4 Medical Tribune · Neurologie Psychiatrie · 5. Jahrgang · Nr. 3 · 30. September 2013 Evidenzbasierte Psychotherapie, Antidepressiva, Botox Therapie-Empfehlungen bei Angst und Depression: Altbewährtes und Neues ZÜRICH – Der Fokus des 4. Swiss Forum for Mood and Anxiety Disorders (SFMAD) der Schweizerischen Gesellschaft für Angst und Depression (SGAD) lag in diesem Jahr auf Therapie-Innovationen bei Angst und Depressionen. Neben einem Update zu Angststörungen, Posttraumatischer Belastungsstörung (PTSD) und Depression wurden die neuen Behandlungsempfehlungen zu Zwangsstörungen und PTSD präsentiert, die von der Gesellschaft zusammen mit den Schweizerischen Gesellschaften für Psychiatrie und Psychotherapie, für Biologische Psychiatrie und für Zwangserkrankungen erarbeitet wurden. Professor Dr. med. Dr. rer. nat. Martin Ekkehard Keck, Ärztlicher Direktor und Chefarzt Privatstationen, Clienia Privatklinik Schlössli, Oetwil am See und Vorstandsmitglied der SGAD stellte den zweiten Teil der SGAD-BehandlungsempProf. Dr. Dr. Martin E. Keck Ärztlicher Direktor und Chefarzt Privatstationen Privatklinik Schlössli Oetwil am See Foto: zVg fehlungen von Angststörungen vor, welche in Zusammenarbeit mit der Schweizerischen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie (SGPP), der Schweizerischen Gesellschaft für Biologische Psychiatrie (SGBP) und der Schweizerischen Gesellschaft für Zwangserkrankungen (SGZ) entstanden sind und vor Kurzem veröffentlicht wurden.1,2 Diese basieren auf den Leitlinien der World Federation of Societies of Biological Psychiatry und fokussieren auf Zwangsstörungen und posttraumatische Belastungsstörungen (PTSD). Als Grundsätze der Behandlung werden in den Behandlungsempfehlungen die evidenzbasierte Psychotherapie als Behandlung der ersten Wahl, kombiniert mit einer medika- mentösen Therapie bei mittelschwerer bis schwerer Beeinträchtigung genannt. Der individuelle Therapieplan soll eine multimodale Therapie inklusive Psychoedukation vorsehen und mindestens sechs Monate bis zwei Jahre dauern. Bei Remission soll die Therapie über zwölf bis 24 Monate weitergeführt werden. Bei Zwangsstörungen im Speziellen wird ebenfalls die evidenzbasierte Psychotherapie als Behandlung der ersten Wahl bezeichnet. Diese weist leicht höhere Erfolgsquoten als nach Pharmakotherapie bei besserer Stabilität auf. Bei einer Erkrankung mit hoher Komplexität sind multimodale Konzepte der kognitiven Verhaltenstherapie (KVT), plus systemische, psychodynamische und achtsamkeitsbasierte Elemente indiziert. Dabei erfolgt die Auswahl der Bausteine via Verhaltensanalyse (ursächliche, auslösende, aufrechterhaltende Bedingungen). Vorsicht ist dabei bei intrapsychischen und interpersonellen Funktionalitäten geboten. Als Kernbestandteil der KVT wird die Exposition mit Reaktionsmanagement in sensu und in vivo empfohlen. Bei den kognitiven Interventionen werden Identifikation, Überprüfung, Korrektur von aufdringlichen Zwangsgedanken und Modifikation dahinterstehender Grundannahmen (Metakognitionen) genannt. KVT hilft, die Rückfallquote zu senken Eine medikamentöse Therapie zusätzlich zur KVT wird bei komorbider depressiver Symptomatik, bei im Vordergrund stehenden Zwangsgedanken, um eine Therapie zu ermöglichen und bei notwendiger rascher Symptomreduktion empfohlen. In diesem Zusammenhang werden SSRI und Clomipramin genannt, wobei mit einer Ansprechrate von 60 bis 80 % gerechnet wird. Speziell zu berücksichtigen sind der verzögerte Wirkeintritt nach vier bis sechs Wochen und der Eintritt des Wirkmaximums nach bis zu zwölf Wochen. Die Erhaltungstherapie wird über zwölf bis 24 Monate empfohlen. Nach Absetzen ist mit einer hohen Rückfallquote zu rechnen. Diese kann bei einer Kombination mit KVT gesenkt werden. PTSD evidenzbasiert behandeln Des Weiteren ging Prof. Keck auf die posttraumatischen Belastungsstörungen (PTSD) ein, die als eine verzögerte oder protrahierte Traumafolgestörung bekannt sind. Diese Störung geht fast immer mit tiefgreifender Verzweiflung einher, begleitet von anhaltenden Erinnerungen oder Wiedererleben (Intrusionen, Alpträume, Flashbacks, körperliche Reaktionen bei Hinweisreizen). Sie führt zu Vermeidungsverhalten und einem erhöhten Erregungsniveau/Hypervigilanz oder zu einer Amnesie. Ihre Prävalenz reicht von 10 % nach Verkehrsunfällen bis 50 % nach Folter. Die Behandlung stellt eine Herausforderung da: Auch hier wird in den neuen Behandlungsempfehlungen die evidenzbasierte Psychotherapie als Behandlung der ersten Wahl genannt. SSRI und SSNRI als flankierende Massnahmen Prof. Keck nannte die kognitive Verhaltenstherapie (KVT) mit Expositions-Reaktionsmanagement (traumafokussiert), die Psychoedukation, imaginäre und in vivo-Exposition (Prolonged Exposure Therapy), die Konfrontation auf die schlimmsten Momente begrenzt (hot spots; Cognitive Processing Therapy) sowie Imaginery Rescripting und Antialptraumtraining. Ebenso findet das Eye-Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR) Erwähnung. Dieses basiert auf der Hypothese, dass PTSD auf einer falschen Speicherung im impliziten Gedächtnis beruht, welcher ein neuer assoziativer Verarbeitungsprozess mit Überführen des traumatischen Erlebnisses in das adaptive kontextuelle Gedächtnis entgegenwirken kann. Die medikamentöse Therapie ist bei PTSD indiziert, wenn die alleinige Psychotherapie nicht ausreichend ist bzw. bei Komorbidität, z.B. Depression, Angsterkrankungen, dissoziative Störungen, somatoforme Schweizerische Gesellschaft für Angst & Depression – SGAD Die SGAD ist eine breit abgestützte Gesellschaft, welche die Aus-, Weiter- und Fortbildungsmassnahmen im Rahmen der häufigsten psychischen Störungen, das heisst den Depressionen, den Angststörungen sowie deren damit verbundene Krankheiten fördert. Prävention und Gesundheitsförderung werden vom Verein unterstützt. Mit Ärzten, Partnern im Gesundheitswesen, Institutionen, Patientenorganisationen und Sponsoren trägt der Verein zur Weiterentwicklung, Störungen oder Suchterkrankungen. In diesem Zusammenhang werden hauptsächlich SSRI und SSNRI genannt. Spricht der Patient auf die Therapie an, so soll diese über mindestens zwölf Monate fortgeführt werden. Botox – nicht nur in der Schönheitschirurgie Ein besonderes Highlight der Tagung war auch die Präsentation der Resultate einer Studie zur State-ofthe-Art-Behandlung der Depression mit Botox durch PD Dr. M. Axel Wollmer, Chefarzt der Klinik für Gerontopsychiatrie, Asklepios Klinik PD Dr. M. Axel Wollmer Chefarzt Klinik für Gerontopsychiatrie Asklepios Klinik Hamburg Foto: zVg Nord, Ochsenzoll Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinik für Gerontopsychiatrie, Hamburg. Der Referent zeigte eindrücklich, dass Botox mehr kann als nur Stirnfalten glätten. Im Rahmen seiner Studie erhielt die Hälfte der 30 Patienten, deren Depression zum Teil bereits seit langer Zeit bestand und sich unter Behandlung mit Antidepressiva nicht ausreichend gebessert hatte, Botulinumtoxin. Die andere Hälfte erhielt eine Placebo-Injektion. Bereits nach zwei Wochen waren die Patienten der Botulinumtoxin-Gruppe weniger depressiv. Nach sechs Wochen hatte Vermehrung und Verbreiterung des Wissens und der Behandlungsmöglichkeiten zum Wohle der Patienten bei. Die SGAD stellt der Öffentlichkeit wissenschaftlich gesicherte Informationen zur Verfügung, die unter anderem der Aufklärung und Erhöhung der Akzeptanz Betroffener dienen sollen. Weiterführende Informationen: www.sgad.ch sich bei 60 % der Schwergrad der Depressionssymptomatik mindestens halbiert. Dieser Effekt verstärkte sich weiter bis zum Ende der Studie nach 16 Wochen. In der Placebo-Gruppe besserten sich die Symptome nur geringfügig. Die Messung bestand in einer Selbst- und Fremdbeurteilung von depressiven Symptomen wie gedrückter Stimmung, vermindertem Antrieb und Freudlosigkeit. Dies sind vielversprechende Daten und Dr. Wollmer führte aus, dass Botulinumtoxin durchaus eine Option für das Management depressiver Patienten darstellen könnte, auch wenn diese Behandlungsform noch weiterer klinischer Studien und Untersuchungen bedarf. Die Therapie psychischer Erkrankungen wie Depression, Zwangsstörungen oder PTSD bedarf Innovationen, damit Patienten optimale individuelle Behandlungen erhalten. Diese Innovationen müssen bekannt gemacht werden. Behandlungsempfehlungen und Fachtagungen wie das SFMAD sind gute Möglichkeiten, dies zu garantieren und ihre Umsetzung in der Praxis zu fördern. Das 5. SFMAD findet am 10. April 2014 in Zürich statt. SF Referenzen: 1. Keck Martin E. et al. Die Behandlung der Angsterkrankungen. Teil 1: Panikstörung, Agoraphobie, generalisierte Angststörung, soziale Phobie, spezifische Phobien. Schweiz Med Forum 2011; 11(34): 558566. 2. Keck Martin E. et al. Die Behandlung der Angsterkrankungen. Teil 2: Zwangsstörungen und posttraumatische Belastungsstörung. Schweiz Med Forum 2013; 13(17): 337-344. Bei Migränepatienten sind schmerzverarbeitende Regionen betroffen Maschinelle Unterstützung gegen die Apathie Zerebrale Atrophie als Biomarker? Roboter für Demente BARCELONA – Erwachsene Migränepatienten zeigen in verschiedenen, in die Schmerzverarbeitung involvierten Hirnregionen, eine Atrophie der grauen Substanz. Ob dies Folge rezidivierender Migräneattacken ist oder ein Biomarker für Migräne sein könnte, wurde bisher kontrovers diskutiert. Dr. Maria A. Rocca, Universität Mailand, hat nun Argumente BARCELONA – Eine Pilotstudie an 101 Patienten mit moderater bis schwerer Demenz spricht dafür, dass kleine, dem Menschen ähnelnde Roboter dazu beitragen können, das Ausmass von Apathie zu verringern. Drei Monate lang zweimal pro Woche «halfen» die intelligenten Maschinen Therapeuten bei der Musik-, Sprach- und kognitiven für die zweite Hypothese gefunden. Zwölf im Mittel 14,2 Jahre alte Patienten sowie 15 altersgematchte Kontrollpersonen wurden mit einem 3.0-Tesla-MRT untersucht. Die Jugendlichen mit Migräne zeigten eine signifikante Atrophie der grauen Substanz in schmerzverarbeitenden Regionen des Frontal- und Temporallappens. Diese Befunde korrelier- ten nicht mit der Krankheitsdauer oder der Attackenfrequenz. Die Tatsache, dass diese Atrophie bereits bei Kindern und Jugendlichen mit kurzer Krankheitsgeschichte nachweisbar ist, unterstützt die Vermutung, dass hiermit ein Biomarker für die Migräne gefunden ist. BV Quelle: 23. Meeting of the European Neurological Society. Therapie und aktivierten die Kranken – verglichen mit der menschlichen «Solo-Behandlung» etwas besser, berichtete Dr. Meritxell Valenti Soler, Madrid. Weitere positive Studien vorausgesetzt, könnte die Roboterbehandlung eine realistische Option werden. Md Quelle: 23. Meeting of the European Neurological Society.