11.10.2012 Überblick • • • • • • • Trauma und Suizidalität Einleitung NSSV und Suizidalität Trauma & Suizidalität Trauma & NSSV Mediatoren Zusammenfassung Diskussion Vierteljahrestreffen Ulm Paul L. Plener 2012 Definition • Suizid: Willentliche Beendigung des eigenen Lebens • Suizidgedanken: Gedanken darüber sich das Leben zu nehmen • Suizidplan: Die Formulierung einer spezifischen Methode mittels derer eine Person aus dem Leben scheiden will • Suizidversuch: Aktion, die mit der Intention zu sterben ausgeführt wird, jedoch nicht tödlich endet • NSSV: Bewusste, freiwillige und direkte Zerstörung von Körpergewebe, ohne suizidale Absicht, die sozial nicht akzeptiert ist Nock et al., 2008, LloydRichards on et al. 2007, Nitkowski & Petermann, 2009 DSM 5: NSSV Syndrom • A. Innerhalb des letzten Jahres hat sich das Individuum an 5 oder mehr Tagen absichtlich selbst eine Schädigung an der Körperoberfläche zugefügt, […] aus Gründen die sozial nicht akzeptiert sind (z.B. Piercing, Tätowierungen, etc.), aber mit der Erwartung ausgeführt wurden, dass die Verletzung nur zu einem kleinen bis moderaten körperlichen Schaden führt. Die Abwesenheit einer suizidalen Intention wird […] berichtet […]. Das Verhalten ist nicht von gewöhnlicher oder trivialer Natur wie das Zupfen an einer Wunde oder Nägelbeißen. Shaffer & Jacobson, 2009, Plener et al., 2012 Prävalenz Die Zahlen dahinter • In D sterben pro Jahr ca. – – – – Wieviele sind betroffen? • 2.300 Menschen an den Folgen von HIV 7.000 Menschen an illegalem Drogenkonsum 5.700 Menschen im Straßenverkehr 10.000 Menschen am Suizid Statistisch gesehen stirbt ca. jede Stunde ein Mensch in D am Suizid Statistisches Bundesamt, www.destatis.de 1 11.10.2012 Suizidmethoden bei Jugendlichen: Versuche Suizidmethoden bei Jugendlichen: Suizide Alter • • • Kanada (n=370 Suizide, 11-18 Jahre) 91,9% „harte“ Methoden, „weiche“ Methoden b. Mädchen häufiger (9,4% vs. 4%) • Erhängen nimmt zu in letzten 20 Jahren (n=233, 11-19 Jahre) 15-24 25+ m w „weich“ 59,3% 81,6% „hart“ 40,7% 18,4% „weich“ 61,8% 77,2% „hart“ 38,2% 22,8% Würzburg, Suizidversuche: 19892003, n=1829 Soor et al., 2012, Skinner & McFaull, 2012 Bogdanovica et al., 2011 Suizidmethoden bei Jugendlichen: Suizide • EAAD (15 Länder, n=14.738 Suizide, 15-24a, 2000-2005) • Erhängen: häufigste Methode (5 mal häufiger bei männlichen Jugendlichen) • ♀: – 1. Erhängen – 2. Vergiftungen – 3. Sprung aus großer Höhe ♂: – 1. Erhängen – 2. Sprung aus großer Höhe – 3. Waffen (Schweiz und Finnland: 1. Platz) Länderunterschiede: – Ertrinken: häufigste Ursache in Irland – Sprung aus großer Höhe: ♂, Luxemburg u. ♀, Finnland • • Prävalenz NSSV • In Prävalenzstudien b. Adoleszenten: Raten um 19%. • Allgemeinbevölkerung: 4%-5.9% Värnik et al., 2009 Prävalenz Suizidalität: D • Heidelberger Schulstudie: (n= 5759, mittleres Alter: 14.9, SD: 0.73) – Suizidgedanken: 14.4 % – Suizidversuche: 7.9 % – Suizidpläne: 6.5 % • BELLA Studie (n= 2863 Familien, Alter: 11-17) – 6 Monatsprävalenz: Suizidgedanken: 3.8 % • Ulmer Schulstudie (n=665, Alter: 14-17) Brunner et al., 2007, Resch et al., 2008, Plener et al., 2009 – Suizidversuche: 6.5 % – Suizidgedanken: 35.9 % Prävalenz NSSV: D Lebenszeit: 25.6% 1-Jahr: 14.9% 6-Monate: 14.2% Muehlenkamp et al., 2012, Klonsky, 2011, Moran et al., 2011 Plener et al., 2009, Brunner et al., 2007 2 11.10.2012 Ätiologie- familiäre Risikofaktoren Ätiologie: Traumatische Ereignisse I • Suizidversuch Elternteil Affekt. Störung Elternteil • Impulsive Aggr. Elternteil • Suboptim. fam. Umfeld Affekt. Störung Kind • Vernachlässig./ Missbrauch Impulsive Aggr. Kind Suizidversuch Kind Stressoren Brent & Mann, 2006 Ätiologie: Traumatische Ereignisse II •Suizidgedanken: • Zahl d. traumatischen Erlebnisse: Zusammenhang mit Schwere d. suizidalen Handlung (Plener et al., 2011, Stein et al., 2010) • Mehr traumatische Erlebnisse 6 Monate vor SA (OR: 5.5), weniger soziale Unterstützung (OR: 3.37) (Pompili et al., 2011) Ätiologie: Traumatische Ereignisse III • • •N=665, 14-17a, w: 57% Mehrere Studien: Missbrauchserfahrungen – Suizidalität (Bruffaerts et al., 2010, Cash & Bridge, 2009, Stein et al., 2010) Sex. Missbrauch: (Stein et al., 2010) – Suizidgedanken: OR: 2,2 – Suizidversuche: OR 2,6 Körperliche Misshandlung: – Suizidgedanken: OR: 1,8 – Suizidversuche: OR: 1,9 Longitudinale Studie: Suizidversuch: – sex. Missbrauch, – sex. Missbrauch durch Familienmitglied, – Schwere des sex. Missbrauchs (Brezo et al., 2008) • • ein event: 52,6% • >1 event: 25,5% Vgl. nicht-suizidal vs. suizidal: Suizidal: – Depression n=22; BPD n=18; mittleres Alter: 16.73/16.72 nicht suizidal: – Depression n=20; BPD n=20; mittleres Alter: 16.26/16.43 • Kontrollgruppe n=39, mittleres Alter: 17,5 • Suizidale Patienten: mehr „stressful life events“, auch mehr im letzten Jahr • • Nichtsuizidale Patienten: Depression > BPD: mehr events Suizidale BPD Patienten: mehr sex. Missbrauch als nicht-suizidale BPD Patienten Nichtsuizidale depressive Patienten:mehr sex. Missbrauch als suizidale depressive Patienten Horesh et al., 2009 •Suizidversuche: • ein event: 23,3% • >1 event: 39,5% • öfter sex. Missbrauch: 23,3% vs. 8,9% (p=.015) • kein Unterschied b. körperliche Misshandlung • Plener et al., 2011 Joiner, 2005 Ätiologie: Traumatische Ereignisse IV • Jugendliche psychiatr. Patienten (n=508; Alter:12-17), 5a follow up f. Todesfälle • Keine Assoziation zw. traumatischen Erlebnissen und Suizidgedanken • • • Interpersonelle-psychologische Theorie Sich wie eine Last fühlen ♂: Zahl d. traumatischen Erlebnisse: Risiko f. Suizidversuch↑ ♀: sex. Missbrauch (OR : 2.3, p=.04) u. Zahl d. traumatischen Erlebnisse: Risiko f. Suizidversuch↑ Erworbene Fähigkeit sich selbst zu schädigen Sich von anderen isoliert erleben 16 gestorben (8 Suizid, 6 „Unfälle“, 1 Bronchopneumonie). Deutlicher Zusammenhang zu Zahl der traumat. Erlebnisse b. „Unfällen“: Fahrer, Elektroleitung, Ertrinken, versehentliche Vergiftung,… Suizidwunsch Isohookana et al., 2012 + „ACS“ 3 11.10.2012 Interpersonelle-psychologische Theorie Interpersonelle-psychologische Theorie (ACS) ↑ Furcht vor dem Tod ↓ Schmerzvolle Erfahrungen Furcht vor dem Tod ↓ NSSV Schmerztoleranz ↑ Schmerztoleranz ↑ N=67, Alter:18-29, mean: 19.25, SD: 2.07 Van Orden et al., 2010 Selbstverletzendes Verhalten – Suizidalität NSSV + SV Nur NSSV Nur SV Depressive Symptomatik Weniger Suizidgedanken Depressive Symptomatik Suizidgedanken Körperl. Misshandlung Mehr belastende Lebensereignisse Gründe zu leben ↓ Andere Misshandlungen Suizidgedanken Franklin et al., 2011 Anderson et al., 2012 Psychiatrische Komorbiditäten • Depression • Angststörungen • Substanzkonsum • Störungen des Sozialverhaltens • Eßstörung • Posttraumatische Belastungsstörungen PTSD, Misshandlungen, Missbrauch • Schizophrenien Weniger Unterstützung durch Eltern • Persönlichkeitsstörungen Anhedonie Angstsymptomatik Impulsivität Substanzkonsum Hoffnungslosigkeit Weniger familiäre Bindungen Einsamkeit Körperl. Misshandlung Wut Tod eines Freundes Alkoholkonsum Sorge um sexuelle Identität Klonsky 2007, Brunner et al. 2007 Risikoverhalten Risikofaktoren • • • • • • • • • • • • „TOP FIVE“ Gründe Psychische Erkrankung eines Elternteils Trennung der Eltern Arbeitslosigkeit Mißbrauch u. Mißhandlung in der Kindheit Somatische Beschwerden Depression Aggressivität Ängste Alexithymie Geringer Selbstwert Selbstabwertung Hoffnungslosigkeit Beginn (%): Aufrecht. (%): Um unerträgliche Spannung loszuwerden 59; (40.4) 42; (45,2) Um Frustration loszuwerden 56; (38,4) 39; (41,9) Um mich von unliebsamen Erinnerungen abzulenken 49; (33,6) 41; (44,1) Um körperliche Schmerzen an einer Stelle zu fühlen, dann, wenn der andere Schmerz den ich fühle unerträglich wird 48; (32,9) 37; (39,8) Um unangenehmen Gefühlen oder Stimmungen entfliehen zu können 47; (32,2) 34; (36,6) Fliege et al., 2009 4 11.10.2012 Beginn (%): Aufrecht. (%): Um unerträgliche Spannung loszuwerden 59; (40.4) 42; (45,2) Um Frustration loszuwerden 56; (38,4) 39; (41,9) Um mich von unliebsamen Erinnerungen abzulenken 49; (33,6) 41; (44,1) Um körperliche Schmerzen an einer Stelle zu fühlen, dann, wenn der andere Schmerz den ich fühle unerträglich wird 48; (32,9) 37; (39,8) Um unangenehmen Gefühlen oder Stimmungen entfliehen zu können 47; (32,2) • • N= 30 477, 14-17a, 7 Länder: DSH Gedanken über DSH 1x DSH ♀, Impulsivität ↑, DSH od. Suizid b. anderen, körperl. Misshandlung, sex. Missbrauch, sex. Orientierung 34; (36,6) Trauma & NSSV • Madge et al., 2011 Trauma & DSH „TOP FIVE“ Gründe Multiples DSH ♀, Depression ↑, Selbstwert ↓, DSH od. Suizid b. anderen, Probleme mit der Polizei Trauma & NSSV Hinweise auf Zusammenhang: sex. Missbrauch, körperliche Misshandlung und NSSV (Romans et al., 1995; van der Kolk et al., 1991; Sansone et al. 1995; Noll et al., 2003; Gratz 2006; Sinclair et al., 2007; Low et al., 2000) . • Längsschnittstudie (n= 164, mittleres Alter: 26): – repetitives NSSV: bei sex. Missbrauch in Kindheit – Gelegentliche NSSV: bei körperlichen Misshandlungen (Yates et al. 2008; ähnlich: Whitlock et al., 2008, Zoroglu et al., 2003) •Online survey, N=2101, 18-24a, w: 47,6% •Mehr sex. Missbrauch in Klasse 1 und 3 (mehr w) •Körperlicher Missbrauch in Klasse 3 •Emotionaler Missbrauch in allen Klassen Whitlock et al., 2008 Trauma & NSSV •Online survey, n=1417, 12-18a, w:81,4% •Mehr körperliche Misshandlung b. Jugendlichen mit Suizidalität •Mehr sex. Missbrauch (n.s.) Baetens et al., 2011 Trauma & NSSV Baetens et al., 2011 •Online survey, n=1417, 12-18a, w:81,4% •Mehr körperliche Misshandlung b. Jugendlichen mit Suizidalität •Mehr sex. Missbrauch (n.s.) •Mehr Suizidalität in Familie/ Freundeskreis •Mehr events: NSSI: M: 6,56, SSI: M:8.72, p<.001 5 11.10.2012 Eigentlich alles klar.... oder? Eigentlich alles klar.... oder? • Sex. Missbrauch: Zusammenhang mit SV, nicht mit NSSV (Nock & Kessler, 2006) • • • • • • Meta-Analyse: 45 Studien Zusammenhang NSSV – sex. Missbrauch Zusammenhang klein (Φ=0.23) Stärker für stationäre Patienten als f. nicht-klinische Populationen (Φ=0.24 vs. Φ=0.18) Sex. Missbrauch erklärt 5% der Varianz in der Entstehung von NSSV Kleinere Studien – größere Zusammenhänge (publication bias?) B. Kontrolle für psychiatrische Risikofaktoren: Varianz nicht oder kaum erklärbar durch sex. Missbrauch Kausale Rolle fraglich: ähnliche psychiatrische Risikofaktoren • • • • • • • • • „Meta-Review“ von 4 Reviews (177 Studien mit n=65 851) Sex. Missbrauch. Statistisch signifikanter, aber eher moderater Risikofaktor f. NSSV und Suizidalität Ev. keine primäre Rolle in der Entstehung aber in Zusammenspiel mit anderen biologischen und psychosozialen Risikofaktoren Viele konfundierende Variablen Starker „confounder“. Familiäres Umfeld: stärkerer Zusammenhang mit „suizidalem Verhalten“ als sex. Missbrauch. Sex. Missbrauch ist genereller Risikofaktor, nicht spezifisch für Suizidalität oder NSSV Kleinere bis mittere Effektstärken Maniglio, 2011 Klonsky & Moyer, 2008 Modelle Emotionale Dysregulation I Selbstwert ↓ • N= 2238 (419 mit NSSV Geschichte) w: 66%, Alter M: 19,7 (SD: 2,66) • • • NSSV vs. No-NSSV: Missbrauch/Misshandlung nicht häufiger ABER: Teilnehmer mit Misshandlung/Missbrauch: häufiger NSSV Emotionsregulation: Schwierigkeiten sowohl b. NSSV als auch bei Leuten mit Misshandlung Unterschiede in Emotionsregulationskala zwischen NSSV und NoNSSV: nicht b. sex. Missbrauch, aber bei körperlichem und gemischtem Missbrauch Repetitives NSSV vs. NSSV <5x: mehr körperliche Misshandlungen Low et al., 2000 Dissoziation Yates et al., 2008 Sexueller Missbrauch Alexithymie NSSV • Paivio & Mc Culloch, 2004 • Selbstkritik ↑ Glassmann et al., 2007 Weierich & Nock, 2008, Shenk et al., 2010 Muehlenkamp et al., 2010 PTSD Symptomatik • NSSV als Möglichkeit der Stimulation des autonomen Nervensystems nach traumatischen Erlebnissen? Emotionale Dysregulation Muehlenkamp et al., 2010, Corrigan et al., 2011 Zusammenfassung • In Bezug auf Suizidalität: starker Zusammenhang mit traumatischen Erlebnissen • Studienlage zu NSSV uneindeutig: – sex. Missbrauch und NSSV: selbe Risikofaktoren – Emotionsregulation – Häufigkeit von NSSV: wichtiger Faktor • Zusammenspiel v. traumatischen Ereignissen und anderen Faktoren (Neurobiologie,..) wahrscheinlich • CAVE: Keine automatischen Zuschreibungen Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit [email protected] 6