, denn sie läßt im Laufe der Zeit nach. Außerdem werden Arbeiten, die keinen Effekt fanden, meist nicht publiziert. Experten beklagten wiederholt, dass Resultate, die der Lehrmeinung widersprachen, von den Fachzeitschriften abgelehnt wurden. Der Anstieg des LDL-Cholesterins durch Salzverzicht entbehrt nicht einer gewissen Ironie, da vielen Patienten gleichzeitig eine cholesterin- und salzarme Ernährung empfohlen wird. Ob die Erhöhung des LDL von klinischer Relevanz ist, muß offenbleiben. Gesundheitsvorteil zweifelhaft He J et al: Dietary sodium intake and subsequent risk of cardiovascular disease in overweight adults (NHANES I). Journal of the American Medical Association 1999/2821S. 2027-2034 Whelton PK et al: Sodium reduction and weight loss in the treatment of hypertension in older persons (TONE). Journal of the American Medical Association 1998/279/S. 839-846 Bisher widmeten sich die meisten Studien zum Thema Salz den .Risikofaktoren" und kaum harten Endpunkten wie der Herz-Kreislauf-Morbidität oder der Mortalität. Eine Studie mit knapp 10.000 Teilnehmern (NHANES) fand über einen Zeitraum von 19 Jahren bei Normalgewichtigen mit hohem Salzkonsum kein ver- stärktes Risiko für Herzkrankheiten. Auch die Gesamtmortalität war unverändert. Übergewichtige mit hohem Salzkonsum starben früher. Diese Korrelation erlaubt jedoch keine Rückschlüsse auf die Ursachen. Nachdem eine Salzrestriktion bei alten Patienten noch am ehesten den Blutdruck senkt, ist das Ergebnis der TONE-Studie, einer Interventionsstudie mit 875 meist übergewichtigen Senioren, von Brisanz: Egal, ob sie salzarm aßen, abnahmen oder zu beidem verurteilt waren, die Häufigkeit von cardiovasculären Vorfällen war in allen Gruppen und bei den Kontrollen gleich. Grundlage der Chemie-Industrie Seife und Glas waren bis in das beginnende 19. Jahrhundert Luxusgüter. Als Rohstoff benötigt~ man Pottasche (Kaliumcarbonat) oder Soda (Natriumcarbonat). Pottasche wurde aus Holzasche herausqelaugt, das Soda aus verbrannten Meeresalgen oder ägyptischen Natronseen gewonnen. 1792 gelang eS. Nicolas Leblanc, Soda aus Salz und Kalk herzustel-l len. Das Verfahren markiert den Beginn der Chemischen Industrie, denn nun war es möglich, Glas und Seife in großer Menge und zu erschwinglichen Preisen herzustellen. Da sich nun jedermann waschen konnte, gingen die Infektionskrankheiten in Europa zurück, und die Lebenserwartung stieg. Beim Leblanc-Verfahren entstand auch Salzsäure. Die Suche nach einer Verwendung des riskanten Abfalls führte zur Entwicklung der Chlorchemie. In der Folge entstanden Kunststoffe, Lösungsmittel und Treibgase. Chlor wird heute zur Gewinnung von reinstem Silizium für Computerchips benötigt. Zunächst aber setzte man es zu Chlorkalk um, einem Produkt, das die Textilindustrie für ihre Bleichereien dringend benötigte. 1822 entstand in Liverpool die erste britische Sodafabrik, und bald verfügte England über die leistungsfähigste Textil- und Glasindustrie der Welt. 1890 wurde die Elektrolyse des Salzes erfunden, die es erlaubt, Salzsole mittels Gleichstrom in Chlorgas, Wasserstoff und Natronlauge zu zerlegen. Die Folgeprodukte dieser hochreaktiven Chemikalien gingen bald in die Zehntausende. Heute erwirtschaftet die Chemische Industrie Deutschlands drei Viertel ihres Umsatzes durch Salzfolgeprodukte. Pro Kopf und Jahr werden in Deutschland etwa drei Zentner Salz verbraucht. Um die entsprechende Menge an Rohstoffen aus Pottasche zu gewinnen, bräuchte man 1.500 Zentner Holz. Salz in der Medizin Die Medizin betrachtete das Salz jahrtausendelang als probates Heilmittel. Mehrere Schriftsteller der Antike, besonders Plinius, beschäftigten sich eingehend damit. Der berühmte römische Arzt Galenus empfahl, Kinder mit Salz einzureiben, um ihrer Haut "Stärke und Widerstandskraft" zu verleihen. Im Mittelalter wurde das Salz von den Ärzten meist in Kombination mit anderen Bestandteilen wie Honig verschrieben. Die verordneten Mengen lagen, soweit dokumentiert, zwischen wenigen Gramm und einer Handvoll. Häufig wird das Salz in Verbindung mit Wundverbänden, Salben, Pflastern und Bädern genannt sowie als Antidot bei Vergiftungen aller Art. "Ein Trunk Salzwasser hilft das tote Blut im Körperinneren zu bekämpfen und aufzulösen", wusste ein Chirurg am päpstlichen Hof zu Avignon. In der Naturmedizin des 18. Jahrhunderts sollte es bei Tollwut, Blutarmut, Nierenbeschwerden und Kopfschmerzen helfen. Salzwasser wurde bei Atemwegserkrankungen, Verdauungsbeschwerden, Haut- und Rheumaleiden verordnet. Die Heilwirkung, die der salzhaitigen Sole zugesprochen wurde, ließ im 19. Jahrhundert zahlreiche Heilbäder aufblühen. Trinkkuren sollten den Stoffwechsel anregen und das Immunsystem stärken. Belege für die Wirksamkeit all der populären Salzkuren fehlen bisher. Ohne jeden Zweifel wirksam und oft genug lebensrettend ist die physiologische Kochsalzlösung, als "Tropf' im Krankenhaus oder als Ersatz bei schweren Blutverlusten am Unfallort. Dennoch ist sie eine vergleichsweise neue Errungenschaft, die erst seit dem 2. Weltkrieg eingesetzt wird. Damit die Blutkörperchen vom osmotischen Druck nicht beschädigt werden, sind in einem Liter Wasser 9 g Salz gelöst. Im menschlichen Blut sind insgesamt 50 g NaCI enthalten. Mehr Infarkte bei salzarmer Kost Alderman MH et al: Low urinary sodium is associated with greater risk of myocardial infarcation among treated hypertensive men. Hypertension 1995/25/S. 1144-1152 Alderman und Mitarbeiter rekrutierten rund 3.000 Personen mit milder bis moderater Hypertonie, die an einem medikamentösen Behandlungsprogramm teilnahmen. Gemessen wurde die Natriumausscheidung im 24-Stunden-Urin, die als Maßstab für die Natriumauf- nahme gilt. Gut die Hälfte der Hypertoniker nahm zu Studienbeginn bereits Medikamente; sie mußten vor der Natrium-Messung eine drei- bis vierwöchige Behandlungspause einlegen. Nach durchschnittlich dreieinhalb Jahren zeigte sich bei den Männern, dass eine niedrige Natriumausscheidung mit einem vervierfachten Herzinfarktrisiko einhergeht. Auch starben diese Männer häufiger an Herzinfarkt. Dieser Zusammenhang bestand unabhängig von anderen Risikofaktoren. Die Autoren spekulieren, dass die verminderte Salzzufuhr die hormonelle Gegenregulation (Renin-Angiotensin-System) des Körpers stimuliert. In der Folge nimmt das Blutvolumen ab und das Blut dickt ein, was die Durchblutung des Herzens einschränkt. Anmerkung: Für die Hypertonie bei Frauen liegen kaum Daten vor. Die Nurses Health Study (40.000 Krankenschwestern) fand, dass alleine Alter, Gewicht und Alkoholkonsum die Hochdruckentstehung beeinflussen. Zum Salzverzehr bestand kein Zusammenhang (Hypertension 1996/27/S.1065-1072). Risikofaktor Salzsensitivität Morimoto A et al: Sodium sensitivity and cardiovascular events in patients with essential hypertension. Lancet 1997/350/S.1734-1737 Die individuell sehr unterschiedlichen Reaktionen auf den Blutdruck bei einer Reduktion des Salzverzehrs sind beachtlich. Bei 147 gesunden Männern und Frauen führte eine Kost mit einem Gramm Salz pro Tag binnen einer Woche zu folgender Verteilung: 17% der Teilnehmer zeigten eine mittlere Blutdrucksenkung von 7,5 mm Hg. Dagegen tat sich bei zwei Dritteln überhaupt nichts am Blutdruck, während er bei 16% anstieg (+ 6 mm Hg). In allen Gruppen nahmen Gesamt- und LDL-Cholesterin sowie Insulin- und Harnsäurespiegel zu (Klinische Wochenschrift 199 1/69/SuppIXXV/S. 51-57). Offensichtlich unterscheidet sich auch das cardiovasculäre Risiko: Japanische Wissenschaftler beobachteten, dass es bei sensitiven Hochdruckpatienten doppelt so häufig zu Herz-Kreislauf-Ereignissen (tödliche und nicht-tödliche) kommt wie bei Salzunempfindlichen. Salzsensitive zeigen auch häufiger eine Hypertrophie des linken Vorhofes, und es fehlt ihnen die normale nächtliche Absenkung des Blutdrucks. Die Autoren halten die Salzsensitivität daher für einen eigenständigen Risikofaktor für cardiovasculäre Erkrankungen, unabhängig von Blutdruck und Rauchen. Wie fängt man Kaninchen von Dr. Med. Peter Porz Zu wenig Jod. Zu wenig Vitamine. Zu wenig Selen. Zu wenig Calcium. Aber zu viel Kochsalz. Und natürlich zu viel Schadstoffe. All dies und noch viel mehr (bzw. weniger) soll unsere derzeitige Ernährung enthalten. Beinahe monatlich geistern neue Defizite und Überdosen durch die Presselandschaft, und natürlich jagen sich dann die Schreckensmeldungen, gefolgt von den überaus schlauen Empfehlungen der Experten für Gesunderhaltung, Lebensverlängerung und Libidosteigerung. ... mit wenig Salz Unbestritten ist, dass eine Kochsalzrestriktion bei dafür sensitiven Hypertonikern (aber nur bei diesen!) einen, wenn auch geringen, Abfall des mittleren Blutdruckes mit sich bringt. Doch besagt dies keineswegs, dass ein hoher Kochsalzverzehr die Ursache der Hypertonie gewesen ist. Es wurde lediglich das Symptom therapiert. Ob Kochsalz den pathogenetischen Grundvorgang beeinflusst, bleibt dabei ebenso offen wie die Frage, ob sich der Salzverzicht auch positiv auf die Folgekrankheiten und die Lebenserwartung auswirkt. Sicher negativ wirkt sich der Salzverzicht auf die Lebensqualität unserer Patienten aus, da der Mensch zu den .salzhunqriqen" Lebewesen zählt. ... mit viel Salz Interessanterweise war in den Hungerjahren während und nach den beiden Weltkriegen der individuelle Kochsalzverbrauch erheblich angestiegen (bis zu 40 g NaCl/d und mehr!). Mit dem Salz machten sich die Menschen ihre eintönige pflanzliche Kost - meist Kartoffeln erst genießbar. Gleichzeitig ging die Rate der Hypertoniker deutlich zurück. Zwar erscheint auch hier eine voreilige Schlussfolgerung unangebracht, doch ergaben zahlreiche Studien wie auch die berühmte .lntersalt" keinen greifbaren Zusammenhang zwischen einer erhöhten Kochsalzzufuhr und dem Auftreten einer arteriellen Hypertonie. ... mit noch weniger Salz Weil dennoch viele Experten auf das Salz starren wie das Kaninchen auf die Schlange, ist vielen der Blick auf die Gefahren eines Salzmangels verstellt. Nicht nur Säuglinge, insbesondere auch Senioren sind durch eine Kochsalzrestriktion gefährdet. Einerseits vermindert eine salzarme Ernährung das im Alter sowieso erniedrigte Durstgefühl, so dass die alten Menschen noch leichter dehydrieren. Andererseits besteht die Gefahr einer Encephalopathie durch einen Natriummangel. Doch auch bei den Ursachen für eine Hypertonie wird zu einseitig gedacht: Allein die Tatsache, dass in allen Wohlstandsgesellschaften der Blutdruck mit zunehmendem Alter steigt, sollte zu denken geben. Da unzweifelhaft die Lebenserwartung gerade in diesen Gesellschaften kontinuierlich zunimmt, ist eine höhere Zahl an Hypertonikern möglicherweise völlig normal. Auch die Beobachtung, dass der Bluthochdruck mit dem Breitengrad zunimmt und eine inverse Korrelation zum Vitamin-D-Spiegel im Blut zeigt, sollte Anlass sein, einmal auch andere Optionen einzubeziehen. ... mit Beweglichkeit Und wer erwähnt in diesem Zusammenhang noch jene zahlreichen Studien, die den positiven Effekt einer regelmäßigen körperlichen Betätigung auf viele somatische Parameter herausgefunden haben? Nicht nur auf den erhöhten Blutdruck, sondern auch auf den Insulinspiegei, die Lebenserwartung und Ua, auch) das Körpergewicht. Aber mit dem Ratschlag, seinen Allerwertesten hochzukriegen und sich hinaus in die frische Luft zu begeben, ist halt mittlerweile auch kein Staat mehr zu machen. Es sein denn, die Sport- und Reiseindustrie sponsert in Zukunft die medizinische Forschung. Vielleicht wären die Kollegen Wissenschaftler in der Folge dann auch fix genug, dem Kaninchen das Salz aufs Schwänzchen zu streuen. Blutdruck: vom Komparsen und Stars Die Regulation des Blutdrucks ist einmal sehr treffend mit einem russischen Roman verglichen worden: Um die 50 Charaktere tragen zum komplexen Plot bei, von Nährstoffen über Wachstumsfaktoren und Hormonen bis hin zu den Genen. Natrium (Wasserhaushalt), Kalium (Gefäßtonus) und Calcium (Gefäßmuskulatur) spielen nur Nebenrollen. Dazu kommen viele Unbekannte wie die mysteriöse Salzsensitivität, die sich bislang nicht exakt definie- Metabolisches Syndrom Diabetes, Hochdruck, Übergewicht, Fettstoffwechselstörungen, Schlaganfall, Herzinfarkt und Krebs heißen die Leiden der Industrienationen. Treten mehrere Risikofaktoren und Symptome gemeinsam auf, spricht man vom Syndrom X oder vom metabolischen Syndrom. Bei allen kulturellen Unterschieden haben die Lebensbedingungen in den Industrieländern auch einiges gemeinsam: Ein Überangebot an Lebensmitteln bei gleichzeitig abnehmender körperlicher Aktivität und immer seltener werdenden Aufenthalten im Tageslicht. Und bei allen Unterschieden zwischen den genannten Krankheiten und Stoffwechsel störungen findet sich ebenfalls häufig eine Gemeinsamkeit: ein chronisch erhöhter Insulinspiegel, begleitet von zunehmender Insulinresistenz. Offenbar nimmt das Insulin eine Schlüsselstellung ein. Insulinresistenz und Hyperinsulinämie gehen nicht nur häufig einem Diabetes voraus, sondern auch dem Bluthochdruck. Sie sollen für einige Krebsarten ebenso verantwortlich sein wie für die erhöhte Sterblichkeit beim Syndrom X. Die ganze Sache hat jedoch auch ihr Gutes: Wenn die Hyperinsulinämie im Zentrum der Erkrankungen steht, brauchen nicht unzählige Risikofaktoren bekämpft werden. In erster Linie wäre es wichtig, einem erhöhten Insulinspiegel vorzubeugen. Diäten haben sich hierbei als wenig erfolgreich erwiesen. Vielversprechender sind körperliche Aktivität und Sonnenlicht, da sich mit ihrer Hilfe nicht nur ein erhöhter Blutdruck senken läßt: Im Gegensatz zur salzarmen Küche nehmen bei körperlicher Aktivität auch die Folgeerkrankungen wie Herzinfarkte oder Schlaganfälle ab. Offensichtlich werden damit Ursachen und nicht Symptome bekämpft. ren läßt und die sich mit der Zeit ändert. Auch das sympathische Nervensystem spielt mit: Steigt etwa die Kalorienzufuhr, sorgt es dafür, dass sich die Blutgefäße zusammenziehen und der Druck in den Adern zunimmt. Umgekehrt läßt es ihn sinken, sobald gefastet wird. In weiteren Hauptrollen finden wir die Nieren, gleichsam "Ventile" für Wasser und Elektrolyte, die wiederum von zahlreichen Hormonen kontrolliert werden. Kein Wunder, dass alles, was uns "an die Nieren" geht, unseren Blutdruck beeinflussen kann. Bei Tieren genügt es, die sozialen Verhältnisse zu ändern, um Hypertonie zu erzeugen. Aber nicht nur negative Emotionen wie Angst und Spannung erhöhen den Blutdruck, sondern auch Freude und körperliche Anstrengung. Es handelt sich um eine sinnvolle physiologische Reaktion, denn nicht jeder Blutdruckanstieg ist schädlich. Was den Menschen in Anspruch nimmt, was ihn belastet oder erfreut, macht sich auch im Blutdruck bemerkbar. Sogar Gewürze wie Pfeffer, Senf und Ingwer wirken blutdrucksteigernd - und führen den Ratschlag, statt zu salzen lieber zu würzen, ad absurdum. Von den vielen Komparsen und Stars in diesem Roman mit Namen "Blutdruck" sind einige besonders interessant, denn sie bilden eine Art "Brücke" zu anderen Zivilisationsleiden wie dem Syndrom X. Aufgrund ihrer zentralen Position hätten sie eine Schlüsselstellung in der Prävention verdient: Tageslicht, Insulin und körperliche Aktivität. Insulin erhöht den Blutdruck Salonen JT et al: Hyperinsulinemia is associated with the incidence of hypertension and dyslipidemia in middle-aged men. Diabetes 1998/47/S.270-275 An dieser prospektiven Kohortenstudie aus Finnland nahmen 975 Männer teil. Nach vier Jahre zeigte sich, dass hohe Nüchtern-Insulinspiegel einem Bluthochdruck und erhöhten Blutfettwerten vorausgehen: Wer bereits zu Studienbeginn eine Hyperinsulinämie aufwies, hatte ein doppelt so hohes Risiko, hohen Blutdruck und hohe Triglyzeridwerte zu entwickeln als bei normalen Insulinspiegeln. Die Autoren schließen, dass dem Bluthochdruck unabhängig vom Körpergewicht ein gestörter Insulinstoffwechsel zugrunde liegt. Anmerkung: Neben seiner bekannten Funktion für den Blutzuckerspiegel übt das Insulin eine Vielzahl weiterer Aufgaben im Organismus aus. So kann Insulin eine Stressreaktion auslösen, indem es im Gehirn das sympathische Nervensystem anregt und die Ausschüttung von Streßhormonen stimuliert. In der Niere vermindert Insulin die Natriumausscheidung, so dass der Natriumspiegei im Serum steigt und mehr Wasser retiniert wird. (European Journal of Clinical Investigation 1999/29/S.842-852). Sonnenlicht senkt den Blutdruck Krause R et al: UV-B and blood pressure. Lancet 1998/3521S.709-710 Offensichtlich beeinflusst auch Sonnenlicht den Blutdruck. Er steigt mit sinkendem Vitamin-D-Spiegel (New England Journal of Medicine 1998/338/S.777-783). Auch nimmt die Zahl der Hypertoniker mit der Entfernung vom Äquator zu. Darüber hinaus ist der Blutdruck im Sommer niedriger als im Winter. Bei Hypertonikern ist der Vitamin-D-Haushalt oft gestört, und die stark pigmentierten Bewohner nördlicher Gebiete haben ein erhöhtes Hypertonierisiko (Hypertension 1997/2Pt1/ S. 150-156, Kidney International Supplement 1989/27/S.S143-S146) Experimentell gelang es unter Lichteinfluss den Blutdruck zu senken: Siebzehn Patienten mit milder unbehandelter Hypertonie wurden dreimal wöchentlich für sechs Wochen mit UV-B- oder UV-A-Licht bestrahlt. UV-A zeigte keinen Effekt, unter UV-B sanken der systolische und der diastolische Blutdruck um 6 mm Hg. Anmerkung: Die Augenarzt Hollwich erkannte, dass Licht via Auge auf den Hypothalamus einwirkt und so den gesamten Hormonhaushalt beeinflussen kann (Hol/wich F: The influence of ocular light perception on metabolism in man and animal. New York 1979). Daher kann Licht nicht nur erhöhter Insulin- und Blutdruckwerte senken, sondern auch die Zahl der Folgeerkrankungen. Die Rolle der Nieren Wenn der gesunde Organismus in der Lage ist, überschüssiges Salz via Niere auszuscheiden, sind nicht nur Zweifel an der Salz-Hypothese ange~ bracht, es erhebt sich auch die Frage nach anderen Einflüssen auf den Blutdruck. Zunächst: Ein erhöhter Blutdruck ist keine Krankheit, sondern Symptom einer gestörten Homöostase. Im Zentrum dieser Homöostase stehen die Nieren, die sehr flexibel auf Änderungen des Wasser- und Elektrolythaushaltes sowie des Gefäßtonus reagieren müssen: Steigt aus irgendeinem Grund der Blutdruck, scheiden sie umgehend mehr Natrium und Wasser aus, so dass das Blutvolumen sinkt und der Blutdruck wieder abfällt. Für die entscheidende Stellung der Nieren spricht auch die Erkenntnis einschlägiger Tierversuche: In allen Experimenten mußte die Fähigkeit der Nieren zur normalen Natrium- und Wasserausscheidung gestört werden, um eine Hypertonie zu erzeugen. Vermutlich wird jeder manifeste Hochdruck von einer Störung der Nierenfunktion begleitet. Allerdings muss die Ursache nicht in den Nieren selbst liegen. Es kann sich beispielsweise um eine chronische Veränderung bei einem der zahlreichen Hormone handeln, die die Blutgefäße entspannen oder straffen. Dazu gehören z.B. Renin, Angiotensin, Aldosteron, Vasopressin und das antidiuretische Hormon (ADH). Steigen die Spiegel dieser Hormone, muß die Niere umgehend reagieren, um die lebensnotwendige Natrium- und Wasserbalance aufrecht zu erhalten. Wie wichtig die Nieren sind, zeigt sich am eindrücklichsten bei Nierentransplantierten: Ihr Blutdruck pendelt sich auf dem Niveau des Organspenders ein. stens zwanzig minütiger Fußweg Internal Sport: geringerer Blutdruck und längeres Leben Engström G et al: Hypertensive men who exercise regularly have lower rate of cardiovascular mortality. Journal of Hypertension 1999/6/S.737-742 Eine Reihe von prospektiven Studien hat gezeigt, dass sich mit körperlicher Aktivität das Risiko für hohen Blutdruck bei Männern um rund 30% senken läßt. Dabei erwies sich Sport als ebenso wirksam wie ein minde- Medicine 1999/131/S.21-26, zur Arbeit. (Anna/s of Preventive Medicine 1999/3/S.304-312). Ebenso wirkt angemessene körperliche Arbeit auch der Insulinresistenz und damit der Hyperinsulinämie entgegen.(Nutrition Research Reviews 1994/7/S.43-65). Darüber hinaus erhöht Sport die Lebenserwartung - auch für Hypertoniker wie eine Kohortenstudie aus Schweden zeigte: Es nahmen 642 Männern des Jahrgangs 1914 teil, von denen 173 eine Hypertonie entwickelten. Bei den körperlich aktivsten Hypertonikern war die Gesamtsterblichkeit halbiert und die Herz-Kreislauf- Sterblichkeit auf ein Drittel gesunken. Vom Hunger nach Salz Salz ist lebensnotwendig. Um den Wasser- und Elektrolythaushalt aufrecht zu erhalten, muß der Körper in der Lage sein, seinen Natriumbestand exakt zu regulieren. Dazu bedarf es einer physiologischen Rückkopplung, die Aufnahme und Ausscheidung aufeinander abstimmt. Die Existenz von Geschmacksknospen für "salzig" auf der Zunge deutet auf einen spezifischen Salzappetit hin. Die Bedeutung einer ausreichenden Zufuhr von Salz Psychophysik des Salzgeschmacks Warum spielt Salz in der Küche eine so bedeutsame Rolle? Weitaus mehr Lebensmittel profitieren vom Salz als vom Zucker. Sogar in süßen Gebäcken oder Schokolade fördert Salz den charakteristischen Eigengeschmack. Trotz seines universellen Einsatzes wird es aber nur in geringer Dosis akzeptiert, ganz im Gegensatz zum Zucker. Produkte mit zu viel Salz sind ungenießbar. Salz schmeckt nicht für sich alleine. In der Sensorik gilt es als "Impact Factor" par excellence, weil es von allen bekannten Stoffen am stärksten die Geschmacksintensität erhöht. Als .Flavor Booster" trägt Salz am meisten zum Mundgefühl bei. Dies wird mit der Physiologie der Zunge begründet: Unter ihren Geschmacksrezeptoren dient der größte Teil der Wahrnehmung von Salz. Da der Impact mit der Anzahl der Geschmackspapillen zunimmt, ist die Qualität "salzig" noch wichtiger als "süß". Der Impact ist nicht mit der Intensität zu verwechseln: Bitter wird beispielsweise viel intensiver als süß oder salzig empfunden, aber es gibt nur wenige Rezeptoren dafür. Das bedeutet einen geringeren Impact. Ein Brot ohne Salz ist ungenießbar, weil Getreide und Mehl ohne Aroma sind. Der Nutzung des Getreides und damit der Erfindung des Brotes ging notgedrungen die Gewinnung von Salz voraus. Was wir als .Brotqeschmack" wahrnehmen, ist vom Salz geprägt. Bisher sind alle Versuche gescheitert, im Sinne der Ernährungsmedizin salzarme Brote zu kreieren. Besonders fatal wirkt sich eine Senkung der Salzzugabe bei Vollkornprodukten aus. Der Grund für diesen Effekt ist allerdings noch nicht bekannt. Die wichtigsten Salzlieferanten sind deshalb nicht etwa Junk Food, sondern Brot, Nudeln und Cerealien. wird durch die Tatsache unterstrichen, dass salzig eine der Grundgeschmacksarten (süß, sauer, bitter oder salzig) darstellt. Da sich der Geschmack an hohe Salzzufuhren gewöhnt, wird häufig spekuliert, das "versteckte" Salz in industriell hergestellten Lebensmitteln würde die Salzvorliebe in ungewollte und womöglich riskante Höhen treiben. Ein Blick in die Geschichte der Ernährung zeigt jedoch, dass der Hunger nach Salz keine Erfindung der Lebensmittelindustrie ist. So schreibt Hieronymus Bosch in seiner "Teutschen Speißkammer" anno 1555: "Die milte und guttätige Erde gibt und dregt uns nicht allein süße Kost und Arzney, als Milch, Butter, Honig und Zucker, sondern auch scharpffe hannige Ding, als Saltz, dessen wir keinswegs können noch mögen entraten. Dann was sollen alle speisen, dabey nicht Saltz ist?" In ihrer Not aßen die Menschen, so Bosch, sogar "Taubenmist für Saltz, und mochten disen umb gelt nicht bekommen". Inzwischen können wir zwar weniger anrüchige Kochsalzersatzmittel für einen bescheideneren Obolus kaufen, aber bis heute war ihnen auf dem Markt kein Erfolg beschieden. Scharf auf Salz Beauchamp GK: The human preference for excess salt. American Scientist 1987fl5/S.27-33 Menschen und Tiere entwickeln einen ausgeprägten Salzhunger, sobald sie in ein Natriumdefizit kommen. Dann suchen sie gezielt nach Kochsalzquellen und nehmen mehr als nötig auf. Mit erstaunlicher Präzision können sie den Gehalt an Natriumsalzen im Futter erkennen und von anderen Salzen unterscheiden. Dies war entwicklungsgeschichtlich für Pflanzen- und Allesfresser lebensnotwendig, denn pflanzliche Nahrung ist natriumarm. Die Zeiten des Salzmangels sind vorbei - geblieben ist die Vorliebe für Salziges: Sie ist angeboren, tritt allerdings erst in den ersten Lebenswochen zutage. Im fünften Lebensmonat bevorzugen bereits alle Säuglinge salzhaltige Lösungen. Im Alter von zwei bis drei Jahren mögen Kinder sogar am liebsten Suppen, die von Erwachsenen als zu salzig empfunden werden. Daher essen sie auch so gerne Snacks. Aus Experimenten mit Erwachsenen ist ebenfalls bekannt, dass sie sich gleichermaßen an eine hohe wie an eine niedrigere Salzzufuhr gewöhnen lassen, wenn die jeweilige Diät über mindestens ein Vierteljahr praktiziert wird. Nach Beendigung der Diät wird meistens ein Salzgehalt bevorzugt, der zwischen dem bisher Gewohnten und der zuletzt praktizierten Diät liegt. Deshalb gilt der Appetit auf Salz in weiten Grenzen als manipulierbar. Die Versuche erlauben jedoch keinerlei Aussagen darüber, ob und wie lange der Gewöhnungseffekt vorhält. Anmerkung: Die noch immer empfohlene striktion während der Schwangerschaft Salzre- bewirkt also ge- nau das Gegenteil dessen, was beabsichtigt war: Die körpereigene Gegenregulation prägt den Nachwuchs lebenslang auf eine Vorliebe für Salziges - schließlich ist Salzmangel eine Gefahr ersten Ranges. Anderer- seits gewöhnt sich der Körper an hohe Salzzufuhren, um sein salzhaltiges Nahrungsangebot voll ausschöp- Der innere Kompass funktioniert fen zu können. Dies ist ein deutlicher Hinweis darauf, Huggins RL et al: Preferred salt levels and saft taste acuity in human subjects after ingestion of untastet saft. Appetite 1992/18/S.111-119 vom Körper als Gefahr bewertet wird. Beim Gesunden dass nur der Mangel, nicht aber eine hohe Salzzufuhr Eine placebokontrollierte Doppelblindstudie zeigt, dass eine physiologische Rückkopplung für einen ausgeglichenen Natriumhaushalt sorgt: Die Versuchspersonen erhielten bei salzarmer Kost (3 - 5 g/d) für jeweils zwei Wochen geschmacksneutrale Kapseln, gefüllt mit Salz (7 - 9 g/d) oder Placebo. Bei Salzzulage benötigten sie beim Geschmackstest doppelt so hohe Salzkonzentrationen, um "salzig" überhaupt wahrnehmen zu können. Dies wird gewöhnlich als Zeichen für die .Absturnpfung" des Gaumens durch Überreizung gewertet. Da die Probanden das Salz jedoch nicht schmecken konnten, greift diese Begründung nicht. Vielmehr macht es Sinn, wenn die Geschmacksschwelle bei erhöhter Zufuhr steigt, um umgekehrt im Mangel zu sinken. Diese Interpretation wird durch einen weiteren Befund unterstrichen: Die geschmacksneutralen Salzkapseln senkten das Verlangen nach Salz massiv. Dabei korrelierte die Ablehnung von Salz mit der Ausscheidung von Natrium im Speichel. Anmerkung: Damit bestehen auch Zweifel am Sinn von Kochsalzersatzmitteln, denn sie dürften nicht in der Lage sein, den spezifischen Salzhunger zu befriedigen. Salzarme Diät prägt Salzhunger Leshem M: The ontogeny of salt hunger in the rat. Neuroscience and Behavioral Reviews 1999/23/S. 649-659 Ein erhöhter Hunger nach Salz kann auch die Folge diätetischer Bemühungen sein. Setzt man Ratten wiederholt auf salzarme Diät, steigt ihr Salzappetit schrittweise an, und die Tiere nehmen deutlich mehr Salz zu sich als ohne Diäterfahrung. Noch stärker prägend wirkt eine Manipulation der Salzzufuhr während der Trächtigkeit. Paradoxerweise hebt nicht nur eine hohe, sondern auch eine niedrige Salzzufuhr des Muttertiers beim Nachwuchs den Salzappetit fürs ganze Leben. wird überschüssiges Kochsalz problemlos über die Nie- ren ausgeschieden, so dass physiologisch wendigkeit zur Kochsalzrestriktion keine Not- besteht. Warum der Kochsalzersatz scheiterte Es ist wenig verwunderlich, dass es bis heute nicht gelang, einen zufriedenstellenden Kochsalzersatz zu entwickeln. Die Geschmacksrezeptoren für Salz sind, anders als bei der Süße, hochspezifisch. Nur das Natriumchlorid schmeckt wie Salz. Gewürze und Kräuter können die Wirkung des Salzes auf die Zunge nicht ersetzen, denn ihnen fehlt der Impact. Kochsalzersatzmittel wie Magnesium-, Ammoniumoder Kaliumchlorid werden sofort an ihrem Beigeschmack erkannt und abgelehnt. Für den charakteristischen Geschmack des Kochsalzes ist demnach Natrium vonnöten. Offenbar war dem Körper in der Evolution die Erkennung des lebenswichtigen Natriums von besonderer Bedeutung. Das System arbeitet bisher noch fehlerlos: Auf der Suche nach einem Salzersatz hat die Lebensmittelwirtschaft bereits viele Millionen Mark in den Sand gesetzt. Die Suche nach künstlichen Süßstoffen konnte viel erfolgreicher verlaufen, weil der Eindruck "süß" von vielen Zuckerarten hervorgerufen wird und damit unspezifisch ist. Das Salzwasser-Paradoxon Suppe ohne Salz schmeckt wie Spülwasser. Salzwasser dagegen, also Suppe mit Salz aber ohne Aroma, wirkt als Brechmittel. Aus Studien mit Kindern ist bekannt, dass sie Salzwasser zunächst lieber als Leitungswasser trinken, es aber ab dem zweiten Lebensjahr ablehnen. Offenbar haben Kinder bis zu diesem Alter bereits gelernt, welche Speisen salzig schmecken dürfen und welche nicht. Zwar ist unsere Liebe zum Salz weitgehend angeboren, ihre aktuelle Ausprägung erfährt sie jedoch durch umweltbedingte Anforderungen, Gewohnheiten und Erfahrungen. Salzmangel: unterschätzte Gefahr Nicht zuviel Salz, sondern der Salzmangel nimmt häufig akut lebensbedrohliche Formen an. Erste Symptome sind Kopfschmerzen, Kreislaufschwäche, Übelkeit und Erbrechen. Wird der Mangel in diesem Stadium erkannt, ist er mit salzhaitiger Kost und einer Einschränkung der Trinkmenge zu therapieren. Bei Krampfzuständen kann eine intravenöse Kochsalzsubstitution lebensrettend sein. Erzeugt reichliches Das wird die Hyponaträmie meist durch Trinken natriumarmer Flüssigkeit bei weiße Gold Die Gewinnung von Salz war Jahrtausende lang so wichtig wie heute die Förderung von Erdöl. Es garantierte Reichtum und Macht, und mancherorts wog man es mit Gold auf. Mittlerweile wurde aus dem' weißen Gold ein "Wegwerfartikel", mit dem im Winter die Straßen gestreut werden. An seinen Wert erinnert allenfalls noch der Brauch, zum Einzug ins neue Heim Brot und Salz zu schenken. Neben Ortsnamen wie Salzburg und Halle (von a"~,dem griechischen Wort für Salz) hat es sich auch im Wort Salär gehalten. Selarium hieß der Sold für die römischen Legionäre: eine Extraportion Salz. Wertvoll blieb das Salz in vielen Teilen der Welt bis in die jüngste Vergangenheit. So wollten Kinder im damals britischen Rhodesien lieber Salz als Süßigkeiten geschenkt bekommen. Im Ränkespiel um die Macht über das Salz beherrschten Spekulanten Angebot und Nachfrage. Könige, Fürsten oder auch Staaten bereicherten sich durch die Bildung von Kartellen, Monopolen, die Erhebung von Steuern und dadurch, dass sie ihre Untertanen zwangen, eine beträchtliche Menge zu exorbitanten Preisen zu kaufen. Noch vor 75 Jahren verlangten die Briten von den Indern eine so horrende Salzsteuer, dass es sich nur die Reichen leisten konnten. Der Salzmangel führte beim gemeinen Volk zu Gesundheitsschäden, das Vieh siechte dahin. Der Marsch Gandhis, der mit 50.000 seiner Anhänger zur Küste ging, um dort verbotenerweise Salzkristalle aufzulesen, war für die Briten der Anfang vom Ende ihrer Kolonialherrschaft. Nach dem Urteil des Züricher Geschichtsprofessors Jean Bergier gab es "vor der Industrialisierung im 19. Jahrhundert kein Produkt, das durch die Willkür der Macht mehr politisiert oder manipuliert worden wäre als das Salz." gleichzeitig eingeschränkter Salzzufuhr. Leistungssportier und Hitzearbeiter ersetzen ihre Elektrolytverluste mit Getränken und Salztabletten. Biertrinker beugen dem Salzmangel, der durch die großen Harnmengen nach dem Genuß des natriumarmen Gerstensaftes entsteht, vor, mit einer herzhaften Brotzeit aus Salzbrezeln, Schinken oder Käse vor. Dank einer Ernährungsberatung, die fordert, täglich 2 Liter zu trinken und mit Salz zu geizen, ist die Hyponaträmie heute ein ebenso häufiges wie unterschätztes Krankheitsbild. Gefährdet sind neben jenen Menschen, die im Rahmen einer Diät möglichst viel gegen das Hungergefühl trinken, vor allem Säuglinge, Schwangere und Senioren. Herzhafte Kost für Schwangere Delemarre FMC et al: Natriumgebruik tijdens de zwangerschap. Nederlandse Tijdschrift for Geneeskunde 1999/143/S.2132-2136 Leeuw PW et al: Natriumbeperking tijdens de zwangerschap: een achterhaald advies. Nederlandse Tijdschrift for Geneeskunde 1999/143/S.2131-2132 Bislang wurde Schwangeren geraten mit salzarmer Ernährung einem erhöhten Blutdruck und in der Folge auch Toxikosen, Nierenstörungen und Eklampsie vorzubeugen. Eine holländische Interventionsstudie mit 357 Schwangeren zeigt sowohl die Sinnlosigkeit als auch die potentiellen Gefahren dieses Rates. Die Blutdruckwerte der salzarm ernährten Schwangeren waren durchweg (wenn auch nicht signifikant) erhöht statt erniedrigt. Ihr Renin-Angiotensin-Aldosteron-System war stimuliert: Es sorgt dafür, dass Natrium in der Niere zurückgehalten wird und der Blutdruck steigt. Die Salzrestriktion führte außerdem zu einer verringerten Nährstoffaufnahme und damit zu geringeren Gewichtszunahmen, was eine Unterversorgung des Fötus befürchten läßt. Auch das Plasmavolumen war verringert. Normalerweise steigt es während der Schwangerschaft auf die 1% fache Menge und sichert die Nährstoffversorgung des Ungeborenen. Die Nieren retinieren mehr Natrium und Wasser; das Natriumgleichgewicht pendelt sich auf einem höheren Level ein. Wird nicht genug Salz zugeführt, kann auch nicht genug Wasser aufgenommen werden. Anmerkung: Bereits ältere Studien ließen erkennen, dass salzarme Kost der Schwangeren schadet. Bei reichlicher Salzzufuhr wurden Toxämien, Ödeme, Blutungen und Fehlgeburten seltener beobachtet. Salz hat sich nach Angaben von Klinikern sogar als therapeutische Maßnahme bei Toxämien bewährt (Glatzel H: Wege und Irrwege moderner Ernährung. Stuttgart 1982). Daher gilt das Resümee von Lindheimer anno 1973 immer noch: "Die schwangere Frau sollte Salz nach Geschmack bekommen" (New England Journal of Medicine 1973/288/ S.891-892). Kinder: Krämpfe durch salzarme Getränke Bhalla P: Hyponatraemic seizures and excessive intake of hypotonic fluids in young children. British Medical Journal 1999/319/S.1554-1557 Kleine Kinder brauchen verhältnismäßig viel Flüssigkeit - so werden die Eltern belehrt. Das Fläschchen mit Tee, Wasser und verdünnten Säften ist deshalb stets präsent: als Durstlöscher, zum Einschlafen, als Tröster und für den kleinen Hunger zwischendurch. Ältere Kinder trinken vor allem Softdrinks in exzessiven Mengen. Manche trinken so viel, dass ihnen der Appetit auf feste Nahrung vergeht. Da die Getränke hypoton sind, können sie über Monate zu Salzmangel führen. Sinkt der Natriumspiegel unter 130 mmol/I, sind schwere Krampfanfälle und Bewußtseinsstörungen die Folge. Dieses Syndrom wurde 1967 zum ersten Mal beschrieben. Mittlerweile ist es in den USA verbreitet, während es in Europa noch relativ selten diagnostiziert wird. Zu allem Überfluß werden die Kinder nicht selten wegen einer vermuteten Infektion des Nervensystems antibiotisch bzw. antiviral behandelt. Als Therapie muß jedoch die Flüssigkeitszufuhr vermindert und der Natriumspiegei erhöht werden. Einen guten Hinweis für die Diagnose liefert das ausgeprägte Verlangen nach Salz. Senioren: Elektrolyte fürs Gehirn Ayus J et al: Chronic hyponatremic encephalopathy in postmenopausal women. Journal of the American Medical Association 1999/281/S. 2299-2304 Natriummangel ist bei älteren Menschen recht häufig, die Mortalität mit 25% erheblich, wobei bisher unklar war, ob die Patienten am Mangel, an der Therapie oder an den Komplikationen sterben. Auch bei Frauen um 60 kann Na-Mangel Encephalopathien mit bleibenden Hirnschäden oder Todesfolge auslösen. Flüssigkeitsverluste durch Diuretika oder verminderte Sekretion des Das teuflische Salz Die Entdeckung des Salzes war von bedeutend" dass es Eingang in die Speisevorschriften alte~ Religionen fand. Die jüdisch-christlichen Zivilisationen verlangten gesalzene Opfer. Salz wurde kostbarer als Gold, Weihrauch, Myrrhe oder Ebenholz. Es war ein göttliches Produkt. Wer Dämonen vertreiben wollte, streute Salz. Es schützte das Vieh vor Krankheit und erlöste auf dem Totenbett die Seele des Sünders. Deshalb sind Gottes Diener das Salz der Erde. Für die Inquisition war das Fehlen von Salz im Haushalt oder der Verzehr ungesalzener Speisen ein untrügliches Zeichen für Hexerei und schwarze Magie. Wer solches aß, hatte eine Liason mit dem Satan und wurde auf dem Scheiterhaufen verbrannt. In neuerer Zeit wandten sich vor allem die Lebensreformer gegen das Salz, verglichen es mit "den Giften Alkohol und Nikotin". In calvinistischer Tradition witterten sie in jedem Genuss, in jeder Sinnenfreude Fallstricke des Teufels. "Das moderne Kochsalzschweigen" oder die "verbotene Frucht" titelten die Werke jener Sektierer, die bis heute die ErnährungsvorsteIlungen prägen. Bircher-Benner schrieb: "Der übliche Kochsalzzusatz ist in der Regel so groß, dass er im Laufe der Jahre zur Schädigung der Gesundheit und der Konstitution beiträgt." Unser Hunger nach Salz gaukle "ein urweltliches Behagen, die Heimkehr und das Versinken in Meeresfluten vor". Riedlin meinte vor 75 Jahren, der "wahre Salzbedarf' läge im Milligrammbereich. "Soweit das Verlangen nach Salz im Geschmack wurzelt, ist dreierlei zu unterscheiden: die Gewohnheit, unnötig Salz zu genießen, der Gebrauch entwerteter, ungeeigneter Nahrungsmittel und das Verlangen der Seele nach derben, starken Reizen .... Der Salzmißbrauch trägt zur Entartung der Rasse bei." antidiuretischen Hormons kommen als Ursache ebenso in Frage wie eine einseitige Ernährung mit natriumarmen Getränken wie Bier oder vielen Mineralwässern. Oft werden die Patienten in die Klinik eingewiesen, wenn sie wegen Kreislaufproblemen gestürzt sind und einen Knochenbruch erlitten haben. Sie klagen über Kopfschmerzen, Übelkeit, Müdigkeit und epileptische Krämpfe. Als Therapie gilt entweder Flüssigkeitsrestriktion oder Infusion einer Salzlösung. In dieser Studie hatten Patientinnen die größten Heilungschancen, wenn sie sofort eine Kochsalzinfusion erhielten. Die Therapie mit Flüssigkeitsrestriktion führte zu schweren cerebralen Störungen oder zum Tod. Gentechnik aktuell: Streit um Bt-Mais Ebenso unerwartet wie heftig schlägt die Stimmung in Sachen Gentechnik weltweit um, selbst bei den sonst so fortschrittsgläubigen Amerikanern. US-Lebensmittelhersteller bezahlen für konventionelle Sojabohnen bereits einen Aufpreis von 20%. Wie sich dieser Markt langfristig entwickelt, wird wohl in erster Linie davon abhängen, welche Seite es besser versteht, Stimmung zu machen. Weder gentechnologisch entwickelte Sorten noch konventionelle Züchtungen erlauben genaue Vorhersagen über die Eigenschaften der neuen Pflanzen deren Folgen für die Umwelt. Ein eindrucksvolles Beispiel ist der mittlerweile weltweit angebaute Bt-Mais von Novartis, der immer wieder für Überraschungen sorgt. Mit Hilfe der Gentechnologie gelang es, ein Gen aus Bacillus thuringiensis in das Erbgut von Mais einzubringen. Das Bodenbakterium produziert ein für Maiszünsler giftiges Eiweiß und wird seit 40 Jahren im Öko-Landbau eingesetzt. Der Erfolg ist mäßig, da die Zünsler-Larven vor dem Bio-Pestizid sicher sind, sobald sie sich ins Innere der Maispflanze gefressen haben (EU.L.E.N-SPIEGEL 1999/H.7/ gen über produziert der Bt-Mais das fertige Insektengift und reichert es im Ackerland an. Die Experten hoffen zwar auf einen Schutz der Maiswurzeln vor Schädlingen, befürchten jedoch ein Risiko für das Bodenleben. Transgene Pflanzen: mehr Pestizide Novartis AG, wo 99/35910: ohne Titel. 23.7.1999; Novartis AG, WO 99/35913: Controlling pests in crops of transgenic useful plants. 23.7.1999 Der Anbau von Bt-Mais sollte eigentlich den Einsatz von Pestiziden vermindern. Hält das bakterielle Insektizid den Maiszünsler auch in Schach, wird der Mais nun jedoch von anderen Schädlingen befallen, die durch die bisher gebräuchlichen Maiszünsler-Gifte offenbar gar nicht erst zum Zuge kamen. Novartis, der Produzent des Bt-Maises, hat schon ein Gegenmittel parat: Ein Gemisch altbekannter Pestizide. Das darin enthaltene Carbamat ist nicht unproblematisch, denn es schadet auch Bienen, Vögeln, Fischen und Säugetieren. Beim Bt-Mais von Novartis bilden alle PflanzenzeIlen fortwährend Bt-Toxin, so dass sämtliche Larven sterben. Deutsche Landwirte berichten über Ertragssteigerungen von 20%. Außerdem wird der Bt-Mais seltener von Pilzen (Fusarium und Aspergillus) befallen, so dass die Maiskörner sehr viel weniger mit Mycotoxinen belastet sind als bei konventionellen Sorten (EU.L.E.N-SPIEGEL 1999/H.8/S.14). Da das Unternehmen wohl ein beachtliches Geschäft wittert, hat es die Mixtur zum Weltpatent angemeldet. Schließlich wirkt sie auch bei den transgenen Sojabohnen des Konkurrenten Monsanto ertragsfördernd. Ob die Geschäftsidee der Branche zur Freude gereicht, ist mehr als fraglich. Schließlich unterstreicht der Vorfall die Befürchtungen der Umweltorganisationen, dass durch gentechnisch veränderte schädlingsresistente Pflanzen der Einsatz herkömmlicher Pestizide nicht automatisch sinkt. Bt-Mais bedroht Bodenleben Süße Marker statt bitterer Medizin Saxena D et al: Insecticidal toxin in root exudates from Bt com. Nature 1999/402lS.480 Coghlan A: On our markers. New Scientist vom 20. 11. 1999/S.10 5.11). Gentechnisch veränderter Bt-Mais produziert das Bt-Toxin nicht nur in den Blättern und Stengeln, sondern in der ganzen Pflanze, die das Insektizid über die Wurzeln auch in den Boden abgibt. Da das Toxin im Erdreich sofort von Bodenpartikeln gebunden wird, ist es dort vor mikrobiellem Abbau geschützt und bleibt wochenlang aktiv. Auch das Bodenbakterium B. thuringiensis produziert im Humus sein Toxin - allerdings mit einem großen Unterschied: Es bildet eine inaktive Vorstufe, die erst im Insektendarm aktiviert wird. Demge- Antibiotika-Resistenzgene sind bei Gentechnologen als Marker sehr beliebt, weil es damit möglich ist, schnell herauszufinden, ob das gewünschte Gen auch tatsächlich in das Erbgut einer Pflanze eingebaut worden ist. Auch der Bt-Mais von Novartis wurde noch mit Hilfe dieses umstrittenen Markersystems entwickelt. Mittlerweile gelten die Resistenzgene als unnötiges Risiko, denn es wird befürchtet, dass sie im Verdauungstrakt freigesetzt und auf Darmbakterien sowie Krankheitserreger übertragen werden können. Die Biotechnologie-Firmen suchen inzwischen nach harmloseren Markergenen. Auch Novartis, dessen Bt-Mais trotz des Ampicillin-Resistenzgens weltweit angebaut wird, testet nach Jahren heftiger Kritik ein "Nachfolgemodell". Dabei wird in die Pflanze das Gen für ein Enzym eingebracht, das ihr die Verwertung eines Zuckers (Mannose-6-Phosphat) ermöglicht. Zum Nachweis der erfolgreichen Genübertragung kann jetzt Mannose anstelle eines Antibiotikums verwendet werden. Schnelltest für Gen-Mais Möglicherweise verliert man damit eine große Chance. Amerikanische Züchter erzielten durch Einkreuzen von Wildreis in Hochleistungssorten völlig unerwartet Ertragssteigerungen von 20%. Das Ungewöhnliche: Die verantwortlichen Wildsorten galten mangels Ertrag als wertlos. Offenbar führt die Neukombination von Genomen zu unvorhersehbaren Eigenschaften. Sogar ein virusresistenter Reis wurde gezüchtet durch Kreuzung zweier anfälliger Sorten. Bleibt die Frage nach weiteren unbekannten Vorzügen in den unzähligen Wildsorten. Functional Food zur Imagepflege Betts KS: Growing evidence of widespread GMO contamination. Environmental Science & Technology 1999/33/S.484-485A De Vries GE: Health benefits of GM beet. Trends in Plant Sciences 2000/5/S.7 Werbeaussagen wie "gentechnikfrei" erfordern preiswerte Nachweismethoden, um konventionelle von modifizierten Produkten unterscheiden zu können. Zuverlässige Verfahren sind aufwendig und mit 400 - 800 DM für den Routinebetrieb zu teuer. Lediglich für .Roundup Ready" Sojabohnen von Monsanto gab es einen Schnelltest für 10 DM. Nun bietet Strategic Diagnostics auch für zwölf transgene Maissorten Schnelltests an. Die könnten häufiger positiv ausfallen als erwartet, denn neben der Gefahr einer Kontamination beim Transport ist oft schon "gentechnikfreies" Saatgut belastet. Dem Verbraucher will Novartis die Gentechnik mit Functional Food schmackhaft machen. Dazu entwickelte das Unternehmen Zuckerrüben mit einem Artischocken-Gen, das für die Umwandlung des Zuckers in Fruktan sorgt. Fruktan ist ein unverdauliches Polysaccharid, dem gleich zwei positive Wirkungen zugeschrieben werden: Als Prebiotikum soll es die Ansiedlung "guter" Darmbakterien fördern und außerdem den Cholesterinspiegei senken. Novartis wolle den Kunden zeigen, so ein Manager, dass Gentechnologie einen spürbaren Nutzen für sie hat. Dramatischer Artenverlust Transgene Mikroben in der Natur De Vries GE: Crop gene diversity declining. Trends in Plant Seiences 2000/5/S.8 Logsdon JM et al: Evolutionary genomics: Thermotoga heats up lateral gen transfer. Current Biology 1999/9/S.R747-751 Angesichts des dramatischen Rückgangs der pflanzlichen Artenvielfalt fordert das World Watch Institute die schnelle Einrichtung neuer Samen banken. Die Entwicklung großer, moderner Landwirtschaften habe besonders die Vielfalt beim Getreide reduziert. China hat zwischen 1949 und 1970 mit 9.000 Reisarten rund 90% seiner Vielfalt aus dem Programm genommen, während in Mexiko der Verlust von 80% der noch vor 60 Jahren angebauten Maisarten zu beklagen ist. In den USA werden nur noch 9% der 1904 üblichen Erbsen- und Kohlarten und 20% der damaligen Tomatensorten angebaut. Vergleiche von bakteriellem Erbgut zeigen, dass der Austausch von Genen zwischen verschiedenen Arten ein uraltes biologisches Konzept ist. Der Anteil von "fremden" Genen, die ein Organismus aufgrund des sogenannten lateralen Gentransfers aufweist, ist weitaus höher als bislang angenommen. So machen die fremden Gene von Thermotoga maritima, einem Bakterium, das in heißen Vulkansedimenten vorkommt, vermutlich ein Viertel seines gesamten Genoms aus. Traditionelle Züchtung unterschätzt Coghlan A: Relative value. New Scientist vom 27.11.1999. Mit den enormen Investitionen in die Gentechnik ist die konventionelle Züchtung vernachlässigt worden. Die Fähigkeit des Bakteriums, gelöste DNA aufzunehmen und in sein Genom einzubauen, wird auf sogenannte Kompetenzgene zurückgeführt, die auch aus anderen Mikroorganismen bekannt sind (Naturwissenschaftliche Rundschau 1999/11/S.453). Der Vorteil solcher natürlicher DNA-Übertragungen ist offensichtlich: Sie helfen der Evolution, die nur sehr langsam vonstatten geht, ein bisschen auf die Sprünge.Schnelltest für Gen-Mais. Antibiotika: Vorbild Ameise Wilkinson DM: Ants, agriculture and antibiotics. Trends in Ecology and Evolution 1999/14/S.459-460 Während Antibiotika-Einsatz in der Tiermast vor allem wegen der Entstehung von Resistenzen kritisiert wird, haben Blattschneiderameisen das Problem längst im Griff. Sie praktizieren seit Jahrmillionen eine Form der "Landwirtschaft", bei der sie regelmäßig zur chemischen Keule greifen - offenbar ohne nachteilige Folgen. Die Ameisen züchten auf fein zerkleinertem Blattmaterial Pilze (Lepiotaceae), die sie ernten und an ihre Larven verfüttern. Auch diese Monokulturen sind durch Schädlinge bedroht. Vor allem der parasitische und hochvirulente Pilz Escovopsis kann in kurzer Zeit die gesamte landwirtschaftliche Produktion der Ameisen zerstören. Um den Parasiten unter Kontrolle zu halten, benutzen die Ameisen gezielt Antibiotika. Dafür siedeln sie auf ihrem Chitinpanzer spezielle Bakterien der Gattung Streptomyces an. Vertreter dieser Gattung produzieren einen erheblichen Teil der bisher bekannten Antibiotika wie Tetracycline, Streptomycine und Chloramphenicol. Der nun auf den Ameisen entdeckte Streptomycet wirkt hochspezifisch gegen Escovopsis. Zugleich stimuliert er in den Pilzgärten das Wachstum der angebauten Kulturen, ein Effekt, der an die wachstumsfördernde Wirkung von Antibiotika in der Kälbermast erinnert. Erstaunlich ist, dass bisher keine Resistenzen beobachtet wurden, schließlich praktizieren die Ameisen diese Form der Nahrungserzeugung seit mutmaßlich 50 Mio Jahren. Als Grund wird angenommen, dass die Bakterien im Lauf der Evolution die Struktur ihrer Antibiotika ändern können. Die moderne Landwirtschaft nutzt dagegen die immer gleichen Produkte der pharmazeutischen Industrie. Feministischer Bio-Terror Vines G: Gendercide. New Scientist 16. 10. 1999/S.44-47 den schnellen Hungertod. Zudem bietet ein befruchtetes Insektenei dem Bakterium eine elegante Passage in die nachfolgende Generation. Um den Anteil nutzloser Männchen zu senken, wählt Wolbachia verschiedene Methoden: Holzläuse gehören zu den leichteren Fällen. Bei ihnen genügt es, ein männliches Hormon zu hemmen, und schon entwickelt sich alles im Sinne von Wolbachia: weiblich. Wespen stellen eine größere Herausforderung dar. Hier verdoppelt das Bakterium die Chromosomen im Ei und sorgt so für die jungfräuliche Entstehung nur weiblicher Wespen. Wolbachia kann auch brutal werden: Männliche Marienkäfer tötet es noch im Ei ab. Die toten Brüder werden von ihren geschlüpften Schwestern sogleich verspeist und stärken so das schwache Geschlecht. Den Maikäfer-Männchen wird auch die freie Partnerwahl untersagt: Das Bakterium erlaubt auf nicht geklärtem Wege infizierten Männchen nur die Befruchtung von Wolbachia-tragenden Weibchen, so dass gesunde Maikäfer-Jungfern keusch sterben müssen. Seine egoistischen Ziele verfolgt das Bakterium dabei gerade so stark, dass der weibliche Wirt aufgrund des Männer-Mangels nicht ausstirbt. Die biologische Schädlingsbekämpfung will nun auch das Wolbachia-Prinzip nutzen. Die Fachleute bezweifeln jedoch, dass eine Schwächung des männlichen Geschlechts ausreicht und fordern zum Wohl der Kulturen die systematische Ausrottung aller Samenspender. Anmerkung: Nachdem Wolbachia zunächst nur als Parasit in Insekten, Spinnen und Krustentieren bekannt war, wurde sie vor einigen Jahren auch in Nematoden enteckt. Einige dieser Würmer verursachen beim Menschen schwere Krankheiten wie Elephantiasis oder Flußblindheit, gegen die es bislang keine geeignete Behandlung gab. Da Wolbachia mit den Nematoden ein symbiontisches Verhältnis eingeht, können sie nun mit Antibiotika kuriert werden, denn das Bakterium nimmt sie mit ins Grab (Trends in Ecology and Evolution 1999/14/S.212-213). Plötzlich taucht er überall auf, der Männer-Mörder Wolbachia. Das parasitische Bakterium gefährdet die Männchen von 5 Millionen Insektenarten, schätzen Experten. Mit Hilfe des Serienmörders hoffen die Forscher nun, das Sortiment biologischer Schädlingsbekämpfung erweitern zu können. Die Bakterien verachten die Männerwelt aus gutem Grund: Das nahrhafte Zellplasma weiblicher Insekteneier verheißt dem Nachwuchs einen reich gedeckten Tisch. Dagegen bedeuten nährstoffarme Spermazellen Mit Pfefferminz bist du mein Prinz Schulz H, Krüger H: Zur Verbreitung, Züchtung und Verarbeitung von Pfefferminze und Krauseminze. Dragoco Report 1999/H.2/S.57-66 Die "echte" Pfefferminze (Mentha arvensis) ist ein Bastard aus Roßminze, Rundblättriger Minze und Wasserminze. Je höher der Anteil an Wasserminze, desto feiner der Geruch. Nachdem das wichtigste Gen für die Aromabildung charakterisiert wurde, darf in absehbarer Zeit mit gentechnisch optimierten Pflanzen gerechnet werden. Pfefferminze wird durch Stecklinge vermehrt, weil sich beim Saatgut die Nachkommenschaft des Bastards wieder in die Ursprungsarten aufspalten würde. Alle drei Jahre müssen die Felder mit neuen Stecklingen bepflanzt werden, da danach der Ölgehalt der Pfefferminze abnimmt. Pro Jahrwird zwei- bis dreimal geerntet und die Minze auf Flächenrost- und Bandtrocknern bei 40°C getrocknet. Der größte Teil der deutschen Produktion (Anbaufläche ca. 400 ha) wird für Tees verwendet. In den USA dominiert der Anbau von Krauseminze (Spearmint, Mentha piperita). Die Pflanze ist widerstandsfähiger und benötigt weniger Pflanzenschutzmittel als echte Pfefferminze. Krauseminze dient fast ausschließlich der Gewinnung des ätherischen Öls (1.500 t/Jahr), einem wichtigen Grundstoff für Aromen- und Parfümhersteller. Zur Ölgewinnung läßt man die Minze zuerst auf dem Feld antrocknen. Durch Ausfrieren wird aus dem Öl zunächst Menthol gewonnen. Dadurch wird der Mentholgehalt des Öls von 85% auf 50% gesenkt. Dieses dementholisierte Öl kann seinerseits als billiger Ersatz für "echtes" Pfefferminzöl verwendet werden. Aluminium: schwammiges Hirn? Kriegstein AR et al: Leukoencephalopathy and raised brain lactate from heroin vapor inhalation (Uchasing the dreqon"). Neurology 1999/53/S. 1765-1773 Immer mehr Heroinsüchtige versuchen die Gefahr einer AIDS-Infektion zu bannen, indem sie die tödliche Droge nicht mehr spritzen, sondern rauchen. Dazu wird der Rauch von erhitztem Herion durch ein Rohr aus Aluminiumfolie inhaliert. Ob diese Methode die bessere ist, wird mittlerweile durch das mehrfache Auftreten neuartiger Gehirnschäden in Frage gestellt, in deren Verlauf es zu schwammigen Löchern in der weißen Gehirnsubstanz kommt. Diese Hirnläsionen (progressive spongiforme Leuko-Encephalopathie) ähneln jenen bei Creutzfeld-Jakob-Patienten. Eine Abhängige, die sechs Monate lang Heroin geraucht hatte, war danach kaum noch in der Lage, zu sprechen oder aufrecht zu sitzen. Anmerkung: Da die Inhalation von Aluminiumstäuben aus Deosprays seit längerem als Ursache schwerer neurologischer Erkrankungen wie der Alzheimer sehen Demenz diskutiert wird (EU.LEN-SPIEGEL 1995/H.4/ S.1-8), kommen auch hier die Aluminiumverbindungen aus der Folie als Ursache in Frage. Parkinson durch Tomaten Johnson CC et al: Adult nutrient intake as a risk factor for Parkinson's disease. International Journal of Epidemiology 1999/28/S.1102-1109 Ernährungserhebungen in Verbindung mit etwas Statistik erlauben es, bei jeder Krankheit nutritive Risikofaktoren zu finden. Allerdings sind die so gewonnenen (Zufalls- )Ergebnisse immer wieder für eine Überraschung gut. Diesmal ließen sich unter Dutzenden von Parametern Gesamtfett und Cholesterin als Risikofaktoren für die Schüttellähmung (Morbus Parkinson) ausmachen. Gleichermaßen "schädlich" waren jedoch auch das Carotinoid Lutein sowie Eisen. Signifikanz lag allerdings nur bei Cholesterin (p = 0,025) und Lutein (p = 0,008) vor. Nebenbei wird eingestanden, dass nicht unbedingt gesunde Ernährung vor Parkinson schützt, sondern das lungenkrebsfördernde Rauchen, das sich in den allermeisten Studien als vorteilhaft erwiesen hat. Parkinson durch Pestizide Bhatt MH et al: Acute and reversible Parkinsonism due to organophosphate pesticide intoxication. Neurology 1999/521S.1467-1471 Parkinson ist nicht selten Folge einer Vergiftung mit Dipyridil-Pestiziden (Paraquat, Diquat), Lösungsmitteln (Tetrachlorkohlenstoff, Methanol) oder MPTP (Verunreinigung in "synthetischem" Heroin) - und nun auch mit Organophosphorsäure-Pestiziden. In fünf Fällen trat nach einer akuten Belastung ein parkinsonähnliches Syndrom auf. Die Pestizide wurden entweder in suizidaler Absicht eingenommen oder zur Bekämpfung von Schädlingen in Wohnungen versprüht. Das beobachtete Syndrom unterscheidet sich kaum von Parkinson, abgesehen von der Wirkungslosigkeit von Levodopa, einem bei Parkinson hilfreichen Medikament. Modedrink Noni-Saft Wang M et al: Novel trisaccharide fatty acid ester identified from the fruits of Morinda citrifolia (Noni). Journalof Agricultural and Food Chemistry 1999/47/S.4880-4882 Säfte mit einem geringen Zusatz von Nonifrüchten werden derzeit aggressiv als Geheimtip und Wundermittel aus Hawaii vermarktet. Sie sollen zahlreiche und sehr unterschiedliche Malaisen wie Krebs oder Übergewicht heilen. Angaben über Inhaltsstoffe und deren Wirkungen fehlen jedoch weitgehend. Wurzeln, Rinde und Blätter des immergrünen Nonibaums werden in Polynesien als Naturheilmittel verwendet. An potentiell wirksamen Substanzen wurden bisher nur verschiedene Antrachinone wie das Damnacanthai identifiziert. Antrachinone wirken abführend und sind wegen ihres mutagenen Potentials umstritten. Von der einheimischen Bevölkerung wurden die Früchte wegen ihres seifigen Geruchs und fauligen Geschmacks nur während Hungersnöten akzeptiert, so dass sie derzeit reichlich für den Export zur Verfügung stehen. An "Wirkstoffen" enthalten sie Rutin, Asperulosid und einen neu identifizierten Trisaccharid-Fettsäureester mit unbekannten Eigenschaften. Landwirtschaft: Risiko Klärschlamm Kloke A: Kreislaufwirtschaft contra Bodenschutz. Bodenschutz 1999/21S.47-52 Professor Adolf Kloke aus Berlin bricht eine Lanze für eine neue Abfallpolitik. Der Nestor des Bodenschutzes geht von den Problemen der Verwendung von Klärschlamm als Dünger in der Landwirtschaft aus. Aus politisch-ökonomischer Sicht mag es sinnvoll erscheinen, die Kommunen zu entlasten und die im Klärschlamm enthaltenen Nährstoffe zu recyceln. Da darin jedoch all die Substanzen landen, die über Baumärkte, Apotheken, Drogerien und Lebensmittelmärkte vertrieben werden, findet eine Anreicherung von einem unüberschaubaren Sammelsurium mehr oder weniger problematischer Stoffe statt. Sie belasten unwiderruflich den Boden und damit die Produktionsgrundlage der Landwirtschaft. "Da wir die ubiquitäre Verbreitung von Schadstoffen mit der Luft und ihre Einträge in Böden wohl noch eine Weile hinnehmen müssen", fordert Kloke "zur Sicherung der 'Nahrungs- und Futterqualität' auf jegliche Einträge aus kommunalen Bereichen zur 'Erhaltung und Mehrung der Bodenfruchtbarkeit' zu verzichten". Den Kommunen bliebe dann für die Abfall- und Klärschlammentsorgung nur die Verbrennung. Deren technischer Standard ist mittlerweile so hoch, dass er alle anderen Formen der Abfallentsorgung und des Recyclings in Sachen Umweltfreundlichkeit übertrifft. Daher gehöre "die Zeit der getrennten Sammlung der verschiedenen Abfallarten, das Aufstellen von unterschiedlich gefärbten und beschrifteten Mülltonnen - abgesehen von Glascontainern - bald der Vergangenheit an". Anmerkung: Die Recyclingverfahren reichern Schadstoffe an, anstatt sie aus den Kreisläufen auszuschleusen. Ihre Umweltbilanzen sind meistenteils schlechter als die moderner Verbrennungstechnolo- gien. Der Widerstand gegen die Müllverbrennung hat historische Gründe: Im Kampf gegen die einstigen "Dreckschleudern" gründeten sich Umweltverbände. Ihr Verdienst ist es, dass weitreichende Verbesserungen zum Schutz der Umwelt umgesetzt wurden. Auch wenn sich die Führungsriegen der Verbände längst eingestehen, dass das Müllproblem nur mit modernen Verbrennungsanlagen zu lösen ist, fürchten sie doch die Reaktionen ideologisch festgelegter Mitglieder. Patentämter: perfide Wortwahl Kaden M, Bubenzer RH: Krankheit mit Markenschutz. Münchner Medizinische Wochenschrift - Fortschritt Medizin 1999/H.46/S. 60 Singh VK: Indischer Reis made in USA. Luzerner Zeitung vom 30.8.1999 Die Hoffnung auf die schnelle Mark führt zu immer dubioseren Patentanmeldungen - und die Ämter lassen das zu. So hatte das Deutsche Patent- und Markenamt in München im vergangenen Jahr das Wort .Fibrornyalgie" für die Deutsche Fibromyalgie-Vereinigung e.V. als Warenzeichen geschützt. Fibromyalgie ist eine rheumatische Erkrankung unbekannter Genese. Sobald etwa Selbsthilfegruppen den Begriff verwenden oder Informationsbroschüren dazu herausgeben, sind Gebühren an den Inhaber der Marke .Fibrornyalqie" zu entrichten. Der Deutschen Fibromyalgie-Vereinigung e.v. zufolge wollte man dadurch Geschäftemacherei von Trittbrettfahrern verhindern. Dem Internet (members.aol.com/ modraestlFMS/marke.htm/) sind allerdings andere Töne zu entnehmen. Hier berichten Betroffene, mit Abmahnungen bedroht worden zu sein, sofern sie sich nicht dem Dachverband anschließen würden. Mittlerweile ist die Marke FIBROMYALGIE@ wieder zur altbewährten Krankheitsbezeichnung mutiert und darf kostenlos benutzt werden: Das Patentamt hat nun (offenbar unter öffentlichem Druck) das Löschverfahren angekündigt. Folgenreicher ist eine Entscheidung des US-Patentamts zum .Basmatr-Reis. Der zählt zu den besten und teuersten Reissorten und wird traditionell in Indien und Pakistan angebaut. Vor wenigen Monaten ließ die texanische Firma .Rice Tee" eine Sorte mit ähnlichen Eigenschaften patentieren und erhielt damit das alleinige Recht, ihren Reis unter dem Namen Basmati zu vermarkten. Da Basmati-Reis eines der wichtigsten Exportgüter Indiens ist und rund 800 Mio. Dollar im Jahr einbringt, befürchtet das Land weitreichende wirtschaftliche Folgen für seine Reisbauern. Es klagt nun gegen die Entscheidung der Behörde. Reisanbau im kühlen Norden schnitten wieder einmal Trinker und Abstinenzler ab. (Diabetes Care 2000/23/S.18-22) Das wichtigste Getreide tropischer Regionen, der Reis, soll nun im kühlen Kanada eine neue Heimat finden. Erste Anbauversuche lassen vermuten, dass sich die Pflanzen tatsächlich an das rauhe Klima gewöhnen können. Angeregt wurde das Projekt von .Ducks Unlimited", einer Tierschutzgruppe, die sich von den gefluteten Reisfeldern neue Lebensräume für Wasservögel verspricht. (Trends in Plant Seiences 2000/5/S.8) Biogemüse: Milch statt Gift Es ist ein alter Hut, dass die Kuhmilch Abwehrstoffe gegen Keime enthält, um das Kälbchen vor Infektionen zu bewahren. Nun haben brasilianische Biobauern entdeckt, dass sie auch ihr junges Gemüse mit Milch vor Pilzkrankheiten schützen können. Einmal pro Woche 5% Vollmilch in 95% Wasser auf Gurken und Zucchini versprüht, hält den echten Mehltau (Sphaerotheca fuliginea) besser in Schach als die bisher üblichen Fungizide. Was die Milch so wirksam macht, bleibt ein Rätsel. (Crop Protection 1999/18/S.489-492) ß-Carotin: kein Hautkrebs-Schutz Fleisch und Käse gegen den Infarkt Eine hohe Eiweißzufuhr mit tierischen Lebensmitteln soll Herzinfarkt fördern. Die jüngste Veröffentlichung der Nurses Health Study spricht jedoch eine andere Sprache: Die Krankenschwestern mit der höchsten Eiweißaufnahme hatten ein um 25% vermindertes Infarktrisiko. Das Protein stammte vornehmlich aus Putenfleisch, Frischkäse, Rindfleisch, Fisch und Schinken. Es spielte dabei keine Rolle, wie viel Fett gegessen wurde. (American Journal of Clinical Nutrition 1999nO/S.221-227) Fettarm schadet dem Herzen Eine fettarme Ernährung, die arm an gesättigten Fetten ist, gilt als gesund, weil sie eine Gewichtsabnahme fördern soll und weil sie den Cholesterinspiegel senkt. In der Deltastudie zeigte sich aber, dass diese Ernährung das günstige HDL vermindert und gleichzeitig die unerwünschten Triglyceride erhöht. Damit müssen die Diätempfehlungen für Herz-Kreislauf-Patienten überarbeitet werden. (American Journal of Clinical Nutrition 1999/70/S.992-1000) Enttäuschung auf der ganzen Linie: Auch zur Prophylaxe von Hautkrebs ist ß-Carotin wertlos. So das Ergebnis einer placebokontrollierten Interventionsstudie mit 1.621 Teilnehmern in Australien, die über viereinhalb Jahre lief. (Lancet 1999/354/S. 723-729) Mädchen machen Mütter mürbe Die Studie, an der sieben europäische Länder teilnahmen, zeigte eine ausgeprägte Schutzwirkung von Vitamin-D3-Gaben auf die Häufigkeit von Diabetes Typ I. Die Autoren vermuten, dass die immunsupprimierenden Effekte des Vitamins für die positive Wirkung verantwortlich sind. (Diabetologia 1999/421S.51-54) Viele Großmütter wissen aus Erfahrung, dass die Schwangerschaftsübelkeit weiblichen Nachwuchs verheißt. Dies bestätigt nun eine schwedische Studie: Schwangere, die in den ersten drei Monaten unter starker Übelkeit litten, gebaren signifikant mehr Mädchen. Wie der weibliche Nachwuchs bereits im fetalen Stadium die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken weiß, ist noch nicht geklärt. Nach Ansicht der Wissenschaftler ist ein Placentahormon (HCG) Ursache der frühzeitigen Allüren der Töchter, denn es ist bei der Geburt eines Mädchens erhöht.(Lancet 1999/354/S.2053) Alkohol schützt vor Diabetes Gereizte Mutter: cool bleiben Das Ergebnis einer prospektiven Studie mit über 8.000 Teilnehmern dürfte bei Winzern, Brauern und Brennern erneut die Laune heben. Im Beobachtungszeitraum von 25 Jahren erkrankten moderate Trinker (60 - 120 g Alkohol/Woche, max. anderthalb Flaschen Wein) am seltensten an Diabetes. Am schlechtesten Männer reagieren auf Unordnung oder auf Babys meist anders als Frauen. Schuld an den unterschiedlichen Gefühlen sind womöglich identische Neurotransmitter. Zumindest bei Mäusen ruft ein und derselbe Botenstoff bei Männchen und Weibchen völlig andere Reaktionen hervor: Stickstoffmonoxid sorgt bei Männchen Vitamin D schützt vor Diabetes für Gelassenheit, bei Weibchen passiert das Gegenteil. Sie benötigen den Stoff, um überhaupt aggressiv reagieren zu können. Fehlt er, setzt sogar ihr Mutterinstinkt aus. (Journal of Neuroscience 1999/19/S.8027-8035) ländische Treibhäuser im Winter Genfrüchtchen liefern, die sommerlich nach Walderdbeeren duften. (Science 1999/286/S. 444-447) Piercing: Nachhilfe für Notärzte Kindstod durch Butterschmalz Alljährlich stirbt in den Entwicklungsländern etwa eine halbe Million neugeborener Kinder an Wundstarrkrampf. Die Infektion mit dem Erreger Clostridium tetani erfolgt über Nabelwunden, die in Indien und Pakistan gewöhnlich mit geklärter Butter (Ghee) bestrichen werden. Die Clostridien stammen meist aus dem Dung von heiligen Kühen, der als Brennmaterial zum Klären der Butter dient. (International Journal of Epidemiology 1999/28/ S.1172-1175) Zwiebelaroma: zum Weinen Zwiebelöl ist ein besonders teures Aroma. Da die charakteristischen Inhaltsstoffe synthetisch zugänglich sind, wird es gerne mit naturidentischen Stoffen gestreckt. Geschmacklich läßt sich die gepanschte "Zwiebel" nicht von echter unterscheiden. Der Aromenhersteller Dragoco stellt nun eine Analysenmethode zur Verfügung, die es erlaubt, verfälschte Öle zu erkennen. (Deutsche Lebensmittel-Rundschau 1999/95/S.234-236) Selen: Analysen wertlos Nicht nur eitrige Entzündungen sind den Preis für die Eitelkeit, sich seinen Körper mit' Metallteilen zu verzieren. Auch die Ahnungslo-' sigkeit von Ärzten kann sich für gepiercte Mitmenschen zum Gesundheitsrisiko entwickeln. Denn' der Schmuck muß im Notfall auch ohne Mithilfe de~ vielleicht bewusstlosen Patienten entfernt werden,' z.B. für radiologische und computertomographische Untersuchungen. Eine Befragung von 28 Medizinern einer englischen Notfallklinik lieferte beängstigende Resultate für Piercing-Liebhaber. Lediglich sechs Notärzte wussten, dass der Schmuck nicht vernietet oder verschweißt ist und wie man ihn öffnet. Vier Kollegen wollten das Metall sogar mit dem Skalpell herausschneiden. Allerdings ist die Entfernung der Objekte eine Wissenschaft für sich, denn die Publikation erläutert zwar die gängigen Piercingtypen und die Technik, um den Schmuck aus den unterschiedlichsten Körperteilen zu entfernen. Für extravagantere Piercingtypen jedoch, wie sie beispielsweise im Intimbereich vorkommen, empfehlen die Autoren vor der Notfallmaßnahme einen Blick ins Internet unter der Adresse .Body Piercing". (Khanna R et al: Body piercing in the accident and emergency department. Journal of Accident and Emergency Medicine 1999/16/S.418-421) Ein Ringversuch zur Überprüfung der Zuverlässigkeit analytischer Verfahren erbrachte Peinliches für die Zunft der Selen-Experten. Die eigens dafür ausgewählten Speziallabors lieferten derart falsche Ergebnisse ab, dass die Autoren dringend davor warnen, die Analysendaten für bare Münze zu nehmen. Dies gelte speziell für Ergebnisse im unteren Konzentrationsbereich (Journal of AOAC International 1999/821S.1466-1473) Kommt die Holland-Erdbeere? Die holländische Landwirtschaft hat es nach ihren Erfolgen mit Treibhaus-Tomaten nun offenbar auf Erdbeeren abgesehen. Gentechnologen der Universität Wageningen studierten 1.800 Erdbeergene, um der Entwicklung des köstlichen Geschmacks reifer Früchte auf die Schliche zu kommen. Ein schwieriges Unterfangen, denn allein für den Reifungsprozeß sind mehr als 200 Gene nötig. So wird es wohl noch dauern, bis hol- Kaugummi - ein Kalorienräuber Bisher wurde bei der Berechnung des Kalorienverbrauchs das Kauen sträflich vernachlässigt - obwohl man längst weiß, dass bei Rindviechern der Grundumsatz durch das Widerkäuen um 20% steigt. Um diese Wissenslücke der Ernährungswissenschaft zu schließen, durften sieben Probanden zwölf Minuten lang einen Norm-Kaugummi kauen. Die erwünschte Kaufrequenz von 100 Hertz gab ein Metronom vor. Aufwendige Messungen zeigten, dass etwa 11 kcal/Std. verbraucht werden, ein Wert, der fast exakt den widerkäuenden Bemühungen von Kühen auf der Weide entspricht. Die US-Experten der Mayo Clinic errechneten denn auch flink einen praktischen Tipp aus ihren Daten: Bei regelmäßigem Konsum kalorienfreier Kaugummis sei ein jährlicher Gewichtsverlust von fünf Kilo ein realistisches Ziel. (New England Journal of Medicine 1999/341/S.2100)