46 Marc Andreae über die Musik seines Grossvaters Volkmar

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musik
Marc Andreae über die Musik seines
Grossvaters Volkmar Andreae: «Seine
Musik ist keine intellektuelle Kunst. Sie
ist vielmehr durch Spielfreude geprägt.»
musik
Marc Andreae und die Sinfonia Engiadina – eine freundschaftliche Beziehung seit 25 Jahren
Musizieren
unter Freunden
Marc Andreae war über zwei Jahrzehnte Chefdirigent des Orchestra della RTSI in Lugano (wo er heute noch wohnt).
Daneben gab und gibt es eine internationale Gastkarriere. Sein Lieblingskind jedoch ist die Sinfonia Engiadina, die jeweils
zwischen Weihnachten und Neujahr ihre kurze Saison hat.
Mario Gerteis
M&T: Marc Andreae – warum das Engadin?
Marc Andreae: Das ist eine sehr alte und
sehr lange Beziehung. Mein Kindermädchen kam aus Champfèr, und ich besitze
seit Jahrzehnten eine Wohnung in SilsMaria. Jedes Jahr bin ich mehrere Male
für einige Tage dort oben – es ist gewissermassen meine zweite Heimat geworden. Man sagt, Sils-Maria sei so etwas wie
ein Kraftort – das hat wirklich etwas für
sich.
M&T: Waren Sie schon vom Anfang an bei der
Sinfonia Engiadina dabei?
Marc Andreae: Nicht ganz. Das Orchester wurde 1985 vom im Engadin aufgewachsenen Geiger Markus Strasser, der
im Zürcher Kammerorchester mitwirkte, gegründet. Ich stiess vier Jahre später
dazu, darf also heuer dort mein 25-JahrJubiläum feiern. Übrigens: im nächsten
Sommer, zum dreissigjährigen Bestehen
des Orchesters, gibt es eine besondere
Open-Air-Darbietung – mit kammermusikalischen Ensembledarbietungen in
wechselnder Besetzung, vom Streichsextett bis zur Bläserserenade.
M&T: Wie setzt sich das Engadiner Sinfonieorchester zusammen?
Marc Andreae: Vor allem machen seit
vielen Jahren immer die gleichen Musikerinnen und Musiker mit. Das ist ja
auch der Witz der Sache, dass wir alle
miteinander befreundet sind – da freut
man sich das ganze Jahr über auf das Zusammentreffen in der Silvesterzeit. Zwei
oder drei der Mitwirkenden stammen
wirklich aus dem Engadin – der Rest ist
international gemischt. Aus der Schweiz
zunächst einmal, aber auch Italiener,
Deutsche, Holländer, Ungarn, sogar Japaner. Bei uns ist nicht zuletzt wichtig,
dass alle bereits über eine eminente Orchestererfahrung verfügen. Wir haben
verhältnismässig wenig Zeit zum Proben,
und da kann es nur von Gutem sein, dass
wir uns an ein vertrautes Repertoire halten.
M&T: Ich nehme an, die Beziehung zwischen
Ihnen und dem Orchester wie auch der Musiker unter sich geht über das blosse Auftreten in
verschiedenen Engadiner Sälen hinaus.
Marc Andreae: Ganz klar. Wir essen immer zusammen, im Anschluss an die
Konzerte sind wir meist in einem lokalen Hotel eingeladen. Es herrscht eine
besondere Atmosphäre, und das überträgt sich, glaube ich jedenfalls, auf unser Publikum. Es ist also nicht einfach
eine Art Festivalveranstaltung für Touristen, sondern es kommen erstaunlich viele Leute aus dem Tal selber zu unseren
Konzerten.
M&T: Wie gross ist üblicherweise das Orchester,
das sich dieses Jahr mit einem reinen Beethoven-Programm präsentiert?
Marc Andreae: Ich würde sagen, so an die
fünfundvierzig Mitwirkende. Die Grösse
des Orchesters ist eben auch beschränkt
durch die vorhandenen Säle – und darauf gilt es sich einzustellen. Wir nehmen
natürlich mit unserem Repertoire darauf Rücksicht. Beethoven ist ideal, wir
sind freilich schon zu Schumann und
Brahms vorgestossen. Bruckner oder
Mahler indessen kommen nicht in Frage. Zugegeben: die klangliche Balance
ist nicht immer einfach, wir erachten das
als eine echte Herausforderung.
M&T: Die Freundschaft, die Sie bereits angesprochen haben, gilt offenbar kaum minder für
die Wahl der Solisten?
Marc Andreae: Richtig. Wir können
kaum, nicht zuletzt aus finanziellen
Gründen, irgendwelche Koryphäen engagieren. Und wir wollen es auch nicht
– denn allein schon die Unterkunft unserer Musiker ist, gerade in dieser festlichen Zeit vor Neujahr, nicht einfach und
mit Kosten verbunden. Das Miteinander
ist entscheidend, nicht der teure Name –
dieses entschlossene Weggehen von der
Routine spürt das Publikum. Immerhin,
unter den Solisten gab es einige tolle
Leute – die Cellistin Natalia Gutman, die
Geiger Thomas Zehetmair und Isabelle
Faust, der Trompeter Reinhold Friedrich, die Pianisten Elisabeth Leonskaja
und Gerhard Oppitz, zu denen sich in
diesem Jahr Andreas Haefliger, übrigens
ein Künstler mit Bündner Wurzeln, fügt.
M&T: Wechseln wir das Thema: Marc Andreae,
Sie kommen aus einer legendären Musikerfamilie. Berühmt war da vor allem Ihr Grossvater,
Volkmar Andreae – Chef über das Zürcher Tonhalle-Orchester, dreiundvierzig Jahre lang, von
1906 bis 1949. Haben Sie ihn noch persönlich
am Dirigentenpult erlebt?
Marc Andreae: Gewiss. Bei verschiedenen Konzerten, vor allem natürlich in
Zürich, aber auch bei Gastauftritten
etwa in Wien oder in St. Florian. Erstaunlicherweise allerdings habe ich ihn
nie mit eigenen Kompositionen erlebt.
M&T: Und genau das ist jetzt so etwas wie Ihr
besonderes Hobby geworden – das Studium und
anschliessend die CD-Einspielung der wichtigsten Orchesterwerke von Volkmar Andreae.
Marc Andreae: Das war wirklich Neuland
für mich – ich habe ganz unbekannte
Seiten, musikalische wie menschliche,
an meinem Grossvater entdeckt. In Lugano konnte ich seinerzeit einige klei-
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Bild: Sinfonia Engiadina/ Raphaël Vergères
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Marc Andreae dirigiert die Sinfonia Engiadina.
nere Stücke von ihm vorstellen. Aber
die grossorchestralen Kreationen, und
das waren wohl seine wichtigsten Schöpfungen, habe ich mir erst in den letzten
Jahren erschlossen. Vorher war einfach
kein Interesse da – selbst zum 100. Geburtstag 1979 wollte nicht einmal das
Tonhalle-Orchester etwas davon wissen.
M&T: Aber Sie blieben unermüdlich.
Marc Andreae: Ich habe dann intensive
Nachforschungen aufgenommen – der
Hauptteil dieser Werke liegt ja in der
Zürcher Zentralbibliothek. Da konnte
ich Unglaubliches entdecken – einen
Komponisten, der vor allem in der Zwischenkriegszeit bemerkenswert häufig
aufgeführt wurde, und das nicht zuletzt
von prominenten Dirigenten wie Arthur
Nikisch, Fritz Busch, Bruno Walter, Fritz
Reiner. Volkmar Andreae selber hat zum
Beispiel seine C-Dur-Sinfonie auf einer
Tournee der Berliner Philharmoniker
wiederholt dirigiert. Es ist wirklich erstaunlich, dass diese Werke dann in der
Folge so total verschwunden sind.
Inserat
Louis Schwizgebel
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London Philharmonic Orchestra - Thierry Fischer
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M&T: Wie ist es jetzt zu dieser zumindest diskreten Renaissance des Komponisten Volkmar
Andreae gekommen?
Marc Andreae: Das britische Plattenlabel
Guild war gewissermassen der Vorkämpfer. Es hat drei CDs mit Kammermusik
von ihm herausgebracht – exzellent
wiedergegeben von englischen Ensembles. Lauter Stücke, die ich nicht einmal
gekannt habe! Ich nahm dann Kontakt
zu den Guild-Verantwortlichen auf und
schlug vor, ein ähnliches Projekt mit
den Orchesterwerken zu wagen. Das hat
bisher zu drei Editionen mit dem sehr
professionellen und hochagilen Bournemouth Symphony Orchestra geführt
– von der frühen F-Dur-Sinfonie des
knapp Zwanzigjährigen bis zum prächtigen Violinkonzert, das dem grossen Geiger Adolf Busch gewidmet ist und von
diesem 1936 auch uraufgeführt wurde.
M&T: Volkmar Andreae hat rund ein halbes
Jahrhundert lang komponiert. Wie würden sie
seinen Stil umreissen und auch die stilistische
Entwicklung.
Marc Andreae: Er hat im Umkreis von
Brahms und nicht zuletzt von Richard
Strauss angefangen. Er bekannte sich
stets zum Stil der späten Romantik.
Dazu gehört, dass alle seine grösseren
Werke hervorragend orchestriert sind,
da konnte er natürlich von seinen Dirigiererfahrungen profitieren. Später ist
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dann, neben Mahler, sogar ein Schuss
Strawinsky dazugekommen. Mit der andern Entwicklung der zeitgenössischen
Musik, mit der Zwölftontechnik Arnold
Schönbergs, konnte er wenig anfangen.
Insofern ist er stets ein Konservativer geblieben.
M&T: Wie würden Sie Volkmar Andreaes Musik
generell umreissen?
Marc Andreae: Es ist keine intellektuelle Kunst. Sie ist vielmehr durch
Spielfreude geprägt. Irgendwie war es
kennzeichnend für meinen Grossvater,
dass er sich verschiedentlich – und das
ausgesprochen gerne – mit Beiträgen
für helvetische Festspiele befasste. Und
neben Chören diverse Blasmusik und
Militärmärsche verfasst hat. Er soll sogar
an einer neuen Landeshymne gearbeitet
haben! Ich möchte es das Volksnahe an
ihm nennen – das ist wohl auch das typisch Schweizerische. ■
Sinfonia Engiadina:
Die Konzerte 2014
Ludwig van Beethoven: Klavierkonzert Nr. 5
Es-Dur op. 73
Ludwig van Beethoven: Sinfonie Nr. 5
c-moll op. 67
Sinfonia Engiadina, Marc Andreae (Leitung)
Andreas Haefliger (Klavier)
Pontresina, 28.12.2014, 10.30 Uhr, Rondo
Zuoz, 28.12.2014, 20.30 Uhr, Aula Lyceum
Alpinum
Sils-Maria, 29.12.2014, 20.45 Uhr,
Schulhaus
Celerina, 30.12. 2014, 20.30 Uhr,
Mehrzweckhalle
Tickets und Informationen:
www.sinfonia-engiadina.ch
Marc Andreae
dirigiert Volkmar Andreae
Bournemouth Symphony Orchestra, Fali Pavri
(Klavier), Christian Altenburger (Violine), Benjamin Hulett (Tenor), John Anderson (Oboe).
– Sinfonie C-dur, Musik für Orchester,
Kleine Suite, Notturno und Scherzo
(Guild 7377)
– Klavierkonzert, Konzertstück,
Violinkonzert, Rhapsodie (Guild 7394)
– Sinfonie F-dur, Li-Tai-Pe,
Oboen-Concertino (Guild 7400)
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