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Leseprobe aus „Wir sind das Kapital“
Entrepreneure als Change Agents
.....
Den Seins-Modus attraktiver machen – mit
unternehmerischen Initiativen
»Durch Geld ist noch niemand reich geworden«, so der
römische Philosoph Seneca.
Wenn ich mir Dinge leiste, vor allem, wenn ich sie vorführe, die
sich andere nicht leisten können, was kann ich dann erwarten?
Dass ich bewundert werde? Glauben wir das im Ernst? Wir
werden beneidet werden. Wir werden eine Reihe von negativen
Gefühlen evozieren. Ein paar Dummköpfe vielleicht, die uns
bewundern, aber auf die können wir verzichten.
Eine vernünftigere Lebensform, ein angemessener Umgang mit
Konsum, ein Leben in Einklang mit den vorhandenen
Ressourcen wird kommen. Die Frage ist nur: Durch Einsicht
oder durch den Zwang der Umstände? Das heißt nicht,
mittelalterliche Demut zu predigen und die Menschen zu
bewegen, sich mit ihrem Schicksal abzufinden. Im Gegenteil.
Die Ökonomie in die eigene Hand zu nehmen, eigenes
unternehmerisches Handeln an die Stelle abhängiger
Beschäftigung zu setzen. Unser Bildungssystem versagt an
dieser Stelle. Unternehmerisches Handeln kommt im Zweifel
gar nicht vor. Das Mittelalter lebt fort in den
Bildungseinrichtungen in dem Sinne, dass die abhängige
Beschäftigung unser Schicksal ist. Zu Höherem, so scheint es,
sind wir nicht geboren. Das sei denen vorbehalten, die über
Kapital verfügen, die Genies, Glückspilze oder raffgierige
Ellenbogenmenschen sind. Unsere Zukunft liege in einem
Beruf. Zugegeben, wir sind ein bisschen fremdbestimmt, aber
dafür haben wir ja die Erfüllung in Familie und Freizeit. WorkLife-Balance. Da liegt unser Glück.
Es ist eine Lebenslüge. Meistens. Abhängige Beschäftigung
bleibt abhängige Beschäftigung. Der Rahmen ist eng. Auch der
Ausgleich in Familie und Freizeit wird fraglicher.
Der Entrepreneur modernen Typs setzt auf weniger
Von allen Lebewesen ist nur dem Menschen das schöpferische
Potenzial gegeben. Heute benötigen wir es dringender denn je,
weil ein Fortschreiben der momentanen Entwicklung uns in die
Katastrophe zu führen droht. Wir brauchen nicht mehr, sondern
bessere, intelligentere Produkte. 80 Prozent Einsparung von
Ressourcen müssen das Ziel sein, sagen
verantwortungsbewusste Ökologen. Die Aufgabe kann daher
nicht mehr heißen, neue Produkte zu erdenken und auf den
Markt zu werfen, sondern die Bedingungen zu schaffen, unter
denen man auf die Produkte verzichten kann. Die Frage lautet:
Was können wir weglassen? Wo können wir Dinge radikal
vereinfachen? Wie können wir sparsamere Lösungen attraktiver
machen? Wir würden das Falsche perfektionieren und es dann
Umwelttechnik nennen, sagt Michael Braungart,
Verfahrenstechniker und Chemiker.114 Unsere heutige
Produktwelt sei primitiv. Wir stellten Dinge her, die voller
Schadstoffe seien.
»Ein Werbeprospekt, gedruckt in Malaysia, erhält rund 90
giftige krebserzeugende Substanzen. Er landet in unserem
Altpapier und wird wiederaufbereitet. Die giftigen Chemikalien
landen dann in Schlamm und Schlacke und am Ende als
Füllstoff in Kartons. Das Mistzeug, einmal in der Welt, vergiftet
114
Braungart leitet das Hamburger Umweltforschungsinstitut EPEA. Im Herbst 2013 erschien
sein Buch The Upcycle. Zusammen mit seinem US-Kollegen William McDonough plädiert er
darin für ein vollkommen neues Verständnis von Nachhaltigkeit. Vor Jahren prägten die
beiden Vordenker den Begriff »Cradle to Cradle« (von der Wiege bis zur Wiege) für eine
Welt ohne Abfall.
also am Ende unsere Pizzapackung und unsere
Adventskalender.«115
Braungart will gute Produkte machen. Ohne Schadstoffe. Die
entweder als unproblematischer Kompost enden oder als
wertvoller, sortenreiner Rohstoff wiederverwendet werden
können. Damit die Rohstoffe auch wirklich zurückgeführt
werden, sollten Waren besser geliehen statt gekauft werden,
mit einer Rücknahmepflicht der Produzenten. Wenn die
Hersteller ihr Material zurückbekämen, würde es sich für sie
auch lohnen, hochwertige Stoffe zu verwenden. Vor wenigen
Jahren hat Braungart gemeinsam mit Philips einen Fernseher
entwickelt, der nicht nur zwei Drittel weniger Strom verbraucht,
sondern auch kein PVC und Flammschutzmittel enthält.
Dadurch hätte Philips den Fernseher deutlich preiswerter auf
den Markt bringen können. Aber was ist passiert? Philips
verkaufte das Gerät 200 Euro teurer. Würden wir in der
gleichen Situation nicht auch so handeln? Also korrumpierbar
sein? Weil wir ja unseren Gewinn damit erhöhen können? Also
im Zweifelsfall eben auch so handeln wie die meisten
Unternehmen? Eine gute Frage. So wie es Sonja, die
Studentin, befürchtete: »Dann werde ich ja auch so ein
Schwein!«
Würden engagierte Bürger, die mit politischen Mitteln
versuchen, ihre Ziele umzusetzen, umfallen, nur weil sie einen
Geldgewinn aus ihrer Aktion erzielen können? Ich kann das
nicht erkennen. Warum sollten sie ihre Ziele ändern? Nur weil
sie statt mit politischen Mitteln jetzt mit den Mitteln einer, sagen
wir, unternehmerischen Bürgerinitiative arbeiten? Es ist nicht
selbstverständlich, dass der Profit den Fahrersitz einnimmt.
Es spricht vieles dafür, dass wir in Zukunft mit weniger
materiellem Konsum auskommen müssen. Die Kunst wird
wahrscheinlich darin bestehen, das Weniger so attraktiv zu
machen, dass die Menschen es annehmen. Gerne annehmen.
Eine absolut neue Aufgabe für Ökonomen. Weil bis heute in
115
Uken, Marlies: »Die Welt ist unerträglich, wie sie ist«. In:
http://www.zeit.de/wirtschaft/2013-05/interview-braungart.
den meisten Köpfen die Vorstellung des Mehr als Glücksbringer
sitzt. Zukunftsfähiges Entrepreneurship setzt auf weniger.
Weniger Belastung durch Wartung und Reparatur, weniger
Stress beim Umzug, weniger Neukäufe durch längere
Haltbarkeit, geringere modische Abhängigkeit durch selteneren
Modellwechsel. Schaffen wir zeitlose Designs, seien wir stolz
darauf, gerade keinen Modellwechsel zu propagieren.
Sagen Sie nicht, das sei eine utopische Forderung. Die
Teekampagne hat seit 30 Jahren das gleiche Design und die
gleichen Produkte. Ich bin fest davon überzeugt, dass dies
einen Teil unseres Erfolges ausmacht. Eine gegebene Menge
an Bedürfnissen so exzellent wie möglich zu befriedigen, statt
immer mehr und immer neue Bedürfnisse herauszukitzeln. Eine
Ökonomie, die sich den Herausforderungen der Zukunft stellt,
kann es sich zur Aufgabe machen, die Bedürfnisse des
Schlaraffenlandes so exzellent wie möglich zu erfüllen – aber
nicht, die Definition des Schlaraffenlandes immer weiter
hinauszuschieben. (Es gäbe uns als Nebeneffekt den
ökonomischen Spielraum, lieber denen zu helfen, die in Not
sind, die noch nicht unsere Stufe erreicht haben, materielle Not
hinter sich zu lassen.)
»Wir werden sogar mit Sicherheit dahin gelangen, dass zu
Recht die Frage gestellt wird, ob es noch immer richtig und
nützlich ist, mehr Güter, mehr materiellen Wohlstand zu
erzeugen, oder ob es nicht sinnvoll ist, unter Verzichtleistung
auf diesen Fortschritt mehr Freizeit, mehr Besinnung, mehr
Muße und mehr Erholung zu gewinnen.«
Sie denken, es sei ein Zitat aus dem frühen Marx? Leider
daneben! Das Zitat stammt von Ludwig Erhard aus dem Jahre
1957 aus seinem Buch Wohlstand für alle.
Konsum ent-materialisieren
Die Schachtel aus Goldpapier – die Geschichte vom Vater,
seiner fünf Jahre alten Tochter und dem Verschwenden von
Verpackungspapier.116
Das Geld ist knapp, und der Vater wird wütend, als sein
Kind das ganze Goldpapier verbraucht, um eine Schachtel
zuverzieren, die es später unter den Weihnachtsbaum
legen will. Dennoch bringt das kleine Mädchen am
nächsten Tag die Geschenkschachtel ihrem Vater und
sagt: Das ist für Dich, Papa. Der Vater ist verlegen, weil er
am Vortag so überreagiert hatte. Er öffnet das Geschenk
und wird sehr zornig, als er sieht, dass die Schachtel leer
ist. Wütend sagt er zu seiner Tochter: Weißt Du nicht,
junge Dame, dass auch etwas in der Verpackung sein
sollte, wenn man jemandem ein Geschenk macht? Das
kleine Mädchen betrachtet ihn mit Tränen in den Augen
und sagt: »Papa, sie ist nicht leer, ich habe so viele Küsse
hineingegeben, bis sie ganz voll war.«
»Wir suchen überall das Unbedingte und finden immer nur
Dinge«, sagt der Dichter Novalis.
Vielleicht wird später einmal jemand sagen, der Startpunkt des
ent-materialisierten Konsums liege beim Beginn des World
Wide Web. Einer Epoche, in welcher der Haben-Modus
zurückgetreten ist, weil die Virtualität eine viel größere Rolle
spielte als bisher. Weil Virtualität in aller Regel mit
Entmaterialisierung, also weniger Verbrauch an Ressourcen
einhergeht. Ein bekanntes Beispiel dafür ist Musik. Früher war
Musikhören an Tonträger gebunden. Der Musikhörende war
gleichzeitig auch immer Tonträgerbesitzer. Die Tonträger waren
nur ein notwendiges Begleitmaterial, das mit der Digitalisierung
der Musik wegfiel. Ein weiteres bekanntes Beispiel ist die
Zeitungsbranche. Zellstoffproduktion, Papierherstellung, Druck
116
Die Geschichte ist nicht von mir. Sie kursiert in unterschiedlichen Fassungen im Netz. Ich
würde gerne den Autor nennen, konnte ihn aber nicht ausfindig machen.
und Vertrieb fallen durch die Digitalisierung weg. Qualitativer
Journalismus ist wichtig, vielleicht wichtiger als je zuvor. Aber er
ist nicht notwendig an das Bedrucken von Zeitungspapier
gebunden. Der Content ist das Bleibende, die bisherigen Träger
verschwinden, einer nach dem anderen. Der Verkaufsladen,
das Vehikel des stationären Einzelhandels, ist ebenfalls eine
Trägersubstanz, die in der virtuellen Welt immer mehr
wegfällt.117 Man kann die These aufstellen, dass in einer
virtuellen Welt auch Statussymbole weniger werden. Wir
kommunizieren mit unseren Freunden und Bekannten virtuell,
durch Fotos oder neuen Content. Die Selfies (Selbstporträts)
zeigen, wie man ist, zeigen die momentane Befindlichkeit;
weniger, was man hat, welche Statussymbole man besitzt (»Wir
sind zusammen, wir haben Spaß«). Sie geben Ausdruck über
die eigenen Gefühle. Wichtig ist: Mit wem bin ich zusammen; es
geht weniger um die Produkte und damit die klassischen
Statussymbole. Der Haben-Modus als Durchgangsstadium?
Kommt nach Kühlschrank, Waschmaschine und allen heute
praktisch selbstverständlichen Einrichtungsgegenständen ein
qualitativer Sprung? Statt »Wie kann ich neue Bedürfnisse
wecken, für Konsumenten, die schon alles haben?«, die
Alternative zu bieten: »Wir befreien den Nutzen vom Träger des
Nutzens.« Das Schlagwort vom »Internet der Dinge« macht
derzeit von sich reden. Wir machen es uns zu leicht, wenn wir
glauben, dass uns bisher selbstverständliche Überlegungen –
keine Eier mehr im Kühlschrank – abgenommen werden. Die
Logik ist viel radikaler und erschließt ganz andere Bereiche.
117
Gegen den Online-Handel wird nicht selten eingewendet, dass durch hohe
Rücksendungen ein ökologisch nicht zu vertretender Aufwand betrieben wird. Eine
Berechnung sagt, dass dieser Aufwand 1400 Pkws entspräche, die täglich von Hamburg
nach Moskau fahren. Eine beeindruckende Zahl. Aber die Schlussfolgerung ist falsch. Es ist
nicht der Online-Handel generell schuld, sondern das Geschäftsmodell bestimmter Firmen.
Wenn ich die Bedürfnisse meiner Kunden nur vage kenne, wird die Retourenquote sehr
hoch. Wenn ich die Retouren dann noch kostenlos anbiete, aus Angst, sonst die Kunden zu
verlieren, erst recht. Wer seinen Kunden so wenig bieten kann, dass er bei kostenpflichtigen
Retouren diese Kunden verliert, hat offenbar unattraktive Produkte oder ein schlechtes PreisLeistungs-Verhältnis. Wenn das Geschäftsmodell aus nicht mehr besteht, als Waren einfach
nur online anzubieten, steht es auf schwachen Beinen. Die Überlebenstüchtigkeit solcher
Unternehmen besteht zunächst darin, dass ihre Gründer Millionenbeträge an Kapital
einsetzen, weil sie vom »Next Big Thing« à la Amazon träumen. Kapital statt Kopf, könnte
man sagen. Die Teekampagne übrigens, mit ihren über 200 000 Kunden, hat eine
Retourenquote von unter 0,1 Prozent.
Jedes Ding wird ansprechbar. Was sich in meinem
Kleiderschrank befindet und selten genutzt wird, kann mit
erprobten Verfahren im Internet angeboten werden. Das
Hochzeitskleid, das Ballkleid, der schwarze Anzug. Ich selbst
kann zum Entrepreneur meines Inventars werden. Ich mache
mit meinem Kleiderschrank das, was Airbnb mit Zimmern
macht. Damit werden interessante neue Fragen aufgeworfen.
Die gängige Statistik jedenfalls wird der Vielfalt der neuen
Formen einer entrepreneurial economics nicht mehr gerecht.
Die Aufgabe lautet, unseren Reichtum intelligenter zu nutzen.
Sprich unsere ungenutzten Kapazitäten, die wir häufig genug
als Ballast empfinden, besser auszulasten. Das müsste
eigentlich auch die Betriebswirtschaftslehre aufgreifen können.
»Kapazitätsauslastung« ist doch ihr Thema – statt die
Diskussion um Sinn und Zukunft in die Ecke von Esoterik oder
Wunschdenken zu stellen.
Beispiel: Nutzen statt Besitzen
Es gibt viele Wege, um mit unternehmerischen Mitteln den
Seins-Modus attraktiver zu machen. Die folgenden Beispiele
stammen alle aus nur einem von mehreren möglichen Feldern
– nutzen statt besitzen. Ein derzeit boomendes Gebiet, aber
eben nur eine von vielen Möglichkeiten. Im Jahr 2000
propagierte Jeremy Rifkin die »Access Society«, die
Zugangsgesellschaft. Besitz sei schwerfällig, behauptete er.
Viel intelligenter sei es, die Produkte lediglich zu nutzen.
Andere nennen es die »Share Economy« oder »Collaborative
Consumption«. Das Automobil ist das überzeugendste Beispiel
dieser Bewegung. 90 Prozent der Autos stehen im Durchschnitt
still, nur zehn Prozent werden genutzt. Jeder Betrieb würde
sofort geschlossen, wenn er nur zehn Prozent seiner Kapazität
auslasten kann. Liegt es da nahe, noch mehr Automobile zu
produzieren? Sie sind eine der großen Zerstörer der Natur,
aber auch Zerstörer der Städte. Stellen Sie sich vor, wie Ihre
Straße gewinnen würde, wenn keine parkenden Autos den
Straßenraum belegen würden. Spielplätze wie in meiner
Kindheit. Die Straße gehörte uns. Wenn ein Wagen kam, hörten
wir kurz auf zu spielen, was so alle halbe Stunde passierte, und
dann spielten wir weiter. Würden Sie nicht auch heute die
eigenen Kinder ganz in der Nähe haben wollen?
Glauben Sie wirklich, dass die Automobilkonzerne die Autos
abschaffen oder zumindest in die Schranken weisen werden?
Glauben Sie, dass die Politik, gleich welcher Couleur, die
Arbeitsplätze der Automobilindustrie ernsthaft gefährden will
oder könnte? Und damit in Deutschland wesentlich höhere
Arbeitslosigkeit riskieren würde? Wir müssen es schon selbst
tun. Mit unternehmerischen Mitteln. Das Unternehmen
StattAuto in Berlin war 1988 ein erster Anlauf. Es war pure
unternehmerische Initiative, die das Problem in Angriff nahm.
Von Außenseitern. Erst als immer mehr Menschen den
Gedanken einleuchtend fanden, reagierten auch die
Automobilkonzerne. In der Vergangenheit verbanden wir
Konsum in der Regel mit dem Besitz von Waren. Diese Art von
Konsum verbraucht Ressourcen. Wer sich mit Ökologie
beschäftigt, weiß, dass der sichtbare Ressourcenverbrauch –
also das, was man dem Konsumgut ansieht – nur ein kleiner
Teil dessen ist, was wirklich an Ressourcen aufgebraucht wird.
Wenn wir den ökologischen Rucksack mitbedenken, ist der
Ressourcenverbrauch in Wahrheit um ein Vielfaches höher. Mit
intelligenten Nutzungskonzepten sieht die Rechnung dagegen
viel günstiger aus. Man kann deshalb die These wagen: Früher
lagen die unternehmerischen Chancen für Entrepreneure in der
Herstellung von Produkten und Dienstleistungen, heute liegen
sie – gerade für ökologisch engagierte Entrepreneure – bei der
Herstellung von Nutzen. Wenn wir vom Nutzen her denken,
geht es auch nicht mehr um Verzicht. Man verzichtet auf nichts,
wenn man vom Besitz eines Automobils auf die Nutzung
umsteigt. Es ist damit kein Verzicht auf Mobilität verbunden.
»Nutzen statt Besitzen« – eine erste Gruppe von Konsumenten
erkennt, dass sie mit einer solchen Handlungsanleitung sogar
einen Wohlstandsgewinn erzielt.
Brücken bauen
Wenn die Zukunft in mehr ent-materialisiertem Konsum liegt, ist
es hilfreich, wenn dieses Ziel nicht nur theoretisch postuliert
wird, sondern es Akteure gibt, die Brücken bauen. Die helfen,
den Seins-Modus näherzubringen. Die Ideen haben, wie man
den Seins-Modus attraktiver machen könnte. Das Gegenteil
davon findet im Marketing statt. Die Sehnsucht nach dem
Seins-Modus, so die Autorin Barbara von Meibom118, werde von
der Werbung benutzt, um den Haben-Modus zu stimulieren.
Unsere Sehnsucht nach Anerkennung, Geborgenheit und Liebe
werde vom Marketing genutzt, uns auf den Kauf von
Gegenständen zu lenken, deren Besitz Anerkennung und
Status versprechen. Etwas so Banales wie Waschmittel, das
man besser von seiner Waschleistung und den Schäden für die
Umwelt her beurteilen sollte, wird mit dem Versprechen
emotional aufgeladen, dass das Familienglück und die Liebe
des Ehemanns mit der richtigen Markenwahl gefördert würden.
Ja, man kann sogar behaupten, es werde metaphysisch
aufgeladen, wenn die »Weiß-heit« und »Reinheit« in der
Werbung herausgestellt werden. Während man früher von
Reklame sprach, ist es der Reklameindustrie gelungen, mit
dem Begriff »Werbung« einen hochemotionalen positiven
Begriff an die Stelle der übel beleumdeten »Reklame« zu
setzen. Natürlich ist der Gedanke des Teilens nicht neu. Auch
die Idee der Wohngemeinschaft gehörte dazu. Allerdings sind
WGs in der Regel ein Beispiel dafür, wie es nicht gut
funktioniert. Die gemeinsame Küche ist unansehnlich, der
Abwasch stapelt sich in der Spüle. Die Wahrnehmung von
Schmutz ist bei den Mitgliedern unterschiedlich ausgeprägt –
während die einen schon anfangen, sich zu ekeln, sehen
andere den Schmutz noch gar nicht (ich spreche aus 17 Jahren
WG-Erfahrung). Die eigentlich innovative Leistung liegt darin,
das Prinzip des Teilens so attraktiv zu machen, dass es in
seiner Praxis konventionellen Verhaltensweisen überlegen ist.
Die Tür tut sich auch dann auf, wenn moderne Technologien so
118
Eine Frau übrigens, die ihre Universitätsprofessur aufgab, weil sie die abstrakten,
lebensfernen Sprachakrobatiken der Wissenschaftler nicht länger mitmachen wollte.
eingesetzt werden, dass sie die Nutzung vereinfachen. Es
braucht ein Smartphone, leistungsfähige Rechner,
Minibezahlsysteme und einiges mehr, die Konzepte wie das
Carsharing so sehr erleichtern, dass die attraktiven Seiten die
Waage der Vor- und Nachteile zugunsten der Vorteile neigen
lassen. Früher hätte man Verträge ausfüllen, mit Schecks,
Bargeld oder Überweisung bezahlen müssen. Das alles
nehmen uns heute im Hintergrund laufende Prozesse ab.
Volkswirtschaftlich spielt der Gemeinschaftskonsum erst eine
geringe Rolle. Immerhin aber nannten in einer Umfrage des
Unternehmens salesforce.com 70 Prozent der Befragten, dass
sie dem Gedanken des Teilens positiv gegenüberstehen.119
Intelligente Nutzungskonzepte haben Zukunft.
Wir sind das Kapital
Erkenne den Entrepreneur in Dir
Aufbruch in eine intelligentere Ökonomie
Autor: Prof. Dr. Günter Faltin
2. Auflage 2015
Copyright © 2015
by Murmann Publishers GmbH, Hamburg
ISBN 978-3-86774-419-5
www.wir-sind-das-kapital.de
119
Hoffmann, Maren: »Teilen als Geschäftsidee. Deins, meins – egal!« In: Spiegel online
vom 22.02.2013.
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