OM & Ernährung 2006/Nr. 118 Fachbeitrag Zuckerstoffwechsel bei aggressiven Krebszellen Dr. rer. nat. Johannes F. Coy Glukose spielt für den Menschen eine sehr wichtige Rolle bei verschiedensten Stoffwechselvorgängen. Viele Zellen des Menschen nutzen diesen Zucker als Energielieferant. Ein Überangebot von Glukose kann aber aufgrund der chemischen Eigenschaften von Glukose zu gravierenden Zellschäden und damit verbunden zu schweren Erkrankungen führen. Ein bestimmter Anteil des Glucose-Moleküls liegt in einer reaktiven Form (der offenen Aldehydform) vor. Ähnlich wie beim Formaldehyd kommt es dann zu irreversiblen Reaktionen von Glukose mit Proteinen, die damit auf Dauer geschädigt werden. Dies lässt verstehen, dass eine zu hohe Konzentration von Glukose in der Zelle auf Dauer zu schweren Schäden führt. Manche Gewebe und Zellen des menschlichen Körpers sind besonders von zu hohen Glukosekonzentrationen betroffen. Dies sind genau die Gewebe, die bei Diabetikern auf Dauer durch hohe Glukosekonzentrationen geschädigt werden: Die Netzhaut (Retina), Nervenzellen (Neuronen) und Blutgefäßzellen (Endothelzellen). Typisch sind chronische Langzeitschäden wie Retinopathie, Neuropathie und Blutgefäßschäden, die dann schließlich zu Blindheit, Nervenschäden und Herzinfarkt/Schlaganfall führen können. Neben Skelettmuskelzellen verwendet auch eine bestimmte Form von Krebszellen Glukose als Treibstoff. Diese Krebszellen sind äußerst aggressiv und nutzen das TKTL1-Enzym, um aus Glukose Energie zu gewinnen, auch wenn kein Sauerstoff zur Verfügung steht. Eine ähnliche Strategie verfolgt auch eine Skelettmuskelzelle bei Sauerstoffmangel. Jeweils vergären sie Glukose zu Milchsäure (Laktat). Obwohl das Endprodukt sich gleicht, ist der Stoffwechselweg völlig unterschiedlich. Ein wesentlicher Unterschied der Milchsäurebildung in Muskelzellen und Krebszellen ist die Reaktion auf das Vorhandensein von Sauerstoff. Sobald Skelettmuskelzellen wieder genügend Sauerstoff zum Verbrennen der Glukose haben, stoppen sie die Milchsäurebildung. Vergärende Krebszellen machen dies allerdings nicht. Dieses Phänomen (Warburg-Effekt) ist bereits 1924 von Nobelpreisträger Otto Heinrich Warburg erstmals beschrieben worden. Nobelpreisträger Prof. Otto Heinrich Warburg Er sah darin sogar die Hauptursache für Krebs. Die Entdeckung des TKTL1-Enzyms erklärt nun erstmals, weshalb Tumorzellen Glukose zu Milchsäure vergären, egal ob Sauerstoff da ist oder abwesend ist. Neben dem Wachstum ohne Sauerstoff eröffnet dieser Weg nämlich die Möglichkeit für Krebszellen, sich aus dem Gewebeverband zu lösen und zu streuen. Durch die gebildete Milchsäure zerstören sie gesundes, umgebendes Gewebe, erleichtern die Ausbreitung und die Bildung von Metastasen. Aktuelle Forschungen an der Universität Regensburg zeigen, dass durch die hohe Milchsäure-Produktion der Tumorzellen die Vermehrung und 26 Zytokinproduktion von T-Lymphozyten bis zu 95 % gehemmt werden. Somit hat eine Hemmung der Milchsäure-produzierenden Tumorzellen auch eine wichtige Funktion zur Förderung der körpereigenen Immunantwort. Da in der Regel ein Krebspatient an den Folgen der Metastasierung stirbt und nicht am Ursprungstumor selbst, wird eine Krebszelle damit zu einer aggressiven, lebensgefährlichen Krebszelle. Glukose ist daher nicht krebsauslösend, sondern trägt zum Aggressivwerden von vorhandenen Krebszellen entscheidend bei. Obwohl TKTL1-positive Krebszellen äußerst aggressiv sind und Metastasen bilden können, haben sie eine Achillesferse, die sie angreifbar macht. Im Gegensatz zu Skelettmuskelzellen kann diese Form von Krebszellen nicht auf die Fettverbrennung umstellen. Diese Krebszellen sind damit absolut abhängig vom alleinigen Treibstoff Glukose. Andererseits verschaffen sie sich einen Vorteil – sie sind von der Sauerstoffversorgung und neu zu bildenden Blutgefäßen unabhängiger. Das „Abschalten“ der Mitochondrien erklärt auch die Entstehung von Chemoresistenzen sowie die geringere Sensibilität gegenüber einer Strahlentherapie, da hierdurch die Bildung von Sauerstoffradikalen, die zu einem Absterben der Krebszelle führt, vermindert ist. Krebs in der Form von lokal begrenzt wachsenden Tumoren kommt im ganzen Tierreich vor. Krebs in seiner aggressivsten Form, also metastasierender Krebs, kommt interessanterweise nur beim Menschen und einigen mit Kohlenhydraten gefütterten Haustieren als Haupttodesursache vor. Bemerkenswerterweise gibt es ein Organ, das extrem niedrige Krebsraten aufweist: Das Herz. Während Krebsformen wie Brustkrebs, Darmkrebs und Prostatakrebs häufig auftreten und Patienten daran oft versterben, ist Herzkrebs extrem selten und fast niemand verstirbt an Herzkrebs. Bisher konnte niemand eine schlüssige Antwort auf diese Frage geben. Der Herz- Fachbeitrag muskel gewinnt im Gegensatz zum Skelettmuskel seine Energie überwiegend aus der Fettverbrennung, selbst wenn Glukose als Treibstoff in ausreichenden Mengen vorliegt. Dies könnte erklären, weshalb vom Herzen keine aggressiven Krebserkrankungen ausgehen und es den glukoseabhängigen, streuenden TKTL1-positiven Krebszellen anderer Krebsarten nicht gelingt, das Herz zu besiedeln und deswegen so selten ein Mensch an Herzkrebs verstirbt. Interessant ist auch das Ergebnis von aktuellen Studien, dass sportliche Aktivität die Überlebenszeit von Krebspatienten deutlich erhöht. Der TKTL1-Glukosestoffwechsel erklärt nun erstmals schlüssig, wie durch Sport der Treibstoff Glukose für diese aggressiven, TKTL1-positiven Krebszellen so reduziert wird, dass es zu einer verbesserten Überlebenszeit bei einer Krebserkrankung kommt. Ergänzend hierzu kann durch eine Umstellung auf eine Ernährung, die nur noch wenig und langsam Glukose freisetzt, zusätzlich der Treibstoff für diese Form von Krebszellen limitiert wird. Dies kann beispielsweise durch den Verzehr von proteinreichen Lebensmitteln wie Fisch und Fleisch in Kombination mit Salaten und kohlenhydratarmen Gemüse erreicht werden. Durch in der Zusammensetzung modifizierte Grundnahrungsmittel können sogar zum Beispiel die gewohnten Speisen wie Nudeln und Brot in moderaten Mengen konsumiert werden, ohne dass es zu einer übermäßigen Glukosefreisetzung und Insulinausschüttung kommt. Es gibt nun sogar proteinreiches Brot, das neben der geringen Glukosefreisetzung auch durch den Zusatz von Ölsamen (Leinsamen, Sesam, Hanfnuss) einen hohen Gehalt an Omega-3-Fettsäuren aufweist. Darüber hinaus ist es durch die Verwendung von Zuckern wie Fruktose, Pallatinose und Isomalt, die nur noch einen moderaten oder gar keinen Glukoseanstieg im Blut verursachen, möglich, in Maßen Kuchen, Schokolade, Kekse und Marmelade zu konsumieren, ohne dass es zu ei- ner schnellen und starken Freisetzung von Glukose kommt. Die ausreichende kalorische Versorgung kann so überwiegend durch hochwertige Öle und Proteine gewährleistet werden und damit die Tumorkachexie verhindert werden. Eine Hemmung der glukoseabhängigen Krebszellen durch eine rein ketogene Ernährung (extrem kohlenhydratarm; Atkins-Diät) allein ist aber laut einer Studie mit Hirntumoren im Mausmodell (Nutrition & Metabolism 2007, 4:5) nicht möglich. Eine ketogene Ernährungsweise führte nur dann zu einer Hemmung des Tumorwachstums, wenn gleichzeitig eine starke Kalorieneinschränkung, einhergehend mit einem dramatischen Gewichtsverlust der Mäuse, durchgeführt wurde. Gerade dieser Gewichtsverlust wäre bei Krebspatienten, die kachektisch sind oder bei denen eine Kachexie droht, lebensgefährlich. Im Gegensatz dazu konnte an der Universität Würzburg in Studien mit der speziell entwickelten TKTL1-Ernährungstherapie von Dr. Christoph Otto gezeigt werden, dass menschliche TKTL1-positive Krebszellen im Mausmodell selbst bei unbeschränkter Nahrungsaufnahme eindeutig im Wachstum gehemmt werden. Dies zeigt, dass neben dem geringen Glukose-Angebot weitere Inhaltsstoffe – wie in den speziell entwickelten Ölen sowie in einem extrem kohlenhydratarmen Laktat-Drink vorhanden – absolut notwendig sind, um eine Wachstumshemmung der TKTL1Krebszellen zu erreichen. Letztendlich ist die Kombination verschiedener Faktoren wie z. B. die oben beschriebene Ernährungsumstellung sowie moderater Sport notwendig, um das Wachstum der Glukose-abhängigen aggressiven Krebszellen erfolgreich zu hemmen und die momentan verfügbaren Krebstherapien mit nebenwirkungsfreien Maßnahmen zu unterstützen. Dr. rer. nat. Johannes F. Coy Am Elfengrund 59 64297 Darmstadt/Deutschland T +49(0)6151-4925429 [email protected] 27 OM & Ernährung 2006/Nr. 118 7XPRU]HOOH 7XPRU]HOOH 7XPRUGLIIHUHQ]LHUHQXQG JH]LHOWHUWKHUDSLHUHQ 0 DQFKH7XPRUH]HLFKQHQVLFKGXUFK LQYDVLYHV:DFKVWXPXQG0HWDVWDVHQELO GXQJ DXV ,KUH (QHUJLH JHZLQQHQ VLH GXUFKGLH9HUJlUXQJYRQ*OXNRVHVHOEVW GDQQZHQQJHQJHQG6DXHUVWRIIIUGLH 9HUEUHQQXQJYRUKDQGHQLVW 'XUFKGLH(QWGHFNXQJGHV(Q]\PV7.7/ NDQQ GLHVHV 3KlQRPHQ HUVWPDOV ELR FKHPLVFKHUNOlUWZHUGHQXQGHUP|JOLFKW QHXH7KHUDSLHDQVlW]H ,Q 7.7/SRVLWLYHQ =HOOHQ ZLUG LQ YLHOHQ )lOOHQGLH)HWWYHUEUHQQXQJ2[LGDWLRQ DEJHVFKDOWHW'HVKDOEVLQGGLHVH=HOOHQ DEKlQJLJ YRQ JDQ] EHVWLPPWHQ (QHU JLHWUlJHUQ %DVLHUHQGDXIGLHVHQ(UNHQQWQLVVHQLVWGLH 7.7/(UQlKUXQJVWKHUDSLH GDV &R\3ULQ ]LSHQWZLFNHOWZRUGHQ ,QIRUPDWLRQHQ XQWHU 7HOHIRQ RGHU ZZZWDYDUOLQGH TAVAR L I N R (YRPHG0HGL]LQ6HUYLFH*PE+ +HLGHOEHUJHU/DQGVWUDH 'DUPVWDGW