Allgemeine Psychologie II Prof. Dietrich Albert WS 2002 / 2003 Ab 7. Jänner 2003 WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 1 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Arbeitsgedächtnis • Phonologischer Ähnlichkeitseffekt (Baddeley, 1966) • Darbietung von Sequenzen bestehend aus fünf Wörtern zur unmittelbar anschließenden seriellen Wiedergabe • Lautliche Ähnlichkeit beeinträchtigte den Anteil korrekt wiedergegebener Sequenzen sehr viel stärker als semantische Ähnlichkeit im Vergleich zu unähnlichen Sequenzen (% richtig reproduzierter Wörter) WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 2 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Arbeitsgedächtnis • Phonologischer Ähnlichkeitseffekt (Baddeley, 1966) • Die geringe Gedächtnisleistung bei lautlich ähnlichen Items wird als Indiz für den phonologischen Charakter des relevanten Speichers gewertet • Für lautlich ähnliche Items resultieren in einem phonologischen Speicher sehr ähnliche Repräsentationen bzw. Enkodierungen • Wegen der Ähnlichkeit der entsprechenden Gedächtnisspuren können diese nur schwer diskriminiert werden, so dass sich eine geringe Reproduktionshäufigkeit ergibt WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 3 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Arbeitsgedächtnis • Wortlängeneffekt (Baddeley, Thompson & Buchanan, 1975) • Lesen Sie die folgenden Wörter Laub, Spuk, Beil, Duft, Kahn • Geben Sie die Wörter nun wieder WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 4 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Arbeitsgedächtnis • Wortlängeneffekt (Baddeley, Thompson & Buchanan, 1975) • Lesen Sie die folgenden Wörter Lokomotive, Vegetation, Jahreskalender, Marionette, Lebensgefährte • Geben Sie die Wörter nun wieder WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 5 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Arbeitsgedächtnis • Wortlängeneffekt (Baddeley, Thompson & Buchanan, 1975) • Die Anzahl korrekt wiedergegebener Wörter variiert mit der jeweiligen Anzahl der Silben • Aus einer Sequenz von fünf einsilbigen Wörtern wurden im Mittel 4.5 Wörter korrekt wiedergegeben, während es bei fünfsilbigen Wörtern nur 2.6 Wörter waren • In Abhängigkeit von der Anzahl der Silben zeigte sich ein klarer Zusammenhang zwischen dem Anteil korrekt wiedergegebener Wörter und der Leserate (d.h. der Anzahl von Wörtern, die pro Sekunde gelesen werden) WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 6 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Arbeitsgedächtnis • Wortlängeneffekt (Baddeley, Thompson & Buchanan, 1975) WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 7 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Arbeitsgedächtnis • Wortlängeneffekt (Baddeley, Thompson & Buchanan, 1975) • Interpretation • Memorieren erfolgt durch (beobachtbare oder nichtbeobachtbare) Artikulation, also durch ein in Echtzeit ablaufendes sprachmotorisches Programm (subvocal rehearsal) • Da die Dauer dieses Prozesses von der Wortlänge abhängt, werden bei kürzeren Wörtern die Gedächtnisspuren im phonologischen Speicher öfter bzw. mit höherer Wahrscheinlichkeit aufgefrischt, bevor sie verblassen oder zerfallen WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 8 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Arbeitsgedächtnis • Effekt irrelevanter Sprache (Salamè & Baddeley, 1987, 1989) • Folgen von neun Ziffern wurden unter drei Bedingungen visuell dargeboten und waren unmittelbar danach wiederzugeben • Darbietung in Stille • Zusätzliche Darbietung gesprochener Wörter • Zusätzliche Darbietung gesprochener sinnarmer Silben • In allen Fällen waren die Versuchspersonen angewiesen, die zusätzlich dargebotenen Reize zu ignorieren WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 9 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Arbeitsgedächtnis • Effekt irrelevanter Sprache (Salamè & Baddeley, 1987, 1989) • Ergebnisse • Gegenüber der Darbietung in Stille war die Leistung bei gesprochenen Wörtern und sinnarmen Silben in gleichem Maße beeinträchtigt • Interpretation • Die nichtbeachteten Reize haben Zugang zum phonologischen Speicher erlangt, der lautliche, aber nicht semantische Information enthält WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 10 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Arbeitsgedächtnis • Effekt irrelevanter Sprache (Salamè & Baddeley, 1987, 1989) • Weitere Ergebnisse • Rauschen führte nicht zu einer Beeinträchtigung der Wiedergabe, auch wenn durch entsprechende Hüllkurven eine sprach-ähnliche Segmentierung erzeugt wurde • Vokalmusik (Opernarie in fremder Sprache, Popsong in Muttersprache) hatte stets einen Effekt, vergleichbar mit irrelevanter Sprache • Instrumentalmusik (klassisch, modern) hatte ebenfalls einen Effekt, jedoch weit weniger ausgeprägt WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 11 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Arbeitsgedächtnis • Artikulatorische Unterdrückung (Baddeley, Lewis & Vallar, 1984) • Empirischer Befund • Hat die Versuchsperson in einem klassischen Experiment zur Gedächtnisspanne die Aufgabe, wiederholt ein irrelevantes Wort (z.B. “bla, bla, bla”) auszusprechen, so ist ihre Leistung sowohl bei auditiver wie auch visueller Darbietung deutlich vermindert • Interpretation • Das Aussprechen eines irrelevantes Wortes dominiert den artikulatorischen Kontrollprozess und verhindert so, dass Information im phonologischen Speicher gehalten wird bzw. von einer visuellen in eine phonologische Repräsentation überführt wird WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 12 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Arbeitsgedächtnis • Artikulatorischen Unterdrückung: Wechselwirkungen • Vorhersage empirischer Phänomene • Wenn das Aussprechen eines irrelevantes Wortes verhindert, dass Information im phonologischen Speicher gehalten wird bzw. von einer visuellen in eine phonologische Repräsentation überführt wird, dann sollte die artikulatorische Unterdrückung eine charakteristische Interaktion mit den zuvor beschriebenen Phänomenen bewirken • Diese Wechselwirkungen konnten empirisch auch nachgewiesen werden WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 13 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Arbeitsgedächtnis • Artikulatorischen Unterdrückung: Wechselwirkungen • Empirischer Befund • Der phonologische Ähnlichkeitseffekt verschwindet bei visueller, aber nicht bei auditiver Präsentation der Reize (Baddeley, Lewis & Vallar, 1984) • Interpretation • Artikulatorische Unterdrückung verhindert die Umwandlung des visuellen Inputs in phonologische Repräsentation, die im phonologischen Speicher abgelegt werden könnte, während Sprache direkten Zugang zum phonologischen Speicher hat WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 14 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Arbeitsgedächtnis • Artikulatorischen Unterdrückung: Wechselwirkungen • Empirischer Befund • Der Effekt irrelevanter Sprache verschwindet bei visueller, aber nicht bei auditiver Reizdarbietung (Salame & Baddeley, 1982) • Interpretation • Visueller Input kann nicht phonologisch repräsentiert werden, so dass die Erinnerung über einen nicht-phonologischen Speicher erfolgt, der durch die irrelevante Sprache nicht beeinträchtigt wird; Für auditiven Input resultiert auf Grund des direkten Zugangs zum phonologischen Speicher eine Beeinträchtigung WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 15 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Arbeitsgedächtnis • Artikulatorischen Unterdrückung: Wechselwirkungen • Empirischer Befund • Der Wortlängeneffekt verschwindet sowohl bei visueller wie auch bei auditiver Reizdarbietung (Baddeley, Lewis & Vallar, 1984) • Interpretation • Da der Effekt durch subvokale Artikulation hervorgerufen wird, sollte es bei deren Unterdrückung keine Rolle spielen, ob das (visuell oder auditiv präsentierte) Material langsam oder schnell zu memorieren ist WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 16 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Arbeitsgedächtnis • Visuell-räumlicher Speicher • Neben der phonologischen Schleife postuliert Baddeley einen weiteren temporären Speicher, der als visuell-räumlicher Notizblock (visuo-spatial sketchpad) bezeichnet wird • Seine Funktion besteht in der Bereitstellung und Manipulation visuell-räumlicher Vorstellungsbilder (mentaler Bilder) • Die Funktionsweise wird als analog zur Verarbeitung lautlicher Information in der phonologischen Schleife angesehen WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 17 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Arbeitsgedächtnis • Mentale Rotation • Shepard & Metzler (1971) führten erstmals Experimente zur sogenannten mentalen Rotation durch • Dabei wurden paarweise zweidimensionale Darstellungen von dreidimensionalen Objekten visuell präsentiert • Aufgabe der Versuchsperson war es zu entscheiden, ob die beiden Objekte, abgesehen von ihrer räumlichen Ausrichtung, identisch waren (Ja-Antwort) oder nicht (Nein-Antwort) WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 18 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Arbeitsgedächtnis • Mentale Rotation (Drehung um 80 Grad in der Bildebene) WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 19 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Arbeitsgedächtnis • Mentale Rotation (Drehung um 80 Grad in der Bildtiefe) WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 20 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Arbeitsgedächtnis • Mentale Rotation WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 21 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Arbeitsgedächtnis • Mentale Rotation • Die Ergebnisse zeigen, dass mit jeder Zunahme des Rotationswinkels eine proportionale Verlängerung der für eine (korrekte Ja-)Antwort erforderlichen Reaktionszeit einhergeht • Die resultierenden linearen Zusammenhänge sind bei Rotation in der Bildebene bzw. in die Bildtiefe bemerkenswert ähnlich • Aus dieser Tatsache wird gefolgert, dass die Versuchspersonen unter beiden Bedingungen mit dreidimensionalen analogen Repräsentationen der Reize operieren WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 22 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Arbeitsgedächtnis • Mentale Rotation in der Bildebene WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 23 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Arbeitsgedächtnis • Mentale Rotation in der Bildtiefe WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 24 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Arbeitsgedächtnis • Mentale Rotation • Die Ergebnisse zeigen eine proportionale Erhöhung der für eine (korrekte) Antwort erforderlichen Reaktionszeit mit dem Rotationswinkel • Die resultierenden linearen Zusammenhänge sind bei Rotation in der Bildebene bzw. in die Bildtiefe bemerkenswert ähnlich • Aus dieser Tatsache wird gefolgert, dass die Versuchspersonen unter beiden Bedingungen mit dreidimensionalen analogen Repräsentationen der Reize operieren WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 25 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Arbeitsgedächtnis • Suche in mentalen Bildern • Auch ein Experiment von Kosslyn, Ball & Reiser (1978) zeigt die Gemeinsamkeiten im Umgang mit visuell-räumlichen Vorstellungen und dem Handeln mit physikalischen Objekten • Es wurde eine Landkarte einer fiktiven Insel präsentiert, auf der verschiedene Landmarken eingezeichnet waren (Hütte, Felsen, See, . . . ) • Die Versuchspersonen übten so lange mit dieser Landkarte, bis sie mit hinreichender Genauigkeit nachgezeichnet werden konnte WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 26 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Arbeitsgedächtnis • Suche in mentalen Bildern WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 27 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Arbeitsgedächtnis • Suche in mentalen Bildern • Aufgabe der Versuchsperson war es dann, sich diese Karte vorzustellen und sich auf eine genannte Landmarke zu konzentrieren • Als nach fünf Sekunden eine zweite Landmarke genannt wurde, sollten die Versuchspersonen die (vorgestellte) Karte nach dieser Landmarke absuchen und eine Taste drücken, sobald sie sich in ihrer Vorstellung darauf konzentriert hatten • Als abhängige Variable wurde die resultierende Reaktionszeit betrachtet WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 28 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Arbeitsgedächtnis • Suche in mentalen Bildern WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 29 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Arbeitsgedächtnis • Suche in mentalen Bildern • Die Ergebnisse des Experiments von Kosslyn, Ball & Reiser (1978) zeigen einen annähernd linearen Zusammenhang der Reaktionszeit mit der physikalischen Distanz zwischen den Landmarken • Das bedeutet nicht, dass die Versuchspersonen tatsächlich eine Landkarte im Kopf hatten und sich darin (mental) von einem Ort zum anderen bewegt haben • Die der gezeigten Reaktion zugrunde liegenden Prozesse weisen aber Eigenschaften auf, die den entsprechenden physikalischen Operationen analog sind WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 30 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Arbeitsgedächtnis • Visuell-räumlicher Speicher • Die berichteten experimentellen Ergebnisse sind konsistent mir der Annahme eines visuell-räumlichen Speichers, dessen Funktion ähnlich der des phonologischen Speichers ist • Die wahrgenommene visuelle Information hat obligatorischen Zugriff auf den visuell-räumlichen Speicher, er wird aber auch durch Erzeugung eines mentalen Bildes angesprochen • Grundlage ist eine analoge Repräsentation, die (physikalische) Merkmale der Wahrnehmungssituation beinhaltet und sowohl räumlichen wie auch visuellen Charakter haben kann WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 31 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Arbeitsgedächtnis • Visuell-räumlicher Speicher • Bei der mentalen Manipulation der analogen Repräsentation laufen Prozesse ab, die denen einer tatsächlichen Manipulation der den Vorstellungsbildern entsprechenden physikalischen Objekte Sehr ähnlich sind • Analoge Repräsentationen haben hierarchische Struktur und sind durch Wissen beeinflussbar (die Beurteilung der Lage von Städten wird beeinflusst durch die übergeordnete Lage der Länder) • Die mentalen Bilder sind visuellen Wahrnehmungen sehr ähnlich, aber nicht identisch damit WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 32 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Arbeitsgedächtnis • Visuell-räumlicher Speicher • Was ist das? WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 33 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Arbeitsgedächtnis • Visuell-räumlicher Speicher • Chambers & Reisberg (1985) präsentierten diese Kippfigur kurzzeitig, so dass die Versuchspersonen eine Interpretation aufbauen konnten • Wurden die Versuchspersonen dann aufgefordert, sich eine mentale Vorstellung der Figur zu machen und eine zweite Interpretation dafür zu finden, so waren sie dazu nicht in der Lage • Nachdem sie aufgefordert wurden eine Zeichnung der Figur anzufertigen, waren sie bei deren Betrachtung erfolgreich bei der ReInterpretation Damit wird belegt, dass es trotz gemeinsamer Eigenschaften auch Unterschiede in der Verarbeitung der mentalen Vorstellung eines Objektes und der Verarbeitung der visuellen Repräsentation des wahrgenommenen Objektes gibt WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 34 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Arbeitsgedächtnis • Wesentliche Unterschiede zur Theorie des Kurzzeitgedächtnisses • Die Annahme von Teilsystemen, wie der phonologischen Schleife und des visuell-räumlichen Speichers, steht der Vorstellung eines unitären Kurzzeitgedächtnisses gegenüber • Im Arbeitsgedächtnis benötigt die Information keine bestimmte Verweildauer, um ins Langzeitgedächtnis übertragen zu werden • Entscheidend für die Gedächtnisleistung ist die Art der Enkodierung bzw. Repräsentation der Information, die durch das Arbeitsgedächtnis verfügbar gehalten wird WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 35 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Arbeitsgedächtnis • Charakteristika • Kapazität klein • Ursache des Vergessens Interferenz und Zerfall • Repräsentation phonologisch, visuell-räumlich • Persistenz kurz, < 15s WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 36 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Langzeitgedächtnis • Taxonomien • Episodisches, semantisches und prozedurales Gedächtnis • Explizites und implizites Gedächtnis • Deklaratives und prozedurales Gedächtnis WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 37 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Langzeitgedächtnis • Episodisches Gedächtnis • Umfasst alle Gedächtniselemente, denen eine individuelle RaumZeit-Koordinate zugeordnet ist • Beispiel: Elemente des autobiografischen Gedächtnisses • Evidenz für (fast) kein Vergessen – jenseits der Kindheitsamnesie (Waagenar, 1986) • Bei hinreichend vielen Hinweisreizen ist die Erinnerung an autobiografische Ereignisse nahezu perfekt (Zugriffsproblem als Ursache von Vergessen) WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 38 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Langzeitgedächtnis • Semantisches Gedächtnis • Umfasst alle Gedächtnisinhalte, denen keine Raum-Zeit-Koordinate zugeordnet ist • Hierzu zählen die im Gedächtnis gespeicherten Begriffe und Fakten und deren strukturelle Beziehungen zueinander • Die Identifizierung der Organisation der Elemente des semantischen Gedächtnisses ist ein zentraler Untersuchungsgegenstand der Kognitionspsychologie des Gedächtnisses und wird nachfolgend noch besprochen WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 39 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Langzeitgedächtnis • Prozedurales Gedächtnis • Umfasst das im Gedächtnis gespeicherte Wissen darüber wie man etwas macht (z.B. Fahrradfahren) • Dieses Wissen kann häufig nicht verbalisiert werden • Die Inhalte des prozeduralen Gedächtnisses sind kritisch für den Erwerb von Fertigkeiten und Expertise bzw. für die Fähigkeit zum Problemlösen WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 40 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Langzeitgedächtnis • Deklaratives und prozedurales Gedächtnis • Deklaratives Gedächtnis • Umfasst Gedächtnisinhalte, die explizites Wissen darstellen und weitgehend mit den Inhalten des episodischen und semantischen Gedächtnisses identisch sind • Prozedurales Gedächtnis • Umfasst das im Gedächtnis gespeicherte Wissen darüber wie man etwas macht und ist oft implizites Wissen WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 41 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Langzeitgedächtnis • Explizites und implizites Gedächtnis • Explizites Gedächtnis • Umfasst Gedächtnisleistungen, die das bewusste Erinnern früherer Erfahrungen erfordern • Implizites Gedächtnis • Verfügbarkeit und Gebrauch von Informationen aus früheren Erfahrungen ohne bewusste Erinnerungsprozesse • Explizites und implizites Gedächtnis sind deskriptive Begriffe für den Zustand der Person in der Erinnerungssituation WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 42 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Explizites und implizites Gedächtnis • Beispiel • Viele versierte Schreibkräfte können den Aufbau der Tastatur nicht wiedergeben (außer sie stellen sich vor, wie sie schreiben) • Das Wissen über die Tastenpositionen ist also implizit und dem Bewusstsein nicht ohne Weiteres zugänglich • Je nach Art des Tests (explizites Abfragen vs. Schreibtest) erhalten wir unterschiedliche Ergebnisse zum Erinnerungsvermögen • Das unterschiedliche Verhalten von implizitem und explizitem Gedächtnis wird als Dissoziation bezeichnet WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 43 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Explizites und implizites Gedächtnis • Bei gesunden Menschen sind vollständige Dissoziationen selten, sie treten aber häufig bei bestimmten Formen von Amnesie auf • Graf, Squire & Mandler (1984) verglichen die Leistungen von Amnestikern und gesunden Probanden bei zwei experimentellen Aufgaben • Freie Reproduktion nach Lernen einer Liste von Wörtern • Wortergänzung nach Lernen einer Liste von Wörtern (z.B. gelernt banana, vervollständigen von ban...) WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 44 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Explizites und implizites Gedächtnis WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 45 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Explizites und implizites Gedächtnis • Ergebnisse von Graf, Squire & Mandler (1984) • Bei der freien Reproduktion erzielen die Amnestiker deutlich schlechtere Leistungen als die gesunden Probanden • Bei der Wortergänzung ergeben sich keine Gruppenunterschiede • Das zuvor gelernte Wort wird in mehr als 50 Prozent der Fälle als Ergänzung gewählt (Zufallswahrscheinlichkeit unter 10 Prozent) • Auch bei Gesunden kann man differentielle Effekte experimenteller Manipulationen auf explizites bzw. implizites Gedächtnis nachweisen WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 46 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Explizites und implizites Gedächtnis • Jacoby (1983) verglich den Effekt von drei unterschiedlichen Lernbedingungen auf zwei verschiedene Testbedingungen • Lernbedingungen • Kein Kontext: Lernen isoliert dargebotener Wörter (z.B. Frau) • Kontext: Wörter werden zusammen mit Antonymen als Kontext präsentiert (z.B. Mann - Frau) • Generieren: Das zu lernende Wort ist als Antonym zu generieren (z.B. dargeboten Mann, zu generieren Frau) • Testbedingungen • Wiedererkennen als Test des expliziten Gedächtnisses • Identifikation nach tachistoskopischer Darbietung (40 ms) WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 47 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Explizites und implizites Gedächtnis WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 48 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Explizites und implizites Gedächtnis • Ergebnisse von Jacoby (1983) • Wiedererkennen • Die Ergebnisse zeigen den Effekt elaborativer Verarbeitung • Perzeptuelle Identifikation • Die Leistung liegt höher als bei ungelernten Wörtern (priming) • Mit zunehmender Verarbeitungstiefe nimmt die Leistung ab (Lernen ohne Kontext ist stärker auf perzeptuelle Enkodierung angewiesen) • Elaborative Verarbeitung erleichtert explizite, aber nicht implizite Erinnerung WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 49 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Bedeutungsbezogene Wissensrepräsentation • Wir sind in der Lage verbale Informationen wortwörtlich zu erinnern (z.B. Gedichte, Liedtexte, . . . ) • Es ist aber klar, dass unser Gedächtnis für verbale Informationen nicht ausschließlich mit dem Erinnern wortwörtlicher Formulierungen erklärt werden kann • Ein Experiment von Wanner (1968) illustriert die Umstände, unter denen der genaue Wortlaut erinnert bzw. nicht erinnert wird WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 50 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Bedeutungsbezogene Wissensrepräsentation • Experiment von Wanner (1968) • Versuchsgruppe mit Hinweis “Das Material für diesen Test, die Instruktionen eingeschlossen, wurde auf Band aufgezeichnet. Hören Sie sich die Instruktionen genau an, da wir ihre Fähigkeit testen wollen, sich an bestimmte Sätze aus diesen Instruktionen zu erinnern.” • Versuchsgruppe ohne Hinweis WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 51 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Bedeutungsbezogene Wissensrepräsentation • Experiment von Wanner (1968) • An späterer Stelle folgt einer der kritischen Sätze 1. “When you score your results, do nothing to correct your answers but mark carefully those answers which are wrong” 2. “When you score your results, do nothing to correct your answers but carefully mark those answers which are wrong” 3. “When you score your results, do nothing to your correct answers but mark carefully those answers which are wrong” 4. “When you score your results, do nothing to your correct answers but carefully mark those answers which are wrong” WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 52 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Bedeutungsbezogene Wissensrepräsentation • Experiment von Wanner (1968) • Nach der Instruktion hatten die Versuchspersonen bei Darbietung des geh¨orten kritischen Satz zusammen mit einem der Alternativsätze zu entscheiden, welcher der S¨atze in der Instruktion enthalten war • Dabei ist zu beachten, dass sich die Sätze 1 und 2 bzw. die Sätze 3 und 4 lediglich im Formulierungsstil unterscheiden, nicht aber bezüglich der Bedeutung • Die Sätze 1 und 3 bzw. die Sätze 2 und 4 haben unterschiedliche Bedeutung WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 53 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Bedeutungsbezogene Wissensrepräsentation • Experiment von Wanner (1968) WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 54 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Bedeutungsbezogene Wissensrepräsentation • Experiment von Wanner (1968) • Bei Bedeutungsunterschieden der dargebotenen Sätze ist die Wiedererkennensleistung besser, als bei Unterschieden im Formulierungsstil • Diese Gedächtnisleistung hängt nicht davon ab, ob ein entsprechender Hinweis gegeben wurde oder nicht • Der vorwarnende Hinweis beeinflusst die Behaltensleistung, wenn sich die dargebotenen Sätze lediglich im Formulierungsstil unterschieden • Ohne Hinweis erreicht die Leistung lediglich Zufallsniveau WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 55 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Bedeutungsbezogene Wissensrepräsentation • Wie lässt sich “Bedeutung” formal beschreiben? • Am weitesten verbreitet in der Kognitiven Psychologie ist die aus Logik und Linguistik übernommene Charakterisierung von Bedeutung durch so genannte Propositionen • In den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts wurden verschiedene Theorien des Gedächtnisses entwickelt, die eine propositionale Repräsentation von Gedächtnisinhalten annehmen • Anderson & Bower (1973) • Kintsch (1974) • Norman & Rumelhart (1975) WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 56 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Bedeutungsbezogene Wissensrepräsentation • Propositionen • Eine Proposition ist die kleinste Wissenseinheit, die eine selbständige Aussage bilden kann • Die Aussage muss also von anderen Wissenseinheiten unabhängig sein • Damit ist eine Proposition die kleinste Einheit, die sich sinnvoll als wahr oder falsch beurteilen lässt WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 57 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Bedeutungsbezogene Wissensrepräsentation • Propositionen • Beispielsatz Lincoln, der Präsident der Vereinigten Staaten während eines bitteren Krieges, befreite die Sklaven • Propositionen A. Lincoln war der Präsident der Vereinigten Staaten während eines Krieges B. Der Krieg war bitter C. Lincoln befreite die Sklaven WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 58 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Bedeutungsbezogene Wissensrepräsentation • Propositionen • Beispielsatz Lincoln, der Präsident der Vereinigten Staaten während eines bitteren Krieges, befreite die Sklaven • Formale Charakterisierung der Propositionen A’. (Präsident von, Lincoln, Vereinigte Staaten, Krieg) B’. (bitter, Krieg) C’. (befreien, Lincoln, Sklaven) WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 59 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Bedeutungsbezogene Wissensrepräsentation • Propositionen • Kintsch (1974) notiert also jede Proposition als eine in Klammern gesetzte Liste, bestehend aus einem Prädikat und den zugehörigen Argumenten • Verschiedene Prädikate binden unterschiedlich viele Argumente • Auch der Satz Die Sklaven wurden durch Lincoln, den Präsidenten der Vereinigten Staaten während eines bitteren Krieges, befreit wird durch die Propositionen A’, B’ und C’ charakterisiert WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 60 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Bedeutungsbezogene Wissensrepräsentation • Propositionale Netzwerke • Häufig werden Propositionen und deren Beziehung zueinander durch ein propositionales Netzwerk beschrieben und grafisch dargestellt • Jede Proposition wird dabei durch eine Ellipse dargestellt, die durch beschriftete Pfeile mit ihrem Prädikat und ihren Argumenten verbunden ist • Die Propositionen, die Prädikate und die Argumente nennt man die Knoten des Netzwerks • Die Pfeile heißen Verbindungen (oder auch Kanten) WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 61 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Bedeutungsbezogene Wissensrepräsentation • Propositionale Netzwerke WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 62 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Bedeutungsbezogene Wissensrepräsentation • Propositionale Netzwerke • Die Netzwerkdarstellung der Propositionen A’, B’ und C’ enthalten zum Teil dieselben Knoten (z.B. Krieg, Lincoln) • Diese Überlappungen zeigen an, dass die Netzwerke als Teilstrukturen eines größeren Netzwerks darstellbar sind • Das nachfolgende Netzwerk ist als Repräsentation der Bedeutung des Satzes Lincoln, der Präsident der Vereinigten Staaten während eines bitteren Krieges, befreite die Sklaven zu verstehen WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 63 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Bedeutungsbezogene Wissensrepräsentation • Propositionale Netzwerke WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 64 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Bedeutungsbezogene Wissensrepräsentation • Propositionale Netzwerke • Relevant für die Interpretation eines propositionalen Netzwerks sind allein die Knoten und ihre Verbindungen, nicht aber die bei der grafischen Darstellung gewählte räumliche Anordnung • Dieselbe propositionale Information kann auf zweierlei Art dargestellt werden • als Menge linearer Propositionen, wie etwa die Propositionen A’, B’ und C’ (kompakt und übersichtlich) • als Netzwerk (betont die – z.B. hierarchischen – Beziehungen) WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 65 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Bedeutungsbezogene Wissensrepräsentation • “Hans kaufte Süßigkeiten, weil er hungrig war” WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 66 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Bedeutungsbezogene Wissensrepräsentation • “Hans glaubte, dass die Frau ihr Kind hochheben würde” WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 67 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Begriffliches Wissen • Die Begriffsbildung ist eine herausragende Abstraktionsleistung • Durch Begriffe werden verschiedene Objekte zu Kategorien zusammengefasst unter Betonung von deren Gemeinsamkeiten und unter Vernachlässigung von unterscheidenden Merkmalen • Begriffe verleihen dem Erleben der in der Zeit sich ständig verändernden Umwelt Stabilität • Eine Zuordnung neuer Objekte oder Situationen zu einem bereits bekannten Begriff verringert den ansonsten notwendigen Aufwand der Verarbeitung der Gesamtheit der wahrnehmbaren Reize und ermöglicht Inferenzen über nicht unmittelbar wahrnehmbare Eigenschaften WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 68 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Begriffliches Wissen • Die Differenziertheit der Begriffsbildung des Menschen spiegelt sich in der Sprache wider • Die Beziehung zwischen sprachlichen Äußerungen, den dadurch bezeichneten Objekten und den zugehörigen Begrien wird durch das semiotische Dreieck veranschaulicht WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 69 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Begriffliches Wissen: Komponententheorie • Die traditionelle Begriffslehre fasst einen Begrffi als Zweiheit auf, bestehend aus einer • Extension (Begriffsumfang), d.h. der Gesamtheit der Gegenstände, die unter den Begriff fallen und einer • Intension (Begriffsinhalt), d.h. der Gesamtheit der Merkmale, die auf alle Gegenstände im Umfang des Begriffs zutreffen • Ein Begriff wird konstituiert durch Angabe aller definierenden Merkmale (semantische Komponenten) WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 70 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Begriffliches Wissen: Komponententheorie • Beispiel Ein Junggeselle ist ein unverheirateter, männlicher Erwachsener • Problematik • Was sind die definierenden Merkmale von “Spiel”? • Die traditionelle Begriffslehre ist anwendbar auf die Begriffe formaler Sprachen (z.B. Mathematik), jedoch kaum auf natürliche Begriffe WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 71 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Begriffliches Wissen: Semantische Netzwerke • Quillian (1966) schlägt eine Netzwerkrepräsentation begrifflichen Wissens vor • Begriffliche Kategorien werden als Knoten einer hierarchischen Netzwerkstruktur repräsentiert • Hierarchische Beziehungen (Unterbegriff-Oberbegriff-Relationen) werden durch so genannte “is a”-Verbindungen etabliert • Mit den einzelnen begrifflichen Kategorien sind die jeweils zutreffenden Merkmale verbunden • Im Allgemeinen werden die Merkmale eines Begriffs auf Unterbegriffe vererbt WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 72 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Begriffliches Wissen: Semantische Netzwerke WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 73 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Begriffliches Wissen: Semantische Netzwerke • Collins & Quillian (1969) unterzogen semantische Netzwerke einer empirischen Prüfung • Als experimentelles Paradigma verwendeten sie die Verifikation von Aussagen (sentence verification task) und betrachten die hierbei auftretenden Antwortzeiten als abhängige Variable • Ist die folgende Aussage wahr? 1. Kanarienvogel kann singen 2. Kanarienvogel hat Federn 3. Kanarienvogel hat eine Haut WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 74 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Begriffliches Wissen: Semantische Netzwerke • Collins & Quillian (1969) machten ausgehend von der Struktur des semantischen Netzwerks folgende Annahmen zu den resultierenden Antwortzeiten • Ist das angegebene Merkmal direkt bei der genannten begrifflichen Kategorie gespeichert, so resultieren kurze Antwortzeiten • Ist das relevante Merkmal auf einer höheren Hierarchieebene (Oberbegriff) gespeichert, so benötigt die Antwort umso mehr Zeit, je mehr Hierarchieebenen dazwischen liegen 1. Kanarienvogel kann singen (direkt abgespeichert) 2. Kanarienvogel hat Federn (1 Ebene höher gespeichert) 3. Kanarienvogel hat eine Haut (2 Ebenen höher gespeichert) WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 75 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Begriffliches Wissen: Semantische Netzwerke • Collins & Quillian (1969) erhielten folgende Antwortzeiten 1. Kanarienvogel kann singen 1310 ms 2. Kanarienvogel hat Federn 1380 ms 3. Kanarienvogel hat eine Haut 1470 ms • Die Häufigkeit der Erfahrung hat jedoch Einfluss auf die Antwortzeiten (z.B. “Apfel ist essbar” < “Apfel hat dunkle Kerne”) WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 76 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Begriffliches Wissen: Semantische Netzwerke • Schlussfolgerungen • Bei häufiger Erfahrung wird ein Merkmal direkt bei einem Begriff gespeichert, auch wenn es über Oberbegriffe abgeleitet werden kann • Je häufiger man dem Merkmal eines Begriffes begegnet, desto stärker wird es mit dem Begriff assoziiert und desto schneller erfolgt die Verifikation • Es dauert relativ lange Aussagen zu verifizieren, wenn die entsprechenden Merkmale nicht direkt beim Begriff gespeichert sind, sondern erst abgeleitet werden müssen WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 77 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Begriffliches Wissen: Semantische Netzwerke • Problematik • Bei typischen Beispielen einer Kategorie erfolgt die Verifikation schneller “Amsel ist Vogel” < “Huhn ist Vogel” • Manchmal widersprechen die Antwortzeiten der angenommenen hierarchischen Struktur der Begriffe “Huhn ist Tier < “Huhn ist Vogel” • Es ergeben sich Unterschiede bei richtigen “Nein”-Antworten “Wal ist Pflanze” < “Wal ist Fisch” WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 78 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Begriffliches Wissen: Prototypentheorie • Rosch (1973) hat erstmals untersucht, ob die Zugehörigkeit zu einer Kategorie graduell unterschiedlich ausgeprägt sein kann • Aus den zu einer Kategorie gehörigen Exemplaren wird ein Prototyp abstrahiert und die hierfür charakteristischen Merkmale müssen nicht für jedes Exemplar gelten • Je ähnlicher ein Exemplar zum Prototypen der Kategorie ist, desto schneller kann eine Verifikationsaufgabe bewältigt werden “Spatz ist Vogel” < “Ente ist Vogel” WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 79 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Begriffliches Wissen: Exemplartheorie • Exemplartheorien (Medin & Schaffer, 1978; Nosofsky, 1986) nehmen an, dass kein Prototyp gebildet wird, sondern nur einzelne Exemplare abgespeichert werden • Ist ein neues Objekt zu klassifizieren, so wird dessen Ähnlichkeit zu einer Menge von Exemplaren einer Kategorie betrachtet und hieraus eine Einschätzung der mittleren Ähnlichkeit gewonnen • Trotz der grundsätzlichen Unterschiede zu Prototypentheorien, liefern Exemplartheorien weitgehend dieselben empirischen Vorhersagen (z.B. Effekt der Typikalität) WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 80 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Schemata • Semantische Netzwerke, die lediglich Eigenschaften von Konzepten speichern, sind nicht in der Lage die Komplexität unseres Wissens abzubilden • Mit dem Begriff “Haus” wird vielfältiges Wissen aktiviert • Häuser sind eine Art von Gebäuden • Häuser haben Zimmer • Häuser können aus Holz oder aus Stein gebaut sein • Häuser dienen dem Menschen als Wohnung • Häuser haben meist rechteckige und dreieckige Formen • Häuser sind größer als 10 m2 und kleiner als 1000 m2 WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 81 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Schemata • Zur kognitionspsychologischen Beschreibung dieses Sachverhalts wurden die Konzepte des Schemas (zurückgehend auf Bartlett, 1932), bzw. des Frames (Minsky, 1975) eingeführt • Eine Anwendung des Schema-Konzeptes auf Ereignisse (Rumelhart, 1975; Schank, 1975) wird durch den Begriff Skript bezeichnet • In Schemata wird Wissen in Form einer Struktur, bestehend aus mehreren Slots (Leerstellen), repräsentiert • In diese Slots werden die Ausprägungen verschiedener Attribute (filler) eingesetzt, die einzelne Exemplare einer Kategorie besitzen WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 82 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Schemata • Das Schema-Konzept stammt aus dem Bereich Computerwissenschaft und Künstliche Intelligenz und ähnelt den dort verwendeten komplexen Datenstrukturen • Eine (unvollständige) Schemarepräsentation f¨ur “Haus” • Oberbegriff: Gebäude • Teile: Zimmer • Material: Holz, Stein • Funktion: Wohnraum des Menschen • Form: rechteckig, dreieckig • Größe: Zwischen 10 und 1000 m2 WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 83 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Schemata • Die in den einzelnen Slots angegebenen Ausprägungen von Attributen spezifizieren typische Merkmale • Diese typischen Merkmale dienen als Default-Werte, die aber durch spezifische Angaben überschreiben werden können (Ein Strauß ist ein Vogel, der nicht fliegen kann) • Schemata können sich gegenseitig enthalten • Hierarchische Strukturen werden durch einen Oberbegriff-Slot (“isa”-Verbindung: Gebäude) und durch Teil-Ganzes-Relationen etabliert (z.B. Zimmer) WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 84 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Schemata • Schemata können Wissen auf allen Abstraktionsebenen repräsentieren • Schemata repräsentieren ein auf Erfahrung basierendes Wissen und nicht abstrakte Definitionen oder Regeln • Schemata werden im Rahmen aktiver Lern- und Erinnerungsprozesse eingesetzt (“eort after meaning”; Bartlett, 1932) • Skripts (story grammars) repräsentieren entsprechend unser Wissen über den Ablauf von Ereignissen (z.B. Restaurantbesuch) WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 85 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Schemata • Mit Hilfe von Schemata lassen sich spezifische Erinnerungsfehler erklären • Wenn man sich an die Einrichtungsgegenstände in einem zuvor besuchten Büro erinnern soll, werden häufig beispielsweise Bücher genannt, auch wenn sich tatsächlich keine im Raum befanden (Brewer & Treyens, 1981) • Die Default-Werte einzelner Slots des zugehörigen Schemas können die Erinnerung an die Beschaffenheit einzelner Objekte stark beeinflussen WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 86 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Theorien des Gedächtnisses: ACT • Es wurden verschiedene formale Theorien des Gedächtnisses entwickelt, die versuchen, wesentliche Grundannahmen der Kognitionspsychologie des Gedächtnisses zu implementieren • Die Annahmen zur Struktur des Gedächtnisses werden dabei durch so genannte kognitive Architekturen abgebildet • Formale Theorien bieten den Vorteil, dass man im Rahmen von Simulationsstudien prüfen kann, wie präzise empirisch beobachtete Phänomene vorhergesagt werden WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 87 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Theorien des Gedächtnisses: ACT • Nachfolgend wird die von John R. Anderson vorgeschlagene und mit dem Akronym ACT (Adaptive Control of Thought) bezeichnete Theorie dargestellt John R. Anderson WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 88 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Theorien des Gedächtnisses: ACT • Informationen zu der aktuellen Version ACT-R 5.0 erhält man in Anderson & Lebiere (1998) und über die ACT-Webpage http://act.psy.cmu.edu WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 89 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Theorien des Gedächtnisses: ACT • ACT unterscheidet zwei Arten von Wissen bzw. Ged¨achtnisinhalten • Deklaratives Wissen • Prozedurales Wissen • Repräsentation dieser Gedächtnisinhalte • Deklaratives Wissen wird propositional, als so genannte Chunks implementiert • Prozedurales Wissen wird durch Produktionen (productions) implementiert, die auf dem deklarativen Wissen operieren (Produktionssystem) WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 90 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Theorien des Gedächtnisses: ACT • Ein Chunk ist eine Struktur, die aus verschiedenen Slots besteht, in die verschiedene Werte, die so genannten filler eingetragen werden können (vgl. Schemata) • Der erste Slot (stets ein “isa-slot”) kennzeichnet den Typ des Chunks • Beispiel: “Stockholm is the capital of Sweden” Sweden-fact> isa capital country Sweden city Stockholm WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 91 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Theorien des Gedächtnisses: ACT • Produktionen sind “Wenn-Dann”-Regeln, die aus einem Bedingungsteil (condition side) und einem Handlungsteil (action side) Bestehen • Wenn die im Bedingungsteil formulierten Bedingungen erfüllt sind, dann wird die im Handlungsteil beschriebene Aktion ausgeführt • Die erste Bedingung bezieht sich auf das gegenwärtige Ziel (goal) • Die weiteren Bedingungen beziehen sich typischerweise auf Chunks, die im Speicher aufzufinden sind (retrievals) WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 92 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Theorien des Gedächtnisses: ACT • Beispiel: Produktion “Answer-Capital-Question” if =goal> isa say-capital country =ctry answer nil =country-fact> isa capital country =ctry capital =city then =goal> answer =city WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 93 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Theorien des Gedächtnisses: ACT • Mit dem Begriff Ziel (goal) wird in ACT ein Speicherbereich (memory buffer) bezeichnet, der einen Chunk aufnehmen kann und den gegenwärtigen Fokus der Aufmerksamkeit repräsentiert • ACT versucht das Ziel möglichst schnell zu “erreichen” • Eine Produktion, deren Bedingungsteil erfüllt ist, führt den Handlungsteil aus (firing), d.h. sie ersetzt das bisherige Ziel durch den im Handlungsteil angegebenen Chunk • Sind mehrere Produktionen anwendbar, so wird die mit dem größten Nutzen (utility) ausgewählt WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 94 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Theorien des Gedächtnisses: ACT • Werden verschiedene Chunks öfter gemeinsam benutzt, so werden sie miteinander assoziiert • Die Assoziationsstärke Sij (strength of association) gibt an, wie häufig Chunk j benötigt wurde, wenn Chunk i das Ziel bildete • Die Aktivierungsenergie eines Chunks lässt sich zerlegen in • eine Basis-Aktivierung (basic-level activation), die den bisherigen Gebrauch des Chunks reflektiert (Effekt eines Lernprozesses) • die durch Aktivationsausbreitung hervorgerufene Aktivierungsenergie (spreading activation), die die Relevanz für die Zielerreichung kennzeichnet WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 95 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Theorien des Gedächtnisses: ACT • Aktive Chunks verteilen ihre jeweils gegebene Aktivierungsenergie an die verknüpften Kanten • Das Ausmaß der Aktivierung hängt ab von der Zahl der Kanten und der Assoziationsstärke der Kanten • Beispiel: 100 Einheiten Aktivierungsenergie • 25 Einheiten/Kante bei 4 gleichstarken Kanten • 10, 20, 30 und 40 Einheiten bei 4 Kanten mit relativer Assoziationsstärke 1:2:3:4 WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 96 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Theorien des Gedächtnisses: ACT • Die Wahrscheinlichkeit dafür, dass ein Chunk im Speicher aufgefunden wird, hängt von seiner Aktivierungsenergie ab, die einen bestimmten Schwellenwert übersteigen muss • Zu jedem Zeitpunkt kann nur eine begrenzte Anzahl von Chunks aktiv sein • Die Aktivierungsenergie schwächt sich im Laufe der Zeit ab • Ausgenommen von der Abschwächung der Aktivierungsenergie ist eine Liste von etwa 10 aktiven Chunks (Arbeitsgedächtnis) WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 97 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Theorien des Gedächtnisses: ACT • Die Ausführung einer Produktion in ACT benötigt Zeit • Sind verschiedene Produktionen auszuführen um eine kognitive Aufgabe zu bewältigen, so ergibt sich die erforderliche Gesamtzeit als Summe des Zeitbedarfs der einzelnen Produktionen • Die für eine Produktion benötigte Zeit setzt sich zusammen aus • dem Zeitbedarf für den Abgleich des Bedingungsteils mit den aktiven Chunks (matching latency) • dem Zeitbedarf für die Ausführung des Handlungsteils (effort latency) WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 98 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Theorien des Gedächtnisses: ACT • Die für das Auffinden eines Chunks j erforderliche Zeit Tj hängt von der Aktivierungsenergie Aj des Chunks und der Stärke Sp der benutzten Produktion p (strength of the production) ab • Auch die Stärke einer Produktion kann durch deren Gebrauch im Rahmen eines Lernprozesses verändert werden • Neben Latenzzeiten kann ACT auch andere abhängige Variablen, wie etwa Fehlerhäufigkeiten oder Auswahlentscheidungen, vorhersagen WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 99 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Erklärung empirischer Phänomene durch ACT • Semantische Voraktivierung bzw. assoziative Voraktivierung (semantic priming, associative priming) • Meyer & Schvanefeldt (1971) führten die f¨ur dieses Phänomen als klassisch betrachteten Experimente durch • Sie ließen Versuchspersonen beurteilen, ob Paare von Items aus Wörtern der englischen Sprache bestehen • Die Items wurden übereinander angeordnet präsentiert • Die Versuchspersonen sollten mit “Nein” antworten, sobald eines der Items ein Nichtwort war WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 100 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Erklärung empirischer Phänomene durch ACT • Semantische Voraktivierung bzw. assoziative Voraktivierung (semantic priming, associative priming) • Mittlere Antwortzeiten bei Meyer & Schvanefeldt (1971) WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 101 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Erklärung empirischer Phänomene durch ACT • Semantische Voraktivierung bzw. assoziative Voraktivierung (semantic priming, associative priming) • Für assoziierte (verbundene) Wörter existieren in ACT-R verbindende Kanten zwischen den entsprechenden Chunks • Wird eines der Wörter dargeboten, so breitet sich die Aktivierung des entsprechenden Chunks über das Netzwerk der verbindenden Kanten auch auf andere Chunks (assoziierte Wörter) aus • Nach den Grundannahmen von ACT-R verkürzt sich durch diese Erhöhung der Aktivierungsenergie die erforderliche Verarbeitungszeit WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 102 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Erklärung empirischer Phänomene durch ACT • Fächereffekt (fan effect) • Anderson (1974) präsentierte den Versuchspersonen in einem Wiedererkennungsexperiment 26 Sätze der Form Eine Person befindet sich an einem Ort • Einige Personen kamen nur in Verbindung mit einem Ort vor, während andere Personen in mehreren Sätzen mit unterschiedlichen Orten vorkamen (entsprechend f¨ur Orte und Personen) WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 103 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Erklärung empirischer Phänomene durch ACT • Fächereffekt (fan effect) • Beispiel 1. Der Arzt ist in der Bank (1-1) 2. Der Feuerwehrmann ist im Park (1-2) 3. Der Anwalt ist in der Kirche (2-1) 4. Der Anwalt ist im Park (2-2) • Die in Klammern angegebenen Zahlen bezieht sich auf die Anzahl von Fakten mit denen die entsprechende Person bzw. der entsprechende Ort in der Liste assoziiert sind WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 104 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Erklärung empirischer Phänomene durch ACT • Fächereffekt (fan effect) • Mittlere Wiedererkennungszeiten bei Anderson (1974) • Es zeigt sich ein deutlicher Interferenzeffekt WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 105 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Erklärung empirischer Phänomene durch ACT • Fächereffekt (fan effect) • Propositionale Repräsentation der Beispielliste in ACT-R WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 106 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Erklärung empirischer Phänomene durch ACT • Fächereffekt (fan effect) • Wiedererkennen des Satzes Der Anwalt ist im Park unter Berücksichtigung der Aktivierungsausbreitung • Die Darbietung des Satzes aktiviert die Repräsentationen von Anwalt, in und Park • Die Aktivierungsenergie breitet sich über die Kanten des oben dargestellten Netzwerks aus (Aufteilung der begrenzten Aktivierungsenergie bei Verbindungen zu mehreren Chunks) • Die Wiedererkennenszeit einer Proposition ist umgekehrt proportional zur Aktivierungsenergie des Chunks WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 107 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Erklärung empirischer Phänomene durch ACT • Experiment von Tulving, Schacter & Stark (1982) • Untersuchung von Primingeffekten, wie wir sie im Zusammenhang mit der Unterscheidung zwischen explizitem und implizitem Gedächtnis besprochen haben • Experimentelle Paradigmen • Wiedererkennung • Wortergänzung für Listen von zuvor gelernten bzw. neuen Wörtern WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 108 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Erklärung empirischer Phänomene durch ACT • Daten von Tulving et al. (1982) WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 109 Kognitionspsychologie des Gedächtnisses Erklärung empirischer Phänomene durch ACT • Vorhersage der Daten von Tulving et al. (1982) durch ACT-R WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 110 Neuronale Grundlagen des Gedächtnisses Methoden • Untersuchung der Ausfallserscheinungen (z.B. retrograde und anterograde Amnesie) von Personen mit Hirnverletzungen oder Läsionen im Gehirn (Läsionen als experimentelle Manipiulation bei Tieren) • Inzwischen stehen den Neurowissenschaftlern eine Reihe von Techniken zur Verfügung, um Gehirnaktivitäten direkt messen zu können • EEG (Elektroencephalographie) • fMRI (functional magnetic resonance imaging; fMRT, funktionale Magnetresonanztomographie) • PET (Positronen-Emissions-Tomographie) WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 111 Neuronale Grundlagen des Gedächtnisses EEG (Elektroencephalographie) • Zumeist oberflächliche Ableitung elektrischer Potentiale von der Kopfhaut • Zur Messung der EEG-Aktivität, die auf einen bestimmten Stimulus bezogen ist (ereigniskorreliertes Potential; event-related potential, ERP) erfolgt eine Mittelung der Ergebnisse aus vielen Versuchsdurchgängen • Vorteile: Hohe zeitliche Auflösung (etwa 1 ms) • Nachteile: Geringe räumliche Auflösung (außer bei implantierten Elektroden) WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 112 Neuronale Grundlagen des Gedächtnisses fMRI (functional magnetic resonance imaging) • Durch Einstrahlung elektromagnetischer Strahlung bestimmter Wellenlänge erzeugen die im Hämoglobin befindlichen Eisenmoleküle ein magnetisches Feld, dessen Unterschiede ausgewertet werden (Regionen mit hoher Aktivität weisen durch vermehrten Sauerstoffverbrauch erhöhte Hämoglobinkonzentration auf) • Vorteile: Hohe räumliche Auflösung • Nachteile: Geringe zeitliche Auflösung und lediglich Vergleichmessungen (gegen Ruhebedingung) möglich WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 113 Neuronale Grundlagen des Gedächtnisses fMRI (functional magnetic resonance imaging) WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 114 Neuronale Grundlagen des Gedächtnisses PET (Positronen-Emissions-Tomographie) • Es wird ein radioaktives Präparat mit kurzer Halbwertszeit injiziert, dass sich in aktiven Hirnregionen auf Grund des dort erhöhten Stoffwechsels vermehrt anlagert • Die Zerfallsprodukte geben genauen Aufschluss ¨uber Form und Ort der Hirnaktivität • Vorteile: Hohe räumliche Auflösung mit brillianten Bildern • Nachteile: Geringe zeitliche Auflösung durch langwierige Messungen (lange Aktivierungszeit von ca. 30 min) und verbunden mit einer (allerdings geringen) gesundheitlichen Belastung WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 115 Neuronale Grundlagen des Gedächtnisses PET (Positronen-Emissions-Tomographie) WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 116 Neuronale Grundlagen des Gedächtnisses PET (Positronen-Emissions-Tomographie) WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 117 Neuronale Grundlagen des Gedächtnisses Lokalisation von Funktionen des Arbeitsgedächtnisses • Zumindest bei Primaten kommt dem frontalen Cortex eine entscheidende Rolle im Zusammenhang mit dem Arbeitsgedächtnis zu • Dieser Zusammenhang wurde durch Einzelableitungen und Läsionen beim Affen und durch ERP-, PET- und fMRI-Messungen beim Menschen bestätigt • Ein hierbei verwendetes Standardexperiment ist die verzögerte Übereinstimmungsaufgabe (delayed matching to sample) WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 118 Neuronale Grundlagen des Gedächtnisses Verzögerte Übereinstimmungsaufgabe (delayed matching to sample) WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 119 Neuronale Grundlagen des Gedächtnisses Lokalisation von Funktionen des Arbeitsgedächtnisses • Relevante Areale beim Menschen und beim Affen WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 120 Neuronale Grundlagen des Gedächtnisses Lokalisation von Funktionen des Arbeitsgedächtnisses • Viele Belege, vor allem durch Untersuchung von Amnestikern sprechen dafür, dass der Hippocampus entscheidend für die Langzeitspeicherung von Gedächtnisinhalten ist • Im Tierversuch konnte durch Läsionen des Hippocampus die Fähigkeit neue Assoziationen zu lernen stark beeinträchtigt werden • Dem Patienten H.M. wurden im Zuge der Behandlung seiner Epilepsie der Hippocampus vollständig chirurgisch entfernt, was zu nahezu vollständiger anterograder Amnesie führte WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 121 Neuronale Grundlagen des Gedächtnisses Lokalisation des Hippocampus beim Menschen WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 122 Neuronale Grundlagen des Gedächtnisses Lokalisation des Hippocampus beim Menschen WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 123 Neuronale Grundlagen des Gedächtnisses Methoden: Fazit • EEG-Verfahren und moderne bildgebende Verfahren erlauben eine Messung von Gehirnaktivität mit zum Teil hoher zeitlicher bzw. räumlicher Auflösung • Die Interpretation der erhaltenen Messergebnisse, also die Identifizierung einzelner Funktionen des Gehirns, setzt auf die Mittelung der Daten aus vielen Versuchsdurchgängen und Differenzbildung zu einer Ruhebedingung im Rahmen aufwendig konzipierter experimenteller Designs • Dies macht eine interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Psychologen erforderlich WS 2002 / 2003, Prof. Dietrich Albert 124