Weitere Informationen zum Stück und dem Autor

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INGRID L AUSUND
Albert Ostermaier
Schwarze Sonne
scheine
Bühnenbearbeitung nach dem gleichnamigen Roman
Ostermaiers Monologstück erzählt von der scheinbar aussichtslosen Situation
angesichts eines angekündigten Todes. Ein junger Mann, aufgewachsen in einem katholischen Internat in Bayern, der sein Leben darauf ausgerichtet hat,
Schriftsteller zu werden, muss sich entscheiden zwischen sicherem Tod und ungewissem Überleben. Ein rasanter Thriller über die Verstrickungen zwischen
priesterlichem Mentor und Schüler, Ärztin und Patient, Schreibberufung und
Brotberuf. Ein erschütterndes Panorama moralisch-politischer Strukturen im
Süden Deutschlands, in dem der Einzelne wenig, die Kirche alles zählt.
Albert Ostermaier, geboren 1967,
schreibt Lyrik, Prosa und Dramatik
und lebt und arbeitet in München.
Das 1995 im Bayerischen Staatsschauspiel München uraufgeführte
Stück Zwischen zwei Feuern. Tollertopographie eröffnete Albert Ostermaiers Karriere als Theaterautor.
Seine Stücke wurden u.a. am Nationaltheater Mannheim, am Berliner
Ensemble und am Wiener Burgtheater gespielt und von namhaften Regisseuren inszeniert, u.a. von Andrea
Breth, Lars-Ole Walburg und Martin
Kušej. 2010 schrieb er das Libretto
für die Oper Die Tragödie des Teufels
als Auftragswerk der Bayerischen
Staatsoper zusammen mit dem
ungarischen Komponisten Péter
Eötvös. Die Theaterstücke Aufstand
und Halali kamen 2011 zur Uraufführung. Ebenfalls 2011 erschien sein
Roman Schwarze Sonne scheine.
Albert Ostermaier wurde mit namhaften Preisen und Auszeichnungen
geehrt, u.a. dem Kleist-Preis, dem
Bertolt-Brecht-Preis und 2011 mit
dem Welt-Literaturpreis für sein
literarisches Gesamtwerk.
Uraufführung des Auftragswerks: 28. November 2012, Les Théâtres de la Ville de
Luxembourg/Théâtre des Capucines
Regie: Johannes Zametzer
»Eine schier unglaubliche Geschichte, erzählt in
tragikomischer Manier. Eine tollkühne Achterbahnfahrt
durch alle Facetten eines unter Strom gesetzten
Gehirns.« Herbert Grönemeyer
»So ist ›Schwarze Sonne scheine‹ ein schönes, trauriges
und hochnotkomisches, ein absurdes, ein verzweifeltes
und warmes Buch geworden.« Frankfurter Rundschau
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Foto: Anita Schiffer-Fuchs
287 Seiten. Geb. € 22,90
(978-3-518-42220-5)
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ALBERT OSTERMAIER
Was uns im Innersten angeht
Aus der Laudatio von Dominique Horwitz zur Verleihung des
›Welt‹-Literaturpreises an Albert Ostermaier
Illusionen, Fiktionen, Lebenslügen und gebrochene
Perspektiven – wer sonst bietet in der aktuellen Literatur solche Möglichkeitsräume an? Albert Ostermaier
ist ein Autor, der Gegensätze zusammendenkt und das
Undenkbare in gewaltige Bilder verwandelt. Worüber
man nicht sprechen kann, davon muss man sich ein
Bild machen. Er findet die Wahrheiten, an denen Andere mit weit geschlossenen Augen vorbeischreiben.
Wenn wir Schauspieler seine Worte in den Mund nehmen, habt ihr da unten noch lange daran zu schlucken.
Was Albert Ostermaier schreibt, bedeutet eine spannungsreiche Überforderung des Lesers, der nur lesen
will und nicht hören oder nur hören, aber nichts erkennen. Das ist sein Programm: Durch die Präzision
seiner Sprache unsere verkühlten Herzen in Brand zu
setzen – denn wir leben in kalten Zeiten – und alle
unsere Sinne zu öffnen. Laut sollten seine Gedichte gelesen werden, und wer das tut, blickt in einen Spiegel,
in dem gerade die letzte Szene eines film noir läuft.
Vertrauen und Verrat, Liebe und Verlust – das sind die
großen Themen Albert Ostermaiers. Er schreibt eine
Literatur, die nur aus Abschieden zu bestehen scheint,
aber das stimmt nicht – im Gegenteil: Es geht bei ihm
immer um die Selbstbehauptung des Individuums,
um die Würde des Zweifels und der Verzweiflung,
vor allem um Bewahrung des Ich vor der schleimigen
Vereinnahmung durch irgendeinen politischen, gesellschaftlichen oder ästhetischen Konsens.
So arbeitet er seit Anfang an: Er hat sein erstes Theaterstück über Ernst Toller geschrieben, als niemand
mehr etwas vom politischen Theater und schon gar
nichts von gescheiterten Emigranten wissen wollte.
Und sein jüngster Roman Schwarze Sonne scheine ist
allein sprachlich so hoch komplex und ambitioniert,
dass er nicht in die momentane Tiefebene der deutschen Literaturlandschaft passt. Das Paradoxe ist: Albert Ostermaier gilt, weil er Erfolg beim Publikum hat,
für die Kritiker als modischer Autor, was hierzulande
einem Todesurteil gleichkommt. Dabei macht er genau
das Gegenteil dessen, was gerade Mode ist. Er folgt
keinem literarischen Kompass. Verweigerung der Himmelsrichtung heißt geradezu prophetisch sein erster
Gedichtband von 1988. »Hier habt ihr einen, auf den
könnt ihr nicht bauen« – diese Haltung hat ihm sein
Vorbild Bert Brecht mitgegeben. Gegen die Zeit, trotz
aller Kritik und gegen den ästhetischen Konsens hat
dieser Autor bislang 25 Theaterstücke und 10 Lyrikbände vorgelegt – eine erstaunliche Produktion für
jemanden, der laut Münchner Gerüchten die meiste
Zeit in Schumanns Bar oder beim Fußball verbringt.
(…) Mit dem Roman ist in diesem Jahr etwas ganz Seltenes passiert. Er ist von allen in den höchsten Tönen
gelobt worden. Sonst irren sich Kritiker manchmal,
natürlich jeder mit anderen Argumenten, aber hier
waren sich alle einig: Schwarze Sonne scheine ist riskant und provokativ, ein Drahtseilakt zwischen Wutgeheul und innerster Demut, mitreißend, abstoßend
und sogar erschütternd. Da will einer raus aus allen
familiären Verplanungen, raus aus dem ungeliebten
Jurastudium, er will Dichter werden. Aber auf ihm
lastet das Todesurteil einer Krankheit, die er gar nicht
hat, die ihm eingeredet worden ist samt der möglichen
Rettung – ein übles Komplott, das ihn noch tiefer in
die Abhängigkeit von seinem Mentor treiben soll, einem katholischen Seelenfänger, den er eigentlich we-
»Das ist sein Programm: Durch die Präzision seiner Sprache
unsere verkühlten Herzen in Brand zu setzen – denn wir leben
in kalten Zeiten – und alle unsere Sinne zu öffnen.«
Dominique Horwitz zur Verleihung des ›Welt‹-Literaturpreises an Albert Ostermaier
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gen dessen weltoffener Bildung bewundert und ihm
vorbehaltlos vertraut. Bis er erfährt, dass er von ihm
belogen und betrogen wurde. Das ist, meine Damen
und Herren, die Geburt des Künstlers aus dem Geist
des Verrats. Und der Künstler hat Recht, wenn er sich
notwehrt – rücksichtslos privat und zugleich scharfsichtig bis an die Ränder unserer Welt. Auch unserer
Vorstellungswelt. Wir wissen inzwischen, dass alles in
diesem Buch wahr ist, und nichts an der Geschichte ist
erfunden, aber das spielt für uns Leser keine Rolle. Wir
merken, dass es hier einer ernst meint mit der Kunst
und dem Leben und dass hier einer etwas zu sagen
hat, was auch uns im Innersten angeht. Das kann nur
große Literatur, und deswegen konnte die Jury auch
gar nicht anders, als Albert Ostermaier mit dem Preis
der »Literarischen Welt« auszuzeichnen.
»Ohne schreiben hätte ich kaum
leben können«
Aus Albert Ostermaiers Dankesrede zur Verleihung des
›Welt‹-Literaturpreises
Autobiografie ist Gewissensprüfung. Sie sucht Absolution, Erlösung. Autobiografie ist Kannibalismus, weil
sie nach Menschen mit Fleisch hungert. Autobiografie
ist Selbstverstümmelung, Häutung. Oder auch von allem das Gegenteil. Autoren verletzten permanent und
notorisch ihre eigenen Persönlichkeitsrechte. Glauben
wir statt an uns selbst an Lacan, konstruieren wir uns
entlang einer »Linie der Fiktion«. Wir täuschen uns
bewusst selbst, weil alles andere unseren Narzissmus
kränken würde.
Aber Narziss war ein armer Junge! Er ist an seinem
Spiegelbild verhungert, verdurstet an seinem Durst,
sich selbst zu lieben. Narziss hätte sich nie selbst
als hässlich wahrnehmen können. Vielleicht hätte er
dann auf sein Spiegelbild spucken und sich mit einem
Schlag ins Wasser befreien können. Oder er wäre einfach in sich hineingesprungen, abgetaucht, bis er keine Luft mehr bekommen hätte, hochgeschossen wäre
in die Selbsterkenntnis.
Denn natürlich will, wer über sich schreibt, sich von
sich befreien. Um diese Freiheit geht es ja beim Schreiben, dass man Ich schreibt, um nicht mehr ich sein
zu müssen. Das gelingt aber nur beim Schreiben,
beim Schreibakt selbst. Schreiben heißt, sich davon
zu befreien, dass immer die anderen sagen, was und
wer »Ich« oder »man« ist. Oder um es mit Kinski als
Fitzcarraldo zu sagen: »Ich bin in der Überzahl!« (…)
Man kann, möchte ich ihm antworten, ein Leben nicht
ins Reine schreiben, es bleibt offen wie seine Fragen,
die beantworteten und die ungestellten. Habe ich eine
Autobiografie geschrieben? Ich habe einen Roman geschrieben. Ich wollte nichts so sehr wie einen Roman
schreiben. Als könnte mein Leben ein Roman sein. Ich
habe immer dafür gelebt zu schreiben. Ohne schreiben
hätte ich kaum leben können, überleben können, so
pathetisch und angreifbar das jetzt wieder tönen mag.
»Denn natürlich will, wer über sich schreibt, sich von
sich befreien. Um diese Freiheit geht es ja beim Schreiben,
dass man Ich schreibt, um nicht mehr ich sein zu müssen.«
Albert Ostermaier
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