Konsum und Nachhaltigkeit. Zwischen Routine, Technik, Lebensstil und Moral Karl-Werner Brand TU München, Fachgebiet Soziologie Vortrag auf der Tagung „Konsum und Nachhaltigkeit“ des Deutschen Jugendinstituts und der Sektion Umweltsoziologie der DGS am 2./3. Mai 2011, München Inhalt 1. Nachhaltigkeit – und warum Konsum eine Rolle spielt 2. Konsum in modernen Konsumgesellschaften + aktuelle Konsumtrends „Moralischer Konsum“: „Shopping for a better world“? 3. Konsum unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten „systemisches“ Verständnis von Konsum („Konsum im Kontext“) 4. Praktische Folgen für die Fördermöglichkeiten nachhaltigen Konsums (und deren Probleme) 5. Theoretische Folgen für die Analyse der Probleme und Chancen nachhaltigen Konsums integratives, praxistheoretisches Modell 6. Welche Perspektiven ergeben sich daraus für die Veränderung von Konsumpraktiken? Nachhaltigkeit (Nachhaltige Entwicklung) „Nachhaltige Entwicklung“ = neues, globales Modell gesellschaftlicher Entwicklung, das die ökologischen & sozialen Defizite des bisherigen industriellen Fortschritts- und Wachstumsmodells korrigieren will. Gefordert wird „a new approach in which all nations aim at a type of development, that integrates production with resource conservation and enhancement, and that links both to the provision for all of an adequate livelihood base and equitable access to resources“ (WCED 1987: 39f) Anthropozentrischer Fokus (Grundbedürfnisansatz) Globale, integrative Problemperspektive (Umwelt- und Armutsprobleme) Betonung des inter- und intragenerativen Gerechtigkeitsprinzips Leitbild „nachhaltiger Entwicklung“ = zugleich kontrovers strukturiertes Diskursfeld (Gewichtung ökol./soz./ökon. Aspekte; starke/schwache Nachhaltigkeit; Liberalisierung/Eingrenzung des Markts; Effizienz- vs. Suffizienzstrategien; wirtschaftl. Wachstum vs. Postwachstumsökonomie) Nachhaltigkeit „… and why consumption matters“ • Weltweit ist der private Konsum von Gütern und Dienstleistungen in den vergangenen Jahrzehnten drastisch gestiegen (1960: 4.8 Bill $ 2006: 30,9 Bill $). • Allerdings: sehr ungleiche Verteilung & Entwicklungsdynamik des Wohlstands – USA/CAN: 31,5% ; Westeuropa: 28,7%; Lateinamerika: 6,7%; Osteuropa + Ostasien: 3,3% – Wachsende Konsumentenklasse (> 7000 $/Jahr): ca. die Hälfte lebt in EL da Anteil der KK an Bevölkerung in Schwellen/EL viel geringer (in China/Indien 16% - in Westeuropa 89%), ist auch der Nachholbedarf gewaltig Auch innerhalb der IL + EL hohe Disparitäten im Ressourcenverbrauch (Nachhaltiger Konsum eng mit Armuts- und Gerechtigkeitsfragen verknüpft.) • Wachsender Konsum an Gütern und Dienstleistungen ist mit wachsendem Energie- und Materialverbrauch + parallel mit steigenden Umweltbelastungen & Gesundheitsschäden verbunden • Verlagerung der Konsumgüterproduktion in Schwellen- und EL führt auch zur Emissionsverlagerung Emissionsreduktionen bei uns durch steigende Emissionen in EL erkauft !! • Insgesamt lassen sich in westlichen Industrieländern – bei aller Unschärfe der Zurechnung – ca. 40% der Emissionen dem Energieverbrauch privater Haushalte zurechnen (Reusswig et al. 2004). Veränderung der Konsumstile & Konsumformen ist notwendig! “sustainable consumption” Nachhaltiger Konsum – ein „fuzzy concept“ „umweltverträglicher“ Konsum „sozialverträglicher“ Konsum Nachhaltiger Nachhaltiger Konsum Konsum globale Perspektive Langfristperspektive Obwohl im einzelnen ähnlich kontrovers wie das Leitbild „nachhaltige Entwicklung“, sind die ‚handlichen‘ Operationalisierungen doch wenig strittig (weniger Energieverbrauch, mehr erneuerbare Energien, weniger Autofahren, mehr Bio, weniger Fleisch, zertifizierte Produkte, Fair Trade, keine Ausbeutung & Kinderarbeit etc. – vgl. „Nachhaltiger Warenkorb“) Die Frage ist: Wie ist das zu erreichen? Wie entwickeln und verändern sich ganz generell Konsummuster? Wie lässt sich das steuern? Ist „nachhaltiger Konsum“ anschlussfähig an zentrale Trends moderner Konsumgesellschaften – oder nicht? Konsum (in modernen Konsumgesellschaften) „Konsum“ hat historisch variierende Bedeutung: • Mit Herausbildung des modernen Kapitalismus erhalten Arbeit und „methodische Lebensführung“ einen zentralen Stellenwert; Konsum, Genuss, Müßiggang gelten in diesem Rahmen zunächst als verwerflich („protestantische Ethik“). • Mit der Verbreitung preiswerter Massenproduktion von Konsumgütern im 20. Jahrhundert und wachsendem Wohlstand („Fordismus“) wird Konsumieren zunehmend positiv bewertet. Freizeit und Konsum erhalten einen zentralen ges. Stellenwert. Gesamtwirtschaftlich gilt Konsum als Garant für Wachstum und Beschäftigung. Sozial wird die Teilhabe am Konsum zu einer wesentlichen Voraussetzung gesellschaftlicher Integration. Das Selbstwertgefühl der Menschen wird zunehmend von ihrer Rolle als „Konsumenten“ (mit)bestimmt. Merkmale moderner Konsumgesellschaften • Bereitstellung eines reichhaltigen, immer weiter ausdifferenzierten Warensortiments weit über die ‚lebensnotwendigen Güter‘ hinaus • Zunehmende Kommodifizierung gesellschaftlicher Bedürfnisbefriedigung (mithilfe von Waren und Dienstleistungen) • Entwicklung komplexer Kommunikationssysteme, die Waren mit Bedeutung versehen und Bedürfnis nach ihnen wecken (Werbung, Marketing) • Gebrauchswert der Güter verliert für die Konsumenten an Bedeutung, ihre symbolische Bedeutung wächst (Distinktions-, Differenzierungsund Identitätsfunktion etc.) – das ist nicht unbedingt neu, galt früher aber nur für die Oberklassen („demonstrativer Konsum“) Aktuelle Konsumtrends • Globalisierung des Konsums (in Bezug auf Produkte, Herstellungs- und Vertriebsketten, Marken, Zirkulation symbolischer Bedeutungen) • Moderner Massenkonsum fördert auf der einen Seite die Konvergenz von Konsummustern („McDonaldisierung“), auf der anderen Seite eine neue Ausdifferenzierung von Lebensstilen, die ihre Identität durch die symbolische Bedeutung bestimmter Muster des (Nicht)-Kaufs und Gebrauchs von Konsumgütern und Dienstleistungen gewinnen • Hochgradige Ausdifferenzierung des Warenangebots für alle Marktsegmente und gesellschaftlichen Nischen sowie Ausweitung der Mode auf nahezu alle Konsumgüter. Ästhetisierung und Emotionalisierung des Konsums. Kauf und Gebrauch bestimmter Güter wird Teil einer hoch differenzierten Welt symbolischer Beziehungen und Selbstinszenierungen. • „Erlebniskonsum“: Der Bedeutungsgewinn von hedonistischen Werten, von Autonomie und Selbstverwirklichung fördert die Tendenz zur „Erlebnisorientierung“ (Schulze 1992) und zum „Erlebniskonsum“ (Opaschowski 1997) • „Hybridierung des Konsums“: Im Rahmen begrenzter Haushaltsbudgets führen diese Trends zu einer „Hybridisierung“ des Konsumverhaltens. Der „hybride Verbraucher“ hat keine Probleme damit, „zwischen verfeinertem Genuss (…) und rustikalem Verzehr“, zwischen teuer und billig zu pendeln (Wiswede 1991: 36). Polarisierung im Kaufverhalten: Verbraucher verknüpfen (billigen) „Versorgungs“- und (teuren) „Erlebniskonsum“. Konsequenzen für die Förderung nachhaltigen Konsums (1) Wird Konsum zu einer zentralen Sphäre des Ausdrucks von Lebensstilen und modischen Trends, von Abgrenzung & Distinktion, so macht es wenig Sinn, den einen „nachhaltigen Lebensstil“ zu propagieren. Notwendigkeit, die Pluralität von Lebensstilen (z.B. SINUS) und die jeweils bestehenden selektiven Anknüpfungsmöglichkeiten und „Motivallianzen“ für die Förderung nachhaltigen Konsums zu nutzen. Konsequenzen (2): „Shopping for a better world“ ! Die Bedeutungszunahme symbolischer Konsumfunktionen ermöglicht es, Konsumentscheidungen verstärkt auch an ökologischen und sozialen Kriterien zu orientieren („moralischer Konsum“). Das fördert den aktiven, „politischen Konsumenten“ - und wird von neuen Internetportalen wie z. B. www.utopia.de gefördert und gepusht. Die Bereitschaft zu „moralischem Konsum“ kann von der Wirtschaft genutzt werden, um ein bestimmtes Segment hochwerter, umwelt- und sozialverträglicher Produkte im Gesamtangebot stärker zu profilieren. „Gesundheit & Nachhaltigkeit“ sind so nicht nur ein Lifestyle-Trend (LOHAS) sondern auch ein wirtschaftlich interessantes Marktsegment. Aufgrund der generellen, gesellschaftlichen Einbettung der Wirtschaft und der gestiegenen Macht der Verbraucher als Marktteilnehmer wie als strategischer Akteure (z.B. Produkt/Firmen-Boykotte) bewirkt moralischer Konsum – so N. Stehr u. a. – auch eine zunehmende „Moralisierung der Märkte“ (Stehr 2007). Marktforscher & Soziologen meinen nicht zuletzt einen generellen Trend hin zu „Sinnorientierung“ und „Konsum nach Maß“ identifizieren zu können (Opaschowski 2004) – vermutlich als Folge der gestiegenen Sensibilität für Umweltprobleme und die sozialen Kosten des derzeitigen Wachstumsmodells. Auch das würde die Trends zu politischem Konsum und zur „Moralisierung der Märkte“ verstärken. ... geeigneter Ansatzpunkt für nachhaltigen Konsum ? • Aber: Reicht das – bei ungebrochenem wirtschaftlichem Wachstum und angesichts exponentieller Wachstumsraten des Konsums in Schwellen- und Entwicklungsländern? • Sind diese Trends nicht hochgradig selektiv, auf einzelne Produkte und Dienstleistungen beschränkt? Kann von generellen Trickle Down-Effekten ausgegangen werden – oder sind dies eher lebensstilspezifische Trends und Distinktionspraktiken? Wie sieht es mit den Konsumpraktikern anderer (ärmerer, traditionellerer) Milieus aus? • Wird hier nicht die Macht der Konsumenten verklärt? Ist die „Moralisierung der Märkte“ nicht zum großen Teil „Greenwashing“ & „Moralwashing“? • Wie wirken generelle strukturelle Trends (Globalisierung, Flexibilisierung des Kapitalismus & der Arbeitsverhältnisse, Individualisierung, ...) auf die Nachhaltigkeitsbilanz moderner Konsummuster? Unterlaufen sie ggf. die Gewinne „moralischen Konsums“? • Und: Wie relevant ist moralischer oder strategischer Konsum überhaupt für die Beseitigung von Nachhaltigkeitsproblemen? Stecken in anderen Dimensionen des Konsums nicht viel größere Potenziale – oder auch Blockaden der „sustainability transition“? Was ist ein angemessenes Verständnis von Konsum & den Veränderungsmöglichkeiten etablierter Konsummuster? Was ist Konsum (unter Nachhaltigkeitsgesichtpunkten) ? • Konsum ist – unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten - nicht nur (ein symbolisch besetzter) Kauf von Produkten und Dienstleistungen, sondern umfasst den Prozess der Planung, des Kaufs, der Nutzung und der Entsorgung. „Nachhaltiger Konsum“ umfasst darüber hinaus auch Alternativen zum Produktkauf (Kaufverzicht; Eigenarbeit) und zur individuellen Produktnutzung (kollektive Nutzung; Re-use etc.). • Alle Teilschritte des Konsumprozesses sind in komplexer Weise miteinander verknüpft – aber auch mit der – Produktion und Distribution von Gütern & Dienstleistungen entlang z. T. globaler Herstellungsketten („systems of provision“), sowie mit den – infrastrukturellen Bedingungen des Konsums (Siedlungsstrukturen, Mobilitäts-, Versorgungs- und Entsorgungssystemen). Wovon ist Konsum (darüber hinaus) beeinflusst? • vom Stand der Technik (Haushaltsgeräte, Hausbau, Mobilitätsmöglich-keiten, Lebensmitteltechnik, Formen der Energieversorgung etc.) • vom Arbeitsmarkt (Haushaltseinkommen) & den Arbeitsstrukturen (Flexibilisierung der Arbeit) • von öffentlichen Diskursen + Narrationen (Produktwerbung, Verbraucher- und Gesundheitsdiskurse, Umwelt- und Skandaldiskurse etc.); • von (verbraucher)politischen Regulierungen & Subventionierungen • von gesellschaftlichen „Normalitätsstandards“ und gruppenspezifischen Lebensstilen, • von Individualisierungsprozessen, gesellschaftlichem Wertewandel & Lifestyle-Moden • von den „Arrangements alltäglicher Lebensführung“ in unterschiedlichen Soziallagen und Haushaltsstrukturen. Systemisches Verständnis von Konsum Konsum hat nicht nur symbolische Funktionen (Ausdifferenzierung von Lebenstilen, Identitäts- und Distinktionsfkt.) Konsum ist – insbesondere in seinen weniger auffälligen Aspekten („unconspicuous“, „ordinary consumption“) – ko-evolutionäres Produkt technischer, ökonomischer, politischer und sozio-kultureller Entwicklungen. „Konsumenten bewegen sich in einem komplexen, durch netzgebundene Verund Entsorgungssysteme, durch produktbezogene Werbung, Konsum- und Dienstleistungsangebote, durch Haushaltsstruktur und Haushaltseinkommen, durch politische Regulierungen, öffentliche Kommunikation und Skandaldebatten, durch soziale Standards, Gruppennormen und Alltagsarrangements strukturierten Rahmen.“ (Brand 2008) Um Konsummuster verändern zu können ist eine systemische Betrachtung des Konsums, seine Einbettung in das Geflecht von Wechselwirkungen und Abhängigkeiten, nötig („Konsum im Kontext“). Konsum im Kontext (makro)strukturelle Merkmale & Trends Öffentliche (massenmdiale) Kommunikation / Diskurse Steuerung/Regulierung/Governance Alltagskontexte, Lebensstile, Soziallagen Versorgungssysteme (netzgebundene, infrastrukturelle) Produkte Dienstl. Konsum Umwelt ... Globalisierung, Netzwerk-, Risiko-, Wissens-, Erlebnisgesellschaft, flexibler Kapitalismus, Flexibilisierung der Arbeit, Individualisierung, Pluralisierung ... Bsp. Ernährung als Teil umfassender Versorgungssysteme traditionelles Ernährungssystem hochindustrialisiertes, globalisiertes Ernährungssystem Zulieferer (Futtermittel, Saatgut) Landwirtschaft kleinbetriebl./-räumliche Vermittlungsstrukturen (L-Handwerk, Kramerladen, Wochenmärkte) Landwirtschaft Importe; internationale Futtermittel/Saatgutkonzerne industrialisierte LW, Chemisierung, Massentierhaltung, Beschl. v. Produktionsrhythmen (95%) LebensmittelVerarbeitung Konservierung, größere Verarbeitungstiefe, Fertig/ConvenienceGerichte, Zusatzstoffe, Food Design Verbraucher (häusliche Zub. + Ernährung) Handel Verbraucher (+ Gastronomie) Selbstbedienung, Diversifizierung des Sortiments, starker Konzentrationsprozess & Preiswettbewerb, Verpackung als Werbeträger, Marken Globalisierung d. Speisekammer; Verlagerung von häusl. Zubereitung auf Markt; wachsende Nachfrage nach Fertigprodukten; Trend zu außerh. Ernähr., zunehm. Verunsicherung andere Konsummuster und Ernährungskulturen andere „systems of provision“ (techn. ökonomisch, politisch, sozial geprägte Strukturen der LM-Versorgung) andere gesundheitliche, soziale und ökologische Folgeprobleme & Risiken (entlang der gesamten Kette) andere Ansatzpunkte zur Förderung nachhaltigen Konsums (entlang der gesamten Kette) Konsequenzen des systemischen Verständnisses von Konsum 1. Theoretische Konsequenzen Erklärungsmodelle für Hemmnisse oder Fördermöglichkeiten nachhaltigen Konsums & Verhaltens, die an isolierten Faktoren(zusammenhängen) ansetzen oder mit Handlungsmodellen arbeiten, die die kulturelle, soziale und technische Einbettung des Konsums außer Betracht lassen, sind wenig geeignet, Probleme der „sustainability transition“ im Konsumbereich angemessen erfassen und bearbeiten zu können. Forderung nach integrativen theoretischen Erklärungsmodellen 2. Praktische Konsequenzen Weder Information & moralische Appelle, weder Skandaldebatten und Konsumboykotte, weder die Verbesserung des Angebots und der infrastrukturellen Bedingungen oder die symbolische Umwertung von Produkten („Bio als Lifestyle“) allein, sondern nur die wechselseitige Verstärkung all dieser Momente lassen „nachhaltigen Konsum“ zur neuen Routine werden! Forderung nach integrativen Strategien der Förderung nachhaltigen Konsums Klingt trivial, ist aber schwierig Praktische Konsequenzen: Umsetzungsprobleme Gründe für Realisierungsprobleme: Heterogene, widersprüchliche Interessenlagen, Zielsetzungen und Problemrahmungen in der Umsetzung nachhaltiger Entwicklung + nachhaltigen Konsums Starke Ausdifferenzierung moderner Gesellschaften in unterschiedliche Teilsysteme mit unterschiedlichen „Handlungslogiken“ (Wirtschaft, Politik, Wissenschaft, Recht, Familie, etc.). Prinzipien nachhaltiger Entwicklung werden immer nur gemäß der spezifischen Binnenlogik dieser Teilsysteme aufgegriffen und bearbeitet Bsp. Wirtschaft: Eine an kurzfristigen Renditekriterien orientierte Unternehmenspolitik kann nur schwer ein konsistentes Modell nachhaltigen Wirtschaftens entwickeln. Bsp. Politik: Herrschender Politikmodus = kurzatmiges „muddling through“, Aushandlungsprozesse (bargaining), wechselnde Akteurskoalitionen mit unterschiedlichen ideologischen Orientierungen, Medienorientierung der Politik, bürokratische Ressortegoismen. Inkonsistenter, von Gelegenheitsstrukturen, Aufmerksamkeitszyklen und Machtkonstellationen abhängiger Prozess der Entwicklung von Nachhaltigkeitspolitiken Notwendigkeit innovativer, institutioneller Lösungen für Koordinationsprobleme zur Entwicklung integrativer, langfristig orientierter Nachhaltigkeitsstrategien Innovative Lösungen für Koordinations- und Integrationsprobleme (Beispiele) Institutionalisierung von Querschnittspolitiken (z. B. Umweltverträglichkeitsprüfung; parlamentarische Nachhaltigkeitsausschüsse, Staatssekretärsausschüsse …) „Leitbildsteuerung“ bzw. „Strategische Planung“ (z. B. „nationale Nachhaltigkeitsstrategie“, überprüfbare Nachhaltigkeitsziele und -Indikatoren) Institutionalisierung von Nachhaltigkeits- und Zukunftsräten (Monitoring, Evaluation von Nachhaltigkeitsprozessen, Organisation ges. Dialoge) dialogisch-partizipative Politikformen: neue Governance-Modelle auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene (Lokale Agenda 21; dialogische Politikformen: „Runde Tische“, Konfliktmediation, Verkehrsforen etc.; regionale Nachhaltigkeitsprozesse; nationale Dialoge; internationale Regimebildung unter Einbindung von NGOs, etc.) Breit angelegte Modellprojekte (Förderprogramme) zur Förderung regionaler Nachhaltigkeit („Regionen aktiv“ etc.) Theoretische Konsequenzen: Integrationsprobleme Unterschiedliche sozialwissenschaftliche Ansatzpunkte zur Förderung nachhaltigen Konsums Psychologie: Persönlichkeitsspezifische Chancen + Barrieren (Wissen, Einstellungen, Werte, Motivation Information, Einstellungsänderung, Normbildung, rückgekoppelte Lernprozesse, ...) Soziologie: Gruppen-/Lebensstilspezifische Chancen + Barrieren ( zielgruppenspezifisches Marketing + Motivallianzen; Berücksichtigung ‚eigensinniger‘ sozialer Nutzungsformen von Produkten/Geräten; Stärkung sozialen Kapitals & sozialer Netzwerkbildung zur Verbreitung nachhaltiger Konsummodelle, ...) Philosophie/Pädagogik/Soziologie: mangelndes Problembewusstsein, Notwendigkeit neuer Wertsysteme ( Aufklärung, Bildung, ...) Ökonomie, rationale Akteursmodelle: ungünstige Kosten-Nutzen-Relationen, fehlende Angebote, Kollektivgutproblematik ( ökonomische Internalisierung ökologischer Kosten, Verbesserung des Angebots + infrastruktureller Versorgungssysteme, Ökomarketing, geeignete Subventionsanreize, kollektive Regelungen, ...) Verbraucherwissenschaften/Verbraucherpolitik: fehlende Konsumentensouveränität, fehlende Transparenz der Produktionsketten, fehlende Informationen ( Informationsstrategien, Label/Siegel, Kontrollen ...) Unterschiedliche technisch-ökonomische, ökologische und raumplanerische Ansatzpunkte: Ökonomie/Ökologie/Technik/Design: Ökonomisch-technische Ansatzpunkte an der Produktions- und Versorgungsseite ( integrierte Produktpolitik, Kreislaufwirtschaft, Erhöhung der Energie- und Ressourceneffizienz, grünes Produktdesign, Nachhaltigkeitsmanagement, Förderung regionaler Wertschöpfungsketten, ...) Stadt/Raum/Landschaftsplanung: Beeinflussung siedlungsstruktureller Entwicklungen (nachhaltige Stadt- u. Raumplanung, ...) Unkoordinierte, inkohärente, z. T. widersprüchliche Anreize & Interventionsstrategien Integrative Option: Praxistheoretischer Ansatz • Soziale Praktiken – als Basiseinheit des Sozialen – sind routinisierte Formen körperlichen Tuns und sinnhaften Verstehens, die im impliziten „praktischen Wissen“ („praktischen Sinn“) inkorporiert und in sozio-materiellen Arrangements mit Artefakten, technischen Systemen und natürlichen Gegebenheiten verankert sind. Das inkorporierte Wissen macht die Körper praxisfähig; die materielle Verankerung stabilisiert soziale Praktiken über Raum und Zeit hinweg. • Soziale Praktiken – wie Kochen, Musizieren, Essen, Feiern, Arbeiten, Waschen, sich Kleiden, Kinder erziehen, Sport machen etc. – sind integrierte Bündel routinisierter „sayings and doings“, die sich zu mehr oder weniger institutionalisierten Feldern oder Clustern sozialer Praktiken vernetzen. Diese institutionellen „Strukturen“ werden in den sozialen Praktiken tagtäglich reproduziert – aber auch (meist ungeplant) verändert. • Einzelne Praktiken gewinnen ihre spezifische Relevanz nur aus der Relation zu anderen Praktiken innerhalb eines bestimmten Praxisfelds. In diesen Feldern gibt es heterogene, widersprüchliche Praktiken & Diskurse, die miteinander um Macht und Geltung kämpfen (Bourdieu). Die daraus erwachsenden feldspezifischen Dynamiken sind selbst in historischspezifische „Praxis-/Diskursformationen“ eingebettet (Reckwitz). • Soziale Praktiken verknüpfen Struktur und Handlung, Sinn und Materialität. Praxistheoretische Ansätze bieten somit eine Antwort auf zentrale Dichotomien soziologischen Denkens. Die verschiedenen Vertreter praxistheoretische Ansätze nehmen diese Verknüpfungen – bei Übereinstimmung in den praxistheoretischen Basisannahmen – konzeptionell jeweils anders vor: Handlung Einbettung in historische „Praxis-/Diskursformationen“ Öffentliche Kommunikation und Problemdiskurse Politische Regulierung + Marktdynamiken kritische Ereignisse Kampf um feldspezifische „Einsätze“ und „Spielregeln“ „Regeln“ kulturelle Codes Praktiken 1 Praktiken 2 sozio-materielle „systems of provision“ Alltagsswelt (Routinen, Normalitätsstandards, prakt. Sinn) Sinn Konsum in bestimmten Praxisfelder „Ressourcen“, sozio-materielle Konstellationen Praktiken 3 Relationale Dynamiken der einzelnen Praxisfelder neue Governance-Formen + Marktstrukturen Veränderung von Diskursmustern Strukturelle Veränderung historischer „Praxis/Diskursformationen“ Struktur Materialität Praxistheoretischer Zugang zur Analyse nachhaltigen Konsums (1) • „Konsum“ als solcher ist keine spezielle soziale Praktik, sondern Teil sozialer Praktiken. Auch die übliche Unterscheidung der Bereiche Landwirtschaft/ Ernährung, Wohnen/Bauen, Mobilität, Energieverbrauch etc. deckt sich nur z. T. mit sozialen „Praxisfeldern“. (Mobilität ist bspw. Teil sehr unterschiedlicher Praktiken, Energieverbrauch eine Dimension nahezu jeder sozialen Praktik. ) • Faktoren wie Wissen, Einstellungen, Werte, Handlungsziele, Zweck-MittelKalkulationen etc. erlangen für Umwelt/Konsumhandeln nur insoweit eine Relevanz, als sie in das „praktische Wissen“ von Handlungsroutinen integriert werden (Filter: ‚Habitus‘, sozio-materielle Praxisarrangements etc.) Praxistheoretischer Zugang zur Analyse nachhaltigen Konsums (2) Aus praxistheoretischer Perspektive lassen sich die Probleme nachhaltigen Konsums sinnvoll nur dann bearbeiten, wenn die problematischen Konsumaspekte (z. B. hoher Energieverbrauch, hohe Automobilität etc.) in ihrer spezifischen Einbettung in die jeweiligen sozialen Praktiken aufgezeigt werden. Methodisch bedeutet das die Art und Weise zu entschlüsseln, wie sich sozio-kulturelle, technische, ökonomische und politische Elemente zu einem bestimmten sozio-materiellen Praxisarrangement verknüpft, zu Routinen und Normalitätserwartungen verfestigt haben, aufzuzeigen, wie die einzelnen Elemente voneinander abhängig sind (feste Verzahnung, lose Koppelung, spiralförmige Entwicklungen), welchen Dynamiken diese Arrangements unterschiedlicher Praxiselemente unterliegen und ob, wie und unter welchen Bedingungen in diesen Zusammenhang interveniert werden kann, um nicht-nachhaltige Dynamiken abzubremsen oder umzupolen. „Lose gekoppelte Systeme“: Bsp. Wäsche-Waschen E. Shove, „Converging Conventions of Comfort, Cleanliness and Convenience“ (Mai 2002) Konsumspiralen: Beispiel Pkw-Nutzung Auto Verspricht/ermöglicht räumliche + zeitliche Flexibilität erleichtert Koordination (Familie, Arbeit, Freizeit) bedient soziale Bedürfnisse (Komfort, Integration, Status) erfordert Auto verfestigt automobile Strukturen festigt neue flexible Alltagsarrangement; beeinflusst infra- und siedlungsstrukturelle Entwicklungen; verfestigt Flexibilisierungsansprüche an Arbeitnehmer; erhöht ges. Mobilität & Zeitknappheit .... setzt soziale Standards, Normen, Erwartungen Bsp.: Auto-Mobilität im Gewebe des familiären Alltags - Intervention in Konsumspirale der Autonutzung - Umwelt/Klimadiskurs, verbesserte Mobilitätsangebote, Verteuerung des Autofahrens, Lifestyle-Trends etc., Ausdruck von Lebensstil & Distinktion Preiswerte Transportmöglichkeit “ Erhöhung zeitlicher Flexibilität Auto als privater Raum in der Öffentlichkeit Auto Erhöhung räuml. Flexibilität (freie Wahl des Wohnorts) Nutzung für Einkauf, Freizeit & soziale Kontakte Transportmittel zum Wohl des Kindes Bindeglied zwischen Erwerbsund häuslicher Reproduktionsarbeit Vier Formen der Veränderung von Konsumpraktiken 1. Latente, nicht intendierte Veränderung von sozio-materiellen PraxisArrangements und entsprechenden Normalitätserwartungen durch den sukzessiven Einbau neuer Elemente (neue Geräte, neue Produkte, neue Dienstleistungen) oder durch Anpassung an veränderte Rahmenbedingungen (z. B. erhöhte zeitliche Flexibilitätserfordernisse... ). Das geschieht meist im Rahmen der üblichen, vom „praktischen Bewusstsein“ gesteuerten „kreativen“ Anpassungen von Handlungsroutinen. Das kann zur Verbreitung „nicht-nachhaltiger“ Konsumpraktiken (z. B. hohe Flugmobilität; Convenience-Food, ... ), aber auch zum Einbau energiesparender Geräten in den Haushalt, zur verstärkten Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs, zum erhöhten Konsum von biologischen und regionalen Produkten führen, sofern dies bereits eine gewisse „Normalität“ gewonnen hat. ... Veränderung von Konsumpraktiken 2. Wenn Handlungsroutinen durch das Auftreten von Problemen oder öffentlichen Problemdiskursen stärker irritiert werden, wird im Handlungsprozess auf reflexive, diskursive Formen der Problemlösung umgeschaltet. Die seit Jahrzehnten anhaltenden, an immer neuen Themen und medialen Bildwelten sich verdichtenden ökologischen Krisendebatten haben so periodisch immer wieder aufs neue Selbstverständlichkeiten und implizites Handlungswissen in Frage gestellt, die zu bewussten Bemühungen um die ökologische Veränderung alltäglicher Konsumpraktiken geführt haben. Diese Bemühungen (und die erfahrenen Irritationen) weisen einen ausgeprägten milieu- und lebensstilspezifischen Charakter auf ( “moralischer Konsum“). Die Veränderung von Verhaltensroutinen erfolgt mehr oder weniger selektiv und folgt meist dem Muster medialer Aufmerksamkeiten. „Biographische Bruchsituationen“ schaffen erhöhte Sensibilitäten und günstige Gelegenheiten für solche Veränderungen. Der Einbau neuer Verhaltensweisen in alltägliche Praxis-Arrangements folgt dabei dem impliziten „praktischen Sinn“ der jeweiligen Praxiskontexte. Das ergibt ein „Patchwork“ mehr oder weniger nachhaltiger Lebensstile. Die Verbreitung nachhaltiger Praxiselemente – und ihre erhöhte Konsistenz innerhalb der eigenen Lebensstile – hängt dann von der sozialen und infrastrukturellen Vernetzung dieser Praxiselemente im Rahmen umfassender sozio-materieller Praxisgefüge ab. Dazu gehört Bildung & Information. Das erfordert aber auch – und vor allem - die Veränderung wirtschaftlicher und politischer Rahmenbedingungen. ... Veränderung von Konsumpraktiken 3. Gezielte politische Intervention in institutionelle Rahmenbedingungen sozialer Praktiken und Praxis-Arrangements: meist sehr inkonsistent und sprunghaft, orientiert an öffentlichen Themenkonjunkturen, Machtverhältnissen etc. – aber eingebunden in internationale Regime (EU, global). Je umfassender oder tiefer die Eingriffe sind, desto höhere Akzeptanz setzen sie in der Öffentlichkeit voraus. Öffentliche Akzeptanz setzt wiederum verändertes Problembewusstsein [soziale Bewegungen, Bildung, mediale Berichterstattung], erprobte Modellprojekte & Nischenpraktiken [= Aufweis der Machbarkeit!] sowie eine breitere, alltagspraktische Vernetzung diverser Ansätze nachhaltiger Konsums (Einkauf, Heizung, Waschen, Mobilität etc.) auf lokaler Ebene voraus. 4. Beschleunigt werden sowohl individuelle Veränderungsbereitschaften als auch institutionelle Transformationsprozesse durch „kritische Ereignisse“ (Skandale, Katastrophen, dramatische Problemberichte). Dadurch verschieben sich öffentliche Problemdiskurse z. T. dramatisch; institutionelle Praktiken und Akteure geraten unter Druck und es entstehen neue „windows of opportunity“ für tiefer greifende Transformationsprozesse. Inwieweit diese Chancen genutzt werden können, hängt dann von der vorhandenen Sensibilität für die jeweiligen Probleme, von verfügbaren Alternativen, der Dichte der Nachhaltigkeitsnetzwerke sowie von der Diskurs- und Gestaltungsmacht von Nachhaltigkeitsakteuren ab.. Kritische Ereignisse, Störung von Routinen + Neuanpassung - Felddynamiken: Wandel der Praxisformen im Zusammenspiel feldspezifischer (ökonomischer, technischer, politischer, kultureller, ökologischer) Einflussfaktoren - kritische Ereignisse Alltagspraktiken (1) Routinen, institution. Praktiken institutionalisierte Praxisgefüge (1) („Strukturen“) „windows of opportunity“ Infragestellung etablierter Routinen Definitionskämpfe um Neurahmung der Probleme Neue Interessenallianzen Entwicklung neuer Problemlösungen Alltagspraktiken (2) Verfestigung neuer Leitbilder, Routinen + instit. Praktiken institutionalisierte Praxisgefüge (2) („Strukturen“) „Kritische Ereignisse“ (insb. im Umweltbereich) sind zwar nicht planbar, aber es gibt genug davon – und vermutlich immer mehr. Um die dadurch entstehenden „windows of opportunity“ auf institutioneller Ebene nutzen zu können, ist nicht nur ein breites Problembewusstsein, ein breites Spektrum aktiver Nachhaltigkeitsakteure (in sozialen Bewegungen, NGOs, Parteien, Verwaltungen, Unternehmen und anderen gesellschaftlichen Organisationen) sowie eine gewisse ‚Normalisierung‘ zumindest von Ansätzen nachhaltiger Konsumpraktiken nötig. Für gezielte politische Steuerung von Transformationsprozessen ist es auch notwendig zu wissen, wie sich soziale Praktiken und sozio-materielle Praxisgefüge herausbilden, welchen Dynamiken sie unterliegen und wie in sie interveniert werden kann, um nachhaltigen Konsummustern eine alltagspraktische wie institutionelle „Passfähigkeit“ zu verschaffen. Die sozialwissenschaftliche Fokussierung der Debatte auf Wissen, Werte, Einstellungen, Lebensstile, Kosten-Nutzen-Kalkulationen allein greift dabei zu kurz! Vielen Dank fürs Zuhören!