Angststörung - Hans-Carossa

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Angststörung
Angststörungen sind psychische Störungen, bei denen die Furcht vor einem Objekt oder
einer Situation oder unspezifische Ängste im Vordergrund stehen. Wenn es ein solches
gefürchtetes Objekt oder eine Situation gibt, spricht man von einer Phobie.
Den Phobien ist gemeinsam, dass die Betroffenen übermaessig starke Ängste haben vor
Dingen, vor denen Menschen ohne Angststörungen normalerweise zwar Angst oder Furcht
empfinden können, aber in einem weit geringeren Maß oder sogar vor Dingen, vor denen
Menschen ohne Angststörung gar keine Angst haben. Dabei erkennen die betroffenen
Personen eventuell zeitweise, dass ihre Angst übermäßig oder unbegründet ist.
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Definition
Angst ist zunächst ein notwendiger und normaler Affekt. Die Definition dessen, was unter
„Angst“ zu verstehen ist, ist in trefflicher Weise von Karl Jaspers gegeben worden[1]. Die
Definition dessen, was als „Angststörung“ zu verstehen ist, ist schwieriger zu geben. Die
Kennzeichnung von Ängsten als „Störung“ stützt sich auf Kriterien, die der Orientierung
dienen können, letztlich aber unscharf bleiben. Wir geben hier mehrere „Definitionen“
wieder, da jeder Autor andere „Kriterien“ als besonders wichtig für die Hineinnahme in seine
Definition empfindet und durch die vergleichende Darstellung ein Höchstmaß an Einblick in
die Komplexität der Störung entsteht. Klarer und einfacher ist dagegen die definitorische
Kennzeichnung der „Phobie“ sowie die Abgrenzung der Phobien untereinander.
Definition pathologischer Angst
Volker Faust (1995) grenzt „pathologische Ängste“ (im Sinne einer Störung) gegen die
„vielfältigen“ angemessenen „Ängste“ folgendermaßen ab:
Als orientierende Merkmale zur Diagnose einer pathologischen Angst lassen sich zwei
Kriterien nennen:
1. die „Unangemessenheit“ der Angstreaktion gegenüber den Bedrohungsquellen
2. die Symptomausprägung, wie Angstintensität, Angstpersistenz, abnorme
Angstbewältigung und subjektiver und körperlicher Beeinträchtigungsgrad.
Angst kann vor allem dann den Stellenwert einer Krankheitsbeeinträchtigung gewinnen, wenn
1. mögliche oder tatsächliche Bedrohung in ihrer Gefährlichkeit überschätzt werden (z.
B. bei Herzphobie und Agoraphobie)
2. Angst ohne konkrete Gefahr und Bedrohungswahrnehmung auftritt (z. B. bei
Panikattacken).
Diagnose
Im Mittelpunkt der Diagnostik steht das ärztliche oder psychotherapeutische Gespräch.
Anhand der geschilderten Symptome kann der Psychiater oder psychologische
Psychotherapeut eine erste Verdachtsdiagnose stellen. Um körperliche Beschwerden der
Angst, wie zum Beispiel Atemnot und Herzrasen, von einer organischen Erkrankung
unterscheiden zu können, muss zunächst eine ausführliche medizinische Untersuchung zum
Ausschluss einer körperlichen Ursache erfolgen. Dazu sind meist auch laborchemische und
technische Untersuchungen erforderlich (Blutuntersuchung, EKG und ähnliche). Erst nach
Ausschluss einer körperlichen Erkrankung soll eine seelische Störung diagnostiziert und die
Behandlung geplant werden.
Klassifikation
Obwohl Angst ein „Affekt“ ist, werden Angststörungen, Panikattacken und auch phobische
Störungen in der ICD-10, einem modernen Klassifikationssystem, nicht in der Rubrik F3
(Affektive Störungen), sondern im Kapitel F4 (Neurotische-, Belastungs- und somatoforme
Störungen) kodiert. Menschen mit Angststörungen empfinden selber oft gar nicht die Angst
als das hervorstechende Symptom. Stattdessen werden häufig körperliche Symptome, wie
etwa Schwindel, Herzrasen, Zittern, verminderte Belastbarkeit oder auch Magen-DarmBeschwerden zuerst genannt. Die Unterteilung in der ICD-10 ist wie folgt:
Phobische Störungen
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Agoraphobie (ICD-10 F40.0): Furcht vor oder Vermeidung von Menschenmengen,
öffentlichen Plätzen, Reisen allein oder Reisen von Zuhause weg.
Soziale Phobie (ICD-10 F40.1): Furcht vor oder Vermeidung von sozialen
Situationen, bei denen die Gefahr besteht, im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen,
Furcht, sich peinlich oder beschämend zu verhalten, zum Beispiel Paruresis.
Spezifische Phobien (ICD-10 F40.2). Diese können nach bestimmten Objekten oder
Situationen unterschieden werden:
o Tierphobien: zum Beispiel Angst vor Spinnen (Arachnophobie), Insekten,
Hunden, Mäusen.
o Situative Phobien: Flugangst, Höhenangst, Tunnel, Aufzüge, Dunkelheit
o Natur-Phobien: zum Beispiel Donner, Wasser, Wald, Naturgewalten.
o Anblick von Blut, Spritzen, Verletzungen.
Sonstige phobische Störungen (ICD-10 F40.8)
Phobische Störung, nicht näher bezeichnet (ICD-10 F40.9)
Andere Angststörungen
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Panikstörungen (ICD-10 F41.0): Spontan auftretende Angstattacken, die nicht auf ein
spezifisches Objekt oder eine spezifische Situation bezogen sind. Sie beginnen abrupt,
erreichen innerhalb weniger Minuten einen Höhepunkt und dauern mindestens einige
Minuten an.
Generalisierte Angststörung (ICD-10 F41.1): Eine diffuse Angst mit Anspannung,
Besorgnis und Befürchtungen über alltägliche Ereignisse und Probleme über einen
Zeitraum von mindestens sechs Monaten, begleitet von weiteren psychischen und
körperlichen Symptomen.
Angst und depressive Störung, gemischt (ICD-10 F41.2): Angst und Depression
sind gleichzeitig vorhanden, eher leicht ausgeprägt ohne Überwiegen des einen oder
anderen.
Symptome
Allgemeine Angstsymptome
Herzklopfen, Pulsbeschleunigung, Schwindel, Schweißausbruch, Zittern, Beben,
Mundtrockenheit, Hitzewallungen, Sprachschwierigkeiten. Dazu Atembeschwerden,
Beklemmungsgefühl, Brustschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Durchfall. Auch
Bewusstseinsstörungen, zum Beispiel das Gefühl, verrückt zu werden, das Gefühl, dass Dinge
unwirklich sind oder man selbst „nicht richtig da“ ist, dass man nicht mehr die Kontrolle über
die eigenen Gedanken hat, Benommenheit, Schwindel, Angst zu sterben, allg.
Vernichtungsgefühl. Jeder vierte Patient mit Angststörung klagt über chronische Schmerzen.
Spezifische Phobien
In Bezug auf ein spezifisches Objekt oder eine Situation oder einen Ort bildet sich die
Angstsymptomatik.
Es besteht eine deutliche emotionale Belastung durch die Angstsymptome. Die
angstauslösenden Objekte beziehungsweise Situationen werden vermieden. Gleichzeitig
besteht die Einsicht, dass die Ängste übertrieben oder unvernünftig sind. Beim Anblick des
angstauslösenden Objekts beziehungsweise der Situationen kommt es zu den oben
beschriebenen Symptomen.
Die bekannteste Phobie ist die Platzangst: die Angst vor offenen Plätzen, Angst, das eigene
Haus zu verlassen, Geschäfte zu betreten, sich in eine Menschenmenge oder auf öffentliche
Plätze zu begeben oder allein in Zügen, Bussen oder Flugzeugen zu reisen. Häufig muss in
solchen Situationen sofort ein möglicher Fluchtweg gesucht werden.
Es gibt eine Unzahl von möglichen Phobien, phobische Reaktionen können sich auf alles und
jedes richten. Im Folgenden sind einige bekanntere spezifische Phobien aufgelistet:
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Angst vor Katzen (Ailurophobie)
Angst vor Vögeln (Ornithophobie)
Angst vor Spinnen (Arachnophobie)
Ängste vor engen Räumen (Klaustrophobie)
Ängste vor Blut (Hematophobie)
Ängste vor großen Höhen (Bathophobie)
Angst vor dem Fliegen (Flugangst, Aviophobie)
Angst vor Krankheiten (z. B. Krebs)
Angst vor großen Menschenmengen (Demophobie, Ochlophobie)
Angst vor großen Räumen, z. B. auch Angst in großen Kaufhäusern (Agoraphobie)
Angst vor dem Sprechen (Glossophobie)
Angst, in der Öffentlichkeit das Wort zu ergreifen (Homilophobie)
Angst vor dem Auftreten der Angst („Angst vor der Angst“, Phobophobie)
Soziale Phobie
Bei der sozialen Phobie bezieht sich die angstbesetzte Situation auf Situationen, die Kontakte
mit anderen Menschen erfordern. Daher kann schon die Interaktion mit einem anderen
Menschen eine Überforderung darstellen.
Symptome:
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starke Ängste, sich in bestimmten sozialen Kontexten zu zeigen
extreme Angst, in dieser Angst erkannt und öffentlich beschämt zu werden
vor und in angstbesetzten Situationen starke körperliche Reaktionen (Herzrasen,
Schwitzen, Übelkeit, Atemnot, Stimmversagen u. a.)
starkes Vermeidungsverhalten, dadurch oft ausgeprägtere Defizite beim „normalen“
Reifungsprozess und Defizite bei der Wahrnehmung sozialer Verantwortung
häufig in der Folge sehr schlechtes Selbstbewusstsein, Versagensgefühle,
Unterlegenheitsgefühle, Furcht vor Kritik
Erröten, Zittern der Hände, Vermeidung von Blickkontakt, Übelkeit, auch Harndrang
Panikstörungen
Die Panikstörungen zeichnen sich dadurch aus, dass wiederholt schwere impulsive Angstoder Panikzustände auftreten, die sich nicht auf spezifische Situationen beschränken und
deshalb nicht vorhersehbar sind. Panikattacken gehen besonders häufig einher mit plötzlichem
Herzklopfen, Herzrasen oder unregelmäßigem Herzschlag. Es können ebenfalls
Brustschmerzen, Erstickungsgefühle, Zittern, Schwitzen, Schwindel und das Gefühl der
Entfremdung auftreten. Die Betroffenen haben Todesangst, befürchten zum Beispiel einen
Herzstillstand oder Herzinfarkt. Immer wieder treten auch Gefühle von Derealisation auf und
die Angst, verrückt zu werden. Dazu kommen die übrigen beschriebenen Symptome. Diese
Anfälle dauern in der Regel nur wenige Minuten, manchmal etwas länger. Da diese
Situationen plötzlich und unberechenbar auftreten, entsteht schließlich eine Angst vor der
Angst. Spezifisch für die Panikstörung ist es, dass die Betroffenen oft den Zusammenhang
zwischen den körperlichen Symptomen und ihrer Angst nicht erkennen und die Symptome
fehlinterpretieren.
Generalisierte Angststörung
Unter die generalisierten Angststörungen werden anhaltende Symptome von Angst
zusammengefasst, die sich ebenfalls nicht auf bestimmte Situationen beschränken. Dabei
treten folgende Symptome auf: Nervosität, Zittern, Muskelspannung, Schwitzen,
Benommenheit, Herzklopfen, Hyperventilation, Schluckbeschwerden, Schwindelgefühle,
Oberbauchbeschwerden, Ruhelosigkeit, Konzentrationsstörungen, Reizbarkeit und
Einschlafstörungen auf Grund der ständigen Besorgnis und Angst. Die Betroffenen können
oft nicht angeben, wovor sie Angst haben, sie werden von der Furcht gequält, dass sie oder
ihre Angehörigen erkranken oder Unfälle erleiden könnten.
Angst und depressive Störung, gemischt
Zu den Symptomen der Angst kommen die der Depression. Man hat festgestellt, dass es durch
die Angstsymptome, die häufig anfangs nicht als diese erkannt werden, auch noch zu
Depressionen kommen kann. Man fühlt sich schlecht, weil anfangs kein Arzt helfen kann und
eben keine körperlichen Symptome gefunden werden (Blut, Nerven etc.). Es kann daher
vorkommen, dass man sich irgendwelche schweren körperlichen Erkrankungen einredet
(Tumor etc.) und somit noch mehr darunter leidet. Dies kann sich mit der Zeit bis zur
Depression aufschaukeln.
Auch die Feststellung, durch die Angst in der eigenen Leistungs- und Belastungsfähigkeit
eingeschränkt zu sein, führt häufig dazu, dass sich die Betroffenen minderwertig oder
schwach fühlen. Hinzu kommt die Scham über die sichtbaren Symptome, oder darüber, nicht
"voll zu funktionieren".
Häufigkeit
Angsterkrankungen sind in der Praxis häufig anzutreffen. Nach einer Studie der WHO 1996
litten etwa 8,5 % der Patienten in deutschen Allgemeinarztpraxen an einer generalisierten
Angststörung und 2,5 % an einer Panikstörung. Frauen erkranken circa zweimal häufiger als
Männer. Menschen mit Panikstörungen leiden in der Hälfte der Fälle zusätzlich an einer
Agoraphobie. Fast 20 % der Patienten, die sich in den USA in einem allgemeinmedizinischen
Krankenhaus vorstellten, litten an einer Angsterkrankung, 41 % davon unbehandelt. [3]
Ursachen
Wie bei den meisten psychischen Störungen gibt es auch bei der generalisierten Angststörung,
bei sozialen Ängsten, Panikattacken und Phobien nicht die eine bekannte Ursache. Stattdessen
geht man auch hier von einer Vielzahl verursachender oder auslösender Faktoren aus, die erst
im Zusammen- und Wechselwirken den tatsächlichen Ausbruch der Störung bewirken. Je
nach psychiatrischer oder psychotherapeutischer Schule werden naturgemäß andere
„Ursachen“ fokussiert und günstigenfalls auch weiter erforscht. So tragen alle in der Fachwelt
anerkannten theoretischen Ausrichtungen aus ihrem speziellen Blickwinkel zur Erforschung
von Ursache und Entstehung (Entwicklung) dieser Störungen bei.
Ein sehr guter Überblick findet sich bei H.-P. Kapfhammer (2000), der hier im Folgenden
stichpunktartig und in Auszügen wiedergegeben wird:
Schilddrüsenfehlfunktionen
Sowohl eine Überfunktion (Ursache: meist Morbus Basedow oder Schilddrüsenautonomie)
als auch eine Unterfunktion (Ursache: meist Hashimoto-Thyreoiditis) der Schilddrüse können
zu Angst und Panikattacken führen. Dies kann bei Hashimoto auch im Anfangsstadium
vorkommen, wenn die Laborwerte noch unauffällig sind.
Psychologische Modelle
Psychologische Erklärungsmodelle der Angst unterscheiden zunächst zwischen
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Angst als Zustand und
Angst als Persönlichkeitseigenschaft
Es gibt bereits einige Versuche, Angst oder Ängstlichkeit als Persönlichkeitseigenschaft
aufzufassen. Hierbei hat sich ein dimensionaler Ansatz im Gegensatz zu einer
Kategorisierung bewährt. Persönlichkeitsmodelle der Psychologie, die dimensional konzipiert
sind, zeigen im Wesentlichen eine Übereinstimmung in der Annahme, dass es eine Art
genetischer Disposition zur „Ängstlichkeit“ gibt, die bei starker Ausprägung
(Dimensionierung) eine Schwachstelle (vulnerabler Bereich) in der psychischen Konstitution
darstellt und dann in der späteren Entwicklung zum Kristallisationspunkt einer Angststörung
werden kann.
Kognitive Schemata und soziale Kompetenz
Eigentlich unumstritten ist die Ansicht, dass Menschen, die unter vermehrten Ängsten leiden,
die Welt anders und teilweise verzerrt wahrnehmen. Auf Dauer gesehen wird aus dieser
verzerrten Wahrnehmung dann eine falsche „Bewertung“ der äußeren Welt. Man spricht in
der kognitiven Therapie von der Entwicklung und Einnistung sogenannter „maladaptiver
kognitiver Schemata“, also einer Art verinnerlichter „Vorurteile“ oder zumindest
„Fehlurteile“ über die Gefährlichkeit der Welt. In einem weiteren Schritt kommt es dann zu
einem unangemessen starken „Vermeidungsverhalten“, um diesen vermeintlich drohenden
Gefahren auszuweichen. Dieses „Vermeidungsverhalten“ wiederum führt zu einer mehr oder
weniger starken, oft fortschreitenden Einengung des Aktionsradius und der Aktivitäten
überhaupt, im weiteren Schritt oft zu Rückzug und Isolation. Der Betreffende bleibt in der
Regel mehr oder weniger weit hinter seiner eigentlichen gesellschaftlichen Leistungsfähigkeit
zurück. Der Erwerb einer verlässlichen sozialen Kompetenz wird dadurch erschwert oder
verhindert.
Entwicklungsmodelle
Aus der Entwicklungspsychologie und aus der täglichen Erfahrung mit Kindern ist bekannt,
dass es gewisse „typische“ und „altersgebundene“ Ängste gibt. Kapfhammer (2000) nennt das
„Fremdeln“, die „Trennungsangst“, die „Schulangst“, „Tierängste“. Er weist darauf hin, dass
Zusammenhänge bestehen zwischen
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dem späteren Auftreten von Panikstörung oder Agoraphobie einerseits und
frühkindlichen Trennungsängsten (Bolwby, 1976) bzw. Trennungsängsten und
Schulphobie (Gittleman u. Klein, 1984) andererseits
dem späteren Auftreten einer generalisierten Angststörung einerseits und frühen
familiären Traumatisierungen „(Konflikte zwischen den Eltern, Konflikte mit den
Eltern, sexuelle Traumatisierungen, mangelhafte Aufmerksamkeit, niedriges Prestige
der Familie, stärkere körperliche Züchtigungen)“ (Angst und Vollrath, 1991) resp.
Aufwachsen in einer Alkoholikerfamilie (Mathew et al. 1993; Tweed et al., 1989)
andererseits
dem späteren Auftreten von Phobien einerseits und kindlicher Angst vor Beschämung
bei hohen elterlichen Ansprüchen (Parker, 1979), sozialphobischem Vorbildverhalten
der Mütter (Bruch et al., 1989) oder übertriebener Besorgnis der Eltern vor Kritik
durch Außenstehende (Bruch und Heimberg, 1994) andererseits.
Lerntheoretische Modelle
Der von Orval Hobart Mowrer entwickelte Ansatz geht davon aus, dass Ängste durch
(klassische und operante) „Konditionierung“ entstehen im Sinne von pathologischen
(=krankhaften, unangemessenen) Angstreaktionen auf ursprünglich neutrale Stimuli, die
durch zeitliche und/oder räumliche Kontingenz zu einer realen angstauslösenden Situation im
Rahmen von Lernerfahrungen zu einem konditionierten Angststimulus werden. Durch
Vermeiden dieser Situation wird der Stimulus vermieden und damit auch die Angst reduziert.
Das führt zu einer negativen Verstärkung des Vermeidungsverhaltens, d. h. der Betreffende
„lernt“, dass das Vermeiden gut für ihn ist, indem es ihn vor aufkommenden Ängsten schützt.
Wie bei den kognitiven Schemata auch (s.o.) handelt es sich um ein fehladaptiertes, d. h. nicht
wirklichkeitsgerechtes Lernen, bei dem zwischen der eigentlichen Angstquelle und dem
symbolischen Stimulus nicht mehr unterschieden werden kann. Aufgrund der anhaltenden
Vermeidung bleibt eine korrigierende Lernerfahrung aus, sodass sich pathologische
Angstreaktion „etabliert“.
Bei der Panikstörung spielt eine positive Rückkopplung „zwischen körperlichen Sensationen
(z. B. wahrgenommene Veränderung der Herzrate) und kognitiven Bewertungsvorgängen als
Gefahr (z. B. „drohender Herzinfarkt“) mit einer hieraus resultierenden eskalierenden
Angstreaktion“ eine große Rolle.
Eine wichtige Bedeutung insbesondere bei der Entstehung einer generalisierten Angststörung
(Blazer, 1987), aber auch einer Panikstörung (Finlay-Jones u. Brown, 1981; Goldstein u.
Chambless, 1978; Faravelli u. Pallanti, 1989) kommen schwerwiegenden, negativen (und
traumatisierenden) Lebensereignissen zu (sogenannte „life events“).
Psychodynamische Modelle
Einen Versuch, das psychodynamische Verständnis von Angststörungen in heutiger Sicht
zusammenfassend darzustellen, unternimmt Huber (1999):
„Die unmotivierte, nicht objektgebundene Angst kann als existentielle Angst
(Untergrundangst) im normalen und nichtneurotischen Seelenleben als
allgemeine Grunderfahrung des Menschen vorkommen (…). Sie kann aber bei
der Angstneurose auch Leitsymptom einer neurotischen Entwicklung sein;
doch muss hier stets vorrangig eine endogene, schizophrene oder zyklothyme
Erkrankung ausgeschlossen werden. Bei der Angstneurose (FREUD, 1895)
tritt die Angst bei den hilflos-anklammernd erscheinenden Patienten als mit
vegetativen Symptomen einhergehender Angstanfall (der phänomenologisch
der „neurotischen Herzphobie“, …, und den „dysästhetischen Krisen“ bei
endogenen Psychosen entsprechen kann) oder als nicht auf ein bestimmtes
Objekt bezogenes, frei flottierendes, intensives, länger anhaltendes
Angstsyndrom auf. FREUD nahm ursprünglich als Ursache einen aktuellen
Konflikt in Form sexueller Frustration mit Umsetzung verdrängter Libido in
einen Angstaffekt an (…), z. B. bei Coitus interruptus oder Aufgabe von
Ipsation (Onanie). Später und bis heute denkt man mehr an Trennungsängste
(Verlassenwerden und dadurch bedingte Hilflosigkeit) bei Menschen, die in
der Biographie Züge von Trennungsempfindlichkeit (angstneurotische
Familienkonstellation) zeigen und stark von Schutzfiguren abhängig sind;
ähnlich wie bei der Herzphobie (…) kann die Anwesenheit von Schutzfiguren,
z. B. eines Arztes, das Symptom beheben. Angstneurotische Symptome
kommen für sich allein oder kombiniert mit anderen neurotischen
Erscheinungen, z. B. auch mit – lokalisierten – Phobien vor. Übereinstimmung
besteht darin, dass Angstneurosen wie Phobien Ausdruck ungelöster Konflikte
sind, wobei besonders die unbewusste Angst, Zuwendung zu verlieren,
alleingelassen zu werden, Aggressionshemmung und Verkehrung ins Gegenteil
eine Rolle spielen.“
– Huber, Psychiatrie (1999) S. 460
S. Freud kannte das Phänomen Angst in zwei Zusammenhängen:
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als Ausdruck bzw. als Folge eines innerpsychischen Konfliktes, etwa zwischen einem
verbotenen triebhaften Impuls und einem strengen Gewissen. Angst resultiert hiernach
durch die unvollständige Unterdrückung einer Wunschregung, z. B. eines sexuellen
Verlangens und der Angst vor Bestrafung, sie ist Ergebnis eines Abwehrvorganges
(Freud, 1895).
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als Signalangst. In dieser Funktion signalisiert die Angst dem Ich das Vorhandensein
einer inneren Bedrohung, z. B. durch ähnliche Konflikte wie oben genannt. Sie steht
dann am Beginn einer Schutzmaßnahme durch das Ich und ist somit Initiator eines
Abwehrvorganges (Freud, 1926).
Die Phobie aus psychoanalytischer Sicht
Nach psychoanalytischem Verständnis handelt es sich bei der Ausbildung einer Phobie in
allererster Linie um eine aktive psychische Leistung und zwar im Besonderen um das
Ergebnis einer intrapsychischen Abwehr: angsterregende Bewusstseinsinhalte werden
verdrängt, wobei an die Stelle der ursprünglichen Inhalte (es kann sich um Vorstellungen oder
Gefühle handeln) belanglose äußere Situationen gesetzt werden. Die Angst wird also an einen
anderen „harmlosen“ Ort verschoben, dem der „eigentliche (verbotene und deshalb
angstbesetzte und verdrängte) Inhalt“ nicht mehr angesehen und zugeordnet werden kann. Die
Verschiebung ist selbst für den Betreffenden selber nicht mehr bewusst, auch er staunt, wo die
Angst herkommt. Es ist zu beachten, dass die Phobie mehr als einfache Verdrängung ist.
Diese würde zu einer akzeptablen Lösung nicht ausreichten. Durch die Verdrängung des
spezifischen Vorstellungsinhaltes erfährt nämlich die vorher gebundene und gerichtete Furcht
eine Regression zu einer ungebundenen entdifferenzierten diffusen Angst, die wegen des
freien Flottierens äußerst schlecht zu ertragen ist. In einer zweiten Phase muss daher der
Hauptabwehrmechanismus des phobischen Modus, nämlich die Verschiebung, zum Einsatz
kommen, wodurch „künstlich“ die Bindung an einen neuen Inhalt erreicht wird. Greenson
formulierte dies einmal so: „Eine Form der Angst wird als Abwehr gegen eine andere Angst
benutzt.“
Der Vorteil des Verschiebungsmechanismus liegt darin, dass aus der ursprünglichen inneren
Gefahr eine äußere konstruiert wird: eine äußere Gefahr hat den „Vorteil“, dass sie leichter
vermieden werden kann als eine innere.
Wie bei allen neurotischen Lösungsversuchen handelt es sich auch bei der Phobie um einen
Kompromiss, der darin besteht, dass auf der einen Seite die verbotenen Wünsche und
Strebungen unbewusst bleiben können und nicht wirksam werden, auf eine verzerrte Weise,
nämlich als phobische Reaktion, aber dennoch partiell ausgelebt werden können.
Neurobiologische Modelle
Das neuroanatomische Modell
Bei der Angstregulation sind vor allem
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der Hirnstamm (Locus coeruleus, Raphe-Kerne, Nucleus paragigantocellularis) →
Regelung des Niveaus des Arousals
das sogenannte „limbische System“ (Amygdala (Angstentstehung), Hippocampus,
Nuclei septi, Hypothalamus) → Induktion und Modifikation von Angst
der präfrontale Cortex → Integration von Informationen aus verschiedenen
Hirnarealen, Bewertung, Planung beteiligt.
Das Neurotransmitter-/Rezeptormodell [Bearbeiten]
In der Pathophysiologie von Ängsten wird die Rolle verschiedenster Neurotransmittersysteme
(chemische Botenstoff-Systeme) diskutiert. Es handelt sich dabei um
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das GABA-System
das serotonerge System
das noradrenerge System
sogenannte "exzitatorische (=Rezeptor-anregende) Aminosäuren
andere Neurotransmitter
Die inhibitorische (hemmende) Gamma-Amino-Buttersäure (GABA) ist der am meisten mit
Angststörungen und deren medikamentöser Behandlung in Verbindung gebrachte
Transmitter. Die Substanzgruppe der „Benzodiazepine“ setzt mehrheitlich am sogenannten
GABA-A-Rezeptorkomplex an, bewirkt dort über die Freisetzung von Chloridionen eine
Hyperpolarisation der Rezeptormembran, was zu einer Verstärkung der gaba-ergen Hemmung
der Ansprechbarkeit des Rezeptors gegenüber erregenden Impulsen führt.
Dieser indirekte Effekt der Verstärkung einer gaba-ergen Hemmung durch Benzodiazepine
führt klinisch zur Reduktion der Angstsymptomatik.
Verschiedene Serotonin-Rezeptoren (5-HT1A-Rezeptor sowie 5-HT2- und 5-HT1C) des
serotonergen Systems sind ebenfalls an der Angstmodulation beteiligt. Deshalb wirken
folgende Substanzen angstlösend (anxiolytisch)
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Buspiron
Imipramin, MAO-Hemmer, Trazodon
SSRI, MAO-Hemmer
Das noradrenerge System ist wesentlich für die körperlichen Begleitsymptome bei
Angstzuständen verantwortlich und wird über postsynaptische ß1-Rezeptoren vermittelt.
Behandlungsmöglichkeiten
Zur Therapie von Angststörungen (generalisierte Angststörung, Panikstörung, Panikattacken)
und Phobien kommen verschiedene Behandlungsverfahren zum Einsatz.
Entspannungsverfahren
Ängste sind in aller Regel von körperlichen Symptomen, v.a. auch von Verspannungen
begleitet, die wiederum negativ auf die Angstsymptomatik und die körperlichen Symptome
zurückwirken und diese verstärken oder zumindest aufrechterhalten. Deshalb ist ein wichtiger
Ansatz bei der Angsttherapie die Beseitigung von Spannungen durch Entspannungsverfahren.
Zum Einsatz kommen

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Autogenes Training
Progressive Muskelentspannung nach Jacobson
Biofeedback-Methoden
Psychotherapie
Psychoanalytische und tiefenpsychologische Behandlungsmethoden basieren auf den
theoretischen Grundannahmen der Psychoanalyse, denen zufolge die Angstsymptomatik
Ausdruck eines unbewussten Konfliktes mit misslungener Kompromisslösung ist. Die
Aufdeckung dieses Konfliktes und das „Durcharbeiten“ unter Reaktivierung der
ursprünglichen Affekte soll den Angstaffekt dann überflüssig machen und wieder zum
Verschwinden bringen.
Bei der Verhaltenstherapie der Phobien, Angst- und Panikstörungen geht es v.a. darum, sich
den Ängsten und angstbesetzten Situationen gezielt und in zunehmender Dosis auszusetzen,
bis alle zuvor gemiedenen Situationen wieder in Besitz genommen und in das normale Leben
integriert werden können. Man bedient sich hierzu der Reizkonfrontation, die in zwei Formen
ablaufen kann.
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Reizüberflutung („flooding“): Es erfolgt unter paralleler therapeutischer Begleitung
eine Konfrontation mit einer maximal angstauslösenden Situation, die solange
ausgehalten werden muss, bis eine physiologische Gewöhnung eintritt und der Patient
lernt, dass die gefürchteten katastrophalen Folgen ausbleiben. Auf dieses Verfahren
wird im deutschsprachigen Raum inzwischen wegen ethischen Bedenken weitgehend
verzichtet.
Abgestufte Reizexposition: systematische Desensibilisierung durch stufenweise
gesteigerte Reizexposition, bis alle Hierarchiestufen bis zum Maximum durchlaufen
wurde
Bei der Kognitiven Therapie, die häufig mit klassischen verhaltenstherapeutischen Verfahren
kombiniert wird, soll der Patient seinen Denk- und Bewertungsstil ändern. Theoretische
Grundlage ist die Annahme, dass vor allem eine „Fehlbewertung“ der angstauslösenden
Situation die heftige Angst und Vermeidungsreaktion hervorruft und immer weiter verstärkt.
Dabei kann die Frage nach der Finalität der Angst sehr hilfreich sein: Was möchte der Patient
mit seiner Angst (unbewusst) erreichen.
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