Was ist Theologie? P. H. E. G e n s i c h e n , Bremen, Neustadtseontrescarpe 72 Man könnte sich über das Thema wundern; denn nachdem nun fast zweitausend Jahre hindurch christliche Theologie getrieben wird, sollte man sich doch über ihr Wesen einig sein. Das ist aber keineswegs der Fall. Es gibt ja nicht nur die verschiedenen christlichen Konfessionen, sondern auch, und gerade innerhalb des evangelischen Christentums, die zahlreichen Denominationen. Diese Gespaltenheit hat doch nur dann einen Sinn, wenn auch wirklich theologische Unterschiede vorhanden sind, die eine Einigkeit erschweren oder sie gar unmöglich machen. So gibt es denn auch heute zahlreiche Veröffentlichungen, die direkt oder indirekt um diese Frage kreisen. Besonders bezeichnend sind hier die vielen Festschriften zum Jubiläum bekannter Theologen, in denen gerade dieses Thema immer wieder behandelt wird. Wir führen aus der Fülle der Zeugen nur drei an. Wie in jeder Wissenschaft kann man auch in der Theologie G e g e n s t a n d und M e t h o d e unterscheiden. In bezug auf den G e g e n s t a n d der Theologie sagt GÜNTHER BORNKAMM, zwar im Hinblick auf BULTMANN, aber doch auch ganz allgemein: »Die theologische Erarbeitung des Begriffs von Wirklichkeit, die Botschaft und Glaube meinen, ist e i n e n o c h d u r c h a u s u n e r l e d i g t e A u f g a b e « (von mir gesp.) (GÜNTHER BORNKAMM, »Mythos und Evangelium«, Th. Existenz heute, NF 26, S. 19, 1951). So ungeheuerlich dieser Satz nach fast 2000jährigen Bemühungen der Theologie auch klingen mag, so muß man ihm in Kenntnis der heutigen theologischen Lage doch durchaus zustimmen. Mehr von der M e t h o d e her, aber doch auch in bezug auf den Gegenstand, sagt ECHTERNACH: »Wir sprechen von etwas und setzen uns ein für etwas, dessen letzter Sinn uns noch unklar ist. Ist vielleicht die äußere Not, die über die Kirche hingeht (1938), die Folge dieser inneren? Werden wir heute dafür gestraft, daß wir seit Jahrhunderten die Offenbarungsweisheiten verkünden und verteidigen, o h n e uns ü b e r ihr Wesen, i h r e n Gel tu n gsa n s p r u c h , die E i g e n t ü m l i c h k e i t i h r e s W a h r h e i t s c h a r a k t e r s k l a r z u s e i n « (von mir gesp.) (ECHTERNACH, »Die verborgene Wahrheit. Von den Grenzen des Denkens und von der jenseitigen Wahrheit«, S. 7, 1938). Ganz grundsätzlich von G e g e n s t a n d und M e t h o d e sagt HEINR. OTT in seinem Buch über »Geschichte u. Heilsgeschichte in der Theologie RUDOLF BULTMANNS«: »BULTMANN arbeitet demnach in EntN. Zeitschr. f. systemat. Theologie 2 18 Unauthenticated Download Date | 5/11/16 7:59 PM 264 P. H. E. G e n s i c h e n sprechung zu einer allgemeinen theologischen Notwendigkeit, wenn er mit seiner theologischen Ontologie die für die T h e o l o g i e m a ß geblichen D i m e n s i o n e n des Seins und E r k e n n e n s neu z u b e s t i m m e n s u c h t « (von mir gesp.) (HEINR. OTT, a.a.O. S. 109). Diese drei Zeugnisse, die beliebig vermehrt werden könnten, sagen mit aller wünschenswerten Deutlichkeit, daß nicht etwa nur in bezug auf die Methode, was schließlich noch denkbar wäre, sondern gerade auch in bezug auf den Gegenstand in der Theologie durchaus keine Klarheit, und deswegen auch keine Einmütigkeit herrscht. Daher ist es nicht zu verwundern, daß sich »die Not der Kirche« gerade auch in der oft erbarmungswürdigen inneren Ratlosigkeit und der daraus folgenden Hilflosigkeit der jungen Theologiestudenten zeigt. Denn im le t z t e n Grund hat sich bis heute, trotz LUTHER und der angeblichen Lutherrenaissance, noch nichts daran geändert, daß es entweder heißt: »Credo, quia absurdum«! Und daß daher als erstes Opfer auf dem Altar der Theologie das sacrificium intellectus gefordert wird. Das aber ist untragbar und unmöglich, weil theologisch nicht zu verantworten. Denn die »hypakoe tou Christou« (2. Kr. 10, 5) meint gerade nicht in erster Linie das sacrificium intellectus. Oder der andere Ausweg, daß nämlich das Christentum seinen einzigartigen Charakter als ChristusOffenbarung verliert und auf die Stelle e i n e r R e l i g i o n u n t e r v i e l e n a n d e r e n herabsinkt. Wir verstehen, daß es zwischen diesen beiden Grenzsituationen unzählige Zwischenstufen gibt, und daß daraus das verwirrte Bild der augenblicklichen theologischen Lage zu erklären ist. Es ist angebracht, nach den Gründen dieser beklagenswerten Verwirrung zu fragen. Vielleicht kann man sogar einen der Hauptgründe an dem Terminus »theologia« selbst entwickeln. Dieser Terminus (und seine Derivate) findet sich nicht im NEUEN TESTAMENT, wohl aber schon in der vorchristlichen Profangräzität von Hesiod an über Plato und Aristoteles, und dann wieder in der späteren kirchlichen Gräzität des zweiten nachapostolischen Jahrhunderts, besonders bei den Apologeten. Er bedeutet, wörtlich übersetzt: »Lehre Gottes«, und zwar als genetivus objectivus, d. h. Gott ist das Objekt der Lehre, über das (oder den) gelehrt wird. Dabei wird in der Profangräzität nicht unbedingt unterschieden zwischen Religion einerseits und Theologie andrerseits, d. h. zwischen dem religiösen Glauben an die Gottheit und einer mehr oder weniger wissenschaftlichen Betrachtung und Durchdenkung dieses Glaubens. Vielmehr muß zunächst gesagt werden, daß die » t h e o l o g i a « als »Lehre von Gott« ein integrierender Bestandteil d e r R e l i g i o n s e l b s t i s t . Und zwar gehört die Theologie so selbstverständlich in die Religion hinein, daß sie sogar das Hauptunterscheidungsmerkmal zwischen den einzelnen Religionen ist. Die Religionen unterscheiden sich nicht so sehr in Kultus, Ethik und Mystik, sondern Unauthenticated Download Date | 5/11/16 7:59 PM Was ist Theologie 265 zunächst und vor allem in ihren Lehren. Natürlich a u c h in Mystik, Ethik und Kultus! Aber es ist durchaus denkbar, daß zwei Religionen in Mystik, Ethik und Kultus nahe verwandt sind, in der Lehre aber gänzlich verschieden. Natürlich gibt es auch Grenzfälle, wie den gänzlich stummen ZenBuddhismus. Aber auch er muß seine Anfänger zunächst einmal mit Worten oder Gesten in die stumme Meditation einweihen. Wir sehen also, daß die heutige Meinung, Religion und Theologie seien zwei gänzlich verschiedene Dinge, gar nicht so selbstverständlich ist, wie sie sich gibt. Allerdings muß man zwischen einer »interessierten« und einer »uninteressierten« oder nur sachlich interessierten Theologie unterscheiden. Denn das ist nach TILLICH ein wesentliches Kennzeichen der Religion, daß sie »mich« als wichtigste Lebensaufgabe aufs allerhöchste »angeht«. Die persönlich interessierte Darstellung des Glaubens wird anders ausfallen, als die nur sachlich interessierte des Unglaubens. Hieraus entwickelt sich ganz von selbst die bekannte, aber nach BARTH (»Kirchl. Dogmatik«, I, l, IX) wenig schöne Unterscheidung von »fides quae« und »fides qua«. Der uninteressierte Darsteller der Religion hat es nur mit »fides quae« zu tun, d. h. mit den objektiven Lehrsätzen, die das Wesen der betr. Religion, die wissenschaftlich dargestellt werden soll, ausmachen. Für denjenigen, der an diese Religion glaubt, kommt zu der objektiven »fides quae« die subjektive »fides qua« hinzu, mit der der Gläubige sein ganzes Vertrauen auf die Wahrheit dieser betr. Religion setzt. Die fides quae meint einen zunächst rein geistigen, dann aber auch methaphysisch-transcendenten, auf jeden Fall o b j e k t i v e n Tatbestand, eben jene religiöse Lehre. Die fides qua meint eine psychische, zustimmende, auf jeden Fall rein s u b j e k t i v e Haltung gegenüber diesem angeblich objektiven Tatbestand der fides quae. Schon deswegen also ist die Unterscheidung von fides quae und fides qua nicht gerade sehr verlockend, weil sie zwei verschiedene Ebenen, eine objektive und eine subjektive, zuerst auseinanderreißt, um sie nachher doch wieder in Beziehung zu setzen. Aber gerade daraus, daß diese Unterscheidung in der Religion nicht nur möglich, sondern auch faktisch wird, geht die ganze Vorläufigkeit der Religion hervor. Wenn aber Vorläufigkeit, dann ist klar, daß diese Scheidung und Unterscheidung bei der endgültigen, weil eben nicht mehr vorläufigen Christusoffenbarung auf keinen Fall mehr eine Rolle spielen darf. Daß diese Unterscheidung dennoch auch in der christlichen Theologie immer noch mehr oder weniger deutlich, mehr oder weniger bewußt, vorhanden ist, ist wiederum ein Anzeichen der großen Verwirrung in der christlichen Theologie. Doch davon später! Zunächst soll uns auch noch die Philosophie beglaubigen, daß die Lehre wirklich ein integrierender Bestandteil der Religion ist, daß also Religion und Theologie nicht getrennt werden dürfen, sondern identisch 18° Unauthenticated Download Date | 5/11/16 7:59 PM 266 P. H. E. G e n s i c h e n sind. Am einfachsten zeigt uns das die sog. »Wertphilosophie«. Man kann verschiedene Werte und Wertgebiete unterscheiden. RICKERT unterscheidet 6, ED. SPRANGER 8, nämlich sog. »Lebensformen«, MÜNSTERBERG sogar 24. Unter diesen Wertgebieten haben aber zwei eine Sonderstellung. Das ist zuerst der theoretische Wahrheitswert, der in Kants I.Kritik, der »Kritik der reinen Vernunft«, behandelt ist. Warum dieser rationale Wahrheitswert eine Sonderstellung hat, werden wir gleich hören. Auch der religiöse Wert des »Heiligen« nimmt eine Sonderstellung ein. Und zwar ist er gerade wegen dieser seiner Sonderstellung, wenn man von einer Rangordnung der Werte reden will, einerseits der höchste Wert, aber auch andererseits der grundsätzlich unlogische oder sinnlose Wert. Alle Werte unterscheiden sich nämlich, — nicht durch ihre »Form«, das ist überall die »theoretische« oder rationale Form der »Wahrheit«, der »Geltung« oder der »Ordnung«, in der alle Werte »stehen«, worin sich also die Sonderstellung des theoretischen Wertes, von der wir vorhin sprachen, zeigt. Die Werte unterscheiden sich vielmehr nur durch ihre verschiedenen »Inhalte«, z. B. der ethische, der ästhetische, der hedonische, der ökonomische Wert usw. Nur der religiöse Wert ist mit seinem eigenen religiösen Inhalt des »Heiligen« oder »Numinosen« nicht zufrieden, sondern er bemächtigt sich auch noch des theoretischen Inhalts. In der theoretischen Form steht er mit allen ändern Werten sowieso. Nun verlangt er aber auch noch, daß außer seinem religiösen Inhalt auch noch der theoretische Inhalt von ihm gelten solle. Er will nämlich, daß von den Gottheiten, an die er religiös glaubt, außerdem auch noch das theoretische Urteil gefällt wird, sie seien »wahr«, d.h. sie »existierten« real, sie seien »wirklich« (vgl. Rom. l, 19ff.). Dieses »Existenzialurteil« kann aber sinnvoll nur von immanenten, diesseitigen Gegenständen gefällt werden, niemals von transcendenten, jenseitigen, weil sich diese der logischen Nachprüfung entziehen. Wie wir schon sagten, ist der religiöse Wert dadurch zwar der wertvollste, der höchste Wert, aber auch der sinnloseste, der unlogischste. Dennoch aber gehört dieses theoretische Existenzialurteil: »Die Götter existieren real« unabdingbar zum religiösen Wert hinzu. HEINR. SCHOLZ hält dieses Existenzialurteil in seiner »Religionsphilosophie« sogar für den eigentlichen religiösen Inhalt. Und zwar so sehr, daß die ganze Religion hinfällt, wenn ihr Götterhimmel einstürzt. Das war ja der Hauptgrund, menschlich geredet, weswegen das junge Christentum so schnell und gründlich die damaligen heidnischen Religionen überrannte, weil der Glaube an die transcendente Existenz der heidnischen Götter schon längst wankend geworden waren. Jedenfalls ist hiermit auch rein philosophisch bewiesen, daß Religion und Theologie, Glaube und Lehre geradezu identisch sind und in keiner Weise getrennt werden dürfen. Es mag noch hinzugefügt werden, daß eine nur immanente Religion, die auf transcendente Gottheiten bewußt verzichtet und die etwa nur im Kultus Unauthenticated Download Date | 5/11/16 7:59 PM Was ist Theologie 267 der Schönheit oder des Guten bestünde, keine Religion ist, sondern Ästhetizismus oder Ethizismus. Wie aber steht es mit dem Christentum? Es liegt nahe, zu sagen: Wenn schon bei der Religion Glaube und Lehre identisch sind, so erst recht im Christentum! Aber gerade dieser Schluß ist in dieser Direktheit zunächst falsch. Und zwar deswegen, weil das C h r i s t e n t u m k e i n e R e l i g i o n ist. Dieser Satz müßte eigentlich doppelt und dreifach unterstrichen werden. Denn leider ist er ein Satz, der der ganzen heutigen theologischen Praxis immer noch ins Gesicht schlägt. Ich sage ihn darum etwas abgewandelt noch einmal: D i e C h r i s t u s o f f e n b a r u n g i s t a u f k e i n e n Fall eine Religion, sondern das genaue Gegenteil aller und j e d e r R e l i g i o n . Ich halte es für einen schweren Fehler christlicher Theologie, wenn in ihr das Christentum immer noch als eine unter vielen Religionen gilt, wenn auch als die höchste oder gar absolute, aber doch als Religion. (Der BARTH der 2. Auflage des Römerbriefes von 1922 schien einen grundsätzlichen Unterschied zwischen Religion und Christentum statuieren zu wollen. Der heutige BARTH scheint nicht mehr so unbedingt auf diesem Unterschied zu bestehen oder sieht ihn jetzt vielleicht etwas anders.) Damit widerspricht aber die jetzige Theologie dem Gesamtzeugnis des NEUEN TESTAMENTS und der Reformation, wenigstens soweit sie von Luther beeinflußt ist. Wir können hier nicht genauer auf diese Frage eingehen, weil sie einer besonderen Arbeit vorbehalten bleiben soll. Wir verweilen daher nur kurz beim Anfang aller evangelischen Predigt: »Metanoeite«! Das heißt: Dreht euch in eurem ganzen Denken und Trachten um 180 Grad herum. Habt ihr bisher auf euch selbst als Weltmittelpunkt geschaut, so macht genau kehrt und schaut statt auf euch selbst auf den lebendigen Gott. Die Evangelien wissen es nicht anders, als daß sie e t w a s s c h l e c h t e r d i n g s N e u e s verkündigen. Der neue Lappen auf das alte Kleid, der neue Wein in die alten Schläuche? Das ist unmöglich! (Mk. 2, 21 f. u. Par.) Paulus und Johannes denken genau ebenso. Ich verweise nur auf den Prolog Joh. l und Joh. 3, 3: »Es sei denn, daß jemand von neuem geboren werde, so kann er das Reich Gottes nicht sehen.« Paulus widmet der theologischen Erkenntnistheorie dieses absolut Neuen sogar die beiden ersten Kapitel des ersten Korintherbriefes: Um dieses völlig Neue zu erkennen, muß man einen neuen Geist empfangen (l.Kr. 2,12). Denn der natürliche »religiöse« Mensch vernimmt nichts vom Geiste Gottes. Es ist ihm vielmehr eine Torheit und er kann es einfach nicht »annehmen« (2,14). Und dann der jubelnde Schlußvers, der nur aus der unendlichen Freude des neu Beschenkten zu erklären ist: »Heemeis de echomen noun Christou!« (2,16.) Unauthenticated Download Date | 5/11/16 7:59 PM 268 P. H. E. G e n s i c h e n Vielleicht aber ist die Christusoffenbarung die A n t w o r t auf die Frage der Religion? Nach HUSSERL steckt nun aber in jeder Frage die Antwort schon drin. Demnach wäre der Unterschied doch nicht so grundsätzlich, wie wir glauben. Das ist wohl richtig im säkularen Denken. Aber diejenige Antwort, die mit der Christusoffenbarung auf die Frage der Religon gegeben worden ist, ist so völlig unerwartet und absolut neu, daß sie in keiner noch so tiefen Frage der Welt hätte stecken können. Gerade das will ja sogar schon das ALTE TESTAMENT in Jeasaja 53 sagen. Aber was ist denn nun so neu an der Christusoffenbarung? Ist die Religion der ewig hoffnungslose und deswegen verzweifelte Weg des Menschen zum unbekannten Gott, dann ist die Christusoffenbarung der gnadenreiche und selige Weg des unbekannten Gottes zum Menschen. Wie will der Mensch überhaupt etwas suchen, was ihm u n b e k a n n t ist? Und erst recht: Wie will er es finden? Suchen und finden kann man nur etwas Bekanntes. Daher ist also die Christusoffenbarung als der Weg Gottes zum Menschen das g e n a u e G e g e n t e i l a l l e r R e l i g i o n . Das weiß das NEUE TESTAMENT und die Reformation ganz genau. Nur scheint es die Theologie seit dem sog. »Einbruch des Hellenismus« vielfach vergessen zu haben. Auch heute noch gibt es trotz aller Lutherrenaissance keine eindeutige und klare Unterscheidung zwischen Religion und Christusoffenbarung. Das muß sich dann auch im Gebrauch des Terminus »theologia« zeigen. Ist die Christusoffenbarung nur eine unter vielen ändern Religionen, dann wird theologia auch weiterhin heißen: »Lehre von Gott und göttlichen Dingen«. Ist aber die Christusoffenbarung etwas absolut und völlig Neues, dann muß auch der Terminus theologia etwas absolut anderes und völlig Neues bedeuten. Da ist es schon sehr bezeichnend, daß es diesen Terminus im NEUEN TESTAMENT überhaupt nicht gibt. Dabei hätte er doch wahrhaftig so nahe gelegen, besonders dann, wenn auch das Christentum in der Meinung des NEUEN TESTAMENTS nur eine unter vielen anderen Religionen wäre. Vermutlich haben die ntlidien Schriftsteller diesen Terminus deswegen vermieden, weil er schon in dem für sie falschen Sinne einer religiösen Lehre über Gott und göttliche Dinge geprägt war. Nun bekommen aber die biblischen Schriftsteller für die Verkündigung des unerhört Neuen keineswegs eine neue Sprache und ein neues Denken. E s g e h ö r t m i t z u d e m U n e r h ö r t e n d e r C h r i s t u s o f f e n b a r u n g , daß sie, o b g l e i c h sie ein v ö l l i g e s Nov u m f ü r d i e n a t ü r l i c h e m e n s c h l i c h e V e r n u n f t ist, d e n n o c h , s o g u t o d e r s o s c h l e c h t e s auch g e h e n m a g , mit den natürlich vernünftigen Begriffen unseres m e n s c h l i c h e n Redens u n d D e n k e n s v e r k ü n d i g t werUnauthenticated Download Date | 5/11/16 7:59 PM Was ist Theologie 269 d e n m u ß. Das ist deswegen besonders unerhört, weil unser natürliches Denken grundsätzlich und wesenhaft gottlos ist. Das ist überaus einfach einzusehen. Denn der lebendige Gott kommt auf keine Art und Weise in unserm natürlichen Denken vor. Sollte etwa innerhalb der Wissenschaft ernsthaft irgendetwas mit der Existenz Gottes bewiesen werden, so würde ein homerisches Gelächter die Räume der Wissenschaft erfüllen. Umgekehrt hat es im Gegenteil der lebendige Gott nötig, bewiesen zu werden, was aber ein sehr heikles Unternehmen ist. Schon allein deswegen könnte theologia gar nicht mehr Lehre von Gott bedeuten. Denn wie sollte mit »gott-losem« Denken eine »Lehre von Gott« gegeben werden? Daher ist bei den biblischen Schriftstellern das deutliche Bestreben zu erkennen, für ihre Botschaft nach Möglichkeit ungewohnte, noch nicht allzusehr geprägte Begriffe zu gebrauchen. Oder wo das nicht möglich ist, die schon geprägten alten Begriffe doch in einem anderen und neuen Sinn zu gebrauchen. Das bekannteste Beispiel für diese Umwertung alter Begriffe ist vielleicht der Terminus »logos« im Prolog des Johannesevangeliums. Zwar wird dies Wort auch heute noch meistens von der griechischen oder philonischen Philosophie her verstanden (z. B. bei TILLICH). Aber das scheint mir schon deswegen trotz aller Einwände nicht möglich zu sein, weil der Verfasser ja aufs deutlichste zeigt, wie er es verstanden wissen will. Denn die Fortsetzung zeigt, daß es mit »charis kai aleetheia« gefüllt wird, im Gegensatz zum »nomos« des ALTEN TESTAMENTS (vgl. Joh. l, 14 u. 17 und dazu NEUES TESTAMENT-Wtb, KITTEL, Art. legein, logos usw. Bd. IV, 138 f. Die QumranFunde bestätigen vielleicht diese Meinung.). Das bekannteste Beispiel für ein neues Wort, das es im säkularen Griechisch so gut wie gar nicht gibt, ist die »agape«, ein eigentliches Haupt- und Grundwort des NEUEN TESTAMENTS. So vermeidet also das NEUE TESTAMENT vielleicht auch das Wort theologia, um nicht von Anfang an falsch verstanden zu werden. Dafür steht dann aber 1. Th. 4,9 das Wort »theodidaktos« im Sinne von Joh. 6, 5: »didaktoi theou« (als Zitat aus Jesaja und Jeremia). In der Tat ist mit diesem einen Wörtchen der a b s o l u t e U n t e r schied zwischen aller Religion und der Christuso f f e n b a r u n g eindeutig und klar ausgesprochen. Das sehen wir am besten an unserm Terminus theologia. Wir hatten ihn mit »Lehre Gottes« übersetzt. Und zwar als genetivus objektivus, wo Gott das Objekt der Lehre ist. Ist nun aber das Christentum das genaue Gegenteil aller Religion, dann wäre auch theologia als »Lehre Gottes« genau gegenteilig zu verstehen, nämlich nicht mehr als genetivus objektivus, sondern als genetivus subjektivus, wo Gott nicht Objekt, sondern S u b j e k t der Lehre ist. Also nicht mehr »Lehre ü b e r Gott«, sondern Unauthenticated Download Date | 5/11/16 7:59 PM 270 P.H.E. G e n s i c h e n »Lehre Gottes«, wo G o t t s e l b s t der L e h r e r ist. Luther nennt das: »Die Schule des heiligen Geistes«. Dasselbe meint der so viel umstrittene Terminus »Offenbarung«. Die Religion kann schon deswegen keine Offenbarung sein, weil sie ja etwas Allbekanntes, in unserer natürlichen menschlichen Vernunft Vorfindbares und zu ihr Gehöriges ist. Von Offenbarung aber kann nur dann sinnvoll geredet werden, wenn etwas völlig Neues, dem natürlichen Menschen Unbekanntes gemeint ist. Etwas Bekanntes braucht nicht erst offenbart zu werden. Eine »natürliche Uroffenbarung« ist also ein Widerspruch in sich selbst. Sollte aber Offenbarung gar bedeuten, daß »der Sohn vom Vater gesendet wird« (LINK), was könnte dann noch »Uroffenbarung« heißen? Ist etwa der Sohn in Urzeiten schon einmal gesendet worden? Wir nehmen daher mit allem nur denkbaren Ernst den Terminus Offenbarung einzig und allein für die »einmalige« Sendung des Sohnes vom Vater in der » F ü l l e d e r Z e i t « , a l s o n u r f ü r d i e »Ch r i s t u s o f f e n b a r u n g « in A n s p r u c h . Denn in der Christusoffenbarung handelt es sich nicht um ein »phaneroun«, d. h. um ein Auswickeln und in Erscheinung Treten aller derjenigen Dinge, die schon von Natur in der »Tiefe der Vernunft« (TILLICH) »eingewickelt« waren, sondern es ist ein echtes »apokalyptein« dessen, »das kein Auge gesehen hat und kein Ohr gehört hat und in keines Menschen Herz gekommen ist« (1. Kr. 2,9). Daß derartige Dinge nur dort »geschehen« können, wo Gott selbst der Lehrer ist, das muß von vornherein klar sein. Aber noch klarer muß sein: Bei der Religion war die Lehre über Gott als genetivus objektivus identisch mit der Religion selbst. Wir versuchten, diesen Satz auch vom Christentum auszusagen, erkannten ihn aber zunächst als falsch. Denn eine »Lehre über Gott« gibt es zunächst und direkt als genetivus objektivus im Christentum nicht mehr. Um so mehr aber müssen wir nun sagen, daß das Gelehrtwerden von Gott als genetivus subjektivus nicht nur ein Bestandteil der Offenbarung ist, wie in der Religion, wo die Lehre neben Mystik und Kultus steht. Vielmehr ist das Gelehrtwerden durch Gott durchaus und schlechterdings der alleinige Inhalt der Offenbarung selbst. »Gelehrtwerden von Gott« und »Offenbarung« müssen identisch sein. Da hierbei der Terminus »theologia« das genaue Gegenteil von dem bedeutet, was er in der Religion heißt, möchte ich am liebsten dafür plädieren, den Terminus »theologia« ganz allein für die Christusoffenbarung und nicht für die religiöse »Lehre« zu gebrauchen, auch wenn er im NEUEN TESTAMENT, wie wir oben sahen, gerade nicht verwendet wird. Da sich aber der Gebrauch von theologia auch für die religiöse Lehre so stark eingebürgert hat, halten wir uns auch weiterhin an den üblichen Gebrauch. Und doch wäre eine deutliche Scheidung wichtig und nötig. Denn während in der religiösen Lehre sich die höchste Aktivität des Menschen entfaltet, ist derselbe Mensch in dem «Gelehrtwerden durch Gott« zuUnauthenticated Download Date | 5/11/16 7:59 PM Was ist Theologie 271 nächst rein passivisch. Das sollte nach Luthers »De servo arbitrio« nicht mehr bezweifelt werden. Während in der Religion die Mittelpunktstellung des Menschen am stärksten in Erscheinung tritt, weil hier der Mensch sich sogar die Gottheit dienstbar machen will [(... »daß das Ritual durchgängig beherrscht ist von dem Bestreben, mit Hilfe bestimmter Mittel bei der übernatürlichen Macht bestimmte Ziele zu erreichen«, H. W. GENSICHEN, »Auf dem Wege zu einer indischen Theologie«, NZSTH 59, S. 343)], wird in der Christusoffenbarung der Mensch aus dieser durch Empörung angemaßten Mittelpunktstellung dadurch völlig herausgeworfen, daß Gott selbst als der »Esdiatos« in Jesus Christus in den ihm allein gebührenden Mittelpunkt tritt (vgl. dazu NEUES TESTAMENT-Wtb. BULTMANN, Art. »aletheia«, Bd. I, S. 245 ff.). Sollte aber dennoch auch in der Christusoffenbarung so etwas wie Lehre möglich und nötig sein, so muß von vornherein klar sein, daß hier die Lehre nur »in, mit und unter« dem Gelehrtwerden von Gott » g e s c h e h e n « kann, »sich ereignen« muß. Damit aber ist endlich das wichtigste Wort gefallen. Denn in der Tat: Das Gelehrtwerden durch Gott ist »Geschehen«, »Geschichte«, »Sichereignen«. Es kann in der Christusoffenbarung kein einziges Wort menschlicher Lehre gesagt, ja auch nur gedacht werden, ehe nicht das »Gelehrtwerden durch Gott«, also das »Wort Gottes« g e s c h e h e n ist, sich ereignet hat. Daher muß in derjenigen Theologie, die wir meinen, die ein Gelehrtwerden durch Gott ist, der I. Teil immer »Hei 1sg e s c h i c h t e « sein. (Ich weiß wohl, wie umstritten dieser Terminus in der heutigen Theologie ist. Aber gerade deswegen sage ich ihn mit vollem Bewußtsein.) Und erst wenn dieser I. Teil sich ereignet hat, dann kann nicht nur, dann muß sogar auch nach Lehre in einem II. Teil der Theologie gefragt werden. Diese Lehre könnte dann aber nur dienende, nicht etwa herrschende Stellung haben, wie sehr oft die heutige Dogmatik als »Königin der theologischen Disziplinen«. Sie dürfte weiter nichts sein als ein »Explizieren«, ein Auseinanderfalten der »großen Taten Gottes«. Sie wäre damit aber auch selbst Heilsgeschichte. Das bekannteste Beispiel einer solchen heilsgeschichtlichen Auseinanderfaltung ist vielleicht Römer 9—11. Daß man diese Kapitel die »Geschichtsphilosophie« des Paulus hat nennen können, ist ein Zeichen dafür, wie sehr die Theologie unter der immer noch währenden Vorherrschaft des »Aristoteles« ihr richtiges Selbstbewußtsein verloren hat. Denn es beweist, daß theologia als Gelehrtwerden durch Gott überhaupt noch nicht in den Gesichtskreis vieler Theologen getreten ist. Aber auch der Name »Theodizee« ist unglücklich. Denn Gott braucht nicht gerechtfertigt zu werden, am allerwenigsten vor einem menschlichen Gericht. Ich habe absichtlich diese Aussagen über das Wesen der Theologie als Heilsgeschichte der Christusoffenbarung erst einmal kurz zusammenUnauthenticated Download Date | 5/11/16 7:59 PM 272 P. H. E. G e n s i c h e n gefaßt, um die Folgerungen andeuten zu können, die daraus für den Begriff der Lehre zu ziehen sind. Da das aber alles ziemlich unerhörte, fast anstößige Aussagen sind, mögen sie erst noch etwas erläutert werden. Beim Menschen sind Denken, Reden und Handeln sehr verschiedene Dinge. Ehe aus dem menschlichen Denken ein Reden oder gar ein Handeln wird, braucht es seine Zeit. Und gar oft wird aus dem Denken weder ein Reden noch ein Handeln. Und wie oft Reden und Handeln geschieht, ohne daß ein Denken vorhergegangen wäre, ist heute bekannt genug. Genau umgekehrt bei dem lebendigen Gott, bei dem Denken, Reden und Handeln nicht drei sehr verschiedene Akte sind, sondern ein und derselbe Akt. Gottes Denken ist also immer zugleich ein Reden und Handeln. Gottes Wort kann daher niemals eine mehr oder weniger verbindliche Lehre über bisher unbekannte Dinge sein — so wurde es ja weithin, besonders in dem Supranaturalismus der Orthodoxie, verstanden —, sondern Gottes Reden und das »Gelehrtwerden durch Gott« kann und muß immer ein allmächtiges Heilshandeln sein, und zwar an uns sonst schlechterdings völlig verlorenen Menschen. So wird Lehre im NEUEN TESTAMENT immer verstanden (vgl. NEUES TESTAMENT-Wtb. RENGSTORF, Art. »didasko« usw., Bd. II, S. 138 ff.). Nur zweimal sind im NEUEN TESTAMENT formulierte, feststehende Sätze gemeint, Hb 6,2 und 13,9. Dieses Heilshandeln Gottes ist, nach dem Gesamtzeugnis der ganzen heiligen Schrift alten und neuen Testaments, nicht etwa nur, wie man so schön sagt, auf den »religiösen Sektor« beschränkt, sondern es umfaßt mit königlicher unumschränkter Herrschaft nicht mehr und nicht weniger als das gesamte Geschehen, und zwar nicht bloß in der Menschenwelt, sondern auch in der Natur. Und wiederum nicht nur in der irdischen Welt, sondern im gesamten Kosmos. (»Diese Hubble-Konstante setzt einen singulären Punkt in der Zeit, einen Anfang der Entwicklung einer nicht statischen Welt, und erlaubt das Datum einer Schöpfung dieser unserer Welt aus dem Nichts oder ihrer Geburt aus einem Riesen-WeltEi in einer Explosion zu berechnen.« Prof. Dr. HANS KIENLE, Landessternwarte Heidelberg in einem Art. der »Ruperto-Carola«, XI. Jhrg. Bd. 26, S. 39. Daß damit auch »Zeit« und »Raum« nicht nur als »Anschauungsformen«, sondern als Wirklichkeiten vorausgesetzt sind, braucht nicht weiter ausgeführt zu werden.) All dieses aus der absoluten »AlleinWirksamkeit Gottes« hervorgehende Geschehen ist in seiner Gesamtheit Heilsgeschichte. Denn es hat kein anderes telos als l.Tm. 2,4: »Gott will, daß allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen.« Dieses telos all und jeden Geschehens erfahren nur die Christen. Denn gerade darin besteht die neue Geburt und das neue Leben, daß der Mensch durch Christus in diese basileia theou hereingerissen wird und dadurch eben ein Christ wird. Das beginnt mit der Taufe. Und sein Christenleben besteht in der douleia Christou, d. h. in Unauthenticated Download Date | 5/11/16 7:59 PM Was ist Theologie 273 der schlichten und einfachen »Gefolgschaftstreue« (THIELICKE) zu Jesus Christus. Nur der Christ weiß daher um das telos dieser einzigen und »wirklichen«, weil allein »wirksamen« Geschichte. Eine andere Geschichte gibt es nicht. »Historie« = »Weltgeschichte« ist etwas ganz anderes. Sie wird aber als das »Gewand«, in dem Gott seine völlig undurchschaubare Geschichte geschehen läßt (vgl. Rm 11,33—36), auch in der Theologie eine große Rolle spielen, so daß sie auf keinen Fall so abgewertet werden darf wie bei BULTMANN. Diese »Geschichte« Gottes im Gewand der »Historie« nennen wir »Heilsgeschichte«. Nur der Christ kennt das telos dieser undurchdringlichen Geschichte Gottes. Aber die Unwiderstehlichkeit und ungeheuerliche Dynamis dieser Geschichte, dieses Geschehens aus der Alleinwirksamkeit Gottes, erfährt jeder Mensch in jeder Sekunde seines Lebens. Und zwar in der unumkehrbaren Unaufhaltsamkeit der dahinsausenden Zeit und all des großen und kleinen Geschehens, mit dem jede Sekunde erfüllt ist. Mit welchem Schauder jeder Mensch diese unwiderstehliche Dynamis Gottes erfährt, sieht man an dem Wörtchen »Schicksal«. Und eben das ist der Grund, warum die Religion, die an sich der sinnloseste und unlogischste Wert in unserer ganzen Vernunft ist, dennoch »nicht tot zu kriegen« ist. Sie ist nämlich die unentbehrliche Sicherung gegen die Schauer des Schicksals. Darum ist sie bewußt oder unbewußt auch bei den aufgeklärtesten Leuten zu finden, wie die unheimliche Herrschaft des Aberglaubens beweist, gerade in sog. »aufgeklärten« und materialistischen Zeiten. Das meint Paulus, wenn er Rm 1,20 von der »dynamis kai theiotees« redet, aus deren unwiderstehlicher Erfahrung das Existenzialurteil über die Gottheit in Rm l, 19 erfolgt. Ebenso wenn er Ag 17,19 sagt: »En autoo gar zoomen kai kinoumetha kai esmen«, wobei das »kinoumetha« als »Bewegtwerden« durch diese unwiderstehliche Dynamis besonders anschaulich ist. Und zwar zitiert er das als heidnische Erfahrung heidnischer Dichter. Da dieses unwiderstehliche Geschehen des allmächtigen Schicksals die »Urerfahrung« jedes Menschen ist, bedarf es dazu wahrhaftig keiner Offenbarung. Wir sagten es schon, daß eine natürliche Ur-Offenbarung ein Widerspruch in sich selbst sei. Eigentlich könnte man ganz schlicht sagen: Das Element Gottes ist das Geschehen! Wir können gleich hinzufügen: Das Element des Menschen ist der »Sinn«. Der Mensch steht nämlich diesem »Geschehenszusammenhang« aus der Alleinwirksamkeit Gottes völlig hilflos gegenüber. Er kann ihn beim besten Willen nicht »verstehen«. Denn auf einem vorübersausenden Fließband ist nichts zu »begreifen«. Darum muß er zuerst diesem unheimlichen Geschehen ein Halt gebieten. Damit entfällt das »Geschehen«. Denn ein Geschehen, das stillsteht, ist kein Geschehen mehr. Dann muß der Mensch, der »verstehen« will und deswegen nach vernünftigem »Sinn« sucht, den Geschehenszusammenhang in lauter einzelne »an sich« seiende Teile zerreißen, die er ein »On« nennt. Damit entfällt der »ZuUnauthenticated Download Date | 5/11/16 7:59 PM 274 P. H. E. G e n s i c h e n sammenhang«. Er würde aber in der unübersehbaren Fülle der einzelnen Ons ersticken oder ertrinken, wenn er dieses Chaos nicht schleunigst wieder in einen neuen Zusammenhang brächte, der nun natürlich nicht mehr der ursprüngliche Geschehenszusammenhang, sondern nur noch ein nachträglicher »Sinn«-Zusammenhang sein kann. Denn er will ja »verstehen«. Und nur »Sinn«, aber nicht »Geschehen« ist zu verstehen. So wird also der völlig unverständliche, sinnlose Geschehenszusammenhang Gottes zuerst »diskursiv« zerrissen und dann nachträglich »synthetisch« wieder zu einem verstehbaren »Sinnzusammenhang« zusammengefügt. Daher nennen wir die Struktur des menschlich-vernünftigen Denkens »diskursiv-synthetisch«. Diese eben geschilderte »Umbiegung« (= Reflektion) können wir mit HEGEL »die List der Idee« nennen. Das Element Gottes ist der Geschehenszusammenhang, das Element des Menschen ist der Sinnzusammenhang. Auch die Geschichte Gottes muß der Mensch in einen verstehbaren Sinnzusammenhang verwandeln. Das ist der »pragmatische« Geschichtsbegriff der »Historie«. Die jetzt so viel diskutierte »Geschichtlichkeit« ist theologisch unbrauchbar. Denn sie meint nur diesen rein menschlichen Sinnzusammenhang der Historie oder Weltgeschichte, wenn auch in existenzialer Terminologie. Daß nun aber dieser unheimliche, gänzlich sinnlose und unverstehbare Geschehenszusammenhang aus der Alleinwirksamkeit Gottes, in dem wir alltäglich leben, weben und sind, nur ein einziges »Heilsgeschehen« sein soll, diesen dem natürlichen Menschen absoluten Widersinn kann nur einer behaupten, an dessen eigenem Leibe dieser Widersinn wirklich geschehen ist. Und diese Heilsgeschichte, die nur im Gewand der Historie zu erfahren ist, ist »Offenbarung«. Also ist »Offenbarung« nicht eine mehr oder weniger unverbindliche » L e h r e « ü b e r dieses Geschehen. Und dennoch muß dieses Heilsgeschehen in das »Gewand« der Lehre gefaßt werden. Das ist aber nicht selbstverständlich, sondern das ist das größte Wunder. Und zwar muß das deswegen geschehen, weil das Heilshandeln Gottes in Jesus Christus gepredigt und verkündet werden muß. Das heißt aber, daß es in menschliche Worte und Begriffe gefaßt werden muß. Ja, wir müssen sogar sagen, daß auch der von uns geforderte erste und eigentliche Teil der christlichen Theologie, die »Erfahrung« der Heilsgeschichte, nicht etwa eine schlichte, selbstverständliche, vernünftige Erfahrung ist, wie wir sie in jedem Augenblick unseres natürlichen Lebens machen. Wir werden vielmehr sagen müssen, daß diese neue Art von »Erfahrung« zunächst darin besteht, daß die vernünftig-natürlichen Formen aller sonstigen Erfahrung »gerichtet«, ja in ihrer eigentlichen »Geltung« sogar »getötet« werden. Und zwar muß dieser »Geltungstod« auf jeden Fall geschehen. Denn nur dort, wo der Mensch im Mittelpunkt steht, gibt es den höchsten Grad der natürlich-vernünftigen Gewißheit: Die »Evidenz«. Wenn aber der Mensch aus dem Mittelpunkt dadurch Unauthenticated Download Date | 5/11/16 7:59 PM Was ist TheoEogie 275 herausgeworfen wird, daß der lebendige Gott als »Eschatos« selbst Mittelpunkt wird, dann kann keine Evidenz, keine »securitas«, keine menschlich-vernünftige Geltung mehr vorhanden sein. Der »Glaube« — denn so nennen wir dieses Geschehen der Heilsgeschichte — kann also auf keinen Fall »evident«, sondern er muß das gerade Gegenteil von evident sein. Er hat keine »securitas«, dafür aber um so mehr »certitudo« (Luthers Unterscheidung). Daß hierbei auch jegliche Unterscheidung von fides quae und fides qua völlig unmöglich wird, ist ebenfalls klar. BARTH redet daher mit Recht von »unmöglicher Möglichkeit«. Wir müssen jetzt genauer von »unerfahrener Erfahrung» reden. Da aber die Erfahrung in ganz eminentem Sinn zu den Grundformen unserer Erkenntnis gehört, so bedarf es also nicht nur um der theologischen »Lehre« willen einer theologischen Erkenntnistheorie, sondern ebensosehr wegen der Möglichkeit der »Erfahrung« der Heilsgeschichte. Fassen wir nun kurz zusammen! Wir erinnern uns dabei der beiden ersten Begriffe von Theologie, die wir die »religiösen« Begriffe von Theologie nennen können, im Gegensatz zu dem zuletzt dargelegten »christlichen« Begriff von Theologie. Da in der Religion, wie wir gesehen haben, die Lehre eine grundlegende Rolle spielt, wird sich also auch die Notwendigkeit einer rein religiösen theologischen Erkenntnistheorie ergeben. Endlich gibt es auch noch die »uninteressierte«, rein wissenschaftliche Darstellung der Religion durch einen »Ungläubigen«. So müssen wir also von drei möglichen theologischen Erkenntnistheorien reden. Wir erinnern aber daran, daß wir den Terminus »theologisch« gerne nur für die Christusoffenbarung reserviert hätten. 1. Die rein wissenschaftlich-philosophische theologische Darstellung der Religion durch einen »Ungläubigen« und ihre Erkenntnistheorie können wir auch »Religionsphilosophie« oder evtl. »Religionsgeschichte« nennen. Sie wird genau mit einer der allgemein wissenschaftlichen Erkenntnistheorien übereinstimmen. Ein besonderes theologisches Problem gibt es hier nicht. Aber es wird sich herausstellen, daß jeder Theologe, sowohl der religiöse als auch erst recht der christliche, möglichst genau mit den Grundlagen wissenschaftlich - vernünftiger Erkenntnistheorie vertraut sein sollte. Schon einfach um der Abgrenzung willen. Denn der »Satz« muß zuerst immer am »Gegensatz« erkannt werden. 2. Von der religiös - e i g e n e n Erkenntnistheorie haben wir ebenfalls schon gesprochen. Wir sahen, daß die Religion zwar der höchste, aber auch der grundsätzlich unlogische Wert ist. Um so mehr muß sich nicht nur der religiöse, sondern erst recht auch der christliche Theologe darüber Rechenschaft geben, inwiefern die Religion wesenhaft von jenseitigen Gottheiten zu reden hat. Wir können das mit KANT und HEIDEGGER die »transcendentale Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit« jenseitiger Gottheiten nennen. Wir sehen schon aus dieser Formulierung, daß die theologische Erkenntnistheorie der Religion der norUnauthenticated Download Date | 5/11/16 7:59 PM 276 P. H. E. G e n s i c h e n malen wissenschaftlichen Erkenntnistheorie gegenüber wesentlich modifiziert ist. Dennoch ist es kein grundsätzlicher Unterschied zur rein wissenschaftlichen Erkenntnistheorie. Denn die Geltung menschlicher Vernunft bleibt letzter Beurteilungsmaßstab. 3. Gerade dieser letzte menschlich-vernünftige Maßstab wird aber, wie wir bereits wissen, in der christlich-theologischen Erkenntnistheorie durch das Gelehn- oder Erkannt-Werden durch Gott völlig beseitigt, weil in der »Metanoia« der lebendige Gott selbst als der Eschatos in den Mittelpunkt tritt. Er tritt aber nicht in seiner eigentlichen himmlischen Gestalt der »doxa« in den Mittelpunkt. Denn dann wäre es mit dem Menschen aus (vgl. Jesaja 6). Weil er aber in der »Gestalt«, dem »Gewand«, der »Maske« (Luther) Jesu Christi zu uns kommt, darum wird zwar der vernünftige menschliche Mittelpunkt grundsätzlich nicht weniger gerichtet und getötet. Höchsten noch mehr. Aber es tritt das Wunder der »Agape« Gottes ein, daß Jesus uns als der »Charakter Gottes« (Hb l, 3) dennoch in menschlicher Gestalt und mit menschlichen Worten und Begriffen begegnet. Für die theologisch-christliche Erkenntnistheorie bedeutet das, daß die natürlich-vernünftigen Formen sowohl unserer Erfahrung als auch unserer Erkenntnis in ihrer Geltung zwar gerichtet und getötet werden, daß sie aber dennoch in ihrer äußeren Form erhalten bleiben und sogar den neuen göttlichen Mittelpunkt in der »Person«, im »Gewand« Jesu Christi nidit nur erfahren, sondern auch durchdenken dürfen. Wir haben diese »unmögliche Möglichkeit«, die einerseits in der »unerfahrbaren Erfahrung«, andrerseits (in Anlehnung an die »docta ignorantia« des Sokrates) in dem »nichtwissenden Wissen« besteht, das »historische Gewand der Geschichte Gottes« genannt. Und eben diese Synthese aus »Geschichte« und »Historie« nennen wir »Heilsgeschichte«. Der bisherige völlig unklare und daher mit Recht abgelehnte Begriff der Heilsgeschichte, der entweder nur gewöhnliche Historie als Weltgeschichte oder gar nur eine Idee meinte, ist damit abgetan und ein klarer fest umrissener Begriff geworden. Wir haben diese Übersicht über die drei Möglichkeiten theologischer Erkenntnistheorie nur deswegen gegeben, um zu zeigen, eine wie unaufhebbar wichtige Aufgabe gerade die systematische Theologie hat. Sie ist zwar nicht, wie bisher, die »Königin« der theologischen Disziplinen, der gegenüber alle anderen theologischen Disziplinen nur »Hilfswissenschaften« wären. Sie hat nicht mehr herrschenden, sondern dienenden Charakter. Bei diesem Dienen aber hat sie eine doppelte, unersetzliche Funktion, die in jedem Zeitalter wieder neu ausgeübt werden muß. 1. hat sie die soeben beschriebene Eigenart theologisch-christlicher Erkenntnistheorie herauszuarbeiten. Das ist zwar »ephhapax« = »einfürallemal« dieselbe biblische und reformatorische Eigenart. Denn wir sind in der Tat der Meinung, daß von dieser biblischen Grundlegung, die besonders die Unauthenticated Download Date | 5/11/16 7:59 PM Was ist Theologie 277 Reformation Martin Luthers wieder klarzulegen suchte, nachdem sie durch den »Aristoteles« im Einbruch des Hellenismus verschüttet war, nicht abgewichen werden kann und darf. Dennoch ist diese systematische Aufgabe, genau wie der Christ selbst, nicht einfürallemal fertig. Denn 2. ändert sich das »historische Gewand« unaufhörlich. Die Formen menschlich-vernünftiger Erkenntnis, die als »Gesetz«, und zwar als »Erhaltungsordnung« Gottes, gar nicht hoch genug zu schätzen sind, sind in dauernder Bewegung. Zur Zeit z. B. gerade durch HEIDEGGER, aber auch durch die Quanten- und doppelte Relativitätstheorie und die daraus erwachsene Atomforschung. Nun hat die systematische Theologie die unendlich wichtige Aufgabe, die einmalig biblisch-reformatorische christliche Erkenntnistheorie gegen die Angriffe oder auch Liebkosungen der derzeitigen vernünftigen Erkenntnistheorien nicht nur zu schützen, sondern sie im dahinsausenden Gesamtleben des menschlichen Geistes als die bleibende »feste Burg« aufzuzeigen und zu bewahren. Man kann das auch folgendermaßen ausdrücken: Die systematische Theologie hat das heilige Wächteramt, daß die »Geschichte« Gottes nicht von der dauernd anstürmenden »Historie« verschlungen werde. Denn die »Historie« liegt immer auf der Lauer, die »Geschichte« Gottes zu verschlingen. Hat die systematische Theologie dies Wächteramt über christlich-theologische Erkenntnistheorie verstanden und durchgeführt? Oder besteht die Klage von Echternach zu Recht, daß wir seit Jahrhunderten die Offenbarungswahrheiten verkünden, ohne uns über ihr Wesen, d.h. einerseits über die Eigentümlichkeit ihres »Wahrheitscharakters«, andrerseits über ihren auf dem Wahrheitscharakter beruhenden »Geltungsanspruch« klar zu sein? Versuchen wir, eine kurze Übersicht zu geben! Zwar werden in fast allen Dogmatiken die sog. »Prolegomena« abgehandelt, die nach dem Willen des betr. Dogmatikers dieses Wächteramt wahrnehmen sollen, leider aber fast immer in dem völlig untheologischen Sinne, daß irgendeine der allgemein-vernünftigen Erkenntnistheorien auf den »Gegenstand« Gott angewendet wird. Zur Zeit ist vor allem die Existentialphilosophie HEIDEGGERS an der Reihe, die deswegen am Schluß noch kurz besprochen werden soll. Das wäre also im Sinne von Nr. l unserer Aufzählung! Wenn SCHLATTER alle Prolegomena bewußt fortläßt, so ist das audi eine Anklage gegen dieses unmögliche Verfahren. BARTH hat deswegen mit Recht seine »Prolegomena« von 1927 nicht weitergeführt, weil er sagt: Diese Dinge sind nicht Prolegomena, sondern »Legomena«, d. h. sie gehören wesenhaft mit dazu und sind keine bloße »Vorrede«. Allerdings hat er dann in seiner neuen Dogmatik von 1932 einen solchen Gebrauch von dieser Einsicht gemacht, daß wir ihm dodi nicht so ohne weiteres folgen können. Das hängt aber vor allem mit dem neuplatonisdien Erbe zusammen, das Augustin und Calvin übernommen haben, während Luther seine Aufgabe im Kampf gegen den »Aristoteles« sah. Audi KARL HEIM hat mit seiner Theologie Unauthenticated Download Date | 5/11/16 7:59 PM 278 P.H.E. G e n s i e h e n der »Dimensionen« sein ganzes Leben lang dies Fragen bearbeitet, und doch nicht nur als Prolegomena, sondern entschieden auch als Legomena. Dennoch ist es schade und eigentlich unerfindlich, warum er schließlich bei dieser naturwissenschaftlichen Theologie oder theologischen Naturwissenschaft des »überpolaren Raumes« endete. Mit der gleichen Gründlichkeit hat sich eigentlich nur noch PAUL TILLICH mit diesen Fragen befaßt, wenigstens was eine Gesamtkritik der natürlichen Vernunft betrifft. Er hat unter dem Titel: »Vernunft und Offenbarung« in den beiden ersten Bänden seiner Dogmatik auf fast 200 Seiten einen gründlichen Überblick über seine theologische Erkenntnistheorie gegeben. Allerdings muß gesagt werden, so sehr er bemüht ist, nichts Wesentliches des christlichen Inhaltes aufzugeben, bleibt er dann doch in einer modernisierten ScHELLiNGschen Offenbarungsphilosophie stecken, von der schon KIERKEGAARD so tief enttäuscht war. Er gelangt also auch nicht über Nr. 2 unserer Übersicht hinaus, weil ihm das Christentum auch nur eine Religion ist. Eine der besten Formulierungen unserer heilsgeschichtlichen Erkenntnistheorie (Nr. 3 der Übersicht) finden wir bei ED. SCHLINK: »Was geschieht mit der vorgegebenen Begriff lichkeit und Logik des denkenden Menschen, wenn er im Glauben die Offenbarung bezeugt? Was geschieht mit den psychologisch-institutionellen und den geschichtlich überkommenen bzw. durch die Erfahrung geprägten mannigfachen Denkformen in dem Getroffenwerden von dem offenbaren Gott? Über diese Fragen haben E. BRUNNER und BULTMANN einiges Wichtige gesagt... Aber bisher ist diesen für die ökumenische Arbeit grundlegenden Fragen, soweit ich sehe, nirgends thematisch-monographisch nachgegangen worden« (E. SCHLINK, »Kirche u. Ökumene«, ELKZ. 1948, Nr. 13, S. 131). Dieser Artikel erschien zur Vorbereitung der ökumenischen Weltkonferenz der Kirchen in Amsterdam 1948. Daher auch die Erwähnung der psychologisch-konstitutionellen Denkformen, die ja auch bei den verschiedenen Völkern und Rassen sehr mannigfaltig sind. Aber im übrigen ist die Frage genau richtig gesehen: Was g e s c h i e h t mit unserer natürlichen Logik und Begrifflichkeit in der Begegnung mit dem in Christus offenbaren Gott? Es geschieht nämlich wirklich etwas mit ihr. Und dieses Geschehen ist H e i l s g e s c h i c h t e . Und da dieses Geschehen sich in der »Begegnung«, in dem »Gelehrtwerden« und »Erkanntwerden« durch den offenbaren Gott ereignet, so sind hier in der passivischen Theologie der Christusoffenbarung Theologie und Heilsgeschichte tatsächlich identisch. Das heißt: Die christliche Theologie ist nicht zuerst ein menschliches Nachdenken über Gott, sondern genau umgekehrt ein göttliches Nachdenken = Heilshandeln am Menschen. An sich meint SCHLINK in seinem Buch: »Der Mensch in der Verkündigung der Kirche« (1936) dasselbe. Nur ist dieses Buch wohl deswegen nicht recht zum Zuge gekommen, weil SCHLINK hier nicht die »innere« logisch-philosophische Unauthenticated Download Date | 5/11/16 7:59 PM Was ist Theologie 279 Gestalt des Denkens bearbeitet, sondern fast nur die psychologisch-morphologische »äußere« Gestalt des Denkens. Die Tatsache der menschlichen Geltung und Mittelpunktstellung ist aber keine psychologische, sondern eine logische. Denn an der Logik haftet die Evidenz als stärkster Ausdruck des menschlichen Geltungsbewußtseins, nicht an der Psychologie. Einen bewußten Ansatz zu einer »geschichtlichen« Theologie machen auch BULTMANN und seine Schule, und zwar im Anschluß an den HEIDEGGER v o r seiner berühmten »Kehre«. Man sieht daraus, wie unglücklich sich die Theologie in dem bisherigen metaphysisch-supranaturalen Gewand fühlte. Denn sie fühlte sich aus dieser unerträglichen Zwangsjacke durch keine »Formgeschichte« und auch nicht durch die autoritative Theologie BARTHS befreit. Darum griff BULTMANN zu, sobald sich ein einigermaßen theologisch brauchbarer Ansatz zu einer wirklichen »Geschichtsphilosophie« zeigte, den man bei HEIDEGGER gefunden zu haben glaubte. Aber erstens war es eben ein g e s c h i c h t s - p h i l o s o p h i s c h e r Ansatz, der natürlich nur Historie meinen kann, zweitens aber war es selbst für diesen noch zu früh. Denn der HEIDEGGER n a c h der Kehre ist fast das genaue Gegenteil des HEIDEGGER vor der Kehre. Nicht daß HEIDEGGER etwa eine bewußte Schwenkung gemacht hätte. Aber HEIDEGGERS Denken ist bewußt und absichtlich immer ein »Weg« und deswegen immer ein »Unterwegssein«, wie ja auch die späteren Titel zeigen: »Holzwege«, »Feldweg« usw. Aber während der Anfang des Weges (in »Sein und Zeit«) das »Nichts« als einziges telos zu zeigen schien, stellte sich dieses Nichts auf der weiteren philosophischen Wanderung nur als eine notwendige und unvermeidliche »Unterwegsstation«, als Durchgangsstation heraus, und zwar hin zu einem sehr erfüllten »Sein«. Es ist also eine richtige »philosophia viatorum«. HEIDEGGERS Denkweg ist wohl auch heute noch nicht zu Ende. Die bisher zurückgelegte Wegstrecke hat aber jetzt schon eine meisterhafte und wohl auch endgültige Darstellung durch HEINR. OTT gefunden in seinem neuesten Buch »Denken und Sein. Der Weg MARTIN HEIDEGGERS und der Weg der Theologie«. In ihm wird nicht mehr der Mensch als der Mittelpunkt des Denkens und aller vernünftigen Geltung dargestellt. Insofern könnte man tatsächlich sagen, daß das bisherige — wie HEIDEGGER es nennt: »metaphysische« — Subjekt-Objekt-Schema aufgehoben sei. Das ist aber nicht ganz richtig. Vielmehr ist die Struktur des Schemas dieselbe geblieben, nur das es umgedreht worden ist. Denn aus dem Subjekt-Objekt-Schema ist ein Objekt-Subjekt-Schema geworden, aus dem bisherigen »Subjektivismus« der meisten Erkenntnistheorien ein »Objektivismus«. Es wird auch nicht mehr zuerst nach dem »Seienden« als Gegenstand, als Objekt gefragt, sondern nach dem » S e i n « des »Seienden«. Dieses »Sein« ist nicht mehr ein Etwas, ein Gegenstand, sonN. Zeitschr. f. systemat. Theologie 2 19 Unauthenticated Download Date | 5/11/16 7:59 PM 280 P. H. E. G e n s i c h e n dern es ist eine lebendige »Struktur«, die mit seinem »Sein« das »Seiende« erst zum »Seienden« macht. Dies Sein »schickt« dann weiter als »Geschick« vom »Seienden« zum »Dasein« als einem Teil des »Seienden«, also zum existierenden Menschen, und zwar über den »Weg« oder die »Brücke« des »Denkens« und der »Sprache«. Und aus diesem »Geschick« entstehen dann »Ding« und »Welt«. Und zwar ist dieses »Schicken« nun ein tatsächliches »Geschehen«, nämlich die einzige wirkliche »Geschichte«, die es gibt, voller »Konkretheit« und »Leibhaftigkeit«. Zum Schluß stellt sich die ganze Welt als ein wahrhaftiger »Kosmos« dar, voller »Schmuck« und »Ordnung«, nämlich als das sog. »Geviert« zwischen den vier Teilen »Sterblichen und Göttlichen, Erde und Himmel«. Und doch sind es keine »Teile«, sondern jeder Teil ist auch das Ganze, eben das »Geviert«. Ja wenn es doch diese praestabilierte Harmonie, diesen sich gegenseitig, vorwärts und rückwärts mit »Schmuck« und »Wahrheit« »beschickenden« Kosmos gäbe! Sollte man es wirklich wünschen? Soll man sagen: »leider«, oder soll man sagen: »glücklicherweise« gibt es ihn nicht? Und das alles ausgerechnet in dem Augenblick, wo Chruschtschow nur auf den Knopf zu drücken braucht, um diesen ganzen Wahn in die Luft zu sprengen! Diese ganze Philosophie geht »nur im Kopf« vor sich. Es ist genau wie bei HEGEL, auf den sich HEIDEGGER auch immer wieder beruft: »Was wirklich ist, ist auch vernünftig, und was vernünftig ist, ist auch wirklich.« Es gibt keine andere Wirklichkeit und auch keine andere »Geschichte«, als nur das immanente Geschehen im Kopf des Menschen. So anziehend und mitreißend, so ästhetisch, ja sogar so religiös diese Gedankenwege HEIDEGGERS auch sind, sie haben leider nur einen einzigen Fehler, der aber geradezu tötlich wirkt. Schließlich ist es ja keine Ästhetik, erst recht keine Mystik oder gar Religion, die HEIDEGGER anbietet, sondern es soll Philosophie sein. Dann aber fehlt dieser das Eine, das für alles säkulare Denken grundlegend ist, nämlich die »Evidenz«. Sicherlich sind dies alles wunderschöne künstlerische, fast religiöse Gedankengänge, aber das Logisch-Zwingende, wovon doch alle Philosophie als rationales Denken lebt, fehlt hier vollständig. Es wäre vielleicht wünschenswert, daß es so ist, wie HEIDEGGER es darstellt, aber die Dinge sind leider vollständig anders. Das Ganze mutet daher an wie eine der großartigsten Utopien. Darin muß man den Kritikern des HEiDEGGERschen Weges nach der »Kehre«, z. B. LÖWITH (»HEIDEGGER, ein Denker in dürftiger Zeit«) wohl recht geben. Dennoch habe ich mich absichtlich etwas ausführlicher mit HEIDEGGER beschäftigt, nicht nur deswegen, weil HEIDEGGER jetzt geradezu d e r Philosoph der Theologie ist. Im Gegenteil muß dieser neue HEIDEGGER nach der Kehre eigentlich eine große Enttäuschung für BULTMANN und seine ganze Schule sein. Denn für die Theologie war ja nur der HEIDEGGER v o r der »Kehre« wichtig, der Heidegger des »Todes« und des Unauthenticated Download Date | 5/11/16 7:59 PM Was ist Theoliogie 281 »Nichts«. Dieser neue HEIDEGGER schlägt geradezu alledem ins Gesicht, was theologisch auf ihm aufgebaut war. Für alle Nicht-HEiDEGGERsdie Theologie dagegen, und im besonderen für unsere »Theologie der Heilsgeschichte« scheint nun aber gerade dieser neue HEIDEGGER nach der Kehre besonderes Gewicht zu bekommen. Denn man setze an die Stelle des »schickenden Seins« einfach den »lebendigen Gott«, dann hätte man ein ungefähres Abbild unserer heilsgeschichtlichen theologischen Erkenntnistheorie. OTT spricht öfter von der »prophetischen Sicht« HEIDEGGERS. Und in der Tat hat man hier vielleicht wirklich einen säkularisierten heilsgeschichtlichen Prophetismus vor sich. Unwillkürlich fragt man sich: Sollte diese philosophia viatorum nicht auch ein gutes Hilfsgerüst für eine theologia viatorum sein können? Diese Frage müssen wir mit einem entschiedenen »Nein« beantworten, und zwar um so entschiedener, je größer die Versuchung zum »Ja« ist. Dennoch waren diese ganzen Darlegungen nicht umsonst, weil wir gerade HEIDEGGER als ausgezeichnetes Beispiel dafür benutzen können, was HEGEL die »List der Idee« nennt: Die künstliche und gewaltsame »Reflektion« jeder »Lebenserniedrigung« in »Lebenserhöhung«. Dieses »Nein« könnte natürlich nur in einer größeren Arbeit begründet werden, die die theologische Begriffsbildung in einer Theologie der Heilsgeschichte darzustellen hätte. Hier müssen die Ergebnisse ohne jede Begründung einfach hingenommen werden. Die heilsgeschichtlich-theologische Begriffsbildung vollzieht sich in 3 Stufen: 1. der neutrale Begriff, 2. die Negation dieses säkular-neutralen Begriffs, 3. die Position. Luther spricht in ähnlichem Sinne am Schluß von »De servo arbitrio« von den drei lumina, dem lumen naturae, dem lumen gratiae und dem lumen gloriae. Was wir meinen, wird an einem Beispiel deutlich. Nehmen wir den Begriff der »Gerechtigkeit« Gottes, der Luther fast zur Verzweiflung trieb, bis er durch Römer 1,16 u. 17 erkannte, was die Gerechtigkeit Gottes wirklich ist. 1. der säkulare Begriff von Gerechtigkeit, der die säkulare Gesetzesgerechtigkeit meint, die nach dem Grundsatz geht: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Diese Art von Gerechtigkeit jagte Luther in die Hölle. Bis er erkannte, daß gerade diese säkulare Gerechtigkeit 2. negiert werden müsse. Denn Gottes Gerechtigkeit ist ganz anders als die säkular-gesetzliche. Wollte man nun aber 3. mit irdischen Begriffen klar sagen, was die Gerechtigkeit Gottes sei, so ginge das schon deswegen nicht, weil Gottes Gerechtigkeit, ebensowenig wie Gott selbst, ein »an sich seiendes On« ist, das im dialektischen Denkschema: Subjekt und Objekt genau definiert werden könnte. Vielmehr ist Gottes Gerechtigkeit der Inhalt einer Heilsgeschichte, die Gott am Sünder durch Jesus Christus vollzieht. Wir wissen bereits, daß wir vom heiligen Geist keine neuen, ihm adäquaten Begriffe für das theologische Denken bekommen. Es geschieht vielmehr das heilsgeschichtliche 19* Unauthenticated Download Date | 5/11/16 7:59 PM 282 P.H.E. G e n s i e b e n Wunder, daß wir das neue Leben aus dem heiligen Geist Gottes mit den alten gott-losen Begriffen, so gut oder so schlecht es geht, beschreiben müssen. Das bedeutet aber, daß der säkular-gesetzliche Begriff zuerst negiert werden muß. Die positive Erfüllung kann weder negativ noch positiv begrifflich geschehen, sie vollzieht sich allein in der Person Jesus Christus. Wir müssen also sagen: Die theologische Begriffsbildung vollzieht sich »sakramental«, nämlich »in, mit und unter« der Negierung der säkularen äußeren begrifflichen Zeichen, welche völlige Aufhebung der säkularen Existenz nur dadurch möglich ist, daß sie »positiv« durch Jesus Christus geschieht, in dem wir alle himmlischen Gnadengaben geschenkt erhalten. Wir sehen also, daß das »Sterben« des säkularen Menschen samt seinen säkularen Begriffen nur durch die »Person Jesus Christus« möglich und wirklich ist. Die Alternative, die am Ende der »Dimensions-Theologie« von KARL HEIM steht: »Gott oder die Verzweiflung« gilt nicht. Im Gegenteil sehen wir jeden Tag die gott-losen Menschen munter weiter leben ohne jede Verzweiflung. Denn sterben und wirklich an sich selbst verzweifeln kann kein Mensch aus eigener Kraft. An sich selbst und der eigenen Geltung verzweifeln kann nur, wer den Retter schon kennt und hat. Denn wir Menschen sterben nur dann, wenn wir durch die Dynamis Jesu Christi »gestorben werden«, genau ebenso wie wir nicht »erkennen« und »lieben«, sondern wie wir zuerst erkannt werden und geliebt werden. Soviel von der Begriffsbildung der heilsgeschichtlichen Theologie! Fragen wir nun nach dem »kerygma«, das HEIDEGGER für diese Begriffsbildung der heilsgeschichtlichen Theologie besitzen könnte, so müssen wir sagen, daß der HEIDEGGER vor der Kehre mit seiner Philosophie des Todes und des Nichts ein eindrückliches Kerygma für die zweite, negative Stufe der theologischen Begriffsbildung besitzt, wenn er audi gerade mit diesem Kerygma von seinen theologischen Befürwortern nicht benutzt worden ist. Aber dieser »Schwärmer« der praestabilierten Harmonie, der HEIDEGGER nach der Kehre ist, ist eher eine Versuchung als ein Helfer. 1. Wir sahen, daß alles, aber auch alles auf die »Person Jesus Christus« ankommt, mit der der »personale Charakter« des lebendigen Gottes »hapax« = einfürallemal unwiderruflich abgebildet ist. Die »Person« aber ist für alles säkulare Denken ein absolutes Geheimnis, weil sie in der »Person« des Vaters Jesu Christi, die wir im Sündenfall verloren haben, versiegelt ist. Wir Menschen kennen nur die »Persönlichkeit«. Sie ist nach KANT ihrem Wesen nach nur ein neutrales Wertverwirklichungsinstrument. Darum ist alle Philosophie immer auf »Neutralisierung«, d. h. aber auf »Entpersonung« — sit venia verbo — angewiesen. Das »schickende Sein« HEIDEGGERS aber ist ein Neutrum! Mit dem Einbruch des Hellenismus ist dieser Zwang zur Neutralisierung auch in die Theologie eingebrochen, wovon die Trinitätslehre über einen immanent seienden Gott ein deutliches Beispiel ist. Seitdem ist diese Unauthenticated Download Date | 5/11/16 7:59 PM Was ist Theologie 283 Neutralisierung oder auch »Spiritualisierung« oder auch »Ethisierung«, was alles im Grunde dasselbe ist, in fast aller Theologie herrschend geworden (vgl. d a s summum bonum, d a s Absolute, d a s Unbedingte). Davor wird uns das »schickende neutrale Sein« HEIDEGGERS auf keinen Fall retten. 2. Der Mensch ist seit der paradiesischen Empörung gegen die eine Person des lebendigen Gottes aus der paradiesischen communio mit diesem Gott herausgefallen und daher unausweichlich aus dem »Monismus« dieser communio in den »Pluralismus« seiner eigenen irdischen »Existenz im Widerspruch«, in der »Dialektik«, unwiderruflich ge- und verfallen. Seitdem muß die säkulare Philosophie unweigerlidi nach dem verlorenen Monismus suchen. Die ganze Philosophie kann als Suchen nach diesem einen verlorenen monistischen Urgrund beschrieben werden. Darum ist jede idealistische Schwärmerei von einem angeblich monistischen, also vor-rationalen, vor-logischen, vor-dialektischen Urgrund, wie wir sie in dem schickenden Sein HEIDEGGERS finden, aufs höchste gefährlich für alle Theologie, die wirklich Theologie bleiben und nicht Religionsphilosophie werden will. 3. mag dann noch auf den bestechenden Evolutionismus des schikkenden Seins hingewiesen werden. Es ist geradezu ein ästhetischer Hochgenuß, bei HEIDEGGER oder OTT nachzulesen, wie die »Brücke« sich schwingt von einem Ufer zum ändern und damit das »Geschehen des Weges« geradezu abbildet, oder wie der Krug zum Gusse sich neigt, weil seine Form geradezu um dieses Gießens willen als eines echten »Geschehens« gebildet, fast möchte man sagen, organisch gewachsen ist. Allen diesen so überaus anziehenden Versuchen zur »Direktheit«, zur Vermeidung des »Sterbens«, zum Geltenlassen alles dessen, was es überhaupt auf Erden gibt, vor allem des natürlichen Menschen in seinem »So-Sein«, aber auch im Geltenlassen nicht nur des »Lebens«, sondern auch des »Todes« als eines organisch Gewachsenen, als zur praestabilierten Harmonie des »Gevierts« organisch Gehörenden, kann gar nicht deutlich genug zugerufen werden: Es geht durch Sterben nur! GRISEBACH als der bedeutendste, leider viel zuwenig bekannte Gegner HEIDEGGERS spricht von der »satanischen Egoität« des in seinem natürlichen Geltungsbewußtseins verankerten Denkens und Existierens beim natürlichen Menschen. Das ist ehrlich. Daher ist das Reden vom sog. »existenziellen Denken«, d. h. von dem Denken nicht aus dem dialektischen »Gegenüber«, sondern aus dem monistischen »Mitten drin« zwar die ewige Sehnsucht des in der Egoität gefangenen Menschen, aber niemals echte Wirklichkeit, sondern immer, wo es dennoch behauptet wird, Schwärmerei. KIERKEGAARDS Frage an HEGEL: Adam, wo bist Du?, nämlich in diesem Deinem System?, konnte nur der C h r i s t KIERKEGAARD stellen. Denn nur im Glauben an Jesus Christus stehen wir im »Schon« des »Mittendrin«. Dieses »Mittendrin« ist aber auf keine Unauthenticated Download Date | 5/11/16 7:59 PM 284 P. H. E. G e n s i c h e n säkulare Weise direkt zu haben, sondern immer nur in der »Indirektheit«, in dem »Gestorbenwerden« durch Christus. Der große Fehler der Existenzphilosophie ist der, daß man diese Worte des Christen KIERKEGAARD zur Grundlage einer allgemeinen, philosophischen Gassenwahrheit gemacht hat. Daß die Theologie sich dermaßen von diesem schwärmerischen Existenzialismus hat verführen lassen können, liegt daran, daß auch sie leider weithin eine Theologie des »Systems«, aber keine Theologie der geschehenden Heilsgeschichte gewesen ist. Wir versuchen zum Schluß, die Frage unseres Themas: Was ist Theologie? möglichst kurz zu beantworten. Theologie ist nicht zuerst »Lehre«. Denn die Christusoffenbarung ist keine Religion, sondern das Gegenteil aller Religion. Christliche Theologie ist zuerst »Heilsgeschichte«. Denn die Christusoffenbarung ist göttliches Heilshandeln an den sonst verlorenen Menschen. Die erste Frage der Theologie geht daher nicht nach dem »Wahrheitscharakter«, sondern nach dem »Wirklichkeitscharakter« der Christusoffenbarung. Dieser ist positiv nur die »Person Jesus Christus«. Demnach ist jeder wirkliche Christ in der Gefolgschaf t Jesu Christi im weiteren Sinn ein »Theologe«. Theologie ist dann aber auch »Lehre«. Denn das Heilshandeln Gottes ereignet sich sakramental, weil der heilige Geist für sein neues Leben weder neue Erfahrungs-, noch neue Erkenntnis-Formen schenkt. Es muß also in den alten, »irdischen Zeichen«, nämlich den durch eben dieses neue Leben gerichteten Erfahrungs- und Denkformen, die wir das »historische Gewand« genannt haben, erfahren und durchdacht werden. Dieses gerichtete historische Gewand ist einerseits die Religion in Kultus, Ethik und Mystik, andererseits die Denkformen unserer natürlichen Vernunft. Die zweite Frage der Theologie geht also auch nach dem »Wahrheitscharakter« der Christusoffenbarung. Dieser ist aber nur negativ das Sterben des Geltungsbewußtseins des Christen und seiner vernünftigen Denkformen. Diesen Wahrheitscharakter zu erforschen ist Aufgabe des Theologen im engeren Sinne. Auf dieser positiven und negativen Doppeltheit des Wirklichkeits- und Wahrheitscharakters beruht der »Geltungsanspruch« der Christusoffenbarung. Wenn die Christusoffenbarung nichts mehr von dem Gerichtetsein und der darauf beruhenden Indirektheit ihrer Erkenntnisse weiß, wird sie mehr und mehr zur bloßen Religion oder, wie BARTH sagt, zum »christlichen Religionstum«. Aber auch dieses christliche Religionstum ist von aller Religion scharf unterschieden und geschieden durch die Sakramente. Das übliche Christentum der Volkskirchen, aber auch das Pharisäertum der Freiwilligkeitskirchen ist weithin zum christlichen Religionstum geworden. Unauthenticated Download Date | 5/11/16 7:59 PM