Apoptose - Deutsches Ärzteblatt

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AKTUELL
Peter H. Krammer
Apoptose
ZUSAMMENFASSUNG
Apoptose ist die häufigste Form von Zelltod im Organismus. So können Zellen des Immunsystems, wie die TLymphozyten, mithilfe des CD95 (APO-1/Fas) und anderer „Todessysteme“ Selbstmord begehen und andere TLymphozyten töten. Die Apoptose sensitiver T-Lymphozyten ist von entscheidender Bedeutung für das Gleichgewicht des Immunsystems, für Selbsttoleranz, Immunsuppression und das Abschalten einer Immunantwort.
Verminderte Apoptose kann zum Auftreten von Autoim-
mun- und Tumorerkrankungen führen. Große Fortschritte sind bei der
Aufklärung der molekularen Mechanismen der Apoptosesignalgebung gemacht worden. Diese Fortschritte sind
von Bedeutung für die Erklärung der Pathogenese von
Erkrankungen und in Zukunft auch für rationale Therapieansätze.
Schlüsselwörter: Apoptose, Todesrezeptor, Apoptosesignalweg
Apoptosis
Apoptosis is the most common form of cell death in the organism. Cells of the immune system such as T lymphocytes may
use the CD95 (APO-1/Fas) system and other death systems to
commit suicide or to kill other T lymphocytes. Apoptosis of
sensitive T lymphocytes is important for the homeostasis of
the immune system, for self-tolerance, immunosuppression
and downregulation of an immune response. Reduced
apoptosis may lead to autoimmunity and tumors.
Recently, great advances have been made in the
elucidation of the molecular mechanisms of apoptosis signalling. These advances may have great impact on the explanation of the pathogenesis of diseases and, in the future, also for
rational intervention strategies.
Key words: Apoptosis, death receptor, apoptosis signalling
pathway
D
ie Apoptose hat eine lange
Geschichte. Im zweiten nachchristlichen Jahrhundert beschrieb als Erster Galenus Galen die
Regression von larvalen und fetalen
Strukturen im Laufe der Ontogenese,
und bereits 1842 erkannte Carl Vogt,
dass Zellen durch „programmierten“
Tod sterben können (211). 1951 konnte der Embryologe Glucksmann den
Tod embryonalen Gewebes auf den
Tod einzelner Zellen zurückführen
(11, 27, 58). Kerr, Wyllie und Currie
schließlich beobachteten an toxinbehandelten Leberzellen eine den sterbenden Embryonalzellen vergleichbare Morphologie und prägten hierfür den umfassenden Begriff „Apoptose“ (90). Dieser ist dem Griechischen entlehnt und beschreibt das
Herabfallen der Blätter von den Bäumen. Apoptose ist nicht nur in der
Entwicklung von Bedeutung (209), sie
spielt auch bei der Erhaltung der Gewebehomöostase eine große Rolle. So
werden Zellen, die durch virale Infektion oder durch Mutation geschädigt
sind, durch Apoptose entfernt (200).
Die Apoptose ist durch eine Vielzahl
von morphologischen Veränderungen
definiert. Diese Veränderungen umfassen das Schrumpfen der Zelle und
die Kondensation des Chromatins,
das zumeist in der Peripherie des Zellkerns aggregiert. Die DNA wird
durch Endonukleasen zwischen den
Nukleosomen charakteristisch gespalten. Dies führt zum Entstehen von
DNA-Stücken mit einer Länge von
200 Basenpaaren und ganzzahligen
Vielfachen davon. Die Zellmembranstabilität geht verloren, und Ausstülpungen der Zelle (Zeiose) werden beobachtet. Schließlich werden membranumschlossene Säckchen abgeschnürt (Blebbing), die als apoptotische Körperchen bezeichnet werden.
Parallel dazu wird ein Verlust der
Membranasymmetrie beobachtet, der
zur Exposition von Phosphatidylserin
auf der Zelloberfläche führt. Im Gegensatz dazu ist die Nekrose durch ein
Anschwellen der Zelle (Oncose) charakterisiert. Dies führt zur Zerstörung
der Plasmamembran und zur Freisetzung des Inhalts des Zytosols und von
Zellorganellen in den interzellulären
Raum (Grafik 1). Eine inflammatorische Reaktion mit einhergehenden
Gewebeschädigungen, die man so nur
bei der Nekrose und nicht bei der
Apoptose sieht, ist die Folge.
Nematode als
Modellorganismus
Erste Hinweise auf die genetische Grundlage der Apoptose kamen aus der Entwicklungsbiologie.
Im Nematoden Caenorhabditis elegans wurden mehrere Gene, die die
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SUMMARY
Apoptose regulierend beeinflussen,
identifiziert (73). Während der Entwicklung dieses Wurms sterben genau
131 der 1 090 somatischen Zellen durch
Apoptose. Es sind immer Zellen der
gleichen Entwicklungslinie, die sterben und nicht verschiedene Zellen.
Durch Mutationsanalysen wurden
dann drei Gene identifiziert, die für
die Apoptose dieser Zellen wichtig
sind: ced-3 und ced-4 sind für die Ausführung der Apoptose essenziell,
während ced-9 die Aktivität von ced3 und ced-4 hemmt, und die Zellen
somit vor Apoptose schützt (42). Mit
egl-1 konnte später ein weiteres Gen
des Apoptoseprogramms identifiziert
werden (29). EGL-1 ist ein Apoptose
induzierendes Protein, das mit CED9 wechselwirken kann. So entwickelte
sich C. elegans als genetischer Modellorganismus zum Verständnis der
Apoptosemaschinerie, da analoge
Proteine zu CED-3, CED-4, CED-9
und EGL-1 auch in Säugerzellen
identifiziert werden konnten: CED-3
stellt eine Caspase, ein Protein spaltendes Enzym dar, während CED-4
homolog zu dem Adapter Apaf-1 ist
(234) und CED-9 und EGL-1 Homologien zu anti- beziehungsweise proapoptotischen Mitgliedern der Bcl-2Familie aufweisen (vide infra).
Deutsches Krebsforschungszentrum, Abteilung Immungenetik, INF 280, Heidelberg
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Todesrezeptoren
Mit CD95 (APO-1/Fas) wurde
1989 zum ersten Mal ein Zelloberflächenrezeptor beschrieben, der in
der Lage ist, Apoptose auszulösen (82,
144, 202, 228,). CD95 ist ein differenziell glykosyliertes Transmembranprotein mit einer molekularen Masse von
42 bis 52 kDa, das in den meisten Säugetiergeweben exprimiert wird (107,
219). Neben der Transmembranform
gibt es auch lösliche Formen des Re-
genannten Todesrezeptoren (Tabelle
1). Diese zeichnen sich dadurch aus,
dass sie Apoptose auslösen (155).
Strukturell wichtig für die Auslösung von Apoptose ist eine ungefähr
80 Aminosäuren lange intrazelluläre
Domäne der Todesrezeptoren, die
als Todesdomäne (Death Domain,
DD) bezeichnet wird (80, 198). Diese Domäne zeigt eine hohe Homologie bei allen Todesrezeptoren.
Todesrezeptoren wie CD95 und
TNF-R1 können durch agonistische,
Grafik 1
Necrosis
Die physiologische
Bedeutung der Apoptose
Apoptosis
Der Unterschied zwischen Necrosis und Apoptosis. Necrosis findet sich bei Zellschädigung, zum Beispiel durch
Hitze. Die Zellen schwellen an, es kommt zu Wassereinstrom, es bilden sich Löcher in der Zellmembran, das Zytoplasma fließt aus, und es kommt zu einer Entzündungsreaktion mit Einströmen von Granulozyten in das Nekrosegebiet. Die Apoptose ist die häufigste Form des Zelltodes im Organismus. Die Zellen zeigen zunächst wilde Bewegungen (das „boiling“-Stadium: boiling, kochend), dann wirft die Zelle verpackte Bläschen ab (das
„blebbing“-Stadium: blebbing, Bläschen werfend), der Zellkern zerreißt, das Chromatin kondensiert und die
Reste der Zellen werden sehr schnell von Fresszellen oder kannibalischen Nachbarzellen aufgenommen. Es
kommt nicht zu einer Entzündungsreaktion.
zeptors (Splice-Varianten). CD95 gehört zur NGF-/TNF-Rezeptorfamilie
(9, 181). Charakteristisch für diese Familie sind zwei bis sechs extrazelluläre
cysteinreiche Domänen. Die biologischen Effekte, die von den Rezeptoren dieser Familie vermittelt werden,
sind sehr unterschiedlich: Sie umfassen so verschiedene Prozesse wie Differenzierung, Proliferation, Aktivierung oder Apoptose (181).
Eine Subfamilie der NGF-/TNFRezeptorsuperfamilie bilden die so
die Expression von CD95L auf aktivierte T-, B-, und NK-Zellen, sowie
auf Zellen einiger nichtlymphoider
Organe wie Hoden (229) und die
vordere Augenkammer beschränkt
(64). Ferner wurde die Expression
von CD95L in verschiedenen neoplastischen Zellen gezeigt (67, 143,
187). Neben der membranständigen
wurde auch eine lösliche Form von
CD95L beschrieben, die dadurch
entsteht, dass eine Metalloprotease
CD95L oberhalb der Zellmembran
abschneidet (89, 121, 196).
stimulierende Antikörper aktiviert
werden. Unter physiologischen Bedingungen aber werden die Todesrezeptoren durch Bindung spezifischer
Liganden aktiviert. Wie die Rezeptoren bilden auch die Liganden (mit
Ausnahme von NGF) eine Familie,
die TNF-Familie (Tabelle 1). Der Ligand von CD95, CD95L (APO1L/FasL), ist ein glykosyliertes
Transmembranprotein mit einer molekularen Masse von 40 kDa (189,
194, 229). Im Gegensatz zu CD95 ist
Apoptose spielt eine fundamentale Rolle im Organismus. Sie ist verantwortlich für die Homöostase von
Geweben und für die Beseitigung von
alten, verletzten, mutierten oder „gefährlichen“ Zellen. Im Immunsystem
ist sie der Hauptmechanismus, über
den potenziell autoreaktive oder
nutzlose Immunzellen beseitigt werden. T-Zellen durchlaufen im Thymus die Prozesse der positiven und
negativen Selektion. Durch negative
Selektion findet die Eliminierung von
T-Zellen statt, deren T-Zell-Rezeptoren (TCR) mit Komplexen aus körpereigenen Peptiden und MHC reagieren und die damit potenziell autoreaktiv sind (51, 84, 92, 142, 212). Auf
ähnliche Weise werden im Knochenmark B-Zellen mit einem nichtfunktionellen B-Zell-Rezeptor durch
Apoptose beseitigt (146). Auch werden nach dem Gipfel einer Immunantwort aktivierte T-Zellen, die nicht
mehr benötigt werden, durch Apoptose eliminiert. Dies bezeichnet man
als aktivierungsinduzierten Zelltod
(Activation Induced Cell Death,
AICD) (28, 37, 154). Die Stimulation
des TCR auf bereits aktivierten TZellen führt zu einer verstärkten Produktion von CD95L, der an CD95
bindet. Dadurch wird Apoptose ausgelöst und die Zellen werden beseitigt (4, 18, 37, 86). Der AICD spielt
damit eine wesentliche Rolle bei der
Homöostase des Immunsystems. Des
Weiteren benutzen auch zytotoxische
T-Zellen das CD95-System, um virusinfizierte oder maligne entartete Zielzellen zu eliminieren (165). Ferner
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scheint das CD95-System auch an der gekennzeichnet sind. Außer bei gene- schädigen den Organismus durch SeHomöostase der Leber (1) beteiligt tischen Defekten des CD95-Systems kretion inflammatorischer Zytokine.
zu sein.
bei Maus und Mensch und den daAuch die Massenzunahme von
Bei Mäusen sind mehrere Mu- raus resultierenden Autoimmunphä- Tumoren ist erklärbar als die Summe
tationen im CD95-System beschrie- nomenen gibt es bisher noch keine di- von ungesteuertem Wachstum und
ben worden, die dessen Bedeutung rekten Hinweise auf seine Störungen reduziertem Zellsterben durch eine
verdeutlichen. Diese Mäuse zeigen bei Autoimmunerkrankungen. Da je- verminderte Apoptoserate. Hier
eine Vergrößerung von Lymphkno- doch das CD95-System an der Im- könnten intrazelluläre antiapoptotiten und Milz (Lymphadenopathie) munregulation und peripheren Selbst- sche Programme, die durch genetiund Autoimmunsymptosche Veränderungen aktiTabelle 1
me. Die lpr-Mutation (für
viert sind, die ApoptoseLymphoproliferation) beDie „Todesrezeptoren“ der TNF-Rezeptor-(TNF-R-)Familie und ihre sensitivität negativ beeintrifft CD95, dessen Expresflussen und bei der Tuentsprechenden Liganden (L)
sion durch die Insertion eimorentstehung und bei der
Rezeptor
Ligand
nes Transposons in das
Resistenzentwicklung von
zweite Intron des CD95Tumoren, zum Beispiel im
CD95
CD95L
Gens stark verringert wird
Verlauf einer ChemotheraTRAIL-R1-4, OPG
TRAIL (APO-2L)
(2, 26, 120, 219). Bei der
pie, mitwirken (67, 187).
OPG
TRANCE (RANKL/OPGL)
lprcg-Mutation wird die Sig„Zuviel“ Apoptose finTNF-RI, TNF-RII
TNFa, Lymphotoxin a (LTa)
naltransduktion von CD95
det sich zum Beispiel bei
LTb-R
LYMPHOTOXIN b (LTb)
durch einen Aminosäumanchen Erkrankungen der
CD40
CD40L (TRAP/gp39)
reaustausch in der TodesLeber (53, 95, 186). Es gibt
CD30
CD30L
domäne verhindert (125).
Hinweise, dass bei der HeCD27
CD27L (CD70)
Bei gld-Mäusen (Generalipatitis spezifische antivirale
4-IBB
4-IBBL
zed Lymphoproliferative
Killer-T-Zellen die vom ViOX 40
OX-40L (gp34)
NGF-R1
NGF
Disease) betrifft der Defekt
rus befallenen CD95-positiCD95L. Ein Aminosäureven Leberzellen angreifen
Itoh et al., 1991; Oehm et al., 1992; Loetscher et al., 1990; Schall et
austausch im extrazelluläund durch CD95L abtöten.
al., 1990; Smith et al., 1990; Dembic et al., 1990; Stamenkovic et al.,
ren Bereich von CD95L
In Bezug auf die Leberschä1989; Durkop et al., 1992; Camerini et al., 1991; Mallett et al.,
verhindert die Bindung des
digung durch Alkohol lässt
1990; Kwon et al., 1989; Radeke et al., 1987; Chinnaiyan et al.,
1996a; Bodmer et al., 1997; Kitson et al., 1996; Marsters et al.,
Liganden an den Rezeptor
sich spekulieren, dass toxi1996; Screaton et al., 1997b; Montgomery et al., 1996; Hsu et al.,
(193). Auch beim Menschen
sche Alkoholabbauproduk1997; Kwon et al., 1997; Nocentini et al., 1997; Yang et al., 1997b;
wurden Mutationen des
te ein Apoptoseprogramm,
Schneider et al., 1997; Pan et al., 1997; Walczak et al., 1997;
MacFarlane et al., 1997; Screaton et al., 1997a; Sheridan et al.,
CD95-Systems beschrieben
das zur Selbstzerstörung der
1997; Degli-Esposti et al., 1997a; MacFarlane et al., 1997; Sheridan
(50, 163). Sie führen wie
Leberzellen führt, anschalet al., 1997; Pan et al., 1997; Mongkolsapaya et al., 1998; Degli-Esposti et al., 1997b; Marsters et al., 1996; Pan et al, 1998; Anderson
die Mausmutationen zur
ten.
et al., 1997; Simonet et al., 19; Kwon et al., 1999; Pitti et al., 1998;
Ausbildung eines autoimAuch bei AIDS findet
Yu et al., 1999; Suda et al., 1993; Pennica et al., 1984; Shirai et al.,
mun-lymphoproliferativen
sich mit Progression der
1985; Wang et al., 1985; Gray et al., 1984; Browning et al., 1993;
Gauchat et al., 1994; Graf et al., 1992; Hollenbaugh et al., 1992;
Syndroms (ALPS) oder CaErkrankung eine gesteiSmith et al., 1993; Goodwin et al., 1993a; Godfrey et al., 1994;
nale-Smith-Syndrome, das
gerte Apoptose der LymGoodwin et al., 1993b; Chicheportiche et al.; 1997; Marsters et al.,
1998; Mauri et al., 1998; Wiley et al., 1995; Pitti et al., 1996; Andereine massive Lymphadenophozyten. Hier ist die Frason et al., 1997; Lacey et al., 1; Yasuda et al., 1998; Wong et al.,
pathie, die Akkumulation
ge, ob eine gesteigerte
1997; Hahne et al., 1998; Schneider et al., 1999; Shu et al., 1999;
von nichtmalignen T-ZelApoptose neben direktem
Harrop et al., 1998; Kwon et al., 1999; Mukhopadhyay et al., 1999.
len und Anzeichen von AuVirusbefall eine der Ursatoimmunität zeigt. Diese
chen für die T-HelferzellKrankheitsbilder und der Sterbede- toleranz beteiligt ist, könnte „zu we- depletion ist. Es gibt Hinweise darfekt der T-Lymphozyten verdeutli- nig“ Apoptose auch durch Störungen auf, dass bei HIV-infizierten Persochen, dass das CD95-System maß- im Bereich der Regulatormoleküle und nen die durch das CD95/CD95L-Sygeblich an der Apoptose im Immun- Signalmoleküle zustande kommen. stem vermittelte Apoptose krankDiese könnten eine defekte Signalge- haft gesteigert ist. Allerdings wurden
system beteiligt ist.
bung verursachen. Die Entstehung auch CD95-unabhängige Mechanisvon Autoimmunkrankheiten könnte men beschrieben, die zur verstärkten
man sich schließlich folgendermaßen Apoptose von Lymphozyten bei
Folgerungen für
vorstellen: Ständig präsente Auto- AIDS beitragen können. Die SteigePathomechanismen
antigene bewirken eine permanen- rung der CD95-vermittelten ApopDie Aufklärung der Funktion te Stimulation von autoreaktiven T- tose findet sich auch in solchen Zeldes CD95-Systems hat Konsequen- Zellen. Aufgrund der permanenten len, die nicht durch das Virus infizen für das Verständnis der Entste- Stimulation schalten die T-Zellen ziert sind. Generell ist bei HIV-infihung von Krankheiten, die durch „zu- den Apoptosesignalweg auf resistent, zierten Personen sowohl die Expresviel“ oder durch „zuwenig“ Apoptose können nicht mehr absterben und sion von CD95 auf T-Lymphozyten
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als auch die Produktion von CD95L
stark erhöht. In Modellsystemen mit
virusinfizierten T-Lymphozyten in
der Zellkultur konnte gezeigt werden, dass die Steigerung der CD95vermittelten Apoptose unter anderem durch eine durch virale Genprodukte erhöhte CD95L-Produktion
zustandekommt. Entscheidend hier-
sibilisiert die CD95-vermittelte Apoptose besonders in diesen Zellen. Das
molekulare Verständnis dieser Zusammenhänge lässt die Entwicklung
neuer therapeutischer Ansätze erhoffen. Noch ist keine direkte, ausreichend erfolgreiche Therapie zur
Eliminierung der infizierenden Viren in Sicht. Deshalb zielen solche
Schematische Abbildung der Apoptose-SigGrafik 2
nalwege in Typ-I- und Typ-II-Zellen. Trimerisierende CD95-Liganden (CD95L, rot) triCD95L
merisieren die CD95-Rezeptoren (CD95,
FADD
gelb) in der Zellmembran (grüner Strich).
CD95
MORT1
Die intrazellulären Todesdomänen (rot)
DISC
von CD95 interagieren mit den TodesCAP3
domänen des Adapters FADD/MORT1, was
dessen Anlagerung hervorruft. Ebenfalls
durch homologe Interaktion der Todesefc-FLIP
fektordomänen von FADD und ProcaspaseCASP-8 Bid
8 (dunkelblau) kommt es zur Bildung eiBcl-2
nes Proteinkomplexes, des den Tod induBcl-xL
zierenden Komplexes (DISC, Death Inducing Signalling Complex). Die Funktion eines weiteren DISC-Moleküls, Cap3, ist noch
Cyt c · Apaf-1
nicht geklärt. Das Proenzym (Zymogen)
Procaspase-8 wird am DISC autokatalytisch
CASP-9
CASP-8
CASP-3
gespalten und in das aktive Enzym (CaspaAIF
se-8) überführt. Die aktive Caspase-8 (Initiatorcaspase) ist ein Heterotetramer und
Todessubstrate
besteht aus jeweils zwei identischen kleinen und großen Untereinheiten (dunkelApoptose
und hellrosa). Aktive Caspase-8 aktiviert
weitere Caspasen, die Effektorcaspasen,
Typ I
Typ II
zum Beispiel Caspase-3. Die Effektorcaspasen spalten Todessubstrate, die zum morphologischen und biochemischen Bild der
Apoptose führen. DISC-Bildung und Apoptose können durch FLIP-Moleküle verhindert werden. Der Signalweg in
Typ-I-Zellen zeichnet sich durch eine reine Caspasenkaskade aus. Der Signalweg in Typ-II-Zellen benutzt Mitochondrien als Verstärker. Bei diesem Signalweg sind die DISC-Bildung und die Aktivierung von Caspase-8 reduziert. Die geringe Aktivität von Caspase-8 reicht aus, um das Molekül BID zu spalten, das zur „Aktivierung“ von
Mitochondrien führt, die Cytochrom C freisetzen. Dieses bildet mit Apaf-1 das Apoptosom. Am Apoptosom wird
Caspase-9 aktiviert; diese aktiviert ihrerseits Effektorcaspasen, wie Caspase-3. Die „Aktivierung“ der Mitochondrien, die Bildung des Apoptosoms und Apoptose können durch Moleküle wie Bcl-2 und Bcl-xL verhindert
werden. Ein dritter Signalweg über AIF ist noch nicht ganz aufgeklärt (wie im Text erläutert).
für ist das in virusinfizierten Zellen
produzierte Molekül Tat.
Tat kann von virusinfizierten TLymphozyten ausgeschieden und
von nichtinfizierten T-Zellen aufgenommen werden. Auch in diesen TZellen sensibilisiert Tat die CD95vermittelte Apoptose und könnte so
zum Tod und zur Depletion auch
nichtinfizierter aktivierter T-Zellen
beitragen. Ebenfalls verstärkend auf
diesen Vorgang wirkt sich der Effekt
eines Proteins der Virushülle, gp120,
aus. Das gp120 bindet an den CD4Rezeptor von T-Helferzellen und sen-
Ansätze darauf ab, durch Neutralisierung der Tat- oder gp120-Effekte
die CD95-vermittelte Apoptose auf
Normalmaß zu reduzieren (13, 32,
54, 108, 127, 220). Schließlich scheint
das CD95-System auch bei der Entwicklung von neurodegenerativen
Erkrankungen wie multipler Sklerose (31) beteiligt zu sein.
Das Ziel der Therapie bei allen
Erkrankungen mit „zuviel“ Apoptose ist das „Zuviel“ zurückzuschrauben. Bei den Erkrankungen mit „zuwenig“ Apoptose, wie bei Tumoren,
wäre der entgegengesetzte thera-
peutische Ansatz angezeigt, nämlich
Apoptoseresistenz zu brechen, Apoptosesensitivität wiederherzustellen
und so die Tumorzellen auszuschalten. Es ist zu erwarten, dass sich die
hier geschilderten therapeutischen
Ansätze auf der Basis des Verständnisses der molekularen Grundlagen
von Apoptose verwirklichen lassen.
Da das Apoptoseprogramm jedoch
ein in allen Körperzellen angelegtes
Programm ist, müssen Therapieansätze erdacht werden, mit denen
es gelingt, ein therapeutisches Fenster zu definieren, in dem im Wesentlichen kranke und nicht etwa gesunde Körperzellen erfasst werden.
Eine besondere Herausforderung
wäre es, Apoptose gezielt nur in
definierten Zellen zu verstärken
oder zu verhindern. Hierzu sind in
Zukunft Entwicklungen mit neuen
und originellen Konzepten erforderlich.
Die Signaltransduktion
von CD95
Da die CD95-vermittelten Signale am besten erforscht sind, soll
die Signalgebung über CD95 als Beispiel für die Signalwege, die von
anderen Todesrezeptoren ausgelöst
werden, dienen. Die Entdeckung
von spezifischen Rezeptoren, die
Apoptose auslösen, war die Grundlage zum Studium der zur Apoptose
führenden Signalwege. Die Struktur
des TNF-R1 im Komplex mit LTa lieferte erste Hinweise, wie das Todessignal ausgelöst wird. Es kommt zu
einer Trimerisierung von Rezeptoren durch die Liganden, was zur Weiterleitung des Todessignals in das Innere der Zelle führte (10). Vergleichende Modellstudien ergaben, dass
CD95 und andere Familienmitglieder ebenfalls durch ihre trimerisierten Liganden in eine Dreierkonformation gebracht werden (152).
Funktionelle Studien ergaben, dass
ein CD95-Dimer keine Apoptose
auslösen kann, wohingegen ein multimerisierter Rezeptor in der Lage
ist, das apoptotische Signal in die
Zelle weiterzuleiten (36). Daraus
kann geschlossen werden, dass das
erste Signal zur Apoptoseinduktion
durch CD95 eine Trimerisierung
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oder eine Multimerisierung des Rezeptors darstellt. Dies kann entweder durch die Bindung von CD95L
oder von agonistischen, stimulierenden Antikörpern (202) ausgelöst
werden.
Der den Tod induzierende
Signalkomplex
Die Aggregation der Todesdomänen von CD95 ist für die Übermittlung des apoptotischen Signals
essenziell (77, 80). Da der intrazelluläre Teil von CD95 selbst keinerlei
enzymatische Funktion aufweist,
muss das Signal durch rezeptorassoziierte Moleküle übertragen werden.
Die Identifizierung von Proteinen,
die stimulationsabhängig nur an
kreuzvernetztes CD95 binden, hat
dieses Konzept bestätigt (91). So
konnte gezeigt werden, dass verschiedene Proteine nur an durch
CD95L (Grafik 2) stimulierte CD95Rezeptoren (Grafik 2) binden. Der
Komplex zwischen aktivierten CD95Rezeptoren und den assoziierten Signalmolekülen wurde „den Tod induzierender Signalkomplex“ genannt
(DISC, Death Inducing Signalling
Complex) (Grafik 2).
Die Bildung des DISC ist wie
die Signaltransduktion von intakten
Todesdomänen (rot intrazellulär in
den gelben CD95-Rezeptoren und in
FADD/MORT1 Grafik 2) abhängig
(91). Damit war eine erste Korrelation
zwischen der Bildung des DISC und
der Übertragung des apoptotischen
Signals gegeben. Zunächst werden die
Adapter FADD/MORT1 in den DISC
rekrutiert. Dies passiert durch homologe Interaktion der Todesdomäne
(Death Domain, DD) von FADD
mit den DD von trimerisierten
CD95-Rezeptoren. FADD hat aber
auch noch eine so genannte Todeseffektordomäne (dunkelblau, Death
Effector Domain, DED). Damit attrahiert es Procaspase-8 (ein Eiweiß
spaltendes Enzym; vide infra) in den
DISC. Dies geschieht wieder durch
homologe Interaktion mit der DED
(dunkelblau) von Procaspase-8. Dieses Proenzym (Zymogen) wird nun
autokatalytisch gespalten und am
DISC in aktives Enzym, die Caspase-8, überführt. Dies ist die erste
Tabelle 2
Mitglieder der Caspasen-Familie
Caspase-1
ICE
Caspase-2
ICH-1, Nedd-2
Caspase-3
CPP-32, Yama, Apopain
Caspase-4
ICH-2, TX, ICE-rel-II
Caspase-5
ICE-rel-III, TY
Caspase-6
Mch2
Caspase-7
Mch3, ICE-LAP3,
CMH-1
Caspase-8
FLICE, MACH, Mch5
Caspase-9
Mch6, ICE-LAP6
Caspase-10
Mch4, FLICE2
mCaspase-11 mICH-3, mCASP-11
mCaspase-12 mCASP-12
Caspase-13
Die FLIP-Moleküle
ERICE
Caspase-14
Cerretti et al., 1992; Thronberry et al.,
1992; Kumar et al., 1994; Wang et al.,
1994; Tewari et al., 1995; Fernandes-Alnemri et al., 1994; Nicholson et al., 1995;
Faucheu et al., 1995; Kamens et al., 1995;
Munday et al., 1995; Munday et al., 1995;
Faucheu et al., 1996; Fernandes-Alnemri
et al., 1995a; Fernandes-Alnemri et al.,
1995b; Duan et al., 1996a; Lippke et al.,
1996; Muzio et al., 1996; Boldin et al.,
1996; Fernandes-Alnemri et al., 1996;
Duan et al., 1996b; Srinivasula et al., 1996;
Fernandes-Alnemri et al., 1996; Vincenz
et al., 1997; Wang et al., 1996; Van de Craen et al., 1997; Van de Craen et al., 1997;
Humke et al., 1998; de Craen et al., 1998;
Hu et al., 1998; Ahmad et al., 1998.
Caspase einer Caspasenkaskade,
weswegen sie auch Initiatorcaspase
genannt wird. Die aktive Caspase-8
spaltet und aktiviert dann weitere
Caspasen wie zum Beispiel Caspase3 (Effektorcaspasen), die schließlich
zelluläre Substrate (Todessubstrate)
spalten. Die Spaltung dieser zellulären Substrate bestimmt das morphologische und biochemische Bild
der Apoptose. Zu diesen Substraten
gehören viele Proteine, unter anderem Proteine des Zellgerüsts wie Aktin und Plectin. Kein Wunder also,
dass die Zelle bei der Apoptose in so
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spektakulärer Weise stirbt (vide supra). Darüber hinaus spalten und inaktivieren die EffektorcaspasenProteine, die DNA-spaltende Enzyme (Endonukleasen) hemmen. Dies
bewirkt, dass diese Enzyme jetzt in
den Zellkern wandern und dort die
DNA „geordnet“ zerstückeln, nämlich zwischen den DNA-Schutzproteinen, den Nukleosomen. Da diese
auf der DNA in definierten Abständen aufgereiht sind, stellt sich die
zerstückelte DNA bei biochemischer Analyse auf einem Gel in charakteristischer Weise als „DNA-Leiter“ dar (5, 16, 23, 24, 41, 43, 46, 68,
76, 85, 113, 114, 139, 166).
Die hier beschriebenen DISCMoleküle interagieren mit einigen
weiteren Molekülen im DISC, deren
Funktion unklar ist. Dennoch sind
wahrscheinlich die wesentlichen
Komponenten der CD95-vermittelten Signalkette aufgeklärt.
CD95-Rezeptoren sind auf den
meisten Zellen exprimiert, und das
Apoptoseprogrammm ist den meisten Zellen inhärent. Dies ist eine
gefährliche Situation, die bedingt,
dass die Auslösung von Apoptose
streng reguliert werden muss und
dass es potente inhibitorische Mechanismen geben muss. Modulation
und besonders Hemmung von
Apoptose kann auf vielen verschiedenen Ebenen stattfinden. Nur zwei
sollen hier diskutiert werden. Eine
Ebene sind die Mitochondrien, an
denen Mitglieder der Bcl-2-Familie
wirken (vide infra). Allgemein existiert das Prinzip der Mehrfachsicherung. Daher ist eine andere Ebene
der Sicherung die des DISC, also direkt am Beginn der Apoptosesignalkaskade.
Unter dem Namen FLIP (Grafik
2), Casper, I-FLICE, FLAME-I,
CASH, CLARP, MRIT und Usurpin
wurden Moleküle beschrieben, die
eine Homologie mit der DED zeigen
und deren pro- oder antiapoptotische Funktion noch nicht ganz geklärt ist. Werden die FLIP von Viren (zum Beispiel Herpes Virus) gemacht, heißen sie v-FLIP (v für viral), werden sie von Zellen gemacht,
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AKTUELL
heißen sie c-FLIP (c für cellular). CFLIP gibt es als c-FLIPs (s für short)
und c-FLIPl (l für long). In artifiziellen Systemen in der Gewebekultur,
experimentell überexprimiert in Zellen, aber vielleicht auch natürlich in
Geweben, verhindern sie die Apoptose, indem sie die Rekrutierung von
Caspase-8 in den DISC und deren
Aktivierung verhindern (FLIP steht
für FLICE [dem ursprünglichen Namen von Caspase-8] Inhibitory Protein). Vielleicht gebrauchen Viren
die v-FLIP, um Apoptose zu verhindern, und um damit eine Virusproduktion zu erhalten. Mit Sicherheit sind die c-FLIPs wichtige Modulatoren der Apoptose, die zum Beispiel von Tumoren hergestellt in gefährlicher Weise in den Tumorzellen
Apoptose verhindern (79, 162, 168).
scher Stimuli beschrieben. Darüber
hinaus ist Granzym B, eine Serinprotease, die zytotoxische T-Lymphozyten als Effektormolekül einsetzt,
in der Lage, Caspasen in Zielzellen
von Killerzellen zu aktivieren, um
damit die Signalkette zu deren Abtötung anzustoßen (52).
Die Inhibition von Caspasen
blockiert die meisten Formen von
Apoptose. Caspasen nehmen daher
eine wesentliche Rolle in der
Apoptose ein. Mit der Identifizierung von Caspase-8 war zum ersten
Mal die Verbindung zwischen Todesrezeptoren und Caspasen hergestellt.
Bisher war es jedoch noch nicht ge-
Die Klonierung des C.-elegansGens ced-3 ergab, dass CED-3 Homologien zu der menschlichen Protease ICE aufweist (230). Dies war
der erste Hinweis, dass Proteasen bei
der Induktion von Apoptose beteiligt sind. Bis heute sind mindestens
14 verschiedene ICE-homologe Proteasen aus Mensch und Maus identifiziert worden, die sich in verschiedene Gruppen aufteilen (Tabelle 2,
Grafik 3).
Aufgrund eines Cysteins im aktiven Zentrum und der besonderen
Spezifität dieser Proteasen, nach einem Aspartat zu spalten, wurden sie
Caspasen (Cystein-Aspartasen) genannt (5). Caspasen werden als inaktive Enzymvorstufen, also als Zymogene, synthetisiert. Die Aktivierung
der Caspasen geschieht durch proteolytische Spaltung nach definierten Aspartatresten. Dies führt zur
Freisetzung einer großen und einer
kleinen aktiven Untereinheit (Grafik 3). Auf der großen Untereinheit
liegt das aktive Zentrum. Analysen
der Kristallstruktur von Caspase-1
und Caspase-3 ergaben, dass das aktive Enzym aus zwei großen und zwei
kleinen Untereinheiten in Form eines a2b2-Heterotetramers aufgebaut
ist (131, 164, 214, 222).
Die Aktivierung von Caspasen
wurde für eine Vielzahl apoptoti-
Die Bcl-2-Familie
Eine prominente Rolle in der
Regulation der Apoptose spielen die
Proteine der Bcl-2-Familie, deren
Namensgeber ursprünglich das On-
Grafik 3
inaktives Zymogen
Pro-Caspase
mCaspase-12
Caspase-13 (ERICE)
Die Caspasen-Familie
sistent gegenüber CD95-vermittelter
Apoptose sind (207).
Berichte über einen direkten
Zusammenhang von Caspasenaktivität mit bestimmten Krankheitsbildern liegen seit kurzem für M. Alzheimer und Caspase-3 (56) sowie
Chorea Huntington und Caspase-1
vor (145).
QACRG
p10
p20
Caspase-5 (ICErei-III, TY)
Caspase
oder GrzB
Caspase-4 (TX, ICH-2, ICErei-II)
mCaspase-11 (ICH-3)
Autoproteolyse
des Intermediats
Caspase-1 (ICE)
Caspase-7 (Mch3, ICE-LAP3, CMH-1)
Caspase-3 (CPP32,Yama, apopain)
Caspase-6 (Mch2)
Prädomäne
Caspase-8 (FLICE, MACH, Mch5)
Caspase-10 (Mch4/FLICE2)
aktives Enzym
(p20/p10)2
Tetramer
Caspase-2 (ICH-1)
Caspase-9 (ICE-LAP6, Mch6)
Die Familie der Caspasen. Links: Darstellung der bekannten Mitglieder der Caspasen-Familie gemäß ihrer aus
der Ähnlichkeit abgeleiteten Verwandtschaft. Rechts: Allgemeines Aktivierungsschema der Caspasen. Die Spaltung zwischen der großen und der kleinen Untereinheit führt zur autoproteolytischen Freisetzung der Prodomäne und zur Bildung des aktiven Enzyms, eines Heterotetramers aus je zwei kleinen und zwei großen Untereinheiten. Caspasen können durch „Triggering“ der Todesrezeptoren, wie CD95 (siehe Grafik 2), oder durch
Granzym B (GrzB) in Zielzellen von Killerzellen aktiviert werden.
lungen, eine einzelne Caspase als essenziellen Teil der Apoptosemaschinerie zu identifizieren. So zeigen
Caspase-3-defiziente Mäuse keinen
generellen Apoptosedefekt (100).
Dies verdeutlicht, dass aufgrund der
großen Anzahl von Caspasen eine
gewisse Redundanz auf der Effektorebene besteht, sodass eine Caspase
das Fehlen einer anderen Caspase
ausgleichen kann. Im Gegensatz dazu spielt Caspase-8 als Bindeglied
zwischen Todesrezeptoren und Effektorcaspasen eine essenzielle Rolle, da Caspase-8-defiziente Zellen re-
kogen bcl-2 war, das als Folge einer chromosomalen Translokation
in follikulären B-Zell-Lymphomen
überexprimiert ist (203). Im Gegensatz zu anderen Onkogenen besteht
die Funktion von Bcl-2 nicht darin,
Proliferation zu stimulieren, sondern
Zellen vor Apoptose zu schützen
(71, 208). Die Familie der Bcl-2-ähnlichen Proteine umfasst antiapoptotische Moleküle (Bcl-2, Bcl-xL, Bclw, Mcl-1, A1/Bfl-1) und Moleküle,
die Apoptose auslösen oder verstärken können (Bax, Bak, Bcl-xS, Bad,
Bid, Bik, Bim, Hrk, Bok) (30, 97).
Deutsches Ärzteblatt 97, Heft 25, 23. Juni 2000 A-1757
M E D I Z I N
AKTUELL
Die Funktion von Bcl-2 wird durch
die Entdeckung unterstrichen, dass
CED-9 aus C. elegans und Bcl-2 sowohl homologe Proteine als auch
funktionell austauschbar sind (70).
Ebenso weist das C.-elegans-Protein
EGL-1 Homologien mit den proapoptotischen
Bcl-2-Familienmitgliedern wie Bik, Bid oder Bad auf
(29). Obwohl bisher viele Funktionen für Bcl-2 beschrieben sind, ist
der genaue Grund für die antiapoptotische Wirkung dieses Proteins
bisher unverstanden. Bcl-2 besitzt eine Transmembran-Domäne am CTerminus, die zu einer Insertion in
die äußere Mitochondrienmembran,
die Kernmembran und das Endoplasmatische Retikulum führt (83, 96,
132). Durch Deletion dieser Domäne
verliert Bcl-2 weitgehend seine antiapoptotische Wirkung (197).
Die Proteine der Bcl-2-Familie
können miteinander interagieren
(216). Die Signifikanz der Dimerisierung ist bis heute noch unklar. Strukturanalysen von Bcl-xL ließen eine
Ähnlichkeit mit porenbildenden
bakteriellen Toxinen erkennen (136,
151). Eine porenbildende Aktivität
in künstlichen Membranen wurde
für Bcl-2, Bcl-xL und Bax gezeigt (7,
130, 171). Die Verbindung zwischen
dieser Funktion von Bcl-2 und der
Inhibition von Apoptose ist allerdings weitgehend unverstanden.
Dass die Porenbildung und die Heterodimerisierung bei der Regulation der Apoptose unabhängig voneinander eine Rolle spielen, wurde
für Bcl-xL berichtet (129).
Für Bcl-2 gibt es widersprüchliche Berichte über seine Fähigkeit,
CD95-vermittelte Apoptose zu inhibieren. Die Berichte reichen von Inhibition (8, 87, 106, 119, 195, 206)
über einen partiellen Effekt (15, 81,
128) bis hin zu keiner beobachteten
Wirkung von Bcl-2 auf CD95-vermittelte Apoptose (23, 25, 77, 128,
135, 188, 191). Neuere Ergebnisse
zeigen, dass Bcl-2 die Signalgebung
in so genannten Typ-I-Zellen (Grafik 2), die auf der oben beschriebenen Caspasenkaskade beruht, nicht
hemmt (167, 169). Wohl aber hemmt
es die Signalgebung in so genannten
Typ-II-Zellen (Grafik 2), bei denen
(vide infra) die Mitochondrien im
Mittelpunkt stehen. Hiermit be-
kommt auch die Lokalisation von
Bcl-2 in der Mitochondrienmembran
einen Sinn.
In Typ-II-Zellen ist die DISCBildung und die Caspase-8-Aktivierung aus bisher unbekannten Gründen nicht ausreichend, um eine Caspasenkaskade zur Apoptosesignalgebung zu ermöglichen. Das hier zu
beobachtende Signal muss also verstärkt werden. Dies geschieht durch
Spaltung von BID, einem Mitglied
der Bcl-2-Familie, und Überführung
in gespaltenes BID (65, 109, 116).
Das gespaltene BID „aktiviert“ nun
die Mitochondrien (vide infra), die
Cytochrom C freisetzen, das komplexiert mit zytoplasmatischem
APAF-1 und ATP das „Apoptosom“
bildet, das zur Attraktion und Aktivierung von Caspase-9 führt (Grafik
2), die schließlich weitere Effektorcaspasen, zum Beispiel Caspase-3,
aktiviert. Insgesamt spielen also bei
diesem Apoptosesignalweg die Mitochondrien eine wesentliche Rolle
(167, 183). Dies wird im Folgenden
näher erläutert.
Die Rolle der
Mitochondrien
Neuere Studien haben Mitochondrien zu einem zentralen Bestandteil der Apoptose gemacht
(98). So kann während der Apoptose
ein Abfall des mitochondrialen
Transmembranpotenzials
(❧ym)
noch vor der DNA-Fragmentierung
beobachtet werden (156, 232). Verursacht wird dieser Abfall des Transmembranpotenzials durch einen
Vorgang, den man Permeabilitätstransition (PT) nennt und der durch
das Öffnen von Poren der inneren
Mitochondrienmembran
gekennzeichnet ist (12). Diese Poren sind
permeabel für Moleküle bis zu einem Molekulargewicht von circa
1500 Da. Die molekulare Zusammensetzung der PT-Poren ist noch
nicht vollständig bekannt, doch wurde eine Beteiligung von Hexokinase,
Cyclophilin D, dem Adeninnucleotid-Translocator (ANT) sowie dem
spannungsabhängigen Anionenkanal (VDAC) gezeigt (97). Eine
Blockierung der PT-Bildung hemmt
verschiedene Formen der Apoptose
A-1758 Deutsches Ärzteblatt 97, Heft 25, 23. Juni 2000
(97, 157). Dies bezieht sich sowohl
auf den Signalweg in Typ-II-Zellen
als auch auf den im Folgenden beschriebenen Signalweg, bei dem AIF
eine Rolle spielt. Mit AIF (Apoptosis Inducing Factor) konnte ein Faktor isoliert werden, der eine DNAFragmentierung in Zellkernen auszulösen vermag (190, 192). AIF besitzt
Proteaseaktivität und ist in der Lage,
Caspase-3-ähnliche Caspasen zu aktivieren (Grafik 2). Ferner verursacht AIF eine Chromatinkondensation sowie die Exposition von Phosphatidylserin auf der Außenseite der
Plasmamembran.
Ein weiterer Faktor, der von
„apoptotischen Mitochondrien“ freigesetzt wird, ist Cytochrom c (112).
Dies ist ein essenzieller Bestandteil
der mitochondrialen Atmungskette,
der Elektronen von der Cytochromc-Reduktase auf die Cytochrom-cOxidase überträgt. Cytochrom c ist
mit der inneren Mitochondrienmembran auf der Seite des Intermembranspalts assoziiert. Das Cytochrom-cApoprotein wird im Zytoplasma synthetisiert und gelangt über einen speziellen Mechanismus in die Mitochondrien, wo es seine Hämgruppe
erhält und zum komplett gefalteten
Holocytochrom c wird. Dieses Holoprotein kann unter normalen Umständen den Intermembranspalt nicht
mehr verlassen. Bei der Induktion
von Apoptose über den CD95-Rezeptor in Zellen, die den Typ-II-Signalweg beschreiten, trägt Cytochrom
c, in das Zytoplasma freigesetzt (wie
oben beschrieben), zur Caspasenaktivierung bei.
Mit dem Verständnis dieses Prozesses konnte den Mitgliedern der
Bcl-2-Familie eine neue Rolle in der
Regulation der Apoptose zugewiesen werden: So sind die antiapoptotischen Bcl-2-Familienmitglieder in
der Lage, PT-Bildung und die Freisetzung von AIF und Cytochrom c
aus Mitochondrien zu hemmen (94,
191, 192, 225, 233). Die Grundlage
für den Bcl-2-vermittelten, generellen Schutz von Mitochondrien vor
apoptotischen Veränderungen ist
noch unklar. Jedoch könnte die
Fähigkeit von Bcl-2 und Bcl-xL, Poren in Membranen zu bilden, und die
teilweise Lokalisation dieser Proteine in der äußeren Mitochondrien-
M E D I Z I N
AKTUELL/FÜR SIE REFERIERT
membran mit dieser Funktion verknüpft sein (231). Für das proapoptotische Familienmitglied Bax
konnte eine direkte Interaktion mit
einem an der PT-Porenbildung beteiligten Molekül nachgewiesen werden, die als essenziell für die PT-Bildung postuliert wird (124).
Der Mechanismus der Cytochrom-c-induzierten Caspasenaktivierung wurde mittels zellfreier Systeme aufgeklärt und führte zu der
Identifizierung des menschlichen
CED-4 Homologs Apaf-1 (234).
Cytochrom c bindet an Apaf-1, welches unter Verbrauch von ATP zur
Aktivierung von Caspase-9 führt
(110, 160, 183), was die Aktivierung
weiterer Caspasen zur Folge hat und
letztlich zur DNA-Fragmentierung
führt.
Resümee
Es gibt mehrere Apoptosesignalwege mit folgenden Signalschritten: Erstens einen Signalweg mit Todesrezeptoraktivierung, DISC-Bil-
dung, Caspasenkaskade und Spaltung zellulärer Substrate (in Typ-IZellen), zweitens einen Signalweg
mit „wenig“ DISC-Bildung, einer
Signalamplifikation über BID (gespalten) aktivierte Mitochondrien,
der Bildung eines Apoptosoms und
folgender Effektorcaspasenaktivierung (in Typ-II-Zellen) und drittens
einen Signalweg, bei dem AIF aus
den Mitochondrien freigesetzt wird,
das Caspasen-unabhängig wirkt. Es
ist anzunehmen, dass noch weitere
Apoptosesignalwege als die hier geschilderten, existieren. Da wir diese
aber bis jetzt nicht verstehen, ist zu
erwarten, dass sich die Forschungsaktivität in Zukunft auf diese konzentriert. Die Aufklärung der Signalwege und die Charakterisierung
der bei ihnen wichtigen molekularen
Interaktionsmechanismen hat Konsequenzen für die Erklärung der Pathogenese vieler Erkrankungen.
Darüber hinaus stehen uns nun Moleküle aus den Signalwegen zur Verfügung, die das Ziel therapeutischer
Interaktionen sein können. Hierbei
könnten niedermolekulare Substan-
Blasenkarzinom: Neoadjuvante
Chemotherapie enttäuschend
Therapie der Wahl beim Transitionalzellkarzinom der Blase ist die stadiengerechte radikale Zystektomie oder
die externe Hochdosis-Strahlentherapie. Eine Multicenterstudie untersuchte den Wert einer neoadjuvanten Chemotherapie des Transitionalzellkarzinoms. Randomisiert kontrolliert wurden vor der Operation oder Bestrahlung 485 Patienten mit drei Zyklen einer Polychemotherapie (Cisplatin, Methotrexat, Vinblastin) behandelt, 491
Patienten erhielten keine Chemotherapie. Die neoadjuvante Chemotherapie
führte zu einer Verbesserung der DreiJahres-Überlebenszeit um 5,5 Prozent
von 50,0 auf 55,5 Prozent. Die mittlere
Überlebenszeit stieg durch die Chemotherapie von 37,5 auf 44 Monate. Interessanterweise wiesen 32,5 Prozent der
nach Chemotherapie entfernten Blasen bei der histopathologischen Aufarbeitung kein Tumorgewebe mehr auf.
Die Verbesserung der klinischen Ergebnisse durch die neoadjuvante Chemotherapie ist jedoch nach Ansicht der
Autoren nicht ausreichend, um es als
neue Standardtherapie beim Transitionalzellkarzinom zu empfehlen.
acc
International collaboration of trialists:
neoadjuvant cisplatin, methotrexate, and
vinblastine chemotherapie for muscle-invasive bladder cancer: a randomised controlled trial. Lancet 1999; 354: 533–540.
BA06/30894 Trial, Cancer Division, Clinical Trial Unit, 282 Euston Road, London
NW1 2DA, England.
Ursodesoxycholsäure
bei Hepatitis C
Bei Patienten mit einer chronischen Autoimmun-Hepatitis findet
man häufig eine Hypergammaglobulinämie und verschiedene Autoanti-
zen von Nutzen sein, die die Interaktion der Signalmoleküle entweder
abschwächen oder verstärken. Solche Substanzen würden dann die
Apoptose abschwächend oder verstärkend modulieren. Wenn es dann
noch gelänge, sie gezielt oder selektiv einzusetzen, könnten Erkrankungen mit „zu wenig“ oder „zu viel“
Apoptose positiv beeinflusst werden.
Zitierweise dieses Beitrags:
Dt Ärztebl 2000; 97: A-1752–1759
[Heft 25]
Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf
das Literaturverzeichnis, das über den Sonderdruck beim Verfasser und über das Internet (www.aerzteblatt.de) erhältlich ist.
Anschrift des Verfassers
Prof. Dr. med. Peter H. Krammer
Abteilung Immungenetik
Deutsches Krebsforschungszentrum
Im Neuenheimer Feld 280
69120 Heidelberg
E-Mail:
[email protected]
körper; ein ähnlicher Befund ist jedoch
auch nicht selten bei Patienten mit
chronischer Hepatitis C zu erheben.
Die Autoren untersuchten den Einfluss
von 600 mg Ursodesoxycholsäure, für
ein Jahr verabreicht, auf verschiedene
Laborparameter bei Patienten mit einer autoimmunassoziierten chronischen Hepatitis C. AST (GlutamatOxalactat-Transaminase), ALT (Glutamat-Pyruvat-Transaminase) und Gamma-GT (Glutamat-Transferase) sowie
die ANA-(antinukleäre Antikörper-)
und ASMA-(Antikörper gegen glatte
Muskulatur-)Titer nahmen unter der
Therapie mit Ursodesoxycholsäure signifikant ab, sodass die Autoren empfehlen, bei einer autoimmunassoziierten chronischen Hepatitis C einen Therapieversuch mit Ursodesoxycholsäure
zu unternehmen.
w
Nakamura K, Yoneda M, Takamoto S et
al.: Effect of ursodeoxycholic acid on autoimmune-associated chronic hepatitis C. J
Gastroenterol Hepatol 1999; 14: 413–418.
Second Department of Medicine, Asahikawa Medical College, Asahikawa, Japan
Deutsches Ärzteblatt 97, Heft 25, 23. Juni 2000 A-1759
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