Ernährungsmedizin Nach dem Curriculum Ernährungsmedizin der Bundesärztekammer und der DGE Bearbeitet von Hans Konrad Biesalski, Stephan C. Bischoff, Christoph Puchstein 4. vollst. überarb. Aufl. 2010. Buch. XXIII, 1160 S. Hardcover ISBN 978 3 13 100294 5 Format (B x L): 17 x 24 cm Weitere Fachgebiete > Medizin > Human-Medizin, Gesundheitswesen > Ernährungsmedizin, Diätetik Zu Inhaltsverzeichnis schnell und portofrei erhältlich bei Die Online-Fachbuchhandlung beck-shop.de ist spezialisiert auf Fachbücher, insbesondere Recht, Steuern und Wirtschaft. Im Sortiment finden Sie alle Medien (Bücher, Zeitschriften, CDs, eBooks, etc.) aller Verlage. Ergänzt wird das Programm durch Services wie Neuerscheinungsdienst oder Zusammenstellungen von Büchern zu Sonderpreisen. Der Shop führt mehr als 8 Millionen Produkte. VI Ernährung und Arzneimittel Tab. 63.1 Beispiele für den Einfluss der Nahrung auf die Arzneimittelabsorption. Mögliche oder gesicherte Art der Interaktion Arzneimittel Verringerung bzw. Verzögerung Bildung unlöslicher Komplexe mit zweiwertigen Kationen, v.a. Kalzium, Eisen (Fleisch, Milch) Tetrazykline, Gyrasehemmer (z.B. Floxazin, Enoxazin, Norfloxazin, Lomefloxazin) Bildung unlöslicher Komplexe mit schwarzem Tee basische stickstoffhaltige Neuroleptika und Antidepressiva (z.B. Maprotilin, Imipramin Clomipramin, Lofepramin) Verzögerte Magenentleerung, dadurch Abbau säurelabiler Substanzen im Magen Erythromycin, β-Laktam-Antibiotika Verhinderter Zutritt zur Mukosa durch Nahrung (mechanische Barriere) Azithromycin, Sulfonamide, Atenolol Herabgesetzte Verfügbarkeit durch Ballaststoffe Paracetamol, HMG-CoA-Reduktase-Hemmer (z.B. Lovastatin) Kompetitive Hemmung der Absorption durch proteinreiche Nahrung L-Dopa, Methyldopa Verlangsamte Absorption durch verzögerte Magenentleerung Zidovudin (Azidothymidin = AZT), Sulfonamide Beeinträchtigte Absorption (Mechanismus unbekannt) Lincomycin, Rifampin, Rifampicin Verzögerter Wirkungseintritt Valproinsäure, Kortisol, Captopril, Azetylsalizylsäure Erhöhung bzw. Beschleunigung Verzögerte Magenentleerung, dadurch verbesserte Löslichkeit und Absorption Nitrofurantoin, Spironolacton, Hydrochlorothiazid, Propoxyphen, Lovastatin Verbesserte Absorption durch fettreiche Nahrung Griseofulvin, Dicumarol, Phenytoin, Theophyllin Erhöhte Absorption in Verbindung mit Kohlenhydraten L-Dopa eines Arzneimittels führen und zudem Veränderungen der Pharmakokinetik nicht automatisch auch klinisch relevant sind. Entscheidend ist letztlich die Frage, ob lediglich die Geschwindigkeit der intestinalen Absorption beeinflusst wird (gleichbedeutend mit Veränderungen des Zeitpunkts der maximalen Plasmakonzentration tmax bzw. der maximalen Plasmakonzentration Cmax) oder aber die absorbierte Gesamtmenge des Arzneistoffes und damit dessen Bioverfügbarkeit herabgesetzt ist. Dies ist erkennbar an einer Veränderung der Fläche unter der Konzentrations-Zeit-Kurve (area under curve, AUC). Veränderungen der Form der Konzentrations-Zeit-Kurve sind dann ohne Belang, wenn die AUC unverändert bleibt. Hinweis für die Praxis Patienten sollten darauf hingewiesen werden, Arzneimittel mit ausreichend Flüssigkeit (ein Glas Wasser) einzunehmen, um deren Wirkung zu optimieren und bei einigen Wirkstoffen lokale Reizungen des Magen-Darm-Traktes zu vermeiden. Bei einigen Wirkstoffen (z.B. den Antibiotika Doxycyclin und Cefalexin, bei Tetrazyklinen, dem ACEHemmer Captopril, den Tuberkulostatika Isoniazid und Rifampicin oder dem HIV-Protease-Inhibitor Indinavir) kann es allerdings erforderlich oder vorteilhaft sein, sie nüchtern zu verabreichen. In anderen Fällen, so bei dem Antibiotikum Cefuroxim 944 aus: Biesalski u. a., Ernährungsmedizin (ISBN 9783131002945) © 2010 Georg Thieme Verlag KG Einfluss der Ernährung auf die Wirkung von Arzneimitteln oder bei Lithiumsalzen kann die Absorption durch Nahrung verbessert werden. Verschiedene Arzneimittel erfordern aufgrund ihres Wirkprinzips immer die Gabe mit der Mahlzeit. Dies betrifft z.B. den α-Glukosidasehemmer Acarbose (Aufnahme mit komplexen Kohlenhydraten) oder gallensäurebindende Austauscherharze (nahrungsinduzierte Ausschüttung von Gallensalzen). Die Magenentleerungsrate ist für viele Absorptionsprozesse von wesentlicher Bedeutung, da sie die Anflutung einer Substanz in den Dünndarm determiniert. Eine verzögerte Magenentleerung durch fett- oder ballaststoffreiche Mahlzeiten erhöht mitunter die Freisetzung eines Wirkstoffes aus bestimmten pharmazeutischen Zubereitungen. Durch die verzögerte Abgabe aus dem Magen verbessert sich die Absorption solcher Wirkstoffe, die im Duodenum nur mit geringer Geschwindigkeit aufgenommen werden. Bei säure- und/oder alkalilabilen Wirkstoffen ist hingegen eine möglichst schnelle Magenentleerung bzw. eine rasche Absorption angestrebt. So sind beispielsweise Digoxin und Penizilline säurelabil, ebenso wie das Makrolidantibiotikum Erythromycin. Verminderungen der Bioverfügbarkeit kann in diesen Fällen durch ein säureresistentes Coating des Arzneistoffs entgegengewirkt werden. Bei einigen lipophilen Arzneistoffen verbessert sich die Bioverfügbarkeit bei gleichzeitigem Verzehr von fetthaltigen Mahlzeiten. Dies beruht, je nach Stoff, auf einer verstärkten Aufnahme in Mizellen oder einer besseren Löslichkeit dieser Arzneistoffe in Gegenwart erhöhter Konzentrationen von Gallensalzen und Lezithin. Darüber hinaus sind einige Wirkstoffe besser verträglich, wenn sie zusammen mit Nahrung verabreicht werden. Dies gilt beispielsweise für nichtsteroidale Antiphlogistika wie Azetylsalizylsäure, Ibuprofen, Diclofenac und Indometacin. Die Bildung schwer löslicher oder unlöslicher Komplexe zwischen Arzneimitteln und Nährstoffen vermindert die Bioverfügbarkeit der Arzneimittel wie auch der Nährstoffe gleichermaßen. So wird die Absorption von Tetrazyklinen und verschiedenen Gyrasehemmern (wie Norfloxazin und Ciprofloxazin) durch eine Komplexbildung mit zweiwertigen Kationen, wie Kalzium, Magnesium, Eisen und Zink, herabgesetzt. Die gleichzeitige Aufnahme von Tetrazyklinen und Milch soll deshalb vermieden werden. Zwischen Schwarztee und basischen stickstoffhaltigen Neuroleptika und Antidepressiva (z.B. Maprotilin, Imipramin, Clomi- 63 pramin, Lofepramin) bilden sich ebenfalls Komplexe, durch die diese Arzneistoffe vermindert verfügbar sind. Von Bedeutung ist dabei die Tatsache, dass vegetarisch orientierte Kostformen mit einem hohen Anteil pflanzlicher Lebensmittel einen erhöhten Anteil solcher absorptionshemmenden Stoffe aufweisen. Nahrungsproteine bzw. Aminosäuren sind in der Lage, die Absorption von Arzneimitteln durch kompetitive Hemmung zu reduzieren. Dies trifft etwa für die Arzneistoffe Methyldopa und L-Dopa zu. Zwischen einer proteinreichen Mahlzeit und der Einnahme dieser Wirkstoffe sollte deshalb ein Abstand von 3 Stunden eingehalten werden. First-Pass-Effekt Ein wichtiges Kriterium für die Wirksamkeit von Arzneimitteln ist das Ausmaß des First-Pass-Effekts. Bei Wirkstoffen, die in hohem Maße bereits in der intestinalen Mukosa oder beim ersten Durchgang durch die Leber metabolisiert werden, können Nahrungsfaktoren die Bioverfügbarkeit verändern. Die First-Pass-Metabolisierung kann dabei so umfangreich sein, dass die effektive Wirkkonzentration am Zielort absinkt. Beispielsweise verringert eine gleichzeitige Nahrungsaufnahme die Bioverfügbarkeit von Chlorpromazin, weil der First-Pass-Effekt durch eine verzögerte Magenentleerung ansteigt. Im Gegensatz hierzu ergibt sich für Hydralazin in Verbindung mit Nahrung eine erhöhte Bioverfügbarkeit, da der First-Pass-Effekt in den intestinalen Epithelzellen reduziert wird. Proteine fördern die Durchblutung von Leber und Darm und beeinflussen damit ebenfalls den FirstPass-Effekt. So reduziert die gleichzeitige Aufnahme mit der Nahrung den First-Pass-Effekt der βRezeptoren-Blocker Metoprolol und Propranolol. Ursächlich hierfür ist vermutlich ein Anstieg des hepatischen Blutstroms durch die Nahrungsaufnahme, sodass die Wirkstoffe nur in vermindertem Umfang aus dem Portalblut in die Leber aufgenommen und metabolisiert werden können. Dies gilt jedoch nicht, wenn diese Stoffe als Slowrelease-Formulierung verabreicht werden. Grapefruitsaft. Besondere Beachtung erfordert die Tatsache, dass der Konsum von Grapefruitsaft zu einem Anstieg der Plasmakonzentrationen verschiedener oral aufgenommener Wirkstoffe führen kann. Dies basiert auf einer Inaktivierung und ver- 945 aus: Biesalski u. a., Ernährungsmedizin (ISBN 9783131002945) © 2010 Georg Thieme Verlag KG VI Ernährung und Arzneimittel minderten Expression des Cytochrom-P450-Enzyms CYP3A4 in der intestinalen Mukosa durch Inhaltsstoffe des Saftes. Hierdurch reduziert sich der mukosale First-Pass-Metabolismus der entsprechenden Arzneimittel. Der Effekt tritt bereits nach Konsum von einem Glas (250 ml) des Saftes auf und hält bei Einmalgabe im Durchschnitt etwa 24 Stunden an. Der tägliche Verzehr von Grapefruitsaft über 14 Tage führt dabei offenbar zu keinen stärkeren Wirkungen als nach dem Genuss des ersten Glases zu beobachten. Die Interaktion mit Arzneistoffen tritt nicht nur bei gleichzeitiger Aufnahme des Saftes ein, sondern auch dann, wenn der betreffende Wirkstoff zeitlich bis zu 24 Stunden danach aufgenommen wird. Dies ist nachvollziehbar, da es eines gewissen Zeitraums bedarf bis die Neusynthese von CYP3A4 erfolgt ist. Die ursprüngliche Enzymaktivität wird sogar erst nach etwa 3 Tagen wieder erreicht. Hervorgerufen wird die Hemmung des Enzyms durch die im Grapefruitsaft vorkommen Furocoumarine Bergamottin und 6’,7’-Dihydroxybergamottin sowie die Flavonoide Naringin und Naringenin. Erstere hemmen das Enzym irreversibel, während Letztere vorwiegend zu einer reversiblen Enzyminhibition führen. Neben der CYP3A4-Hemmung gehen die Wirkungen von Grapefruitsaft vermutlich auch auf eine Beeinflussung intestinaler Transportsysteme wie P-Glykoprotein und OATP (organic anion transporting polypeptide) zurück. Die Erhöhung der Bioverfügbarkeit durch Inhibierung des mukosalen CYP3A4 betrifft verschiedene Pharmaka und kann erheblich variieren. Der Effekt ist umso größer, je ausgeprägter der FirstPass-Metabolismus des entsprechenden Wirkstoffs ist. Interindividuelle Unterschiede ergeben sich nicht zuletzt aufgrund der weiten Schwankungsbreite der intestinalen CYP3A4-Konzentration. Zudem variieren die Konzentrationen kommerziell angebotener Grapefruitsäfte. Tab. 63.2 zeigt eine Übersicht zu den Wechselwirkungen zwischen Grapefruitsaft und Arzneistoffen. In welchem Ausmaß sich die Pharmakokinetik der jeweiligen Wirkstoffe ändert, ist aus den dargestellten Gründen kaum voraussagbar. Bei Cyclosporin wurde eine Steigerung im Bereich von 5–90 % ermittelt. Bei den HMG-CoA-Reduktase-Inhibitoren Lovastatin und Simvastatin führte die Verabreichung von 400 ml Grapefruitsaft hingegen zu einer mehr als 15-fach höheren Bioverfügbarkeit, bestimmt als AUC. Hiermit erhöht sich das poten- Tab. 63.2 Auswahl von Arzneimitteln, deren Bioverfügbarkeit durch Grapefruitsaft erhöht wird. Substanzklasse Wirkstoff Kalziumkanalblocker Felodipin Nisoldipin Nicardipin Nitrendipin Nimoldipin Verapamil Psychopharmaka / ZNS-Modulatoren Diazepam Triazolam Midazolam Carbamazepin Buspiron Sertralin HMG-CoA-ReduktaseInhibitoren Simvastatin Atorvastatin Lovastatin Immunsuppressiva Cyclosporin Tacrolimus Antihistaminika Ebastin Terfenadin Prokinetika Cisaprid Phosphodiesterase-Inhibitoren Sildenafil HIV-Protease-Inhibitoren Saquinavir zielle Risiko für Nebenwirkungen wie Nierenversagen und Rhabdomyolyse. Bei Pravastatin war hingegen kein Einfluss feststellbar. Hinweis für die Praxis Unter praktischen Gesichtspunkten ist es zur Vermeidung von Interaktionen mit Grapefruitsaft empfehlenswert, einen Zeitraum von mindestens 24 Stunden zwischen dem Konsum des Saftes und der Gabe des Arzneimittels einzuhalten oder gänzlich auf den Saft zu verzichten, um klinisch bedeutsame Effekte zu vermeiden. Um eine Orientierung zu ermöglichen, bei welchen Wirkstoffen Interaktionen mit Grapefruitinhaltsstoffen auftreten können, wurde vorgeschlagen, grundsätzlich solche Arzneimittel nicht mit 946 aus: Biesalski u. a., Ernährungsmedizin (ISBN 9783131002945) © 2010 Georg Thieme Verlag KG Einfluss der Ernährung auf die Wirkung von Arzneimitteln Grapefruitsaft zu kombinieren, die auch nicht gemeinsam mit dem Antimykotikum Itroconazol bzw. dem Antibiotikum Erythromycin gegeben werden dürfen. Beide besitzen ebenfalls eine hemmende Wirkung auf CYP3A4 und wirken sich daher ähnlich aus wie Grapefruitsaft. Zu den Wirkungen anderer Fruchtsäfte liegen bislang wenige Untersuchungen vor. Für Pampelmuse existieren allerdings Hinweise auf vergleichbare Effekte aufgrund ähnlicher Inhaltsstoffe. Auch Orangen scheinen potenziell in der Lage zu sein, den Pharmakametabolismus zu variieren; sie enthalten zwar keine Furocoumarine, aber große Mengen an Flavonoiden wie Hesperidin. Distribution, Metabolismus und Exkretion von Arzneistoffen Viele, insbesondere lipophile Arzneistoffe, werden an Plasmaproteine gebunden transportiert. Wirksam ist jeweils der ungebundene Anteil des Wirkstoffs, der dann seine pharmakodynamischen Eigenschaften entfalten kann, aber auch schneller metabolisiert wird. Durch die Nahrungsaufnahme kann der freie Anteil der Wirkstoffe variiert werden. So verdrängen beispielsweise Fette das Benzodiazepin Diazepam aus seinen Plasmaproteinbindungen. Auf diese Weise erhöht sich die Konzentration an freiem Diazepam, woraus eine erhöhte Wirksamkeit resultiert. Demgegenüber steigt die Konzentration von ungebundenem und damit therapeutisch wirksamem Chinidin im Plasma nach einer Mahlzeit langsamer an als bei Einnahme auf leeren Magen, da es postprandial vermehrt an Plasmaproteine gebunden wird. Die Metabolisierung bzw. Biotransformation von Pharmaka wird durch verschiedene fremdstoffmetabolisierende Enzymsysteme bewerkstelligt, v.a. durch mikrosomale, mischfunktionelle Oxygenasen sowie konjugierende, zytosolische Systeme. In einer Phase-I-Reaktion (Funktionalisierung des Substrats) wird der jeweilige Arzneistoff dabei zunächst vor allem oxidativ, reduktiv oder hydrolytisch in ein reaktionsfähigeres Derivat überführt. Die sich anschließende Phase-II-Reaktion sorgt dafür, dass die zuvor entstandenen Metaboliten durch Konjugationsreaktionen (vor allem mit Glukuronsäure oder Sulfat) in besser wasserlösliche und damit leichter ausscheidbare Verbindungen überführt werden. Die Biotransformation 63 erfolgt vorwiegend in der Leber, andere Organe (z.B. die intestinale Mukosa) sowie die Darmflora sind in untergeordnetem Maße ebenfalls daran beteiligt. Nahrungsfaktoren nehmen Einfluss auf den Ablauf von Phase-I- und Phase-II-Reaktionen. Proteinarme Diäten reduzieren beispielsweise die Aktivität der NADPH-abhängigen Enzyme und verringern so die Arzneimittelmetabolisierung. Durch Fasten wird die Aktivität der mischfunktionellen Oxygenasen unterdrückt. In der Folge steigen die effektive Wirkkonzentration von Arzneistoffen und damit auch das Risiko unerwünschter Nebenwirkungen. Phase-II-Reaktionen sind an die Bereitstellung von Kohlenhydraten, Aminosäuren und Fetten gebunden. Neben den dargestellten Effekten von Grapefruitsaft können auch andere Lebensmittelbestandteile Einfluss auf den Arzneistoffmetabolismus nehmen. So wurde z.B. für Indole aus Kohlarten sowie für gegrillte Lebensmittel nachgewiesen, dass sie Cytochrom-P450-haltige Monooxygenasen induzieren und damit den Abbau bestimmter Arzneistoffe beschleunigen. Die renale Exkretion von Arzneimitteln bzw. deren Metaboliten ist wesentlich vom pH-Wert des Urins abhängig. So werden alkalische Arzneimittel schneller im sauren Harn gelöst und ausgeschieden, saure Arzneimittel dagegen im alkalischen Urin (Tab. 63.3). Vegetarische oder stark pflanzlich orientierte Kostformen bewirken ebenso wie das Trinken großer Mengen an Zitrussäften Tab. 63.3 Einfluss des Urin-pH-Wertes auf die renale Exkretion von Arzneistoffen. Elimination beschleunigt im alkalischen Urin im sauren Urin Sulfonamide Chloroquin Barbiturate Amphetamin Phenobarbital Nikotin Phenylbutazon Chinin Salizylate Procain Paraaminohippursäure Hydroxytryptamin Probenecid Pethidin Nitrofurantoin Dromoran Indolessigsäure Morphin Carbutamid Kodein 947 aus: Biesalski u. a., Ernährungsmedizin (ISBN 9783131002945) © 2010 Georg Thieme Verlag KG VI Ernährung und Arzneimittel eine Alkalisierung des Harns. Hierdurch gelangen alkalische Arzneimittel, wie Antiarrhythmika vom Chinidintyp, das trizyklische Antidepressivum Imipramin und Amphetaminstimulanzien, langsamer zur Ausscheidung. Diese Wirkstoffe zirkulieren damit länger im Blut, wodurch sich ihre Wirkung entsprechend verlängert. Zum gegenteiligen Effekt kommt es, wenn Menschen mit alkalischem Harn saure Wirkstoffe, wie Azetylsalizylsäure oder Phenobarbital, einnehmen. Diese gelangen dann über die Nieren schneller zur Elimination, sodass ihre Wirkung vermindert sein kann. Auch der Wasser- und Elektrolythaushalt beeinflusst die Wirksamkeit von Arzneimitteln. Eine erhöhte oder erniedrigte Natriumaufnahme kann die Ausscheidung einiger Medikamente verändern. So beeinflussen die Höhe der Natriumaufnahme und die aufgenommene Flüssigkeitsmenge die Wirkung von Lithiumsalzen. Die Lithiumausscheidung ist eng mit der Natriumausscheidung verknüpft. Eine niedrige Natriumaufnahme bei gleichzeitiger geringer Flüssigkeitsaufnahme kann daher zur Lithiumretention und zu Überdosierungen führen. Umgekehrt kommt es bei hoher Natrium- und Flüssigkeitsaufnahme zu verstärkter Lithiumausscheidung und geringerer Wirksamkeit des Arzneimittels. Störungen im Kaliumhaushalt wiederum, insbesondere eine niedrige Kaliumkonzentration im Serum, können die Herzmuskelfunktion beeinträchtigen und erhöhen die Toxizität von Digitalisglykosiden. Pharmakodynamische Effekte Pharmakodynamische Interaktionen zwischen Nahrungsbestandteilen und Pharmaka sind dadurch charakterisiert, dass die Wirkung des Arzneistoffes am Wirkort vermindert wird. Ein typisches Beispiel hierfür ist der Einfluss Vitamin-Kreicher Lebensmittel (grüne Blattgemüse, Blumenkohl, Leber) auf die therapeutische Wirksamkeit des zur Gruppe der Coumarine gehörenden Antikoagulanz Phenprocoumon. Ist eine individuell richtige Dosierung des Arzneimittels gefunden, sollten drastische Veränderungen des Verzehrmusters vermieden oder überwacht werden. Vitamin B6 ist in Form von Pyridoxalphosphat Kofaktor bei der Decarboxylierung von Aminosäuren zu biogenen Aminen. Über diesen Mechanismus beschleunigt es auch die periphere Umwandlung von L-Dopa zu Dopamin. Hierdurch treten massive Nebenwirkungen auf. Daher sollten mit L-Dopa weder Vitamin-B6-reiche Nahrungsmittel noch Vitamin-B6-Supplemente aufgenommen werden. Der Einsatz von Decarboxylase-Inhibitoren (Carbidopa, Benserazid) als Begleittherapie hat diese Problematik jedoch entschärft. Eine weitere Interaktion ergibt sich zwischen Proteinen der Nahrung und dem in der Ulkustherapie eingesetzten Sucralfat. Die Wirkung des Salzes beruht darauf, dass es auf der Ulkusoberfläche Komplexe mit Proteinen bildet, wodurch der Angriff schädigender Agenzien wie Salzsäure verhindert wird. Diese Wirkung kann jedoch nur in ausreichendem Umfang erfolgen, wenn Sucralfat nicht schon an gleichzeitig mit der Nahrung aufgenommene Proteine bindet. 63.3 Einfluss von Arzneimitteln auf Nährstoffversorgung und Ernährungszustand Einige Pharmaka können in unterschiedlichem Ausmaß den Nährstoffstatus und den Ernährungszustand beeinflussen und Nährstoffmangelsymptome verursachen. Klinisch manifeste Mangelerscheinungen sind dabei eher selten; häufiger kommt es hingegen zu subklinischen Anzeichen einer Unterversorgung wie unspezifischen Befindlichkeitsstörungen, die das Wohlbefinden der Patienten beeinflussen und ihre Leistungsfähigkeit mindern. Dabei kommen unterschiedliche Mechanismen zum Tragen, wobei Einflüsse auf Appetit und Nahrungsauswahl sowie auf die gastrointestinalen Funktionen quantitativ die größte Rolle spielen. Nahrungsaufnahme Veränderungen des Körpergewichts gehören zu den häufiger beobachteten Nebenwirkungen von Arzneimitteln. Dabei kann es je nach Wirkstoff zu einer Gewichtszunahme oder auch – deutlich seltener – zu einem Verlust an Körpermasse kommen. Ein Anstieg des Gewichts beruht dabei in den meisten Fällen auf einer Erhöhung der Fettmasse durch einen gesteigerten Appetit, teilweise ergibt er sich auch durch Wassereinlagerungen. Ein zentrales Problem besteht dabei darin, dass diese Gewichtsveränderung von den Patienten nicht ge- 948 aus: Biesalski u. a., Ernährungsmedizin (ISBN 9783131002945) © 2010 Georg Thieme Verlag KG Einfluss von Arzneimitteln auf Nährstoffversorgung und Ernährungszustand wünscht ist und daher Compliance-Probleme auftreten können. Hinweis für die Praxis Eine Gewichtszunahme stellt bei einigen Arzneistoffen eine häufige Nebenwirkung dar und beeinträchtigt die Compliance der betroffenen Patienten. Eine ausreichende Aufklärung und Beratung im Vorfeld ist daher zu empfehlen. 63 oder Übelkeit, Erbrechen und Schleimhautschädigungen hervorrufen. Zu berücksichtigen ist dabei auch, dass durch Erbrechen starke Wasser- und Elektrolytverluste auftreten, insbesondere bei der Therapie mit Zytostatika. Die Ursachen einer Appetitverminderung durch verschiedene Pharmaka sind in Tab. 63.5 zusammengefasst. Gastrointestinale Funktionen Insbesondere Psychopharmaka (Tab. 63.4) wirken sich auf die Hunger-Sättigungs-Regulation aus, indem sie die Konzentrationen verschiedener Neurotransmitter, z.B. Katecholamine, und biogener Amine, wie Dopamin und Serotonin, im synaptischen Spalt verändern. Da diese Transmitter an der Regulation der Nahrungsaufnahme beteiligt sind, kommt es zu Appetitveränderungen. Neuroleptika vom Phenothiazintyp, trizyklische Antidepressiva, Tranquillanzien, Lithiumsalze und Monoaminooxidase-Hemmer (MAO-Hemmer) erhöhen den Appetit und die Nahrungsaufnahme. Andere Stoffe, wie Amphetamine und Sibutramin, können dagegen appetitvermindernd wirken. Wesentlich bedeutsamer für eine verminderte Nahrungsaufnahme sind allerdings Wirkstoffe, die das Geruchs- und Geschmacksempfinden beeinträchtigen, die Speichelsekretion vermindern Vielfältige Interaktionen zwischen Arzneistoffen und Ernährungsfaktoren können sich im Gastrointestinaltrakt ergeben. Je nach Wirksubstanz und zugrunde liegendem Mechanismus resultieren daraus entweder spezifische Konsequenzen für Digestion und Absorption einzelner Nährstoffe oder generalisierte Erscheinungen, von denen die gesamte Nährstoffaufnahme betroffen ist. Eine Übersicht über die wesentlichen Effekte gibt Tab. 63.6. Einschränkungen der Nährstoffverwertung bzw. Nährstoffverluste ergeben sich insbesondere durch Veränderungen der gastrointestinalen Motilität, Diarrhöen und Schleimhautschädigungen. Sie werden durch Arzneistoffe, wie Antibiotika, Laxanzien, Diuretika, Methyldopa, L-Dopa, Anticholinergika, nichtsteroidale Antiphlogistika und Zytostatika hervorgerufen. Welche Konsequenzen sich daraus im Einzelfall ergeben, hängt wesentlich von der Dauer der Medikation und dem Nähr- Tab. 63.4 Pharmaka mit adipogener Wirkung (Quelle: Wirth 2008). Substanzgruppe Adipogene Wirkung stark mittel leicht Antidepressiva Amitriptylin, Doxepin, Maprotilin, Mirtazapin, Trimipramin Clomipramin, Imipramin, Nortriptylin Citalopram, Fluoxetin, Fluvoxamin, Desipramin, Moclobemid (MAO-Hemmer), Sertralin, Tranylcypromin (MAO-Hemmer) Neuroleptika Clozapin, Olanzapin Zuclopenthixol, Quetiapin, Risperidon Amisulprid, Aripiprazol, Haloperidol, Ziprasidon Andere Psychopharmaka Lithium, Valproat Carbamazepin Gabapentin, Lamotrigin, Topiramat Hormone Insulin, Kortisol Testosteron orale Kontrazeptiva Andere Pharmaka – – Glitazone, Sulfonylharnstoffe, Betablocker 949 aus: Biesalski u. a., Ernährungsmedizin (ISBN 9783131002945) © 2010 Georg Thieme Verlag KG