VL Sozialstruktur, Geschlechterbeziehungen und räumliche Differenzierung VL 7 Intersektionalität/Interdependenzen: Klasse – Ethnizität – Geschlecht Hildegard Maria Nickel Sommersemester 2013 Gliederung I. Intersektionalität – woher kommt der Begriff? II. Intersektionalität im Kontext europäischer/ deutscher Debatten III Beispiele III. B i i l 1. Wissenstheoretischer, methodologischer Umgang mit den Kategorien (z (z.B. B McCall) 2. Grundlagentheoretische Neuorientierung (Knapp) 3. Praxeologischer Ansatz (Winker/Degele 2008) 4. Strukturkategorien als widersprüchliche Kräfte in der Moderne (Lenz 2009) 5 G 5. Geschlecht(-erregime) hl ht( i ) und d Eth Ethnizität i ität (Mi (Migrationsregime) ti i ) als l Verbindung der Mikroebene alltäglicher Interaktionen mit Mesoebene der Institutionen (Lutz 2007) Literatur 2 2 I. Intersektionalität – woher kommt der Begriff? - seit Anfang dieses Jahrhunderts werden auch in Deutschland/Europa die zunehmend komplexeren sozialen Ungleichheiten unter Begriff der Intersektionalität verhandelt - Begriff, der insbesondere von der feministischen Forschung und den Gender Studies forciert wurde, mittlerweile aber auch in der Sozialstrukturforschung angekommen ist (hier oft „Interdependenzen“) 3 - Begriff in USA entwickelt, zunächst v.a. aus bewegungspolitischem Zusammenhang heraus: schwarze Frauen thematisierten ihre 3fache Unterdrückung g als Zusammenhang g und Wechselwirkung von sex, race, class - Damit war zugleich Kritik am durch weiße Mittelschichtfrauen repräsentierten Feminismus verbunden Vgl : The Combahee River Collective 1982 Vgl.: 4 Begriff der Intersektionalität wurde im rechtswissenschaftlichen Kontext geprägt Kimberle Crenshaw 1998 = Metapher, mit der veranschaulicht wird wird, dass sich Diskriminierung schwarzer Frauen nicht einfach aus Addition von sex, race, class erklärt „Achsen“ (axes) sozialer Ungleichheit sind mit spezifischen ifi h B Betroffenheiten t ff h it verbunden b d 5 • E Erfahrung f h als l ((schwarze) h )R Rechtsanwältin ht älti iin Zusammenhang mit Antidiskriminierungsgesetzen: • Fälle entweder unter Aspekt des „Frauseins“ oder des „Schwarzseins“ behandelt Bild der Straßenkreuzung / „intersectionalty“ 6 • Entlang dieser Überkreuzungen verlaufen Privilegierungen oder Diskriminierungen • Fazit: Antidiskriminierungsgesetzgebung nicht in der Lage, der gesellschaftlichen Situation schwarzer Frauen als einer derjenigen Gruppen Gruppen, die unter Mehrfachunterdrückung leiden, angemessen zu begegnen 7 Achtung: Untersuchungsobjekt sind nicht M h i Mechanismen d der S Segregation, ti sondern d deren (identitätspolitische) Effekte g geht p primär um Entwicklung g von policy-Instrumenten der Antidiskriminierung (UNO-Ebene, NGO´s) 8 II. Intersektionalität im Kontext europäischer/deutscher Debatten - Begriffe gender, race, class sind in den USA zunächst ä h tP Positionsiti und d Id Identitätsbegriffe tität b iff - Sie sind nicht 1:1 in die geisteswissenschaftliche/ sozialwissenschaftliche Tradition Deutschlands übertragbar Kontextualisierung notwendig ((Wissens-)Geschichte, Kultur Pfad der Nationenbildung, Kultur, Nationenbildung der Industrialisierung etc.) Welche sozialen Dimensionen werden betrachtet und wie viele? Warum? Klassisch: race – class – gender Und (?) Religion – Alter – Nation – sexuelle se elle 9 Orientierung usw. → Frage des politischen, sozialen, wissenschaftlichen i h ftli h Standpunkts, St d kt wie i Relevanz und Hierarchie verschiedener sozialer i l Di Dimensionen i b betrachtet t ht t wird id → Frage g des Erkenntnisinteresses ((was soll herausgearbeitet werden?) zentrale Frage in den Sozialwissenschaften: Wechselwirkung der Dimensionen in ihrer soziale Ungleichheit erzeugenden Relevanz 10 Ziele: a) „Achsen Achsen“ der Ungleichheit, Ungleichheit Überschneidung von sozialstrukturellen Merkmalen in ihrer Wirkung erfassen = empirisch p beschreibend: In welcher Gesellschaft leben wir? Analyseebenen: - Gesellschaft/ Makroebene - Interaktionen/ Mikroebene - Institutionen/ Mesoebene - Soziale Kohäsion? - Soziale Konflikte? - Inklusion I kl i – Exklusion? E kl i ? - Identität? - Milieus? - Lebensstile? - Lebensläufe/Statuspassagen/ Gruppendynamiken? - Diversity Management? - Chancengleichheitspolitik? - Förderpolitik? 11 b) theoretische bzw. kategoriale Fragen: Wissenstheoretische,, wissenssoziologische g Ebene 12 III. Beispiele: 1 Wissenstheoretischer 1. Wissenstheoretischer, methodologischer Umgang mit den Kategorien z.B. Leslie McCall (2005) ( ) „anticategorial“ „intracategorial“ „intercategorial complexity complexity“ postmoderne/ poststrukturalistische Theorien/ Dekonstruktion der Kategorien Differenzierungen innerhalb sozialer Gruppen, v.a. im Rahmen empirischer Studien Komplexer, vergleichender, gesellschaftstheoretischer Ansatz; Relationalität der Kategorien/ g auf Fokussierung „multiple social groups“ Vorsicht, wenn „Befreiung aus Kategorien als das eigentliche Ziel; nicht Kategorien Ursache von Machtrelation, sondern Mittel, um ihr zu begegnen“; (Soiland 2008) Interdependenz p von sozialen Merkmalen innerhalb der G Geschlechterhl ht gruppen z.B. 13 2. Grundlagentheoretische Neuorientierung herrschafts- und selbstkritische „Re-Visionen der (West-) Europäischen Moderne“ Moderne (Knapp) - Eurozentrismus ((„Festung Festung Europa“ Europa Sassen 1996) - Kolonialismus ((„Entwicklungsländer Entwicklungsländer“)) - Opfer-Täter-Mythen (Rommelspacher; ThürmerRohr) - Legitimationslegenden für UnterdrückungsUnterdrückungs und Herrschaftsverhältnisse 14 These (Klinger 2003): Strukturgeber moderner Gesellschaften sind Geschlecht – Rasse – Klasse Aber: Diff Differenzen und d Ungleichheiten zwischen den Subjekten vielfältig(er): neben Geschlecht – Rasse – Klasse: Alter, Sexualität, Alt S lität Religion, R li i Behinderung etc. 15 These: - Nach cultural turn (Betonung der horizontalen Differenzierungen und De/Konstruktion) ist social return (Analyse der Ungleichheit produzierenden vertikalen Achsen) notwendig! (Cornelia Klinger) - Neben Fragen nach sozio-kultureller De /Konstruktion von Gender zunehmend wieder De-/Konstruktion Frage nach gesellschaftlich-struktureller Konstitution von Ungleichheitsverhältnissen relevant 16 3. Praxeologischer Ansatz Nina Degele/Gabriele Winker (2008) Mehrebenenansatz: „Strukturebene“ „Repräsentationsp ebene“ „Identitätsebene“ gesellschaftliche Reproduktion p symbolische y Ordnung AkteurInnen 17 „Auf allen diesen Ebenen spielen Differenzierungen Naturalisierungen und Differenzierungen, Hierarchisierungen eine zentrale Rolle. Denn auf der Grundlage von Differenzkategorien konstruieren Individuen unterschiedliche Identitäten und reproduzieren verschiedenartige Repräsentationen und damit gleichzeitig materialisierte Strukturen.“ 18 4. Strukturkategorien als widersprüchliche K äft in Kräfte i d der M Moderne d (Ilse Lenz 2009) Man kann das (empirische) Zusammenwirken verschiedener Ungleichheitsfaktoren als mehrdimensionale und polyzentrische Matrix beschreiben (Lenz) Heuristischer Hintergrund zur Analyse von Macht-, Ressourcen VerteilungsRessourcen-, Verteilungs und Anerkennungs Anerkennungskonstellationen 19 Klasse, Geschlecht, Klasse Geschlecht Migration Migration, Formen des Begehrens bilden in ihrer Wechselwirkung ein Spannungsverhältnis sozialer Ungleichheit Abkehr von eindimensionalen Erklärungen sozialer Ungleichheit und Differenz 20 „GeschlechtsnomadIn“ (Menschen wählen und wandeln ihre geschlechtliche Identität kontextuell in ihrem Lebenslauf) und „illegale MigrantIn MigrantIn“ = entgegengesetzte g g g Pole der 'Achsen der sozialen Ungleichheit' 21 Beide B id Fäll Fälle sind i d nicht i ht d dadurch d h zu erklären, klä dass vertikale Strukturkategorien (Klasse/Geschlecht) herangezogen werden: Weder extreme Unsicherheit der Illegalität noch innovativer Selbstentwurf der GeschlechtsnomadInnen sind durch monokausale Ansätze Geschlecht, Migration, Klasse zu erklären 22 → integrierte Sicht auf Strukturen und Prozesse Zentrale Kategorie „Teilhabe“ in den Dimensionen „Verteilung Verteilung“, „Anerkennung Anerkennung“, „soziale und politische Partizipation“ 23 Tafe el 1 Inklusion/Exklusion in der Verteilungsdimension nach Geschlecht und Migration Tafe el 2 Inklusion/Exklusion in der Anerkennungsdimension nach Geschlecht und Migration Tafe el 3 Inklusion/Exklusion in der Partizipationsdimension nach Geschlecht und Migration 5. Geschlecht(-erregime) und Ethnizität (Migrationsregime) als Verbindung der Mikroebene alltäglicher Interaktionen mit Mesoebene der Institutionen (Helma Lutz 2007) • Feminisierung der Migration seit Ende des 20. Jahrhunderts • „Global care chains“ (Hochschild), t transnationale ti l M Mutterschaft, tt h ft verbunden b d mit it „care drain“ und „motherblaming“ 27 Doing Gender Geschlecht wird in alltäglichen Handlungen, in Wahrnehmungs Wahrnehmungs-, Darstellungs- und Zuschreibungsroutinen hergestellt. 28 Doing Ethnicity Auch Ethnizität als soziale Strukturkategorie wird handelnd hergestellt Genauso wie Geschlecht hergestellt. ist diese Kategorie hierarchisch strukturiert t kt i t und dh habitualisiert. bit li i t 29 Doing Ethnicity als Variante des (Un)doing Gender – je nach g g und Ethnizität Klassenzugehörigkeit kann das asymmetrische Geschlechterverhältnis abgeschwächt oder verstärkt werden. 30 Beispiel: p Care Arbeit wird im „postmodernen Milieu“ ( GeschlechtsnomadInnen“)) nach Ethnizität („GeschlechtsnomadInnen neu verteilt, bleibt aber weiblich. Weibliche Karriere und Emanzipation = weiß Care = weiblich, ethnisiert, Zuarbeit 31 Drei zentrale Regime involviert in Doing Gender/Doing Ethnicity: a) Genderregime b) Migrationsregime Mi ti i c) Wohlfahrtsregime 32 a)) Genderregime g Solange bestehende Asymmetrie zwischen Fü Fürsorge und dE Erwerbsarbeit b b it aufrechterhalten f ht h lt wird id und die drei C's (Cooking, Cleaning, Caring) auf d einen der i S Seite it d des G Geschlechterdualismus hl ht d li verortet bleiben, wird über Weltmarkt P Perpetuierung t i traditioneller t diti ll G Geschlechterhl ht zuständigkeiten und damit neotraditionalistische F t h ib Fortschreibung des d Geschlechterdualismus G hl ht d li erfolgen. (H. Lutz) 33 b) Migrationsregime Restriktive Einwanderungspolitik g p verhindert keine illegale Einwanderung, sondern generiert Grauzonen informeller Arbeitsmärkte g und „neue Dienstmädchen im Zeitalter der Globalisierung“ g (H. Lutz) 34 c) Wohlfahrtsregime Soziale S i l B Betreuungsstruktur, t t kt die di zwischen i h Familie, Staat und Markt geregelt und v.a. von Frauen F als l „Liebesdienst“ Li b di t“ iin privaten i t Haushalten geleistet worden ist, gerät unter D k Druck. 35 c) Wohlfahrtsregime Der (informelle, illegale) „Import“ von MigrantInnen ist mittlerweile unverzichtbar, nicht nur für die „Import-Länder“, sondern auch für die „Export-Länder“: Nach Schätzung der Weltbank betrugen 2005 die Rücküberweisungen von MigrantInnen 167 Mill Mill. Dollar (Entwicklungshilfe: 106.5 Mill. Dollar) Sozialpolitischer Handlungsbedarf muss mit globaler Perspektive verbunden werden! 36 Arlie Russell Hochschild: „Global Care Chains and Emotional Surplus p Value“,, in: Giddens,, A./Hutton,, W. (Hg.): On the Edge. Living With Global Capitalism, London 2000 Cornelia Klinger: „Ungleichheit in den Verhältnissen von Klasse, Rasse und Geschlecht“, in: Knapp, G.-A./Wetterer, A. (Hg.): Achsen der Differenz Differenz. Gesellschaftstheorie und feministische Kritik II, Münster 2003, S. 14-48 Lite eraturr Helma Lutz „Die Die 24 24-Stunden-Polin Stunden Polin – Eine intersektionelle Analyse transnationaler Dienstleistungen“, in: Klinger, C./Knapp, G.A./Sauer, B.: Achsen der Ungleichheit. Zum Verhältnis von Klasse, Geschlecht und Ethnizität, Frankfurt/Main 2007 Ilse Lenz „Geschlecht, Klasse, Migration g und soziale Ungleichheit“, in: Lutz, Helma (Hg.): Gender-Mobil? Vervielfältigung und Enträumlichung von Lebensformen Transnationale Räume Räume, Migration und Geschlecht Geschlecht, Münster 2009, S. 25-68 37