Mohammeds zerstrittene Erben

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WELTMACHT ISLAM
Mohammeds zerstrittene Erben
Die verschiedenen Glaubensrichtungen des Islams
ach dem Tod Mohammeds im
Jahr 632 nach Christus konnten
sich dessen Anhänger nicht einigen, wer der rechtmäßige Nachfolger
des Propheten (Kalif/Imam) ist. Seither
zerfällt der Islam in zwei große Glaubensrichtungen, die Sunniten und die
Schiiten, die wiederum zersplittert sind.
Grund für das Schisma ist ein historischer
SRDJAN SUKI / DPA
N
Streit, der sich daran entzündete, ob die
Kalifen mit dem Propheten verwandt sein
mussten oder nicht. Den Sunniten genügte es, wenn die Kalifen dem Stamm des
Religionsgründers angehörten. Mit ihm
direkt verwandt sein mussten sie nicht.
Die Schiiten bestanden demgegenüber
darauf, dass Imam nur sein dürfe, wer
aus der Familie des Propheten stammte.
Die überwiegende Mehrheit der Muslime sind Sunniten. Ihren Namen leiten
sie von der Sunna – den überlieferten
Worten und Taten Mohammeds – ab. Den
Schiiten gehören rund zehn Prozent der
Muslime an. Das arabische Wort Schia
bedeutet Partei. Schiiten sind die Parteigänger Alis, der ein Vetter des Propheten
war. Ihn halten die Schiiten für den einzig legitimen Erben Mohammeds. Die
ihm nachfolgenden Imame waren leibliche Nachkommen Alis.
Die wichtigste schiitische Gemeinschaft
sind die Zwölfer-Schiiten. Sie glauben,
Schiitische Pilger in Kerbela: „Ihr werdet in 73 Richtungen gehen“
sen ist. Mohammed sieht sich in einer Reihe mit Stammvater Ibrahim (Abraham),
Moses und Issa (Jesus).
Mohammed ist 52, als er seiner Stadt
den Rücken kehrt: ein Prophet, der in
seiner Heimat nichts zählt. Ein Gescheiterter, der zwei Drittel seines Lebens hinter sich hat und nicht viel mehr als einige
Dutzend um sich scharen kann, die an
ihn glauben.
Er zieht mit seinen Anhängern ins 300
Kilometer nördlich gelegene Jathrib, das
später zu seinen Ehren Medina al-Nabi
genannt wird, „die Stadt des Propheten“.
In der Oase herrscht Streit, zwei arabische Stämme bekriegen sich, etwa die
Hälfte der Bevölkerung sind Juden. Die
Medinenser suchen einen von außen, der
Ideen hat, der sie mit irgendeiner Botschaft zusammenschweißt. Sie sind im Ge-
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gensatz zu den Mekkanern, die nach eigenen Worten „nur den Spuren ihrer Väter folgen“ wollen, aufnahmebereit.
Dem Neuen gewährt man Schutz vor
Feinden, auch mit den Mitteln der Blutrache. Dafür erwartet man von ihm Vermittlung: Mohammed wird zum Schlichter
unter den Zerstrittenen, zum Stifter einer
neuen Stammessolidarität. Er entwirft den
Vertrag für „eine einzige Gemeinschaft,
unterschieden von allen anderen“.
Das Merkmal, das sie vereint und von
der Umwelt abhebt, ihr gemeinsamer Kitt
wird der Glaube an einen einzigen Gott.
Mohammed hält seine neue monotheistische Religion zunächst offen für andere,
besonders für die Jathriber Juden.
Der Prophet empfängt weiter seine Offenbarungen. Doch mit seiner Funktion
in der neuen Stadt verändert sich auch
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der Schwerpunkt der Eingebungen: Handelte es sich in Mekka zumeist um eschatologische Themen vom Jüngsten Gericht,
so richten sich die Medina-Botschaften vor
allem auf das diesseitige Leben. Mohammed predigt von der sozialen Verpflichtung des Eigentums, vom pfleglichen Umgang mit Frauen, von Wucherzins, Glücksspiel und Alkohol.
Gerade weil Mohammed in vielen Bereichen so visionär und bis in unsere Tage
revolutionär erscheint, enttäuscht es viele, dass er in anderer Beziehung ein Kind
seiner Zeit und seiner Stammeskultur
geblieben ist. Er hat die Stellung der
Ärmsten in der Gesellschaft verbessert.
Aber er dachte gar nicht daran, etwa die
Sklaverei abzuschaffen. Und besonders
verstörend ist seine ambivalente Einstellung zur Gewalt.
dass der zwölfte Imam nicht gestorben,
sondern um 873 nur verschwunden ist
und vor dem Jüngsten Tag als Mahdi
(Rechtgeleiteter) wieder zurückkehren
wird. In der Islamischen Republik Iran
gilt der verborgene Imam als das eigentliche Staatsoberhaupt – und der jeweilige Revolutionsführer als sein Stellvertreter.
Die Alawiten (Nusairier) sind eine
schiitische Sekte, die vor allem in Syrien
verbreitet ist. In ihrem Glauben vermischen sich islamische mit altorientalischen und christlichen Elementen. Ihre
Lehren sind geheim. Die Alawiten glauben an die mehrfache Wiedergeburt,
durch die sie ihre Seele reinigen.
Die Wahhabiten sind Sunniten. Begründer und Namensgeber ist Mohammed Ibn Abd al-Wahhab, der im 18. Jahrhundert auf der Arabischen Halbinsel
lebte. Wichtigstes Anliegen seiner Anhänger ist es, die nach ihrer Ansicht verderbten muslimischen Praktiken und
Glaubensinhalte zu reinigen und dafür
zu sorgen, dass die Vorgaben des Korans
strikt eingehalten werden. Hochburg der
Wahhabiten ist Saudi-Arabien.
YARON KAMINSKY / AP
sprucht den Stammvater Abraham ganz für sich, indem
er ihn zum Ur-Muslim erklärt. Mohammed behauptet, Abraham habe einst den
schwarzen Stein in die Kaaba von Mekka gebracht und
dort gebetet. Damit erhebt
er den Islam nicht nur zur
Vollendung, sondern zum
Ursprung aller monotheistischen Religionen.
Dann fällt dem Propheten seine Heimatstadt praktisch kampflos zu. Mekka
ist eine Stadt im Umbruch.
Viele haben sie verlassen,
um sich den mächtigen Muslimen anzuschließen. Die
Gemeinschaft von Stamm
und Sippe zerbröckelt, die
traditionelle Wertordnung
zeigt Auflösungserscheinungen. Zu dekadent sind die
Reichen, zu bettelarm die
Unterprivilegierten geworden. Der Islam stößt in dieses politische und spirituelle Vakuum.
In Arabien ist Mohammed jetzt unbestritten der
Alawiten in Syrien: Reinigung durch Wiedergeburt
mächtigste Mann. Er hat
Als Mohammed seine Position in Me- praktisch alle Stämme der Halbinsel gedina konsolidiert hat, greift er zum da- eint, Bündnisse bis nach Irak und Syrien
maligen Brauch der Raubzüge. Einmal geschlossen. Sein Lebenswerk ist vollüberfällt er sogar im heiligen Monat eine endet. Mohammed stirbt am 8. Juni 632,
mekkanische Karawane und bricht damit neun Witwen stehen an seinem Grab in
den Landfrieden. Bevor Mohammed sich Medina. Einen Nachfolger hat er nicht
anschickt, seinen Geburtsort zu erobern, aufgebaut, sondern darauf vertraut, dass
muss er sich mit einem Problem beschäf- die Botschaft überlebt. Und doch sieht
tigen, das er überwunden glaubte: den Mohammed in seinen letzten Stunden
Juden von Medina. Er hat ihnen Respekt illusionslos in die Zukunft. Er fürchtet
entgegengebracht und vorausgesetzt, sie Spaltungen unter seinen Anhängern: „Die
würden im Islam eine Fortentwicklung ih- Juden sind in 71 Richtungen gegangen,
rer eigenen Religion erkennen. Doch die die Christen in 72, ihr werdet in 73 RichJuden sehen Mohammed nicht als Pro- tungen gehen.“
Gottes Wort wurde von den nachfolpheten. „Sie frevelten und zerschnitten
den Bund, der zwischen ihnen und dem genden Kalifen schnell weit in die Welt
hinaus verbreitet. Aber genauso schnell
Gesandten Gottes bestand.“
Da lässt Mohammed die Seinen ent- waren Mohammeds Erben untereinander
täuscht nicht mehr in Richtung Jerusalem zerstritten – wie vom Propheten prophebeten, sondern gen Mekka. Und bean- zeit.
Erich Follath
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