Inklusion und pastoraler Auftrag in katholischen KiTas „Öffne Deine Augen, neige Dein Ohr, löse Deine Zunge und erschließe Dein Herz“ (Dipl. theol. N. Wenner) Meine Damen und Herren. Ich möchte Sie heute für eine spezielle Sichtweise oder eine Lebensform sensibilisieren, die meinem Wissen und meinem Glauben nach wesentliche Elemente inklusiver Arbeit in Bereichen der Erziehung und des gemeinsamen Lebens trifft, und deren Wurzeln Sie alle, wie wir sehen werden, bereits in sich haben. Es geht um die christliche Spiritualität. Als Zugänge habe ich für Sie eine Mischform von Grundelementen der Religionspädagogik, wissenschaftlich fundierten Informationen aus dem Bereich der Forschung zur Laienspiritualität und persönlichen Erfahrungen aus meiner begleitenden Tätigkeit in der Praxis der Behindertenhilfe gewählt. Weiterhin fließen Inhalte der Fortbildungen zur „Eröffnung spiritueller Räume mit Menschen mit Behinderung“ ein, die mein Kollege Herr Schriegel, Dr. Dickmann von der Katholischen Akademie Schwerte und ich konzipiert haben. Dies vorweg, und ich hoffe, dass in diesem Kreis das Folgende als Grundvoraussetzung Geltung haben kann: Ich glaube daran, dass es einen liebenden Gott gibt, der in dieser Welt zugegen und wirksam ist, und dass jeder Mensch als Geschöpf Gottes eine Idee des Göttlichen in sich trägt. Schauen Sie mal vorsichtig nach links und rechts. Neben Ihnen sitzen Menschen, die sie gerade vielleicht sogar anlächeln. In Ihnen lebt oder besser gesagt, sie alle sind Ideen Gottes. Ich glaube wir könnten erheblich besser miteinander leben, wenn wir uns dessen bewusst sind und beginnen den Blick zu schärfen für das Besondere in uns und im Anderen. Nein, keine Sorge. Ich möchte Ihnen keine „Lach doch, Gott liebt Dich“ Parole um die Ohren hauen (wenngleich vor allem in der Osterzeit, schon eine innere Freude in Ihnen da sein darf). Christlicher Glaube muss alltagsrelevant sein, er muss einen für Sie erlebraren Mehrwert besitzen. Es funktioniert einfach nicht, Ihnen etwas von Gott zu erzählen und zu hoffen, dass Sie dies kapieren, wie Prof. Matthias Sellmann mit Hinweis auf die Sinus Studie oft betont hat. Ich erhoffe mir, Ihnen Lust zu machen, sich mit Gott zu beschäftigen im Denken von Möglichkeiten einer spirituellen Begleitung von Menschen mit Beeinträchtigung in Ihrer alltäglichen Arbeit. I. Der pastorale Auftrag an katholischen KiTas Zunächst zu Ihrem pastoralen Auftrag, der für mich in Kurzform heißt: Christliche Spiritualität entdecken und gemeinsam leben und feiern Damit streifen wir den Bereich der Religionspädagogik, die entgegen früherer Annahmen nicht darin besteht Methoden und Techniken zu entwickeln, mit dem man dogmatisches Wissen wie mit einem Trichter in Kinder einfüllt. Für den christlichen Glauben ist seine praktische Grundverfassung charakteristisch. Es geht darum, die 1 Bedingungen zu reflektieren und zu analysieren unter denen die Wahrheit des Glaubens in der alltäglichen Lebenspraxis Wirklichkeit werden kann. Religionspädagogik muss Wege finden wie die gemeinsame Suche nach Wahrheit gelingen kann und Rahmenbedingungen für religiöse Begegnungen entwickeln. Religiöse Erziehung im Kindergarten ist etwas anderes als schulischer Religionsunterricht. Sie findet nicht nach Stundenplan zu einer festlegten Zeit statt, sondern ist eingebettet- in das gesamte Alltagsleben der Kindergruppe. Religiöse Erziehung beginnt bereits da, wo im Kindergarten eine soziale Atmosphäre herrscht, in der das Kind spürt: Ich gehöre dazu, hier bin ich geborgen und werde ich angenommen. Der Religionspädagoge NORBERT METTE meint: Religiöse Erziehung ... ist nicht in erster Linie ein Vertrautmachen mit Inhalten ..., sondern grundlegend die Vermittlung einer Erfahrung unbedingten Erwünscht- und Anerkanntseins. Man wird sogar sagen dürfen, dass jede Erziehung, die auf unbedingter Liebe basiert, in ihrem Kern genau das realisiert, was christliche Praxis ist (METTE, 275f.). Diese Grundhaltung und die Kinder nicht vom Fragen und Suchen im Bereich des Glaubens abzuhalten, wurden als Minimalkriterien für Erzieherinnen und Erzieher vom Verband katholischer Tageseinrichtungen vor einigen Jahren festgelegt. Es geht nicht darum Glaube zu lehren sondern miteinander Glauben zu lernen. Die grundlegende religionspädagogische Aufgabe der Erzieherin besteht also darin, eine solche Atmosphäre unbedingten Erwünscht- und Anerkanntseins zu schaffen. An Gott glauben heißt im christlichen Verständnis1: Ein Mensch, der an Gott glaubt, glaubt daran, dass er - so wie er ist - ganz und ohne Vorbehalt akzeptiert ist. Das kann dazu führen: Sich selbst zu bejahen, das Leben zu bejahen. Die Zuversicht haben, dass man immer wieder eine Chance hat; dass es keine Situation gibt, die nicht zu bewältigen ist, aber auch offen zu sein für die Probleme der Mitmenschen und dann auch tätiger für sie etwas zu tune. Dazu braucht es ... Strukturelle Voraussetzungen durch zeitliche und Personalschlüssel gemäße Möglichkeiten, Räume, Tagesablauf, Begrüßung und Verabschiedung, Regeln Und auch ein persönliches Setting der Erzieherinnen und Erzieher, die aufgefordert sind ihre eigene Lebenseinstellung überprüfen Unsere Zeit ist gekennzeichnet durch Oberflächlichkeit, Schnelllebigkeit und Konsumorientierung. Angesichts dessen diagnostiziert der Religionspädagoge KARL-ERNST NIPKOW bei sehr vielen Menschen unserer Tage so etwas wie eine "spirituelle Leere". Es ist eine zweite Aufgabe moderner religiöser Erziehung, diese Leere zu füllen, indem sie Kindern gezielt spirituelle Erfahrungen als Alternative zu ihren gewohnten Alltagserfahrungen ermöglicht. Solche alternativen, spirituellen Erfahrungen wären etwa die Erfahrung von Zeit inmitten unseres hektischen Alltagslebens. Oder die Erfahrung von Stille inmitten einer lauten und nicht zur Ruhe kommenden Umwelt; oder die Erfahrung von Dankbarkeit und Ehrfurcht dem Leben gegenüber, das eben nicht wie selbstverständlich in unserer Verfügungsgewalt liegt. Religiöse Erziehung in diesem zweiten Sinne zielt darauf ab, dass Kinder lernen, "meditative" Haltungen wertzuschätzen und zu praktizieren. Dazu gehören: 1 In: Jellouschek/Wessinger, Mit Kindern Glauben lernen, KBW Verlag, Stuttgart, 1974 2 - Stilleübungen - Phantasiereisen - Gebet - Lauschen auf Erzählungen - Erleben von Geschichten nach Prinzipien religionspädagogischer Praxis (Kett) Für Erzieherinnen und Erzieher muss es dann darum gehen: Den Wert von Spiritualität entdecken Kinder wollen über ihre "spirituellen" Erfahrungen aber auch reden. Außerdem kommen sie mit einer Menge von Fragen über Gott und die Welt in den Kindergarten. Insofern ist die Kommunikation über Religion und Glauben der dritte Bereich religiöser Erziehung. Dabei ist die Aufgabe der Erzieherin nicht in erster Linie Antwort zu geben. Gefordert ist vielmehr, dass sie die Fragehaltung der Kinder wach hält. Dazu gehören: wachsames Beobachten, blinde Flecken bei mir als Erzieher wahrnehmen, Geschichten, Bilder, Symbole, Lieder ... Das Gespräch sollte immer als offener Deutungsversuch gesehen werden! Kinder machen schon früh die Erfahrung, dass es nicht nur eine Religion und eine Konfession gibt. Es gibt evangelische, katholische, orthodoxe Christen, es gibt Juden, Muslime, Buddhisten, Hindus; es gibt Zeugen Jehovas und viele andere kleinere religiöse Gemeinschaften und schließlich auch Menschen, die sich mit keiner Religion verbunden fühlen. Von daher ist es die vierte Aufgabe religiöser Erziehung, Kindern zu helfen, sich in der Vielfalt von Religionen und Weltanschauungen zurechtzufinden. Dabei es geht es nicht eine Beliebigkeit zu vermitteln. Die jeweilige Glaubensrichtung soll wahr und ernst genommen werden. Soweit die Basics Ihres pastorales Auftrags. Nun werden Sie mit der Tatsache konfrontiert, dass zunehmend Kinder mit Beeinträchtigungen Teil Ihrer Gruppen werden. Wenn unter Inklusion „ein Zugehörigsein zu einer Gemeinschaft oder ein Einbezogensein in lebensrelevante Kommunikationszusammenhänge verstanden“ werden kann(Speck 2010, 61), dann könnte man theologisch korrekt sagen. Wo ist das Problem? Es kommen ergänzend in meine Gruppe Kinder, die wie ich alle Idee Gottes sind und demgemäß stellt sich gar nicht die Frage nach der Zugehörigkeit, weil sie ja sind wie ich selbst und alle anderen. Dazu passt auch der zweite Teil des Liebesgebots der zehn Gebote in Mt. 22,37-40, der in der Einheitsübersetzung der Bibel lautet: Du sollst Deinen Nächsten lieben wie Dich selbst. Martin Buber übersetzt diese Stelle durch seine Sprachkenntnisse hart am originalen Text mit: „Du sollst Deinen Nächsten lieben, denn er ist wie du.“ Aber so einfach ist das nicht. Trotz der wesensgemäßen Gleichheit gibt es Unterschiede, machen sich Menschen mit Behinderungserfahrung bemerkbar durch besondere Fähigkeiten in ihrer eigenen Art der Lebensbewältigung auf, die Ihnen ungewohnt oder fremd sind. Da taucht dann sicher bei der ein oder anderen die Frage auf, Hilfe, rette mich, wer kann. Wie soll das denn gehen? Da müssen Profis ran. Und da haben Sie Recht. Es gibt vieles zu wissen für den förderlichen Umgang mit Personen mit Behinderung, nur zu erwähnen die wesentliche Ressourcen- und Kompetenzorientierung, die erforderlichen Kompetenzen des Assistenten auf einen MmB zugehen und mit ihm auf unterschiedlichsten Kommunikationskanälen in Beziehung zu treten, ihm Selbstwirksamkeit zu ermöglichen … Sie werden nicht herumkommen sich Teile solchen Wissens anzueignen, was Sie aber jetzt schon haben und einsetzen können ist ein spirituelle Einstellung. 3 I. Wissenschaftliche Erkenntnisse zur Phänomenologie von Spiritualität Was meint Spiritualität? Wahrscheinlich werden einige von Ihnen mit dem Wort Spiritualität Räucherstäbchen, eine abgehobene Frömmigkeit, etwas Transzendentes, vielleicht Mystisches Verbinden und eher etwas in Distanz gehen. Kennen Sie magische Momente? Situationen, in denen Sie in der Begegnung mit Freunden, mit Kindern plötzlich so ein Gefühl absoluter Nähe hatten? Wo Zeit und Raum völlig weggeblendet waren? Christliche Spiritualität beinhaltet, solche Situationen zu deuten als Raum, in dem Gott anwesend ist. Beispiele eigene Kinder zu Bett bringen. Lesen auf der Couch Beten einer HEP mit MmB Mitgenommen werden beim Trampen 2008! Als Praxislehrer in der Ausbildung der Heilerziehungspflegerinnen hatte ich die Planung einer Aktivität gelesen und erwartete die Begegnung mit einer Person mit Behinderungserfahrung, die von dem Studierenden als ein Mensch mit vielen besonderen Fähigkeiten beschrieben wurde, der dazu neige, sich mit massiv fremdaggressivem (heute würde man sagen herausforderndem) Verhalten zu äußern. Es sollte in der Aktivität darum gehen, die Person durch geeignete Assistenz des Studierenden zu unterstützen, eine kurze Zeit zur Ruhe zu kommen. Als ich die Person mit Behinderung dann vor Ort sah, hatte ich Jemand vor Augen, der von seiner aktuellen Verfassung und seinem Tun ganz und gar meiner Vorstellung eines gefährlichen Kämpfers entsprach. Ich beobachtete aus sicherer Entfernung das Geschehen und bewunderte den Mut des Studierenden, dem es immer wieder gelang, sehr aktive Bewegungen umzuleiten und gleichzeitig Freiräume zu lassen. Plötzlich richtete diese so unruhige Person auf und schaute mir direkt in die Augen. Er schaute mir in die Augen, mir als Jemanden, der mit seiner Augenlähmung größte Schwierigkeiten mit dem gezielten Sehen hat. Und dieser Blick schien mir bis in meine Seele zu gehen. Da war plötzlich eine unglaublich intensive Begegnung zwischen zwei Menschen auf Augenhöhe, die für mich mit Zuneigung und Wärme verbunden war. Ich hielt diesem Blick stand und mein Gegenüber stand auf, näherte sich mir langsam und setzte sich behutsam direkt auf Tuchfühlung neben mich – ich hatte zwar noch Sorge, ob es gleich vielleicht durch einen plötzlichen Ausbruch wilden Tatendrangs meines Nachbarn meine Brille erwischen würde, was aber nicht geschah. Diese Person war für mich eine andere geworden, eine Person, die mit mir irgendwie eine tiefe Verbindung hergestellt hat. Zwischen uns, und zumindest mit mir war etwas passiert, etwas was für mich größer war als das Zusammentreffen zweier Menschen mit ihren Lebensgeschichten. Kees Waaijman und seine MitarbeiterInnen im Titus Brandsma Institut in Nijmwegen beschäftigen sich in einem phänomenologischen Ansatz seit ca. 30 Jahren international und religionsübergreifend mit dem Thema Spiritualität. In dem dreibändigen „Handbuch der Spiritualität“ geht es im ersten Teil um Formen von Spiritualität, die zusammengenommen durchscheinen lassen können, was mit Spiritualität gemeint sein kann.2 Das Bedeutungsfeld Spiritualität zeigt sich als ein geistlicher Horizont und meint ein Beziehen der Person auf eine Gesamtperspektive 2 Die Inhalte dieses Kapitels sind teilweise Zusammenfassungen des ersten Bandes des Handbuches für Spiritualität und eines Vortrages von Dr. Dickmann anlässlich des Akademietages im Februar 2009 in der Akademie Schwerte zum Thema „Laienspiritualität“ 4 des Lebens. Der Begriff Spiritualität ersetzt den im Mittelalter gebräuchlichen Ausdruck der „Frömmigkeit“, womit ein Stand religiöser Leistungen verbunden war. Spiritualität meint einen vom Hl. Geist getragenen Umgang mit der gesamten Lebenswirklichkeit, nämlich Gott in allen alltäglichen Dingen des Lebens zu suchen. Dies bedarf einer Entscheidung, aufgrund eigener personaler Erfahrungen. An dieser Stelle gibt es ein Problem. Es gibt nämlich viele Menschen, die genau diese Erfahrung einer personalen Beziehung zu Gott nicht teilen können. Wie lässt sich Gott finden? Ein Lösungsversuch beruht auf den Wesensbeschreibungen des Menschen in den alttestamentlichen Schöpfungsgeschichten. Demnach ist der Mensch unter anderem Geschöpf, Ebenbild und Idee Gottes. Ursache und Ziel des Menschen ist Gott. Wie kann ich Gott aber finden? Wie erfahren? Einmal kann ich mich ihm selbst zuwenden, mit ihm sprechen, ihm in seinen Sakramenten begegnen, mich von ihm finden lassen. Ich kann ihn aber auch finden in der Begegnung mit anderen Menschen, die ja auch Idee Gottes sind. Wenn man dem jüdischen Religionsphilosophen Martin Buber folgt, ist Gott anzutreffen wenn zwei Personen sich offen und vorbehaltlos begegnen. Es entsteht dann eine Ich –Du-Beziehung, ein Dialog, in welchem sich ein Zwischenraum bildet, in dem Gott anwesend ist. Letztlich kann ich Gott in mir selbst nahe kommen. Treffend für die Hauptaufgabe des menschlichen Lebens und die Lösung der äußeren Probleme steht das „Erkenne dich selbst“ (gnôthi seautón, γνῶθι σεαυτόν) am Eingang des Orakels zu Delphi. Menschen müssen also Gott gar nicht nur als personale Größe außerhalb sich selbst erleben müssen, sondern können sich auf die Suche nach der Gottesebenbildlichkeit in sich selbst machen, um letztendlich die Frage beantworten zu wollen, wer bin ich, was ist meine Besonderheit? Doris Nauer schreibt dazu sehr treffend auf Seite 115 ihres Buches „Seelsorge – Sorge um die Seele“ Kohlhammer, Stuttgart 2007 „Indem Gott dem Menschen seinen Lebensatem einhaucht, wird der Mensch zu einem lebendigen Seelen-Wesen. Gott haucht dem Staub vom Ackerboden keine Seele ein, sondern seinen eigenen göttlichen Geist, wodurch dieser zu einem Lebewesen, zu einer lebendigen Seele wird. ... Der Mensch hat keine göttliche Seele eingeblasen bekommen, die vielleicht irgendwo in ihm schlummert. Der Mensch hat überhaupt keine Seele, sondern ist, solange er am leben ist, als Ganzes Seele.“ Dies bedeutet konkret, dass ein vom Geist Gottes durchwirktes Dasein nicht in der Ferne und Transzendenz liegend ist, sondern in jedem Menschen atmet, und zwar nicht in einer versteckten Ecke sondern in seinen mannigfaltigen Lebensäußerungen. Es gibt drei Bereiche von Spiritualität, die alle für sich Besonderheiten und Abgrenzungen zu den anderen aufweisen: Die sogenannten Schulen, die Gegenbewegung zu den Schulen (Franziskaner, Propheten) und die Laien. Drei Bereiche von Spiritualität Die Perspektive der Laien 1. Sitz im Leben (Domäne) familiärer Kontext Mann-Frau Eltern-Kinder HausgemeinschaftNachbarschaft Die Perspektive der Kleriker (Schulen) öffentlicher Raum Die Perspektive der Ordensleute (Gegenbewegungen) außerhalb der gängigen Muster von Religiosität, zunächst außerhalb der Ordnung; wird aber meist in eine Schule umgesetzt 5 2. Zeitdimension genealogisch; sie rechnet mit Generationen eigene Periodisierung mit Beginn des Gründungsdatums Tempel, Kirche, Kloster, Synagoge, Lehrhaus es geschieht , wann es geschieht 3. Raumdimension Wohnung Wüste, Unort, (Intimität des fam. Heimatlosigkeit Kontextes und Beziehung zum öffentlichen Leben) 4. Grundstoff der vom persönlichen der Schüler ist die menschliche Spiritualität Lebenslauf gebildet bereit, seinen Person als restlose Lebenslauf Verfügbarkeit umformen zu lassen durch das spirituelle Modell, das die Schule anreicht Geschichtlich kommt der Laienspiritualität eine besondere Bedeutung zu, indem z.B. im Judentum nach der Zerstörung des Tempels, es von dem Glaubensleben der Laien in den Familien abhing, ob die Kirche Bestand haben würde. Laienspiritualität ist Schau Gottes in der Praxis im Kontext der Familie und fängt immer wieder neu an, Gott auf die Spur zu kommen. Die Spiritualität von „Laien“ unterscheidet sich von jener der „geistlichen Schulen“ und deren „Gegenbewegungen“. Laien schöpfen die Spiritualität aus sich selber. Wenn bis zum Vat II. der Begriff des Laien als eine der Lebensweise und dem kirchlichen Auftrag der Kleriker untergeordnete Rolle spielte (noch sehr deutlich in Vatikanum I. , supremi pastores, Kap. 10: „Niemand kann leugnen, dass die Kirche eine nicht homogene Gemeinschaft ist, in der Gott manche eingesetzt hat um zu befehlen, andere um gehorsam zu sein. Die Letztgenannten sind die Laien, die ersten sind die Kleriker“), wurde mit dem 2. Vat. allen Menschen die Fähigkeit zur Heiligung des Lebens zugesprochen (Lumen Gentium und Gaudium et Spes 43). Der Begriff des Gottesvolkes und des allgemeinen Priestertums wird geprägt. Das Besondere der Laien ist jetzt, dass ihnen der Weltcharakter in besonderer Weise eigen ist. Daraus folgt (für jeden Christen): Ich bin auch im Vollzug von Kirche jemand Besonderer im Gegensatz zum internalisierten Selbstbild eines Minderwertigen (Laien, der kein „Profi“ ist). Oder anders gesagt. „Wir sind Kirche.“ In der Bewegung der „devotio moderna“ (vor allem durch Geer Groote 1340-1384 beeinflusst) wird die Bedeutung des „Laien“, des laicus inliteratus oder idiotus aufgewertet. Nikolaus von Kues erzählt in einer Geschichte, dass ein Philosoph, der in seinem Denken über das Wirken Gottes in der Welt an Grenzen kommt, von einem Vorbeter zu einem Laien geschickt wird, mit dem er das Problem besprechen soll. Dieser Laie ist gerade dabei einen Löffel zu schnitzen und im Disput stellt sich der Laie (der weder Lesen kann [inliteratus], noch sich in philosophischen hochgeistigen Theorien auskennt, also im Auge der höheren Schicht ungebildet ist) als der eigentliche Fachmann heraus. Dieser macht anhand des Schnitzens eines Löffels deutlich, dass die eigene Spiritualität aus sich selbst heraus [idios: gr. Selbst, idiotus: lat. der Privatmann] entsteht, und zwar im Erfüllen der alltäglichen Aufgaben des Lebens. Der Löffelschnitzer lässt die göttliche Idee eines Löffels, die in ihm ist, Wirklichkeit werden ohne es perfekt zu machen, einfach in seinem Tun. Die Spiritualität erwächst also aus dem, was zutiefst in einem Menschen eingewebt ist. 6 II. Zugänge zur eigenen Spiritualität Kees Waaijman schreibt auf Seite 35 des ersten Bandes seines Handbuches für Spitiualität: „In zeitgenössischen spirituellen Zentren wird der Körper als Ausgangspunkt von Spiritualität genommen. Die angebotenen Übungen lehren, wie die Körpersprache zu verstehen ist: Indem man still wird, kann der Körper erzählen, welche Energien uns bewegen; durch Bewegung können tiefere Schichten im Körperbewusstsein freigelegt werden; durch Expressionsformen können wir Verklemmungen und Verzerrungen in unseren gespannten Äußerungen auf die Spur kommen. Dies alles wird Körperarbeit genannt. Diese Körperübungen haben eine doppelte Orientierung. (1) Sie sind darauf ausgerichtet, den Übenden mit der inneren Welt in Verbindung zu bringen (tiefere Energieströme, kreative Kräfte), so dass er frei atmen kann, dem Leben in sich selbst nachgehen kann, sich für das Leben öffnen kann. (2) Die Übungen sind darauf ausgerichtet, das tägliche Leben intensiver und gleichgewichtiger zu erleben: den Umgang miteinander, die Wohnung, die Arbeit, die Umwelt, die Gesellschaft.“ In dem Buch „Christliche Spiritualität leben und feiern - ein Praxisbuch zur inklusiven Arbeit in Diakonie und Gemeinde wird Spiritualität als eine Haltung beschrieben, „die sich durch das gesamte Leben zieht – es ist eine Haltung, die getragen ist von der Einsicht, dass es mehr als nur das Materielle geben muss.“ S.10 An einem inklusiven Fachtag des diakonischen Werks Württemberg, äußerten sich Teilnehmer spontan persönliche Meinungen zur Spiritualität: „Spiritualität ist etwas, das mit mir zu tun hat, wo ich vorkomme. Etwas kommt in mir zum Klingen. Spiritualität ist etwas, das mich mit anderen verbindet. Spiritualität ist ein Weg. Auf diesem Weg brauche ich ein Licht. Spiritualität bedarf einer „Haltung“ (Bezugnahme auf Meditationshocker) Musik und Gesang sind wichtige Wesensäußerungen von Spiritualität, verbinden Menschen miteinander Symbole sind wichtig für die Spiritualität. Spiritualität verbindet Himmel und Erde. Spiritualität und Gebet gehören zusammen, Vertrautes wird immer wieder neu erlebt. Ich bin nicht allein, wenn ich bete. Spiritualität macht manchmal sprachlos, ist überraschend, Klassisches und Neues verbinden sich. Spiritualität braucht Zeit. Spiritualität verträgt den Aktionismus nicht, z.B. den voll durchgeplanten Gottesdienst. Spiritualität kennt keinen Leistungsgedanken. ... Wenn wir uns Gedanken machen über Spiritualität mit Menschen mit Beeinträchtigungen, dann ist es wichtig, unseren eigenen Standpunkt und den eigenen Zugang zu diesem Thema bewusst zu machen.“ (Mirja Küenzlen, christliche Spiritualität ..., S. 20 f.) Da aber heute häufig durch die Schnelllebigkeit der Zeit und unglaublich viele zu verarbeitende Außeneinflüsse eine Verschüttung der Herzen stattgefunden hat (Karl Rahner), ist es wichtig, sensibel zu werden für die eigenen spirituellen Bedürfnisse und die der Menschen mit den wir zu tun haben. Bischof Gerhard Feige aus dem Bistum Magdeburg hat vor wenigen Jahren in einer Fastenpredigt geschrieben: „Es kommt darauf an, dass jede und jeder von uns sich wandelt und menschlicher wird“. An anderer Stelle weist er darauf hin, dass ein guter Weg dazu darin bestehe, wieder zu lernen „das Gras wachsen zu hören“, was keineswegs negativ zu verstehen sei, sondern als besondere Fähigkeit sich dem Wesentlichen zuzuwenden. Die Grundhaltung einer Person zum Thema Spiritualität speist sich aus ihrer Geschichte mit diesem Thema, ihrer Herkunft, den Traditionen, mit denen sie 7 aufgewachsen oder eben auch nicht aufgewachsen ist. Daneben gibt es eine situative Haltung, die sich aus der momentanen Gestimmtheit heraus ergibt, der vor allem in der Praxis eine große Bedeutung zukommt. III. Christliche Spiritualität gestalten mit Menschen mit geistiger Behinderung Der Psychologe Michael Kief berichtet über die Folgen eines Missbrauchs christlicher Werte und Bezugssysteme: “Menschen mit geistigen Behinderungen haben einen sehr konkreten und häufig auch unreflektierten Zugang zu Fragen des Glaubens. Trifft diese Offenheit und mangelnde Reflexionsfähigkeit auf missbräuchlich eingesetzte theologische Ideologien (z.B. Leid als Strafe oder Prüfung Gottes), können sehr ungünstige Entwicklungen die Folge sein.“3 „Menschen mit geistiger Behinderung besitzen oftmals eine hohe emotionale Kompetenz. Ihr unverstellter Gefühlsausdruck, z. B. in Freude oder Trauer, erzeugt auch in seelsorglichen Begegnungen eine Atmosphäre von Echtheit und Ehrlichkeit. In der gottesdienstlichen Feier ist sowohl ihre staunende Ehrfurcht als auch ihre heitere Verbundenheit ansteckend und fördert so einen vertiefenden liturgischen Vollzug.“ In: Deutsche Bischofskonferenz Arbeitsstelle für Menschen mit Behinderung http://www.behindertenpastoral-dbk.de Sich kein Bildnis machen (Heiner Küenzlen S. 60 Christliche Spiritualität) „Die Wirklichkeit von Menschen mit Behinderung wird oft zugedeckt durch Bilder von anderen Menschen, die aus „positiven“ und „negativen“ Vorurteilen bestehen. Die Menschen werden zur Zielscheibe für Übertragungen eigener Ängste und Vorurteile: „Oh, der oder die Arme!“ – es wird nur die Einschränkung gesehen oder in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gestellt. „Oh, so ein Sonnenschein!“ – es wird ein verklärtes unrealistisches Bild vermittelt. Letztlich nehmen wir „den anderen nicht in seiner Lebenswirklichkeit wahr, wir zwingen ihn in unsere Wirklichkeiten hinein und fixieren ihn dort. ...Wenn wir uns im Glauben zusammen vor einer dritten Wirklichkeit sehen, vor Gott, vor dem wir alle Geschöpfe und alle gleich sind, kann es leichter fallen, aus unseren Bildern über Menschen herauszukommen. Wenn wir vor ihm und mit ihm gemeinsam feiern, singen, trauern und beten, dann leben wir als seine erwachsenen Söhne und Töchter, unterschiedlich begabt, gleich geliebt.“ [Beispiel „Julia“ Christliche Spiritualität leben und feiern S. 21 f.] Julia: „Danke, Liebergott!" „Meike Überraschung!", sagt Julia - wie der Wind ist sie angelaufen gekommen und mit einem Wupps auf Meikes Arm gesprungen. So schnell konnte ich gar nicht gucken, schon saß sie da und umarmt Meike innig. „Gottesdienstfrau!" Sagt sie und zeigt auf mich. Sie weiß, dass ich gern mit ihr über Gottesdienst und so etwas sprechen möchte. Julia, eine Frau mit Down-Syndrom, ist 34 Jahre alt. Sie lebt in einer Pflegefamilie und geht zur Arbeit in die Handweberei in einer diakonischen Einrichtung. Als Julia das Kassettengerät sieht, nimmt sie sofort das Mikrophon in die Hand und beginnt zu singen: Großer Gott, wir loben dich! Mit großer Inbrunst singt sie, mit Ergriffenheit, sie muss ein bisschen weinen, aber sie singt weiter, und sie kennt viele Strophen. Als ich dann versuche, mit ihr über Gott zu reden, verstehen wir uns nicht. Erst später begreife ich: den abstrakten Begriff „Gott" gibt es nicht für Julia. Wenn sie von ihm redet, sagt sie „Liebergott" - das ist für sie keine Beschreibung, sondern es ist der Name Gottes. Als ich sie frage, ob sie auch 3 Christliche Spiritualität leben und feiern S. 38 8 manchmal wütend auf Gott sei, sieht sie mich erstaunt und verständnislos an und antwortet aus vollster Überzeugung: „Nein!" Ihr Glaube ist unverbrüchlich. Es gibt einiges, was ihr im Leben Schwierigkeiten macht, aber „Liebergott" ist da. Daran gibt es keinen Zweifel. Für Julia ist klar. „Liebergott" ist da, er wohnt im Himmel, und die Menschen, die schon gestorben sind, sind bei ihm im Himmel. „So wie die Vögel." Julia nimmt sich auch ihr Recht auf Trauer, niemand kann sie davon abhalten zu weinen, wenn sie traurig ist, und ein Gebet zu sprechen, wenn ihr danach ist. Sie bestimmt selbst die Zeit, die sie zum Trauern braucht. Die Trauer um ihre Mutter und um ihren geliebten Vogel. Ähnlich wichtig wie die Trauer sind für Julia andere spontane, fröhliche Gefühlsäußerungen: Sie singt im Wirtshaus ein Geburtstagslied, für die Frau, die mit am Tisch sitzt und die an diesem Tag Geburtstag hat. Das berichtet mir Julias Betreuerin. Mein Gespräch mit Julia kommt nicht so recht in Fluss, immer wieder erzählt Julia mir vom bevorstehenden Abendessen mit Butterbrezel und von dem Rittersaal auf der Freizeit. Immer wieder aber greift sie zum Mikrophon und singt. Ich merke, die Sprache, das Gespräch, ist kein Mittel für Julia, um ihren Glauben zu begreifen. Später höre ich unser Gespräch auf dem Tonband an und denke: Es sind die Lieder, mit denen Julia ihren Glauben ausdrückt. Mit ihnen kann sie Stimmung und Haltung ausdrücken, mit den Liedern kann sie sich einer Sprache bedienen, die sie nur dort benutzt, nur dort benutzen kann. Ihr Wortschatz im Alltag besteht aus fünfzig bis hundert Wörtern, mit denen sie sich sehr beredt ausdrücken kann. „Der Mond ist aufgegangen ..." Julia singt, und sie kann wirklich fast alle Strophen. Ich bin sehr berührt, als ich Strophen höre, die ich nicht kannte. „So sind wohl manche Sachen, die wir getrost belachen, weil unsere Augen sie nicht sehn!" Julia denkt nicht über ihren Glauben nach - Julia lebt ihren Glauben. Sie lebt ihren Glauben, indem sie singt und betet. Julia betet viel, und immer, so erzählt mir ihre Pflegemutter, immer sagt sie „Danke". Sie findet immer etwas, wofür sie aus tiefstem Herzen „Liebergott" dankt. Ihre Pflegefamilie und viele andere Menschen, die Julia erleben, sind davon sehr beeindruckt. Julia betet oft am Tag. „Danke für die Butterbrezel und danke, dass du so lieb bist!" Rianne Joongstra ist ein Theologin und Hauptamtliche Seelsorgerin in einer großen Einrichtung für Menschen mit Behinderung in Holland. Sie betet jeden Morgen einen mit Freunden abgesprochenen Psalm damit sie am Tag Gott nicht im Weg steht. Ihr Hauptanliegen in Bezug auf eine spirituelle Sicht ist: In dem Menschen mit Behinderungserfahrung Gott freigucken. Rianne bringt ihre Erfahrung mit Spiritualität in folgende Worte: „Mich in einer spirituellen Rolle (der Verkündigung) zu erleben, macht etwas mit mir.“ Spiritualität bedeutet auch: Etwas erzählen lassen, das ein Echo in mir auslöst „Oft sind wir gefangen in unseren eigenen Systemen“ (Für)Sorge wird nicht mehr bestimmt durch das Angebot, sondern durch die Frage: „Was willst du?“ Für MmB ist Seelsorge genauso wichtig wie für Menschen ohne Behinderung. „Man muss sehen, fühlen und sich selbst entwickeln.“ (Man braucht keine Angst zu haben). „Spiritualität bedeutet, dass mein Bild von der Wirklichkeit nicht die Wirklichkeit ist.“ „Wenn es Niemand gibt, der dich anschaut wie du selber bist, dann kann ich nicht in der Welt sein und auch nicht in mir.“ Es ist gut wie du bist. „Es geht um das Schöne in jedem Menschen, das ich in ihnen erkennen kann. Spiritualität ist dann immer Beziehung.“ „Wie schaue ich auf die Leute hin? Ich…, ich … , ich …, oder öffne ich mich, weil es jemand gibt, der mich als Seelsorgerin anerkennt?“ „Dass du da bist reicht schon. Du bist geboren wie du bist.“ 9 „Die gegenseitige Begegnung ist das Herzstück der Sorge.“ „Jeder Mensch ist in seinem Tiefsten Bild Gottes.“ „Wenn ich selbst in Balance bin zwischen Innen und Außen, dann bin ich empfänglich für die offene Begegnung.“ Meister Eckhardt: „Im Werden von mir kommt Gott ans Licht.“ Zum Umgang mit Leid: „Das Leid muss immer von den Betroffenen formuliert werden und nicht von mir, die ich immer meine Sicht und auch meine Ängste projiziere! ... Es geht um Begegnung auf Augenhöhe! In vielen Heilungsgeschichten geht es bei genauerem Hinsehen darum, dass Jesus die Menschen mit Behinderung ins Leben und in die Gemeinschaft stellt, Ausgrenzung beendet und Beziehungen heilt. Heil kann auch sein, wo keine Heilung ist.“4 [Beispiel Bärbel, Christliche Spiritualität S. 29] Wenn ich also in meinem alltäglichen offen bin für Tun mögliche Gotteserfahrung dann wird Begleitung und Assistenz auch zur Seelsorge. Doris Nauer schreibt in ihrem Buch Seelorge, Sorge um die Seele ab S. 105: „Glaubwürdige Seelsorge enthält sich allen Versuchen und Versuchungen Gott enträtseln und ihn dadurch seines Geheimnischarakters entkleiden zu wollen. ... SeelsorgerInnen müssen daher nicht alles über Gott wissen und schon gar nicht alle Fragen über Gott beantworten können. ... Auch ihr Wissen über Gott ist nur äußerst fragmentarisch. Glaubwürdige Seelsorge nimmt de Ambivalenz menschlicher Gotteserfahrungen ernst. Glaubwürdige Seelsorge darf mit der Anwesenheit des Heiligen Geistes in allen Kulturen, Religionen und Menschen rechnen. ... Gottes zuvorkommendes Handeln ist in den alltäglichen Lebenszusammenhängen bereits am Werk, bevor seelsorgliches Handeln überhaupt den Menschen erreichen kann. Glaubwürdige Seelsorge orientiert sich an den Worten und Taten Jesu Christi. Glaubwürdige Seelsorge geschieht nicht aus persönlichem Mitleid, aus paternalistischer Überheblichkeit oder deswegen, um sich als Seelsorgerin wichtig und unentbehrlich zu fühlen , um Ruhe, Ruhm oder Verdienst anzuhäufen, um sich bei Gott beliebt zu machen oder bei den Menschen gut dazustehen.“ Prof. Bert Roebben an der Fakultät für Humanwissenschaften und Theologie ab der TU Dortmund nutzt für seine Vorstellung von religiöser Vermittlung und Spiritualität das Bild des Narthex. Narthex: bezeichnet ein Eingangsportal in byzantinischen und romanischen Kirchen (Bsp.: Sainte Marie-Madeleine in Vézelay/Burgund), das dem eigentlichen Kirchenschiff vorgelagert ist und als Durchgangsportal die Verbindung darstellt zwischen Außen- und Innenwelt, alltäglichem und Sakralem. Man tritt aus der alltäglichen Welt in diesen Vorraum; von diesem aus ist ein Eintritt in die Kirche selbst möglich. Die Türen zu beiden Seiten müssen offen bleiben, offen gehalten werden, um Menschen in den sakralen Raum einzuführen, aber sie auch wieder hinauszulassen, damit sie es für sich aneignen können. Das ist ein Bild für religiöse Erziehung/Bildung. Religiöse Bildung muss so organisiert werden: Was bedeutet das Angebot des Sakralen für das Alltägliche? Die Menschen sind frei zu entscheiden. Das Leben ist eine Pilgerreise, wir sind mit einem Rucksack unterwegs, mit Fragen nach Vergangenheit und Zukunft: Wie kann ich glücklich leben etc.? Da ist es schön, 4 Mirja Küenzlen, S. 28f) 10 in bestimmten Momenten an solchen Orten zu verweilen, an denen ich Antwortversuchen begegne. Der Narthex ist ein solcher Ort, an dem solche Lebensfragen gestellt werden: miteinander und mit nicht vorhersehbaren Antworten (so wie die Vorhalle selbst durch eine Tür vom Sakralraum getrennt ist) als Hilfe, um mich selbst und meine Fragen anders zu verstehen. Im Narthex spricht man miteinander, er ist Begegnungsort, Rückzugsort z.B. für Kinder, Ort der Taufe (Taufbecken). Religiöse Bildung heißt dann nicht, jemanden zum Christen machen, sondern ihm Angebote machen für das eigene Fragen. Es geht von Fragen/Sehnsüchten hin zu einer Perspektive und wieder zurück. Es braucht Mut zu Erziehung, d.h. Angebote zu machen und die Offenheit zu ermöglichen, damit Fragen überhaupt thematisiert werden können. Heilpädagogen/Erzieher schaffen Strukturen, damit MmB Fragen stellen können. Wie kann das geschehen in einer Weise, dass sich die MmB nicht bedroht fühlen? Der Narthex ist Durchgang, Raum der Freiheit, Begegnung, Diskussion und der Suche nach neuen Antworten. Wofhard Schweiker entwickelt im Praxisbuch „Christliche Spiritualität gemeinsam leben und feiern ab S. 78 eine Checkliste für einen inklusiven Gottesdienst, die deutlich macht, dass die Person mit Behinderung tatsächlich ernst genommen wird und nicht als geduldetes Anhängsel einer Gemeinde gesehen wird sondern als Bereicherung der Vielfalt der Gemeinschaft. Inklusion beruht auf der Grundhaltung, sich dem Reichtum in der Andersartigkeit einer Person bewusst zu sein und sich von ihr überraschen und bewegen zu lassen. Es bedeutet, dass ein Mensch (mit Behinderungserfahrung) mit Ihnen und Sie mit ihm auf Augenhöhe in Kontakt treten. Sie sind offen dafür, sich durch Ihr individuelles Sein gegenseitig bereichern zu lassen, voneinander zu lernen, sich verändern zu lassen. 11 12 13 Abschluss: Exklusion meint, wenn ein Bewusstsein in Kommunikationssystemen nicht von Bedeutung ist. Dies trifft zum Beispiel zu, wenn ein Mensch mit geistiger Behinderung in einer Einrichtung zwar anwesend ist, aber nicht als ernst zu nehmendes Mitglied in Betracht gezogen oder in dieser Interaktion auf den Körper reduziert wird, weil ihm kognitive Fähigkeiten nicht zugetraut werden. Exklusion ist gegeben, wenn eine Person mit Behinderung sich in einem Gottesdienst lautierend einbringt und dies lediglich geduldet wird. Inklusion meint Öffne deine Augen für die Andersartigkeit jeder Person, die unsere Vielfaltsgemeinschaft ausmacht Neige Dein Ohr, um zu Verstehen, was dir Dein Gegenüber zu sagen hat. Er ist nämlich Jemand, der etwas zu sagen hat und für das soziale Miteinander etwas beizutragen hat. Löse deine Zunge und spreche einen Menschen an, damit er spürt, dass er eine Bedeutung für dich hat. Erschließe dein Herz und lass dich berühren von einer tieferen, nicht materiellen Dimension des Lebens (der Idee Gottes in Dir) Martin Buber schreibt: „Sodann aber verlangt es einen Mal um Mal, seinem Mitmenschen zu danken, selbst wenn er nichts Besonderes für einen getan hat. Wofür denn? Dafür, dass er mir, wenn er mir begegnete, wirklich begegnet ist; dass er die Augen auftat und zuverlässig vernahm, was ich ihm zu sagen hatte; ja, dass er das auftat, was ich recht eigentlich anredete, das wohlverschlossene Herz. Zu solchen Stunden Zu solchen Stunden gehn wir also hin und gehen jahrelang zu solchen Stunden, auf einmal ist ein Horchender gefunden14 und alle Worte haben Sinn. Dann kommt das Schweigen, das wir lang erwarten, kommt wie die Nacht, von großen Sternen breit: zwei Menschen wachsen wie im selben Garten, und dieser Garten ist nicht in der Zeit. Und wenn die beiden gleich darauf sich trennen, beim ersten Wort ist jeder schon allein. Sie werden lächeln und sich kaum erkennen, aber sie werden beide größer sein... R.M. Rilke (1875 - 1926) Literatur - Christliche Spiritualität leben und feiern - ein Praxisbuch zur inklusiven Arbeit in Diakonie und Gemeinde, Verlag Kreuz, 2007 (19,50 inkl CD) - Deutsche Bischofskonferenz Arbeitsstelle für Menschen mit Behinderung http://www.behindertenpastoral-dbk.de - Doris Nauer, Seelsorge – Sorge um die Seele, Kohlhammer, Stuttgart 2007 - Wolfgang Reuter,Heilsame Seelsorge, TuP 19, Lit Verlag Münster 2004 - Jellouschek/Wessinger, Mit Kindern Glauben lernen, KBW Verlag, Stuttgart, 1974 - Tom Kitwood, Der person-zentrierte Ansatz im Umgang mit verwirrten Menschen Huber, Bern, 20085 - Christoph Beuers, u.a., Wie Licht in der Nacht, Elementarisierung biblischer Texte für Menschen mit und ohne Behinderung, Verlag Butzon & Bercker 2003 15