FAQ: Präimplantationsdiagnostik

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FAQ: Präimplantationsdiagnostik
Stand: Januar 2011
Präimplantationsdiagnostik (PID)
Die PID ist die genetische Untersuchung von Embryonen im Rahmen einer künstlichen Befruchtung, bevor er in die Gebärmutter der Frau übertragen werden. Im Englischen wird die PID auch oft PGD genannt (preimplantation genetic diagnosis).
Bei welchen Paaren wird eine PID durchgeführt?
Die PID wird bei zwei Gruppen von Paaren durchgeführt:
1. Paare, die ein hohes Risiko haben, ein Kind mit einer genetisch bedingten Erkrankung zu bekommen. Bei diesen Paaren liegt in der Regel nicht die Indikation für eine Unfruchtbarkeit oder
Fertilitätsstörung vor, d.h. sie könnten auch auf natürlichem Wege ein Kind zeugen.
2. Paare, die eine Fertilitätsstörung haben und eine künstliche Befruchtung durchführen lassen.
Hier wird die PID in der Regel durchgeführt, um spontane - also nicht auf Grundlage einer genetischen Disposition der Eltern basierende - Chromosomenstörungen wie zum Beispiel Trisomien
oder Monosomien festzustellen. Diese Form der PID wird auch Aneuploidie-Screening genannt,
im Englischen PGS (preimplantation genetic screening). Das Aneuploidie-Screening ist derzeit in
der reproduktionsmedizinischen Praxis die häufigste Anwendung der PID. Die Hoffnung ist, die
Erfolgsrate der künstlichen Befruchtung dadurch zu erhöhen. Dies hat sich in der Praxis nicht bestätigt, so dass inzwischen zunehmend auch in wissenschaftlich-medizinischen Kreisen wieder
von dem Aneuploidie-Screening abgeraten wird.1
In welchem Entwicklungsstadium des Embryos wird eine PID durchgeführt?
Für eine PID werden einem Embryo mindestens eine bis zwei Zellen

am 3./4. Tag („frühe“ PID, auch Blastomerenbiopsie genannt) oder

am 5./6. Tag („späte“ PID, auch Blastozystenbiopsie oder Trophoblastenbiopsie genannt)
entnommen.
Der Unterschied zwischen den beiden Stadien der Zellentnahme ist u.a., dass bei der frühen PID nicht
ausgeschlossen werden kann, dass noch totipotente Zellen vorhanden sind. Eine Untersuchung
totipotenter Zellen ist nach dem Embryonenschutzgesetz verboten. Auch der Bundesgerichtshof hat in
seinem Urteil lediglich die „späte“ PID für zulässig erklärt.
Ein weiterer wesentlicher Unterschied ist, dass bei der späten PID nicht Zellen des Embryos selbst, sondern vom Nährgewebe (Trophoblast) entnommen werden, die später den embryonalen Anteil der Plazenta bilden.
Grundsätzlich ist die Entnahme und genetische Analyse an einzelnen (wenigen) Zellen schwierig, so
dass die PID im Ausland in der Regel immer an spezialisierten Zentren durchgeführt wird.
Hinsichtlich der Aussagekraft der genetischen Analyse, des Risikos der PID für den Embryo und der
Auswirkungen der PID auf die spätere Einnistung des Embryos in die Gebärmutter der Frau werden die
frühe und späte PID wissenschaftlich kontrovers diskutiert.2 In der Praxis ist die frühe PID derzeit (noch)
die häufigere Variante, allerdings wegen der hohen Fehlerquote bei der Feststellung von Chromoso-
1
siehe u.a. Harper et al. 2010: ESHRE PGD-consortium data collection: cycles from January to December 2007 with
pregnancy follow-up to October 2008. Human Reprdouction, Vol. 25, No 11, pp. 2685-2707; PID-Stellungnahme
Leopoldina, acatech und Berlin-brandenburgische Akademie der Wissenschaften vom Januar 2011;
http://www.leopoldina.org/fileadmin/user_upload/Politik/Empfehlungen/Nationale_Empfehlungen/stellungnahme_p
id_2011_final_a4ansicht.pdf .
2
siehe
u.a.
auch
Anhörung
Deutscher
Ethikrat
am
16.
Dezember
2010,
Audioprotokolle
http://www.ethikrat.org/veranstaltungen/anhoerungen/praeimplantationsdiagnostik )
menstörungen umstritten. Bei der späten PID besteht unter anderem das Problem, dass dadurch der
Embryo erst später der Frau übertragen werden kann (unter Umständen erst im nächsten Zyklus).
In welchen Ländern der EU ist die PID zugelassen?
Die PID ist in vielen EU-Ländern zugelassen wie z.B. Belgien, Großbritannien, Frankreich, Dänemark,
Spanien, Schweden oder Niederlande. In anderen EU-Ländern wie Italien, Irland oder Österreich ist sie
verboten.3
Wie hat sich die PID in den Ländern, in denen sie zugelassen ist, entwickelt?
Die Datenlagen ist unsicher. Zur Verfügung stehen lediglich Zahlen, die die weltweit agierenden fortpflanzungsmedizinischen Zentren auf freiwilliger Basis dem so genannten „PGD-Konsortium“ der European Society of Human Reproduction and Embryology (ESHRE) zur Verfügung stellen, die das ESHRE
regelmäßig publiziert. Eine Auswertung der ESHRE-Zahlen der Jahre 1999 – 2007, die bei der Anhörung
des Deutschen Ethikrates im Dezember 2010 vorgestellt wurde, ergab u.a., dass in diesen Jahren bei
14.429 Paaren eine PID durchgeführt wurde. Davon waren

rund 60 % der Fälle eine PID zur Feststellung von spontanen Chromosomenstörungen (das so genannte Aneuploidie-Screening)

rund 16 % eine PID zur Feststellung von Chromosomenstörungen oder monogenen Erbkrankheiten bei Paaren mit genetischer Vorbelastung

rund 5 % eine PID zur Feststellung von X-chromosomalen Erbkrankheiten bei Paaren mit genetischer Vorbelastung

restliche Indikationen nicht weiter aufgeschlüsselt bzw. indifferent (z.B. Geschlechtsbestimmung
oder HLA-Typisierung für so genannte „Rettungskinder“ – siehe Glossar)
Weiterhin ergaben die ESHRE-Zahlen, dass bei 52 % der letztlich geborenen Kinder eine
Pränataldiagnostik durchgeführt wurde und die PID keinen Einfluss auf den Anteil der Mehrlingsschwangerschaften nach einer künstlichen Befruchtung hatte. Dieser Anteil blieb gleich (hoch) bei rund
23 %.4
Warum wird die PID durchgeführt?
Laut der aktuellsten ESHRE-Publikation von 2010 (Zeitraum für die Erhebung der Daten Januar bis Dezember 2007 einschließlich Geburten bis Oktober 2008) wurde die PID

3.753 zur Feststellung von Trisomien/Monosomien (Aneuploidie-Screening)5

1.203 zur Feststellung monogener Erbkrankheiten

729 zur Feststellung von Chromosomenstörungen (vor allem Translokationen, die mit hoher
Wahrscheinlichkeit zu Tot- und Fehlgeburten führen wie z.B. die Robertson-Translokation, siehe
Glossar unter Translokationen)

110 zur Feststellung geschlechtsgebundener Krankheiten

92 für eine Geschlechtsbestimmung („social sexing“) durchgeführt.6
3
siehe u.a. TAB-Bericht zur PID von 2004; Irmgard Nippert 2006: Präimplantationsdiagnostik – ein Ländervergleich;
TAB-Bericht Fortpflanzungsmedizin, 2010)
4
Folien Luca Gianaroli, Vorsitzender der ESHRE, zu den PID-Entwicklungen in den Jahren 1997-2007, vorgelegt bei
der Anhörung Deutscher Ethikrat zur PID 16.12.2011; http://www.ethikrat.org/dateien/pdf/anhoerung-pid-2010-12-16gianaroli.pdf
5
Die Indikation für eine PID im Rahmen des Aneuploidie-Screening ist nicht ein bestimmtes Krankheitsbild, sondern
in den meisten Fällen das Alter der Frau, die eine künstliche Befruchtung durchführen lässt. Die zweithäufigste
Indikation für das Aneuploidie-Screening ist eine mehrmalige erfolglose künstliche Befruchtung. Die ESHREPublikation von 2010 gibt keine Auskünfte darüber, welche festgestellten Trisomien oder Monosomien im Rahmen
eines Aneuploidie-Screenings dazu führten, dass der Embryo nicht übertragen wurde.
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion / FAQ Präimplantationsdiagnostik
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Nach welchen Krankheiten wird im Rahmen einer PID gesucht?
Laut der ESHRE-Publikation wurden u.a. folgende Krankheitsbilder (kurze Erläuterungen siehe Glossar)
mittels einer PID festgestellt:
Autosomal-rezessive Krankheiten

Beta-Thalässamie

Sichelzellanämie

Cystische Fibrose

Spinale Muskeldystrophie
Autosomal-dominante Krankheiten

Chorea Huntington

Myotonic Dystrophie

Neurofibromatosis

Charcot Marie-Tooth
Geschlechtsgebundene Krankheiten (X-linked)

Fragiles X-Syndrom

Duchenne und Becker Muskeldystrophie

Turner-Syndrom

Klinefelter-Syndrom

sowie zahlreiche weitere vererbbare oder spontane Chromosomenstörungen, für die in der
ESHRE-Liste keine „Krankheitsnamen“ genannt werden.
Neben diesen „häufigsten“ Indikationen für eine PID werden in der ESHRE-Publikationen weitere 115
monogene Krankheiten unter „andere Indikationen“ für eine PID aufgelistet wie z.B. familiärer Brustund Darmkrebs, Marfan Syndrom oder Phenylketonurie.
Was sind die am häufigsten vorgebrachten Argumente für und gegen eine PID?
Pro-Argumente (Auswahl):

Wunsch des Paares mit starker genetischer Belastung für ein gesundes Kind

Psychische und physische Belastung durch einen späten Schwangerschaftsabbruch („Schwangerschaft auf Probe“)

Diagnose einer genetischen Störung des Embryos vor Eintritt der Schwangerschaft

Gleichstellung der PID mit den Möglichkeiten der Pränataldiagnostik
Contra-Argumente (Auswahl):

Bewertung embryonalen menschlichen Lebens unter dem Aspekt der Selektion
6
Harper et al. 2010: ESHRE PGD-consortium data collection: cycles from January to December 2007 with pregnancy
follow-up to October 2008. Human Reprdouction, Vol. 25, No 11, pp. 2685-2707.
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
Entscheidung zur Selektion bei der PID leicht als bei der PND

Öffnung der gesellschaftlichen Akzeptanz für einen Anspruch auf ein „Kind nach Maß“

Diskriminierung von Menschen, die mit der Krankheit oder Behinderung leben, nach der im
Rahmen einer PID untersucht wird
Positionen bei anderen gesellschaftlichen Gruppen (Auswahl):

Der Deutsche Ethikrat will bis zum Februar 2011 eine Stellungnahme zur PID bzw. Fortpflanzungsmedizin vorlegen. Der frühere Nationale Ethikrat legte Anfang 2003 eine Stellungnahme zur
PID vor, in der er es unterschiedliche Voten gab. Eine Gruppe sprach sich für ein Verbot der PID
aus, die andere Gruppe für eine Zulassung der PID für Paare, die Träger einer schweren Erbkrankheit sind. Zur Eingrenzung der PID schlug der Ethikrat vor, dass diese nur an wenigen lizenzierten Zentren vorgenommen werden sollte.

Behindertenverbände wie Lebenshilfe und die katholische Kirche fordern ein Verbot der PID. Sie
argumentieren, dass eine Begrenzung auf wenige schwere Erbkrankheiten nicht möglich sei.
Grundsätzlich würden bei der PID Embryonen aussortiert, d.h. ihre Vernichtung sei Teil des Verfahrens.

Die EKD hat sich noch nicht explizit geäußert, allerdings hat sich der Ratsvorsitzende der EKD
Nikolaus Schneider für eine begrenzte Zulassung der PID ausgesprochen.

Die Bundesärztekammer (BÄK) hat sich noch nicht explizit zu der aktuellen PID-Debatte geäußert.
Die BÄK begrüßt grundsätzlich eine umfassenden Regelung der Fortpflanzungsmedizin. Eine AG
zur Fortpflanzungsmedizin bei der BÄK erarbeitet schon länger (auch schon vor dem BGH-Urteil
zur PID) Vorschläge zur grundsätzlichen Regelung des Bereichs bzw. hinsichtlich einer Überarbeitung der Richtlinien der BÄK zur künstlichen Befruchtung.

Die Verbände der Fortpflanzungsmediziner (u.a. Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe; DGGG) und Selbsthilfeverbände wie Wunschkind e.V. sprechen sich für die (breite)
Zulassung PID aus. Sie argumentieren vor allem damit, dass es inkonsistent sei, im Rahmen der
Pränataldiagnostik so gut wie alle Untersuchungen rechtlich zuzulassen, bei der PID aber nicht.

Die Leopoldina legte - zusammen mit der acatech und der Berlin-Brandenburgischen Akademie
der Wissenschaften - im Januar 2011 eine Stellungnahme zur PID vor. Sie spricht sich darin u.a.
für die Zulassung der PID bei Erbkrankheiten und gegen eine Zulassung der PID im Rahmen des
Aneuploidie-Screenings aus.
Welche Möglichkeiten der genetischen Diagnostik bei "natürlichen Schwangerschaften" gibt es?
Zulässig sind laut dem Gendiagnostik-Gesetz so gut wie alle vorgeburtlichen Untersuchungen, mit denen festgestellt werden kann, ob die Gesundheit des Embryos vor oder nach der Geburt beeinträchtigt
sein kann.
Zu den vorgeburtlichen Untersuchungen zählen alle invasiven Untersuchungsmethoden wie Fruchtwasseruntersuchung (Amniozentese), Untersuchung an Chorionzotten oder an fetalem Nabelschnurblut.
Aber auch Untersuchungen, die nur eine Wahrscheinlichkeitsangabe zulassen, ob bei dem Embryo oder
Föten bestimmte genetische Eigenschaften vorliegen wie z.B. der sog. Triple-Test oder die Ultraschallbestimmung der Nackenfalte, mit denen die Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen eines kindlichen DownSyndroms festgestellt werden soll.
Verboten sind im Gendiagnostik-Gesetz (u.a. auch auf Intervention von Bündnis90/Die Grünen) vorgeburtliche Untersuchungen bei so genannten "spätmanifestierenden" Krankheiten, die also erst sehr spät
im Leben auftreten. Argumentiert wird, dass in diesen Fällen weder die Lebensqualität der Mutter beeinträchtigt wäre, noch ziehen diese genetischen Untersuchungen therapeutische oder präventive Konsequenzen nach sich.
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion / FAQ Präimplantationsdiagnostik
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Vorgeschaltet vor den vorgeburtlichen Untersuchungen sind laut Gendiagnostik-Gesetz immer eine
Aufklärung und Beratung der Paare und sie dürfen nur medizinischen Zwecken dienen (und nicht allgemein der Lebensplanung).
Schwangerschaftsabbruch bei behinderten Kindern – was ist rechtlich möglich?
Mit Blick auf den Schutz des ungeborenen Lebens von lebensfähigen Kindern mit Behinderungen wurde
die Streichung der eugenischen Indikation im Jahr 1995 als ein wichtiger Erfolg gefeiert. Schwangerschaftsabbrüche allein wegen drohender Behinderung des Kindes sind seitdem rechtswidrig.
Schwangerschaftsabbrüche nach medizinischer Indikation sind de facto bis zur Geburt des Kindes
(Stichwort: Spätabtreibung) zulässig. Sie dürfen nur durchgeführt werden, wenn eine Gefahr für das Leben oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung für den körperlichen oder seelischen
Gesundheitszustand der schwangeren Frau besteht.
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion / FAQ Präimplantationsdiagnostik
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