Hintergründe Roger J. Busch Die Kontroverse um die Grüne Gentechnik In Deutschland ist die Grüne Gentechnik seit vielen Jahren gesellschaftlich sehr stark umstritten. Die gegensätzlichen Positionen treffen teilweise mit großer Härte und Unversöhnlichkeit aufeinander. Eine große Zahl von Bürgerinnen und Bürgern fühlt sich über diese Technologie nur unzureichend informiert, steht zugleich aber vor der schwierigen Herausforderung, die Grüne Gentechnik bewerten und sie in die eigene Wertvorstellung einordnen zu müssen – etwa beim Kauf von Nahrungsmitteln. Bei einer Bewertung kommen zahlreiche Faktoren zum Tragen: naturwissenschaftliche Daten, wirtschaftliche und politische Interessen, rechtliche und nicht zuletzt ethische Fragestellungen. 11 Das „De-facto-Moratorium“ Hintergründe nfang des Jahres 2003 schien es, als würde es ruhiger um die Grüne Gentechnik – zumindest, was die gesellschaftliche Kommunikation des Themas anging. Der Streit der vergangenen anderthalb Jahrzehnte, ausgetragen zu den immer gleichen Fragen (Auskreuzung, ökologische Risiken) und getragen von den (vermeintlichen) Sachwaltern öffenlicher Moral auf der einen und den Fachwissenschaftlern und der Industrie auf der anderen Seite, schien auszulaufen. Der so genannte „KünastDiskurs“ 2001/2002, eine Abfolge von Workshops zur Grünen Gentechnik (gut dokumentiert unter www. transgen.de), in denen sich Befürworter und Kritiker der Technologie moderiert, aber durchaus A Sojabohne (Soja hispida) 12 Seit Oktober 1998 bestand ein zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union vereinbartes De-facto-Moratorium gegen die Zulassung gentechnisch veränderter Organismen in der EU. Die EU-Umweltminister verständigten sich damals mehrheitlich darauf, diese erst dann wieder in der EU zuzulassen, wenn neue strengere Rechtsvorschriften angenommen sind. Mangelnde Kennzeichnungspflicht, fehlende Bestimmungen zur Rückverfolgbarkeit und ungenügende Haftungsregelungen hatten eine Reihe von EU-Ländern bewogen, mit ihrer Sperrminorität alle Neuzulassungen von gentechnisch veränderten Organismen zu blockieren. In der Zwischenzeit ist die neue Freisetzungsrichtlinie (2001/18/EG) in Kraft getreten. Die Europäische Kommission hat die Genehmigungsverfahren für gentechnisch veränderte Organismen entsprechend dieser Richtlinie wieder aufgenommen. Außerdem sind im November 2003 die beiden neuen EU-Verordnungen zu gentechnisch veränderten Lebens- und Futtermitteln (EG 1829/2003) sowie zur Rückverfolgbarkeit (EG 1830/2003) rechtskräftig geworden. Damit sind nach Ansicht der EU-Kommission die im Jahr 1998 formulierten Bedingungen erfüllt und das Moratorium beendet. nicht moderat zu Wort melden konnten, hatte dazu wohl kaum beigetragen. Denn er ergab, was schon zu Beginn absehbar war: die Bestätigung der Unversöhnlichkeit der Perspektiven. Dass es augenscheinlich ruhiger wurde, hatte wohl mehr mit einer Fehleinschätzung seitens der kritischen Gruppierungen zu tun. Man wähnte sich sicher gegen die Grüne Gentechnik, galt doch ein inoffizielles Moratorium für die Zulassung gentechnisch veränderter Kulturpflanzen in Europa. Doch dieses wurde im Lauf des Jahres 2003 – nicht zuletzt durch USamerikanischen Druck – gelockert. Und nun erhielten die Kritiker wieder einen Impuls, tätig zu werden. Greenpeace forcierte seine Aktionen unter dem Logo „Einkaufsnetz“, das Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft (BMVEL) – nach der Bundestagswahl 2002 mit umfassenden Zuständigkeiten für die Grüne Gentechnik ausgestattet – setzte an, die Rahmenbedingungen für eine Anwendung der Technologie zu verschärfen (zum Beispiel Gentechnik-Änderungsgesetz, Zuständigkeitsverlagerungen vom Robert-Koch-Institut zum neuen Bundesamt für Naturschutz, konkrete mensch+umwelt spezial 17. Ausgabe 2004/2005 Untersagungen von Freisetzungsversuchen wie etwa dem der Bundesanstalt für Züchtungsforschung in Quedlinburg und Pillnitz). Dabei wähnt sich das BMVEL im Einklang mit dem Wunsch „der Verbraucher“, vor der Grünen Gentechnik geschützt zu werden. Die Fachwissenschaften begegnen dieser Entwicklung mit Unverständnis und Ärger. Man befürchtet eine Abwanderung von Biowissenschaftlern und ihrem Know-how ins Ausland („brain drain“) und ein Abkoppeln der deutschen von der internationalen Forschung und Entwicklung. Grüne Gentechnik als Kommunikationsproblem Betrachtet man die aktuelle Situation, so bestätigt sich, dass das Problem vorrangig ein kommunikatives ist. Die wissenschaftlichen Daten zu den bislang umstrittenen Fragen liegen seit Jahren vor. Niemand, der ein ausgeprägtes Interesse an der Risikobewertung der Grünen Gentechnik hat, kann behaupten, dass entsprechende Daten und Analysen nicht verfügbar seien. Und dennoch meint ein großer Teil der Bevölkerung, nicht hinreichend informiert zu sein. Dies ist wohl schlicht auf den Umstand zurückzuführen, dass die Bürger im Hinblick auf einschlägige Informationen nicht etwa eine „HolSchuld“ haben, sondern Forschung und Industrie eine „Bring-Schuld“ einlösen müssten: Aufklärung über die Technologie – aber eben nicht allein wissenschaftlich und als belehrende Information, sondern unter Berücksichtigung wirksamer moralischer Grundhaltungen in der Bevölkerung im Modus des „echten Dialogs“, von dem Martin Buber meinte, er sei realisierbar, „wenn zwei oder mehrere Menschen in einem Raum zusammenkommen und sich einander zuwenden in dem aufrichtigen Bestreben, dass sich lebendige Gegenseitigkeit zwischen ihnen stifte“. Das ist gewiss nicht einfach. Die Erfahrungen mit misslungenen Dialogen, wie zum Beispiel dem schon erwähnten „Künast-Diskurs“, zeigen, dass man sich an ein institutionalisiertes Gegeneinander gewöhnt zu haben scheint. Ein „Ritual“ läuft ab: Die Beteiligten wissen schon vorher, was „die andere Seite“ vorbringen wird und was sie jeweils dagegen halten werden. Die Konfrontation wird gefeiert. Und das interessierte Publikum? Es wird verunsichert – oder in seiner Kritik bestätigt, ganz nach Präferenz. Wenn sich schon die Fachleute nicht einigen können ... Manuel Eisner hat an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich schon 1997 in der Auswertung von 1500 Leserbriefen von Laien die Grundmuster identifiziert, die in diesem Ritual wirksam sind. Er spricht von „moralischen Codes“ der Kontrahenten, die verhindern, dass es zum gegenseitigen Verstehen kommen kann. Fokussieren die einen ihre Bejahung der Technologie mit Argumenten aus den Bereichen Gesundheit, Vernunft und Wohlstand, so tun dies ihre Kritiker mit spezifischen Vorstellungen von Natur, Macht und Gefährdung. Die Gegenüberstellung verdeutlicht die unterschiedlichen Perspektiven, ihrerseits unterlegt durch jeweils spezifische moralische Präferenzen und dem Gegner unterstellte „Antimoralen“. Der tiefe Graben zwischen beiden macht das beobachtbare Missverstehen – und vielleicht auch das Nicht-VerstehenKönnen – plausibler. Nimmt man die mit der Gegenüberstellung identifizierte Problemkonstellation ernst, steht die Auf- gabe für die Zukunft deutlich vor Augen: Die Beteiligten müssen ihre Horizonte erweitern und ihre Perspektiven miteinander verschränken. Es sei denn, sie hätten Gefallen – oder einen Gewinn – aus der Nichtveränderung des beschriebenen Rituals. Und auch das mag wohl bei manchen Beteiligten der Fall sein. Von der Relevanz der Ethik und der Deutungen von Daten Zur Überwindung des gesellschaftlichen Konflikts erscheint der Beitrag einer wissenschaftlichen Ethik unverzichtbar. Die Ethik – verstanden als systematische Reflexion auf die Moral(en) innerhalb eines definierten sozialen Rahmens – beschreibt den Kontext, in dem ein Konflikt entsteht und führt in der Folge den identifizierten Konflikt einer Hirse (Panicum miliaceum) Bewertung nach verallgemeinerbar tragfähigen Kriterien zu. Versteht man die Aufgabe der Ethik damit zunächst einmal als Klärung der Kom- Die Dynamik der „moralischen Codes“ Gentechnik-Befürworter Moral Antimoral Gesundheit Erforschung, Prävention, Therapie von Krankheiten Antimoral Natur Schutz und Würde der Kreatur Irrationalität, Fundamentalismus Demokratische Kontrolle der Technik Schrankenlose Verfügung über die Kreatur Macht Wohlstand Beseitigung von Hunger, Erhalt von Arbeitsplätzen Moral Missachtung von Kranken Vernunft Rationalität, Aufklärung und Fortschritt Gentechnik-Gegner Wirtschaftsfeindlichkeit Profitdenken, interessengesteuerte Propaganda Gefährdung Gewißheit von unbekannten Risiken Missachtung unbekannter Risiken Die Dynamik des „Moralischen Codes“ nach M. Eisner, BioWorld 1/1998. 13 Hintergründe munikation der am Konflikt beteiligten Parteien, so kommt einem Aspekt erhebliche Bedeutung zu: der Unterscheidung wissenschaftlicher Daten von den Deutungen derselben. Die Vermischung beider – ob strategisch oder schlicht unabsichtlich – scheint den gesellschaftlichen Streit um die Anwendung der Grünen Gentechnik zu prägen. Was die eine Seite als vermeintlich unbestreitbare „Fakten“ betrachtet, wird von der anderen Seite als durchaus nicht unbestreitbar erachtet – obgleich sich die Kontrahenten nicht selten auf dieselben Zahlenreihen berufen. Es ist eben auch hier entscheidend, wie man die Daten liest. Interessant wird die Unterscheidung von Daten und ihren Deutungen auch dadurch, dass in die Deutungen die bereits angesprochenen individuellen Moralvorstellungen, Konzepte eines gemeinsamen guten Lebens, aber auch politische Vorlieben einfließen. Aus ihnen erwächst die argumentative Schwungkraft der Kontrahenten. Ist diese Schwungkraft erst einmal erzeugt und trägt die Deutung das Gewicht der Argumentation, so wird der Dialog nicht leichter. Jetzt nämlich stünde eine mühsame Klärung an: Die Relevanz meiner Deutung für andere müsste dargelegt werden. Voraussetzen kann ich sie nicht. Ich kann auch nicht fordern, dass alle anderen meine Deutung akzeptieren müssen. Würde ich das tun, wäre ich schlicht ein Fundamentalist, der sein Regelsystem des Guten, Wahren und Schönen für absolut erklärte. Wie also lassen sich Deutungen transparent machen? Provozieren lassen sie sich durch profilierte Statements. Klären lassen sie sich durch offene Fragen. „Wie lebt man, wenn man glaubt, was ihr sagt?“ – diese Frage Bert Brechts (einst gerichtet an die Christen) – lässt sich in der Tat im Dialog der 14 Kontrahenten anwenden. Sie würde dazu führen, dass Befürworter wie Kritiker der Grünen Gentechnik nicht allein die Intention ihrer aktuellen Argumentation beschreiben müssten, sondern – weit ausgreifend – ihre Vorstellungen von einem gemeinsamen guten Leben. Gelänge es, im Konsens – in gegenseitiger Anerkennung des moralisch grundsätzlich integren Willens der Beteiligten, Gutes zu tun – einen Raum künftigen Miteinander-Lebens zu beschreiben, so müsste „nur noch“ der Weg dorthin erstritten werden. Wo jedoch schon in der Beschreibung des Zielraumes keine Übereinstimmung herbeigeführt werden kann, erübrigt sich die weitere Diskussion. Auf den Streit um die Grüne Gentechnik angewendet, würde dies bedeuten: Wenn zwischen den Beteiligten Übereinstimmung darin besteht, dass durch verantwortungsbewussten Einsatz moderner Technologien die Ernährung gegenwärtig lebender und kommender Generationen sichergestellt werden soll, dann ist anhand sachlich allgemein nachvollziehbarer Gründe zu klären, ob (auch) die Grüne Gentechnik ein geeignetes Mittel ist, dieses Ziel zu erreichen. Daran mag sich dann die Klärung der Frage anschließen, ob diese Technologie weltweit und überall in derselben Weise zur Anwendung kommen soll. Um diese Diskussion geeigneter Mittel zur Erreichung eines Zieles sachgemäß führen zu können, muss also das, was dem einzelnen Akteur selbstverständlich erscheint – seine Deutung – anderen verständlich gemacht werden. Gleiches gilt für technische und wirtschaftliche Sachverhalte. Gelingt diese grundlegende Bemühung zur Verständigung, so wird die Klärung gemeinsam gangbarer Wege erheblich leichter. Denn nun können die umstrittenen Deutungen in eine geordnete Abwägung eingebracht werden. mensch+umwelt spezial 17. Ausgabe 2004/2005 Differenzierung des Umstrittenen Die Grüne Gentechnik als Forschungs- und Produktbereich kann nicht pauschal bewertet werden. Es gibt Begrüßenswertes und Abzulehnendes. Und es gibt Grauzonen dazwischen. Entscheidend für die Ordnung der Auseinandersetzung ist die Differenzierung der Ebenen, auf denen Umstrittenes zu diskutieren ist. In dem ethischen Bewertungsmodell zur Grünen Gentechnik, das Anfang 2002 vom Institut TechnikTheologie-Naturwissenschaften (TTN) an der Ludwig-MaximiliansUniversität München publiziert wurde, werden diese Ebenen von einander abgehoben. Je nachdem, von welchem ethischen Ansatz aus man die Grüne Gentechnik betrachtet, wird man zu unterschiedlichen Grundeinstellungen zu dieser Technologie kommen. Wer beispielsweise Pflanzen ein Recht auf Integrität zuschreibt, wird grundsätzlich anders, nämlich ablehnend, über die Grüne Gentechnik und die mit Reis (Oryza sativa) ihr verbundenen Veränderungen von Kulturpflanzen urteilen als der, der vom umfassenden Recht des Menschen ausgeht, sich die Natur dienstbar zu machen und entsprechend gestaltend eingreifen zu dürfen. Wer mit Worst-case-Szenarien operiert und daraus seine Entscheidungen entwickelt, wird anders über die Grüne Gentechnik urteilen als der, der pragmatisch fallweise beurteilt. Um nun als Interessierter zu einem eigenen Urteil zu kommen, ist es unverzichtbar, sich über die Plausibilität der angebotenen ethischen Ansätze zu orientieren und sich den eigenen – meist kaum zur Konzeptform ausgeprägten – Ansatz kritisch bewusst zu machen. Daran könnte sich die Diskussion zunächst allgemeiner Aspekte der Technologie – unterschieden nach solchen, die die Grundlagenforschung und solchen, die die Anwendung der Grünen Gentechnik betreffen – anschließen. Zu diesen Aspekten gehören in ökologischer Hinsicht unter anderem die Fragen des Gentransfers, der Sortenvielfalt und Biodiversität, Positionseffekte, Resistenzbildungen und das Problem der Energieeffizienz. In ökonomischer Perspektive geht es dann zum Beispiel um Monopolisierung, Patentierung, Schadensdefinitionen und Haftungsfragen; in sozialer Hinsicht – verstanden als das Zusammenspiel von Teilhabe- und Abwehrrechten des Individuums gegenüber Dritten – um Rechtssicherheit, gesundheitliche Unbedenklichkeit, Tragfähigkeit des Orientierungswissens, Beteiligung der Öffentlichkeit und zu gewärtigende Effekte der Technologie in den so genannten Entwicklungsländern. Auf dieser Ebene der Diskussion fallen wiederum Entscheidungen, die für den Sinn weiterer Differenzierungen wesentlich sind. Wer auf dieser Ebene zu einer geschlossenen Ablehnung der Technologie kommt, braucht über Fallbeispiele nicht mehr zu diskutieren. Eben dies scheint der Verfasserin und den Verfassern des Bewertungsmodells aber unverzichtbar. Nach einem differenzierenden Entscheidungsbaum müssen Fallbeispiele geordnet und ethisch bewertet werden – nicht in pauschalen Beurtei- lungen eines kompletten Forschungs- und Entwicklungsbereiches. Daran anschließend müssen für die jeweiligen Gestaltungsoptionen gute Gründe vorgebracht werden – von den Befürwortern wie von den Kritikern, wobei sich in der konkreten Diskussion herausstellen dürfte, dass diese bipolare Konstellation nur selten zutrifft und in der vertieften Praxis sehr wohl differenziert geurteilt wird – anders als in der populär-politischen Auseinandersetzung. leicht noch kleines – Plus im Bereich der sozialen Sicherheit/Gesundheit, absehbar keine negativen Auswirkungen im Bereich der Ökologie und Ethische Kriterien einer Bewertung Am TTN haben wir uns für den „vertragstheoretisch orientierten personenzentrierten Ansatz“ entschieden (vgl. dazu auch Busch et al., 2002, S. 41-55). Dahinter steht die Auffassung, dass Personen die Adressaten ethischer Impulse sind. Personen aber sind ausgezeichnet durch ihre grundsätzliche Freiheit gegenüber Instinkten, ihre Fähigkeit zu Strategie und Planung und die Fähigkeit, „Verträge“ mit anderen zu leben. Den Verträgen – verstanden in einem weiten Sinne – kommt in dem Modell erhebliche Bedeutung zu. Denn sie binden das Handeln beziehungsweise HandelnWollen des Einzelnen reflexiv an den sozialen Kontext, in dem er sich bewegt. In diesem Kontext entsteht das Erfordernis, sich zu rechtfertigen. Der „Vertrag“, den wir am TTN als den für die Grüne Gentechnik wesentlichen identifiziert haben, ist die gesellschaftliche Selbstverpflichtung zu einer nachhaltigen Entwicklung (konzeptualisiert in der Deklaration von Rio 1992). Zieldimensionen nachhaltiger Entwicklung sind ökonomischer Wohlstand, ökologische Stabilisierung und soziale Sicherheit. Was wir tun, hat möglicherweise Auswirkungen in allen drei Dimensionen. Ein Beispiel: Die Einführung einer gentechnisch veränderten Reispflanze (der so genannte Goldene Reis) hat dies auf jeden Fall. Die Reispflanze bringt ein – wenn auch viel- Luzerne (Medicago sativa L.) Alle Zeichnungen: Enno Kleinert – aufgrund der publizierten Selbstverpflichtungen der Patentinhaber – auch keine ökonomischen Nachteile für kleinere Reisbauern. Gemäß des volkswirtschaftlichen Modells von Pareto ist diese Innovation als „pareto-superior“ zu bezeichnen und ihre Anwendung ethisch geboten. (Nach dem Pareto-Modell ist eine Verbesserung dann gegeben, wenn mindestens ein Betroffener besser gestellt wird, kein Betroffener jedoch schlechter gestellt wird; das Pareto-Optimum ist dann erreicht, wenn es keine Verbesserung mehr gibt.) In den meisten Fällen wird eine solche Zuordnung aufgrund der Komplexität des Themenfeldes und der Menge der darin agierenden Interessensgruppen aber nicht leicht zu erstellen sein. Vorteile stehen gegen Nachteile – auf die Gewichtung kommt es an. Und dies 15 Hintergründe ist unausweichlich Sache der Deutungen. Deutungen aber lassen sich „erden“: durch die Verpflichtung, für jede Deutung/Bewertung möglichst viele gute, fallbezogene Gründe anzugeben. Auch wenn Vorteile nicht immer sofort und klar erkennbar sind oder Nachteile befürchtet, aber noch nicht substantiiert werden können, muss entschieden werden. Regeln einer sachgemäßen Güterabwägung müssen angewendet werden – stets die Perspektive im Sinn, dass die nachhaltige Entwicklung gefördert werden muss. Das Bewertungsmodell ist geeignet, die seit langem misslingende Diskussion um die Grüne Gentechnik in ein ruhigeres Fahrwasser zu bringen. Im politischen und im Forschungs-Kontext wurde es bislang zumindest von denen aufgenommen, die ein Interesse an der Überwindung des Misslingens haben. Ein nicht unerwünschter Nebeneffekt des Modells stellte sich ein: Manche reden nicht mehr allzu schnell davon, die Grüne Gentechnik sei ethisch nicht beziehungsweise auf jeden Fall geboten. Wer zuerst „Ethik“ sagt, hat eben noch lange nicht gewonnen. Wo aber Technologien mit absehbar gesellschaftlichen Auswirkungen in soziale Kontexte eingebracht werden sollen, muss die ethische Reflexion – so kompliziert sie auch sein mag – geleistet werden. Eine Technologie, die über lange Zeiträume entwickelt wird und für lange Zeiträume wirksam sein soll, ist in mehrfacher Hinsicht eine „Zukunftstechnologie“. Ausblick auf die gesellschaftliche Diskussion Literaturhinweise: Wie wird die gesellschaftliche Diskussion weitergehen? Diejenigen, die handfeste Interessen verfolgen, werden vermutlich nicht leiser werden. Das kann auch nicht erwartet werden, denn in unseren persönlichen Kontexten verfahren wir vermutlich nicht anders. Wo es aber um verantwortliches Gestalten auch im Hinblick auf kommende Generationen geht, rücken individuelle Präferenzen zwar nicht in den Bereich des Belanglosen, aber doch an die zweite Stelle. So erscheint unverzichtbar, die in der Diskussion der Grünen Gentechnik wirksamen Emotionen zu klären. Sie sind da. Doch andere verstehen sie mutmaßlich nicht. Also müssen sie – vorzugsweise argumentativ – vermittelt werden. Die Interessen der Diskussionsteilnehmer müssen beschrieben werden. Das Interesse an einer Nicht-Veränderung dürfte in diesem Zusammenhang allerdings nur schwer zu rechtfertigen sein. Schließlich ist die Verantwortung gegenüber kommenden Generationen zum Thema zu machen. Grüne Gentechnik & Ethik Eine CD-ROM für den Unterricht in der gymnasialen Oberstufe und für die Erwachsenenbildung inklusive Spiel zur Grünen Gentechnik. Herausgeber: Institut Technik-TheologieNaturwissenschaften (TTN), 2002. Bezug über das Internet unter www.gentechnik-und-ethik.de 16 mensch+umwelt spezial 17. Ausgabe 2004/2005 Busch R.J., Haniel, A., Knoepffler, N., Wenzel, G.: Grüne Gentechnik. Ein Bewertungsmodell. Herbert Utz Verlag München (2002) Eisner, M.: Moralische Codes, in: BioWorld 1, 28-31 (1998) Internet: www.ttn-institut.de Homepage des Instituts Technik-Theologie-Naturwissenschaften (TTN) in München. www.gentechnik-und-ethik.de Angebot des Instituts Technik-TheologieNaturwissenschaften (TTN), München zum Thema 'Grüne Gentechnik und Ethik'. Es gliedert sich in einen Informationsteil aus vier Modulen zu den biologischen, rechtlichen, wirtschaftlichen und ethischen Aspekten der gentechnischen Pflanzenzüchtung sowie ein allein oder gegen Mitspieler spielbares Quiz. www.ethiknet.de Ethiknet, eine gemeinsame Plattform von wissenschaftlichen Instituten im deutschen Sprachraum, die sich mit ethischen Fragen aus Naturwissenschaft, Medizin, Technik und Wirtschaft beschäftigen.