WISSEN Nummer 110 51 DVDs Samstag, 13. Mai 2006 Die Chikyu ist das größte Bohrschiff der Welt. Derzeit ist es noch im Probelauf. Eines Tages jedoch soll das japanische Forschungsschiff mit seinem Superbohrer in den Erdmantel vordringen und sogar aktive Erdbebenzonen anzapfen Foto: AP Der Erde ins Tagebuch geschaut Ein Bohrschiff hat im Pazifik die Obere Kruste unseres Planeten komplett durchstoßen W ie Teleskope dienen Bohrlöcher dem Blick in die Ferne. Doch während die astronomischen Geräte Milliarden Lichtjahre weit ins All schauen, haben selbst tiefste Bohrungen bisher nur an der Oberfläche der Erde gekratzt. Nun ist es im Pazifik erstmals gelungen, eine komplette Erdschicht zu durchstoßen – und zwar die so genannte Obere Kruste. 1,4 Kilometer unter dem Ozeanboden hat die Bohrspitze sich in das Gabbro-Gestein gegraben, eine Lage von erkaltetem Magma. Bei solchen Bohrungen kommt es nicht in erster Linie auf die Tiefe an. Andernorts haben Forscher schon viel tiefer gebohrt, ohne die erste Hülle unseres Planeten zu durchdringen. In der Oberpfalz beispielsweise befindet sich das zweittiefste Loch der Welt. Anfang der 90er Jahre drang in Windischeschenbach ein Bohrer 9101 Meter in die Erde vor. Bis zum Mittelpunkt der Erde fehlten noch stolze 6370 Kilometer. Eigentlich war geplant, noch einige Kilometer tiefer zu bohren. Doch für das Gerät gab es kein Durchkommen, plastisches Gestein in der Tiefe verhinderte dies. Auf den Kontinenten wird man die Erdkruste vermutlich niemals durchdringen können, sie ist mit durchschnittlich 30 Kilometern einfach zu dick. Unter dem Meeresgrund hingegen beginnt bereits nach wenigen Kilometern der Erdmantel. Er gilt Forschern als äußerst interessante Region, denn dort liegt der Ursprung von Vulkanen und Erdbeben, der Antrieb der Erdplatten und die Quelle von Metalllagerstätten. Der Vorstoß dorthin hat begonnen. Wie ein Forscherteam auf „Science online“ berichtet, haben sie nach sechs Monaten bohren die Erdkruste durchstoßen und sind 100 Meter in die Untere Kruste, die GabbroSchicht, vorgedrungen. Zum Erdmantel fehlen nun noch zweieinhalb Kilometer. Die Bohrung war eine Geduldsprobe. Dreimal machte sich das Schiff Joides Resolution für zwei Monate auf den Weg zum Bohrloch, wo es jeweils wochenlang auf demselben Fleck Bei der Expedition wurden 23 Meißel zerschlissen ausharrte. 23 Bohrmeißel wurden zerschlissen. „Wir sind erleichtert, dass es geklappt hat“, sagt Jochen Erbacher von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe. An einem Dutzend anderer Orte hatte man zuvor vergeblich versucht, die Obere Kruste zu durchstoßen. Zwar war es im vergangenen Jahr im Atlantik gelungen, die Untere Kruste anzubohren. Doch das Gestein lag ganz offen an einem Bruch im Meeresboden. Mit den Daten aus dem Pazifik konnten die Forscher erstmals ihr Modell vom Aufbau der oberen Erdkruste überprüfen – und fanden im Wesentlichen, was sie berechnet hatten. Das war nicht unbedingt zu erwarten. Denn schon oft mussten Wissenschaftler nach einer Bohrung ihr Konzept vom Aufbau der Erdschichten revidieren, zum Beispiel vor 16 Jahren in der Oberpfalz. Die so genannte ozeanische Erdkruste bedeckt 60 Prozent der Erdoberfläche. Sie entsteht an den so genannten Mittelozeanischen Rücken: Dort dringt Magma aus langen Spalten, die von gewaltigen Gebirgszügen gesäumt werden, und drückt den Meeresboden zur Seite. Das Magma erstarrt zu Gestein und muss gleich darauf neuem Magma Platz machen. Dass ausgerechnet im Pazifik der Vorstoß in die Untere Kruste gelang, liegt an der hohen Driftgeschwindigkeit der dortigen Cocos-Erdplatte. Das Magma wird hier relativ schnell nach dem Ausquellen weggeschoben, so dass keine allzu dicke Kruste entstehen kann. Durch Klüfte dringt Wasser in die neue Erdkruste: In einer Million Jahre zirkuliert das gesamte Meerwasser durch die ozeanischen Böden. Wasser und Gestein verändern sich dabei, in der Erdkruste entstehen Metalldepots. Gold, Silber und Kupfer lagern sich beispielsweise ab. Der Bohrkern aus dem Pazifik liefert den bisher besten Einblick in diese Hexenküche, die Untersuchungen haben aber erst begonnen. „Wir wollen herausfinden, wie sich die Rohstoffe bilden“, sagt Birgit Scheibner von der Uni Göttingen und Teilnehmerin an der Bohrexpedition. Die neue Bohrung ist ein weiterer Meilenstein des an Glanzlichtern nicht armen inter- nationalen Tiefseebohrprogramms IODP. In den vergangenen 40 Jahren wurden etwa 2500 Bohrlöcher in die Meeresböden getrieben. Bereits die Untersuchung der ersten Bohrkerne brachte eine Revolution, sie bestätigte die Theorie von den wandernden Erdplatten. Auf folgenden Expeditionen sichteten die Forscher gewaltige Energievorräte in Form von Methaneis, fanden urzeitliche Bakterien, entdeckten Metalldepots. Sie schauten der Erde gewissermaßen ins Tagebuch; längst untergegangene Welten wurden wieder lebendig. Selbst der Kalte Krieg Japaner planen Vorstoß zum Erdmantel konnte das Programm nicht beeinträchtigen, amerikanische und sowjetische Forscher arbeiteten auf den Expeditionen zusammen. In den kommenden beiden Jahren beginnt ein neuer Abschnitt des Forschungsprogramms IODP. Während die USA das derzeitige Bohrschiff Joides Resolution vergrößern, chartern die Europäer Spezialschiffe für Bohrkampagnen im Meereis und Flachwasser. Und die Japaner nehmen ein neues Bohrschiff in Dienst. Die 600 Millionen Euro teure Chikyu (japanisch für Erde) absolviert derzeit erste Probefahrten. Sie soll mit neuer Technik ihr Bohrgestänge in den Erdmantel senken. Axel Bojanowski Wettlauf zum Mond Die Eroberung des Weltraums gehört zu den größten Abenteuern der Menschheit. Nach dem Zweiten Weltkrieg spielte sich zwischen den rivalisierenden Supermächten USA und UdSSR ein Kampf um die Vorherrschaft im All ab, der 1969 in der Mondlandung der Amerikaner gipfelte. Die beiden genialen Konstrukteure Wernher von Braun auf Seiten der Amerikaner und der Russe Sergei Koroljow hatten den Bau von Raketen vorangetrieben, ohne voneinander zu wissen. Die vierteilige Serie dokumentiert den Kalten Krieg im Weltraum mit einer Mischung aus Computer-Animafiktionalen tionen, Spielfilmelementen und unveröffentlichtem Doku-Material. Dem Zuschauer wird es keine Sekunde langweilig; Hollywood hätte das Ganze nicht besser inszenieren können. rab [Polyband, 20 Euro] Tore für Deutschland Schwer einzuschätzen, ob es sich bei der DVD „Tore für Deutschland – Die jungen Superstars der Nationalmannschaft“ um eine gute Geldanlage handelt. Womöglich sind die jungen Wilden aus dem Klinsmann-Kader in Kürze nur noch jung. Der ehemalige Fußballstar und Schiedsrichterfreund Anthony Baffoe („Wir Schwarzen müssen zusammenhalten“) begegnet Metze, Poldi, Schweini und wie die Jungstars vom Fanblock sonst noch gerufen werden auf Ballhöhe. Soll heißen, er stellt keine Fragen, zu deren Beantwortung es ein abgeschlossnes Studium braucht. Lieber fordert er die Kicker beim Lattenschießen heraus. Wir Älteren mögen uns wundern, wenn manche Interviews in hingefläzter Lage stattfinden und aus fünf Kameraperspektiven gedreht sind – aber deshalb sind wir auch die Älteren. hör [Universum, ca. 10 Euro] Wunderland Deutschland RTL 2 steht nicht gerade im Verdacht, Bildungsfernsehen zu senden. Doch so langsam versucht der Privatkanal offenbar, von seinem TrashImage wegzukommen. Unter anderem indem er Wissensmagazine ins Programm aufnimmt, etwa die Reihe „Welt der Wunder“, die seit einiger Zeit recht erfolgreich läuft. In der Spezialausgabe „Wunderland Deutschland“ testet Moderator Hendrik Hey die Zukunftsfähigkeit der Republik – und kommt zum Ergebnis, dass es mit solarbetriebenen Schiffen, wasserdurchlässigem Asphalt oder wasserstoffbetriebenen Großbussen hier zu Lande mehr unternehmerische Visionen und Innovationen gibt als vermutet. „Meine Entdeckungsreise hat mir gezeigt, dass das Glas nicht halb leer ist – es ist halb voll.“ Nach Ansicht der DoppelDVD ist der Zuschauer ähnlich positiv gestimmt. ina [Polyband, 19 Euro] Konnte Homo erectus sprechen? Die Zukunft liegt hinter uns Hunde helfen beim Frustabbau A Aymara-Indios haben eine ganz andere Vorstellung von der Zeit W b wann konnte der Mensch sprechen? Das ist eine der spannendsten Fragen in der Geschichte der Menschwerdung. Möglicherweise konnte schon der Homo erectus sprechen, der vor rund 1,8 Millionen Jahren lebte. Diese These wurde auf der Jahrestagung der Paleopanthropology Society in San Juan in Puerto Rico von einem amerikanisch-georgischen Forscherteam aufgestellt. Es hatte fünf etwa 1,78 Millionen Jahre alte Rückgratwirbel eines Homo erectus in Dmanisi (Georgien) analysiert. Dabei kam es zu dem Schluss, dass anatomisch gesehen einer menschlichen Sprache nichts im Wege stand. Marc R. Meyer von der University of Pennsylvania, David Lordkipanidze und Abessalom Vekua vom Georgischen Staatsmuseum in Tbilissi verglichen die Wirbel von Dmanisi mit mehr als 2200 entsprechenden Knochen von Menschen, Schimpansen und Gorillas. Dabei zeigte sich, dass die Wirbel im Nacken-, Brust- und Lendenbereich mehr zu denen der modernen Menschen als zu denen der Affen passten. So wie das Rückgrat des Homo erectus demnach beschaffen war, hat es offenbar die Atmungsmuskulatur unterstützt, die zur Artikulation von Sprache notwendig ist. Gegner dieser These gehen davon aus, dass erst der Homo sapiens sprechen konnte, aber auch erst seit etwa 50 000 Jahren. So führte Robert C. McCarthy von der Florida Atlantic University anhand von Rekonstruktionen des Stimmtraktes früher Homo-sapiens-Funde an, dass erst diese moderne Spezies (Homo sapiens existiert seit etwa 120 000 Jahren) zu sprechen begann. Davor hätten alle Homo-Arten zu kurze Halswirbel besessen, die zu einem Stimmtrakt geführt hätten, der nur eingeschränkt Laute habe produzieren können. Meyer entgegnete, dass demnach auch die Aborigines, die Ureinwohner Australiens, nicht sprechen können dürften, denn auch sie haben kurze Halswirbel. Doris Marszk A uf 4000 Meter Höhe sitzt eine alte Indianerin des Aymara-Volkes in den nordchilenischen Anden vor ihrem Lehmhaus: „Früher haben wir mehr Rituale gefeiert. Mit Festen dankten wir der Landgöttin Pachamama für gute Ernte.“ Dabei führt die Frau ihre Hand in einer halbkreisförmigen Bewegung und mit nach oben weisender Handfläche langsam weit nach vorn. Ähnlich unvermutet gestikuliert einer ihrer Stammesgenossen, als er vom nächsten Jahr spricht: Er weist mit dem Zeigefinger über die Schulter – also hinter sich. Diese Gesten offenbaren: Die AymaraIndios stellen unsere Zeitvorstellung auf den Kopf. Sie datieren die Vergangenheit vor und die Zukunft hinter sich. Erforscht wurde das Phänomen von Rafael Núñez, Professor für Kognitionswissenschaft an der Universität Kalifornien, San Diego, zusammen mit der Linguistin Eve Sweetser von der Universität Kalifornien, Berkeley. „Die Aymara sind bisher die Einzigen, bei denen diese fundamentale Abweichung vom üblichen Zeitkonzept wissenschaftlich nachgewiesen wurde“, sagt Núñez. Die ungewöhnliche Zeitidee fand der Wissenschaftler nur noch bei älteren traditionell lebenden Hirten und Bauern dieses DreiMillionen-Volkes um den Titicaca-See. In der Kultur der westlichen Industrieländer ist die Zeit meist ein Pfad, auf dem der Mensch entlangwandert; hinter ihm die Orte, an denen er in der Vergangenheit war, vor ihm die Orte, die er in der Zukunft erreicht. Entsprechend gebrauchen wir Sätze wie: „Wir nähern uns dem Jahresende.“ Manchmal bewegt sich in unserem Bewusstsein die Zeit vorwärts, wenn wir sagen: „Der Winter kommt.“ Anders die Aymara. Für sie zählt nicht Bewegung, sondern Wahrnehmung. In ihrer statischen Zeitvorstellung steht jemand auf der Stelle und schaut. Und weil man nur Aymara betont den Wert eigener Sinneseindrücke. Die Grammatik verlangt von jedem Sprecher, anzugeben, woher er sein Wissen hat. Mit verschiedenen Endungen muss markiert werden, ob man etwas tatsächlich persönlich gesehen oder gehört hat. Allem, was nicht auf eigener Wahrnehmung beruht, begegnen die Aymara skeptisch. Wenn jemand zum Beispiel sagt „Die Amerikaner sind zum Mond geflogen“, ohne mit der entsprechenden grammatischen Endsilbe Kenntnis aus zweiter Hand anzuzeigen, gilt er als Angeber oder Lügner und bekommt Bemerkungen zu hören wie: „Ach, warst du dabei?“ Ob man wie die Aymara ständig die Vergangenheit vor Augen hat Aymara begrüßen am 21. Juni das neue Jahr Foto: AP oder aber wie wir die Zukunft, wirkt sich auf vorn etwas sieht, liegt nach dem Denken die Lebensgestaltung aus. Vorwärts lautet dieser Indios dort das Bekannte – die unsere Devise. Damit können die Aymara Vergangenheit. Hinten, wo man keine nichts anfangen, die Zukunft entzieht sich Augen hat, erstreckt sich das Unbekannte – ja der Sinnenwelt. Folglich lohnt es sich die Zukunft. Entsprechend übersetzen die nicht, darüber zu spekulieren oder groß zu Aymara letztes Jahr wörtlich mit „Auge-, planen. Wer die Aymara mit ZukunftsfraSicht-, Vorne-Jahr“. Zukunft heißt gen behelligt, erntet meist einsilbige Antworten. Mit einer für unser Empfinden phä„Rücken-, Hinten-Zeit“. Ein Grund, vermutet Núñez, sei die „über- nomenalen Geduld warten diese Andentriebene Bedeutung, die die Aymara opti- bewohner stundenlang auf einen Bus, auf scher Wahrnehmung beimessen“. Einer angekündigten Besuch oder den sich hinausihrer Lieblingssprüche lautet: „Wenn man zögernden Beginn einer Versammlung, da gesehen hat, darf man sagen ‚Ich habe gese- sie an den Tag ohnehin keine vorgefassten hen‘ – aber nur dann.“ Auch die Sprache der Erwartungen knüpfen. Katharina Kramer as braucht ein Langzeitarbeitsloser, damit es ihm gut geht? Am besten einen Job. Gibt es diesen aber nicht, dann sollten sich Hartz-IV-Empfänger laut einer Studie einen Hund anschaffen. Die Pilotstudie des Forschungskreises Heimtiere in der Gesellschaft stellte der Vorsitzende Reinhold Bergler kürzlich auf einem Wissenschaftskongress zur Beziehung zwischen Mensch und Heimtier in Ismaning bei München vor. Untersucht wurden die sozialen Verhältnisse von 32 Langzeitarbeitslosen, die Hälfte davon hatte einen Hund. Während die Forscher bei Arbeitslosen ohne Hund oft äußere Verwahrlosung registrierten, verkrafteten Hundebesitzer die Arbeitslosigkeit besser. Sie standen morgens früh auf, führten ihren Hund aus, trafen dabei andere Hundehalter und widmeten sich generell ihrem Haustier. Hundelose Hartz-IVEmpfänger dagegen schliefen viel, griffen öfter zur Flasche, verbrachten viele Stunden vor dem Fernseher und hatten weniger Kontakt zu anderen Menschen. „Ein Hund strukturiert den Tagesablauf und erhält soziale Kontakte“, fasste Bergler die Ergebnisse der Studie zusammen. Er will seine Forschungen zu Hunden und Arbeitslosen nun fortführen. Sollte sich bestätigen, dass Hunde vor Alkoholsucht schützen, wäre ein Kostenfaktor im Gesundheitswesen ausgemerzt, so Bergler. Der Wissenschaftler fordert auch Familien zum Halten von Haustieren auf. Beispielsweise könne das Tier in Krisensituationen hilfreich sein. Zudem lernten Kinder durch die Tiere, Verantwortung zu übernehmen. Auch sein Kollege Kurt Kotrschal von der Universität Wien sieht Haustiere als wichtige Begleiter des Menschen und appelliert an Eltern, ihren Kindern den Zugang zu Tieren zu ermöglichen: „Kinder mit Tieren können sich besser in andere hineinversetzen und haben darum in der Gesellschaft die Nase vorn.“ Maria Marquart