Angststörungen bei Kindern und Jugendlichen Klassifikation, Diagnostik, Intervention Fribourg SS 2009 Lic. phil. Daniela Bleisch Papini Dr. phil. Romaine Schnyder Daniela Bleisch Romaine Schnyder Lic. phil. Psychologin Dr. phil. Psychologin Psychologin, kantonale Erziehungsberatung, Spiez Leiterin Forschung & Entwicklung EHB, Lausanne EB & KJPD Interlaken KJPD Bern & Spiez Lehrtätigkeit an der Universität Fribourg, Bern, Heidelberg, div. Weiterbildungskurse Verhaltenstherapeutische Weiterbildung mit Schwerpunkt Kinder und Jugendliche, Universität Fribourg Kontakt Daniela Bleisch Papini Romaine Schnyder [email protected] [email protected] 1 Inhalt, 2.3.09 Klassifikation 17.15 - 17.45 17.45 - 18.45 Vorstellen Administration / Inhalt Kurs Angststörungen in den Klassifikationssystemen DSM / MAS 18.45 - 19.00 Pause 19.00 - 19.45 Klassifikationsübung mit Fallbeispielen Selbststudiums-Auftrag Inhalt, 16.3.09 Diagnostik 17.15 - 17.35 17.35 - 18.35 18.35 - 18.50 18.50 - 19.45 Präsentation I: Klassifikation & Diagnostik (Leitlinien Teil I) Komplexität der Diagnosestellung Pause Problem- und Verhaltensanalyse: SORC anhand eines Fallbeispiels Selbststudiums-Auftrag erklären Inhalt, 30.3.09 Intervention I 17.15 - 17.35 Präsentation II: Kinder-DIPS vorstellen 17.35 - 18.35 Intervention bei spezifischer Phobie Block I: Psychoedukation/ Zielanalyse/ Therapieplanung 18.35 - 18.50 Pause 18.50 - 19.45 Vorbereitung und Durchführung der Rollenspiele im Plenum (Fallbeispiel) Selbststudiums-Auftrag erklären 2 Inhalt, 20.4.09 Intervention II 17.15 - 17.35 Präsentation III: Spezifische Phobie (Teil I) & Zielanalyse/Therapieplanung 17.35 - 19.00 Intervention bei spezifischer Phobie Block II: Exposition 19.00 - 19.15 Pause 19.15 - 19.45 Falldarstellung (RS) mit Video Selbststudiums-Auftrag erklären Inhalt, 4.5.09 Intervention III 17.15 - 17.35 Präsentation IV: Spezifische Phobie (Teil II) & Intervention (Leitlinien Teil II) 17.35 - 19.00 Intervention bei spezifischer Phobie Block III: kognitive Interventionen & Rückfallprophylaxe 19.00 - 19.15 Pause 19.15 - 19.45 Prüfungsplanung & Kursevaluation Seminardaten 1 2 3 4 5 6 2.3.2009 16.3.2009 30.3.2009 20.4.2009 4.5.2009 18.5.2009 (Prüfung) 17.15-19.45 Uhr 3 Art der Evaluierung und Lernkontrolle: 1. Anwesenheit im Seminar 2. Abgabe einer schriftlichen Arbeit (Selbststudium) 1/4 der Masternote 3. Gruppenpräsentation der schriftlichen Arbeit (15 Minuten) 1/4 der Masternote 4. Lernkontrolle am Schluss der Veranstaltung (15 Minuten) 1/2 der Masternote Schriftliche Arbeit 1. Im Rahmen des Selbststudiums müssen die Studierenden eine schriftliche Arbeit (Umfang 2 A4-Seiten) abgeben Einschreiben in Liste Gruppenpräsentation über die schriftliche Arbeit 1. Alle Masterstudierenden, die auf einen Termin eine schriftliche Arbeit abgeben, präsentieren (als Gruppe) während 15 Minuten den Inhalt Einschreiben in Liste 4 Mündliche Lernkontrolle 1. Daten: 18.5.2009, ab 17.15 Uhr 2. Dauer: 15 Minuten pro Person 3. Prüfungszeiten werden noch mitgeteilt Klassifikation von Angststörungen im Kindes- und Jugendalter Klassifikationssysteme (1) • Wichtigste Klassifikationssysteme: – DSM: Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, Herausgeber: American Psychiatric Association, Geltungsbereich: nur psychische Störungen, aktuell DSM-IV-tr (Text-Revision). • Nächste geplante umfassend überarbeitete Veröffentlichung 2011 5 Klassifikationssysteme (2) • Wichtigste Klassifikationssysteme: – ICD: International Classification of Diseases Herausgeber: WHO, Geltungsbereich: alle Krankheiten, aktuell ICD-10. – MAS: Multiaxiales Klassifikationsschema für psychische Störungen des Kindes- und Jugendalters nach ICD-10 der WHO, aktuell 5. Auflage von 2006 Klassifikationssysteme (3) • Nicht vertieft werden hier: – Grundsätzliche Überlegungen zu Klassifikationssystemen – Fehlerquellen im diagnostischen Prozess (Literaturhinweis: Baumann & Perrez (2005): Klinische Psychologie & Psychotherapie) Multiaxiales Klassifikationsschema für psychische Störungen des Kindes- und Jugendalters nach ICD-10 der WHO Remschmidt, Schmidt & Poustka 5. Auflage 2006 6 MAS • DSM-IV und ICD-10 beinhalten den Bereich Kinder und Jugendliche implizit (diverse Diagnosen nicht altersbegrenzt) und explizit (spezifische Diagnosen für Kinder und Jugendliche) • Entwickelt von Remschmidt & Schmidt (1994), aktuell 5. Auflage (2006) • Basiert auf ICD-Klassifikationssystem: Achsen I-IV beinhalten gleiche diagnostische Kriterien wie ICD10; Achsen V & VI sind im ICD-10 nicht enthalten. • Im Gegensatz zu ICD mehrachsig (ähnlich wie DSM) Die Achsen des MAS Achse I Klinisch-psychiatrisches Syndrom ICD-10, Kp. V F0-F6 & F9 Achse II Umschriebene Entwicklungsstörungen ICD-10, F8 Achse III Intelligenzniveau Erweiterung ICD-10, F7 Achse IV Körperliche Symptomatik Alle mögl. ICD10 Ziffern ohne Kapitel V Achse V Ähnlich DSM Achse IV Assoziierte aktuelle abnorme psychosoziale Umstände Achse VI Globalbeurteilung der psychosozialen Anpassung Analog zu DSM Achse V Die Achsen des DSM-IV Achse I Achse II Achse III Achse IV Achse V Klinische Störungen Persönlichkeitsstörungen Geistige Behinderung Medizinische Krankheitsfaktoren Psychosoziale und umgebungsbedingte Problme Globale Erfassung des Funktionsniveaus 7 Angststörungen im MAS (1. Achse) F4 neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen F 40 Phobische Störungen F 40.0 Agoraphobie F 40.1 Soziale Phobien F 40.2 Spezifische Phobien F 40.8 Sonstige phobische Störungen F 40.9 Nicht näher bezeichnete phobische Störungen Angststörungen im MAS (1. Achse) F4 neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen F 41 Sonstige Angststörungen F 41.0 Panikstörung F 41.1 Generalisierte Angststörung (GAS) F 41.2 Angst und depressive Störung, gemischt F 41.3 Sonstige gemischte Angststörungen F 41.8 Sonstige spezifische Angststörungen F 41.9 Nicht näher bezeichnete Angststörung Hinweise für das Kindes- und Jugendalter • Soziale Phobie: Beginn häufig im Jugendalter • Spezifische Phobie: Beginn gewöhnlich im Kindesalter • GAS: weniger Beschwerden und weniger vegetative Symptome als bei Erwachsenen, dafür Bedürfnis nach Beruhigung durch Bezugspersonen & somatische Beschwerden. 8 Angststörungen im MAS (1. Achse) F4 neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen F 42 Zwangsstörung F 42.0 Vorwiegend Zwangsgedanken F 42.1 Vorwiegend Zwangshandlungen F 42.2 Zwangsgedanken- und handlungen F 42.8 Sonstige Zwangsstörungen F 42.9 Nicht näher bezeichnete Zwangsstörung Hinweise für das Kindes- und Jugendalter • Zwangsstörung: Beginn häufig in der Kindheit, bei gleichzeitiger Depression häufig chronischer Verlauf. Angststörungen im MAS (1. Achse) F4 neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen F 43 F 43.0 Reaktionen auf schwere Belastungen und Anpassungsstörungen Akute Belastungsreaktion F 43.1 Posttraumatische Belastungsstörung F 43.2 Anpassungsstörungen F 43.8 Sonstige Reaktionen auf schwere Belastung Nicht näher bezeichnete Reaktion auf schwere Belastung F 43.9 9 Angststörungen im MAS (1. Achse) F4 neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen F 44 Dissoziative Störungen F 45 Somatisierungsstörung F 48 Sonstige neurotische Störungen Angststörungen im MAS (1. Achse) F9 Verhaltens- und emotionale Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend F 92 F 92.8 F 92.9 Kombinierte Störung des Sozialverhaltens und der Emotionen Sonstige kombinierte Störung des Sozialverhaltens und der Emotionen (92.0 kombiniert mit Depression/hier kombiniert mit einer Angststörung). Nicht näher bezeichnete kombinierte Störung des Sozialverhaltens und der Emotionen Angststörungen im MAS (1. Achse) F9 Verhaltens- und emotionale Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend F 93 Emotionale Störungen des Kindesalters F 93.0 Emotionale Störung mit Trennungsangst des Kindesalters F 93.1 Phobische Störung des Kindesalters F 93.2 Störung mit sozialer Ängstlichkeit des Kindesalters 10 Angststörungen im DSM-IV (1. Achse) 300.01 Panikstörung ohne Agoraphobie 300.21 Panikstörung mit Agoraphobie 300.22 Agoraphobie ohne Panikstörung in der Vorgeschichte Angststörungen im DSM-IV (1. Achse) 300.29 Spezifische Phobie mit Bestimmung des Typus (Tier-, Umwelt-, Blut-SpritzenVerletzungs-, Situativer-, anderer Typus) 300.23 Soziale Phobie 300.3 Zwangsstörung 309.81 Posttraumatische Belastungsstörung Angststörungen im DSM-IV (1. Achse) 308.3 Akute Belastungsstörung 300.02 Generalisierte Angststörung 293.89 Angststörung aufgrund eines medizinischen Krankheitsfaktors ............ Substanzinduzierte Angststörung 300.00 Nicht näher bezeichnete Angststörung 11 Angststörungen im DSM-IV (1. Achse) (unter: Störungen, die gewöhnlich zuerst im Kleinkindalter, in der Kindheit oder Adoleszenz diagnostiziert werden): 309.21 Störung mit Trennungsangst Diagnostische Kriterien im MAS: F 93.1 phobische Störung des Kindesalters Hinweis: • Diese Kategorie soll nur für entwicklungsphasentypische Befürchtungen und Ängste verwendet werden. Der Beginn liegt in der entwicklungsangemessenen Altersstufe. • Das Ausmass der Angst muss klinisch auffällig sein. • Die Angst ist nicht Teil einer GAS. • Dauer: 4 Wochen Ängste im Entwicklungsverlauf Alter typische Ängste nach Entwicklungsphasen 0-6 Mt Laute Geräusche Beginnende Angststörung 6-12 Mt Fremde Menschen, Trennung 12 Ängste im Entwicklungsverlauf Alter typische Ängste nach Entwicklungsphasen Beginnende Angststörung 2-4 J Fantasiegestalten, Einbrecher, Dunkelheit Trennungsangst, spezifische Phobie vor Dunkelheit, Monstern 5-7 J Naturkatastrophen, Verletzungen, Tiere, medienbasierte Ängste Spezifische Phobie vor Tieren, Blut, medizinischen Eingriffen Ängste im Entwicklungsverlauf Alter typische Ängste nach Entwicklungsphasen Beginnende Angststörung 8-11 J Schlechte schulische und sportliche Leistungen Prüfungsangst 12-18 J Ablehnung durch Gleichaltrige Soziale Phobie, Agoraphobie, Panikstörung Erstes Auftreten von Phobien 30 28 26 24 22 20 18 16 14 12 10 8 6 4 2 0 Tierphobie Blutphoie Zahnarztphobie Sozialphobie Klaustrophobie Agoraphobie Tierphobie Blutphobie Zahnarztphobie Sozialphobie Klaustrophobie Agoraphobie 13 Achse V - Hauptkategorien assoziierte aktuelle abnorme psychosoziale Umstände 0.0 Keine abnormen psychosozialen Umstände 1 Abnorme intrafamiliäre Beziehungen (z.B. sex. Missbrauch) 2 Psychische Störung, abweichendes Verhalten oder Behinderung in der Familie 3 Inadäquate oder verzerrte intrafamiliäre Kommunikation 4 Abnorme Erziehungsbedingungen (z.B. unzureichende Aufsicht durch Ke) 5 Abnorme unmittelbare Umgebung (z.B. Erziehung in Institution) 6 Akute, belastende Lebensereignisse (z.B. Verlust einer Bezugsperson) 7 Gesellschaftliche Belastungsfaktoren (z.B. Verfolgung, Diskriminierung) 8 Chronische zwischenmenschliche Belastung im Zusammenhang mit Schule oder Arbeit (z.B. Sündenbockzuweisung) 9 Belastende Lebensereignisse oder Situationen infolge von Verhaltensstörungen oder Behinderungen des Kindes Achse VI - Globalbeurteilung der psychosozialen Anpassung (1) Die Einschätzung soll folgende Bereiche einbeziehen: 1. Beziehungen zu Familienangehörigen, Gleichaltrigen und Erwachsenen ausserhalb der Familie. 2. Bewältigung von sozialen Situationen (allg. Selbständigkeit, lebenspraktische Fähigkeiten, persönliche Hygiene und Ordnung). 3. Schulische bzw. berufliche Anpassung. 4. Interessen und Freizeitaktivitäten. Achse VI - Globalbeurteilung der psychosozialen Anpassung (2) 0 Hervorragende od. gute soziale Anpassung auf allen Gebieten 1 Befriedigende soziale Anpassung, aber mit vorübergehenden geringen Schwierigkeiten in nur einem oder zwei Bereichen. 2 Leichte soziale Beeinträchtigung in einem oder zwei Bereichen. 3 Mässige soziale Beeinträchtigung in einem oder zwei Bereichen. 4 Deutliche soziale Beeinträchtigung in einem oder zwei Bereichen. 5 Deutliche und durchgängige soziale Beeinträchtigung in den meisten Bereichen. 6 Teifgreifende und schwere soziale Beeinträchtigung in den meisten Bereichen (benötigt Beaufsichtigung). 7 Braucht beträchtliche Betreuung (z.B. bei Selbstgefährdung). 8 Braucht ständige (24Std.-) Betreuung. 9 Information fehlt. 14 Klassifikationsübung zu zweit mit Fallbeispielen • Klassifizieren Sie die beschriebenen Störungsbilder der 3 Fallbeispiele nach dem Klassifikationssystem MAS Selbststudium I • Zusammenfassen (nur Teil I: Diagnostik & Klassifikation, im Sperrfachordner): – Schneider, S. & Döpfner, M. (2004). Leitlinien zur Diagnostik und Psychotherapie von Angst- und Phobischen Störungen im Kindes- und Jugendalter: ein evidenzbasierter Diskussionsvorschlag. Kindheit und Entwicklung 13, 2, nur S. 80-86. • DSM-IV/MAS: Gegenüberstellung der spezifischen Phobie im MAS (F 40.2)/DSM-IV (309.29) und der phobischen Störung des Kindesalters (MAS F 93.1) Selbststudium I-IV Alle GruppenPräsentation Schriftliche Arbeit (Einzelarbeit) Lesen Vorbereiten einer 15 minütigen GruppenPräsentation Abgabe einer Zusammenfassung 15 Leitlinien für Kinder- und Jugendpsychotherapie (1) • Systematisch entwickelte Empfehlungen • Zweck: Therapeuten und Patienten bei der Entscheidungsfindung zu helfen: – Auswahl zweckdienlicher Massnahmen der Krankenversorgung (Prävention, Diagnostik, Therapie, Nachsorge) unter spezifischen klinischen Umständen Leitlinien für Kinder- und Jugendpsychotherapie (2) • Funktion von Leitlinien: – Orientierungshilfen (aktueller wiss. Erkenntnisstand für die klinische Praxis) – Verbessert Erkenntnistransfer von Forschung zu Praxis – Prüfkriterien für die Qualität der Praxis (allerdings sind Leitlinien nicht verbindlich) – Beschleunigt Wechsel von therapieschulenorientierter zu problemzentrierter Intervention Leitlinien für Kinder- und Jugendpsychotherapie (3) • Seit 1991: American Academy of Child and Adolescent Psychiatry (AACAP) publiziert regelmässig aktualisierte Leitlinien (www.jaacap.com) • Seit 2000: Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie (http://leitlinien.net) 16