Redaktion Medizin: (089) 53 06-425 [email protected] Telefax: (089) 53 06-86 61 Münchner Merkur Nr. 163 | Montag, 18. Juli 2011 MEINE SPRECHSTUNDE Prof. Dr. Christian Stief Als Chefarzt im Münchner Klinikum Großhadern erlebe ich täglich, wie wichtig medizinische Aufklärung ist. Meine Kollegen und ich möchten den Merkur-Lesern daher jeden Montag ein Thema vorstellen, das für ihre Gesundheit von Bedeutung ist. Im Zentrum der heutigen Seite steht das Bauch-Aneurysma, eine gefährliche Erweiterung der Hauptschlagader. Der Experte des Beitrags ist Prof. Dr. Thomas Koeppel. Er ist Chefarzt der Gefäßchirurgie im Klinikum Großhadern und im Klinikum Innenstadt der LudwigMaximilians-Universität. Der Gefäßspezialist erklärt, wann ein BauchaortenAneurysma zur Gefahr wird und wie man es behandeln kann. Stichwort: Die Aorta Die Hauptschlagader, auch Aorta genannt, ist die größte Arterie des menschlichen Körpers. Sie entspringt an der linken Herzkammer, verläuft dann bogenförmig im oberen Brustkorb nach oben und senkt sich dann entlang der Wirbelsäule durch den Brust- und Bauchraum. In ihr fließt das sauerstoffreiche Blut in den großen Körperkreislauf. Die Aorta ist ständig einem großen Druckunterschied ausgesetzt. Ihre Wände sind daher besonders elastisch. Beim gesunden Menschen hat sie einen Durchmesser von 2,5 bis 3,5 Zentimetern. In ihrem Verlauf durch den Körper zweigen immer wieder Gefäße ab. Vom Aortenbogen aus versorgen Gefäße Kopf und Arme. Im Brustkorb verlaufen Arterien zum Beispiel zur Speiseröhre, zum Lungengewebe und zum Rückenmark. Die Aorta führt dann durch das Zwerchfell. Ab hier heißt sie Bauchaorta. Unterhalb der Nierengefäße zweigen Gefäße ab, die die Beckenorgane und den Darm versorgen. In der Höhe des Nabels teilt sie sich dann in die beiden großen Beckengefäße auf. sog Leben 17 ............................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................ Wenn im Bauch eine Bombe tickt Im Bauch von Peter Ries tickte eine Bombe, die jeden Moment hochgehen konnte. Die Schlagader hatte sich erweitert und drohte zu platzen. Eine OP war nicht möglich. Doch mit einem modernen Katheter-Verfahren konnten Gefäßexperten die Gefahr bannen. VON SONJA GIBIS Der Koffer ist gepackt – nur eine Woche nach dem schweren Eingriff. Peter Ries sitzt im Aufenthaltsraum des Klinikums Großhadern. „Einen Marathon laufen kann ich noch nicht“, sagt er und lacht. Doch ist er guter Dinge. Vor einer Woche war sein Zustand noch lebensbedrohlich. Die Hauptschlagader in seinem Bauch hatte sich gefährlich erweitert, konnte jeden Augenblick reißen. Passiert das, kann nur eine Not-Operation das Leben retten. Doch die Hälfte der Betroffenen schafft es nicht in die Klinik. Bereits Peter Ries’ Vater war an einem solchen Riss eines Aneurysmas, wie es die Ärzte nennen, gestorben. Er war 74 Jahre alt. Peter Ries hat ihn bereits um vier Jahre überlebt – auch dank der modernen Medizin. Der Münchner hatte zunächst nicht bemerkt, dass seine Hauptschlagader im Bauch erweitert war. „Das ist bei den meisten Patienten so“, sagt Professor Thomas Koeppel, der mit seinem Team Ries im Klinikum Großhadern behandelte. Denn nur manchmal haben die Betroffenen Schmerzen im Rücken oder im Bauch, deren Herkunft sie nicht klar deuten können. In einigen Fällen lässt sich der Sack, zu dem sich die Hauptschlagader erweitert hat, ertasten: Man spürt eine pulsierende Geschwulst. Doch meist ahnen die Betroffenen nicht, dass in ihrem Bauch eine Bombe tickt – bis sie schließlich hochgeht. Reißt das erweiterte Gefäß, kann es zu einer Blutung ins Bauchfell kommen, die mehrere Tage unbemerkt bleibt. Oft trifft es die Patienten aber wie ein Schlag: Sie fühlen einen plötzlichen, heftigen Schmerz im Bauch. Der Blutdruck fällt, sie erleiden einen Schockzustand, werden bewusstlos. Oft verbluten sie noch vor Ort. Ein Schutz für erweiterte Gefäße: Prof. Thomas Koeppel zeigt seinem Patienten Peter Ries eine Gefäßstütze. Eine solche sitzt jetzt auch in der Bauch-Schlagader des Münchner Rentners. FOTO: OLIVER BODMER Peter Ries kurz vor dem Katheter-Eingriff. Dass es bei Peter Reis nicht so weit kam, verdankt er auch dem Zufall. Zum Arzt brachten ihn Probleme mit einer Herzklappe. Sie schloss nicht mehr richtig und musste ersetzt werden. Eine Untersuchung mit Ultraschall zeigte: Nicht nur die Herzklappe, auch die Aorta war krankhaft verändert. Denn oft treten Erkrankungen im Gefäßsystem gleichzeitig an mehreren Stellen des Körpers auf. Vor allem KLINIKUM DER LMU Arteriosklerose, die Arterienverkalkung, erhöht auch das Risiko, dass sich die Hauptschlagader im Bauch bedrohlich erweitert. Männer sind deutlich öfter betroffen als Frauen. Eine Rolle spielt aber auch eine genetische Veranlagung. Nicht selten leiden mehrere Familienmitglieder an einem Aneurysma – wie auch im Fall von Peter Ries. Nicht nur sein Vater, auch sein Bruder war betroffen und musste operiert werden. Zunächst war die vier Zentimeter dicke Erweiterung bei Peter Ries noch nicht bedrohlich. „Der Arzt sagte aber, man muss es beobachten“, erzählt Ries. Die regelmäßigen Untersuchungen zeigten: Das Gefäß wurde immer weiter. Ihre Wand wurde dabei immer dünner – wie bei einem Fahrradschlauch, der aufgeblasen wird. Am Anfang ist die Wand an der erweiterten Stelle noch recht stabil, die Blase wird nur langsam größer. „Doch je dünner sie wird, desto schneller bläht sie sich auf“, erklärt Koeppel. Bis sie am Ende platzt. Peter Ries wusste, dass das auch bei ihm passieren könnte. Und er wusste, was im schlimmsten Fall passieren kann. Er hat es bei seinem Vater erlebt. Dennoch: Angst habe er in der Zeit nicht gehabt, sagt er. „Das ist Schicksal.“ Als sich die Schlagader dann aber auf einen Durchmesser von 5,7 Zentimeter vergrößert hatte, gab der Facharzt Alarm. Denn ab etwa fünf bis fünfeinhalb Zentimeter steigt das Ri- siko, dass das Gefäß reißt, drastisch an. Bei etwa 30 Prozent der Patienten mit einer starken Erweiterung kommt es innerhalb von zwei Jahren zu einer bedrohlichen Blutung. Auch Gerinnsel können sich bilden, die mit dem Blutstrom durch den Körper wandern und Gefäße verschließen, vor allem in den Beinen. „Jetzt nicht zu handeln – das hätte bedeutet, das Schicksal herauszufordern“, sagt Ries. Im Gefäßzentrum des Klinikums Großhadern kommt er in die Sprechstunde von Professor Thomas Koeppel. Um ein Bauchaorten-Aneurysma, diese tickende Bombe, zu entschärfen, nützen die Chirurgen dort zwei Techniken: Eine offene OP mit großem Bauchschnitt oder einen Eingriff mit Katheter. Doch eine solch große Operation war bei Peter Ries nicht möglich. Nach der Herzklappen-OP war das Risiko zu groß. Für ihn kommt nur der Eingriff mittels eines Katheters infrage. Über kleine Schnitte in der Leiste gelangen die Gefäßspezialisten mit biegsamen Drähten und Kathetern durch den erweiterten Bereich der Schlagader. Unter dem Röntgengerät sehen sie zu jeder Zeit genau, wo sich die Katheter befinden. In einer Untersuchung mit Kontrastmittel kann man die Haupt- und Beckenschlagadern, aber auch die Bauchund Nierenschlagadern präzise darstellen. Unter Durchleuchtung führen sie dann eine Gefäßstütze, einen Stentgraft, ein. Dieser besteht aus einem Metall-Geflecht mit Kunststoffüberzug. In einer speziellen Hülle ist er zunächst eng zusammengefaltet. Sobald er in Position ist, wird die Hülle zurückgezogen. Im Blutgefäß spannt er sich dann – fast wie ein Regenschirm – von selbst auf und stützt die Gefäßwand von innen. Bei der Gefäßstütze gibt es mehrere Arten, je nach der Form des Aneurysmas. Erstreckt sich die Erweiterung bis in die Beckenarterien hinein, wählen die Gefäßexperten oft einen mehrteiligen Stent. Das Hauptteil ist unten verzweigt wie ein auf den Kopf gestelltes Y. Von dem zweiten Beinchen fehlt allerdings zunächst das größte Stück. Es wird dann über einen zweiten Katheter ergänzt – auch bei Peter Ries. OP oder Katheter: Beide Verfahren sind heute etwa gleich gut Das Stent-Verfahren wurde erstmals Anfang der 1990erJahre eingesetzt. Inzwischen gibt es Erfahrungen mit vielen tausend Patienten. „Die Ergebnisse der beiden Verfahren sind inzwischen fast gleich gut“, sagt Koeppel. Zwar bergen beide Risiken. In einem spezialisierten Zentrum für Erkrankungen der Hauptschlagader ist die Chance auf Erfolg heute allerdings sehr hoch. Dennoch: „Es ist ein komplizierter Eingriff, bei dem auch Patienten sterben können“, sagt Koeppel. Bei Peter Ries verlief alles gut. „Einen Tag später konnte ich schon wieder aufstehen“, sagt er. Da kein großer Bauchschnitt gemacht wurde, erholte er sich rasch – und sieht wieder eine Zukunft. Und die kann heute auch für einen 78-Jährigen noch eine lange Zeit dauern. „Altern“, sagt Ries mit TV-Legende Blacky Fuchsberger. „Das ist eben nichts für Feiglinge.“ Bauch-Ultraschall – eine Untersuchung, die Leben retten kann VON SONJA GIBIS Es ist eine tickende Zeitbombe. Doch den meisten Betroffenen ist die Gefahr, in der sie leben, nicht bewusst. Untersuchungen haben gezeigt: Etwa drei Prozent der Männer über 65 Jahre haben eine erweiterte Bauchschlagader. Meist sitzt sie unterhalb der Nierenarterien knapp oberhalb des Bauchnabels. Oft haben die Betroffenen keine Beschwerden – bis die Bauchaorta reißt. Dann sterben neun von zehn Betroffenen. Warum eine solche Erweiterung der Hauptschlagader entsteht, ist im Einzelfall nicht völlig klar. Fest steht: Menschen die unter Arteriosklerose, der Arterienverkalkung, leiden, erkranken häufiger daran. Auch Vererbung spielt eine Rolle. Bei etwa 20 Prozent der Patienten leiden mehrere Familienmitglieder daran. Ein deutlich erhöhtes Risiko haben zudem Raucher. Gefäß-Experten raten vor allem Menschen, die ein erhöhtes Risiko haben, zu einer Untersuchung mit Ultraschall (Sonografie), bei der sich die Erweiterung früh erkennen lässt. Zu den Risikopatienten gehören generell Männer ab 65 Jahren. Vor allem aber, wenn sie rauchen, geraucht haben oder Herz-KreislaufErkrankungen haben. Frauen leiden wesentlich seltener an einer gefährlichen Erweiterung der Bauchschlagader. Doch sollten sie sich ab 65 ebenfalls untersuchen lassen, wenn sie rauchen oder Arteriosklerose haben. Hat es in Raucher haben ein deutlich erhöhtes Risiko zu erkranken der Familie bereits Fälle von Bauchaorten-Aneurysmen gegeben, sollten sich die Betroffenen schon deutlich früher untersuchen lassen. Solche Screening-Untersuchungen könnten viele Leben retten. Doch werden sie zurzeit noch nicht von der gesetzlichen Krankenversicherung bezahlt. Die Kosten für eine Untersuchung sind dabei aber vergleichsweise gering. Wird festgestellt, dass die Hauptschlagader erweitert ist, sollten sich die Betroffenen regelmäßig untersuchen lassen. Vor allem wenn das Aneurysma rasch wächst, besteht die Gefahr, dass es reißt. Ist dieses Risiko deutlich größer als das bei einem medizinischen Eingrif, raten Mediziner dem Patienten in der Regel zu einem solchen. Im Jahr 2009 wurde dieser Eingriff bei etwa 5700 Patienten in Deutschland minimalinvasiv mit einem Katheter durchgeführt. Etwa 8000 Patienten wurden offen operiert. Experten gehen davon aus, dass die Zahlen inzwischen ausgeglichen sind. Bei der offenen OP gelangt der Chirurg durch einen großen Bauchschnitt an das Aneurysma. Bei der Operation wird zunächst die Schlagader im Bauch freigelegt, abgeklemmt und im erweiterten Bereich aufgeschnitten. Die Gefäßchirurgen nähen dann eine Gefäßprothese aus Kunststoffgewebe ein. Gerinnsel und Ablagerungen werden entfernt, das Blutgefäß um das Kunstgefäß herumgelegt und dann wieder verschlossen. A: Beim Einführen ist die Gefäßstütze noch zusammengefaltet. B: Nach dem Einsetzen fließt das gesamte Blut durch den Stent. Bei dem Katheter-Verfahren sind dagegen nur kleine Schnitte in der Leiste nötig. Über diese gelangt der Gefäßexperte mit dem Katheter bis in die Bauchschlagader. Dort wird eine Gefäßstütze, ein so- genannter Stentgraft, entfaltet. Das Blut fließt dann durch diesen und übt keinen Druck mehr auf die schwach gewordene Gefäßwand aus. Doch ist die Methode nicht für jeden Patienten geeignet. Entscheidend ist vor allem die Form des Aneurysmas. So müssen oberhalb und unterhalb der Erweiterung ausreichend lange Bereiche vorhanden sein, in denen das Gefäß nicht erweitert ist. Nur so kann sich die Prothese dort dicht an die Gefäßwand anlegen, dass kein Blut mehr in das Aneurysma fließt. „Eine optimale Planung und Vorbereitung der Operation ist ein ganz entscheidender Erfolgsfaktor für das Gelingen der Operation“, sagt Dr. Rolf Weidenhagen, leitender Oberarzt der Gefäßchirurgie Großhadern. Die Daten der Untersuchung im Computer-Tomografen werden als dreidimensionales Bild aufbereitet. „So lassen sich die Größen- und Längenverhältnisse exakt einschätzen.“ Doch auch die Beckenarterien können Probleme bereiten. Sind diese sehr verschlängelt oder verkalkt, lässt sich der Katheter schwer einführen. Sind die Voraussetzungen, um einen Stent einzusetzen, ungünstig, kann in manchen Fällen aber dennoch eine wenig invasive Behandlung durchgeführt werden. „In solchen Fällen können wir mit einer maßgeschneiderten Prothese die Anatomie des Patienten überlisten“, sagt Prof. Thomas Koeppel, Chefarzt der Gefäßchirurgie am Klini- Maßgeschneiderte Prothesen überlisten schwierige Anatomie kum der Universität München. Die Patienten erholen sich nach dem Einsetzen eines Stents deutlich schneller als nach einer offenen OP. Doch müssen sie regelmäßig zur Nachuntersuchung. „Das oberste Gebot ist die Sicherheit der Patienten“, sagt Koeppel. Daher haben die Herz- und Gefäßspezialisten am Klinikum Großhadern die „Aortenallianz München“ gegründet. Eine fachübergreifende Zusammenarbeit soll die bestmögliche Behandlung von Patienten mit Erkrankungen der Aorta ermöglichen. Leserfragen an die Experten: wissenschaft@merkur-online