Peter Robmann Physik für Oberstufenlehrpersonen Statik und Dynamik von Flüssigkeiten und Gasen Physik-Institut der Universität Zürich Die einzelnen Kapitel in dieser Vorlesung sind Auszüge aus dem Skript “Physik C für BiologInnen und SekundarlehrerInnen” von Prof. P. Truöl. Ich bedanke mich bei meinem Lehrer und Kollegen ganz herzlich für das Überlassen seiner Unterlagen. Inhaltsverzeichnis A Selbstlernteil Statik und Dynamik von Flüssigkeiten und Gasen A.1 Statik und Dynamik der Gase und Flüssigkeiten . . . . . A.1.1 Hydrostatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A.1.1.1 Beispiel zur Hydrostatik . . . . . . . . . . . . . . A.1.1.2 Physiologische Anwendungen . . . . . . . . . . . A.1.2 Dynamik der Flüssigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . A.1.3 Grenzflächen von Flüssigkeiten – Kohäsion und Adhäsion iii . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A.1 A.1 A.1 A.2 A.7 A.11 A.30 Abbildungsverzeichnis A.1 Wasser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A.2 Hydrostatischer Druck . . . . . . . . . . . . . . A.3 Tauchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A.4 Blutdruckverteilung im Körper . . . . . . . . . A.5 Blutdruckmessung . . . . . . . . . . . . . . . . A.6 Stromlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A.7 Stromlinien bei einer Verengung der Flussröhre A.8 Gauss’sche Fläche . . . . . . . . . . . . . . . . A.9 Füssigkeitsreibung . . . . . . . . . . . . . . . . A.10 Nicht-Newton’sche Flüssigkeiten . . . . . . . . A.11 Ohm’sches Gesetz für Rohrsysteme . . . . . . . A.12 Kirchhoff’sche Kreise für Rohrsysteme . . . . . A.13 Umströmung eines Flügelprofils . . . . . . . . . A.14 Magnus-Effekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . A.15 Menschlicher Blutkreislauf . . . . . . . . . . . . A.16 Details zum Blutkreislauf . . . . . . . . . . . . A.17 Tropfenbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . A.18 Messung der Oberflächenspannung . . . . . . . A.19 Grenzflächen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A.20 Benetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A.21 Kapillarität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A.22 Wasserläufer und Waschmittel . . . . . . . . . . iv . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A.1 A.2 A.8 A.10 A.10 A.12 A.12 A.14 A.17 A.19 A.22 A.22 A.23 A.24 A.26 A.27 A.32 A.32 A.34 A.35 A.36 A.36 Tabellenverzeichnis A.1 A.2 A.3 A.4 A.5 Blutdruckwerte . . . . . Viskosität . . . . . . . . Luftwiderstand . . . . . Blutkreislauf . . . . . . Oberflächenspannungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . v . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A.9 A.17 A.24 A.28 A.33 A Selbstlernteil Statik und Dynamik von Flüssigkeiten und Gasen A.1 A.1.1 Statik und Dynamik der Gase und Flüssigkeiten Hydrostatik Gase und Flüssigkeiten sind Systeme, die im strömungsfreien, makroskopischen Gleichgewichtszustand keine Schubspannungen aufweisen (τ = 0). Während bei festen Körpern die Moleküle durch intermolekulare Kräfte an Gleichgewichtslagen gebunden sind, um die herum sie thermisch angeregte Schwingungen ausführen, befinden sich die Moleküle von Flüssigkeiten und Gasen in regelloser, ungebundener Bewegung. Ihre mittlere kinetische Energie ist grösser als die Bindungsenergie. Der Unterschied zwischen Flüssigkeit und Gas beruht auf der Grösse der intermolekularen Kräfte. In Flüssigkeiten sind die Moleküle dicht gepackt (siehe Abbildung A.1. Sie bilden Tropfen mit einer definierten freien Oberfläche. Die Kompressibilität ist klein. Gase dagegen bilden keine Tropfen, sondern beanspruchen das ganze, ihnen zur Verfügung stehende Volumen. Die Kompressibilität ist im allgemeinen gross. fest flüssig gasförmig H2O Abbildung A.1: Die drei Zustandsformen von Wasser. Der Spannungszustand eines ruhenden Gases oder einer Flüssigkeit ist durch eine einzige Spannung, den hydrostatischen Druck p = p(⃗r), eindeutig bestimmt. Um dies zu verdeutlichen kann man das in Abbildung A.2 dargestellte Gedankenexperiment machen. In ein mit einer Flüssigkeit gefülltes Gefäss wird am Ort ⃗r ein kleiner Drucksensor eingebracht. Dieser Drucksensor besteht aus einem kleinen beweglichen Kolben mit der Fläche dA, der an einer Feder befestigt ist. Aufgrund der äusseren Kraft dF wird er in einem evakuierten Zylinder bewegt. Die Kraft dF bzw. der Druck p = dF/dA kann aus der Deformation der Feder bestimmt werden. Der Drucksensor (d. h. die Lage des Flächenelements dA) lässt sich am Ort ⃗r mit einem Mechanismus in jede beliebige Richtung drehen. Es zeigt sich, dass der Druck p = p(⃗r) unabhängig von der Stellung des Flächenelements dA ist, d. h. mit anderen Worten, dass der Druck im Gegensatz zur Kraft eine skalare Grösse ist. Ist die Substanz frei von irgendwelchen Volumenkräften, insbesondere gewichtslos, so ist der Druck unabhängig vom Ort. Der Spannungszustand ist homogen. Man nennt dieses Erfahrungsgesetz auch Pascal’s Prinzip, denn der französische Mathematiker, Physiker und Philosoph Blaise Pascal (1623-1662) stellte 1652 fest, dass sich jede Änderung des Drucks, den man auf eine eingeschlossene Flüssigkeit ausübt, unvermindert auf jeden Teil der Flüssigkeit und die Wände des Behälters überträgt. Man kann Pascal’s Prinzip mit einem mit Wasser gefüllten Gefäss demonstrieren (Abbildung A.2), an dem ein Zylinder mit verschiebbarem Kolben der Fläche A1 angebracht ist. Drückt man diesen Kolben hinein, so strömt aus allen irgendwo angebrachten A.1 Drucksensor dF dA F1 x2 Drucksensor p p Druck p = dF dA x1 F2 Abbildung A.2: Links: Gedankenexperiment zum hydrostatischen Spannungszustand; mit einem Druckmessgerät wird der lokale Druck in der Flüssigkeit gemessen. Rechts: Demonstration von Pascal’s Prinzip mit einem mit Wasser gefüllten Kolben. Löchern Wasser mit gleicher Intensität aus. Wenn eine solche Öffnung mit einem zweiten Zylinder mit Kolbenfläche A2 versehen ist, dann bewegt sich dieser Kolben beim Hereinschieben des ersten hinaus. Da die Flüssigkeit inkompressibel ist, müssen die Volumenänderungen an den beiden Kolben einander kompensieren. Wenn der erste Kolben um die Distanz x1 hineingeschoben wird, die Volumenabnahme also x1 A1 beträgt, muss sich der zweite Kolben um x2 herausbewegen, sodass gilt: x2 A2 = x1 A1 . Ausser der Volumenänderung muss noch die geleistete Arbeit an beiden Kolben die gleiche sein: x2 F2 = x1 F1 . Damit ergibt sich x1 F1 x2 F2 = x2 A2 x1 A1 ⇒ F2 F1 = ≡p A2 A1 Der Druck ist der gleiche, wie wir dies postuliert haben. Die Einheit des Drucks ist das Pascal. Andere gebräuchliche Einheiten sind Atmosphäre (atm), Torr (zu Ehren von Evangelista Torricelli (1608-1647)) und bar: 1 Pascal = 1 Pa = 1 Newton/m2 = 10−5 bar, 1 atm = 760 Torr = 1.0133 bar = 1.0133×105 Pa, und 1 Torr = Druck einer 1 mm hohen Quecksilber-Säule (Hg) = 133.3 Pa; zum Vergleich: Druck einer 1 mm hohen Wasser-Säule r (H2 O) = 9.8 Pa. Die Druckverteilung und der Spannungszustand wird in dem Moment inhomogen, wenn sich die Flüssigkeit in einem Kraftfeld befindet, wie dies normalerweise der Fall ist. Es treten dann Druckgradienten auf. Die freie Flüssigkeitsoberfläche wird dann zu einer Äquipotentialfläche des Kraftfeldes, wo die potentielle Energie konstant ist und die Kräfte senkrecht zu diesen Flächen wirken. Im Gravitationsfeld der Erde sind diese Flächen konzentrische Kugeln um den Erdmittelpunkt, im Nahbereich horizontale Ebenen, wie wir das von der Meeresoberfläche und der Oberfläche von Seen her kennen. Die Meeresoberfläche ist nur dann eine ideale Kugeloberfläche, wenn keine Schubspannungen auftreten, d. h. im statischen Fall. Im dynamischen Fall, z. B. bei Sturm, muss dies nicht so sein. A.1.1.1 Beispiele zur Hydrostatik: In diesem Abschnitt werden ein paar, vorwiegend technische Beispiele aus der Hydrostatik behandelt, oder zum mindestens ihre physikalischen Grundlagen dargelegt. A.2 Beispiel – hydraulische Presse oder Hebebühne: Man benützt hier die Konstanz des hydrostatischen Drucks. Der Kolben (K2 ), der zum Pressen oder zum Heben dient, hat eine grosF2 se Oberfläche (A2 ), bewegt sich aber um kleine Distanzen (x2 ). Der Kolben (K1 ), der hineingeF1 drückt wird, macht grosse Wege, hat eine kleine Oberfläche (A1 ) und beansprucht eine kleinere Kraft (F1 ). K1 : F1 = pA1 A1 K2 : F2 = pA2 A2 p A2 >> A1 ⇒ F2 >> F1 , x2 << x1 Beispiel – Druckverteilung in einer vertikalen Flüssigkeitssäule: Die Flüssigkeit befindet sich im Erdfeld, ihre Oberfläche ist horizontal, d. h. eine Äquipotentialfläche (mgh = U = const.). Auf die Flüssigkeit (Dichte ρ) drückt von aussen die Luft mit dem Druck p0 . Bei jedem Volumenelement dV = dxdydz im Innern müssen sich Volumen- und Oberflächenkräfte das Gleichgewicht halten. Die Volumenkraft ist das Gewicht dG = gdm = gρdV . Die Oberflächenkraft ist gegeben durch das Produkt der Normalspannung (Druck p) mit der Oberfläche des Volumenelements (dA = dxdy). Vom Druck wird angenommen, dass er von der Tiefe (z) abhängt: p p0 p(z) dV dG p(z+dz) z dG + p(z)dA = p(z + dz)dA ⇒ p(z + dz) − p(z) = ρg ρ dxdydz dA dp = ρg dz Für eine inkompressible Flüssigkeit ist ρ konstant und wir erhalten durch Integration dz → 0 ⇒ p(z) = p0 + ρgz Der Druck nimmt mit der Tiefe linear zu, bei Wasser z. B. um circa 1 atm pro 10 m (ρ = 1000 kg/m3 , dp/dz = 9810 Pa/m). Der eingangs erwähnte Unterschied zwischen Gasen und Flüssigkeiten zeigt sich, wenn man mit den gleichen Ansätzen wie oben die Druckverteilung in der Luft berechnet. Beispiel – Druckverteilung in der Atmosphäre: Wir nehmen an, dass die Temperatur in der ganzen Luftsäule die gleiche ist. Die Dichte der Luft hängt allerdings vom Druck ab. Diese Abhängigkeit ergibt sich aus der Zustandsgleichung für ideale Gase pV = RT . Diese Gleichung wird im Teil 2 Thermodynamik, Abschnitt 3.2.1 ausführlich diskutiert. Die Gleichung gibt den Zusammenhang wieder zwischen dem Druck p, dem Volumen V und der Temperatur T eines Mols eines idealen Gases, als das wir die Luft bei genügend kleinem Druck ansehen können. R ist eine Konstante, die ideale Gaskonstante. Man erhält für die Masse eines Mols ρV = M und damit p/ρ = RT /M = kT /m. m ist die Masse eines Moleküls (M = N0 m), N0 ist die A.3 Avogadro’sche Zahl und k ist die Boltzmann’sche Konstante (k = R/N0 ). Bei fester Temperatur ist das Verhältnis von Dichte und Druck konstant. Die Gleichgewichtsbedingung ist wieder wie oben, nun allerdings mit z positiv nach oben gewählt, daher das negative Vorzeichen für dp/dz − dp mg Mg = ρ(z)g = p= p dz kT RT Wir erkennen wieder eine Gleichung, wo die Änderung einer Grösse (hier eine Abnahme des Drucks mit der Höhe) proportional zur Grösse (hier Luftdruck) selber ist. Die Lösung der entsprechenden Gleichung ist dann eine Exponentialfunktion (siehe Teil 2 Mechanik, Abschnitt 2.5.4.2.3): mgz mgz p(z) = p0 exp(− ) ⇒ ρ(z) = ρ0 exp(− ) kT kT In dieser sogenannten barometrischen Höhenformel ist p0 der Druck auf der Bezugshöhe (z = 0). Im Term mgz erkennen wir die potentielle Energie eines Moleküls der Masse m, kT hat daher ebenfalls die Dimension einer Energie. Für Luft erhält man bei T = 288.15 K (150 C) mit p0 = 1.013 bar und ρ0 = 1.225 kgm−3 folgenden praktischen Ausdruck für die Barometerformel: p(z) = 1.013 bar · exp(− z ) 8432 m Der Luftdruck fällt also in der Höhe z1/2 = ln 2 · 8432 m = 5844 m der sog. Halbwertshöhe, auf die Hälfte ab. Der Exponent (−mgz/kT ) zeigt, dass der Druck für schwere Gase mit der Höhe schneller abnimmt als für leichte Gase. In der folgenden Tabelle sind einige Werte für den Partialdruck von Sauerstoff (O2 ) und Wasserstoff (H2 ) bei 00 C (273 K) für verschiedene Höhen z zusammengestellt: Höhe z (m) 0 1000 5000 10000 Partialdruck von O2 pO2 (z)/pO2 (0) 1.00 0.87 0.50 0.25 Partialdruck von H2 pH2 (z)/pH2 (0) 1.00 0.99 0.96 0.92 Der Partialdruck von O2 fällt bei einer Höhenzunahme um 5000 m auf die Hälfte, der Partialdruck von H2 dagegen nimmt nur um ca. 4 % ab. Für kleine Höhen z, d.h. für z ≪ p0 /(ρ0 g) ≈ 8000 m, kann die Barometerformel vereinfacht werden, indem man die Exponentialfunktion entwickelt: exp(−x) ≃ 1 − x für x ≪ 1. Mit x = ρ0 gz/p0 erhält man p(z) ≃ p0 − ρ0 gz Abgesehen vom negativen Vorzeichen (infolge Druckabnahme mit steigender Höhe) ist dieser Ausdruck identisch mit dem Ausdruck für die Druckverteilung in einer vertikalen Flüssigkeitssäule. A.4 In der Herleitung der Barometerformel wurde angenommen, dass die Atmosphäre isotherm sei. Dies ist aber nicht der Fall. Für 1000 m Höhenzunahme sinkt die Temperatur um rund 6.50 C und erreicht in einer Höhe von 11000 m einen Wert von −560 C. Bis etwa 20000 m bleibt die Temperatur fast konstant und nimmt anschliessend wieder markant zu. Die Abweichungen des tatsächlichen Druckverlaufs in der Atmosphäre von demjenigen entsprechend der Barometerformel betragen aber nur einige Prozent, so dass die Barometerformel als eine gute Näherung betrachtet werden kann. Auftrieb: Eine Konsequenz der Druckzunahme mit zunehmender Höhe der Wassersäule über einem eingetauchten Objekt, ist der Auftrieb. Ein starrer Körper erfährt in einer Flüssigkeit (oder in einem Gas) an seiner Oberfläche Druckkräfte, die, wie wir eben gesehen haben, mit der Tiefe zunehmen. Ihre Resultierende, der sogenannte Auftrieb, ist daher nach oben gerichtet. Um den Auftrieb zu berechnen, denken wir uns den Körper ersetzt durch die von ihm verdrängte Flüssigkeit, das sogenannte Déplacement. Da es genau die gleiche Oberfläche hat wie der Körper, erfährt es den gleichen Auftrieb. Da die Flüssigkeit ruht, ist das Déplacement im Gleichgewicht: ∫ ⃗ ⃗ ⃗ ⃗ A + GD = 0 ⇒ A = −GD = − ρF l ⃗g dV Der Auftrieb ist entgegengesetzt gleich dem Gewicht der verdrängten Flüssigkeit und greift wie dieses im Schwerpunkt SD des Déplacements an. Dieses Gesetz ist als Archimedes’sches Prinzip bekannt. Auf den eingetauchten Körper beträgt die Gesamtkraft somit ∫ ⃗ ⃗ ⃗ F = A + GK = (−ρF l + ρK )⃗g dV Ist die Dichte des Körpers grösser als die der Flüssigkeit, ρK > ρF l , so sinkt er auf den Grund, ist sie kleiner, ρK < ρF l , so steigt er solange, bis er teilweise auftaucht. Weist die Flüssigkeit (oder das Gas) ein Dichtegefälle auf, ρF l = ρF l (h), so schwebt der Körper in der Höhe h, wo ρK = ρF l . A Wasser mg A Stein mg A Holz mg Beispiel – Suspensionen: In einer Flüssigkeit suspendierte Moleküle einer gelösten Substanz oder Körner irgendeines Stoffs mit der Masse ms verhalten sich wie ein verdünntes Gas. (siehe auch Osmose, Abschnitt 3.3.2 der Thermodynamik). Für die entsprechende Konzentrationsverteilung gilt im Schwerefeld ebenfalls die barometrische Höhenformel: m′ gz ) kT Wegen des Auftriebs ist statt ms die effektive Masse m′ einzusetzen: ∫ ′ m = (ρs − ρF l )dV ρ(z) = ρ0 exp(− Ist m′ gzmax << kT , so ist die Suspension homogen. Ist m′ gz >> kT , sinken die suspendierten Körner auf den Grund, für m′ gz < 0 steigen sie zur Oberfläche. Beispiel – Torricelli’sches Ausflusstheorem: Fliesst aus einer Öffnung eines Gefässes Flüssigkeit, so hängt die Ausflussgeschwindigkeit von der Höhe des Flüssigkeitsspiegels über dem Loch A.5 ab. Mit abnehmender Höhe nimmt auch die Ausflussmenge pro Zeiteinheit ab. In der Zeit dt strömt die Menge dm = ρAdx = ρAvdt aus dem Loch mit Querschnitt A aus. Ihre kinetische Energie ist p0 v2 dT = ρAvdt 2 Diese kinetische Energie ist die Folge der Arbeit dW , die von den Oberflächenkräften geleistet wird, hier von (p − p0 )A. h dW = (p − p0 )Adx = (p − p0 )Avdt = dT v p0 p p − p0 ρgh Mit p − p0 = ρgh ⇒ v = 2 =2 = 2gh ρ ρ 2 dV=Adx Diese Formel hatten wir schon einmal angetroffen. Eine von der Höhe h frei fallendes √ Objekt erreicht den Boden mit der Geschwindigkeit v = 2gh. p0 Bei der sogenannten Mariotte’schen Flasche bleibt die Ausströmgeschwindigkeit konstant √ v = 2gh′ h' bis der Flüssigkeitsstand niedriger als h′ ist. v p0 Beispiel – Rotierende Flüssigkeit: Wenn ein Zylinder, der mit einer Flüssigkeit der Dichte ρ gefüllt ist, mit konstanter Winkelgeschwindigkeit ω um seine vertikale Achse rotiert, die Flüssigkeit steigt gegen aussen hoch. Die Oberfläche, die, wie wir schon wissen, eine Äquipotentialfläche ist, nimmt die Form eines Rotationsparaboloids an. Befinden sich in der Flüssigkeit gelöste oder eingetauchte Substanzen, so wandern diese, wenn ihre Dichte grösser ist als die des Wassers, nach aussen und wandern nach innen, auf die Drehachse zu, wenn ihre Dichte kleiner ist. Dieser Effekt wird in Ultrazentrifugen zur Trennung von Makromolekülen benutzt. Beide Beobachtungen lassen sich auf die radiale Druckzunahme in der rotierenden Flüssigkeit zurückführen. Diese kann aus der Analyse der Kräfte auf ein Volumenelement der Flüssigkeit abgeleitet werden. In vertikaler Richtung hatten wir vorher gefunden: dp = ρg wegen (p(z + dz) − p(z))dA = ρgdzdA dz Auf das Volumenelement dV = dzdA wirkt das Gewicht dG = gρdV , das durch den Druckunterschied in vertikaler Richtung (multipliziert mit der Oberfäche dA) aufgehoben werden muss. In Funktion der Wassertiefe z nahm der Druck linear zu p(z) = p(z = 0) + ρgz = p0 + ρgz Rotiert das Volumenelement auf einer Kreisbahn mit Radius r mit Winkelgeschwindigkeit ω, so ist die Zentripetalbeschleunigung v 2 /r = rω 2 . Die Zentripetalkraft muss von einem radialen Druckunterschied (multipliziert mit der Oberfläche) geliefert werden: (p(r + dr) − p(r))dA′ = rω 2 dm = rω 2 ρdrdA′ ⇒ A.6 dp = ρω 2 r dr In radialer Richtung ist also die Druckzunahme proportional zum Abstand vom Drehzentrum, der Druck selber nimmt quadratisch mit dem Radius zu bei festem z 1 1 p(r) = p(r = 0) + ρω 2 r2 = p0 + ρω 2 r2 2 2 Aus den Kräften lassen sich die entsprechenden Kurven der potentiellen Energie und umgekehrt berechnen r ω (siehe Abschnitt 2.6.3) U (z, r) = ρdV (gz + ω2 r2 ) 2 Für die Oberfläche ist U konstant, also dA dA' ω2 r2 gz + = const. 2 Setzt man für r = 0, z = z0 , so folgt z = z0 − dG ω 2 r2 2g z0 dZ p(z) p(r) dV z dz p(r+dr) dr p(z+dz) Die Oberfläche hat wie behauptet die Form eines Paraboloids. Vergleicht man wieder die vertikale mit der radialen Richtung, so kann auch die Wirkung des sogenannten Zentrifugalauftriebs erklärt werden nennt. In einer ruhenden Flüssigkeit nimmt der Druck mit der Tiefe zu. Die resultierende Auftriebskraft zeigt nach oben und hat den gleichen Betrag wie das Gewicht des Déplacements. In der rotierenden Flüssigkeit nimmt der Druck radial nach aussen zu, die Auftriebskraft zeigt daher nach innen und hat den gleichen Betrag wie die Zentripetalkraft auf das verdrängte Wasservolumen: ∫ ⃗r ⃗ ρF l rω 2 dV AZ = − r Für ρK > ρF l bewegt sich das Objekt K nach aussen, für ρK < ρF l hin zur Drehachse. Der Zentrifugalauftrieb führt in Zentrifugen zu einer Trennung von Teilchen verschiedener Dichte. Zentrifugen werden in Laboratorien und in technischen Betrieben eingesetzt, z. B. zur Abscheidung von Niederschlägen oder Bakterien, zur Abtrennung der Blutkörperchen vom Serum oder zur Abtrennung des Fettes von der Milch. Mit sog. Ultrazentrifugen, mit denen man bis zu 20’000 Umdrehungen/s erreicht, ist es gelungen, bei Eiweissmolekülen und anderen makromolekularen Verbindungen den Sedimentationsprozess so detailliert zu verfolgen, dass man das Molekulargewicht und die Molekülform bestimmen konnte. Erfährt ein Mensch bei der Bewegung auf einer gekrümmten Bahn extreme Normalbeschleunigungen (aN > g, z. B. Akrobatikflug, Raumfahrt), so entsteht ein Druckgefälle im Blut, das je nach Richtung zu einem Über- oder Unterdruck im Kopf führt. A.1.1.2 Physiologische Anwendungen Beispiel – Atmung beim Tauchen: Beim Tauchen muss sich der Druck im Körper (Blut, Gewebe) dem zunehmenden, äusseren Druck anpassen, damit keine mechanischen Schäden auftreten. Zudem treten beim Tauchen wegen des erhöhten Umgebungsdruckes auf den Körper unter Wasser Atmungsprobleme auf, welchen mit modernen Tauchgeräten begegnet werden kann. A.7 Die von der Lunge eingeatmete Luft muss den Druck des umgebenden Wassers haben. Beim Tauchen knapp unter der Wasseroberfläche (ca. 40 cm) kann ein Schnorchel zur Atmung verwendet werden. Die Länge des Schnorchels kann jedoch wegen des Wasserdrucks nicht beliebig lang gewählt werden: Bei der Atmung kann nur ein Maximaldruck von ca. 11 mbar = 112 cm H2 O erzeugt werden, so dass das Einatmen mit einem Schnorchel ab ca. 1 m Wassertiefe unmöglich wird (hypoxämische Anoxie). Für grössere Tiefen (bis ca. 70 m) werden Tauchgeräte verwendet, die den Druck der Einatmungsluft aus einer Druckflasche automatisch auf den umgebenden Wasserdruck einstellen. Damit wird eine Atmung fast wie bei normalen Luftdruckbedingungen möglich, allerdings mit ein paar unangenehmen und zum Teil gefährlichen Nebenerscheinungen (siehe Abbildung A.3): Mit zunehmendem Wasserdruck steigt auch der Partialdruck von Stickstoff (N2 ) der eingeatmeten Luft, so dass mehr N2 in Blut und Gewebe aufgenommen wird als unter Normaldruckbedingungen (in 60 m Tiefe etwa 7 mal mehr als an der Wasseroberfläche). Tauchprofil zu schnelles Auftauchen ! Blut N2 Tiefe (m) N2 N2-Bläschen 30 3 20 2 10 1 0 N2 0 20 40 Zeit (min) 60 0 Stickstoff-Gewebepartialdruck (bar) Gasembolie nach Silbernagel und Despopoulos Abbildung A.3: Illustrationen zur Atmung beim Tauchen. Beim Auftauchen wird der Partialdruck von N2 wieder verkleinert und der beim Abtauchen im Blut und Gewebe gelöste N2 muss wieder abgegeben werden. Beim langsamen und etappenweisen Auftauchen diffundiert der zusätzliche N2 in die Atemwege und wird ausgeatmet (Dekompression). Bei zu raschem Auftauchen entstehen hingegen N2 -Gasbläschen in Blut und Gewebe. Dies führt zur Depressions- oder Caissonkrankheit. Häufige Symptome sind plötzliche Bewusstlosigkeit, Krämpfe sowie Lähmungen. Ausserdem wirkt der unter hohem Druck eingeatmete Stickstoff ab Tiefen von mehr als 40 m narkotisch und erzeugt Symptome ähnlich denen einer Alkoholvergiftung (Tiefenrausch). Bei Tauchtiefen ab ca. 75 m erreicht der Partialdruck von Sauerstoff (O2 ) Werte, welche eine bedrohliche toxische Wirkung haben. Wird der O2 -Anteil im Gas in der Druckflasche nicht entsprechend verkleinert, so kann zuviel O2 aufgenommen werden; es kommt zu einer SauerstoffVergiftung. Im schlimmsten Fall äussert sich eine O2 -Vergiftung in starken Krämpfen und Bewusstlosigkeit, die sogar zum Tod durch Ertrinken führen können. Beim Tauchen werden gasgefüllte Räume im Körper (z. B. Lunge, Mittelohr) durch den erhöhten Druck erheblich komprimiert (auf 1/4 des ursprünglichen Volumens in einer Tiefe von 30 m). A.8 Blutdruck systolischer Blutdruck diastolischer Blutdruck mittlerer Blutdruck p(mm Hg) 120 80 100 p(mbar) 160 107 133 p(kPa) 16.0 10.7 13.3 Tabelle A.1: Am Oberarm gemessene Blutdruckwerte in den verschiedenen Phasen des Herzzyklus. Beim Gerätetauchen wird der Druckausgleich zwischen Lunge und Umgebung automatisch hergestellt. Fehlt aber eine Verbindung zwischen Mittelohr und Rachen (z. B. bei Erkältung) kann der Druckausgleich nicht hergestellt werden, und der Wasserdruck im äusseren Gehörgang kann das Trommelfell zum Platzen bringen. Beim Auftauchen dehnen sich diese Gasräume wieder aus. Wird zu schnell, ohne stetiges Luftablassen aufgetaucht, kann es zu einem Lungenriss mit tödlichen Blutungen und Luftembolien kommen (z. B. rasches Auftauchen aus einem gesunkenen Schiff). Weitere Informationen zu diesem Thema findet man in einem Artikel von Moon, Vann und Bennett, Spektrum der Wissenschaft, Oktober 1995. Beispiel – Blutdruck: Die Gesetze über die Druckverteilung in einer Flüssigkeitssäule gelten auch für das Blut im Kreislaufsystem des Menschen. Unter dem Blutdruck versteht man den arteriellen Blutdruck auf Herzhöhe. Infolge der Herztätigkeit variiert der Blutdruck bei jedem Herzschlag Blutdruck (mm Hg) zwischen einem Maximalwert (syAorta stolischer Blutdruck) und einem Misystolischer Blutdruck 120 nimalwert (diastolischer Blutdruck) um den zeitlichen Mittelwert (mittmittlerer Blutdruck 100 lerer Blutdruck). In Ruhe (sitzend oder liegend) werden normalerweise 80 diastolischer Blutdruck auf Herzhöhe (gemessen am OberZeit arm) die in Tabelle A.1 angebenen Werte beobachtet. Würde man einem Menschen ein offenes Manometer in die Aorta einsetzen, so würde das Blut darin auf eine Höhe von ca. 130 cm ansteigen, da 133 mbar ungefähr 130 cm Blutsäule entsprechen (Dichte des Blutes ρB = 1.05 g cm−3 ). Beim aufrechtstehenden Menschen ist der mittlere arterielle Blutdruck nicht überall gleich: bei einer Körpergrösse von h = 180 cm beträgt der Druckunterschied zwischen Kopf und Füssen ∆p = ρB gh = 18.5 kPa = 185 mbar. Der hydrostatische Druck hat grossen Einfluss auf den Blutdruck in verschiedenen Körperbereichen (siehe Abbildung A.4). Die Druckverteilung im Körper hängt daher stark von seiner Lage ab: Erhöhter Blutdruck im Kopf beim Bücken oder im Kopfstand, ”Blutleere” im Kopf bei raschem Aufstehen, gleicher Blutdruck im ganzen Körper bei horizontalem Liegen. Daher wird der Blutdruck (sitzend oder liegend) auf Herzhöhe gemessen. Der Blutdruck kann einfach mit Hilfe der unblutigen Methode A.9 Blutdruck in verschiedenen Körperbereichen (Angaben in cm Blutsäule) (Angaben in mbar) 240 70 cm 60 cm 160 120 cm 200 250 cm 130 cm Höhe (cm) 80 120 40 71 mbar 133 mbar 256 mbar 0 100 200 300 Blutdruck (mbar) Abbildung A.4: Illustrationen zur Höhenabhängigkeit des Blutdrucks. nach Riva-Rocci gemessen werden (siehe Abbildung A.5). Diese Methode wird routinemässig zur Messung des Blutdrucks im Oberarm auf Herzhöhe verwendet. Manschette Druckkammer P Pumpe Abbildung A.5: Blutdruckmessung. Mit einer kleinen Luftpumpe wird eine Druckkammer aufgeblasen. Durch die um den Oberarm gelegte Manschette wird der von der Pumpe erzeugte Druck auf das deformierbare Gewebe übertragen. Die Manschette wird soweit aufgeblasen, bis der Manschettendruck, ablesbar an einem Manometer, grösser ist als der systolische Druck. Dadurch wird der Blutstrom in der Arterie unterbrochen. Durch Tasten des Pulses (Palpationsmethode) oder durch Abhorchen mit einem Hörrohr (Stethoskop) in der Ellenbeuge (Auskultationsmethode) kann das Verschwinden der pulsierenden Strömung festgestellt werden. Nun lässt man die Luft langsam über ein Auslassventil entweichen. Ist der Manschettendruck etwas kleiner als der systolische Druck, beginnt der Blutstrom wieder. Der Querschnitt ist jedoch noch eingeschränkt, so dass der Blutstrom an A.10 der verengten Stelle infolge der erhöhten Strömungsgeschwindigkeit turbulent erfolgt (siehe Abschnitt A.1.2). Durch die Wirbelbildung im Blut entstehen charakteristische Geräusche, welche mit dem Stethoskop hörbar sind. Die Geräusche setzen beim Erreichen des systolischen Drucks ein. Durch eine weitere Druckerniedrigung in der Manschette wird schliesslich der diastolische Druck unterschritten und der Strömungsquerschnitt ist wieder völlig offen. Die Turbulenzen und die damit verbundenen Geräusche verschwinden beim Erreichen des diastolischen Drucks. Die Angabe des Blutdruckes erfolgt üblicherweise als Kombination des diastolischen und systolischen Druckes: Im Normalfall beispielsweise 160/100 (angegeben in mbar). Beispiel – Atmung in grossen Höhen: Die Druckverteilung in der Atmosphäre ist sehr wichtig für die Luft- und Raumfahrtmedizin. Auf Meereshöhe beträgt der Luftdruck pL = 1013 mbar, der O2 -Partialdruck der Inspirationsluft (pIO2 ) ca. 213 mbar und der O2 -Partialdruck in den AlI A veolen (pA O2 ) rund 133 mbar. Mit zunehmender Höhe nehmen pL , pO2 und pO2 entsprechend der Barometerformel ab. Sinkt der für die Sauerstoffversorgung entscheidende Druck pA O2 unter den kritischen Wert von ca. 47 mbar, so kommt es zu Störungen der Gehirnfunktion (Hypoxie). Bei normaler Atmung ist dieser Grenzwert in einer Höhe von ca. 4000 m erreicht. Durch sogenannte Mehratmung (O2 -Mangelatmung) kann pA O2 ”künstlich” höher gehalten werden, so dass eine Atmung ohne technische Hilfsmittel bis ca. 7000 m möglich wird. Grössere Höhen können nur mit Sauerstoffatmung ab Druckflaschen erreicht werden. Der O2 -Partialdruck pIO2 ist dabei fast so gross wie der äussere Luftdruck pL und folglich steigt auch der O2 -Partialdruck pA O2 in A den Alveolen. Mit Sauerstoffmasken erreicht pO2 den kritischen Wert ohne Mehratmung bei ca. 12 km Höhe, mit Mehratmung sogar erst bei 14 km. Moderne Verkehrsflugzeuge fliegen daher unterhalb einer Höhe von 14 km, damit bei einem Druckabfall in der Kabine ein Überleben mit Sauerstoffmasken möglich ist. Ein Aufenthalt in Höhen von über 14 km ist auch mit einer Sauerstoffmaske nur in einer Druckkabine oder einem Druckanzug möglich (Raumfahrt). Für Höhen von mehr als 20 km würden ohne diese Schutzvorrichtung die Körperflüssigkeiten (z. B. Blut) zu sieden beginnen, da der Luftdruck unter den Dampfdruck von Wasser bei 370 C absinkt. A.1.2 Dynamik der Flüssigkeiten Überlagert sich der statistischen, thermischen Bewegung von Gas- oder Flüssigkeitsmolekülen eine korrelierte, d. h. geordnete Driftbewegung, so spricht man von einer Strömung. Sie kann durch ein Stromlinienbild (Abbildung A.6) veranschaulicht werden. Die Stromlinien sind die über die thermische Bewegung ausgemittelten Bahnen der einzelnen Teilchen oder eines Probekörpers, der von der Strömung mitgeführt wird. Die Driftgeschwindigkeit ist somit tangential zu den Stromlinien. Die Geschwindigkeitsvektoren einer Strömung bilden ein Vektorfeld ⃗v (⃗r, t). Die Stromlinien sind die Feldlinien dieses Feldes. Ist das Stromlinienbild zeitlich unveränderlich, so spricht man von einer stationären Strömung, d.h. an einem bestimmten Ort ⃗r ist die Strömungsgeschwindigkeit ⃗v (⃗r) zeitunabhängig. Die Geschwindigkeit eines mit der Strömung mitschwimmenden Teilchens, das ja seinen Ort verändert, braucht dabei keineswegs zeitlich konstant zu sein. Zeigt eine Strömung ein glattes Stromlinienbild, so nennt man sie laminar. Sind die Stromlinien verwirbelt, so nennt man die Strömung turbulent. Bei realen Gasen und Flüssigkeiten erfolgt beim Überschreiten einer kritischen Geschwindigkeit vK bei der Um- oder Durchströmung eines Hindernisses ein Übergang von einer laminaren zu einer turbulenten Strömung. Ursache der Turbulenz sind dynamische Schubspannungen als Folge der Viskosität. Im folgenden wollen wir uns auf laminare Strömungen beA.11 schränken. v Stromlinie P Abbildung A.6: Bild einer Flüssigkeitströmung um einen Zylinder herum, das mit Einfärbung der Flüssigkeit sichtbar gemacht wurde (links). Der Geschwindigkeitsvektor der strömenden Flüssigkeitsmenge ist immer parallel zur Stromlinie (rechts). A1 v1 A2 v2 Abbildung A.7: Im engen Querschnitt unter der Brücke drängen sich die Stromlinien zusammen (rechts). Dies bedeutet auch eine höhere Strömungsgeschwindigkeit, solange der Fluss überall gleich tief ist, und die Oberflächenverteilung der Stromlinien den Vorgang beschreibt. Das gleiche Bild und der gleiche Effekt zeigen sich bei einer Verengung einer Wasserröhre (links). Kontinuitätsgleichung für stationäre Strömungen: Wird die Anzahl der Stromlinien pro Flächeneinheit grösser, die Stromdichte, wie wir diese Grösse nennen wollen, grösser, so entspricht dies auch einer grösseren Geschwindigkeit. Abbildung A.6 erinnert an eine uns vermutlich bekannte Beobachtung des Anwachsens der Strömungsgeschwindigkeit in der Nähe einer Einschnürung des Flussbetts. Die physikalische Grundlage dieser Beobachtung ist die Erhaltung des Gesamtflusses, die einfliessende Wassermenge pro Zeiteinheit muss gleich der ausfliessenden sein. Bei kleinerem Querschnitt muss daher die Durchflussgeschwindigkeit grösser werden. Die mathematische Form dieser Erfahrung ist die Kontinuitätsgleichung. C Für die mathematische Definition des Flussbegriffes betrachten wir eine sogenannte Stromröhre innerhalb einer stationären Strömung, d. h. einen durch Stromlinien begrenzten B Schlauch mit Eintrittsfläche A1 und Austrittsfläche A2 . In A2 der Zeit dt fliessen durch A1 und A2 die Wassermengen A 1 dm1 = ρ1 v1 A1 dt und dm2 = ρ2 v2 A2 dt A.12 Im stationären Fall muss wegen der Erhaltung der Materie bei A1 gleichviel hinein wie bei A2 hinaus fliessen. Daher gilt die Kontinuitätsgleichung : ρ1 v1 A1 = ρ2 v2 A2 Bei Flüssigkeiten kann ρ als konstant angenommen werden, ρ = ρ1 = ρ2 , so dass gilt v1 A 1 = v2 A 2 d. h. der Fluss des ⃗v -Feldes längs einer Stromröhre ist konstant, bzw. der Fluss durch eine geschlossene Fläche gleich Null. Wir haben hier die Ein- und Austrittsfläche senkrecht zur Strömungsgeschwindigkeit gewählt, was einem Spezialfall entspricht. Für diesen Fall lautet dann die Aussage der Kontinuitätsgleichung: Die Geschwindigkeit längs einer stationären, laminaren Strömung ist umgekehrt proportional zum Rohrquerschnitt. In etwas allgemeinerer Form definieren wir als Fluss durch ⃗ ≡ n̂dA) eine Fläche A (mit dA ∫ ∫ ∫ ∫ ⃗ Φ= ⃗v · dA ≡ (⃗v · n̂)dA = vn dA = v cos αdA A A A dA α A n̂ v Der Einheitsvektor n̂ steht senkrecht auf dem Flächenelement dA, vn ist die Normalkomponente der Geschwindigkeit ⃗v . vcosα= v·dA dA Diese Definition des Begriffs Fluss (Φ) schliesst die Möglichkeit ein, dass die Geschwindigkeit nicht an allen Orten der Fläche A gleich ist und ferner, dass die Fläche nicht notwendigerweise normal zu den Flusslinien steht. Für A ∥ ⃗v (α = π/2) ist der Fluss minimal, für A ⊥ ⃗v (α = 0) ist der Fluss maximal. Für eine beliebig gestellte Querschnittsfläche A der Stromröhre ist dann der Fluss Φ konstant. Diese Definition des Flusses kann auf beliebige Vektorfelder erweitert werden, anstelle des Ge⃗ das Magnetfeld B, ⃗ oder auch das schwindigkeitsfeldes ⃗v tritt dann z. B. das elektrische Feld E, Gravitationsfeld ⃗g . ∫ ⃗: Φ≡ Fluss eines Vektorfelds S ∫ ⃗ · dA ⃗= S A Sn dA A Wählen wir als Fläche, für die wir für das Flussintegral auswerten, eine geschlossene Oberfläche im Raum AV , dann ist der einkommende Fluss gleich dem ausgehenden Fluss, der Gesamtfluss also gleich null, ausser wenn sich im Innern des Volumens V , das von der Oberfläche AV begrenzt wird, eine Quelle befindet. I I ⃗ · dA ⃗= S Quellenfreies Vektorfeld : Φ = AV Sn dA = 0 AV ⃗ Abbildung A.8 zeigt ein Vektorfeld (E−Feld in diesem Fall), den oberen Teil einer solchen geschlossenen Oberfläche AV (man nennt sie auch eine Gauss’sche Fläche) und einige Flächenelemente auf der Oberfläche zur Illustration wie der Fluss zu berechnen ist. A.13 Gauss'sche Fläche 3 1 2 dA θ θ dA E E E 1 3 dA 2 Abbildung A.8: Eine beliebig geformte geschlossene Oberfläche (Gauss’sche Fläche), die in ein ⃗ Vektorfeld (hier das E−Feld) hineingelegt wird. Drei ausgewählte Flächenelemente sind gezeigt, die verschiedene Orientierungen des Feldvektors und der Fläche zeigen. Bernoulli-Gleichung: Wir betrachten wieder die laminare, stationäre Strömung einer inkompressiblen, reibungsfreien und daher idealen Flüssigkeit in einer Röhre variablen Querschnitts und dazu variabler Höhenlage. Diese Röhre muss nicht notwendigerweise reell existieren, sondern kann durch eine Gruppe von zusammengefassten Stromlinien gebildet werden. Die Eintrittsfläche A1 und die Austrittsfläche A2 sind senkrecht zur Strömung gewählt, und ferner soll auch die Geschwindigkeit nicht über den Bereich der Flächen variieren. Gemäss der Kontinuitätsgleichung erhaltem wir für die im Zeitintervall dt die Flächen passierende Flüssigkeitsmenge dm L y Eingang v1 p1 y1 Ideale Flüssigkeit x y Ausgang v2 p2 y2 x dm = dm1 = ρv1 A1 dt = dm2 = ρv2 A2 dt Wir wollen nun eine Energiebilanz aufstellen für den Zeitraum dt. Die vom Druck netto geleistete Arbeit dW (Druck × Fläche × Weg) ist gleich der Zunahme von kinetischer und potentieller Energie: dW = dT + dU . dW = p1 A1 v1 dt − p2 A2 v2 dt ⇒ dT = p1 − p2 = ρ( dm 2 (v − v12 ) 2 2 dU = gdm(y2 − y1 ) v22 v12 − + gy2 − gy1 ) 2 2 A.14 ρ ρ ⇒ p1 + v12 + ρgy1 = p2 + v22 + ρgy2 2 2 Da die Orte 1 und 2 völlig willkürlich gewählt waren, folgt die Konstanz dieses Ausdrucks längs der ganzen Strömung (y ≡ h): ρ p + v 2 + ρgh = const. 2 Bernoulli′ sche Gleichung Die vom Schweizer Physiker und Mathematiker Daniel Bernoulli (1700-1782) formulierte Beziehung gilt entlang der Stromlinien einer reibungslosen, inkompressiblen Flüssigkeit. Verläuft die Stromlinie entlang einer Äquipotentialfläche der Gravitationskraft, so reduziert sich die Bernoulli’sche Gleichung auf den Ausdruck ρv 2 + p = const. ≡ p0 2 p ist der wirkliche, von einem in der Strömung liegenden Manometer gemessene Druck, der Term ρv 2 /2 hat ebenfalls die Dimension eines Druckes und heisst dynamischer Druck oder Staudruck. p0 bezeichnet man als den Gesamtdruck. In Worten lautet also die Bernoulli’sche Gleichung: Statischer Druck (p) plus Staudruck (ρv 2 /2) ergibt den Gesamtdruck (p0 ) Die Bernoulli’sche Gleichung ist die Basis für das Verständnis verschiedener Alltagsphänomene und technischer Instrumente. Einige von ihnen wollen wir nun näher betrachten. Beispiel – Messung von Strömungsgeschwindigkeiten mit dem Pitot-Rohr: v Beim Pitot-Rohr handelt es sich um einen B ρLuft stromlinienförmigen Hohlkörper, bei dem die B Druckdifferenz zwischen dem Staupunkt A Staupunkt A vorn und einer seitlichen Öffnung B gemessen wird. In A ist die Strömungsgeschwindigkeit h null, bei der seitlichen Öffnung dagegen v. Es ρ gilt dann (ρA =Dichte der Luft, ρM = Dichte der Manometerflüssigkeit) A : v = 0, p0 = pA B : p0 = pB + ρA 2 v 2 ρA 2 v = ρM gh 2 √ √ 2(pA − pB ) 2ghρM v= = ρA ρA pA − pB = ⇒ Hier haben wir den am Manometer abgelesenen Druckunterschied (Höhe h) bereits eingesetzt. Beispiel – Hydrodynamisches Paradoxon: Strömt ein Gas aus einer Druckflasche gegen eine bewegliche Platte, so wird diese angesaugt und nicht etwa weggeblasen. Infolge der hohen Geschwindigkeit des Gases zwischen den beiden Platten ist dort der Druck kleiner als der Luftdruck aussen. Die beiden Platten werden zusammen gepresst. A.15 Beispiel: Druckverteilung in einem Venturi-Rohr: Ein Rohr mit variablem Querschnitt schliesst eine stationäre Strömung ein. Der Druck p im Rohr variiert ebenfalls mit dem Querschnitt. Die Kombination von Kontinuitätsgleichung und Bernoulli’scher Gleichung liefert v1 A2 = v2 A1 p1 p2 p3 ρ 2 ρ ρ A1 v + p1 = v22 + p2 = v12 ( )2 + p2 2 1 2 2 A2 v ρ A2 ⇒ p2 = p1 + v12 (1 − 21 ) < p1 2 A2 Mit A1 = A3 folgt p1 = p3 . Im Experiment, ob nun das Rohr von Luft durchströmt oder von Wasser durchflossen wird, sind die Drucke p2 und p3 kleiner als berechnet. Man beobachtet selbst bei einem Rohr mit unveränderlichen Querschnitt einen linearen Druckabfall. Dies kommt daher, dass eine der Voraussetzungen der Bernoulli’schen Gleichungen, nämlich die Absenz von Schubkräften und Reibung nicht erfüllt ist. Im Alltag verwendete Varianten des Venturi-Rohrs sind Zerstäuber (a), Wasserstrahlpumpe (b), und Bunsenbrenner (c). An der Düsenöffnung (kleiner Querschnitt) ist die Geschwindigkeit gross, der Druck klein, so dass der Strahl eine Saugwirkung ausübt. Der erreichbare Enddruck der Wasserstrahlpumpe ist nicht beliebig klein, sondern begrenzt durch den Dampfdruck pD des Wassers (bei 20◦ C pD = 23 mbar). Mit Öl- oder Quecksilber-Strahlpumpen bei tiefen Temperaturen können Enddrucke bis zu etwa 10−8 mbar erreicht werden. Beim Bunsenbrenner hilft der Unterdruck in der Nähe des an der Düse austretenden Gases die für das Aufrechterhalten des Verbrennungsvorgangs notwendige Luft anzusaugen. p1 p2 v1 p3 v2 v1 Düse Düse Luft Luft Gas Zähe Flüssigkeiten: Bei der Einführung der Reibungskräfte im Teil 1 Mechanik, Abschnitt 2.5.3.2.1 haben wir bereits erwähnt und in verschiedenen Beispielen (Kugel im Öl, Schiff) im Teil 1 Mechanik, Abschnitt 2.5.4.2.3 auch benützt, dass reale Flüssigkeiten nicht reibungsfrei sind. Die Bremswirkung auf sich in der Flüssigkeit bewegende Objekte hing ab von der Zähigkeit der Flüssigkeit einerseits – charakterisiert durch die Viskositätskonstante η – und der Form und Beschaffenheit der Oberfläche andererseits. In einer realen Flüssigkeit treten also Schubspannungen auf, an den Oberflächen und im Innern zwischen einzelnen Flüssigkeitsschichten. In einem Modell, wo man sich die Flüssigkeitsmoleküle durch harte Kugeln ersetzt denkt, wie in Abbildung A.9 dargestellt, ist diese Reibung dadurch erklärbar, dass beim Gleiten der einzelnen Schichten übereinander lauter kleine Potentialberge (siehe auch Teil 1 Mechanik, Abbildung 2.46) überwunden werden müssen. Beim Beispiel der rotierenden Füssigkeit im Schwerefeld, das wir vorher behandelt haben, hätte die Rotation des Gefässes sich ohne Reibung gar nicht auf die Flüssigkeit übertragen lassen. A.16 x 2ε W Wη Abbildung A.9: Wenn eine Flüssigkeitsschicht bestehend aus den die Moleküle darstellenden Kugeln über die darunterliegende gleitet, hat sie Potentialberge der angegebenen Form zu überwinden. Von einer Schicht auf die nächste wird dabei Impuls übertragen, und daher eine Kraft ausgeübt. Die Höhe ϵ der Buckel bestimmt die Viskosität η der Flüssigkeit. Um eine Schicht ganz von der Oberfläche abzulösen muss die Energie 2ϵ aufgewendet werden. Um den quantitativen Zusammenhang zwischen Reibungskräften und der Viskosität einer Flüssigkeit zu erhalten, machen wir einen Modellversuch. Zwischen zwei parallel gestellten Platten, die sich mit der Geschwindigkeit v0 zueinander bewegen, befindet sich ein Gas oder eine Flüssigkeit. Ist v0 unterhalb einer kritischen Geschwindigkeit vK , so haften an beiden Platten die Grenzschichten. Dazwischen stellt sich eine laminare Strömung mit einer linearen Geschwindigkeitsverteilung v(x) = ax ein. Die Schubspannungen und Reibungskräfte zwischen den benachbarten Flüssigkeitsschichten sind, wie dies Newton erstmals formulierte, proportional zum Geschwindigkeitsgradienten τ =η dv dx mit Platte v F v 0 Wand R d dv v0 =a= dx d Das Newton’sche Reibungsgesetz hat die gleiche Form wie die Diffusions- und Wärmeleitungsgleichung (siehe Teil 2 Thermodynamik, Abschnitte 3.3.1 und 3.3.2). Bei diesen Prozessen handelt es sich ebenfalls um Transportphänomene. In der viskosen Flüssigkeit (und auch im Gas) wird durch die innere Reibung Impuls transportiert. Wärmeleitung kommt durch Energieübertragung und Energietransport zustande, der bei den Stössen der Moleküle untereinander sowohl in der Flüssigkeit wie im Gas auftritt. Diffusion bedeutet Materietransport. Für Gase steigt, für Flüssigkeiten sinkt η mit zunehmender Temperatur. Für Gase ist η druckunabhängig. Typische Werte der Viskositätskonstante η sind in Tabelle A.2 aufgeführt. Als Einheit der Viskosität wird normalerweise benützt 1 Poise = 0.1 Nsm−2 Substanz Luft H2 O Rhizinusöl Glycerin 0◦ C 0.00017 0.0179 17◦ C Blut Blutplasma 0.020 η [Poise] 20◦ C 50◦ C 0.00017 0.0101 0.0055 9.50 15.3 23◦ C 30◦ C 0.04 0.0173 0.015 100◦ C 0.00022 0.0028 37◦ C 0.013 A.17 Tabelle A.2: Viskositätskonstante für verschiedene Substanzen Beispiel – Messung von η: Eine kleine Al-Platte wird durch ein mit Öl gefülltes Gefäss gezogen. Bei konstanter Kraft, bestimmt durch das Gewicht der an dem Faden hängenden Masse, lässt sich η aus der Geschwindigkeit der Platte bestimmen. Die Geschwindigkeit nimmt vom Beginn der Bewegung zunächst exponentiell ansteigend zu (siehe Teil 1 Mechanik, Abschnitt 2.5.4.2.3), und erreicht dann die Grenzgeschwindigkeit, wo sich Antrieb und Reibung die Waage halten. Die Gleichgewichtbedingungen lauten Faden : F − mg = 0 Platte : F − 2Aτ − m′ g = 0 dv 2v0 η = dx d ′ m g ist das um den Auftrieb verminderte Gewicht der Platte, 2Aτ ist – Schubspannung × Fläche – die bremsende Reibungskraft. Es ergibt sich m′ = d′ A(ρAl − ρÖl ) η= τ =η (m − m′ )g d 4A v0 A F Öl Al τ m G L d' G d d'<<d Übergang zu Turbulenz: Die kritische Geschwindigkeit vK , bei der die laminare Strömung in eine turbulente umschlägt, hängt auch von der Viskosität η ab, dazu von der Dichte ρ und einer charakteristischen Länge L (Gefässdimension, Durchmesser des Hindernisses usw.). In unserem Beispiel wäre L der Plattenabstand. Auf Grund empirischer Resultate ergibt sich vK = Re η ρL Re ist eine charakteristische Konstante, die dimensionslose Reynold’sche Zahl. Für glatte Rohre findet man z. B. Re = 2300. Ist der Rohrdurchmesser L = 1 cm, so erhält man die folgenden kritischen Geschwindigkeiten: vK = 23 cm/s f ür Wasser vK = 320 cm/s f ür Luft Viele Flüssigkeiten erfüllen das Newtonsche Reibungsgesetz nicht, d. h. die Viskosität η ist nicht konstant, sondern nimmt mit zunehmendem Geschwindigkeitsgradienten zu oder ab. Solche sogenannten Nicht-Newtonschen Flüssigkeiten sind z. B. Blut, Speichel, Dispersionsfarben, Pasten, Salben, Gelee. Beispiele für die verschiedenen Flüssigkeiten sind in Abbildung A.10 angegeben. In den thixotropen Substanzen können auch im statischen Zustand (v = 0, dv/dz = 0) Schubspannungen vorhanden sein, eine Eigenschaft, die im allgemeinen nur festen Körpern zugeschrieben wird. Es zeigt sich hier, dass die Grenze zwischen fest und flüssig nicht scharf ist. Dies kommt auch darin zum Ausdruck, dass gewisse Stoffe gleichzeitig viskoses und elastisches Verhalten zeigen, d. h. viskoelastisch sind. Bei niedrigen Temperaturen weisen diese Stoffe elastische Eigenschaften auf, verlassen jedoch bei höheren Temperaturen den Gültigkeitsbereich des Hooke’schen Gesetzes und verhalten sich dann wie hochviskose Flüssigkeiten. Viskoelastizität zeigen vornehmlich hochpolymere Substanzen wie Kautschuk und besonders Biopolymere. Biopolymere dieser Art sind die Proteoglykane, die einen wesentlichen Anteil am Aufbau des Binde- und Stützgewebes darstellen. Proteoglykane bestimmen die Struktur und Eigenschaften von Knorpelgewebe. Zusammen mit dem Kollagen und dem Elastin bilden sie ein viskoelastisches A.18 System. Dank dieser aussergewöhnlichen Eigenschaft kann der Gelenkknorpel bei der Bewegung unter Druckbelastung grosse Verformungen schadlos ertragen. Mit einer Zerstörung der Struktur dieser Biopolymere verliert das Knorpelgewebe seine Viskoelastizität und wird instabil. Blut ist eine besonders komplizierte Flüssigkeit. Es ist eine Suspension von Blutzellen im Blutplasma. Das Blutplasma hat eine relativ hohe Viskosität (siehe Tabelle A.2), es verhält sich angenähert wie eine Newton’sche Flüssigkeit. Für die Abweichung von einer Newton’schen Flüssigkeit sind vor allem die roten Blutkörperchen verantwortlich. So ist bei der Polyzythämie die Anzahl der roten Blutzellen erhöht, was zu einer Zunahme der Viskosität des Blutes ηB führt. Dies ist auf die Wechselwirkung zwischen den roten Blutkörperchen zurückzuführen. Eine Zunahme der roten Blutkörperchen um 40-50% bewirkt eine Erhöhung von ηB um einen Faktor 2-3. In diesem Fall muss das Herz seine Leistung erheblich erhöhen, um die gleiche Strömungsgeschwindigkeit im Kreislauf aufrechtzuerhalten. Im umgekehrten Fall, bei der Anämie, wird ηB im Vergleich zum Normalwert verringert. Damit der Blutdruck nicht abfällt, muss die Durchflussmenge im Kreislauf entsprechend erhöht werden. Abbildung A.10: Das Diagramm zeigt die Abhängigkeit der Schubspannung vom Geschwindigkeitsgradienten für verschiedene Flüssigkeiten. Der lineare Zusammenhang gilt nur für die Newton’schen Flüssigkeiten. Die Steigung der Kurve ist die Viskosität der Flüssigkeit. Strömung und Geschwindigkeitsverteilung in einem zylindrischen Rohr: In vielen Anwendungen trifft man auf die folgende Situation: Die Strömung einer Flüssigkeit durch ein zylindrisches Rohr wird durch einen Druckunterschied an den beiden Enden des Rohrs aufrechterhalten. Die alltägliche Erfahrung lehrt, dass die Durchflussmenge vom Rohrdurchmesser einerseits und vom Druck andererseits abhängt. Ferner ist die Geschwindigkeitsverteilung in dem Rohr inhomogen. In der Mitte ist die Geschwindigkeit am grössten. Beide Befunde finden wir in den Hagen-Poiseuille’schen Gesetzen ausgedrückt. Für ein Rohr mit Radius R der Länge L, in dem durch einen Druckunterschied ∆p eine laminare Strömung unterhalten wird, finden wir ein parabolisches Geschwindigkeitsprofil v(r) = 1 ∆p 2 (R − r2 ) 4 ηL A.19 Die Durchflussmenge ergibt sich zu Q= v p1 Fp [m3 s−1 ] Zum Beweis der beiden Beziehungen denken wir uns aus der Flüssigkeit eine zylindrische Stromröhre mit Radius r herausgeschnitten: Infolge des Druckunterschieds ∆p wirkt auf diesen Zylinder eine Kraft in der Strömungsrichtung Fp = πr2 (p1 − p2 ) = πr2 ∆p R r π∆p R4 8ηL Durch das radiale Geschwindigkeitsgefälle dv/dr an der Mantelfläche eine entgegengerichtete Reibungskraft Fτ = η2πr dv dr Im stationären Fall herrscht Gleichgewicht v0 dv F⃗p + F⃗τ = 0 ⇒ πr2 ∆p + 2πrLη =0 dr ⇒ dv ∆p r2 ∆p =− r Integration : v(r) = − +C dr 2ηL 4ηL p2 Die Integrationskonstante C erhalten wir aus der Randbedingung v(r = R) = 0 ⇒ C = R2 ∆ 4ηL Damit ist die erste Beziehung bewiesen. Die Durchflussmenge berechen wir zunächst für einen Hohlzylinder mit gleichem Radius wie die Stromröhre, aber mit der Wandstärke dr. In diesen Hohlzylinder tritt am Ende im Zeitintervall t durch die Eintrittsfläche 2πrdr das Wasservolumen dV = 2πrdr v(r)t ein. π∆p(R2 − r2 ) dV = v(r)2πrdr = rdr t 2ηL Was im gleichen Zeitintervall durch den gesamten Rohrquerschnitt eintritt erhält man durch Integration: ∫ π∆p R 2 πR4 ∆p V = (R − r2 )rdr = Q≡ t 2ηL 0 8ηL Die Wassermenge M ergibt sich aus Q durch Multiplikation mit der Dichte ρ. Bei einer konstanten mittleren Geschwindigkeit v wäre die Durchflussmenge Q = πR2 v. Setzen wir die wahre Durchflussmenge Q gleich der mittleren Durchflussmenge Q so ergibt sich für die mittlere Geschwindigkeit R2 ∆p v= 8ηL A.20 Damit die Strömung laminar bleibt, muss v < vK gelten. Überschreitet v die kritische Geschwindigkeit, so wird die Strömung turbulent. Bei einer turbulenten Strömung ist die Durchflussmenge kleiner, die Reibung grösser als beim laminaren Fall. Rohrsysteme – das Ohm’sche Gesetz für Flüssigkeitsströmungen: Für die Auslegung von Rohrsystemen ist es nützlich das Gesetz von Hagen-Poiseuille etwas umzuformulieren und den Strömungswiderstand RL einzuführen. RL = 8ηL [Nsm−5 ] πR4 RL nimmt mit der Viskosität des strömenden Mediums linear zu, der Rohrradius geht allerdings mit der vierten Potenz (RL ∝ 1/R4 ), die Querschnittsfläche A quadratisch ein (RL ∝ 1/A2 ). Mit dieser Definition erhält man für den Volumendurchfluss Q= ∆p RL Diese Form des Hagen-Poiseulle’schen Gesetzes erinnert sehr an das Ohm’sche Gesetz der Elektrizitätslehre V I= RE V ist hier die elektrische Spannungsdifferenz, RE der elektrische Widerstand, und I der elektrische Strom. Diese formelle Analogie ist in Abbildung A.11 illustriert. Sie kann auf die Berechnung von Rohrsystemen erweitert werden (Abbildung A.12), für die ähnliche Beziehungen gelten, wie man sie von elektrischen Stromkreisen her kennt (Kirchhoff ’sche Gesetze, siehe Teil 4 Elektrizität und Magnetismus, Abschnitt 6.2.2). In einem elektrischen Stromkreis ist eine Spannungsquelle nötig, z. B. eine Batterie, damit ein Strom fliesst, in einem Rohrsystem wird der Druckunterschied von einer Pumpe aufrecht erhalten. Schaltet man zwei Rohrsysteme hintereinander, so ergibt sich der gesamte Strömungswiderstand aus der Summe der Einzelwiderstände: ∑ Serie − Schaltung : RL,tot = RLi i Schaltet man mehrere Röhrensysteme nebeneinander, so erleichtert man den Fluss, und der gesamte Strömungswiderstand verkleinert sich. Aus der Kontinuitätsgleichung (Flusserhaltung) ergibt sich: Q= ∑ i Qi = ∆p ∑ 1 ∆p = RLi RL,tot Parallel − Schaltung : i 1 RLtot = ∑ 1 RLi i Will man z. B. N identische parallele Rohre mit Innenradius R durch ein einziges√Rohr der gleichen Länge mit Innenradius R0 ersetzen will, ergibt sich bei gleichem Fluss R0 = 4 N R. Ein Rohr von 4 cm Durchmesser kann also 16 Rohre von 2 cm Durchmesser ersetzen. Das Stokes’sche Reibungsgesetz: Für die Reibungskraft, die auf ein sich in einer Flüssigkeit bewegendes Objekt wirkt, hatten wir gefunden Rv ∝ v ⃗ v = −β⃗v R z. B. Kugel : β = 6πηr A.21 Rohrwiderstand RL elektrischer Widerstand RE Q I Q= 1 ∆p RL I= 1 V RE ∆p V V ∆p R R ρW η I Q L L Geschwindigkeitsprofil R R v Rohr v elektrischer Leiter Abbildung A.11: Äquivalente Grössen für Flüssigkeitsströmungen (links) und elektrische Ströme (rechts). Pumpe Spannungsquelle - + V ţp RE2 RL2 RL5 RL3 RL1 RE5 RL4 RE3 RE1 RE4 RL6 RE6 RL7 RE7 Abbildung A.12: Äquivalenz zwischen einem geschlossenem Rohrsystem (links) und einem elektrischen Stromkreis (rechts). A.22 Die gleiche Abhängigkeit ergibt sich für die Kraft Rv , die die strömende Füssigkeit auf die Rohrwand ausübt. Rv = 2πRLτ (r = R) = πR2 ∆p = 8πηLv d. h. die viskose Reibung ist für Newton’sche Flüssigkeiten in der Tat proportional zu v, wie wir dies angenommen hatten. Weitere Kräfte in Strömungen – Dynamischer Auftrieb und Widerstand: Wird ein Körper von einem Gas oder einer Flüssigkeit umströmt, so treten neben den schon behandelten auch Kräfte auf, die proportional dem Quadrat der Anströmgeschwindigkeit sind. Von einem Stromlinienbild, wie z. B. dem für ein Flügelprofil in Abbildung A.13, kann die Geschwindigkeitsverteilung (Kontinuitätsgleichung) und damit die Druckverteilung (Bernoulli’sche Gleichung) der umströmenden Substanz abgelesen werden. Der aufgerichtete Flügel lenkt den Luftstrom nach unten ab. Das Ablenken entspricht einer Kraft des Flügels auf den Luftstrom, und nach dem 3. Newton’schen Prinzip übt der Luftstrom eine entgegengesetzt gleiche Kraft auf den Flügel aus. Die vertikale Komponente (allgemeiner die Komponente normal zu ⃗v ) dieser ⃗ D , die horizontale Komponente (allgemeiner die Kraft nennt man den dynamischen Auftrieb A ⃗ D . Da die Dichte der Komponente parallel zu ⃗v ) nennt man den dynamischen Widerstand R Stromlinien oberhalb des Flügels grösser ist als unterhalb, ist die Geschwindigkeit dort höher, der Druck kleiner und die resultierende Kraft daher aufwärts gerichtet, wie es uns die Bernoulli’sche Gleichung lehrt. Der dynamische Auftrieb hat nichts mit dem statischen Auftrieb in Gasen und Flüssigkeiten zu tun, auf den das Prinzip von Archimedes hinweist und der Ballone fliegen und Eisberge schwimmen lässt. Der dynamische Auftrieb entsteht nur, wenn Strömung und umströmtes Objekt relativ zueinander in Bewegung sind. Luftwiderstand Auftrieb v2 Anstellwinkel v1 Abbildung A.13: Stromlinienverteilung für einen Flugzeugflügel der gegenüber der Horizontalen leicht geneigt ist. Die resultierende Kraft hat eine vertikale Komponente (dynamischer Auftrieb) und eine horizontale Komponente (dynamischer Widerstand). In einer reibungsfreien Flüssigkeit wäre der dynamische Widerstand null, mit Reibung haben wir eine Stoke’sche Reibungskraft proportional zur Geschwindigkeit. Diese Kraft genügt jedoch nicht, um den dynamischen Widerstand zu erklären, der mit dem Quadrat der Geschwindigkeit zunimmt. RD = CR v 2 Die Ursache dieser Kraft ist die Wirbelbildung hinter dem umströmten Hindernis, d. h. diese Kraft tritt erst dann auf, wenn der Übergang von der laminaren zur turbulenten Strömung (v > vK ) schon vollzogen ist. Die sich an den Grenzflächen bildenden Wirbel tragen kinetische Energie mit, die dem Flugobjekt entzogen wird. Der Koeffizient CR hängt sehr stark von der Geometrie des Profils ab. Welche Geometrie die günstigste ist lehrt uns die Natur, für einen “stromlinienförmigen” Hai ist CR sicher kleiner als für einen Kugelfisch. In Tabelle A.3 sind die Werte für verschiedene flächengleiche Profile miteinander verglichen. A.23 Der dynamische Auftrieb macht sich auch bemerkbar bei der Bewegung von rotierenden Objekten. Ein rotierendes Objekt hat eine andere Flugbahn als ein Objekt, das sich nicht dreht. Abbildung A.14 demonstriert die Ursache dieser Beobachtung, die man den Magnus-Effekt nennt. Der rotierende Ball nimmt die Luft an seiner Oberfläche mit, und erzeugt dadurch eine asymmetrische Geschwindigkeitsverteilung und eine entsprechende Kraft, die je nach Drehrichtung nach unten gerichtet (top-spin, kürzere Flugbahn), noch oben gerichtet (bottom spin im Golf, slice im Tennis, längere Flugbahn) oder, häufig unerwünscht, wenn die Drehung nicht um eine horizontale Achse erfolgt, seitwärts gerichtet ist. In diesem Fall bekommt man in der horizontalen Projektion gekrümmte Flugbahn. v2 v1 Abbildung A.14: Die Stromlinienverteilung für einen sich nicht drehenden Ball (oben) ist symmetrisch bezüglich einer horizontalen Achse. Für einen sich drehenden Ball führt die Zähigkeit des Mediums zu einer Zirkulationsströmung um den Ball herum (Mitte). Der anströmende Luftstrom wird durch die Zirkulation abgelenkt und die entsprechende Kraft ist für diese Drehrichtung aufwärts gerichtet (unten). Luftwiderstand F Auftrieb v1 v2 Widerstandskoeffizient CR 0.22 0.34 0.08 1.58 1.33 Tabelle A.3: Vergleich verschiedener flächengleicher Profile. Blutkreislauf: Die folgende Diskussion ist dem Skript der Vorlesung Physik für Mediziner entnommen. Bei der physikalischen Beschreibung des Blutkreislaufsystems können die Gesetze aus Hydrostatik und Hydrodynamik angewendet werden. Allerdings muss man sich über einige Einschränkungen im klaren sein. Das Blut ist, wie bereits betont wurde, keine Newton’sche Flüssigkeit. Die Blutkörperchen geben Anlass zu komplizierten Strömungsverhältnissen in den Blutgefässen, welche sich vor allem in den feinen Kapillaren bemerkbar machen. Ferner muss berücksichtigt werden, dass die Arterien und Venen elastisch (keine starren Röhren) sind und der Blutdruck im Kreislaufsystem örtlich und zeitlich variiert. Trotzdem können wir im Rahmen A.24 der erarbeiteten Kenntnisse eine vereinfachte Betrachtung des Blutkreislaufsystems durchführen, welche die wesentlichen Zusammenhänge recht gut beschreibt. Wie äussert sich der nicht-Newton’sche Charakter des Bluts ? Blut besteht aus festen Bestandteilen mit verschiedenen Formen, die im Blutplasma suspendiert sind. Die roten Blutkörperchen z. B. sind scheibenförmig. Bei kleinen Geschwindigkeiten sind sie zufällig orientiert, bei grossen Geschwindigkeiten jedoch richten sie sich aus, um das Fliessen des Blutes zu erleichtern. Daher nimmt die Viskosität von Blut ab, wenn die Strömungsgeschwindigkeit zunimmt. Wie das nebenstehende Volumendurchfluss-Druckdifferenz-Diagramm für Blut zeigt, ist die Viskosität und damit der Volumendurchfluss vom Anteil der Blutkörperchen (Hämatokrit) abhängig. Q 50% Hämatokrit 20% Hämatokrit ∆p Bei kleinen Druckdifferenzen verhält sich Blut durchaus wie eine Newton’sche Flüssigkeit (gestrichelte Gerade in der Abbildung), aber bei höheren Druckdifferenzen treten abhängig vom Hämatokrit Abweichungen auf. Das Gesetz von Hagen-Poiseuille ist dann streng genommen nicht mehr gültig. Es ist aber immer noch eine gute Näherung. Das menschliche und tierische Herz-Kreislaufsystem (siehe Abbildung A.15) ist geschlossener Stromkreis, bei dem das Herz als Pumpe das Druckgefälle aufrecht erhält. Der Druckunterschied ∆p bewirkt im Ruhezustand einen Blutfluss von circa 4–5 ℓ/min (Herzminutenvolumen). Durch die periodische Pumptätigkeit des Herzens wird das Blut schubweise mit einer Frequenz von etwa 60 Herzschlägen pro Minute in die Aorta gepresst. Dabei variiert im gesunden Ruhezustand der Blutdruck in der Aorta zwischen einem Maximalwert (systolischer Blutdruck) von circa 160 mbar und einem Minimalwert (diastolischer Blutdruck) von circa 100 mbar (siehe Abschnitt A.1.1.2 und Abbildung A.16). Durch die Pumptätigkeit des Herzens wird dem Blut kinetische Energie erteilt, welche durch zwei Mechanismen im Kreislaufsystem dissipiert wird, nämlich durch Ausdehnung und Kontraktion der Aorta (elastisches Gefäss) und durch innere Reibung des Blutes in den Gefässen. Wegen der Dissipation werden die Blutdruckschwankungen in der Aorta und in den Arterien geglättet und der mittlere Blutdruck im Kreislaufsystem nimmt zunehmend ab (Abbildung A.16). Der Druckabfall in einem Blutgefäss kann mit Hilfe des Gesetzes von Hagen-Poiseuille abgeschätzt werden. In Tabelle A.4 sind einige Angaben für die verschiedenen Abschnitte (Abbildung A.16) des Blutkreislaufsystems zusammengestellt. Mit den Werten aus dieser Tabelle ergibt sich für die Aorta mit einem Volumenstrom von QAorta = 7 · 10−5 m3 s−1 (= 4.2 l/min) und η = 5 · 10−3 Nsm−3 ein Druckabfall von nur 0.36 mbar. Zum Vergleich wollen wir den Druckabfall im Bereich der Arteriolen abschätzen. Unter der vereinfachten Annahme einer Parallelschaltung von N Arteriolen ist der Volumenstrom durch eine einzige Arteriole QArteriole = QAorta /N ≃ 2 · 10−12 m3 s−1 . In den Arteriolen verhält sich Blut nicht mehr wie eine Newton’sche Flüssigkeit. Infolge der Ausrichtung der Blutkörperchen nimmt die Viskosität η ab. Mit einem geschätzten Wert von η ≃ 3 · 10−3 Nsm−3 , QArteriole ≃ 2 · 10−12 m3 s−1 und den tabellierten Werten für R und L erhält man für den Druckabfall im Bereich der Arteriolen ∆p ≃ 30 mbar. Dieser Wert ist 100 mal grösser als ∆p in der Aorta. Die Gesamtquerschnittsfläche im Kreislaufsystem nimmt mit verfeinerter Verzweigung zu. Die Querschnittsfläche der herznahen Aorta ist etwa 3 cm2 und die mittlere Strömungsgeschwindigkeit ist dort rund 30 cm/s. Der Gesamtquerschnitt der Kapillaren beträgt hingegen etwa 1500 cm2 und die Strömungsgeschwindigkeit gemäss der Kontinuitätsgleichung v = 30 cm/s·(3 cm2 /1500 cm2 ) ≈ 0.06 cm/s. Diese Verlangsamung des Blutstromes A.25 Gehirn Gehirnkappilaren Armaterie Armvene Lungenarterie Aorta Lungenvene linker Vorhof linke Herzkammer obere Hohlvene Lunge rechter Vorhof rechte Herzkammer untere Hohlvene Leber Milz Niere Pfortader Dünndarm Beinvene Beinarterie Schematische Darstellung des Blutkreislaufsystems rechte Vorkammer Atrium Vena cava linke Vorkammer Ventrikel Herz Venen Venolen Aorta Arterien Kapillaren Arteriolen Hochdrucksystem Organe Niederdrucksystem Abbildung A.15: Der menschliche Blutkreislauf (oben, schematisch) und das dazugehörige physikalische Modellsystem (unten). A.26 Blutdruck (mbar) Verlauf des Blutdruckes im Kreislaufsystem 160 Systolischer Druck Diastolischer Druck 80 0 Pumpe Aorta Arteriole Kapillare venöser Abschnitt präkapillare Verzweigungen Arteriolen Venolen grosse Arterien Arterienäste Aorta Kapillaren grosse Venen Venenäste Vv. cavae Abbildung A.16: Verlauf des Blutdrucks (oben) in den verschiedenen Abschnitten des Kreislaufsystems (unten). ist notwendig für einen effektiven Stoffaustausch. Treten bei diesen Strömungsgeschwindigkeiten Turbulenzen auf ? Rechnen wir für Blut mit der Dichte ρ = 103 kg/m3 und der Viskosität η = 4 · 10−3 Nsm−2 , so ergibt sich mit einer Reynold’schen Zahl von 2300 (für glatte Rohre) eine kritische Geschwindigkeit vk von 0.46 m/s für die Aorta und von 1100 m/s für die Kapillaren. Die Strömung in den Kapillargefässen ist daher laminar. In der Aorta hingegen kann die Strömungsgeschwindigkeit des Blutes unter Umständen 1 ms−1 erreichen und die Strömung turbulent werden. Im allgemeinen kommt es dazu nur bei krankhaften Verengungen der Aorta. Auch eine zu hohe Dosierung eines den Blutdruck erhöhenden Medikaments kann eine turbulente Strömung in der Verengung bewirken, wodurch der Strömungswiderstand massiv ansteigt und der Volumendurchfluss sinkt anstatt zu steigen. Unter der Annahme, dass alle Gefässe eines Kreislaufabschnittes identischen Querschnitt haben und parallel geschaltet sind, kann man die prozentualen Anteile der verschiedenen Bereiche am Strömungswiderstand (RLeff /RLtot ) abschätzen (siehe Tabelle A.4). Mehr als 90% des gesamten Strömungswiderstandes finden wir im Arterien-Kapillaren-System, wobei die Arteriolen (40%) und die Kapillaren (30%) den grössten Anteil ausmachen. Trotz der enorm grossen Gesamtquerschnittsfläche stellen diese feinen Gefässe den Hauptwiderstand im Kreislaufsystem dar, da ihre Einzelwiderstände quadratisch von ihrem Querschnitt abhängen. Lediglich 7% des Strömungswiderstandes entfallen auf den venösen Bereich mit niedrigem Blutdruck. Beim stehenden Menschen in Ruhe reicht der niedrige Blutdruck fast nicht aus, um das venöse Blut von den Füssen zurück ins Herz zu leiten. Als Folge davon sammelt sich Blut in den Venen der Beine an und erhöht den Druck in den Kapillaren, was ein Anschwellen der Beine bewirken kann. Beim Gehen hingegen wird durch die Kontraktion der Muskeln in den Waden der Rückfluss des Blutes begünstigt. A.27 Gefäss Aorta Grosse Arterie Arterie Arteriole Kapillare Venole Vene R (m) 1 · 10−2 2 · 10−3 5 · 10−4 1 · 10−5 4 · 10−6 1.5 · 10−5 1 · 10−3 N 1 40 2000 4 · 107 5 · 109 8 · 107 1200 A (m2 ) 3 · 10−4 6 · 10−4 1.5 · 10−3 1.3 · 10−2 1.5 · 10−1 6 · 10−2 4 · 10−3 L (m) 0.4 0.2 0.05 0.002 0.001 0.002 0.05 v (m/s) 0.3 0.15 0.06 0.007 0.0006 0.0015 0.02 RLeff /RLtot (%) 25 40 28 7 Tabelle A.4: Zusammenstellung geometrischer Daten (Radius R, Anzahl Gefässe N , Gesamtquerschnittsfläche A, Länge L), der Strömungsgeschwindigkeit v und des Anteils am Gesamtwiderstand RLeff /RLtot für die verschiedenen Abschnitte des Blutkreislaufs. Bei starker körperlicher Anstrengung steigt der Volumenstrom des Blutes im Kreislaufsystem an. Dies wird erreicht durch ein Ansteigen des Blutdruckes, durch gesteigerte Herztätigkeit (Frequenzerhöhung) und durch eine gesteuerte Dehnung/Kontraktion der Gefässe (besonders in den Arteriolen). Nach dem Gesetz von Hagen-Poiseuille wird durch eine Vergrösserung (Verkleinerung) des Gefässradius von 20% der Volumendurchfluss um (mehr als) den Faktor 2 vergrössert (reduziert). Bereits bei geringen, krankhaften Gefässverengungen kann deshalb nur mit einer dauernden Mehrbelastung des Herzens ein konstanter Blutfluss gewährleistet werden. Damit der Blutkreislauf aufrechterhalten werden kann, muss das Herz dauernd Arbeit leisten. Die Pumpleistung P des Herzens lässt sich auf einfache Weise grob abschätzen. Die Leistung einer Pumpe ist P = F · v = ∆p · A · v F = ∆p · A (Druckunterschied ∆p × Querschnittsfläche A) ist die von der Pumpe ausgeübte mittlere Kraft und v die mittlere Geschwindigkeit der Flüssigkeit. Die Grösse Q = A · v ist der Volumendurchfluss, so dass sich für die Leistung des Herzens die einfache Beziehung ergibt Leistung des Herzens : P = Q∆p Mit Hilfe dieser Beziehung kann die mittlere Leistung P im sogenannten grossen Kreislauf berechnet werden. Der mittlere Blutdruck des Menschen ist ∆p ≃ 133 mbar = 1.33 · 104 Nm−2 und der mittlere Volumendurchfluss Q ≃ 1 · 10−4 m3 s−1 . Mit diesen Werten erhält man für die mittlere Leistung des Herzens: P = ∆p · Q ≃ 1.3 Watt. Bei starker körperlicher Anstrengung wird P um einen Faktor 5 erhöht. Im Lungenkreislauf beträgt die mittlere Leistung des Herzens nur ungefähr 0.2 Watt, da der Blutdruck am Ausgang des rechten Ventrikels circa 6 mal kleiner ist als in der Aorta. Es ist bemerkenswert, dass die Leistung des Herzens nur circa 2% (1.5 Watt) des sog. Grundumsatzes (ca. 80 Watt) im ganzen Organismus ausmacht. A.28 Zusammenfassung: Hydrostatik und -dynamik Hydrostatischer Druck: Der Spannungszustand einer Flüssigkeit ist durch eine einzige Spannung, den hydrostatischen Druck p [Pascal] charakterisiert. Flüssigleitsoberflächen sind Äquipotentialflächen. In einer vertikalen Flüssigkeitssäule variiert der Druck p mit der Tiefe z wie p(z) = p0 + ρgz In der isothermen Atmosphäre nimmt der Partialdruck eines Gases mit der Höhe z ab p(z) = p0 exp(− mgz ) kT Auftrieb: Ein in eine Flüssigkeit oder ein Gas (Dichte ρF ) eingetauchter Körper (Dichte ρK ) ⃗ die sich aus dem Gewicht erfährt eine seinem Gewicht entgegengesetzte Auftriebskraft A, ⃗ GD der verdrängten Gas- oder Flüssigkeitsmenge berechnen lässt ∫ ⃗ = −G ⃗D = − ρF ⃗g dV A VK Strömungen: Eine Strömung ist charakterisiert durch das Vektorfeld ⃗v (r,⃗ t), die Strömungsgeschwindigkeit. Stationäre Strömung: ⃗v = ⃗v (⃗r); laminare Strömung: glatte Feldlinien (Stromlinien), v < vk = kritische Geschwindigkeit; turbulente Strömung: verwirbelte Stromlinien, v > vk . In einer stationären Stromröhre einer inkompressiblen Flüssigkeit mit Eintrittsfläche dAi und Austrittsfläche dAa gilt wegen der Flusserhaltung die Kontinuitätsgleichung vn ⊥ dA vni dAi = vna dAa Es gilt ferner die Bernoulli − Gleichung ρ p + v 2 + ρgh = p0 = const 2 Der Term ρv 2 /2 wird dynamischer Druck genannt. Zähe Flüssigkeiten − innere Reibung: Tritt in einer Flüssigkeit ein Geschwindigkeitsgradient dv/dx auf, so wirken zwischen den Flüssigkeitsschichten Reibungskräfte (dynamische Schubspannungen τ ), die gegeben sind durch das Newton′ sche Reibungsgesetz τ =η dv dx Der Koeffizient η wird Viskosität genannt [Nsm−2 ] = [10 Poise]. vk = Re η ρD Re = Reynold′ sche Zahl, D = Rohrdurchmesser A.29 Zusammenfassung: Hydrodynamik Zähe Flüssigkeiten − Rohrsysteme: Für eine Flüssigkeitsströmung in einem zylindrischen Rohr der Länge L mit Radius R und Druckunterschied ∆p zwischen den Enden ergibt sich eine radiale Geschwindigkeitsverteilung v(r) = ∆p 2 (R − r2 ) 4ηL Für die Durchflussmenge pro Zeiteinheit (Volumenfluss) Q gilt das Gesetz von Hagen − Poiseuille Q= π∆p 4 ∆p R = 8ηL RL 8ηL Strömungswiderstand πR4 Für zusammengesetzte Rohrsysteme mit Strömungswiderständen RLi gelten die Kirchhoff’sche Maschenregeln wie für elektrische Stromkreise, d. h. ∑ ∑ −1 −1 Serieschaltung RL,tot = RLi Parallelschaltung RL,tot = RLi RL = i i Dynamischer Auftrieb und Widerstand: Auf ein umströmtes Profil (Anströmgeschwindig⃗ D ⊥ ⃗v0 (Bernoulli) und bei genügend hohen keit ⃗v0 ) wirken der dynamische Auftrieb A ⃗ D ∥ ⃗v0 : Geschwindigkeiten (Turbulenz, Wirbelablösung) der dynamische Widerstand R AD = CA v02 RD = CR v02 Die Konstanten CA und CR hängen von der Profilform und dem Anstellwinkel ab. Der dynamische Auftrieb führt bei rotierenden Flugkörpern zu Veränderungen der Flugbahn (Magnus-Effekt). A.1.3 Grenzflächen von Flüssigkeiten – Kohäsion und Adhäsion Unter Kohäsionskräften verstehen wir die inneren, intermolekularen Kräfte in einer Substanz, welchen wir schon öfters begegnet sind. Der abstossende Anteil wirkt nur zwischen benachbarten Molekülen. Die Reichweite der anziehenden Kraft wirkt sich über mehrere Moleküle hinweg aus, über Distanzen von ca. 10−8 m. Im Innern einer Flüssigkeit ist ein Molekül den anziehenden Kräften benachbarter Moleküle von allen Seiten ausgesetzt. Die resultierende Kraft F⃗tot ist null. Anders liegen die Verhältnisse für ein Molekül nahe der Oberfläche. Hier ergibt sich eine in das Innere der Flüssigkeit gerichtete resultierende Kraft F⃗tot . A.30 ~ 1nm Ftot Ftot = 0 Die nach innen gerichteten, intermolekularen Kräfte ziehen die Flüssigkeit zusammen und erzeugen somit in der Flüssigkeit einen Binnendruck pi , dessen Grösse von den Molekularkräften abhängt. Die Stärke des Binnendruckes kann für feste Körper und Flüssigkeiten aus Zugversuchen bestimmt werden. Fehlstellen im Kristallaufbau, in Flüssigkeiten vor allem gelöste Gase, welche bei niedrigen Drucken Blasen bilden, erschweren jedoch die Messungen, so dass die experimentell gefundenen Werte nur untere Grenzen darstellen. Für Wasser beträgt der Binnendruck pi ≈ 104 bar = 109 Pa und für feste Körper liegen die höchsten Messwerte bei pi ≈ 2 · 105 bar = 2 · 1010 Pa. Für Gase und Flüssigkeiten kann auch aus dem Term a/V 2 in der Van der Waals’schen Zustandsgleichung für reale Gase (siehe Teil 2 Thermodynamik, Abschnitt 3.2.2) a (p + 2 )(V − b) = RT V der zusätzliche Druck abgeschätzt werden, der im Innern durch die intermolekularen Kräfte entsteht. Die Konstante b gibt das minimale Volumen an, den ein reales Gas bei dichtester Packung der Moleküle einnehmen kann. Der Term a/V 2 entspricht gerade dem Kohäsionsdruck, denn auch ohne äusseren Druck p zieht sich das Gas wie unter dem Druck a/V 2 stehend zusammen. Bei Normalbedingungen (Molvolumen VM = 22400 cm3 , (i)) und im flüssigen Zustand (V = b, (ii)) ergibt sich für He und Wasser He : (i) 7 × 10−5 atm, (ii) 60 atm H2 O : (ii) 6000 atm Adhäsionskräfte heissen die intermolekularen Kräfte, wenn sie zwischen Molekülen verschiedener Substanzen, also vor allem an Grenzflächen auftreten. Je nach Art der beteiligten Moleküle kann die Adhäsion (A) grösser oder kleiner sein als die entsprechende Kohäsion (K). A > K: Zwei Flüssigkeiten vermischen sich. Eine Flüssigkeit benetzt einen festen Körper. (Experiment: Essig – Wasser) A < K: Zwei Flüssigkeiten entmischen sich. Keine Benetzung eines festen Körpers durch eine Flüssigkeit. (Experiment: Paraffinöl – Wasser) Durchmischung zweier Flüssigkeiten Entmischung zweier Flüssigkeiten Grenzfläche A>K A>K Oberflächenspannung: Grenzt eine Flüssigkeit an Vakuum so treten keine Adhäsionskräfte auf. Wenn keine anderen äusseren Kräfte vorhanden sind, so bewirkt die Kohäsion, dass alle Molekülabstände möglichst klein werden, d. h. die Flüssigkeit wird Kugelform annehmen (Regentropfen, Hg-Tropfen, Experiment: schwebende Olivenölkugel in einer Alkohol-WasserMischung, siehe Abbildung A.17). Eine Energiebetrachtung führt zum gleichen Resultat. Jede Bindung an ein Nachbarmolekül liefert einen negativen Beitrag (−EB ) zur potentiellen Energie. A.31 Diese ist daher kleiner, je mehr solcher Bindungen vorhanden sind. Den Oberflächenmolekülen fehlen jedoch nach aussen die Nachbarn, d. h. es fehlen Bindungen. Die gesamte Energie ist daher minimal, wenn möglichst wenige Moleküle an der Oberfläche sitzen, d. h. das Verhältnis von Oberfläche zu Volumen minimal ist, was wieder zur Kugelform führt: √ A 3 4.84 4 3 3 4π = =3 = √ Kugel : V = πr , A = 4πr2 ⇒ 3 3 V r 3V V A 6 6 4.84 Würfel : V = a3 , A = 6a2 ⇒ = = √ > √ 3 3 V a V V Flüssigkeitstropfen (unstabil) Flüssigkeitstropfen (stabil) Oberfläche Flüssigkeit Abbildung A.17: Illustration zur Tropfenbildung bei Flüssigkeiten. Will man die Oberfläche vergrössern, so muss man Energie in die Flüssigkeit hineinstecken. Dies lässt sich mit einem Drahtbügel, der in eine Seifenlösung eingetaucht wird und dabei eine Lamelle aufspannt, quantitativ zeigen (Abbildung A.18). Der Bügel hängt an einer Waage, die ohne Lamelle einen kleineren Ausschlag zeigt. Die Oberfläche wird um den Betrag dA = 2Ldx vergrössert. Die Kraft F ergibt sich aus der Differenz der Anzeigen mit und ohne Lamelle. Die beim Herausziehen des Bügel geleistete Arbeit ist dW = 2F dx. Das Verhältnis der hineingesteckten Energie (geleisteten Arbeit) zur Oberflächenvergrösserung nennt man Oberflächenspannung γ. Es gilt: [ ] [ ] 2F dx F dE Energie Kraft dW = = γ= = dA 2Ldx L dA Fläche Länge L F=Gm Lamelle F=Gm dx F F F Abbildung A.18: Messung der Oberflächenspannung. Grenzt die Flüssigkeit nicht an Vakuum, sondern an ein anderes Medium, so gelten die obigen Überlegungen wenigstens näherungsweise, wenn dieses sehr verdünnt ist, wie z. B. ein Gas. A.32 Substanz Wasser Seifenlösung C2 H5 OH (Alkohol) Hg (Quecksilber) Öl Äthyl-Äther Temperatur [◦ C] 18 20 20 15 20 20 γ [N/m] 0.073 0.030 0.0223 0.407 0.032 0.017 Tabelle A.5: Oberflächenspannungen für verschiedene Flüssigkeiten Typische Werte für γ an Flüssigkeitsoberflächen, über welchen sich Luft befindet, sind in Tabelle A.5 aufgeführt. Die Oberfächenspannung ist temperaturabhängig. Sie kann z. B. für Wasser durch sogenannte Detergentien stark verringert werden. An ebenen Oberflächen ist die Resultierende der Oberflächenspannung gleich Null. Auf ein konvexes Flächenelement dagegen resultiert eine Kraft nach innen, auf ein konkaves eine solche nach aussen. In beiden Fällen strebt die gestörte Oberfläche zur ebenen, minimalen Form zurück. Eine Seifenblase zieht sich zusammen, bis im Gleichgewicht der innere Überdruck gleich dem Druck der Oberflächenspannung ist. Wir können wieder die für die Vergrösserung des Blasenradius und damit der Oberfläche notwendige Arbeit berechnen (es sind innere und äussere Fläche der Blasenhaut zu berücksichtigen !): padA pidA pi r → r + dr ⇒ dA = 16πrdr, dV = 4πr2 dr dW = ∆p dV = γdA ⇒ ∆p = pi − pa = 4γ r Der Überdruck ist umso grösser, je kleiner der Radius der Seifenblase ist. Gleich grosse kommunizierende Seifenblasen sind daher miteinander im labilen Gleichgewicht. Sobald die eine etwas kleiner ist als die andere, schrumpft sie solange, bis die verbleibende Kalotte denselben Krümmungsradius hat wie die grosse Blase. Die Flächen minimaler Energie müssen nicht notwendigerweise Kugelflächen sein. Betrachten wir eine beliebig gekrümmte, gespannte Oberfläche in der Nähe eines Punktes P . Ihre Krümmung kann durch zwei Krümmungsradien in zwei zueinander senkrechten Koordinatenrichtungen gekennzeichnet werden. Bei einer Lamelle gilt: ∆p = 2γ( 1 1 + ) R1 R2 A.33 r1 R1 R2 R2 R2 R1 Wenn R1 = R2 = r gilt finden wir wieder das Resultat der Seifenblase. Eine von zwei Kanten begrenzte, offene Lamelle hat auf beiden Seiten denselben Druck, d. h. ∆p = 0 Diese Bedingung kann erfüllt werden, wenn die Lamelle eben ist (R1 = R2 = ∞) oder eine sogenannte Sattelfläche (R1 = −R2 ). Die Differentialgeometrie zeigt, dass solche Fälle tatsächlich Minimalflächen sind. Grenzflächenspannung: Befindet sich ausserhalb der Flüssigkeit (1) nicht ein Gas, sondern eine andere Substanz (2), so zeigt die resultierende Kraft auf ein Molekül von (1) ins Innere von (1), wenn die Kohäsionskräfte innerhalb von (1) grösser sind als die Adhäsionskräfte von (2) auf (1) (Abbildung A.19). Es gelten die obigen Beziehungen, wobei statt γ die Grenzflächenspannung γ12 einzusetzen ist. Wenn die Adhäsion grösser als die Kohäsion ist, nimmt γ12 negative Werte an (→ maximale Grenzfläche). 2 Α γ2 Luft γ1 1 Flüssigkeit 1 Κ Flüssigkeit 2 γ12 Abbildung A.19: Adhäsion und Kohäsion an Grenzflächen. Links: Flussigkeit (1) und andere Substanz (2) (Flüssigkeit oder Festkörper). Rechts: Flüssigkeit (1) und Gas (2). Grenzt eine Flüssigkeit (1) an eine zweite (2) und an Luft, so treten drei Grenzflächenspannungen auf: γ12 , γ1 und γ2 . γ1 , γ2 (> 0) sind gleich der oben behandelten Oberflächenspannung, solange die Adhäsion zwischen Flüssigkeit und Gas vernachlässigt werden kann (Abbildung A.19). Im Gleichgewicht muss die Vektorsumme der drei Spannungen gleich Null sein. Ist dies nicht möglich, wie z. B. bei einem Ölfilm auf Wasser (γ12 = 0.018 < γ1 − γ2 = 0.073 − 0.032 [N/m]), so breitet sich das Öl auf dem Wasser zu einer monomolekularen Schicht aus. Auf diesem Effekt beruht die Wirkung von Detergentien. Da auch sie sich in sehr dünnen Schichten an der Wasseroberfläche ausbreiten, genügen schon ganz geringe Mengen, um die Oberflächenspannung erheblich zu reduzieren. Auch an festen Körpern (K) existieren Oberflächenspannungen und Oberflächenenergien. Sie spielen z. B. bei der Rissbildung eine wichtige Rolle. Die Grenzflächenenergien Festkörper–Gas (K − G) sind jedoch meistens sehr klein, da sich an der Festkörperoberfläche eine adsorbierte Gasschicht bildet (γkG ≈ 0). Grenzt in einem Behälter Flüssigkeit (F ), an eine Wand (K) und an Luft (G) so beinflussen die Grenzflächenspannungen die Oberflächenform (siehe Abbildung A.20). Die Oberfläche des festen Körpers ist unbeweglich und es gilt γKG ≈ 0. Für die Kraftkomponenten parallel zu dieser Fläche ergibt sich im Gleichgewicht γF G ≈ γF γKF + γF cos ϕ ≈ 0 ⇒ cos ϕ = −γKF γF Für γKF > 0 ist π/2 ≤ ϕ ≤ π und die Wand wird nicht benetzt (z. B. Quecksilber). Für γKF < 0 ist 0 < ϕ ≤ π/2 und die Wand wird benetzt (z. B. Alkohol). Ist |γKF | > γF , so existiert keine Lösung, die Flüssigkeit breitet sich über die ganze Fläche aus, sie benetzt vollständig. A.34 nicht benetzende Flüssigkeit benetzende Flüssigkeit γF γKF > 0 φ φ γF γKF > 0 φ > π/2 Glas-Wasser φ > π/2 Glas-Quecksilber Tropfenbildung auf Glas Wasser φ> π 2 Quecksilber φ> π 2 φ φ Glas Abbildung A.20: Illustration zu den Grenzflächenspannungen und Oberflächenformen bei benetzenden und nicht benetzenden Flüssigkeiten. Kapillarität: Infolge der Grenzflächenspannung wirkt längs der Gefässwand auf die Berandung einer Flüssigkeit eine Kraft pro Länge γKF = −γF cosϕ In einem runden Rohr wird die Flüssigkeit hinuntergedrückt (kapillare Depression) oder hochgezogen (kapillare Attraktion), bis Gleichgewicht herrscht mit dem Gewicht der Flüssigkeitsäule (siehe Abbildung A.21). 2πrγF cos ϕ = ρghπr2 Die Steighöhe ergibt sich daraus zu (mit cos ϕ = 1 für vollständige Benetzung) h= 2γF cos ϕ 2γF (= ) ρgr ρgr Die Steighöhe bei Benetzung (Adhäsion > Kohäsion) ist umgekehrt proportional zum Radius und tritt daher vor allem bei dünnen Rohren (Kapillaren) in Erscheinung. Benetzung oder Nicht-Benetzung von festen Körpern durch Wasser und die damit verknüpften anziehenden und abstossenden Kräfte spielen in der Natur eine wichtige Rolle, z. B. bei Ausbreitung von Wasser im Humus, in Pflanzenkapillaren, bei der Fortbewegung von Amöben, beim Fettgefieder von Wasservögeln und auch bei Insekten, die auf dem Wasser laufen. Auch Wasch- und Imprägniermittel, Kugelschreiber, Wattetampons usw. nützen Kapillarwirkungen aus. Abbildung A.22 illustriert die letzteren beiden Beispiele. A.35 Fγ 2r h φ h φ Kapillare Attraktion Kapillare Depression Abbildung A.21: Illustration zur kapillaren Attraktion (links) und Depression (rechts). Gewebe mit Wasserschicht Wasser Wasser nicht imprägniert imprägniert Wasser geht durch Wasser geht nicht durch Gewebe Abbildung A.22: Unten links: Kapillarwirkung beim Wasserläufer. Oben: Einfluss eines Imprägniermittels auf die Wasserdurchlässigkeit von Gewebe. A.36 pa > p i pa Befindet sich zwischen zwei Platten ein Flüssigkeitstropfen, so werden sie dadurch angezogen oder abgestossen, je nachdem ob die Flüssigkeit benetzt oder nicht. Benetzt sie, so wirkt, wie oben, die Kapillarkraft nach aussen. Im Innern entsteht ein Unterdruck, der eine Anziehung der Platten bewirkt. Benetzt sie nicht, so drückt die resultierende Kapillarkraft nach innen, der Überdruck im Innern erzeugt eine Abstossung der Platten. pi pa pa ppii pa pi > pa Zusammenfassung: Kräfte an Grenzflächen Kohäsion, Adhäsion: Die anziehenden Kräfte zwischen den Molekülen innerhalb einer Substanz werden unter dem Begriff Kohäsion zusammengefasst, diejenigen zwischen verschiedenen Molekülen einer Mischung oder an den Grenzflächen zweier verschiedener Substanzen als Adhäsion. Kohäsionsdruck in einem realen Gas (Van der Waals’sche Zustandsgleichung): (p + pK )(V − b) = RT pK = a V2 Kohäsionsdruck in einer Flüssigkeit: pK = A>K Durchmischung, Benetzung a b2 A<K Entmischung, keine Benetzung Kohäsionskräfte in einer Flüssigkeit führen zur Oberflächenspannung γ, definiert als die zur Vergrösserung einer Oberfläche dA notwendige Energie dE: γ= dE dA [N/m] Beispiele: Seifenblase mit Radius R ∆p = pinnen − paussen = 4γ R Flüssigkeitslamelle mit Krümmungsradien R1 , R2 ∆p = pi − pa = γ( 1 1 + ) R1 R2 Adhäsionskräfte an den Grenzflächen einer Flüssigkeit mit einem Festkörper führen zum Kapillareffekt, A < K kapillare Depression, A > K kapillare Attraktion. A.37