3. Photochemie und Reaktionskinetik 3.1 Allgemeine Grundlagen In Molekülen sind Atome durch chemische Kräfte gebunden. Manche Moleküle sind reaktiver (z.B. Stickoxide) als andere (z.B. Kohlendioxid). Welche chemischen Reaktionen sind möglich und wie schnell können diese ablaufen? Einteilung der Reaktionsprozesse in der Atmosphäre Thermische bzw. Photolyse Reaktionen Phase der beteiligten Substanzen Abgabe/Aufnahme von Wärmeenergie während der Reaktion Anzahl der beteiligten Moleküle (Molekularität) Phase der beteiligten Substanzen Reaktionen sind homogen + alle reagierenden Substanzen (Reaktanden) befinden sich in der gleichen Phase in der Atmosphäre generell reine Gasphasenchemie oder heterogen + Reaktionen von Stoffen unterschiedlicher Phase; Gase + flüssig/fest z.B. Wolkenchemie, Reaktionen an Oberflächen von polaren stratosphärischen Wolken (PSC) Thermische und Photolyse Reaktionen Bei thermischen Reaktionen wird die Reaktion durch Kollision oder Intervall der Molekülvibrationen verursacht Dekomposition: aus einer Spezies werden zwei Kombination: aus zwei Spezien wird eine Disproportion: aus zwei Spezien werden zwei andere In photochemische Reaktionen wird die für die Reaktion nötige Energie durch Absorption eines Photons erzielt. Nach Absorption eines Photons kann es zu verschiedenen Prozessen kommen: Kollisionsdeaktivierung: angeregtes Molekül wird bei Kollision mit einem anderen deaktiviert Photodissoziation: Spezies "vibriert" auseinander Direkte Reaktion: angeregte Spezies reagiert direkt mit anderem Molekül .... Abgabe/Aufnahme von Wärmeenergie Q während der Reaktion Reaktionen sind endotherm Q>0 oder exotherm Q<0 Bei jeder chemischen Reaktion wird Energie in Form von Wärme aufgenommen oder freigesetzt. Einige Reaktionen verlaufen exotherm, was bedeutet, dass sie Energie abgeben und durch Abkühlung zu beschleunigen sind. Andere Reaktionen verlaufen endotherm, was bedeutet, dass sie Energie verbrauchen und durch Erhitzen beschleunigt werden können. Q = ΔHR = ΣΔHf(Produkte) - ΣΔHf(Edukte) Bildungsenthalpie ∆H Bildungsenthalpie (ΔHf) oder Wärmeinhalt einer chemischen Verbindung bezeichnet die Energie, die für ihre Entstehung aus den Grundkonstitutionen (z.B. N2, O2, S,..) bei gegebenen Druck und Temperatur aufgewendet wird. Die Reaktionsentalpie (ΔHR) ist die Differenz aus der Bildungsenthalpie (ΔHf) der Produkte (Endstoffe) und der Bildungsenthalpie der Edukte (Ausgangsstoffe). Beispiel: Ozonkombination O + O2 + M → O3 + M Zum Aufbrechen der O2 Bindung durch Photolyse werden ca. 500 kJ/mol benötigt Q = ΔHR = ΣΔHf (Produkte) - ΣΔHf(Edukte) Q= ΔH exotherm A+B ΔHO3 + ΔHM - ΔHO– ΔHC2 – ΔHM 143 = -107 kJ/mol 250 C+D 0 A+B → C+D Edukte Produkte Reaktionsweg -Q Methan-Abstraktion Beispiel: Abgabe eines MethanWasserstoffatoms an das Hydroxyl-Radikal CH 4 + OH → CH 3 + H 2O Q = ΔHR = ΣΔHf (Produkte) - ΣΔHf(Edukte) Q= ΔHCH3 + ΔHH2O – ΔHCH4 – ΔHOH 145.8 -242.2 -75 +39 = -60.4 kJ/mol Abstraktion Trennung des Wasserstoffatoms einer wasserhaltigen Substanz Radikale besitzen eine ungerade Anzahl von Elektronen und sind daher sehr reaktiv, werden oft mit ⋅ gekennzeichnet Propagation - Initiierung einer Kettenreaktion, da CH3-Radikal (Methylradikal) weitere Reaktionsschritte verursacht Disproportionierung – freie Radikale reagieren miteinander und bilden zwei Moleküle, z.B. Rekombination – freie Radikale bilden ein einziges Produkt, z.B. HO& 2 + HO& 2 → H 2O2 + O2 HO& 2 + NO& 2 + M → HNO3 + M Temperaturabhängigkeit der Bildungsenthalpie Bildungenthalpien ΔHo liegen für die Standardwerte von Temperatur (298.15 K) und Druck (1013 hPa) tabelliert vor. T Temperaturkorrektur entsprechend der Wärmekapazität Cp bei konstantem Druck o ΔH T = ΔH 298 .15 K + ∫C 298.15 K Korrektur i.A. klein für den atmosphärischen Temperaturbereich, so dass meistens die tabellierten Werte ohne Korrektur übernommen werden können. p dT Tabellierte Werte Grundzustände Energiezustände von Atomen und Molekülen O( 3 P) + H 2O → OH + OH Q= ΔHOH + ΔHOH - ΔHO3P - ΔHH2O 9.3 9.3 = 16.9 kcal/mol 59.5 -57.8 endotherm O(1 D) + H 2O → OH + OH Q= ΔHOH + ΔHOH - ΔHO1D - ΔHH2O 9.3 9.3 104.8 = -28.3 kcal/mol 1 kcal = 4.184 kJ exotherm Auch Absorption eines Photons kann eine endotherme Reaktion in eine exotherme Reaktion Konvertieren -57.8 Spontanität einer Reaktion alle Systeme streben den Zustand niedrigster Energie an alle Systeme den Zustand maximaler Entropie an - die Unordnung nimmt spontan zu Bei gegebener Temperatur T und konstantem Druck läuft ein Prozess nur dann spontan ab, wenn die freie Energie G dabei erniedrigt wird, dG < 0. Dies kann auch entweder durch Enthalpieerniedrigung (dH < 0, Wärme wird freigesetzt), durch Entropieerhöhung (dS >0) oder Kombination erreicht werde.. dS ≥ dQ T TdS ≥ dQ = dH Definition der Gibbs Energie Aus Thermodynamik für p=const. ΔG = ΔH − TΔdS ΔGR = ΣΔGf(Produkte) - ΣΔGf(Reaktanden) Wenn ΔGR <0 kann Reaktion spontan ablaufen In der Atmosphäre ist ΔS generell recht klein, so dass es meist vernachlässigt werden kann Molekularität einer Reaktion Anzahl der beteiligten Moleküle Beispiele unimolekular AB → A+B N 2O5 → NO2 + NO3 bimolekular A+B → C+D Cl + O3 → ClO + O2 trimolekular A + B + M → AB + M NO2 + NO3 + M → N 2O5 + M Stoßpartner M ist unreaktiv (N2,O2) Trimolekulare Reaktionen kommen besonders häufig vor, da stabiles Reaktionsprodukt nur entsteht, wenn freiwerdende Energie abgeführt wird (durch Bewegungsenergie des Stoßpartners) Trimolekulare Reaktionen sind schneller bei niedrigen Temperaturen, da so langsamere Annäherung der Reaktionspartner stabilerer Übergang zu M Struktur photochemischer Bilanzgleichungen Chemische Kinetik gibt Antwort auf die Frage, wie schnell eine Reaktion abläuft. Aus den Reaktionen lassen sich Bilanzgleichungen erstellen, die Aufschluss über die zeitliche Änderung der Konzentration der beteiligten Komponenten geben. [A] Teilchenzahldichte von A [Teilchen cm-3] A+ B → C + D R = k [ A] [ B] R Reaktionsrate [Anzahl cm-3 s-1] k Reaktionsratenkonstante [cm3 s-1] Die Reaktionsgeschwindigkeit R, oder auch Reaktionsrate genannt, ist die Anzahl der Reaktionen pro Volumen- und Zeiteinheit für bimolekulare Reaktion Die Reaktionsratenkonstante k, oder Ratenkoeffizient beschreibt die Änderung der Konzentration [A] in Teilchen pro Volumen als: R=− d [ A] d [ B] d [C ] d [ D] =− = = dt dt dt dt Ordnung einer Reaktion xA +yB → Produkte R=[A]x [B]y x Ordnung von A y Ordnung von y x+y Ordnung der Reaktion unimolekular AB → A+B Reaktion 1. Ordnung k [s-1] bimolekular A+B → C+D Reaktion 2. Ordnung k [cm3 s-1] trimolekular A + B + M → AB + M Reaktion 3. Ordnung k [cm6 s-1] Reaktion 1. Ordnung AB → A + B d [ AB] d [ A] d [ B] R=− = = = k[ AB] dt dt dt d [ AB ] = − k dt [ AB] k Reaktionsratenkonstante [s-1] τ chemische Lebensdauer Integration über die Zeit [ AB ] = [ ABo ] exp(− kt ) Die Zeit, die es dauert bis [AB] auf 1/e seiner ursprünglichen Konzentration [AB0] gefallen ist, daher ist τ=1/k chemische Lebensdauer von A. [AB] [ABo] 0.37 τ t Voraussetzung für bimolekulare Reaktion Moleküle A und B müssen miteinander kollidieren nur ein geringer Anteil der Kollisionen unter den Molekülen führt zu einer Reaktion, da während der kurzen Reaktionszeit von ca. 10-12 s die alten molekularen Bindungen aufgebrochen und neue gebildet werden müssen während der gegenseitigen Annäherung gehen die anfänglich unabhängigen Reaktanden in einen Zwischenzustand über, in dem sie chemisch wechselwirken. Dieser Übergangszustand wird nur erreicht, falls die Reaktanden genügend Energie besitzen, um die Aktivierungsschwelle zu überwinden Die benötigte Energie nennt man Aktivierungs- oder Anregungsenergie EA. Mit fortschreitender Reaktion gibt das System Energie ab. Der Unterschied zwischen den Bildungsenthalpien der Reaktanden und der Produkte entspricht der Reaktionsenthalpie ΔHR. A + BC → ABC * ABC * → A + BC Aktivierungsenergie EA Die Ratenkoeffizienten und somit auch die Reaktionen sind temperaturabhängig. Entsprechend dem schwedischen Chemiker Swante Arrhenius gilt die Arrhenius-Formel ⎛ EA ⎞ k (T ) = A exp⎜ − ⎟ ⎝ RT ⎠ A präexponentieller Faktor R Gaskonstante - Kollisionsrate ist Maximalwert für A - Beschränkung durch Molekülausrichtung, Rotations- und Schwingungszustände EAR EAR Aktivierungsenergie in Rückwärtsrichtung ⎛ EA ⎞ k (T ) = A exp⎜ − ⎟ ⎝ RT ⎠ Einige Beispiele ⎛ EA ⎞ k (T ) = A exp⎜ − ⎟ ⎝ RT ⎠ A präexponentieller Faktor R Gaskonstante Ozonkonzentration in der Troposphäre O + O2 + M → O3 + M l1 O3 + NO k1 → NO2 + O2 O3 + NO k2 → NO O3 + hν J1 → O2 + O * 2 + O2 ⎛ 300 ⎞ l1 = 6.2 ⋅10 −34 ⎜ ⎟ ⎝ T ⎠ 2 [cm 6 s −1 ] ⎛ − 2100 ⎞ 3 −1 k1 = 5.0 ⋅10 −14 T exp⎜ ⎟ [cm s ] ⎝ T ⎠ ⎛ − 1200 ⎞ 3 −1 k 2 = 5.0 ⋅10 −14 T exp⎜ ⎟ [cm s ] ⎝ T ⎠ J1 Photodissoziationskoeffizient [s-1] d [O 3 ] Quellen = + l1[O][O3 ][ M ] dt − k1[O3 ][ NO] − k 2 [O3 ][ NO ] − J1[O3 ] Senken Zur Berechnung des Gleichgewichts muss Differentialgleichung gelöst werden, siehe 3.4 3.2 Photochemische Reaktionen - Strahlung und BindungsenergienWirkung solarer Strahlung auf atmosphärische Bestandteile Anregung "excitation" Elektronen auf höheres Energieniveau, Erhöhung der Vibrationsenergie E = N A hν = = 119625 λ Aufspaltung (Photolyse) Ionen (geladene Teilchen Atome (ungeladen gerade Elektronenzahl) N A hc Radikale, molekulare Bruchstücke mit ein oder mehreren ungesättigten Elektronenpaaren λ [kJ / mol ] mit λ in [nm] O2 + hν → O + O Q= 2ΔHO – ΔHO2 –hc/λ 2 x 249 0 = 498 kJ/mol - 119625/λ λ<240 nm hν Energie eines Photons [J] NAhν Energie zur Spaltung eines Mols [J mol-1] NA= 6.022 ⋅ 1023 mol-1 Avogadro-Konstante Planck Wirkungsquantum h= 6.6 ⋅ 1034 J s-1 c= 3 ⋅ 108 m s-1 Lichtgeschwindigkeit Phototodissoziation Name E = N A hν = = 119625 λ N A hc λ [kJ / mol ] O3 + hν → O2 + O Q= ΔHO + ΔHO2 – ΔHO3 -hc/λ 249 0 -142 = 107 kJ/mol - 119625/λ 119625 λ < = 1120 nm 107 Wellenlänge [nm] E [kJ/mol] 170 190 210 230 250 280 VIS Rot Orange Gelb Grün Blau Violett 700 620 580 530 470 420 Nahes Ultraviolett 400-200 300-600 Fernes Ultraviolet 200-50 600-2400 CO2: H2O: O2: O3: λ < 165 nm λ < 180 nm λ < 240 nm λ < 1120 nm Phototodissoziation in der Atmosphäre CO2: H2O: O2: O3: λ < 165 nm λ < 180 nm λ < 240 nm λ < 1120 nm kürzeste Wellenlänge für Photochemie der Troposphäre ist 290 nm