29.12.1997

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Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung
Globale Umweltveränderungen (WBGU)
Geschäftsstelle am Alfred-Wegener-Institut
Postfach 12 01 61 • 27515 Bremerhaven
Fax.: 0471/4831-218 • Tel.: 0471/4831-723
Internet: http://www.awi-bremerhaven.de/WBGU/
E-mail: [email protected]
WBGU/Presse
97/5d
PRESSEERKLÄRUNG
Internationaler Tag für die biologische Vielfalt am 29. Dezember
Menschheit verspielt das „grüne Gold“
Wälderschutz und biologische Sicherheit international vertraglich verankern – Novelle des
deutschen Naturschutzgesetzes dringend erforderlich – Verantwortung des Menschen –
Biologische Vielfalt notwendig für nachhaltige Entwicklung – Unersetzlicher Beitrag zur
Nahrungsproduktion – Biologische Vielfalt liefert wertvolle Rohstoffe und fördert
Lebensqualität
29.12.1997. Durch die ungebremste Vernichtung der biologischen Vielfalt gehen der
Menschheit täglich wertvolle Grundlagen zur Erzeugung von Arzneimitteln und zur Züchtung
neuer Nutzpflanzen verloren. Vor allem ist der Erhalt der biologischen Vielfalt unverzichtbar
für die ökologischen Funktionen unserer Umwelt. Hierauf weist der Wissenschaftliche Beirat
der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) anläßlich des Internationalen
Tages der biologischen Vielfalt am 29. Dezember hin.
Wälderschutz und biologische Sicherheit international vertraglich verankern
Ohne weltweite vertragliche Regelungen wird die Menschheit das „Grüne Gold“ verspielen.
Ein bestehendes Regelwerk ist die völkerrechtsverbindliche „Konvention über die biologische
Vielfalt“, die während des Erdgipfels in Rio de Janeiro 1992 verabschiedet wurde und 1994 in
Kraft trat. Jetzt kommt es auf die Umsetzung der Bestimmungen in den Unterzeichnerstaaten
an. Darüber werden die Staaten erstmals im Mai 1998 auf der Vertragsstaatenkonferenz in
Bratislava berichten. Vor allem in zwei Bereichen sind Nachbesserungen notwendig. Nach
Ansicht des WBGU ist ein Zusatzprotokoll für den globalen Schutz der Wälder dringend
erforderlich, denn der Raubbau an den Urwäldern in den Tropen und in den nördlichen
Breiten geht unvermindert weiter. Außerdem wird für das Thema Sicherheit bei der Nutzung
moderner Gentechnologie ein Zusatzprotokoll zur Biodiversitätskonvention benötigt. Es geht
hierbei um die Eindämmung von Risiken durch Freisetzung gentechnisch veränderter
Lebewesen. International sind der Schutz und die Nutzung von biologischer Vielfalt sowie die
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gerechte Teilhabe an der Nutzung genetischer Ressourcen zu Schlüsselthemen in der
Diskussion um nachhaltige Entwicklung geworden.
Novelle des deutschen Naturschutzgesetzes dringend erforderlich
Nach Ansicht der Wissenschaftler ist die Novelle des seit Jahren diskutierten deutschen
Naturschutzgesetzes jetzt dringend erforderlich. Auch die EU-Richtlinien müssen in
Deutschland zügig umgesetzt werden. Das betrifft vor allem die Flora-Fauna-HabitatRichtlinie, mit der ein Netzwerk von Schutzgebieten unter dem Namen „Natura 2000“
eingerichtet werden soll. Es wird geschätzt, daß das weltweite Artensterben durch den
Menschen bereits um mehr als das tausendfache gegenüber der natürlichen Rate beschleunigt
wird. Die „Roten Listen“ der bedrohten Arten werden immer länger: In Deutschland sind
mehr als ein Viertel der Pflanzenarten in ihrem Bestand gefährdet, bei Kriechtieren, wie
beispielsweise Eidechsen, sind es schon 75 Prozent.
Verantwortung des Menschen
Verursacher des Verlustes an biologischer Vielfalt ist der Mensch, insbesondere durch
ökologisch problematische Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft. Die Nutzung der
biologischen Ressourcen ohne Rücksicht auf die Natur hat bereits schwere ökologische
Schäden verursacht. Es gibt zahlreiche Beispiele für diesen Raubbau: großflächige
Kahlschläge und Brandrodungen von Wäldern, das Leerfischen von ganzen Meeresregionen
mit moderner Technik, die Zerstörung der empfindlichen und für den Küstenschutz
wertvollen Mangrovenwälder und die Fischerei in Korallenriffen durch planmäßige
Vergiftung mit Zyanid. Dieser Raubbau wird mit dem unwiederbringlichen Verlust von
Lebensräumen mitsamt ihrer Artenvielfalt bezahlt.
Biologische Vielfalt notwendig für nachhaltige Entwicklung
Ohne die Erhaltung biologischer Vielfalt für künftige Generationen ist eine „nachhaltige
Entwicklung“ – das 1992 auf dem Erdgipfel in Rio beschlossene wichtigste internationale
Ziel – nicht erreichbar. Daher ist die Förderung nachhaltiger Nutzungsmethoden, wie
beispielsweise umweltschonender Landbau, Agroforstwirtschaft und nachhaltige Fischerei,
unverzichtbar für den Schutz der biologischen Vielfalt weltweit. In den Industrieländern
liegen die größten Lösungspotentiale zur Erhaltung der biologischen Vielfalt in der
Landwirtschaft, da sie die wichtigste Ursache für ihren Verlust ist. Für die
Entwicklungsländer kann die Entwicklungszusammenarbeit wichtige Beiträge leisten. Daher
begrüßt
der
Beirat
ausdrücklich
die
Schwerpunktsetzung
der
deutschen
Entwicklungszusammenarbeit
im
Bereich
nachhaltige
Nutzung.
Besondere
Herausforderungen bestehen beim Ausgleich von Nutzungsverzicht durch Anrainer von
Schutzgebieten und bei der gerechten Verteilung der Gewinne aus der Nutzung genetischer
Ressourcen zwischen der Industrie und dem Herkunftsland.
Unersetzlicher Beitrag zur Nahrungsproduktion
Die biologische Vielfalt ist eine unersetzliche Quelle für neue Arzneimittel und leistet einen
wichtigen Beitrag zur Nahrungsproduktion. Damit die notwendigen Ertragssteigerungen und
Anpassungen von Nutzpflanzen beispielsweise an neue Krankheiten erreicht werden können,
benötigt man anpassungsfähige Sorten, in die ständig neues genetisches Material eingekreuzt
werden muß. Diese Gene stammen aus den wildlebenden Verwandten der Nutzarten und vor
allem aus der rapide schwindenden Vielfalt der traditionellen lokalen Sorten. Man schätzt,
daß heute bereits 70% der ursprünglichen Vielfalt dieser Sorten verschwunden sind. Diese
„Gen-Erosion“ schreitet unvermindert voran. Die Medizin verdankt viele ihrer erfolgreichsten
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Arzneien den Wirkstoffen wildlebender Arten. Bis heute ist nur ein Bruchteil aller Arten
beschrieben, und nur von ganz wenigen Arten sind überhaupt die Nutzungsmöglichkeiten
bekannt. Der Mensch zerstört dieses „Grüne Gold“, zumal sein Wert nur schwierig in Mark
und Pfennig bemessen werden kann und die Umsetzung der gesetzlichen Regelungen in die
Praxis noch unzureichend ist.
Biologische Vielfalt liefert wertvolle Rohstoffe
Natürliche Ökosysteme versorgen uns auch direkt mit wertvollen Rohstoffen und Produkten,
beispielsweise Holz, Papier, Fisch und Naturheilmittel. Darüber hinaus ist der Erhalt der
biologischen Vielfalt ein wichtiger Beitrag zum Umweltschutz, denn nur intakte Ökosysteme
können sauberes Trinkwasser liefern und verhindern, daß wertvoller Boden verloren geht. Der
Vermögenswert dieser Produkte und Dienstleistungen wird zum Beipiel nach einer neuen USStudie auf die gewaltige Summe von 1600–5400 Milliarden Dollar jährlich geschätzt.
Biologische Vielfalt fördert Lebensqualität
Die Wertschätzung einer intakten Natur und der zunehmende Ökotourismus zeigen, wie
wichtig die biologische Vielfalt für die Lebensqualität der Menschen ist. Den Menschen wird
immer mehr bewußt, daß sie die Verantwortung dafür tragen, die Natur unversehrt an die
künftigen Generationen zu übergeben. Der Verlust von Arten ist aber nicht rückgängig zu
machen, und die natürliche Neubildung von Arten durch die Evolution ist ein langsamer
Prozeß. Daher müssen Anstrengungen zum Schutz von Arten und Ökosystemen hohe Priorität
haben, beispielsweise durch den Ausbau des internationalen Schutzgebietsnetzes im Rahmen
des UNESCO-Programms „Der Mensch und die Biosphäre“. Dieses Programm verdient nach
Ansicht der Wissenschaftler verstärkte Unterstützung.
Der WBGU
Der WBGU wurde im Frühjahr 1992 als unabhängiges Beratergremium von der Bundesregierung eingerichtet. Hintergrund war die wachsende Sorge um die Bewahrung der natürlichen
Lebens- und Entwicklungsgrundlagen der Menschheit und die Einsicht, daß internationales
Handeln immer dringlicher wird. Der Beirat beschreibt in jährlichen Berichten die globale
Umweltentwicklung und die daraus folgenden gesellschaftlichen Probleme. Dabei sollen besonders die 1992 auf dem Umweltgipfel in Rio de Janeiro behandelten internationalen Vereinbarungen und die AGENDA 21 berücksichtigt werden. Außerdem geben die Gutachten
konkrete Empfehlungen für umweltpolitisches Handeln und für Forschungsprogramme.
Bisher erschienen in der Reihe Welt im Wandel folgende Jahresgutachten: „Grundstruktur
globaler Mensch-Umwelt-Beziehungen“ (1993), „Die Gefährdung der Böden“ (1994), „Wege
zur Lösung globaler Umweltprobleme“ (1995) und „Herausforderung für die deutsche
Wissenschaft“ (1996). Das Jahresgutachten 1997 mit dem Titel „Wege zu einem nachhaltigen
Umgang mit Süßwasser“ ist soeben erschienen. Der WBGU hat außerdem zu den
Klimagipfeln in Berlin (1995) und Kyoto (1997) Sondergutachten vorgelegt.
Dem Beirat gehören an: Der Agronom Prof. Dr. F. Beese aus Göttingen, der Meteorologe
Prof. Dr. K. Fraedrich aus Hamburg, der Ökonom Prof. Dr. P. Klemmer aus Essen, die
Juristin Prof. Dr. Dr. J. Kokott aus Düsseldorf, die Psychologin Prof. Dr. L. Kruse-Graumann
aus Hagen, die Medizinerin Prof. Dr. C. Neumann, der Soziologe Prof. Dr. O. Renn aus
Stuttgart, der Physiker Prof. Dr. H.-J. Schellnhuber aus Potsdam, der Botaniker Prof. Dr. E.D. Schulze aus Jena, der Limnologe Prof. Dr. M. Tilzer aus Bremerhaven, der Ökonom Prof.
Dr. P. Velsinger aus Dortmund und der Ökonom Prof. Dr. H. Zimmermann aus Marburg.
Geschäftsführer ist der Meeresbiologe Prof. Dr. M. Schulz-Baldes aus Bremerhaven.
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Rückfragen bitte an die Geschäftsstelle des WBGU Tel. 0471/4831-723 oder an Prof. Dr.
Schulze 0921/552 571.
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