Die Onkologie – ein Motor des medizinischen Fortschritts

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5.12.2008
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SCHLAGLICHTER
Schweiz Med Forum 2008;8(51–52):1011–1012
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Die Onkologie – ein Motor des medizinischen Fortschritts
Bernhard Pestalozzi
Klinik und Poliklinik für Onkologie, Universitätsspital, Zürich
Mit der Entwicklung von Imatinib, das seit 2001
zur Behandlung der chronischen myeloischen
Leukämie eingesetzt wird, wurde in der Onkologie
das Zeitalter der Zielmolekül-gerichteten («targeted») Therapie eingeläutet. Imatinib wurde als
Inhibitor der pathogenetisch wirksamen, durch
die Translokation t (9;22) verursachten bcr-ablThyrosinkinase entwickelt. Es hat die Behandlung der CML wie auch der gastrointestinalen
Stromatumoren (GIST) geradezu revolutioniert.
Damit war auch der grundlegende Beweis erbracht, dass zellbiologische Grundlagenerkenntnisse mit Erfolg therapeutisch genutzt werden
können. Die Pharmaindustrie arbeitet seither
fieberhaft an solchen Medikamenten, an Inhibitoren von intra- oder extrazellulären oder membranständigen Molekülen, die bedeutsam sind
für die neoplastische Entwicklung. Dadurch wurde die Onkologie von einer bis anhin unbekannten Dynamik erfasst. Die damit verbundene Komplexität, aber auch Folgekosten sind heute eine
Herausforderung für die praktizierenden Ärzte,
für Patienten und Kostenträger.
Hier möchten wir auf einen wichtigen positiven
Aspekt dieser Dynamik hinweisen: Die Entwicklung onkologischer Medikamente hat auf vielen
anderen Gebieten der Medizin zu neuen Erkenntnissen geführt. Beispiele sind in Tabelle 1 p zusammengestellt. Schematisch gesagt verläuft die
Entwicklung folgendermassen: Ein neuer Inhibitor wird getestet bei onkologischen Patienten,
welche bereit sind, Risiken einzugehen. Das Me-
dikament zeigt eine gewisse Wirkung, aber auch
neue Nebenwirkungen. Um besser mit diesen
neuartigen Nebenwirkungen umgehen zu können,
müssen die Onkologen ihre Kollegen anderer
Spezialitäten um Hilfe ersuchen. Im Verlauf der
klinischen Entwicklung in Phase I, II und III
Studien lernen die Kliniker gemeinsam, durch
Dosisanpassung, Überwachung, Einsatz von Gegenmitteln die Nebenwirkungen in den Griff zu
bekommen. Nicht selten generieren die beigezogenen Spezialisten neue Ideen, die sie in ihrem
Feld testen können. So studiert die Kardiologie
heute die Bedeutung des HER2-Pathways für die
Regeneration der Kardiomyozyten. Die Nephrologie profitiert von den Erkenntnissen zu VEGF
aus den Podozyten als trophischer Faktor für die
glomeruläre Membran. Die Multikinasen-Inhibitoren Sunitinib und Sorafenib können sehr viele
Nebenwirkungen an der Haut, der Schilddrüse
und am Herzen verursachen. Entsprechend sind
sie für Dermatologie, Endokrinologie, Kardiologie interessant. Die EGFR-Inhibitoren führen
regelmässig und dosisabhängig zu einem akneiformen Rash, einer follikulären Dermatitis und
schliesslich einer Hautatrophie, was die dermatologische Therapie und Pathophysiologie motiviert. Sogar die Zahnmedizin beschäftigt sich
heute mit Patienten der Onkologie; eine überraschende Spätkomplikation der Bisphosphonattherapie ist die Kieferosteonekrose.
Manchmal sind es nicht die Nebenwirkungen,
sondern die Wirkungen, welche fächerübergrei-
Tabelle 1. Von der onkologischen Nebenwirkung zur medizinischen Forschung.
Medikament; Target
Onkologische Indikation
Nebenwirkung
Forschungsgebiet
Trastuzumab; HER2
Lapatinib; HER2/EGFR
HER2-pos. Mammakarzinom
Kardiotoxizität (4Auswurffraktion)
Mechanismen der Kardiotoxizität
Bevacizumab; VEGF
Mammakarzinom, kolorektales Karzinom,
Bronchuskarzinom
Proteinurie, arterielle Hypertonie,
thrombotische Mikroangiopathie;
Thromboembolien
Interaktion Podozyten – glomeruläre
Membran; Endothelfunktionen
Sunitinib, Sorafenib; VEGFR, PDGFR
Nierenzell-Karzinom, Hepatozelluläres
Karzinom
Palmoplantare Hyperkeratose,
Hypothyreose, Kardiopathie (2QTc)
Mechanismen der Gewebetoxizität
auf Haut, Schilddrüse, Herz
Cetuximab; EGFR
Erlotinib; EGFR
Kolorektales Karzinom, Kopf-HalsKarzinom, Bronchuskarzinom
Pustulöse Follikulitis, xerotische
Dermatitis, Paronychie; Diarrhoe
Bedeutung des EGFR-Pathways
für Keratinozyten, Hautadnexe;
Intestinaltrakt
Temsirolimus, Everolimus; mTOR
Neuroendokrine Tumoren,
Nierenzell-Karzinom
Interstitielle Pneumonitis
Mechanismen der Pneumopathie
Rituximab; CD20
B-Zell-Lymphom
Immunsuppression
Autoimmunerkrankungen
Bisphosphonate; Osteoklasten
Skelettmetastasen
Kiefernekrose, Wachstumsstörungen
Knochen-Remodeling
EGFR = epithelial growth factor receptor; HER2 = human epithelial (growth factor) receptor 2; mTOR = mammalian target of rapamycin;
PDGFR = platelet derived growth factor receptor; QTc = frequenzkorrigierte QT-Zeit; VEGF = vascular endothelial growth factor (Ligand);
VEGFR = vascular endothelial growth factor receptor.
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SCHLAGLICHTER
fend motivieren. mTOR-Inhibitoren waren zuerst
als Immunsuppressiva in der Transplantationsmedizin in Gebrauch. Eine ihrer gefürchteten
Nebenwirkungen ist die interstitielle Pneumonitis. Heute werden mTOR-Inhibitoren onkologisch
breit getestet. Umgekehrt verlief es mit dem
Korrespondenz:
CD20-Antikörper Rituximab, der zuerst gegen
Prof. Bernhard Pestalozzi
maligne B-Zell-Non-Hodgkin-Lymphome in der
Leitender Arzt a.i.
Onkologie verwendet wurde und nun sekundär
Klinik und Poliklinik für Onkologie
sowohl in der Transplantationsmedizin wie auch
Universitätsspital
in der Rheumatologie gegen AutoimmunerkranCH-8091 Zürich
kungen eingesetzt wird.
[email protected]
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Die Liste in Tabelle 1 liesse sich ausweiten, es
geht aber hier nicht um Vollständigkeit. Es geht
auch nicht darum, zu behaupten, die Onkologie
sei der einzige Motor des medizinischen Fortschritts. Aber die beschriebene Entwicklung verweist doch auf die wichtige Stellung der Onkologie in der Inneren Medizin, auf die zunehmende
Komplexität der onkologischen Therapien und
damit auf die Notwendigkeit einer hervorragenden interdisziplinären Zusammenarbeit im Bereich der Forschung und im klinischen Alltag.
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