Wolfgang Robitza MENSCH, GEIST UND DIE AUFKLÄRUNG ODER VOM KONSTRUKTIVEN REALISMUS VERSUS SPIRITUALITÄT Vorwort Die Landeskonferenzen des Niederösterreichischen Jugendrotkreuzes befassen sich jährlich mit einem Schwerpunktthema. So wurde im Jahre 2005 das Thema „Spiritualität und Schule“ im Zusammenhang mit der Frage einer allfälligen Unterstützung und Förderung der Ferienaktion „FIBS“ (siehe dazu die gleichnamige Homepage) behandelt., Ein Jahr später wurde versucht, sich dieses Themas neuerlich mit dem Anspruch einer gewissen Redlichkeit anzunehmen. Leider ist die dafür vorgesehene Zeitspanne nicht ausreichend gewesen, um diesem selbst gestellten Anspruch gerecht werden zu können. Mit diesem Aufsatz ist mir nun daran gelegen, die einzelnen Wortmeldungen gepaart mit Grundsätzlichem als Anregung für die Teilnehmer darzustellen. Das dafür gewählte Thema möge Sie nicht abschrecken, weiter zu lesen, und sich Gedanken über die Leitmotive des Jugendrotkreuzes zu machen. Mein damit vorgestelltes Ziel sollte zum einen dazu führen, über Grundsätze und Prinzipien nachzudenken und will zum anderen auf dieser Grundlage Projektionen für die Bestimmung unserer zukünftigen Arbeits- und Erziehungsprogramme eröffnen helfen. Die Befassung damit scheint auch deshalb in dieser Form notwendig und geboten, weil in der kurzen Diskussionszeit der Landeskonferenzen Positionen nicht ausführlich und tiefer gehend als Entscheidungsgrundlage für das weitere Vorgehen abgewogen werden konnten und allen Beteiligten durch diese so entstandenen Verkürzungen Nachteile erwachsen könnten. Die im Folgenden dargestellten Bemerkungen erheben nicht den Anspruch einer Pflichtlektüre für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im NÖJRK, sondern sollen vielmehr zum Nachdenken über unsere Erziehungsgemeinschaft anregen helfen, können aber jederzeit auch ungelesen thermisch entsorgt werden. Aus diesem Grund habe ich dieser ausführlichen Darstellung eine Kurzfassung in zwei Varianten vorangestellt. 2 MENSCH, GEIST UND DIE AUFKLÄRUNG ODER VOM KONSTRUKTIVEN REALISMUS VERSUS SPIRITUALITÄT Kommentiertes Inhaltsverzeichnis: Darin bin ich bemüht, pro Kapitel in möglichst kurzen aber prägnanten Hinweisen auf den Inhalt einzugehen. Grundsätzliches 4/5 Der oberste Rotkreuz-Grundsatz der Humanität verpflichtet zum Nachdenken über diesen Begriff und die daraus für uns ableitbaren Bestimmungen mitmenschlicher Handlungen. Erst dadurch kann über das Sein und Wesen als bereits im Resultat des Begriffs enthaltene Momente der „Grundsatz“ zum Begriff werden Anleihen in einer falsch verstandenen Aufklärungsphilosophie 5/6 Die Aufklärung, die Metaphysik und der Personenbegriff; Empirismus, Rationalismus, Reduktionismus und Relativismus als Spätfolgen der „Aufklärer“. Der Anspruch der Aufklärungsphilosophie – zwei Fragen 6/8 1) Ist die säkulare Aufklärungskultur wirklich die endlich gefundene universale Kultur der allgemeinen Vernunft des Menschen? 2) Ist sie wirklich in sich so vollständig, dass sie keiner Wurzeln außerhalb ihrer selbst bedarf? Die Gleichsetzung von Verstand und Vernunft 8/9 Leider werden im herkömmlichen Sprachgebrauch gerne die Begriffe Vernunft und Verstand willkürlich verwendet. Die Englische Sprache, von der wir sehr viele Wörter in unsere Sprache, weil schicklich, manchmal aber unpassend, aufnehmen, kennt diese Differenzierung nicht. Die Unterschiede zwischen Verstand und Vernunft werden hier ausgebreitet. Von der willkürlichen Vertauschung von Sein und Bewusstsein 10 In diesem Abschnitt soll die Frage vor dem Begriff des Menschen erörtert werden, ob denn das Sein das Bewusstsein, oder das Bewusstsein das Sein bestimmen soll. Drei Beispiele zum moralischen Relativismus und Reduktionismus 11/13 An den Beispielen „Europa“, dem „Christentum, seiner Tradition und Europa“ und auch dem „Österreichischen Roten Kreuz“ werden „moderne“ Auswüchse des Relativismus dargestellt. 3 Der Mensch und die Spiritualität 14/17 Die Kunst, die Religion und die Philosophie und der Begriff des Menschen. Was besonders Kunst und Religion nie sein dürfen, aber welche wichtigen Formen der Darstellung des absoluten Geists sie für die Entwicklung des Menschen bedeuten. Metaphysik und Transzendenz als keine „außer“ uns gesetzten Momente im Sinne einer Fremdbestimmung. Von der Verbannung der Spiritualität aus allen Lebensbereichen Ist die Spiritualität bloß Okkultes oder ist der Mensch Spiritualität an sich? 18 Freiheit, Illusion und Determinismus 18/20 Am Beispiel der Psychologie soll gezeigt werden, dass eben Einzelwissenschaften die vorausgesetzte Einheit von Leib und Seele wie Körper und Geist nicht denken können, und sich die Frage in der Gebrochenheit „ab wann denkt der Mensch?“ darstellt. Von Freiheit und einem verbindlichen Bildungsbegriff vor dem Hintergrund des Werterelativismus. Spiritualität und Spiritismus 21 In diesem Kapitel sollen die Unterschiede zwischen Spiritualität und Spiritismus hergeleitet werden. Wie hängen Spiritualität und Philosophie zusammen? 21/26 Gibt es denn überhaupt einen Zusammenhang von Spiritualität und Philosophie? Daraus ableitbar auch alle Befunde zur „Spiritualität“. Zur Semantik des Wortes „Spiritualität“ mit Anleihen aus den Wissenschaften. Der Wahrheitsbegriff im Konstruktiven Realismus und in der Philosophie. Spiritualität und Schule – ein Beitrag zum Bildungsprinzip der Schule. Im Sinne einer „lebendigen“ Befassung mit diesem Thema, welches uns nicht nur im NÖJRK auch in Zukunft wird begleiten müssen, so wir Humanität nicht nur als bloßen Grundsatz neben anderen, sondern als Prinzip erkennen wollen, bin ich Ihnen für Kommentare und auch Kritik an meinen Ausführungen schon jetzt dankbar. 4 Grundsätzliches Das Rotkreuz-Prinzip der Humanität und seine Auslegung Wenn wir uns uneingeschränkt, und davon kann ausgegangen werden, zu den Prinzipien des Jugendrotkreuzes in unserer Erziehungsarbeit bekennen, so steht im Mittelpunkt unserer Angebote an Schülerinnen und Schüler wie auch an Lehrerinnen und Lehrer die Orientierung am wichtigsten Grundsatz der Bewegung - dem der Humanität. Indem wir diesen Grundsatz als Leitmotiv unseres Handelns anerkennen, muss aber unmittelbar damit die Differenzierung zwischen dem zugrunde liegenden Begriff des Menschen und unseren Angeboten an „mit-menschlichen Handlungen“ in Reflexion auf diesen Begriff gesetzt werden. Anders ausgedrückt heißt das, dass wir nur dann unsere Arbeits- und Erziehungsprogramme als „humanitär“ bezeichnen können, wenn sie zum einen von einem allgemeinen (verbindlichen) Menschenbegriff ausgehen und zum anderen dazu führen sollen, dieses teleologisch vorausgesetzte Ziel in mitmenschlichen Handlungen erreichen zu können. Spätestens jetzt werden manche Leser einwenden, dass Begriffsbestimmungen mit einher gehenden Wertekategorien den Menschen in seinem „modernen“ Freiheitsbegriff einengen. Dann sind wir aber schon - egal ob bewusst oder unbewusst - beim moralischen Relativismus angelangt und erklären indirekt, dass „jeder Mensch auf seine eigene Weise glücklich werden“ soll. Abgesehen davon, dass durch dieses Postulat die Beliebigkeit der Bestimmung gesetzt ist, bleibt festzuhalten, dass Glück nicht mit der Glückseligkeit des Menschen bei Platon in dessen Staatsphilosophie verwechselt werden darf. Bei Letzterem zielt Glückseligkeit auf größtmögliche Entwicklung von objektiver Freiheit im staatlichen Gemeinwesen ab, Glück in unserem relativierenden Gebrauch ist quantifizierendes Moment im Sinne des Hedonismus. So schränken alle Forderungen nach „glücklichen Menschen“ den Menschen ein und lassen ihn daher nicht zu dem kommen, was seiner Bestimmung nach zu verwirklichen ist oder verwirklicht werden soll. Wir können dies auch anders ausdrücken: Wenn sich die Forderung Descartes „Cogito, ergo sum“ heute in der Reduktion so darstellt, dass „Ich konsumiere, also bin ich“, oder „Ich habe, also bin ich“ oder „Ich lebe meine Triebe, also bin ich“ zum Leitmotiv menschlichen Handelns wird, dann dürfen wir uns nicht wundern, wenn viele in diesem unerreichbaren Anspruch auf der Strecke bleiben und Institutionen, wie auch das Jugendrotkreuz, vornehmlich mitmenschliche Pannen zu beheben haben. Ähnlich wie beim Nachdenken über den Begriff des Menschen verhält sich dies auch in der so genannten Bildungsdebatte. Heute wird jegliches Ansinnen zum Nachdenken über einen allgemeinen Bildungsbegriff (davon gibt es viele und grundlegende Ansätze, man muss sie nur nachlesen) mit dem Argument vom Tisch gewischt, dass dies ein „Fass ohne Boden“ wäre und dass es viele Zugänge von den verschiedensten Fachdisziplinen und ideologischen Standpunkten her gäbe. Daher hat diese Reduktion für mich den Anschein, es jedem/jeder oder auch keinem/keiner mit dem Argument Recht machen zu wollen, dass „Bildung“ für jeden Menschen etwas anderes sei. Indem aber „Bildung“ für jeden/jede etwas anderes sein und gelten kann, ist sie eigentlich nichts, weil ihr das allgemeine Moment der Bestimmung abhanden gekommen ist. So werden Kompromisse gesetzt, die sich im kleinsten 5 gemeinsamen Nenner aller beliebig gewählten Zugänge wieder finden. Dass dabei in Ermangelung der Begriffsbestimmung von Bildung einfach Inhalte des bloßen Wissens oder der Organisation von Wissensvermittlung zur „Bildung“ hoch stilisiert werden, kümmert eigentlich – wie die Bildungsdebatten der letzten Zeit zeigen – niemanden mehr. Viele reden nur von Bildung und sprechen dabei das Wesentliche von Bildung (= die Bildung an und für sich) nicht an. (Anleihen zum Sprechen im Gegensatz zum Reden können bei Liebrucks: „Sprache und Bewusstsein“ genommen werden) Anleihen in einer falsch verstandenen Aufklärungsphilosophie oder: Wem eigentlich haben wir diesen Zustand zu verdanken? Ohne Zweifel hat die Philosophie der Aufklärung die kosmologisch-metaphysische Einkerkerung des Menschen durch den Personenbegriff und den frei sich selbst bestimmenden Willen aufgebrochen und daher wesentlichen Anteil am vernunftbestimmten Begriff des Menschen gehabt. Der dieser Philosophie zugrunde liegende Entwicklungsgedanke im Gegensatz zur heute oft gebrauchten Fortschrittsgläubigkeit erkennt die gesamte Wirklichkeit als Verwirklichung der Vernunft als oberstes Prinzip an. Heißt also, dass es etwas aus Vernunft zu verwirklichen gilt, das bereits als Vernünftiges verwirklicht – also schon „da“ ist. Jede Erscheinung deutet vermöge ihrer Eingegrenztheit notwendigerweise über sich selbst hinaus, ist nur ein Moment in dem großen Zusammenhang und Entwicklungsgang der Dinge, die Hegel als „Selbsterscheinung des absoluten Geistes“ bezeichnet. Nur ist (kann) dieses Absolute keine ruhende Einheit, ein totes Sein, sondern Leben, Entwicklung, Denken, Geist (sein). Das Absolute, der Grund der Welt ist die Vernunft, sie ist die Substanz des Denkens, Freiheit. Die Vernunft nicht in irgendwelcher konkreten und daher bestimmten Gestalt, sondern als zeit- und raumloses Prinzip, als von Ewigkeit her vorhandene Idee gedacht. Sie allein existiert immer und wahrhaft, alles Unvernünftige und Begriffslose ist nur vorübergehendes und scheinbares Moment in ihrer Verwirklichung. Nur im Absoluten der Vernunft ist Entwicklung des Vernünftigen (des Menschen) möglich. So wird Freiheit zur Substanz des Menschen durch das Denken. Würden wir das Vernünftige bestimmen, käme das der Reduktion des Menschen gleich, weil er dann durch die Erreichung dieser so bestimmten Vernunft keine Möglichkeit der Entwicklung (also darüber hinaus) mehr hätte. Diese Bestimmungen sind im Zuge der falsch verstandenen Aufklärungsphilosophie leider oft zum Verhängnis für die Menschen geworden. Wie viele Ideologien sind unter dem Anspruch der Verwirklichung der Forderungen der Französischen Revolution (Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit) zum „Wohl“ der Menschen angetreten und haben durch die Bestimmung dieser Begriffe eine Blutspur in der Geschichte hinterlassen. Belege dafür finden sich in der Herstellung (=Erzeugung) von „Gleichheit“ durch die Guillotine bis hin zu Massenhinrichtungen von Klassen und Rassen in der Neuzeit bis herauf in die Gegenwart. Weil sich nämlich Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit ausschließlich im anderen und nicht durch den anderen verwirklichen können, kann daher die quantifizierte Freiheit nicht zum Moment der Selbstbestimmung des Menschen, sondern nur zum Machtinstrument durch andere werden. 6 Nur drückt sich diese falsch verstandene Aufklärungstheorie nicht allein in oben genannten und für die Betroffenen als dramatisch zu bezeichnenden Phänomenen aus, sie kommt uns in der heutigen Zeit unter der Verbrämung eines allgemeinen Geltungsanspruchs von „Wissenschaftlichkeit“ in vielschichtiger Form entgegen. Längst haben die Repräsentanten und Repräsentantinnen der modernen Aufklärungstheorie erkannt, dass es vorteilhaft sein muss, die seit dem 17. und 18. Jahrhundert durch die so genannten Verstandeswissenschaften um Metaphysik, Traditionsgebundenheit und Spiritualität reduzierten Individuen mit neuen Inhalten wie dem Empirismus, dem Rationalismus, dem Reduktionismus und Relativismus zu be-“geistern“. Zwei grundlegende Fragen zum Anspruch der Aufklärungsphilosophie 1) „Ist die säkulare Aufklärungskultur wirklich die endlich gefundene universale Kultur der gemeinsamen (= allgemeinen, Ergänzung von mir) Vernunft aller Menschen, die (dann; Ergänzung von mir) überall Einzug halten müsste, wenn auch auf unterschiedlichem historischen und kulturellen Humus?“ 2) „Ist sie (= die säkulare Aufklärungskultur, Anm. von mir) wirklich in sich so vollständig, so dass sie keiner Wurzeln außerhalb ihrer selbst bedarf?“ (aus: Marcello Peira, Joseph Ratzinger in: Ohne Wurzeln, Der Relativismus und die Krise der europäischen Kultur; Arnoldo Mondadori Ed. Mailand 2004; Marcello Peira ist Präsident des italienischen Senats und bekennender Atheist, Joseph Ratzinger ist Papst Benedikt XVI; in diesem interessanten und lesenswerten Buch kommen beide Autoren in einem Briefwechsel zwar aus verschiedenen Standpunkten zu einheitlichen Erkenntnissen) ad 1) In Beantwortung der ersten Frage können wir sagen, dass unbestritten wichtige Einsichten erreicht worden sind und werden, die allgemeine Geltung beanspruchen können. Dazu zählen zum Beispiel die Achtung vor den gleichen Grundrechten aller Menschen, die Gewaltentrennung und Machtkontrolle, etc. Nur wissen wir längst auch aus der Geschichte, dass die zwar von uns Europäern als gültig anerkannten Grundwerte einem historischen Kontext unterliegen und daher nicht überall auf der Welt in gleicher Weise gestaltet (verwirklicht) werden können. Ebenso verhält sich das mit dem Verhältnis von Religion und Staat, der Geschlechtlichkeit von Frau und Mann, den „Befreiungsinitiativen“ von Frauen in der Dritten Welt, der so genannten Demokratisierung aller Lebensbereiche, usf. So erleiden in der Gegenwart alle Bemühungen um eine Demokratisierung nach erfolgter gewaltsamer Systemniederschlagung eine herbe Niederlage, weil Demokratie und deren Wertekanon erst durch die gelebte Praxis als „vernünftig“ erkannt werden und nicht durch von außen auferlegte Machtmechanismen installiert werden können. (soviel zum Beispiel des Irak und in Afghanistan; wobei anzumerken wäre, dass der Begriff „Demokratisierung“ im Unterschied zur „Demokratie“ ein Passivum, also Mittel der Heteronomie nicht „für“ sondern „gegen“ andere ist). Die Forderung nach „Demokratisierung aller Lebensbereiche“ ist in die gleiche Kategorie des Nonsens einzuordnen, da es im mitmenschlichen Zusammenleben eben Entscheidungsprinzipien geben muss, die sich nicht ausschließlich auf so genannte „Erkenntnisse“ (weil es eben die Mehrheit so macht, tun wir es auch) der empirischen Sozialforschung beziehen können und dürfen. Ebenso kann sich ernst gelebte Demokratie nicht an der bloßen Mehrheitserzeugung von 51% erschöpfen, sondern kann sich erfolgreich nur am Prinzip der Wahrheit orientieren und verwirklichen. So reduziert sich Demokratie heute auf den Wandel 7 von der Wahrheitssuche der menschlichen demokratischen Gemeinschaften hin zur konstruierten Mehrheitsbeschaffung. Dies wäre an sich nicht bedenklich, könnte eindeutig bewiesen werden, dass sich generell die Mehrheit nicht irren kann und daher immer Recht haben und so Gerechtigkeit hervorbringen müsse. Die Erfahrungen der Vergangenheit zeigen jedoch, dass auch Mehrheiten schon Despoten an die Macht gespült haben oder dass andererseits verordnete und in Folge demokratisch herbeigeführte Wahlen in ihren eindeutigen Mehrheitsergebnissen nicht anerkannt worden sind (z.B. Palästinenser-Vertretung). Weil nämlich Wahrheit und Mehrheit keine gleichwertigen Prinzipien sind (siehe dazu Abhandlungen über Qualität und Quantität), aber die Mehrheitsbeschaffung zum wesentlichen Moment der Demokratie mit einhergehendem Machterhalt geworden ist, sind viele, vor allem junge Menschen enttäuscht, gehen nicht mehr zur Wahl oder verweigern ihre Teilnahme an gesellschaftspolitischen Entscheidungsprozessen. Sich diesem Thema zu stellen, wäre neben anderen ein wesentlicher Anspruch für eine ernst gemeinte Debatte über das Unterrichtsprinzip „Politische Bildung“. ad 2) In Beantwortung der zweiten Frage können wir zur Ansicht kommen, dass diese Philosophien in ihren Merkmalen allesamt positivistisch und daher antimetaphysisch orientiert sind. Sie beruhen auf einer Selbstbegrenzung der Vernunft, des Geistes, die zwar in manch technischen Bereichen erfolgreich und zum Teil angemessen ist, aber in ihrem Verallgemeinerungsanspruch den Menschen seinem Begriff nach amputieren. Das bringt die böse Folge mit sich, dass der Mensch keine moralische Instanz außerhalb seiner Berechnungen (und daher seiner Berechenbarkeit) kennt und dadurch auch das scheinbar grenzenlose Freiheitswachstum zur Selbstzerstörung von Freiheit führt. Trotz ihrer scheinbar vorgestellten totalen Vernünftigkeit sind die Einzelwissenschaften (=Verstandeswissenschaften) eben nicht die Stimme der Vernunft selbst, weil sie sich in der Verkündigung der positivistischen Lehre ihre eigenen historischen Wurzeln selbst beschneiden und sich der Quellkräfte berauben, aus denen sie selbst als Vernünftige (zumindest dem Begriffe nach) gekommen sind. Diese historischen Wurzeln sind jene grundlegenden Erinnerungen der Menschheit, ohne welche die Vernunft orientierungslos wird. Denn nun gilt, dass das Können des Menschen zum Maßstab seines Tuns unter dem Motto „Was wir können, das dürfen wir auch“ wird. Ein am Dürfen orientiertes Können gibt es nicht mehr, denn das wäre gegen diese so bestimmte, aber falsch verstandene Freiheit in Form von Freizügigkeit und Willkür, die zum obersten Wert überhaupt wird. Aber der Mensch kann viel und kann immer mehr; wenn dieses Können, diese Freizügigkeit nicht sein/ihr Maß in einem Dürfen findet, dann wird es/sie zur Macht der Zerstörung. Moralität und die daraus ableitbare sittliche Handlung werden als grundlegende Prinzipien abgeschafft und sind längst zur Selbstermächtigung des Menschen geworden. Keine Angst: Moralität und Sittlichkeit sind keine Forderungen eines außer uns lebenden Wesens im Sinne von kosmologischen Gesetzen. Moralität ist nichts anderes als die gewissenhafte Bestimmung des menschlichen Willens (=gewissenhafte Entscheidung unter Einbeziehung aller Möglichkeiten im Sinne des „Könnens“ und „Dürfens“) als Grundlage einer Handlung. Sittlichkeit ist die mitmenschliche Handlung aus Vernunft. Beide Begriffe sind tragende Säulen jeglicher Staatsphilosophie. 8 So wird die radikale Loslösung der „modernen“ Aufklärungsphilosophie von ihren Wurzeln – der Mensch als Person (als solcher hat er Rechte, aber auch die Pflicht, sich zu dem zu bestimmen, was er seinem Begriff nach ist oder sein soll; Augustinus drückt dies so aus: „Traurig grüße ich den, der ich sein will!“) – zur Strategie der Abschaffung des Menschen. Er ist eigentlich nicht mehr frei (im Denken) und hat sein wichtigstes Moment – das der Freiheit – den Einzelwissenschaften und deren Bestimmung überlassen. Die durch die Aufklärung zu recht kritisierte rein kosmologisch-metaphysische Bestimmung ist dem Diktat der Einzelwissenschaften gewichen. Der Kategorische Imperativ Kants, wonach jeder so „handle, dass die Maxime seines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne“ drückt ja nichts anderes aus, als die Bestimmung des Menschen aus Vernunft. Eben weil der Mensch ein Vernünftiges ist, wird daher die „Aufklärung zum Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit“. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Anleitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Erschließung und des Mutes liegt, sich seiner (=Vernunft, Zusatz von mir) ohne Leitung eines anderen zu bedienen“ (Kant: „Was ist Aufklärung“) Die Gleichsetzung von Verstand und Vernunft „Zu aller Erfahrung und deren Möglichkeit gehört Verstand, und das erste was er dazu tut, ist, dass er die Vorstellungen eines Gegenstandes erst möglich macht. Alle unsere Erkenntnis hebt von den Sinnen an, geht von da zum Verstande, und endigt bei der Vernunft, über welche nichts Höheres in uns angetroffen wird, den Stoff der Anschauung zu bearbeiten und unter die höchste Einheit des Denkens zu bringen.“ (Hegel: Logik) Die Vernunft hingegen ist „das Vermögen der Einheit der Verstandesregeln unter Prinzipien. Sie geht also niemals zunächst auf Erfahrung, oder auf irgendeinen Gegenstand, sondern auf den Verstand, um den mannigfaltigen Erkenntnissen desselben eine Einheit a priori (= erfahrungsfrei, nicht empirisch) durch Begriffe zu geben, welche Vernunfteinheit heißen mag, aber von ganz anderer Art ist, als sie von dem Verstande geleistet werden kann.“ (Hegel: „Logik“) Kurz gesagt: Die Vernunft dient der Ideenerkenntnis und der Bildung metaphysischer Begriffe, sie zeigt also über das „Handfeste“, Positivistische hinaus; sie bringt die Verstandesinhalte zu einem geschlossenen Ganzen, das Subjektive zum Objektiven (oder das Besondere zum Allgemeinen) – jedoch nicht in Form der „Vernichtung“ sondern des „Aufhebens“ (aufheben = bewahren; im Moment des Objektiven wird das Subjektive bewahrt) Daher heißt „vernünftiges Handeln“ nichts anderes, als die mannigfaltigen Verstandes-Erkenntnissen in eine Einheit zu bringen. Diese Bildung der Einheit setzt aber voraus, alle Verstandeserkenntnisse und nicht nur eine oder einige bestimmte davon über das Denken in seine Handlung mit ein zu beziehen. Diese Differenzierung ist zugleich das Kriterium der Wissenschaftlichkeit an sich. Jene Wissenschaft, die (absichtlich) auf der Verstandesebene verbleibt und nicht alle Möglichkeiten des Denkens in sich aufnimmt, kann daher notwendige metaphysische Erkenntnisse nicht gewinnen. Im Gegenzug darf sie jedoch nicht den 9 Allgemeinheitsanspruch für sich behaupten. Wenn sie dies dennoch tut, ist sie manipulativ, weil sie die metaphysische Dimension verneint und daher den Menschen um seine ursächliche Substanz, nämlich um das Denken, allgemeine Freiheit, um das „Sich-Ausweiten des Geistes“ bringt. Die Bezeichnung dafür ist der Reduktionismus bzw. der Positivismus. Reduktionismus und Positivismus setzen die Grenzen menschlicher Vernunft fest, sie verneinen die Grundlagen metaphysischer Erkenntnisse durch die Verdinglichung der Sachen. Nicht mehr „alles Vernünftige ist wirklich“, sondern nur alles empirisch Erfasste, das aus der bloß sinnlichen Wahrnehmung Gewonnene ist „wirklich“. Das führt zur Frage über, wo denn eigentlich die Grenzen der menschlichen Vernunft, wo die Grundlagen der menschlichen Erkenntnis lägen – oder woraus der Geist, das Denken seine Substanz schöpft? Wir können uns entscheiden: 1) Behauptet John Locke und dessen Empirismus, dass der sich setzende Geist ein Unbestimmtes in Form einer „tabula rasa“ oder einer „unbeschriebenen Tafel“ wäre, die erst durch menschliche Erfahrung, also die Empirie, mit Substanz gefüllt werden müsse. 2) Stellt dem Kant in seiner „Kritik der reinen Vernunft“ gegenüber, dass es Erkenntnisse geben müsse, die nicht aus der Erfahrung stammten; es müsse Erkenntnisse geben, die „vorangelegt“ sind, durch die Erfahrung erst möglich wird oder möglich werden kann. Es muss also Erkenntnisse im menschlichen Geist geben, die vor jeder Erfahrung stehen, die bereits Substanz des Geistes sind, wenn er „zur Welt kommt“. Nachsatz: Nur dürfen wir uns das „zur Welt-Kommen“ des Geistes nicht in Form eines Biologismus, einer quasi Geburt vorstellen; wir können dazu einfach sagen „wenn sich der Geist im Menschen Gestalt gibt“. Da niemand da sein kann, der den Schalter umlegt und damit den Geist in die Welt setzt, können wir davon ausgehen, dass sich der Geist in „die Geistwesen (=Menschen) dirimiert“ (Hegel), um dann über das Denken wieder zur ursächlichen Einheit gebracht zu werden. Wir können dies auch anders ausdrücken: Es ist die „List der Vernunft“, dass sie sich durch das Denken des Menschen zur Vernunft (also sich selbst) bestimmt, um wieder zu ihrer vorausgesetzten Einheit zurückkehren zu können. Dadurch ist der unendliche Progress, die Entwicklung des Menschen angesprochen. In religionsphilosophischer Hinsicht – ein kleiner Exkurs - ist damit auch das Geheimnis der „Erlösung“ des Menschen ausgedrückt. Erlöst ist die Menschheit erst dann, wenn alle Menschen die Vernunft, in diesem Fall den Geist Gottes, nicht nur als ihre durch den Glauben vermutete Bestimmung erkennen, sondern in der mitmenschlichen Handlung diesen konkretisieren und zu seiner ursächlichen Einheit zurückführen. Die Erlösung des Menschen ist daher ureigenste Selbsttätigkeit des Geistes, die sich neben anderen vor allem im Begriff der Nächstenliebe konkretisiert. (Bergpredigt; aber auch das Pfingstwunder, welches keineswegs einen biblischen Vorgriff auf die „Weltsprache des Esperanto“ darstellt, sondern die Ebenbildlichkeit Gottes – des Geistes ausrückt. Sie konnten sich deshalb alle „verstehen“, weil sie alle im /unter demselben Geist handeln, heißt: sich als Mensch im anderen Menschen wieder erkennen konnten) 10 Von der willkürlichen Vertauschung von Sein- und Bewusstsein Die ehemalige Unterrichtsministerin, Frau Havlitschek, war anlässlich eines ÖJRKFestakts zu einem Referat geladen, in welchem sie auch den Bezug zwischen den beiden sprachlichen Begriffen hergestellt hat. So stand am Ende ihrer Ausführungen der Satz: „Das Sein bestimmt das Bewusstsein“. In der sich anschließenden Diskussion, die von ihr ausdrücklich erwünscht war, war auch dieser oben zitierte Satz Gegenstand. Nur dürfen wir es uns in der Argumentation nicht so leicht machen und „Sein“ und „Bewusstsein“ an der Frage nach „Ei“ und „Henne“ orientieren, sie sich einmal so oder so erklären lässt (Ei vor Henne oder Henne vor dem Ei). Beim Sein und Bewusstsein ist dieser Vergleich nicht passend, weil sich ansonsten katastrophale Konsequenzen für den Begriff des Menschen ergeben würden. Würde das Sein das Bewusstsein bestimmen, so kann dies nie zum Begriff der Bestimmung führen, da das Sein selbst ein Unbestimmtes, Zufälliges, Willkürliches oder Beliebiges ist. Hieße auch andernfalls, dass die Lebensumstände der Menschen in den verschiedensten Sozietäten deren Bewusstsein als Menschen bestimmten. Dann wiederum wäre ich einmal marxistisch, dann wieder materialistisch, dann wieder sexistisch, usf. bestimmt und könnte daraus nie den Anspruch des Allgemeinen erreichen. Weil manche oder gar viele so „sind“ bin ich es auch - nur bloßes Sein, selbst gewählte Sklaverei. Das Sein hingegen kann sich nur durch ein Vorausgesetztes, aus dem Bewusstsein bestimmen. Aus jener vernünftigen Substanz, die den Menschen seinem Begriff nach ausmacht. Das Bewusstsein ist also weder Sein noch Wesen, diese beiden sind nur Momente des Werdens des Begriffs, sind in ihm bereits als Resultat enthalten und haben diese Bestimmung nur, solange sie nicht in die Einheit des Bewusstseins übergegangen sind. Entweder der „Mensch ist das Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse“ (Marx), also Seins-bestimmt oder er gestaltet das „Sein“ auf dem festen Fundament des Bewusstseins als Mensch. Wäre er nur das Ensemble gesellschaftlicher Verhältnisse, dann hätten wir auch schon längst die Prinzipien der Aufklärung (=Mündigkeit) verlassen und müssten nicht mehr über den Begriff des Menschen nachdenken, weil dieser eben durch die Gesellschaft bestimmt wäre. Was die Gesellschaft dann an sich wäre, unterläge einem willkürlichen Befund. Wir kennen solche Etikettierungen in Form der „Konsumgesellschaft – Mensch ist konsumierendes Wesen“, der liberalen „Zivilgesellschaft – Mensch ist reine Privatperson, sich selbst Zweck“, und so fort. 11 Beispiele zum moralischen Relativismus und Reduktionismus Aber wir relativieren, vertauschen beliebig und reduzieren unbesorgt immer weiter und verachten dadurch Prinzipien des Menschseins an sich. Dazu möchte ich Ihnen drei Beispiele anbieten: 1) So hören wir im heutigen Europa, dass die Kulturen gleichwertig wären. Wir weigern uns, sie zu beurteilen und nehmen im gleichen Atemzug an, dass eine davon, nämlich die eigene, zu akzeptieren und zu verteidigen ein Akt der Hegemonie, eine Geste der Intoleranz, zumindest aber ein undemokratisches, nicht liberales Verhalten bedeutete, was der Autonomie der Völker und Personen gegenüber respektlos wäre. Zum anderen beklagen die überzeugten Konstrukteure eines gemeinsamen Europa aber die fehlende ideelle Teilhabe der Menschen, die in diesem Europa leben. Sie haben in ihren Klagen darüber übersehen, dass eben durch diesen Relativismus den so genannten Europäern ihre Wurzeln im Denken abgeschnitten worden sind und dieses konstruierte, nicht gewusste Europa nur an „Freiheiten“ (Reise, derzeit mit Einschränkungen bei Flügen; Güterverkehr; Handel; etc.) angenommen wird. Europa in konkreter Beschreibung in Anlehnung an Bert Brecht: „Erst kommt das Fressen, dann die Moral“. 2) Ebenso verhält sich dies bei allen krampfhaften Versuchen der Formulierung der Präambel zur Europäischen Verfassung. Wir finden einen faulen Kompromiss und bezeichnen die Wurzeln Europas bloß als „religiös“, weil undeutlich, unverbindlich und daher geistig verdaulich, selbstverständlich und unstrittig als kleinsten gemeinsamen Nenner. „Christlich“ hingegen ist unakzeptabel, weil identifizierend, eigentümlich, präzise und darum der Anmaßung verdächtig. Deshalb entfernen wir bereitwillig die Kruzifixe aus den Schulklassen und berufen uns als Grundlage dafür auf die falsch verstandene Ringparabel Lessings (=Nathan der Weise). Dadurch ist die Wertewelt Europas, seine Kultur, seine Tradition, sein Geist und sein Glaube, worauf seine Identität beruht, am Ende und bis auf einige Ausnahmen schon abgetreten und von innen her leer geworden. Es ist eigentlich überflüssig, daran zu erinnern, wie sehr Europa sein Entstehen und auch seine Gegenwart dem Christentum und dessen fundamentalen Werten verdankt. Wir dürfen uns, so sagen viele, nicht dieser Wurzeln besinnen. Diese Pathologie ist überall spürbar, weil wir längst in einen Käfig von Unaufrichtigkeit und Heuchelei gesperrt worden sind, deren Merkmal die „politisch korrekte Sprachweise“ bildet. Durch sie hat sich Europa schlicht aus Angst eingesperrt, Dinge zu sagen bzw. sagen zu dürfen, die keineswegs unkorrekt, sondern schlicht wahr sind. Gibt es dennoch welche, die im Sinne der Wahrheit argumentieren, werden sie von einem kulturellen Bannstrahl getroffen; sie werden aus Gesprächskreisen, Diskussionen, Akademien und auch dem Fernsehen als selig-machendem Medium verbannt, sie gewinnen keine Literaturpreise und werden auch zu keinen Konferenzen geladen – die Wahrheit hat keine Öffentlichkeit mehr. (siehe dazu den „Historikerstreit“ in Deutschland) Zum anderen beklagen die überzeugten Konstrukteure eines gemeinsamen Europa aber die fehlende ideelle Teilhabe der Menschen, die in diesem Europa leben. Die Idee „Europa“ ist etwas nämlich etwas grundlegendes Anderes als das aus Materien des positiven Rechts konstruierte Europa in derzeitiger Form. Unter 12 dem Begriff der „Gleichwertigkeit“, der aber schon voraussetzte, dass wirklich verglichen worden wäre, entstehen multikulturelle Gesellschaften ohne identitätsstiftende Momente. Wir strapazieren in diesem Zusammenhang Kant und verstehen aber dessen Schrift „Zum ewigen Frieden“ nicht, brauchen und fordern den so genannten „Weltbürger“, der zwischen den Kontinenten hin- und herjettet, dieses Europa nur mehr zum Skifahren und für sonstige Annehmlichkeiten braucht und die Gewinne seiner Unternehmen, die längst nicht mehr in Europa produzieren, im Ausland realisiert. 3) Auch wir im Österreichischen Roten Kreuz und Jugendrotkreuz fahren bereits auf dieser Schiene. Sind zwar einerseits in unserer Substanz, dem Humanitären Völkerrecht, der Begriff des Flüchtlings eindeutig definiert und eindeutige völkerrechtlich-verbindliche Maßnahmen gesetzt, die präzise auf diese Bestimmung mit allen notwendigen Schutzmaßnahmen abzielen, so reden andererseits höchste Repräsentanten nur mehr von den so genannten „Migranten“. Durch diese Relativierung erhält der eigentlich von uns zu schützende Flüchtling keine Wertigkeit mehr, sondern findet sich als Migrant neben anderen Migranten, die aus verschiedensten Gründen, nur nicht aus denen, auf die das Humanitäre Völkerrecht repliziert, zu uns nach Österreich kommen. Wenn wir diese Differenzierung nicht bewusst setzen, erweisen wir den Migranten an sich vielleicht einen guten Dienst, verzichten dadurch aber auf das Wesensmerkmal des Flüchtlings. Vielleicht sind wir auch schon vom Multikulturalismus vereinnahmt worden oder haben uns absichtlich dorthin begeben. Sollte zweit genannte Vermutung stimmen, müsste aber damit unmittelbar folgendes bedacht werden: Wir können darin übereinstimmen, dass Europa aufgrund seines Wohlstands und seines Rechtssystems immer mehr zu einem Anziehungspunkt für Einwanderung geworden ist. Auf diesem Wege dorthin wurden vorschnelle Erklärungsmuster gefunden, die sich zum einen in Argumenten, wonach Europa ein „melting-pot“ (=Schmelztiegel) amerikanischen Vorbilds sein müsse, und zum anderen in Platitüden (auch in Rotkreuz-Publikationen), wonach wir alle Flüchtlinge wären (mit einer kühnen pseudo-wissenschaftlichen Herleitung der Stammes- und Völkerschaften beginnend im 5. Jahrhundert), ausdrücken. Um diese Lächerlichkeiten zu „verwissenschaftlichen“, wird vorgeschlagen, einmal im österreichischen Telefonbuch nachzublättern. Darin findet sich neben anderen auch der Name Robitza – also auch ein Migrant. Stimmt nicht, meine Urahnen sind ob ihrer Glaubenstreue zur Grenzsicherung der damaligen Militärgrenze gegen die Ungarn (entlang der Leitha) von Maria Theresia in Österreich angesiedelt worden, dafür findet sich ein historisches Dokument, welches die Herleitung der Robitzas nach Österreich erklärt. Dies gilt wahrscheinlich auch für viele andere Aspekte eines „Nicht-Migrantentums“ der Nemec, Pospischils, etc. in unserer Republik. Wir reden von Migration und scheren uns längst nicht mehr um die begrifflichen Unterschiede zwischen Integration und einem „Hinzugesellen“. Die Integration setzt einen Dialog voraus, der von unserer Position ausgehen muss, sie impliziert daher keine Gleichheit der Ausgangspositionen, sie impliziert aber die beiderseitige Bereitschaft, ein eventuell gemeinsames Ergebnis unter Vorgaben zu akzeptieren. Zum anderen vergessen wir in unseren Vergleichen mit Amerika, dass jeder Einwanderer den Gesetzen des Gastgebers untersteht und der Gastgeber bei allem Respekt vor dem Einwanderer auf nichts Eigenes verzichtet, weder auf Gesetze, noch auf 13 Flagge, Tradition, Brauchtum und Geschichte noch auf die Verfassung. Die Verfassung ist nämlich kein beliebiges und willkürlich entstandenes Dokument für das schlichte Zusammenleben verschiedener Kulturen, sondern nur, wie John Adams, einer der Gründerväter Amerikas schreibt, „für ein moralisches und religiöses Volk geschaffen“ (Anmerkung von mir: „Religiös“ nicht in Form einer Staatsreligion, sondern als Moment des Staates als „sittliche Idee“). Hegel sagt dazu: „Die Verfassung ist die Organisation des Staates“, also mehr als die Summe seiner Bürger und noch so differenziert ausgearbeitete Gesetze es auszudrücken vermögen, weil die Idee des Staates sittliche (siehe oben) Gemeinschaft ist. Längst haben wir auch vergessen, welcher Herausbildung des Menschen es bedarf, um als Staatsbürger gelten zu können. Die Netrebko singt zwar sehr schön. Hat sie sich allein deshalb die österreichische Staatsbürgerschaft erarbeitet, um im gleichen Zug der Verleihung zu erklären, dass sie weiterhin ihre Interviews nur in englischer Sprache geben würde? Ähnlich ist dies auch mit Sportlern verschiedenster Disziplinen. Denken Sie dabei an die Beispiele mancher Hand- und Fußballer in Österreich. Wenn die Staatsbürgerschaft nur auf einer willkürlich bestimmten Nützlichkeit beruht und nicht mehr Ausdruck eines zum Bürger eines Staates gebildeten Menschen wird, dann sollten sie eigentlich alle bekommen, die in dieser Republik leben, arbeiten und so eine Steuerleistung erbringen. Vielleicht hätte andernfalls Frau Netrebko die Prüfungserfordernisse für die Erlangung der Staatsbürgerschaft gar nicht geschafft. Auf Grundlage der Theorien des Relativismus gäbe es noch genügend anführenswerte Beispiele, die ich Ihnen aber ersparen möchte. Vielleicht stoßen Sie beim Nachdenken selbst darauf. Habe ich im ersten Teil meiner Ausführungen zum Grundsätzlichen als Bestimmung des Denkens und somit des Menschen hinführen wollen, so soll nun im zweiten Teil dieses Grundsätzliche ausgehend am RK-Prinzip der Humanität, dem Begriff des Menschen, auch an eingangs erwähnter Diskussion zum Thema „Spiritualität“ ausgebreitet werden. 14 Der Mensch und die Spiritualität (oder eigentlich: Der Mensch ist Spiritualität) Dass wir erst jetzt zum ursächlichen Thema unserer Befassung zurückkehren können, hat seinen Grund in der unerlässlichen Fragebeantwortung „Was ist der Mensch?“, die wir vorab zu klären hatten. Wäre nämlich der Begriff des Menschen der beliebigen Bestimmung ausgesetzt, könnten wir davon ausgehend natürlich auch Beliebiges zum Thema Spiritualität als Befund abgeben oder gar nicht darüber nachdenken müssen. Im Folgenden soll aber geklärt werden, dass einerseits Spiritualität nicht mit Spiritismus verwechselt werden darf und andererseits die Frage nach Spiritualität und deren Aufgehobenheit im Begriff des Menschen gestellt und beantwortet werden muss. Dazu müssen wir aber all unsere positivistisch-empirisch erzeugten Menschen“bilder“ verlassen und in metaphysisch-transzendentale Dimensionen vorstoßen. Dass es dabei aber nicht um die Möglichkeit der Herleitung eines Gottesbeweises, sondern rein um die Bestimmung des Denkens gehen kann, mag vielleicht vorerst nicht nachvollziehbar sein. Wenn heute Begriffe wie Metaphysik und Transzendenz gebraucht werden, sehen (oder fürchten) sich bereits viele in „überirdische“ Welten entrückt. Keine Angst; es geht dabei rein um die notwendige Ausweitung des Geistes hin vom Subjektiven und Objektiven zum absoluten Geist. Der absolute Geist, der die Gegensätze von Subjekt und Objekt, Denken und Sein aufhebt und das Wesen des Unendlichen im Endlichen erkennt. Er stellt sich in drei Formen dar: a) in der Kunst b) in der Religion und c) in der Philosophie In der Kunst wird er (der absolute Geist) in voller Freiheit „angeschaut“, betrachtet. = das Schöne In der Religion stellt er sich andächtig vor. = das Innere des Gemüts In der Philosophie begreift er sich denkend. = die Wahrheit Nur müssen spätestens jetzt Einschränkungen getroffen werden: Dass Kunst dann nicht „Kunst“ ist, wenn sie nur das bestimmte „Schöne“ an sich hervorzubringen imstande ist, zeigen uns die vielen „Künstler“ um uns herum. Beginnend bei den Aktionisten bis hin zu den “selbst ernannten Künstlern“ oder der sogar verordneten „Auftragskunst“ fehlt diesen „Künsten“ das wesentliche Ideal – das Kunstschöne, welches die Einheit von Idee und Erscheinung, Gedanken und sinnlicher Existenz, Form und Inhalt setzt. Im klassischen Kunstbegriff durchdringen sich Form und Inhalt zu einer Einheit, sie bestimmt sich in dieser Einheit selbst, bringt das Schöne selbst hervor und wird nicht – wie heute leider oft der Fall – von anderen als solche bestimmt. Kunst kann daher nie Erzeugen, bloßes Herstellen sein, sondern findet ihr Kriterium ausschließlich im Ideal ihrer selbst. Nur der Relativismus möchte uns erklären, dass Kunst eigentlich alles sein kann, was dem Produzierenden (dem „Künstler“) halt als solches gilt. Das schon in der romantischen Kunst beginnende „Sichzurückziehen“ in das Innere des Gemüts, als Antwort auf die Leere der Aufklärung, vollendet sich in der Religion – als theoretisches Verhalten dargestellt. Sie erfasst das Absolute nicht bloß mit dem frommen Gefühl, sondern vor allem mit der Vorstellung. Damit ist kein Götzendienst im Sinne von Religion als Zauberei ausgedrückt, sondern die Suche nach Wahrheit und der Freiheit des Geistes – eben als vorgestellte Momente. Es geht dabei also um 15 die spekulative Deutung der Dogmen (im Sinne des Christentums: die Dreieinigkeit, der Gottmensch, der Sündenfall und der Versöhnungstod) in Form der Ausweitung und Ausrichtung des Geistes auf das Absolute. Die Philosophie als die sich selbst begreifende (wissende) Vernunft. Ihrer Aufgabe kann sie nur durch die Erkenntnis ihres eigenen Prozesses nachkommen – „das Denken des Denkens“ als höchste Form der Identität des Ich. Das Wesentliche im Unterschied zu anderen Wissenschaften liegt auch darin, dass die Philosophie als Wissenschaft nicht die einzelnen Philosophen“meinungen“ zu erzählen, zu erklären oder zu beurteilen, sondern die ideelle Notwendigkeit ihrer Entwicklung selbst zu begreifen hat. Dies ist der aufgezeigte Weg des Fortschritts im Denken vom Abstraktesten über das Wesen, den Begriff, das Bewusstsein und dem Selbstbewusstsein hin zur mit der Substanz identischen Idee (das reine Denken). Die Frage ist nur, ob denn der Mensch zum Absoluten, also der Identität des Ich, das reine Denken ohne Kunst und Religion vordringen kann. Als glücklich seien alle jene zu bezeichnen, die der Anschauung und Vorstellung als Momente des Absoluten nicht bedürfen. Da aber angenommen werden muss, dass Kunst und Religion (nicht die bestimmte Kunst und die bestimmte Religion) Möglichkeiten des Begreifens des Absoluten darstellen (denken Sie zum Beispiel an eine Symphonie Mozarts, Michelangelos Pieta oder an ein Gedicht Hölderlins, oder auch an das Geheimnis von Weihnachten und Ostern), können sie nicht positivistischen Bewertungskriterien unterliegen. So werden diese oben genannten Darstellungen des Absoluten, vornehmlich dabei die Kunst und die Religion zu wichtigen Säulen der menschlichen Erkenntnis in Form der Anschauung (Kunst) und der Vorstellung (Religion), die ihre Einheit in der Philosophie haben. Wir können sie auch als Krücken, Bestimmungshilfen auf dem Weg der Ausweitung des Geistes, des Denkens bezeichnen. Daher sind sie aber gleichsam wesentliche Momente des Absoluten und können so nicht ohne weiteres im Sinne von Bewertung nach „Nützlichkeit“ weg-“rationalisiert“ werden. Es ist auch nicht passend, den Religionsunterricht abzuschaffen und an seiner Stelle den Ethikunterricht mit handlungsanleitenden (und so einschränkenden, weil bestimmenden) Positionen anzubieten. Solange sich aber ein Religionsunterricht nur mit Fragen der Institutionalisierung von Religion in Form der Kirchen, also einem falsch verstandenen Basis-Christentum („Wir sind Kirche“) befasst und von positivistischen Momenten ausgeht, um diese als Grundlage für Argumente gegen die Kirche zu nehmen (Zölibat, Empfängnisverhütung, Ehescheidung und Sakramentenempfang, Jungfräulichkeit Marias, etc.) gehört dieser auch abgeschafft. Nur bleibt die Frage, ob in dieser Vakanz der von uns vorgestellte Ethikunterricht die ursächlichen Leistungen eines richtig verstandenen Religionsunterrichts würde erbringen können. Heute sind längst die Desillusionisten am Werk, das beginnt bei der Abschaffung des Nikolaus im Kindergarten, das Christkind wird durch den Weihnachtsmann ersetzt und endet bei der Umschreibung des Neuen Testaments in eine „Frauenbibel“, die unter großem Mediengetöse vorgestellt wird, weil gemäß der Feminismustheorie Jesus weiblichen Geschlechts sein müsse. Weil eben zum anderen Religions- und/oder Ethikunterricht keine Unterrichts-“gegenstände“ wie andere sind/oder sein können, sondern in ihrem ernsten Anspruch weit über bloße Wissensvermittlung zur Herausbildung des Menschenbegriffs beizutragen haben, dürfen wir deren Inhalte nicht verdinglichen. 16 Indem wir das tun, setzen wir den umgekehrten Schritt: Weil wir eben so sind, müssten sich Religion und Ethik unseren Vorstellungen vom menschlichen Zusammenleben anpassen, wir schreiben oder interpretieren ganz einfach die Gebote um, weil wir keine Werte mehr kennen und sie als solche anerkennen wollen. Wenn dieser Anpassungsprozess nicht stattfindet, schaffen wir ganz einfach die Religion ab und bedienen uns dazu ganz einfach „demokratisierender“ Mechanismen über Kirchenvolksbegehren, wobei wir uns selbst vorbehalten, worüber abzustimmen wäre. Dabei kümmert es uns nicht, wer denn eigentlich abstimmt – die Beliebigkeit ist gesetzt. Dieser Prozess ist aber viel dramatischer als die Feststellung „Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volkes“ (Marx). Wir hören jedoch von so genannten „aktiven“ Christen Seufzer nach einem „neuen“ Papst, einer „modernen“ Sexualmoral und einer angepassten Exegese. Wir relativieren und setzen Kirche mit Religion in eins. Dabei wird die Form (wir fordern Ministrantinnen, Priesterinnen, verheiratete Priester und andere laizistische Positionen) absichtlich vom Inhalt getrennt, um danach erst die Form und in Folge den Inhalt eliminieren zu können. Was stört uns denn eigentlich an Religion, Metaphysik und Transzendenz? Sind es die in Form des Kategorischen Imperativs gebrachten Formulierungen der Zehn Gebote, oder behagt uns das „Sollen“ dabei in Reflexion auf uns als gebrochene Einheiten nicht? Wir vergessen dabei, dass alle Forderungen, die auf einem „Sollen“ beruhen, das wesentliche Moment der freien Willensbestimmung einschließen, ja sogar voraussetzen. Das Sollen ist keine Maxime einer außer uns lebenden Macht, sondern Ausdruck von Freiheitsermöglichung in höchster Form. Dasselbe gilt auch für die Bestimmungen dieses „Sollens“. Wir scheinen eher zur Forderung eines fremd auferlegten „Müssens“ zu tendieren, wobei die Substanz dieses Müssens aber keine Möglichkeiten der Willensentscheidung gibt. Wir müssen, weil es auch die anderen tun, oder weil die Gesellschaft dies von uns verlangt. Wir müssen uns verwirklichen, indem wir uns im Positivismus verlieren und gar nicht merken, dass wir darin eigentlich verloren sind. Wo bleibt dann unsere Konsequenz? Weg mit Religion, Metaphysik und Transzendenz hieße dann aber auch konsequenter Weise jegliches Mysterium aus unserem Sein zu verbannen. Die Mysterien-Spektakel des „Künstlers“ Nitsch und andere ähnlich „verzaubernde“ Angebote von Scheinwelten bis hin zu „Helloween“ verfolgen wir aber nicht mit jenem Argwohn, den wir ansonsten dem Metaphysischen gegenüber haben. Ja es ist sogar schicklich, sich aktiv daran zu beteiligen, weil der Lustgewinn des Menschen höchste Zier scheint. Der Aktionismus ist heute gefragt, die Contemplatio wird zum unnützen Beiwerk des Menschen erklärt. Wenn er nämlich „contempliert“ könnte die Gesellschaft seiner nicht habhaft werden. Die Begründung jeder Ethik und ernst gemeinter Religion besteht jedoch darin, den Nachweis zu erbringen, dass es für den Menschen als vernünftiges Wesen ethische Normen gibt, die nicht aus der Erfahrung abgeleitet sind, sondern a priori vor aller Erfahrung allgemeine Gültigkeit beanspruchen und somit gleichermaßen für alle Menschen verbindlich sind (Kant). Das ist einfach am Begriff des „Guten“ erklärt: Haben die Aufklärer (und das ist deren verwerfliche Dimension) behauptet, sie müssten das „Gute“ erst in die Welt bringen, so steht dabei zuvorderst das 17 „bestimmte Gute“ und nicht das Gute an sich. Indem ich aber das Gute womöglich durch Mehrheitsentscheidung bestimme, und sich dieses nicht in den auf freier Willensentscheidung gegründeten menschlichen Handlungen verwirklicht, ist es nicht mehr „das Gute“ an sich, sondern eben nur ein Bestimmtes. Natürlich werden Sie jetzt einwenden, dass dies im Sinne von Erziehung der Kinder und Jugendlichen nicht möglich wäre. Ist richtig, hierin ist nämlich der mündige Mensch angesprochen und keine Entwicklungsphase davor. Nur ist auch der mündige Mensch längst noch nicht am Ziel, in Identität mit dem Guten, sondern er hat sich die Bestimmungen des Guten über die Bildung mitunter schwer zu erarbeiten. Daher wird Bildung zu keinem zeitlich eingegrenzten Prozess, sondern zu einem lebenslangen Anspruch an den Menschen, weil er eben Mensch ist. Praktische Vernunft erbringt diejenigen praktischen Gesetze, die sagen, was geschehen soll. Theoretische Vernunft ist darauf gerichtet, zu begreifen, was geschieht. Das heißt also nichts anderes, als dass wir in der theoretischen Vernunft „über uns hinausgehen“ müssen. Wir befinden uns derzeit zwar (immer noch) in einer Krise der Metaphysik, die durch Religionskritik, den Positivismus und andere einzelwissenschaftliche Erkenntnisse gefördert wird, was jedoch aber nicht heißen kann, sich nicht auch in diesem Zusammenhang damit befassen zu müssen. Wenn nämlich der „Gang zum Grunde als der Fortgang der Selbstbegründung - das Bewegungsprinzip des neuzeitlichen Denkens“ (Rombach) ist, so geht es dabei längst nicht mehr um einen sachlich bestimmten „Inhalt“ des Denkens, sondern um das „Wesen“ des Denkens als das „Sich-Selbst-Begreifen“. War nämlich das Denken der Antike und des Mittelalters noch (nur) mit dem Suchen nach dem „Anfang der Dinge“ befasst, so sucht das Denken der Philosophie der Aufklärung nach einem methodisch durchreflektierten reinen „Anfang des Denkens“ selbst. „Der Himmel des Geistes klärt sich für die Menschheit auf“ (Hegel). Das ist der wesentliche Unterschied zur landläufig interpretierten Metaphysik: Wir haben oben festgestellt, dass die Vernunft nicht unmittelbar ihr Richteramt auf Dinge, sondern nur auf das Erkenntnisvermögen selbst richten kann, also auf die Erkenntnisart von Gegenständen, sofern diese erfahrungsfrei möglich sein kann. (Vergleich Vernunft – Verstand). Nun der springende Punkt: Diese Erfahrung, die die Vernunft mit ihrer eigenen Möglichkeit macht, ist das „Transzendentale“. Darin richtet sich die menschliche Vernunft in der Verwerfung der blind umher-tappenden Metaphysik und doch zugleich auf der Suche nach einer ihr selbst angemessenen Metaphysik kritisch auf sich selbst. Dies ist jedoch nicht der pure Skeptizismus, der generell die Grundlagen aller Erkenntnis untergräbt, sondern die skeptische Methode, die auf eine vor Fehltritten bewahrende Gewissheit geht. So ist die Transzendentalphilosophie nichts anderes, „als ein ständiges Potenzieren des Ich (=des Denkens); ihre ganze Methode besteht darin, das Ich von einer Stufe der Selbstanschauung zur anderen bis dahin zu führen, wo sie mit all den Bestimmungen gesetzt wird, die im freien und bewussten Akt des Selbstbewusstseins enthalten sind“ (Hegel, Phänomenologie des Geistes). Das Transzendentale ist daher nicht außer uns, sondern in uns. Transzendenz heißt eigentlich, die im Universum (also in uns) anwesende Realität zu begreifen, sie ist Überwindung der Engstirnigkeit der menschlichen Gesellschaften. 18 Von der Verbannung der „Spiritualität“ Wenn manche Menschen den Gebrauch des Begriffs „Spiritualität“ fürchten und ihn daher nicht in die Begriffsbestimmung des Menschen aufnehmen wollen, so kann es dafür mehrere Gründe geben. Einerseits in einer missverstandenen Bedeutung von Spiritualität selbst und somit einer vorschnellen Verbannung in das Okkulte, Spiritistische oder auch andererseits als hinderlichen Begriff am Weg zur Konditionierung des menschlichen Geistes durch das herrschende Interesse derer, die Macht und vermeintliche Autorität besitzen. Wir wissen genau, dass der menschliche Geist, das Denken, leider auch die Fähigkeit besitzt, sich in der Form zu konditionieren, indem er/es seine angeborene Sensibilität durch die von der Gesellschaft hergestellten Objekte abtötet oder zumindest verändert. Je umfassender die Gesellschaft und deren Institutionen das menschliche Bewusstsein beherrschen, umso mehr wird dieses von der ihm zu eigenen, für seine Entwicklung aber notwendigen Bestimmung entfremdet. Die fremden Faktoren, die den menschlichen Geist von seiner angestammten Sensibilität entfernen, sind die von uns entwickelten Ideologien, wie auch unsere materiellen Errungenschaften und die zahlreichen Pseudo-Systeme, die sich in unserer Gesellschaft zu einer Pseudo-Kultur summieren. Das Resultat ist eine überall zunehmende Unberechenbarkeit des menschlichen Wesens. Wenn kommerzielle Werte das Leben durchdringen, verschwinden sehr bald Kultur und Weisheit aus allen Lebensbereichen. C.G. Jung spricht vom „seelenlosen Geist, der total vom Verstand beherrscht wird“ und weiters: „Wir sollten uns nie mit dem Verstand identifizieren, denn der Mensch ist nicht ausschließlich Geschöpf des Verstandes, …………wenn der Mensch zum Verstandestier wird, geht ihm die menschliche Natur (nicht im biologischen Sinne zu verstehen) verloren“ und „Die transzendentale Funktion schreitet ohne Ziel und Zweck nicht fort, aber sie führt zur Offenbarung des Wesentlichen des Menschen“ (Jung). Exkurs: Freiheit, Illusion und Determinismus Nur müssen wir auf dem Weg zur „Offenbarung des Wesentlichen des Menschen“ alle Hemmnisse beseitigen, die sich uns in den Weg stellen bzw. als Hürden dazu von anderen aufgebaut werden. Dazu zählt zum Beispiel die Psychologie, die sich derzeit noch immer mit dem Binarismus auseinandersetzt. In den gegenwärtigen Debatten, die sich am Thema „Metaphysischer Determinismus und naturgeschichtliche Freiheit oder Willensfreiheit und Gehirndeterminismus“ entzünden, wird die von ihr nicht (noch nicht) überwundene Gespaltenheit von Leib und Seele oder von Körper und Geist am Kochen gehalten. In dieser Diskussion möchte man die in ihrer Idee bereits vorausgesetzte Einheit absichtlich unter Einbeziehung eines falsch verstandenen Metaphysikbegriffs vorsätzlich spalten und ihn zerlegen und somit materialisieren. Dass dieser Versuch ebenso kläglich scheitern muss wie die absurde Theorie eines russischen Neurologen, der vorgibt, dass es den Geist deshalb nicht geben könne, weil er nach unzähligen Hirnoperationen noch nie den Geist des Menschen „gefunden“ hätte, ist für alle, die denken wollen, nur logische Konsequenz. 19 Wenn nämlich Metaphysik und mit ihr die Spiritualität mit dem Determinismus substanziell gleichgesetzt werden, so könnte ich, was den Menschen betrifft, nur von Fremdbestimmung eines Wesens außer mir reden. Hat zur Folge, dass keine Macht der Welt mich für eine auf freier Willensentscheidung gesetzte Handlung verantwortlich machen könnte, weil ich immer die determinierte Ursache als Grund anführen könnte. Abgesehen davon, dass in diesem Falle nicht von Freiheit gesprochen werden könnte, wären wir aber wiederum weit hinter die Aufklärung und die Postulate ihrer Ideale zurückgefallen. Der „Determinismus“, also die Substanz des Menschen ist allein Freiheit, Denken, die/das in den menschlichen Handlungen hervorgebracht, also verwirklicht werden soll. Das „Ich“ als Personenbegriff der richtig verstandenen Aufklärung trägt diese Größe in sich. Freiheit und Denken sind keine material- und fremdbestimmten Größen, sondern stellen die unendliche Möglichkeit der Ausweitung des Menschen dar. So ist also der Satz, „alle neuronalen Vorgänge sind determinierte Vorgänge, also sind freie Entscheidungen, die auf solchen Vorgängen beruhen, notwendigerweise eine Illusion“ Anlass für die Manipulanten, dem Menschen seine Willensbestimmungen zu nehmen, ohne vorher nachgedacht zu haben, was denn eigentlich Willensfreiheit bedeutet. Das muss aber gleich zur Frage überführen: Wenn der Gedanke der Freiheit im Sinne der Neurologen eine Illusion wäre, wie wäre aber diese Illusion neuronal implementiert oder repräsentiert, bzw. welche neuronalen Korrelate würden ihr entsprechen? Offenbar kann es sich beim Freiheitsbegriff, dem Denken nicht um eine jener vielen Täuschungen handeln, denen unser Gehirn täglich unterliegt bzw. denen unser Gehirn durch massive äußere Angriffe täglich ausgesetzt ist. Freiheit, Denken sind keine kulturgeschichtlichen Konzepte, die den Menschen irgendwann einmal zugeflogen sind – nur die Darwinisten und die vergleichenden Verhaltensforscher müssen sich noch mit quälenden Fragen „ab wann denn der Mensch denkt“ auseinandersetzen oder krampfhaft Systeme zimmern, wonach unsere Sozietät an Graugänsen zu messen wäre. Sie sind zu sehr in der Evolutionstheorie verstrickt, um nicht erkennen zu können, dass Menschsein nicht durch reine Biologismen und physikalisch-chemische Reaktionen erklärt werden kann. Wir brauchen aber eine Evolutionstheorie im Sinne der Entwicklung des Denkens und nicht eine der bloßen Materie an sich, weil all diesen mitunter abstrusen Theorien das Denken selbst vorausgesetzt ist – so wird eine Graugans erst durch das zwar in dem Fall reduzierte Denken zum Leitbild für menschliche Gemeinschaften stilisiert und nicht umgekehrt. Ebenso verhält sich dies mit allen Erscheinungsformen der einzelwissenschaftlichen Welt an sich. Erklärt eine Gesellschaft von sich aus, sie wäre gänzlich frei, so ist dies nicht Freiheit, sondern in dieser wäre der Mensch lediglich Produkt ihrer Freizügigkeit. In solchen Gesellschaften verliert der Geist seine Orientierung. In dieser Orientierungslosigkeit steigern wir uns selbst zu einem neuen Höhepunkt und antworten mit den Kohlberg´schen Dilemmageschichten. Dadurch wird das Leben erst zum Dilemma, weil der desorientierte Mensch (das im Denken verstümmelte Individuum) über den so genannten Werterelativismus, also ohne festes Fundament, sich seiner ureigensten Bestimmung beraubt. Wenn der Mensch durch das von der Gesellschaft konditionierte Denken dominiert wird, wird der Geist zum Sklaven. Der menschliche Geist ist aber befähigt, sich von diesem konditionierten Denken (=Unfreiheit) zu befreien und seine inhärente Sensibilität über das Denken selbst wieder zu gewinnen. Daher kann Bildung nie die Einschränkung des Denkens, sondern nur die Ausweitung desselben sein. 20 Einige Textstellen zum Bildungsbegriff zum Nachdenken: „Bildung ist Bestätigung der Form des Allgemeinen und das ist das Denken überhaupt.“(Hegel: Phänomenologie des Geistes) „Das Erzittern der Einzelheit des Willens, das Gefühl der Nichtigkeit, die Gewohnheit des Gehorsams ist ein notwendiges Moment in der Bildung jedes Menschen.“ (Hegel: Das anerkennende Selbstbewusstsein) „Der Nutzen der Logik betrifft das Verhältnis zum Subjekt, inwiefern es sich eine gewisse Bildung zu anderen Zwecken (nicht zum Selbstzweck) gibt. Die Bildung des Subjekts durch die Logik besteht darin, dass es im Denken geübt wird, weil die reine Wissenschaft Denken des Denkens ist. Das Logische also die absolute Form der Wahrheit.“ (Hegel: Die Wissenschaft der Logik) Werterelativismus und somit kein festes Fundament im Denken, also die fehlende Bestimmung des menschlichen Bewusstseins führen den Menschen nie und nimmer zur Erreichung seines angelegten und vorausgesetzten Begriffs (= der wissenden Sehnsucht nach Identität) sondern zu den so genannten Ersatzreligionen – den Drogen, dem Okkult-Spiritistischem, der „No-Future-Bewegung“ und anderen vorgestellten Systemen der Glückseligkeit. All diesen Systemen ist aber zu eigen, den Menschen nicht als Freiheit, Denken anzuerkennen, sondern ihn vorerst zu reduzieren, um ihn danach leichter manipulieren zu können. Wir können auch sagen, dass der Mensch empirisch zur Freiheit verurteilt ist, ob diese nun als eine Illusion oder ein Determinismus bezeichnet wird oder nicht. Wir müssen nämlich Freiheit gegenüber dem Determinismus nicht dadurch legitimieren, indem wir schon wieder zerlegen und reduzieren und zwischen Ursachen und Gründen unterscheiden. Vielmehr können wir mit einer gewissen dialektischen Ironie, ohne die Gründe zu erwägen, die für die Annahme der Willensfreiheit als einer sinnvollen Idee sprechen, geradezu nach dem empirischen Grund, der Ursache dieser Idee selbst fragen. Das heißt, selbst wenn wir am Determinismus als einer notwendigen regulativen Idee festhielten und von daher Freiheit zu einer Illusion erklärten, könnten wir auf die Idee der Freiheit aus empirischen Gründen gar nicht verzichten. Das Wesentliche dabei ist, dass wir uns als freie Individuen in unserer Freiheit zwar selbst nicht (noch nicht) erkennen, aber doch zumindest anerkennen. Freiheit wäre, wenn sie eine empirisch begründete Illusion wäre, eine notwendige Illusion. Das heißt: Erkennen und Anerkennen verhalten sich hier wie Realität und Notwendigkeit zueinander. Wenn ich als Neurologe oder Psychologe aus der Perspektive des Erkennens nach der Realität der Freiheit suche, diese aber unter einzelwissenschaftlich-neurologischen und auch -psychologischen Gesichtspunkten nicht finden kann, heißt das nicht, dass ich „nichts“ auffände, sondern zumindest die behauptete Illusion der Freiheit. Freiheit gründet auf der Einsicht in die Notwendigkeit ihrer selbst. Wenn wir Freiheit nicht erkennen, sondern nur anerkennen können, aber andererseits Freiheit auch anerkennen müssen, weil wir, wie oben ausgeführt, empirisch zur Freiheit verurteilt sind, dann ergibt sich, neben der Spannung von Realität und Notwendigkeit im Freiheitsbegriff selbst noch einmal die Spannung von Notwendigkeit(AnerkennenMüssen) und Möglichkeit(Anerkennen-Können). Die Idee der Freiheit verbietet es zunächst, dass wir im strikten Sinne etwas müssen, das hieße im Falle der Freiheit, dass wir uns entweder für die Freiheit oder gegen sie entscheiden könnten. Wie wir uns auch entscheiden würden, jede Entscheidung ginge aber auf die Bestätigung, das Dasein von Freiheit zurück. 21 Spiritualität und Spiritismus Ebenso wie beim Verstand und der Vernunft, dem Sein und dem Bewusstsein müssen wir auch den Begriff der Spiritualität deutlich von dem des Spiritismus trennen. Oben habe ich herzuleiten versucht, welche Antworten auf den Begriff des Menschen die Philosophie zu geben im Stande sein kann. In einem Satz zusammengefasst könnte sich das so ausdrücken: „Die Philosophie ist das Verwirklichen der Vernunft auf die Fragen des Lebens“, also ein alles umfassender Anspruch. „Spiritualität ist das innere Bewusstsein, vermittels unsere Seele/unser Geist das Transzendentale in sich entdecken kann“. Daher ist sie ein innerer Entwicklungsprozess, in dem der Mensch seinen inneren Quellen immer näher kommt und schließlich ganz aus ihnen lebt. So verstanden ist Spiritualität nicht unbedingt an eine bestimmte Religion oder Konfession gebunden, sie kann einen eigenständigen Weg zu innerer Freiheit und Sinnerfüllung darstellen. Nur kann Freiheit und Sinnerfüllung keine reine Innerlichkeit bleiben, ansonsten wären diese Begriffe leer. Freiheit und Sinn des Lebens können sich immer nur in ihrer Entäußerung konkretisieren. Freiheit im anderen und Sinn des Lebens im Leben der menschlichen Gemeinschaft. Wie hängen nun Spiritualität und Philosophie zusammen? Ich gehe davon aus, dass die reine Vernunft, das logische Denken der Seele, die aktive Seele, welche absolute Wahrheit erkennt und Wahrheit manifestiert den Geist auf allen Ebenen leiten soll. Weil dies nicht immer so ist, sucht die Sensibilität der Seele heute Ausdruck als Reaktion gegen jene Systeme, die die Unsensibilität fördern. Sie ist deshalb auf der Suche, weil auf Grund der Verwirrung der ganzen Welt durch die verstandesorientierten Systeme ein gewisser Widerstand gegen das Akzeptieren dieser Gedankengänge wächst. So erwächst Idealismus in neuer Gestalt, also jene philosophische Richtung, die das Wirkliche (Absolute) als geistig annimmt und so für das Denken voraussetzt, hingegen das Körperliche als Produkt oder Erscheinungsweise des Geistes, oder auch als bloße Vorstellung im Gegensatz zum Materialismus erkennt. Nur ist das Tragische dabei, dass der „Geist“ der Bevölkerungsmehrheit von den Herrschenden kontrolliert, ja sogar bestimmt wird und sich daher nicht in idealistische Positionen entfalten bzw. ausbreiten kann. Wenn „alle Philosophie dem Wesen nach Theologie ist“ (Marx), wird eine klare Unterscheidung zwischen Philosophie und Spiritualität schwierig und erscheint vorerst nicht sinnvoll. Es geht nämlich bei den letzten Fragen des Lebens vielmehr um ein Spannungsfeld zwischen einem eher philosophischen und einem eher spirituellen Zugang. Das Grundthema ist hier, eine Überzeugung zu finden zwischen einer atheistischen Gesellschaftstheorie, die dem Unbegreiflichen keinen Ort lässt und der Verabsolutierung von Spiritualität in Form einer Staatsreligion, die keinen Ansatz für Gesellschaftsveränderung ermöglicht. Als Europäer stehen wir vor allem in der Tradition der Forderungen der Aufklärung, das heißt vorerst noch im Kampf gegen das Irrationale, in Absetzung gegen das düstere Mittelalter. Weil wir aber nicht permanent auf diesem Kampf, der längst entschieden ist, beharren können, müssen wir die „Gegenwart“, das Denken in Bezug zur Aufklärungstradition 22 bringen. Tun wir das nicht, bleiben wir darin so lange gefangen, bis wir uns der Frage nach einem emanzipativen Umgang der Aufklärung mit dem Irrationalen stellen, weil ansonsten der Mensch auf der Strecke bleibt. Durch die besondere Entwicklung der westlichen Welt seit dem Mittelalter und insbesondere seit der Französischen Revolution ist dem „modernen“ Menschen die empiristische Betrachtungsweise zur „zweiten Natur“ geworden. Daraus folgt aber, dass der Mensch, wenn er von so genannten „Fakten“ und „Tatsachen“ spricht, sich zunächst darüber klar werden muss, ob denn diese Fakten und Tatsachen überhaupt als solche existieren oder ob sie nur dann in dem Maße zur Existenz kommen können, wenn sie eine jenseitige Wirklichkeit widerspiegeln. Diese jenseitige oder höchste Wirklichkeit ist diejenige, die letztendlich etwas bedeutet, denn alles, auch „Fakten“ und „Tatsachen“ sind in ihr aufgehoben und umschlossen. Das bedeutet aber auch, dass die „Wahrheit oder Unwahrheit einer Weltanschauung in dieser Sichtweise allein davon abhängt, ob sie sinnbildlich das Transzendente auszudrücken im Stande sein kann“ (René Guénon) Kann sie das nicht, ist sie positivistisch, flach oder eindimensional, denn sie wird so zur Abstraktion vom Wesen des Wesentlichen. Es sollte aber vielmehr darum gehen, die Menschen ihr Weltbild so eingeordnet in das metaphysische Ganze sehen zu lassen, wie es wirklich ist. Der Empirismus unterliegt von Grund auf einer Selbsttäuschung, weil er glaubt, bezüglich seiner vom individuellen Forscher scheinbar unabhängigen Methoden frei von subjektiver Willkür zu sein. Dass diese Vorgangsweise eine wirkliche Illusion darstellt, erkennen wir spätestens dann, wenn „empirisch gesicherte Daten“ auf dem Tisch liegen. So wird unter Vortäuschung einer „Wirklichkeit“ alles untersucht und erhoben, was der Willkür der Forschenden zum Untersuchungsgegenstand in den Sinn kommt. Denken Sie in dem Zusammenhang an die jüngst vorgestellte „Studie“ zum Sexualverhalten der Österreicherinnen und Österreicher mit dem Satz: „Herr und Frau Österreicher haben durchschnittlich zweimal die Woche Sex“. Was bringt diese unter dem Anspruch von „Wissenschaftlichkeit“ hereingeholte Erkenntnis für jene, die in der Norm, für jene, die unter der Norm, oder für jene, die sogar über der Norm liegen, also im Sinne des Positivismus ein „Guthaben“ erwirtschaftet hätten? Als arm sind im Sinne einer falsch verstandenen Wissenschaftsgläubigkeit jene zu bezeichnen, die dieses „Plansoll“ nicht erfüllen. Sie können oder wollen es vielleicht aber auch deshalb nicht, weil sich das ursächliche Moment ihrer Lebensgemeinschaft eben nicht allein in der Sexualität, sondern in anderen, höheren, weil ideellen Werten konkretisiert. Wir können dies auch so ausdrücken: Weil der Mensch an sich nicht allein durch positivistische Akzente zu seinem Begriff werden kann, braucht es notwendiger Weise auch der Hereinholung des Irrationalen in seine Bestimmung, weil das Wirkliche, Absolute auch das vorerst unbestimmte Irrationale mit einschließt. Heißt also, dass ich dem Menschen seine Sehnsüchte, Gefühle, Hoffnungen auf dem Weg zu seiner Bestimmung nicht nehmen darf, heißt aber auch, dass sich das Fundament des Menschen nicht ausschließlich auf Sehnsüchten, Gefühlen und Hoffnungen bauen darf. Spiritualität hat auch eine Kehrseite: Nämlich die Tendenz, in Irrationalität und Aberglauben – den Spiritismus - abzugleiten. Davor kann die Spiritualität durch das Korrektiv der Philosophie bewahrt werden. Weil Philosophie die Hüterin der Rationalität ist und so als entmythologisierende Macht zur Spiritualität auftritt. Eines der größten Probleme auf einem rein spirituellen Weg ist die Integration der spirituellen Erfahrung in das bestehende Alltagsbewusstsein und die vorhandene Weltanschauung. Spiritistische Erfahrungen werden zwar meist als beglückend erfahren, sie können allerdings auch dann zum Verhängnis für den Menschen 23 werden, wenn sie ausschließlich als ursächlicher Grund des Menschseins anerkannt werden und der Mensch nur darin seine Bestimmung zu finden sucht. In der Beantwortung der Frage nach der Sinnhaftigkeit des Vereinszieles von „FIBS“ wäre bezüglich des spirituellen Anspruchs die Frage nach der so hervorgebrachten Gestalt des Geistes nicht über ein bloßes „Ja“ oder „Nein“ zu stellen, sondern präziser zu fassen. Sind die Ansprüche an die von „FIBS“ gestellte Spiritualität der Wandlung des Bewusstseins junger Menschen vom bloßen Sein zum bewussten Sein förderlich, oder schaden diese Ansätze im Sinne eines spiritistischen Vorhabens. Können wir nach sorgsamer Prüfung zum Befund kommen, dass zweite Möglichkeit stimmt, müsste mit dieser Erkenntnis jegliche weitere Befassung mit „FIBS“ sofort enden. Wenn aber im Rahmen dieser Ferienwochen Jugendliche zum Nachdenken über den Ursprung, das Leben und ihre Existenz angeregt werden, um daraus vernünftige Erkenntnisse gewinnen zu können, so ist durch diese Art der Spiritualität der Bewusstseinsbildung junger Menschen ein großer Dienst erwiesen. Daher müsste „Spiritualität“ operational definiert werden. Operational heißt hier, dass ein Verfahren angegeben werden muss, wie festgestellt wird, ob und gegebenen Falls wie sehr „Spiritualität“ im gegenständlichen Diskursfall vorliegt. Dass dies auf verschiedene Arten geschehen kann, hängt neben anderen auch davon ab, welche Ziele und Zwecke mit dieser Definition verfolgt werden sollen oder nicht. Nur sind Definitionen im Unterschied zu speziellen Sachverhalten nicht als „wahr“ oder „falsch“ zu bezeichnen, sondern ziel- und zweckabhängig. Wenn wir mit unserer Definition ein allgemein Anerkanntes von Spiritualität wollen, dann müssen wir uns im Vorhinein einerseits von allen Urteilen vor dem Urteil, also allen Vorurteilen freimachen und andererseits jene Bestimmungen in das Denken von Spiritualität aufnehmen, die sie semantisch dazu macht und in Folge zu ihrem Begriff werden lässt. Nun werden manche Leser einwenden, dass es eigentlich in dem Zusammenhang, weil metaphysisch, transzendent keine „ordentlichen Definitionen“ geben könne, weil eben nicht real – also nicht „wirklich“. Es kann vieles „ordentlich“ definiert werden, was es gar nicht gibt: Zum Beispiel die mythologische Figur des Pegasus, das ist ein Pferd mit Flügeln, das fliegen kann. Das ist eine einwandfreie und nahezu allgemein verständliche Definition, obwohl wir alle wissen, dass es Pegasus in der wirklichen Welt bislang nicht gibt. Im Falle der Spiritualität muss dies daher ebenso möglich sein. Die Definition kann von zwei Seiten über das Denken herbeigeholt werden: 1) Die reale Komponente von Spiritualität muss existieren und dieser empirische Existenzbeweis muss geführt werden können, wenn auch nicht unbedingt zu einem positiven Urteil führen. 2) Die willkürlich-nominale (=imaginäre) Seite einer Definition besteht in der freien Wahl der realen Elemente (Spiritualität äußert sich im Fühlen, Denken, Handeln und befasst sich mit Sinn, Wert, Bewältigung der Existenz, des Lebens Anfang, Ende, Sinn, und Wert der Welt, des Lebens) 24 Nun zur Semantik des Wortes aus verschiedensten Betrachtungsweisen: „Spiritualität verneint das äußere Leben nicht. Das äußere Leben sollte die Manifestation des „göttlichen Lebens“ in unserem Inneren sein“. (Karl Kardinal Lehmann) „Spiritualität bedeutet im weitesten Sinne eine Form von Geistigkeit als Gegensatz zum rein rationalen Denken und einer materiellen Körperlichkeit. Sie steht für die gelebte Verbindung zum Transzendenten“. (Wikipedia) „Spiritualität ist die Fähigkeit, das Reich Gottes (= den absoluten Geist, Anmerkung von mir) zu vermissen“. (Fulbert Steffensky) „Die Geistigkeit oder Spiritualität ist jene Dimension oder jenes Organ der menschlichen Person, durch welche ein Verhältnis zu Gott (=absoluten Geist) möglich ist. Dazu gehören auch die Ideen des Universellen, der absoluten, transzendenten höchsten Wahrheit und der höchsten Wirklichkeit“. (René Guénon) „Jeder Mensch ist seiner Natur nach spirituell (geistig), sofern er Sinn und Wert sucht. Spiritualität ist weder eine eigentlich esoterische noch religiöse Praktik, sondern eine grundlegende Dimension des Menschseins“. (Kurt Almquist) „Niemand kann euch etwas eröffnen, was nicht schon im Dämmern eures Wissens schlummert“ (Kant) Längst geht es in oben hergeleiteter Fragebeantwortung nicht mehr um die Frage nach „Spiritualität oder Spiritismus“, sondern um die grundlegende Auseinandersetzung des Konstruktiven Realismus mit der Philosophie an sich. Der Konstruktive Realismus ist ein wissenschaftstheoretischer Ansatz, der die Idee einer absoluten Wahrheit aufgegeben hat, diese absolute Wahrheit verneint und dennoch versucht, seine Verbindlichkeit als Wissenschaft beizubehalten. Auf diese Weise ergibt sich so die Möglichkeit eines interdisziplinären und multikulturellen Dialogs, dessen Teilnehmende nicht (mehr) darüber diskutieren müssen, wer denn eigentlich bezüglich des Wahrheitsbegriffs „recht“ hat oder nicht, weil dessen Ziel vielmehr darin liegt, die einzelnen Wissensformen zur Selbstreflexion zu motivieren. Abgesehen davon, dass der Konstruktive Realismus derart die vorausgesetzte Einheit der Bestimmung des Denkens – die Wahrheit - ablehnt, fällt über den so hergestellten Pluralismus eigentlich diese Bestimmung weg. Dadurch ist aber auch fest geschrieben, dass das Wahre in seiner Bestimmung einer gewissen Zufälligkeit unterworfen ist. Wenn aber Denken ein Unbestimmtes ist, wohin entwickelte es sich dann? Im schlimmsten aller Fälle hätten wir dann innerhalb mehrerer „Wahrheiten“ hin- und her zu pendeln. In diesem oszillierenden bestimmungslosen Geist geht eigentlich jeglicher Weltbezug des Individuums verloren. Ursache dafür ist an sich nicht die Pluralität der Systeme, sondern dass diese pluralen Systeme sich längst nicht mehr der Legitimitätsfrage stellen. Welthaftigkeit kann aber vom Subjekt offenbar nur wieder gewonnen werden, wenn an die Stelle einer konstitutiven genealogischen Ordnung eine innerweltlich ethische Ordnung tritt. Das bloß gefühlt Transzendente erfüllt sich in der Immanenz symbolischer Ordnung – dies ist mit dem Satz „Gott (=Geist) nicht außer uns, sondern in uns“ zu umschreiben. Wird dieses Transzendente in der Notwendigkeit des absoluten Geistes legitimiert, verharrt das Transzendente nicht in sich, sondern äußert sich in der Immanenz des Geistes, des Menschen; das ist die Spiritualität. 25 Wird aber andererseits das Außerweltliche, das die Ordnung Überschreitende subjektiv und damit kontingent legitimiert, tritt an die Stelle der Hierarchie die Tendenz zur Anarchie und an die Stelle des Allgemeinen das Gesetz des Einzelnen; das ist der Spiritismus. Um eine objektive Erkenntnis der Dinge zu ermöglichen und zu einer Ganzheit der Erkenntnis zu gelangen, muss unsere Erkenntnis daher in das ontologische Sein eingehen, das durch ein unendliches Transzendieren aller Sinnesobjekte der Inbegriff von ihnen allen ist – es ist das „absolute Objekt“. (Meister Eckhart; Predigten und Traktate) Der menschliche Verstand kann das Verborgene nicht erkennen, jene eigentlich verborgene, überirdische Eigenschaft des Wesens der Dinge, ihren Kern. Notwendig dazu ist die intellektuelle Intuition, um das Wesen der Dinge auf diese objektive Art und Weise erkennen zu können. Diese intellektuelle Intuition ist eine unmittelbare Erkenntnis des unsichtbaren Kerns, den Verstand übersteigend – die Vernunft, und dieses Vermögen heißt Geist oder Intellekt. Wir können das auch anders ausdrücken: Nur von unserem begrenzten Standpunkt aus, also einem relativ wahren Standpunkt kann das Absolute einerseits als „Subjekt“ und andererseits als „Objekt“ des Menschen angesehen werden, als Objekt in seinem Streben zurück zum Unerschaffenen. Denn letztendlich hat diese Dualität ihre Aufgehobenheit im Absoluten. „Spiritualität wird so zur Möglichkeit, zur Fähigkeit, das Absolute zu vermissen.“ (Steffensky) Daher sind Spiritualität, Humanität mit dem Begriff des Menschen unmittelbar verbunden, sie sind mit ihm ident, also dessen Substanz. Sie stellen daher keine Konditionierung des menschlichen Geistes dar, sondern sind Garanten für die Ausweitung des Denkens, Freiheit, die wiederum Substanz des Menschen an und für sich sind. Ernstgemeinte Spiritualität ist dann wirklich, wenn sie „als Leben aus dem Geist“(Karl Rahner) sich einerseits auf die nach innen gerichtete Beziehung des Menschen zum Absoluten und sich andererseits durch die nach außen gerichtete und gelebte Beziehung des Menschen zu seinen Mitmenschen Wirklichkeit, Wahrheit gibt. Spiritualität auch als Interesse, als Kennzeichen für die Konstitution des Menschen, der nicht als Fertiger geboren wird, sondern sich Schritt für Schritt in die Welt hineinfragt, sich seine Lebenswelt erschließt - nicht jedoch hinterfragt, wie wir leider so oft hören. Sein Interesse daran kann also gefördert oder auch gelähmt werden. So können sich Qualität und Schule nicht in erster Linie am Design, an der Überfülle an Medien und Methoden messen, die Schülerinnen und Schüler „abholen“, motivieren oder gar verführen. Qualität der Schule ist daran erkennbar, „wie viel und welchen Raum sie für Begegnungen eröffnet“(Jochen Hilberath, Matthias Scharer); gemeint sind jene Gegenstände, die den Menschen zu bilden imstande sind mit all den vergangenen und gegenwärtigen Erfahrungen von Mensch und Gesellschaft, somit der Reflexion nach innen und nach außen. Ein Raum gebender Unterricht achtet die implizite spirituelle Dimension, nimmt darauf Bedacht, dass das Interesse der Schülerinnen und Schüler nicht beliebig produzierbar ist, sondern bei allen notwendigen Überlegungen der Unterrichtsplanung die Bedingungen für die Möglichkeit solcher Begegnungen zu optimieren, „ein „geschenkter Rest“ bleibt, in dem sich gerade das Wesentliche von Bildung als Erschließung der Sinndimension der Lerngegenstände in Freiheit und Verantwortung, aber auch als „geschenktes Wir“ der Lerngruppe zeigt“ (Mattias Scharer). 26 Erst wenn wir uns vom didaktischen Machbarkeitsanspruch frei zu spielen vermögen, indem wir loslassen und dem „Nicht-Produzierbaren“ Raum geben, können wir für die geschenkte Dimension, die jedem Bildungsgeschehen eigen ist, sensibel werden. Erst wenn wir erkennen, dass die virtuelle Wirklichkeit - eine Wirklichkeit aus zweiter Hand - also eine von Produzenten und geschäftstüchtigen Menschen erzeugte Wirklichkeit, nur in die schnelle Vertröstung führt, zeigt sich die spirituelle Kultur einer Schule dann, wenn sie über diese gebrochenen „Wirklichkeiten“ (Täuschungen) hinaus führen kann und über die Bildung dem Menschen ermöglicht, zu sich kommen zu können. Legen wir daher der Bestimmung von Spiritualität jene Kategorien zu Grunde, die ich oben ausgebreitet habe. Wir können so zum Schluss kommen, dass jede Form des Spiritismus in unseren Überlegungen und Prinzipien keinen Platz haben darf, Spiritualität jedoch wesentliches Moment, also Ausdruck der Sehnsucht des Menschen nach seiner Bestimmung ist, die das immanent Absolute erkennen lassen kann. Spiritualität also keine bloße Frömmigkeit, sondern die Möglichkeit für geisterfülltes Leben und Streben nach Vollkommenheit. Wien, im Jänner 2007