Vorwort Hier finden Sie 1. den Ablauf des Seminars im aktuellen Semester, 2. die Folien der Einführungsveranstaltung zum Seminar 3. die Themenliste des DSM-IV mit Beiträgen aus früheren Seminaren und 4. eine Auswahl von Kurzbeschreibungen psychometrischer Tests in der Klinischen Psychologie. Unterstreichungen bedeuten Links auf die jeweiligen Themen, deren Inhalte auch zur (teilweisen!) Vorbereitung oder Wiederholung des Prüfungsstoffs verwendet werden können. Semesterablauf DSM-IV im WS 04/05 (Do 12-14 in 1211) 21.10. Allgemeine Einführung und Themenvergabe 28.10. Einführung in das DSM-IV 4.11. Eßstörungen 11.11. Schlafstörungen 18.11. Sexuelle und Geschlechtsidentitätsstörungen 25.11. Angststörungen 2.12. Affektive Störungen 9.12. Persönlichkeitsstörungen 16.12. Störungen mit Beginn in Kindheit oder Adoleszenz 23.12. Störungen im Zusammenhang mit psychotropen Substanzen 13.1.05 Schizophrenie und andere psychotische Störungen 20.1. Dissoziative Störungen + Vorgetäuschte Störungen 27.1. Störungen der Impulskontrolle + Anpassungsstörungen 3.2. Somatoforme Störungen + andere klin. relevante Probleme 10.2. Delir, Demenz, amnestische und andere kognitive Störungen DSM-IV (Folien) Name: Diagnostik and Statistical Manual of Mental Disorders Geschichte: 1. Auflage 1952 (der "Reaktionsbegriff" von A. E. Meyer wird eingeführt) DSM-II und ICD-8 1968 ("Neurosenbegriff" wird eingeführt) DSM-III 1979 (Neurosenbegriff wird wieder aufgegeben) 1 DSM-III-R und ICD-9 1986 (Annäherung von DSM und ICD) DSM-IV 1995 und ICD-10 1993 (ICD-Codes werden nun auch im DSM angegeben) Merkmale: Systematische Beschreibung (ohne Ätiologie) jeder Störung in folgenden Bereichen: Diagnostische Merkmale, Subtypen, und/oder Zusatzcodierungen, Codierungsregeln, Zugehörige Merkmale und Störungen, Besondere kulturelle, Alters- und Geschlechtsmerkmale, Prävalenz, Verlauf, Familiäres Verteilungsmuster, Differentialdiagnose. Kompatibilität zum ICD-10 Multiaxiale Beurteilung in 5 Achsen: I Klinische Störungen, Andere Klinisch Relevante Probleme II Persönlichkeitsstörungen, Geistige Behinderung III Medizinische Krankheitsfaktoren (mit ICD-9-CM-Codes) IV Psychosoziale und Umgebungsbedingte Probleme V Globale Erfassung des Funktionsniveaus (GAF-Skala) Gebrauch des Manuals: Achse I und II: - Diagnose und Codierung nach Kriterienlisten (Typ: XXX.YY) - Möglichkeit von Mehrfachdiagnosen (Achse I - Diagnose = Hauptdiagnose, wenn nicht anders vermerkt) - Zusatzcodierungen für Schweregrad und Verlauf: Leicht, Mittelschwer, Schwer, Teilremittiert, Voll remittiert, In der Vorgeschichte -Vorläufige und unsichere Diagnosen (Zustände, die nicht einer psychischen Störung zuordnbar sind, aber Anlaß zur Behandlung oder Beobachtung geben) z.B. 799.9 = D. zurückgestellt, 300.9 = unspezifische psychische Störung (nicht psychotisch), 298.9 = nicht näher bezeichnete psychotische Störung V-Kodierungen (für andere klinisch relevante Probleme) z.B. V61.20 = Eltern-Kind-Problem, V62.82 = Einfache Trauer, V65.2 = Simulation Achse III: nach ICD-9-CM und ICD-10 Achse IV: Psychosoziale und umgebungsbedingte Probleme, die im Laufe des letzten Jahres vor der augenblicklichen Untersuchung aufgetreten sind (mit Ausnahmen) Achse V: Skala von 0-100. Bewertung aktuell, aber auch bei Aufnahme, Entlassung und z.B. auch am höchsten Funktionsniveau über mindestens 2 Monate während des vergangenen Jahres. DSM-IV: Numerische Systematik der Schlüsselzahlen Allgemein: Unter 300 = Organische und psychotische Störungen, Wahn und Autismus über 300 = Neurosen, und (fast) alles andere Interpretation der 2. Stelle (300-319): 0 = nicht organisch, neurotisch, reaktiv in der Genese 1 = (vermuteter) leichter organischer Verursachungsfaktor Interpretation der 3. Stelle: 290 = Alzheimer 291-2 = Substanzentzug oder -intoxikation mit Delir, Wahn, organischen Störungen 293 = Störungen aufgrund eines medizinischen Krankheitsfaktors 294 = andere Demenzen 295 = Schizophrenien und schizoaffektive Störung 296 = Affektive Störungen (nicht neurotisch) 297 = Wahn 298 = reaktive und atypische Psychosen 299 = Autismus und andere Entwicklungsstörungen (nicht näher bezeichnet) 300 = Neurosen (im klassischen Sinn) 301 = Persönlichkeitsstörungen 302 = Sexualstörungen (ohne medizinschen Krankheitsfaktor) 303 = Alkoholabhänigkeit und -intoxikation 304 = Abhängigkeit von psychotropen Substanzen 305 = Substanzmißbrauch und -intoxikation 306 = Vaginismus 307 = spezielle Entwicklungs- und Schlafstörungen 308-9 = Anpassungs- und Belastungsstörungen 2 310 = organisch bedingte Persönlichkeitsstörungen 311 = depressive Störungen (nicht näher bezeichnet) 312 = Störungen der Impulskontrolle, Monomanien 313 = Bindungs- und Kontaktstörungen bei Kindern 314 = Aufmerksamkeitsstörungen und Hyperaktivität 315 = Sprach-, Rechen- und Motorikstörungen bei Kindern 316 = körperliche Zustände bei denen psychische Faktoren eine Rolle spielen 317-9 = Oligophrenien Spezielle Codierungen (Auswahl): 332-3 = Neuroleptikanebenwirkungen und -folgen 347 = Narkolepsie 607-25 = sexuelle Funktionsstörungen aufgrund eines medizinischen Krankheitsfaktors 780 = Schlafstörungen aufgrund eines medizinischen Krankheitsfaktors 780.09 = Delir (nicht näher bezeichnet) 780.9 = altersbedingter kognitiver Abbau 787 = Enkopresis mit Verstopfung und Überlaufinkontinenz 799.9 = Diagnose zurückgestellt Themenliste zum DSM-IV (mit Links zu Beiträgen früherer Seminare) 1. Störungen, die gewöhnlich zuerst im Kleinkindalter, in der Kindheit oder Adoleszenz diagnostiziert werden (Seite 71-163 im DSM-IVBuch) 2. Delir, Demenz, amnestische und andere kognitive Störungen (S. 163-209) 3. Psychische Störungen aufgrund eines medizinischen Krankheitsfaktors (209-221) 4. Störungen im Zusammenhang mit psychotropen Substanzen (221-327) 5. Schizophrenie und andere psychotische Störungen (327-375) 6. Affektive Störungen (375-453) 7. Angststörungen (453-509) 8. Somatoforme Störungen (509-537) 9. Vorgetäuschte Störungen (537-543) 10. Dissoziative Störungen (543-559) 11. Sexuelle und Geschlechtsidentitätsstörungen (559-613) 12. Eßstörungen (613-627) 13. Schlafstörungen (627-691) 14. Störungen der Impulskontrolle, nicht andernorts klassifiziert (691-705) 15. Anpassungsstörungen (705-711) 16. Persönlichkeitsstörungen (711-761) 17. Andere klinisch relevante Probleme (761-773) und ferner: Psychometrische Tests in der Klinischen Psychologie 3 Julia König, Gabriele Sonne Störungen, die Gewöhnlich Zuerst im Kleinkindalter, in der Kindheit oder Adoleszenz Diagnostiziert werden Geistige Behinderung Diese Störungen werden auf Achse II codiert. Sie sind gekennzeichnet durch eine deutlich unterdurchschnittliche allgemeine intellektuelle Leistungsfähigkeit, stark eingeschränkter Anpassungsfähigkeit in Bereichen wie Kommunikation oder eigenständiges Leben, wobei der Beginn der Störung vor dem Alter von 18 Jahren liegen muss. Je nach dem gemessenen IQ unterscheidet man verschiedene Schweregrade der Geistigen Behinderung. Diese reichen von der Leichten Geistigen Behinderung (Code 317, IQ 50-55 bis ca. 70, Betroffene können meist selbständig leben, die Behinderung wird erst relativ spät offenbar) über die Mittelschwere Geistige Behinderung (Code 318.0, IQ 35-40 bis 50-55, Betroffene erwerben kaum Schulkenntnisse, die über das Niveau der zweiten Klasse hinausgehen) und Schwere Geistige Behinderung (Code 318.1, IQ 20-25 bis 35-40, Betroffene bedürfen ständiger Aufsicht) bis zur Schwersten Geistigen Behinderung (318.2, IQ unter 20-25, meist liegt hier ein neurologischer Krankheitsfaktor zugrunde). Die Diagnose Geistige Behinderung mit Unspezifischem Schweregrad wird vergeben, wenn mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Geistige Behinderung vorliegt, die Intelligenz jedoch nicht messbar ist. Lernstörungen Bei den Lernstörungen werden Lesestörung (Code 315.00), Rechenstörung (Code 315.1) und Störung des Schriftlichen Ausdrucks (Code 315.2) unterschieden. Gekennzeichnet werden diese Störungen von Leistungen in dem jeweiligen Bereich (also z. B. bei der Lesestörung Lesegenauigkeit oder Leseverständnis), die wesentlich unter dem liegen, was aufgrund des Alters, der gemessenen Intelligenz und der altersgemäßen Bildung einer Person zu erwarten wäre. Diese Störung behindert deutlich die schulischen Leistungen oder Aktivitäten des täglichen Leben. Sofern ein sensorisches Defizit vorliegt, sind die Schwierigkeiten wesentlich größer als diejenigen, die gewöhnlich mit diesem Defizit verbunden sind. Die Diagnose Nicht Näher Bezeichnete Lernstörung wird verwendet, wenn eine solche Störung nicht alle Kriterien einer bestimmten Lernstörung erfüllen. Störung der Motorischen Fertigkeiten Die Diagnose einer Entwicklungsbezogenen Koordinationsstörung (Code315.4) wird gestellt, wenn die motorische Koordination stark beeinträchtigt ist (was sich zum Beispiel durch eine verzögerte motorische Entwicklung, Unbeholfenheit oder schwache sportliche Leistungen zeigt) und dadurch die schulischen Leistungen oder die Aktivitäten des täglichen Lebens deutlich beeinträchtigt werden. Die Störung darf allerdings nicht auf einen medizinischen Krankheitsfaktor zurückzuführen sein und nicht die Kriterien einer Tiefgreifenden Entwicklungsstörung erfüllen. Wenn eine Geistige Behinderung vorliegt, sind die motorischen Schwierigkeiten wesentlich größer, als aufgrund der Geistigen Behinderung zu erwarten wäre. Kommunikationsstörungen Die Expressive Sprachstörung (Code 315.31) ist gekennzeichnet durch eine Störung der expressiven Sprachentwicklung, die deutlich schlechter ist als die rezeptive Sprachentwicklung sowie die nonverbale Intelligenz. Eine Kombinierte Rezeptiv-Expressive Sprachstörung (Code 315.31) wird diagnostiziert, wenn auch die rezeptive Sprachentwicklung deutlich schlechter ist, als aufgrund der nonverbalen Intelligenz zu erwarten wäre. Beide Störungen müssen die schulischen/beruflichen Leistungen oder die soziale Kommunikation behindern. Dabei dürfen die Kriterien einer Tiefgreifenden Entwicklungsstörung (bei der Expressiven Sprachstörung auch die Kriterien einer Kombinierten Rezeptiv-Expressiven Sprachstörung) nicht erfüllt werden. Wenn andere Probleme vorliegen, die Sprachschwierigkeiten verursachen können, müssen die Schwierigkeiten wesentlich größer sein, als aufgrund der anderen Probleme zu erwarten wäre. Die Phonologische Störung (Code 315.39) ist gekennzeichnet durch die Unfähigkeit, sich dem Entwicklungsalter angemessen zu artikulieren. Dazu gehören beispielsweise Fehler wie dem Ersetzen eines bestimmten Lautes durch einen anderen oder Auslassungen von Lauten. Beim Stottern (Code 307.0) ist der Redefluss der betroffenen Personen gestört. Charakteristisch sind u.a. Wiederholungen von Lauten und Silben oder Lautdehnungen. Beide zuletzt genannte Störungen behindern die schulischen/beruflichen Leistungen oder die soziale Kommunikation. Wenn ein weiterer Faktor vorliegt, der mit Sprechschwierigkeiten in Verbindung steht, so sind diese Schwierigkeiten größer als die zu erwartenden. Tiefgreifende Entwicklungsstörungen Hier werden vier Störungsbilder unterschieden: Die Autistische Störung (Code 299.00) äußert sich in ausgeprägter qualitativer Beeinträchtigung der sozialen Interaktion, der Kommunikation sowie in beschränkten, repetitiven und stereotypen Verhaltensweisen, Interessen und Aktivitäten. Sie beginnt vor dem dritten Lebensjahr, wobei Verzögerungen im Bereich der sozialen Interaktion, der Sprache als soziales Kommunikationsmittel und/oder dem Phantasiespiel auftreten. Außerdem können die Symptome nicht besser durch die Rett-Störung oder die Desintegrative Störung im 4 Kindesalte erklärt werden. Die Rett-Störung (Code 299.80) ist gekennzeichnet durch eine Reihe von Beeinträchtigungen, die auf eine offensichtlich normale pränatale, perinatale (mit einem normalen Kopfumfang bei der Geburt) und psychomotorische Entwicklung in den ersten fünf Lebensmonaten folgt. Diese Beeinträchtigungen umfassen unter anderem eine Verlangsamung des Kopfwachstums und den Verlust von zuvor erworbenen zielgerichteten Fertigkeiten der Hände. Die Desintegrative Störung im Kindesalter (Code 299.10) setzt nach einer mindestens zweijährigen normalen Entwicklung ein. Dann (vor dem 10. Lebensjahr) erfolgt ein klinisch bedeutsamer Verlust von zuvor erworbenen Fertigkeiten in verschiedenen Bereichen wie zum Beispiel der expressiven oder rezeptiven Sprache, den sozialen Fertigkeiten und dem Spielverhalten. Es bestehen qualitative Beeinträchtigungen im Bereich der sozialen Interaktion und Kommunikation sowie stereotype und repetitive Verhaltensmuster. Bei der Asperger-Störung (Code 299.80) sind die Autismus-ähnlichen Symptome weniger extrem ausgeprägt. Sie äußert sich in qualitativen Beeinträchtigungen der sozialen Interaktion sowie beschränkten, repetitiven und stereotypen Verhaltensmustern, die in klinisch bedeutsamer Weise die Funktionsfähigkeit in wichtigen Bereichen einschränkt. Allerdings treten weder ein klinisch bedeutsamer Sprachrückstand noch Verzögerungen der kognitiven Entwicklung auf. Die Kriterien für eine andere spezifische Tiefgreifende Entwicklungsstörung oder für Schizophrenie werden nicht erfüllt. Sowohl die Desintegrative Störung als auch die Asperger-Störung wird nur diagnostiziert, wenn die Symptome nicht durch eine andere Tiefgreifende Entwicklungsstörung oder durch Schizophrenie besser erklärt werden. Wenn schwerwiegende Störungen der sozialen Interaktionsfähigkeit und der Kommunikationsfähigkeit vorliegen, ohne dass jedoch die Kriterien für eine bestimmte Tiefgreifende Entwicklungsstörung erfüllt sind, wird die Diagnose der Nicht Näher Bezeichneten Tiefgreifenden Entwicklungsstörung (Code 299.80) verwendet. Störungen der Aufmerksamkeit, der Aktivität und des Sozialverhaltens Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung Diagnostische Merkmale A. Durchgehendes Muster von Unaufmerksamkeit und/oder der Hyperaktivität und Impulsivität, das schwerwiegender ist als bei Personen der gleichen Entwicklungsstufe. B. Einige Symptome der Hyperaktivität und Impulsivität oder Unaufmerksamkeit müssen vor dem 7. Lebensjahr bestehen C. Beeinträchtigung durch diese Symptome in mindestens zwei Lebensbereichen D. Beeinträchtigung der sozialen, schulischen oder beruflichen Leistungsfähigkeit E. Störung tritt nicht ausschließlich im Rahmen einer Tiefgreifenden Entwicklungsstörung, Schizophrenie, anderer psychotischen Störungen auf Codierung je nach Subtypus 314.01 (F90.0) Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung, Mischtypus 314.00 (F98.8) Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung, Vorwiegend Unaufmerksamer Typus 314.01 (F90.1) Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung, Vorwiegend Hyperaktiv-Impulsiver Typus Zugehörige Merkmale und Störungen Geringe Frustrationstoleranz, Wutanfälle, Herrschsucht, Widerspenstigkeit, Konflikte in Schule und Familie, Störung mit oppositionellem Trotzverhalten, Störung des Sozialverhaltens, höhere Prävalenz für Affektive Störungen, Angststörungen, Lernstörungen, Kommunikationsstörungen Verlauf Gewöhnlich wird die Störung zum ersten mal in der Grundschule diagnostiziert, wenn die schulische Anpassung gefährdet ist. Meist bleibt die Störung bis in die frühe Adoleszenz relativ stabil und wird im Verlauf der späten Adoleszenz /Erwachsenenalters schwächer. 314.9 (F90.9) Nicht Näher Bezeichnete Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung Störungen mit deutlichen Symptomen von Unaufmerksamkeit oder Hyperaktivität-Impulsivität, die nicht die Kriterien einer Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung erfüllen 312.8 (F91.8) Störung des Sozialverhaltens Diagnostische Merkmale A. Repetitives, anhaltendes Verhaltensmuster, durch das grundlegende Rechte anderer und altersentsprechende gesellschaftliche Normen/Regeln verletzt werden B. Die Verhaltensstörung verursacht eine Beeinträchtigung im sozialen, schulischen, beruflichen Funktionsbereichen C. Bei Personen, die 18 Jahre oder älter sind, liegt keine Antisoziale Persönlichkeitsstörung vor Zugehörige Merkmale und Störungen wenig Empathie , keine Rücksichtnahme, Schuldgefühle oder Gewissensbisse, geringe Frustrationstoleranz, Reizbarkeit, Wutausbrüche, frühes Sexualverhalten, trinken, rauchen, Genuss illegaler Substanzen, Schulausschluss, Konflikte mit dem Gesetz, frühe Schwangerschaften, Suizidgedanken, -versuche, Suizid Verlauf Beginn gewöhnlich späte Kindheit, frühe Adoleszenz. Bei einem großen Teil remittiert die Störung bis zum Erwachsenenalter, zeigt jedoch dann Verhaltensweisen der Antisozialen Persönlichkeitsstörung. 313.81 (F91.3) Störung mit oppositionellem Trotzverhalten Diagnostische Merkmale A. Anhaltendes Muster von negativistischem, feindseligem, trotzigem Verhalten B. Verhaltensstörung beeinträchtigt im sozialem, schulischen, beruflichen Bereichen C. Verhaltensweisen treten nicht ausschließlich im Verlauf einer Psychotischen/ Affektiven Störung auf D. Kriterien einer Störung des Sozialverhaltens sowie einer Antisozialen Persönlichkeitsstörung sind nicht erfüllt Zugehörige Merkmale und Störungen Geringes Selbstwertgefühl, geringe Frustrationstoleranz, Stimmungsschwankungen, jugendlicher Alkohol-, Tabak-, und Drogenkonsum. Häufig Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung Verlauf 5 Eintritt meist vor 8. Lebensjahr, Beginn der Symptome meist zunächst im häuslichem Bereich, dann andere Bereiche. 312.9 (F91.9) Nicht Näher Bezeichnetes Sozial Störendes Verhalten Störungen, die durch ein Sozialverhalten und oppositionelles Trotzverhalten gekennzeichnet sind, die nicht die Kriterien einer Störung des Sozialverhaltens oder Störung mit Oppositionellem Trotzverhalten erfüllen. Hierzu gehören beispielsweise klinische Erscheinungsformen, die nicht die oben genannten Kriterien erfüllen, bei denen jedoch eine klinisch signifikante Beeinträchtigung vorliegt. Fütter- und Essstörungen im Säuglings- oder Kleinkindalter Es werden drei verschiedene Störungen in diesem Kapitel zusammengefasst. Kinder, die an Pica (Code 307.52) leiden, essen über mindestens einen Monat hinweg ständig ungenießbare Stoffe wie Putz, Farbe, Bindfaden, Haare oder Stoff bei Säuglingen und Kleinkindern, Sand, Insekten oder Blättern bei älteren Kindern sowie Lehm oder Erde bei Jugendlichen und Erwachsenen. Dieses Essen ungenießbarer Stoffe muss der Entwicklungsstufe unangemessen sein (in einem bestimmten Alter neigen die meisten Kinder dazu, wahllos Dinge in den Mund zu stecken) und darf nicht Teil einer kulturell anerkannten Praxis sein. Die Ruminationsstörung (Code 307.53) äußert sich im wiederholten Heraufwürgen und Wiederkauen (oder Ausspucken) der Nahrung, welches über mindestens einen Monat anhält. Dieses darf nicht auf eine Erkrankung des Magen-Darm-Trakts oder einen anderen medizinischen Krankheitsfaktor zurückgehen und nicht ausschließlich im Rahmen einer Anorexia Nervosa oder Bulimia Nervosa auftreten. Wenn die Störung ausschließlich im Verlauf einer anderen psychischen Störung auftritt, muss sie schwer genug sein, um für sich allein betrachtet zu werden, dies gilt auch für Pica. Kinder, die an einer Fütterstörung im Säuglings- oder Kleinkindalter leiden, zeigen eine kontinuierliche mangelnde Nahrungsaufnahme ohne deutliche Gewichtszunahme bzw. mit deutlichem Gewichtsverlust über mindestens einen Monat. Es darf kein medizinischer Krankheitsfaktor vorliegen, der schwer genug wäre, um für die Symptome verantwortlich zu sein, die auch nicht durch eine andere psychische Störung besser erklärt werden können. Der Beginn der Störung muss vor dem sechsten Lebensjahr liegen. Ticstörungen Tics Als Tics werden plötzliche, schnelle, sich wiederholende, unrhythmische, stereotype motorische Bewegungen oder Lautäußerungen bezeichnet, die als unvermeidbar wahrgenommen werden. Tics können sich unter Stress und bei Tätigkeiten, die eine erhöhte Aufmerksamkeit erfordern, abschwächen und über verschieden lange Zeiträume unterdrückt werden. Ticstörungen führen zu einer starken inneren Anspannung und verursachen in bedeutsamer weise Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen und anderen wichtigen Funktionsbereichen. Klassifizierung von Tics · Einfache motorische Tics (Blinzeln, Kopfnicken, Schulterzucken, etc.) · Einfache vokale Tics (Räuspern, Grunzen, Quieken, Schnüffeln, etc.) · Komplexe motorische Tics (Klatschen, Berühren, Beriechen, Echokinese, etc.) · Komplexe vokale Tics ( Koprolalie, Palilalie, Echolalie, etc.) 307.23 (F95.2) Tourette-Störung Diagnostische Merkmale A. Multiple motorische Tics und mind. ein vokaler Tic im Verlauf der Krankheit B. Tics mehrmals täglich, fast jeden Tag, oder intermittierend im Zeitraum von über einem Jahr, keine Ticfreie Phase, die länger als drei aufeinanderfolgende Monate dauerte C. Störung führt zu einer starken inneren Anspannung oder verursacht in bedeutsamer Weise Beeinträchtigung in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen D. Beginn vor 18. Lebensjahr E. Die Störung geht nicht auf direkte Wirkung einer Substanz oder eines Krankheitsfaktors zurück Zugehörige Merkmale und Störungen Zwangsgedanken, Zwangshandlungen, Hyperaktivität, Ablenkbarkeit, Schamgefühle, Niedergeschlagenheit, körperliche Schäden Verlauf Beginn: Kindheit, frühe Adoleszenz (Durchschnittsalter 7 Jahre). Die Störung hält gewöhnlich das ganze Leben an, mit Remissionsphasen von Wochen oder Jahren. Schweregrad, Häufigkeit und Variabilität der Symptome nimmt mit dem Erwachsenenalter ab, in manchen Fällen können sie vollständig verschwinden 307.22 (F95.1) Chronische Motorische oder Vokale Ticstörung Einzelne oder multiple motorische oder vokale Tics treten, jedoch nicht gleichzeitig, zu irgendeinem Zeitpunkt im Verlauf der Krankheit auf. Die Kriterien der Tourette-Störung waren zu keinem Zeitpunkt erfüllt 307.21 (F95.0) Vorübergehende Ticstörung Einzelne oder multiple motorische und/oder vokale Tics treten, jedoch nicht gleichzeitig, zu irgendeinem Zeitpunkt im Verlauf der Krankheit auf. Tics treten mind. vier Wochen lang fast jeden Tag mehrmals auf, der Zeitraum insgesamt beträgt jedoch nicht länger als 12 aufeinanderfolgende Monate. Die Kriterien einer Tourette-Störung waren zu keinem Zeitpunkt erfüllt 307.20 (F95.9) Nicht Näher Bezeichnete Ticstörung Störungen, die durch Tics gekennzeichnet sind, die jedoch nicht die Kriterien einer spezifischen Ticstörung erfüllen. Beispiele hierfür sind Tics, die weniger als vier Monate andauern oder Tics, die nach dem 18. Lebensjahr beginnen. Störungen der Ausscheidung Enkopresis (R15 oder F98.1) Diagnostische Kriterien 6 A. Wiederholtes Entleeren des Fäzes an ungeeigneten Stellen (z.B. Kleidung, Fußboden). Dies kann unwillkürlich oder absichtlich geschehen B. Das Verhalten tritt mindestens einmal im Monat im Verlauf von mindestens drei Monaten auf C. Das Alter des Kindes (bzw. das Entwicklungsalter) beträgt mindestens vier Jahre D. Das Verhalten geht nicht ausschließlich auf direkte körperliche Wirkung einer Substanz (z.B. Abführmittel) oder eines medizinischen Krankheitsfaktors zurück, es sei denn, der Krankheitsmechanismus beinhaltet Verstopfung Codierung je nach Subtypus 787.6 (R15) Mit Verstopfung und Überlaufinkontinenz 307.7 (F98.1) Ohne Verstopfung und Überlaufinkontinenz Zugehörige Merkmale und Störungen Schamgefühle, Vermeidung von Situationen, welche das Kind in Verlegenheit bringen könnten (Zeltlager, Schule), bei absichtlicher Inkontingenz Störung mit Oppositionellem Trotzverhalten oder Störung des Sozialverhaltens, Enuresis Verlauf Enkopresis wird nicht vor dem 4. Lebensjahr diagnostiziert. Unzulängliche und nachlässige Sauberkeitserziehung und psychosoziale Belastungen können prädisponierende Faktoren darstellen. Bei der primären Enkopresis konnte das Kind noch nie den Stuhlgang kontrollieren, bei der sekundären Enkopresis tritt die Störung nach einer Zeit auf, in der das Kind bereits „sauber“ war. Enkopresis kann mit zeitweiligen, periodischen Verschlimmerungen über Jahre auftreten, wird jedoch selten kronisch. 307.6 (F98.0) Enuresis (nicht aufgrund eines medizinischen Krankeitsfaktors) Diagnostische Merkmale A. Wiederholtes Entleeren von Urin in Bett oder Kleidung (unwillkürlich oder absichtlich) B. Das Verhalten ist klinisch bedeutsam und manifestiert sich entweder durch die Häufigkeit des Auftretens zweimal wöchentlich im Verlauf von drei aufeinanderfolgenden Monaten oder durch das Auftreten von klinisch bedeutsamen Leiden oder Beeinträchtigung in sozialen, schulischen (beruflichen) oder anderen wichtigen Funktionsbereichen C. Das Kind muss mindestens 5 Jahre alt sein (oder ein entsprechendes Entwicklungsalter haben) D. Das Verhalten geht nicht ausschließlich auf die direkte körperliche Wirkung einer Substanz (z.B. Diuretikum) oder eines medizinischen Krankheitsfaktors (z.B. Diabetes, Spina bifida, ein Anfallsleiden) zurück Codierung je nach Subtypus Enuresis Nocturna (F98.00) nur nachts im Schlaf Enuresis Diurna (F98.01) nur tagsüber Enuresis Nocturna und Diurna (F98.02) nachts und tagsüber Zugehörige Merkmale und Störungen Erhöhte Prävalenz einer koexistierenden psychischen oder anderen Entwicklungsstörung, Enkopresis, Schlafstörung mit Schlafwandel und Pavor Nocturnus, Entzündungen der Harnwege Verlauf Bei der primären Enuresis konnte das Kind noch nie die Blase kontrollieren, sie beginnt im Alter von 5 Jahren. Die sekundäre Enuresis setzt nach einer Zeit ein, bei der das Kind nicht eingenässt hatte und beginnt in der Regel zwischen dem 5. und 8. Lebensjahr. Bei nur ca. 1 % der Betroffenen hält die Störung bis ins Erwachsenenalter an. Andere Störungen im Kleinkindalter, in der Kindheit oder Adoleszenz 309.21 (F93.0) Störungen mit Trennungsangst Diagnostische Merkmale A. Eine entwicklungsmäßig unangemessene und übermäßige Angst vor der Trennung von zu Hause oder von der Bezugsperson B. Die Dauer der Störung beträgt mindestens vier Wochen C. Störungsbeginn vor dem 18. Lebensjahr D. Die Störung verursacht in klinisch bedeutsamer Weise Leiden oder Beeinträchtigung in sozialen, schulischen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen E. Die Störung tritt nicht ausschließlich im Verlauf einer Tiefgreifenden Entwicklungsstörung, Schizophrenie oder einer anderen psychotischen Störung auf und kann bei Jugendlichen und Erwachsenen nicht durch die Panikstörung oder Agoraphobie besser erklärt werden Zugehörige Merkmale und Störungen Sozialer Rückzug, Apathie, Trauer, Konzentrationsschwierigkeiten, je nach Alter Angst vor Monstern, Tieren, Räubern, Einbrechern, Kidnappern, Autounfällen, Sterben oder Tod etc., Schulschwierigkeiten, ungewöhnliche Wahrnehmungserlebnisse, depressive Verstimmung, Dysthyme Störung oder Major Depression, Entwicklung einer Panikstörung oder Agoraphobie Verlauf Die Störung kann sich nach schwierigen Lebensereignissen entwickeln und kann zwischen dem Vorschulalter bis hin zum 18. Lebensjahr auftreten, selten beginnt die Störung erst mit der Adoleszenz und kann jahrelang anhalten. Phasen der Remession und Verschlimmerung sind charakteristisch. 313.23 (F94.0) Selektiver Mutismus Diagnostische Merkmale A. Andauernde Unfähigkeit, in bestimmten Situationen zu sprechen (in denen das Sprechen erwartet wird z.B. Schule), wobei in anderen Situationen normale Sprechfähigkeit besteht B. Die Störung behindert die schulischen oder beruflichen Leistungen oder die soziale Kommunikation C. Die Störung dauert mindestens einen Monat (und ist nicht auf den ersten Monat nach Schulbeginn beschränkt) D. Die Unfähigkeit zu sprechen ist nicht durch fehlende Kenntnisse der gesprochenen Sprache bedingt, die in der sozialen Situation benötigt wird oder dadurch, dass der Betroffene sich in dieser Sprache nicht wohl fühlt 7 E. Die Störung kann nicht besser durch eine Kommunikationsstörung (z.B. Stottern) erklärt werden und tritt nicht ausschließlich im Verlauf einer tiefgreifenden Entwicklungsstörung, Schizophrenie oder einer anderen psychotischen Störung auf Zugehörige Merkmale und Störungen Übermäßige Schüchternheit, Angst vor Befangenheit in sozialen Situationen, soziale Isolierung, sozialer Rückzug, Anhänglichkeit, zwanghafte Verhaltensweisen, Negativismus, Wutanfälle, kontrollierende und oppositionelle Verhaltensweisen, Beeinträchtigung der sozialen Anpassung und der schulischen Leistungsfähigkeit, begleitende Kommunikationsstörungen, geistige Behinderung, Hospitalisierung, extreme psychosoziale Belastungsfaktoren Verlauf Beginn meist vor dem 5. Lebensjahr, die Störung kann jedoch erst bei der Einschulung klinisch relevant werden. Gewöhnliche Dauer meist nur wenige Monate, jedoch auch länger oder über mehrere Jahre. 313.89 (F94.1/F94.2) Reaktive Bindungsstörung im Säuglingsalter oder in der frühen Kindheit Diagnostische Merkmale A. Eine deutlich gestörte und entwicklungsmäßig inadäquate soziale Bindung, die in den meisten Bereichen auftritt und vor dem 5. Lebensjahr beginnt. Die Störung drückt sich in Punkt (1) oder (2) aus: 1. andauernde Unfähigkeit in entwicklungsmäßig angemessener Weise auf zwischenmenschliche Beziehungen zu reagieren/anzuknüpfen. Diese manifestiert sich durch übermäßig gehemmte, wachsame oder stark ambivalente, widersprüchliche Reaktionen. 2. diffuse Bindungen, die sich durch unkritische Geselligkeit mit einer deutlichen Unfähigkeit, angemessene selektive Bindungen zu zeigen, manifestieren. B. Die im Kriterium A beschriebene Störung ist nicht lediglich auf einen Entwicklungsrückstand zurückzuführen. Sie erfüllt auch nicht die Kriterien einer Tiefgreifenden Entwicklungsstörung. C. Pathologische Fürsorgemerkmale, die durch mindestens einen der folgenden Punkte deutlich werden: · andauernde Missachtung der grundlegenden emotionalen Bedürfnisse des Kindes nach Geborgenheit, Stimulation, Zuneigung, · andauernde Missachtung der grundlegenden körperlichen Bedürfnisse des Kindes · wiederholter Wechsel der wichtigsten Pflegeperson des Kindes, was die Ausbildung stabiler Bindungen verhindert D. Es besteht die Vermutung, dass die in Kriterium C genannten Fürsorgemerkmale für das unter A beschriebene gestörte Verhalten verantwortlich sind. Bestimmung des Typus Gehemmter Typus (F94.1) Kriterium A1 im klinischen Erscheinungsbild vorherrschend Ungehemmter Typus (F94.2) Kriterium A2 im klinischen Erscheinungsbild vorherrschend Zugehörige Merkmale und Störungen Grob pathologische Fürsorgemerkmale führen nicht immer zu einer Reaktiven Bindungsstörung. Die reaktive Bindungsstörung kann mit Fütterstörung im Säuglings- oder Kleinkindalter, Pica, Ruminationsstörung verbunden sein. Verlauf Beginn gewöhnlich in den ersten Lebensjahren, vor dem 5. Lebensjahr. Verlauf variiert in Abhängigkeit von individuellen Faktoren des Kindes und der Pflegepersonen, Schweregrad und Dauer der begleitenden psychosozialen Deprivation und Art der Intervention. Meist kontinuierlicher Verlauf, Verbesserung oder Remission bei angemessen unterstützendem Umfeld. 307.3 (F98.4) Stereotype Bewegungsstörung Diagnostische Merkmale A. Repetitives, scheinbar getriebenes, nicht funktionales motorisches Verhalten B. Das Verhalten behindert deutlich normale Aktivitäten und führt zu selbstzugeführten körperlichen Verletzungen, die medizinische Behandlung benötigen C. Liegt geistige Behinderung vor, ist das stereotype, selbstschädigende Verhalten schwer genug, um einen Schwerpunkt der Behandlung zu bilden D. Das Verhalten kann nicht durch einen Zwang, Tic, Stereotypie als Teil einer Tiefgreifenden Entwicklungsstörung oder durch Haareziehen besser erklärt werden E. Das Verhalten geht nicht auf die direkte körperliche Wirkung einer Substanz oder eines medizinischen Krankheitsfaktors zurück F. Das Verhalten dauert mindestens vier Wochen lang Bestimme den Typus Mit selbstschädigendem Verhalten (F98.41) Verhalten führt zu körperlichen Verletzungen, die spezifischer Behandlung benötigen Zugehörige Merkmale und Störungen Geistige Behinderung, sensorische Defizite, Schnitte, Kratzer, rektale Fissuren, chronische Hautreizungen, Schwielen durch Beißen, Quetschen, Kratzen oder Verschmieren von Speichel Verlauf Kein typisches Alter bei Beginn der Störung sowie kein typisches Muster bei Störungsbeginn. Stereotype Bewegungen können in der Adoleszenz gehäuft auftreten, danach langsam zurück gehen. Bei Schwerer/Schwerster Geistiger Behinderung können die Bewegungen jahrelang anhalten, die betroffenen Verhaltensweisen wechseln häufig. 313.9 (F98.9) Nicht Näher Bezeichnete Störung im Kleinkindalter, in der Kindheit oder Adoleszenz Restkategorie für Störungen mit Beginn im Kleinkindalter, in der Kindheit oder Adoleszenz, die nicht die Kriterien einer spezifischen Störung dieser Klassifikation erfüllen. Stephanie Leupold, Anja Weber 8 Delir, Demenz, amnestische und andere kognitive Störungen Delir Def. nach Möller: "Delir ist eine Veränderung des Zentralnervensystems. Es ist charakterisiert durch einen akuten Beginn und Fluktuieren der Störungen der geistigen Fähigkeiten, der Psychomotorik, der Affektivität und der Bewußtseinslage. Es ist gewöhnlich vorübergehend und reversibel, wenn die Ursache beendet und behandelt ist." Epidemiologie: 10% aller stationären Patienten über 65 30% der Patienten auf Intensivstationen Risiko für alte Menschen höher Kinder in Fieberzuständen Verlauf: Entwickelt sich innerhalb weniger Tage oder Stunden reversibel, wenn Ursache behoben Bei gleichzeitig bestehender Demenz können Symptome mehrere Wochen bestehen Differentialdiagnose Abgrenzung zu Demenz: zusätzlich Bewußtseinstrübung. Abgrenzung zu kurzer psychotische Störung: Psychotische Patienten verfügen über intakte Gedächtnisfunktionen und volle Orientiertheit. Unterscheidung der verschiedenen Formen aufgrund der Ätiologie. A) 293.0 (F05) Delir Aufgrund eines Medizinischen Krankheitsfaktors Diagnostische Merkmale - zu A. Bewußtseinsstörung quantitative Änderung der Bewußtseinshelligkeit (Koma, Dämmerzustand) quantitative Änderung des Bewußtseins (Einengung des Bewußtseins im Affekt) - zu B. Veränderung der kognitiven Funktion Gächtnisbeeinträchtigung, im Kurzzeitgedächtnis Überprüfung durch Gedächtnistest (Gegenstände merken) Sprachliche Auffälligkeiten, beeinträchtigte Fähigkeit zur Objektbenennung (Dysnomie), beeinträchtigte Fähigkeit zu schreiben (Dysgraphie) Sprache inhaltsarm, zerfahren, Springen von Thema zu Thema Desorientiertheit, mangelnde Orientierung zu Ort und Zeit, zur Person bleibt Orientierung normal. Wahrnehmungsstörungen, Fehlinterpretationen, Illusionen, Halluzinationen d.h. wahnhafte Ausgestaltung realer Erfahrungen - zu C. Fluktuation im Tagesablauf z.B. morgens geordnet kooperativ, nachts z.B. nicht davon abzubringen, nach Hause zu gehen zu den Eltern, die bereits seit Jahren tot sind. - zu D. Medizinischer Krankheitsfaktor Mögliche med. Ursachen für Delir nachweisen werden: körperliche Untersuchungen (Tremor, erweiterte Pupillen, abnormes EEG und Laborbefunde) ergeben Hinweise auf: Systemische Infektionen Stoffwechselerkrankungen Flüssigkeits- oder Elektrolytentgleisung Leber-Nierenerkrankung Thiaminmangel Postoperative Störung (Schmerzen, Angst) Zugehörige Merkmale und Störungen Schlaf-Wach-Rhythmus gestört. Psychomotorische Auffälligkeit 9 Affektive Störungsbilder Vegetative Reaktionen Therapie Selbst- und Fremdverletzungsgefahr (aufgrund affektiver Störung) fordern eine stationäre Aufnahme, auch Hilfe bei Pflege und Ernährung erforderlich. Pharmakotherapie Agitierte, unruhige oder furchtsame Patienten werden häufig mit Haldol behandelt. Schlaflosigkeit wird mit Distraneurin bekämpft. B) Substanzinduziertes Delir Diagnostische Kriterien Kriterien A bis C siehe Delir Aufgrund eines Medizinischen Krankheitsfaktors. Zusätzlich gilt als Faktor D: Es gibt Hinweise aus Anamnese, körperlichem Befund oder Laborbefunden, auf eine Substanzintoxikation oder einen Substanzentzug, Medikamentennebenwirkungen, oder eine Exposition gegenüber einem Toxin, die als ursächlich für das Delir eingeschätzt werden. während einer Substanzintoxikation: Substanzintoxikationsdelir. Spezifische Substanzen die zu einem Substanzinduzierten Delir führen: 291. 0 Alkohol; 292.81 Amphetamin; 292.81 Cannabis; 292.81 Kokain; 292.81 Halluzinogene; 292.81 Opiate; 292.81 Sedativum; 292.81 Andere Substanzen z.b. Digitalis (genaue Auflistung DSM IV Seite 172) Delir während eines Substanzentzugs: Substanzentzugsdelir (es gelten die gleichen Codierungsregeln) Delir, das mit einer Medikamentennebenwirkung oder Exposition gegenüber einem Toxin in Verbindung steht:substanzinduziertes Delir C) Delir Aufgrund Multipler Ätiologien Wenn einem Delir mehr als nur eine Ursache zugrunde liegt. Beispiel kombinierte Wirkung eines medizinischen Krankheitsfaktios und einer Substanz (z.B. Schädel-Hirn-Trauma + Alkoholentzug). Demenz Allgemeines: Bei einer Demenz werden verschiedene kognitive Defizite entwickelt, wobei eine Gedächtnisstörung und mindestens eine weitere kognitive Einbuße bestehen muß, wie Aphasie (Störung des Sprechvermögens und/oder Sprachverständnisses), Apraxie (Störung bei der Ausführung sinnvoller und zweckentsprechender Bewegungen), Agnosie (Unfähigkeit, Sinnenswahrnehmungen als solche zu erkennen, trotz erhaltener Funktionstüchtigkeit des betreffenden Sinnesorgans) oder eine Beeinträchtigung der Exekutivfunktionen (handlungsassoziierte Fähigkeiten wie Handlungsplanung, Antrieb, Aufmerksamkeit und Flexibilität). Die Defizite müssen eine Verschlechterung gegenüber einem früheren Zustand darstellen (Abgrenzung zu geistiger Behinderung) und so schwer sein, daß sie eine Beeinträchtigung des beruflichen und sozialen Leistungsniveaus bedeuten. Ätiologie und Verlauf: Ursache ist entweder ein medizinischer Krankheitsfaktor (auch wenn die Ursache nicht bekannt ist) oder eine Substanz (Droge, Medikament oder Toxin) oder eine Kombination. Im DSM-III-R wurde diese Klassifizierung als "Organisch bedingte psychische Syndrome und Störungen" bezeichnet. Dieser Begriff wird nicht mehr verwendet, da er impliziert, daß nicht-organische psychische Störungen keine biologische Grundlage hätten. Früher implizierte der Begriff Demenz eine fortlaufend sich verschlechternde Entwicklung. Im DSM-IV wird von einer Prognose abgesehen. Die Klassifikation wird deskriptiv anhand der auffallenden Symptome vorgenommen. Demenz kann grundsätzlich in jedem Lebensalter auftreten (je nach Ursache - auch bei Kindern), die Prävalenz einer Demenz nimmt jedoch mit steigendem Alter zu, besonders nach dem 75. Lebensjahr. Eine Demenz ist jedoch nicht mit einem normalen Alterungsprozeß zu verwechseln. (Die Symptome einer Demenz gehen über den normalen kognitiven Abbau weit hinaus!) Differentialdiagnose: 10 Delir - Bewußtseinsstörungen im Vordergrund, akut. (Delir und Demenz können auch gemeinsam diagnostiziert werden, wenn die Demenz auch in Zeiten vorhanden ist, in denen kein Delir besteht.) / "Pseudo-Demenz" - Kognitive Störungen im Zusammenhang mit einer Depression (Pathogenese betrachten!) Kriterien für Demenz nach DSM-IV: Kriterium A1 - Gedächtnisstörungen Gedächtnisstörungen sind ein Frühsymptom, wobei entweder Beeinträchtigungen beim Lernen von etwas Neuem oder beim Abruf gespeicherter Erinnerungen bestehen können. Meist ist beides betroffen. Häufig verlieren die Betroffenen Dinge (wie Schlüssel, Brieftaschen etc.), vergessen Speisen auf dem Herd oder verlaufen sich. In fortgeschrittenen Stadien vergessen die Erkrankten u.U. sogar ihren Beruf, Geburtstag, Familienmitglieder oder ihren eigenen Namen. Kriterium A2a - Aphasie Unter aphasichen Symptomen versteht man Störungen beim Benennen von Personen und Objekten, der Spontansprache (Phonologie und Semantik), dem Nachsprechen sowie dem Sprachverständnis. In fortgeschrittenen Stadien der Demenz hören die Personen u.U. ganz auf zu sprechen oder sie zeigen Echolalie (nachsprechen, was gehört wird) oder Palilalie (ständiges Wiederholen von Klängen und Worten). Kriterium A2b - Apraxie Hier ist die Fähigkeit zur Ausführung motorischer Fähigkeiten beeinträchtigt, obwohl die Motorik, Sensorik und das Aufgabenverständnis funktionieren. Beispielsweise können die Betroffenen einfache Alltagsaufgaben nicht mehr selbständig ausführen, wie Kaffee kochen oder sich anziehen. Kriterium A2c - Agnosie Unter visueller Objektagnosie versteht man die Tatsache, daß ein Patient trotz erhaltener Sehschärfe ein Objekt, z.B. einen Stuhl, als solches nicht mehr identifizieren kann. Bei einer Prosopagnosie ist speziell die Fähigkeit zum Erkennen von Gesichtern gestört. Unter Umständen erkennt der Patient seine eigenen Familienmitglieder oder sich selbst im Spiegel nicht mehr. Die Unfähigkeit, vertraute Objekte zu erkennen, kann auch andere Sinne, vor allem den akustischen oder taktilen Sinn betreffen. Kriterium A2d - Beeinträchtigungen der Exekutivfunktionen Häufig sind auch die Exekutivfunktionen, d.h. handlungsassoziierte Fähigkeiten wie abstraktes Denken, Handlungsplanung und -aufrechterhaltung, Antrieb, Aufmerksamkeit und Flexibilität, beeinträchtigt. Anatomisch scheinen diese Funktionen mit dem Frontallappen und assoziierten subkortikalen Verbindungen in Zusammenhang zu stehen, da man bei Schädigung dieser Gebiete häufig Beeinträchtigungen der Exekutivfunktionen findet. Betroffene haben Probleme, mit neuen Aufgaben und Situationen fertigzuwerden und meiden diese im allgemeinen. Kriterium B Alle genannten Symptome müssen schwer genug sein, um Beeinträchtigungen der sozialen und beruflichen Leistungsfähigkeit zu verursachen und eine Verschlechterung gegenüber einem früheren Leistungsniveau bedeuten. Zugehörige Merkmale und psychische Störungen: Über die genannten Kriterien hinausgehend findet man bei dementen Patienten häufig folgende Symptome: räumliche Desorientierung Beeinrächtigung visuell-räumlicher Funktionen Beeinträchtigung des Urteilsvermögens und der Einsichtsfähigkeit (z.B. Unterschätzung der eigenen Störungen, Unterschätzung von Risiken) suizidale Handlungen motorische Gangstörung enthemmtes Verhalten Vernachlässigung der Körperpflege Mißachten von sozialen Konventionen (z.B. übermäßige Vertraulichkeit gegenüber Fremden) Störungen der Sprachmotorik affektive Störungen (depressive Verstimmung) gestörter Schlaf Halluzinationen 11 Diagnostik: Neuropsychologische Gedächtnistests: Lernen neuer Informationen, deren Abruf (u.u. mit Hinweisreizen - "cues") und Wiedererkennen / Material: Listen von Wörtern, Langzeitgedächtnis: Fragen nach persönlichen Daten oder Ereignissen, die die Person interessiert haben. Befragen der Person sowie von Angehörigen etc.(Schwere der Beeinträchtigung im Alltag). Sprachfunktionen: ebenfalls mit Hilfe standardisierter Tests (z.B. des AAT - Aachener Aphasie Test, Huber et al. 1983) oder durch einfache Bitte um Benennen (z.B. von Dingen im Raum), Nachsprechen sowie dem Befolgen von Aufforderungen (Sprachverständnis). Befolgen motorischer Aufgaben (z.B. so tun, als ob man die Haare kämmen würde) oder die Aufforderung zum Abzeichnen von Bildern - zur Diagnose einer Apraxie. Apraxietests verwenden häufig Bauklötze oder Streichhölzer, die der Patient in bestimmter Weise zusammenlegen soll. Agnostische Defizite zeigen sich beim Anschauen und Betasten von Alltagsgegenständen (z.B. Schlüsselbund, Stift etc.). Exekutivfunktionen: verschiedene Aufgaben, die auch in Intelligenztests auftauchen (z.B. Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen Wörtern finden oder Subtraktionsaufgaben ausführen u.v.m.), Befragungen über Beeinträchtigungen im Alltag sind hier besonders wichtig. Beispiel für standardisierte Tests (Diagnostik und Verlaufskontrolle): Mini Mental Status nach Folstein et al., ADL-(Activities of Daily Living-)Skala nach Katz, Barthel-Index. Befunde: Auffälligkeiten in neuropsychologischen Tests von Kognition und Gedächtnis häufig in Computertomographie oder Kernspintomographie sichtbare Veränderung der Hirnsubstanz. sichtbare Auffälligkeiten in funktionellen bildgebenden Verfahren (PET, SPECT, funktionelle Kernspintomographie) Klassifizierung der Demenz nach der zugrundeliegenden Erkrankung: (Demenz bezeichnet streng genommen selbst keine Krankheitsform sondern einen hirnorganisch bedingten pathologischen Abbau kognitiver Leistungen infolge ätiologisch unterschiedlicher Krankheiten.) Demenz vom Alzheimer-Typ (290.11, .12, .13, .10, .3, .20, .21, .0) primär generative Demenz, genetische Mitbedingtheit, entzündliche Prozesse, oxidative Prozesse (freie Radikale), cholinerges System betroffen (Cholinesterase-Hemmer zur Therapie) Vaskuläre Demenz (290.4) Multiinfarktdemenz, subcortikale arteriosklerotische Enzephalopathie (SAE), Schädigung von Hirngewebe durch Hypoxie (unzureichende Durchblutung) Demenz Aufgrund anderer Medizinischer Krankheitsfaktoren HIV-Erkrankung (immunologisch-entzündliche Veränderungen) (294.3) Schädel-Hirn-Trauma (Unfälle, äußere Einwirkungen) (294.1) Parkinsonsche Erkrankung (primär degenerativ, Dopamin-Mangel, Zelluntergang Substantia nigra = Teil der Basalganglien, motorische Symptomatik) (294.1) Huntingtonsche Erkrankung (primär degenerativ, genetische Verursachung bekannt, Striatum, extrapyramidal-motorische Störungen) (294.1) Picksche Erkrankung (primär degenerativ, v.a. Temporallappen, dann frontal, parietal, Persönlichkeitsveränderung, Enthemmung) (290.10) Creutzfeld-Jakobsche Erkrankung (spongiöse = schwammig-veränderte Hirnsubstanz, veränderte Eiweiße: "Prionen", infektiös, vgl. BSE) (290.10) andere medizinische Krankheitsfaktoren (Hydrocephalus, Stoffwechselstörungen, Tumore, entzündliche Erkrankungen) (294.1) Persistierende Substanzinduzierte Demenz (z.B. durch Drogen, Medikamente oder Exposition gegenüber einem Toxin) Demenz Aufgrund Multipler Ätiologien Nicht Näher Bezeichnete Demenz (294.8) (bei unklarer Ätiologie) Epidemiologie: ca. 1,2 bis 1,4 Mio. Demenzkranke und BRD (1995), Gesamt-Inzidenz bei über 65jährigen bei etwa 6%, ca. 100.000 Neuerkrankungen pro Jahr, Zusammenhang zwischen Lebensalter und Auftreten der Demenz, Frauen: größeres Risiko für Alzheimer - Männer: eher vaskuläre Demenzen (die beiden häufigsten Demenztypen mit zusammen 90% der Demenzen), 12 Lebenserwartung des Dementen beträgt nur zwischen 30% und 70% der altersüblichen Lebenserwartung, Demenz ist Hauptursache für Heimunterbringung Therapie: Arzneimitteltherapie (Nootropika, Cholinesterase-Hemmer bei Alzheimer, Salicylsäure bei vaskulärer Demenz, Behandlung von Depression und Schlafstörungen), aktivierende Betreuung, körperliches Training, Selbsthilfetraining, Ernährungsberatung, soziale Maßnahmen, Angehörigenberatung, Hirnfunktionstraining (Gedächtnis, Konzentration, Wortfindung, Merkfähigkeit, Realitätsorientierung, Wahrnehmungstraining etc.), Haustiere (!) Amnestische Störung Def: Gedächtnisstörung, die zurückgeht auf eine direkte körperliche Folge eines medizinischen Krankheitsfaktors oder auf die anhaltende Wirkung einer Substanz. Epidemiologie 3,4/ 100/Jahr Inzidenz Keine genauen Daten, da die Amnestische Störung bei einer Reihe von Erkrankungen auftreten kann. Verlauf Abhängig von Ätiologie der Störung, akuter Beginn: z.B. bei Schädel-Hirn-Trauma, Schlaganfall oder anderem zerebrovaskulären Ereignis, schleichender Beginn: bei chronischen neurotoxischen Einwirkungen oder Ernährungsmangel. Rückgang der Symptomatik: je nach Schädigung. Differentialdiagnose Die Gedächtnisbeeinträchtigung ist gemeinsames Merkmal von Amnestischer Störung, Delir und Demenz Amnestische Störung: keine Bewußtseinstrübung (Delir) oder kognitive Störung (Demenz). 294.0 (F04) Amnestische Störung Aufgrund eines Medizinischen Krankheitsfaktiors - zu A. Fähigkeit neue Information aufzunehmen Anterograde Amnesie (vom Zeitpunkt der Schädigung an keine neue Information mehr aufnehmbar) Retrograde Amnesie (Ereignisse vor der Schädigung können nicht mehr komplett erinnert werden) - zu D. Zusätzlicher Med. Krankheitsfaktor nachweisen: Amnestische Störung muß mit Med. Krankheitsfaktor ursächlich mittels physiologischen Wirkmechanismen zusammenhängen. Aufzählung möglicher Med. Krankheitsfaktoren: Schädel-Hirn -Trauma Tumor Chirurgische Eingriffe (Sauerstoffmangel durch Herzstillstand, zerebrale Durchblutungsstörung, Arterienverschluss insbesondere der Arteria cerebri posterior) Schlaganfall Infektionen (z.B. Herpes simplex) Epilepsie (umstritten) All diese pathogenen Prozesse können zu Amnesie führen wenn sie folgende Hirnstrukturen schädigen: Diencephalischen und mediotemporalen Lappen (Thalamus, Hypothalamus, Basalganglien) Limbisches System (Hypocampus Fornix) Persistierende Substanzinduzierte Amnestische Störung Kriterien Für die Kriterien A und B gelten dieselben Diagnosekriterien wie für die Amnestische Störung aufgrund eines Med. Krankheitsfaktors. Für die Kriterien C und D gilt folgendes: 13 Kriterium C: Die Gedächtnisstörung tritt nicht ausschließlich im Verlauf eins Delirs oder einer Demenz auf und hält über die übliche Dauer einer Intoxikation oder eines Entzugs hinaus an. Kriterium D: Es gibt Hinweise aus der Krankengeschichte, der körperlichen Untersuchung und aus Laboruntersuchungen, daß die Gedächtnisstörung in ätiologischem Zusammenhang mit den andauernden Folgen einer Substanz steht. "Persistierend" = über den Zeitraum der Substanzintoxikation hinaus Spezifische Substanzen Alkohol Korsakow-Syndrom bzw. Persistierende Alkoholinduzierte Amnestische Störung (1887 von Korsakow beschrieben) Auftreten bei chronischem Alkoholikern Entsteht infolge eines Thiaminmangels (zu wenig Vitamin B1 aufgrund der toxischen Einflüsse des Alkohols und der häufig bei Alkoholikern vorliegenden Fehlernährung) Benzodiazepine GABAerge Wirkung im ZNS (wahrscheinlich entscheidend für die Speicherung von neuer Information). Therapie Verhaltensregel: Die Umgebung so gestalten daß viele Orientierungshilfen vorhanden sind, z.B. große Uhren und Kalender - Fragen beantworten, Umgebungswechsel und Veränderung vermeiden. Medikamentöse Behandlung Korsakow-Syndrom aufgrund eines Thiaminmangels: Gabe von Vitamin B1 Unruhe (häufig als Begleitsymptom): sedierende Neuroleptika Gedächtnisschulung ( z.B. Hilfestellung beim Abruf durch Priming) - Wirkung umstritten - prozedurale Gedächtnisinhalte leichter trainierbar 294.8 (R41.3) Nicht Näher bezeichnete Amnestische Störung Ätiologie unklar. 294.9 (F06.7) Nicht näher bezeichnete Kognitive Störung Charakterisiert durch eine kognitive Funktionsstörung aufgrund eines medizinischen Krankheitsfaktors. Das Krankheitsbild erfüllt jedoch nicht die spezifischen Kriterien, die für Delir, Demenz oder die Amnestischen Störungen angenommen werden. Borbala Balazs, Michael Blum-Kalagin, Monica Schuster PSYCHISCHE STÖRUNGEN AUFGRUND EINES MEDIZINISCHEN KRANKHEITSFAKTORS Hauptmerkmal: Vorhandensein von psychischen Symptomen, die im Unterschied zu primären psychischen und substanzinduzierten Störungen die direkte Folge eines medizinischen Krankheitsfaktors sind WICHTIG: Störungen aufgrund eines medizinischen Krankheitsfaktors (=MKF) sind bei der Differentialdiagnose immer zu berücksichtigen, da sie oft sehr ähnliche Symptome hervorrufen, die irrtümlicherweise als Zeichen einer primären psychischen Störung interpretiert werden können. Störungen, die aufgrund eines MKF verursacht werden können (deshalb Achtung bei der Differentialdiagnose!): Delir Demenz 14 Amnestische Störung Psychotische Störung Affektive Störung Angststörung Sexuelle Funktionsstörung Schlafstörung Diagnostische Merkmale für eine psychische Störung aufgrund eines medizinischen Krankheitsfaktors Diagnostische Kriterien: I. Es gibt deutliche Hinweise aus Anamnese, körperliche Untersuchung oder Laborbefunden dafür, daß die Störung die direkte Folge eines MKF ist. Zwei getrennte Beurteilungen notwendig: 1. Vorliegen eines MKF 2. Psychische Störung hat einen ätiologischen Zusammenhang mit diesem MKF Wichtige Überlegungen: Zeitliche Beziehung zwischen Beginn, Exazerbation oder Remission des MKF und denen der psychischen Störung (z.B. Symptome verschwinden, nach der erfolgreichen Behandlung des MKF) Leider: Zahlreiche Ausnahmen: z.B. Psychotische Störung aufgrund einer Epilepsie erst viele Jahre nach den ersten Anfällen, ODER: depressive Stimmung als erste Manifestation von Chorea Huntington mehrere Monate vor dem Auftritt der für Chorea typischen Bewegungsstörungen; ODER: Depression bei Epilepsie verschwindet infolge einer symptomatischen Behandlung, obwohl die Epilepsie selber weiterhin besteht Vorhandensein von Merkmalen, die untypisch für die primäre Störung sind (z.B. untypisches Alter bei Beginn oder im Verlauf, siehe dazu: erstmaliges Auftreten von schizophrenieartigen Symptomen bei einer 75jährigen Person); ungewöhnliche Begleitmerkmale (z.B. visuelle oder taktile Halluzinationen bei einer Episode ähnlich einer Major Depression); im Hinblick auf die Gesamtsymptomatik unverhältnismäßig schwere diagnostische Merkmale (z.B. Gewichtsverlust von 25 kg bei einer Person mit sonst nur mäßigen depressiven Symptomen bedeutsame kognitive Defizite, die unverhältnismäßig sind im Vergleich zu denen, die man typischerweise bei der primären psychischen Störung findet Hinweise aus der Literatur, aber nur mit Vorsicht genießen, da man immer den Einzelfall zu beurteilen hat II. Die Störung kann nicht durch eine andere psychische Störung besser erklärt werden Notwendig: Ausschließen von primären und substanzinduzierten psychischen Störungen. Problem: Oft kein direkter physiologischer Zusammenhang zwischen MKF und psychischer Störung, sondern zahlreiche andere mögliche Beziehungen (z.B. MKF führt zur Verschlimmerung der Symptomen oder kompliziert die Behandlung der psychischen Störung oder zufälliges beidseitiges Auftreten).Wenn z.B.Depression vorliegt wegen einer Krankheit, die starke psychosoziale Belastungen und beeinträchtigungen impliziert, aber nicht auf die direkte Wirkung des MKFs zurückgeht, dann sollte keine psychische Störung aufgrund eines MKF diagnostiziert werden III. Die Störung tritt nicht ausschließlich im Verlauf eines Delirs auf Wenn Symptome (z.B. psychotische, affektive, Angst-) nur im Verlauf eines Delirs auftreten, werden diese als zugehörige Merkmale des Delirs angesehen und rechtfertigen keine gesonderte Diagnose. Codierungsregeln Sowohl die Art der psychischen Störung als auch der zugrundeliegende MKF ist auf Achse I zu codieren. (z.B. Affektive Störung aufgrund einer Hypothyreose, mit depressiven Merkmalen) Gleichzeitige Codierung des MKF nach ICD-Code auf Achse III Wenn kein physiologischer Zusammenhang zwischen MKF und psychischer Störung: Codierung der psychischen Störung auf Achse I und des MKF auf Achse III Delir aufgrund eines medizinischen Krankheitsfaktors 15 Keine klaren Regeln, aber folgende Überlegungen sind hilfreich: 1. Zeitliche Beziehung zw. Beginn, Verschlechterung oder Remission des MKF und dem Delir. 2. Hinweise aus der Literatur 3. Ausschließen von primärer psychischen Störung und substanzinduzierter Störung Körperliche Befunde: bei systemischen Erkrankungen finden sich üblicherweise keine fokalen neurologischen Zeichen unterschiedliche Formen eines Tremors (z.B. flapping tremor) Zeichen vegetativer Hyperaktivität (z.B. Tachykardie, Schwitzen, Gesichtsrötung, erweiterte Pupillen und Blutdruck) meist abnorme EEG, das entweder eine generalisierte Verlangsamung oder schnelle Aktivität zeigt MKFen, die ein Delir verursachen können sind unter anderem: Systemische Infektionen, Stoffwechselerkrankungen (z.B. Hypoxie, Hyperkapnie, Hypoglykämie), Flüssigkeits- oder Elektrolytentgleisungen, Leber- oder Nierenerkrankungen, Thiaminmangel, postoperative Störungen, Hypertensive Enzephalopathie, postikterische Zustände und Folgen eines Schädel-Hirn-Traumas, sowie spezifische fokale Läsionen des rechten Parietallappens und der inferiomedialen Oberfläche des Okzipitallappens. Demenz aufgrund eines medizinischen Krankheitsfaktors Diagnostische Kriterien für Demenz vom Alzheimer Typ: A. Entwicklung multipler kognitiven Defizite, die sich zeigen in: (1) einer Gedächtnisbeeinträchtigung (2) mindestens einer der folgenden kognitiven Störungen: a) Aphasie b) Apraxie c) Agnosie d) Störung der Exekutivfunktionen B. Obige Defizite führen zu bedeutsamen Beeinträchtigungen in sozialen oder beruflichen Funktionsbereichen; deutliche Leistungsverschlechterung C. Schleichender Beginn und fortgesetzter kognitiver Abbau sind für den Verlauf charakteristisch D. Auszuschließen sind: andere Erkrankungen des Zentralnervensystems (z.B. Parkinson, Chorea Huntington, Hirntumor usw.); systemische Erkrankungen (z.B. HIV, Hypothyreose, Vitamin B12-Mangel usw.) E. Auftritt der Defizite nicht ausschließlich während eines Delirs F. Die Störung kann nicht durch eine andere Störung auf Achse I (z.B. Major Depression) besser erklärt werden. Subtypen: 1.) Mit frühem Beginn (vor dem 65. Lebensjahr): Mit Delir; Mit Wahn; Mit Depressiver Verstimmung; Unkompliziert 2.) Mit spätem Beginn (nach dem 65. Lebensjahr). Mit Delir; Mit Wahn; Mit Depressiver Verstimmung; Unkompliziert Mögliche Zusatzkodierung: Mit Verhaltensstörung Prävalenz: 2 % bis 4% der Bevölkerung über 65 Jahren. Zugehörige Beschreibungsmerkmale und psychische Störungen (im allgemeinen siehe die Merkmale von Demenz): Erhöhte Prävalenz bei Down-Syndrom und Schädel-Hirn Trauma in der Vorgeschichte Zugehörige Laborbefunde: Bei der Mehrheit der Patienten: Hirnatrophie: kortikale Windungsfurchen abnorm weit und cerebrale Ventrikel abnorm breit. Nachweis durch CT oder Kernspintomographie. Nach dem Tod weisen mikroskopische Untersuchungen verschiedene weitere Anomalien nach. Zugehörige körperliche Untersuchungsbefunde und MKFen: Im ersten Jahr nur wenige motorische und sensorische Auffäligkeiten. Im späteren Verlauf möglich: Myoclonus und Gangstörungen. In 10 % der Fälle: Krampfanfälle. 16 Katatone Störung aufgrund einer hepatischen Enzephalopathie 293.89 (F06.1) Der Krankheitsfaktor Hepatische Enzephalopathie kommt vor bei Patienten mit schwerer Leberinsuffizienz (z.B. Hepatitis, Zirrhose, Leberkarzinom). Die toxischen Stoffe, die von der Leber nicht umgesetzt worden sind, gelangen in das Gehirn, wo sie neuronale Membranen und Synapsen zerstören. Die Schwere und das Ausmaß der Symptome können stark schwanken, je nach Ausmaß der Leberinsuffizienz. So können die Patienten folgende Symptome aufweisen: Stupor, Apathie, eindeutige Persönlichkeitsveränderung, unangemessenes Verhalten, Verwirrung oder massive Desorientiertheit. Diagnostische Merkmale (Kriterium A) Der Stupor ist ein Zustand von Bewegungs- und Regungslosigkeit, in dem der Kranke bei klarem Bewußtsein auf äußere Reize nicht reagiert, nicht spricht (Mutismus), nicht ißt, nicht trinkt und Aufforderungen nicht befolgt, obwohl er sieht, hört, versteht und alle Vorgänge der Umgebung registriert. Ein im Stupor eingeschlossenes Verhalten ist der Negativismus. Der Negativismus ist ein Wiederstreben gegen jede äußere Einwirkung oder auch gegenüber den eigenen Intentionen. Andere Symptome der Katatonie, die bei organischen Störungen nur selten vorkommen, sind: Katalepsie, wächserne Biegsamkeit und Haltungsstereotypien. Therapie Behandlung des Krankheitsfaktors ist entscheidend. Es gibt auch eine Therapie des Stupors und der Erregungszustände unabhängig von der Differentialdiagnose. Andere medizinische Krankheitsfaktoren Tumoren, Schädel-Hirn-Traumen, Cerebrovaskuläre Erkrankungen, diabetische Ketoazidose, Hypercalcämie u.s.w. Im Rahmen dieser Krankheiten können sich die katatonen Störungen im Form von Stupor, in Erregungszuständen oder wechselnd zwischen diesen beiden Zuständen äußern. Im katatonen Erregungszustand haben die Kranken einen sinn- und zwecklosen Bewegungsdrang, sind psychomotorisch und sprachlich unruhig, sie heulen, schreien und schimpfen, zerreißen Kleidern und Bettwäsche, begehen fremd- und autoaggressiven Handlungen. Amnestische Störung aufgrund einer Herpesenzephalitis 294.0 (F04) Der Krankheitsfaktor Die Herpes-simplex-Virus-Enzephalitis kann ausgedehnte Läsionen verursachen. Die zur Amnesie führenden bilateralen Läsionen betreffen hauptsächlich die Strukturen des Hippocampus, Gyrus parahippocampalis, Corpus amygdaloideum, Fornix, Gyrus cinguli, Cortex frontalis medialis, Area septalis. Zusätzlich können auch Schädigungen des Thalamus und der Corpora mamillaria sowie neokortikaler Gebiete bestehen. Symptome: Amnesie, Fieber, Kopfschmerzen, Sprachstörungen. Diagnostische Merkmale (Kriterium A) Das amnestische Syndrom nach Herpesenzephalitis ist meist durch das gleichzeitige Vorliegen einer schweren anterograden und ausgedehnten retrograden Gedächtnisstörung gekennzeichnet. Die anterograde Gedächtnisstörung ist bei diesen Patienten durch eine völlige Unfähigkeit zur längerfristigen Speicherung von Informationen gekennzeichnet, obwohl die Kapazität des Kurzzeitgedächtnisses für verbales Material normal ist. Die retrograde Amnesie besteht bei Herpesenzephalitis fast immer im Störungen des episodischen Altgedächtnisses. Manchmal kommt es vor, daß die Kranken sich zwar an physische und psychische Eigenschaften von berühmten Personen, von Freunden oder Bekannten erinnern, sie können aber diese Personen nicht in einem Kontext von Ereignissen einbetten. Therapie 17 Behandlung der Herpesenzephalitis. Die bisherigen Therapiemethoden verbessern nur die anterograde Amnesie. Andere medizinische Krankheitsfaktoren Penetrierende Schußverletzungen, chirurgische Eingriffe, Hypoxie. Persönlichkeitsveränderung aufgrund eines Schlaganfalls 310.1 (F07.0) Der Krankheitsfaktor Neglectphänomene treten besonders bei rechtshirnigen Läsionen auf, insbesondere nach einem Schlaganfall. (Hirninfarkt, Hirnblutung ). Eine große Bedeutung kommt dabei einer Schädigung des Parietallappens in der Umgebung des Sulcus intraparietalis zu. Aber auch bei Schädigungen des Putamens, Nucleus caudatus, Thalamus und präfrontalen Kortex können Neglectphänomene auftreten. Diagnostische Merkmale (Kriterium A) Neglect ist eine Verhaltensstörung, die vor allem durch das Nichtbeachten von Reizen auf der zur Läsion kontralateralen Seite charakterisiert ist. Störungen im visuellen, taktilen, auditiven und motorischen Bereich können auftreten. Die Vernachlässigung ist häufig in mehreren Modalitäten gleichzeitig ausgeprägt. Das Ausmaß der resultierenden Vernachlässigung von kontralateral lokalisierten Reizen variiert mit dem Schweregrad und dem Stadium der Symptomatik. Therapie Die therapeutischen Methoden basieren auf Übungen, die von Patienten eine vermehrte und aktive Hinwendung ihrer Aufmerksamkeit zur kontraläsionalen Seite verlangen. Die akute Symptomatik des Neglects bildet sich über einige Wochen deutlich zurück. Residualzustände eines Neglects können jedoch selbst Monate oder Jahre nach einer Hirnschädigung bestehen ( z.B. Extinktionphänomene ). Schlafstörung aufgrund eines medizinischen Krankheitsfaktors 780.xx (G47.x) Chorea Huntington Unwillkürliche Bewegungen der Beine können das Einschlafen verhindern oder - unter Umständen sehr unangenehme - Weckreize darstellen. Das können stereotype, nicht beherrschbare rhytmische oder periodische Zuckungen der Beinmuskulatur sein (nächtliche Myoklonien), nächtliche Krämpfe oder ein unangenehmes Kribbeln, das seinerseits häufig mit Myoklonien verbunden ist. Als Folge kommt es zur verlängerten Schlaftendenzen und erhöhter nächtlicher Wachzeit. Enzephalitis Im akuten Stadium ist die zum Teil extreme Beeinträchtigung der Schlaf-Wach-Regulation nicht nur eine Begleiterscheinung, sondern eines der Hauptsymptome. Für gewöhnlich geht die Schlafstörung mit der Gesundung zurück, sie kann aber auch als Folge der Enzephalitis lange persistieren. Symptome: schwere Insomnien nachts, Somnolenz und Hypersomnie tagsüber bis zur vollständigen Umkehr des Schlaf-Wach-Rhythmus. Fibrositis -Syndrom (chronische Muskelschmerzen) Patienten mit Fibrositis-Syndrom verbringen einen außergewöhnlich hohen Anteil ihres NREM-Schlafes im Alpha-Stadium, und zwar bis zu 50%. Sie sind also strenggenommen kortikal wach. Sie klagen nicht über ungewöhnlich lange Wachzeiten, sondern über Müdigkeit tagsüber. Angststörungen aufgrund eines medizinischen Krankheitsfaktors 293.89 (F06.4) Diagnostische Merkmale: Kriterium A: Ausgeprägte Angst, Panikattacken oder Zwangshandlungen, die im Vordergrund des klin. Beschwerdebildes stehen. 18 Zusätzlich ist zu bestimmen, ob vorherrschen: o o o Generalisierte Angst: Übermäßige Angst oder Sorge über eine Reihe von Ereignissen oder Tätigkeiten. Panikattacken. Zwangssymptome: Zwangsgedanken, Zwangshandlungen. Mögliche Krankheitsfaktoren: Endokrine Krankheiten (z.B. Hyper-/Hypothyreose, Phäochromozytom, Hypoglycämie, Nebennierenrindenüberfunktion), kardiovaskuläre Krankheiten (Herzfehler, Lungenembolie, Arhythmien), Atemwegserkankungen (Asthma, Lungenentzündung, Hyperventilation), Stoffwechselerkrankungen (B-12-Mangel, Porphyrie), neurologische Erkrankungen (Neoplasmen, vestibuläres Syndrom, Encephalitis). Beispiel: Hyperthyreose Symptomatik: Augensymptome (Exophtalmus), Struma, Tachycardie, motorisch-psychische Unruhe, Tremor, Affektlabilität, Schweißausbrüche, feucht-warme Hände, Durchfall, Gewichtsabnahme, Schlaflosigkeit, dünnes Haar, Haarausfall. Affektive Störungen aufgrund eines medizinischen Krankheitsfaktors 293.83 (F06.3x) Diagnostische Merkmale: Kriterium A: Es handelt sich um eine ausgeprägte, anhaltende Störung des Affekts, entweder als depressive Verstimmung, deutlich verminderte Freude an fast allen Aktivitäten, oder als gehobene, expansive, reizbare Stimmung. Zusätzlich sind folgende Subtypen zu unterscheiden: o o o o mit depressiven Merkmalen: vorherrschend depressiv, aber keine Major-Depression mit Major-Depression-ähnlicher Episode: Kriterium D einer Major-Depression wird aber nicht erfüllt mit manischen Merkmalen: vorherrschend gehobene, expansive, reizbare Stimmung mit gemischten Merkmalen: sowohl manisch, als auch depressiv Mögliche Krankheitsfaktoren: Degenerative neurologische Erkrankungen (M.Parkinson, C.Huntington), zerebrovaskuläre Erkrankungen (Apoplex), Stoffwechselerkrankungen (B-12-Mangel), endokrine Krankheiten (Hyper-/Hypothyreose, Nebennierenrindenunter-/überfunktion, s. M.Cushing), Autoimmunkrankheiten (system. Lupus erythematodes), Infektionskrankheiten (Hepatitis, AIDS), Karzinome (Pankreaskarzinom). Beispiel: Morbus Cushing Symptomatik: Schwäche, Adynamie, Stammfettsucht, Vollmondgesicht, Hypertonie, Menstruationsstörungen, Impotenz, Osteoporose, Aggression und/oder Depression, endokrines Psychosyndrom. Persönlichkeitsveränderungen aufgrund eines medizinischen Krankheitsfaktors 310.1 (F07.0) Diagnostische Merkmale: Kriterium A: Die andauernde Persönlichkeitsstörung muß offensichtlich zurückzuführen sein auf die direkte körperliche Wirkung eines MKF und stellt eine Veränderung der vorher vorhandenen charakteristischen Persönlichkeitsmerkmalen dar. Bei Kindern ist dieses Kriterium auch dann erfüllt, wenn eine deutliche Abweichung von der normalen Entwicklung zu beobachten ist. Obwohl Persönlichkeitsstörungen normalerweise auf Achse II zu codieren sind, sollen Persönlichkeitsstörungen aufgrund eines MKF wegen ihrer speziellen Ätiologie auf Achse I codiert werden. Zusätzlich sind folgende Subtypen zu spezifizieren: o o o o o o labiler Typus: affektive Labilität enthemmter Typus: mangelnde Impulskontrolle aggressiver Typus: aggressives Verhalten paranoider Typus: argwöhnisch, paranoide Vorstellungen apathischer Typus: emotionale Indifferenz anderer Typus: z.B. bei Schlaganfall 19 o o kombinierter Typus: mehr als ein Merkmal unspezifischer Typus Mögliche Krankheitsfaktoren: ZNS-Tumoren, SHT, zerebrovaskuläre Erkrankungen, C. Huntington, Epilepsie, Infektionskrankheiten mit ZNS-Beteiligung (AIDS, Lues), endokrine Krankheiten (Hyper-/Hypothyreose, Nebennierenrindenüber-/ unterfunktion), Autoimmunkrankheiten (system. Lupus erythematodes). Beispiel: "Epileptische Wesensänderung" Symptomatik: Verlangsamung, Affektivität, Reizbarkeit, Schwerbesinnlichkeit, Neigung zu Perseverationen, Pedanterie, Selbstgerechtigkeit, Sprache ist langsam und zögerlich. Auftreten als: stunden- oder tagelange Verstimmung, Dämmerzustände (meistens vor, aber auch nach den Anfällen), epileptische Psychose ("schizophrenieartige" Wahnbildungen und Sinnestäuschungen) Literatur Bleuler, (1983), Lehrbuch der Psychiatrie, Springer Verlag Burchard, (1980), Lehrbuch der systemischen Psychopathologie, Band II, Schattauer Delank, H. (1991): Neurologie, 6. Aufl., Stuttgart. Dilling, H. (1995): Psychatrie und Psychotherapie, 2.Aufl., Berlin. Hartje, Poeck, (1997), Klinische Neuropsychologie, Thieme Huber, (1994), Psychiatrie, Schattauer Knab, B. (1989), Schlafstörungen, Kohlammer Prosiegel, M. (1991), Neuropsychologische Störungen, Pflaum Verlag München Pschyrembel (1990): klin.Wörterbuch, 256. Aufl., Berlin Saß, Wittchen, Zaudig, (1991), Diagnostisches und Statistisches Manual DSM-IV, Hogrefe Siegenthaler, W. (1988): Differentialdiagnose innerer Krankheiten, 16.Aufl., Stuttgart. Thews, G. (1991): Anatomie, Physiologie und Pathophysiologie des Menschen, 4. Aufl., Stuttgart. Uwe Blüher, Max Riederer, Jörg Stukenkemper, Jürgen Wassum Störungen im Zusammenhang mit psychotropen Substanzen Das Hauptaugenmerk richtet das DSM IV auf vier Störungsbilder, die im unmittelbaren Zusammenhang mit einer psychotropen Substanz stehen. Es wird unterschieden zwischen Störung durch Substanzkonsum und substanzinduzierten Störungen. Erstgenannte sind für alle Substanzen gleich allgemein definiert (Abhängigkeit und Mißbrauch). Letztere bezeichnet substanzspezifische Folgeerscheinungen hervor gerufen durch übermäßigen Konsum (Intoxikation und Entzug) 1 Störungen durch Substanzkonsum 1.1 Substanzabhängigkeit Patienten zeigen ein charakteristisches Muster kognitiver, verhaltensbezogener und physiologischer Symptome, trotz Einsicht in die Schädlichkeit des Konsums und seiner Folgen 3 oder mehr der folgenden Symptome sind für eine Diagnose von Substanzabhängigkeit notwendig Kriterium 1: Toleranz Kriterium 1a: Verlangen nach Dosissteigerung Kriterium 1b: Verminderte Wirkung bei gleicher Dosis Kriterium 2: Entzugssymptome Kriterium 2a: charakteristisches Entzugssyndrom Kriterium 2b: Wiederaufnahme des Substanzkonsums zur Linderung oder Vermeidung von Enzugsymptomen Kriterium 3: vermehrter Konsum als beabsichtigt Kriterium 4: Wunsch, den Gebrauch zu reduzieren, trotzdem keine Kontrolle möglich Kriterium 5: Zeitaspekt (Verfügbarkeit, Konsum, Erholung) Kriterium 6: Aufgabe oder Reduktion von sozialen, beruflichen oder Freizeitaktivitäten Kriterium 7: Fortsetzung des Konsums trotz Einsicht in körperliche oder psychische Probleme Zusatzcodierungen: (mit körperlicher Abhängigkeit, falls wenigstens ein Symptom aus Kriterium 1 oder 2 vorliegt) (ohne körperliche Abhängigkeit, falls kein Symptom aus Kriterium 1 oder 2 vorliegt) 20 craving bezeichnet einen subjektiv starken Drang zur Substanzeinnahme. Damit entspricht es dem allgemeinen Konstrukt von psychischer Abhängigkeit. Im Rahmen des DSM-IV erhält es keine spezielle Diagnose. Es kann im Zusammenhang mit allen Substanzen erlebt werden. 1.2 Substanzmißbrauch Patienten zeigen ein fehlangepaßtes Muster von Substanzgebrauch, das zu sozialen Schwierigkeiten und klinisch bedeutsamen Leiden führt. Mindestens eines der folgenden Kriterien innerhalb derselben 12 Monatsperiode muß erfüllt sein: Kriterium A: Substanzgebrauch trotz wiederholten und deutlich nachteiligen Konsequenzen Kriterium A1: Versagen bei der Erfüllung wichtiger Verpflichtungen Kriterium A2: Inkaufnahme körperlicher Gefährdung Kriterium A3: Probleme mit dem Gesetz Kriterium A4: soziale oder zwischenmenschliche Probleme Kriterium B: Kriterien für Substanzabhängigkeit sind nicht erfüllt 2 Substanzinduzierte Störungen Bezeichnen die Gruppe von substanzspezifischen Störungen, die in unmittelbarer Nähe zum Konsum bzw. Konsumverzicht einer Substanz auftreten. 2.1 Substanzintoxikation Kriterium A: Entwicklung eines reversiblen substanzspezifischen Syndroms Kriterium B: Klinisch bedeutsame unangepaßte Verhaltensänderungen oder psychische Veränderungen Kriterium C: Ausschluß eines medizinischen Krankheitsfaktors 2.2 Substanzentzug Kriterium A Entwicklung eines substanzspezifischen Syndroms nach übermäßigem und angandauerndem Substanzgebrauch Kriterium B Verursacht klinisch bedeutsam Leiden oder Beeinträchtigung in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen Kriterium C Ausschluß eines medizinischen Krankheitsfaktors 2.3 Substanzinduziertes Delir im Zusammenhang mit - Intoxikation - Entzug Folgende Störungen werden auch an anderer Stelle im DSM-IV genannt. Liegt eine dieser Störungen vor, so ist zu prüfen, wie weit der Substanzgebrauch ursächlich für das Auftreten dieser Störung ist. Gegebenenfalls ist die entsprechende Störung doppelt zu diagnostizieren. 2.4 Persistente Substanzinduzierte Demenz 2.5 Persistente Substanzinduzierte Amnestische Störung 2.6 Substanzinduzierte Psychotische Störung 2.7 Substanzinduzierte Affektive Störung 2.8 Substanzinduzierte Angststörung 2.9 Substanzinduzierte Sexuelle Funktionsstörung 2.10 Substanzinduzierte Schlafstörung Störungen im Zusammenhang mit Opiaten Opiate: natürlich - Morphin halbsynthetisch - Heroin synthetisch - Kodein, Methadon Opiatabhängigkeit 304.00 - bedeutendes Maß an Toleranz - Entzugserscheinungen bei abrupten Abbrechen - zwanghafte, langandauernde Selbstmedikation ohne medizinischen Zweck - ungerechtfertigte Dosissteigerung, keine Schmerzbehandlung Opiatmißbrauch 305.50 - Schwierigkeiten mit dem Gesetz - Beschaffungskriminalität 21 - seltener Konsum - Differentialdiagnose Abhängigkeit beachten Opiatintoxikation 292.89 - Kurz zurückliegender Konsum eines Opiats - Klinisch bedeutsame unangepaßte Verhaltens- oder psychische Veränderung - anfängliche Euphorie gefolgt von Apathie - dysphorische Verstimmung - psychomotorische Agitiertheit oder Verlangsamung - beeinträchtigtes Urteilsvermögen - Beeinträchtigung in sozialen oder beruflichen Bereich - Pupillenkonstriktion (Pupillendilatation bei schwerer Überdosis) - und mindestens eines der folgenden Symptome: (1) Benommenheit oder Koma, (2) verwaschene Sprache (3) Aufmerksamkeits- oder Gedächtnisstörung - kein medizinischer Krankheitsfaktor Opiatenentzug 292.0 - Beendigung von schwerem und langandauerndem Opiatkonsum - Gabe eines Opiatantagonisten - Mindestens drei der folgenden Symptome dysphorische Stimmung Übelkeit und Erbrechen Muskelschmerz Tränenfluß oder Rhinorrhoe Pupillendilatation, Gänsehaut oder Schwitzen Diarrhoe Gähnen Fieber Schlaflosigkeit - Leiden oder Beeinträchtigung in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen - kein medizinischer Krankheitsfaktor Störungen im Zusammenhang mit Halluzinogenen Zur Gruppe der Halluzinogene gerechnete Substanzen: Ergotin und verwandte Verbindungen (Lysergsäurediäthylamid (LSD), morning glory seeds) Phenylethylamine (Meskalin, „STP“ (2,5-Dimethoxy-4-Methylamphetamin) MDMA (3,4-Methylenedioxymethamphetamin („Ecstasy“)) Indolalkaloide (Psilocybin, DMT (Dimethyltryptamin)) Ausgeschlossen aus der Gruppe der Halluzinogene: Phencyclidin (PCP); Cannabis und seine aktive Verbindung Delta-9Tetrahydrocannabiol (THC) Halluzinogenabhängigkeit 304.50 - Toleranz: schnell für euphorisierende und psychedelische Wirkungen, nicht für vegetative Effekte; Kreuztoleranz zwischen LSD und anderen Halluzinogenen - Halluzinogenkonsum auf einige Male pro Woche begrenzt, aufgrund des Wunsches eine Toleranz für die psychischen Wirkungen zu verhindern - kein Entzug kodiert, da Entzugssymptome nicht gut belegt sind; jedoch eindeutige Anzeichen von „craving“ nach Absetzen der Substanz - Zeitfaktor: wegen langer Halbwertszeit und ausgedehnter Wirkungsdauer werden Stunden bis Tage mit dem Konsum und der Erholung von dessen Wirkungen verbracht - gefährliche Verhaltensweisen (z.B. Sprung aus dem Fenster im Glauben fliegen zu können) aufgrund mangelnder Einsichts- und Urteilsfähigkeit - nachteilige Wirkungen häufiger bei Personen mit schon vorher bestehenden psychischen Störungen Halluzinogenmißbrauch 305.30 - Gesetzeskonflikte aufgrund Halluzinogenintoxikation oder Besitz von Halluzinogenen - bei Halluzinogenintoxikation: Unfähigkeit soziale Verpflichtungen zu erfüllen, körperliche Gefährdung (Verkehr), zwischenmenschliche Schwierigkeiten Halluzinogenintoxikation 292.89 - während oder kurz nach dem Konsum klinisch bedeutsame Verhaltens- und psychische Veränderungen - Wahrnehmungsstörungen - zwei oder mehr der folgenden Symptome bei kurz zurückliegendem Konsum: Mydriasis Verschwommensehen Tachykardie Tremor 22 Schwitzen Koordinationsstörungen Palpitationen - keine medizinischen Krankheitsfaktoren und nicht besser durch andere psychische Störungen erklärbar Persistierende Wahrnehmungsstörungen im Zusammenhang mit Halluzinogenen (Flashbacks) 292.89 - ein oder mehrere der Wahrnehmungssymptome, die während der Halluzinogenintoxikation aufgetreten sind, werden wiedererlebt - kein medizinischer Krankheitsfaktor und nicht durch andere psychische Störungen besser erklärbar Störungen im Zusammenhang mit Alkohol Jellinek: "Unter Alkoholismus versteht man jeglichen Gebrauch von alkoholischen Getränken, der einem Individuum oder der Gesellschaft oder beiden Schaden zufügt." Kriterien sind Abhängigkeit und Schädlichkeit. Daher Unterscheidung von Alkohlmißbrauch: - überhöhter Alkoholkonsum gegenüber der sozialen Norm und Konsum zu unpassender Gelegenheit und Alkoholabhängigkeit (chronisch): - Vorliegen von psychischer (unwiderstehliches Verlangen) und/oder körperlicher (Toleranzsteigerung und Entzugserscheinungen), Abhängigkeit Epidemiologie -BRD-Schätzung der Alkoholabhängigkeit auf über 2 Mill.(ca. doppelt soviel Männer wie Frauen, 7-8% der Jugendlichen sind gefährdet -größte Gefahr im Alter von 21-24 Jahren). Hinzu kommen Konsumenten mit resultierenden Organschäden die nicht das Stadium der Sucht erreichen. Ätiologie psychodynamische Sicht: Alkoholabhängigkeit wird als Regression auf die orale Stufe interpretiert. Lerntheorie: Reduktion von Hemmung, Angst, Spannungen, Streß, Unsicherheit, unangenehmen Entzugssymptomen und subjektives Wohlbefinden stehen hier im Vordergrund. Soziokulturell: Ständige Verfügbarkeit, Einflüsse von Umwelt (Bsp.: Initiationsriten, häufig auch Imitation), Werbung, Zeitgeist auch Freizeitverhalten sind von Bedeutung. Genetik: Für genetische Faktoren sprechen eine erhöhte Konkordanz bei eineiigen Zwillingen, sowie individuelle und ethnische Unterschiede in der Alkoholtoleranz. Verlauf Erste Episode einer Alkoholintoxikation tritt häufig im Alter von 15 Jahren auf. Alkoholabhängigkeit beginnt mit einem Häufigkeitsgipfel in den 20er und mittleren 30er Jahren. Es werden verschiedenen Phasen (präalkoholische-, prodromal-, kritische und chronische Phase) und Typen (Jellinek: Alpha, Beta, Gamma, Delta und Epsilon) erwähnt. Wirkung und Folgen Der Alkoholspiegel hängt vom Blutvolumen und auch vom Geschlecht (bei Frauen: kleinere Menge des Enzyms Alkoholdehydrogenase) ab. Durch übermäßigen Genuß von Alkohol können verschiedene organische und psychische Schäden entstehen. Alkoholschäden betreffen praktisch alle Organsysteme, insbesondere das Nervensystem. Unterscheidung und Klassifikation Alkoholinduzierter Störungen nach DSM-IV Alkoholintoxikation 303.00 (F10.0x); Alkoholentzug 291.8 (F10.3); Alkoholintoxikatinsdelir 292.81 (F15.03) Alkoholentzugsdelir 291.0 (F10.4); Persistierende Alkoholinduzierte Demenz 291.2 (F10.73); Persistiernde Alkoholinduzierte Amnestische Störung 291.1 (F10.6); Alkoholinduzierte Psychotische Störung 291.5, mit Wahn 291.3, mit Halluzinationen 292.11; Alkoholinduzierte Affektive Störung 291.8 (F10.8); Alkoholinduzierte Angststörung 291.8 (F10.8); Alkoholinduzierte Sexuelle Funktionsstörung 291.8 (F10.8); Alkoholinduzierte Schlafstörung 291.8 (F10.8); Kriterien siehe DSM-IV Therapie und Ausblick 23 Entscheidend ist die Frühdiagnose. Es lassen sich 4 Behandlungsphasen unterscheiden:Kontakt- und Motivierungsphase (Aufbau von Vertrauen), Entgiftungsphase (stationär-Motivation aufrecht erhalten), Entwöhnungsphase( Suchtprozeß-Unterbrechung, Rückgewinnung von Unabhängigkeit, Physio-, Ergotherapie etc.), Nachsorge-und Rehabilitationsphase (Beratung, Lebensbedingungen umgestalten, Rückfallverhütung). Angesichts des problemhaften Umgangs mit Alkohol sind vorbeugende Maßnahmen vonnöten. Dazu gehören auch wirtschafts- und gesundheitspolitische Veränderungen. Ziel ist ein mäßiges und kontrolliertes Trinken. Störungen im Zusammenhang mit Cannabis Cannabisintoxikation Eine Intoxikation beginnt in der Regel mit einem Hochgefühl, auf das Symptome folgen wie Euphorie mit unangemessenem Lachen und Gefühlen von Großartigkeit, Sedierung, Lethargie, beeinträchtigtes Kurzzeitgedächtnis, Schwierigkeiten bei komplexen geistigen Aufgaben, beeinträchtigtes Urteilsvermögen, verzerrte Sinnesswahrnehmung, beeinträchtigte motorische Leistungen und das Gefühl, daß die Zeit langsamer vergeht. Manchmal tritt Angst, Dysphorie oder sozialer Rückzug auf. Die psychotropen Wirkungen werden von mindestens zwei der folgenden Anzeichen begleitet: gesteigerter Appetit, Mundtrockenheit, Tachykardie (Herzjagen) und Rötung der Augen. Wenn Cannabis geraucht wird, entwickelt sich die Intoxikation innerhalb von Minuten. Wird es oral eingenommen, dauert es einige Stunden, bis sich eine Intoxikation ausbildet. Die Wirkung dauert gewöhnlich drei bis vier Stunden an, ist aber stark abhängig von der Art und Menge des Cannabis, sowie der Toleranz und den anderen individuellen Merkmalen der Person. Cannabismißbrauch Periodischer Cannabiskonsum können Leistungen bei der Arbeit oder in der Schule beeinträchtigen und eine körperliche Gefährdung wie zum Beispiel beim Autofahren darstellen. Wenn eine erhebliche Toleranzentwicklung stattgefunden hat oder wenn körperliche oder psychische Probleme in Zusammenhang mit dem Cannabiskonsum auftreten, sollte eher die Diagnose Cannabisabhängigkeit in Erwägung gezogen werden. Cannabisabhängigkeit Zwanghafter Konsum von Cannabis, im allgemeinen keine körperliche Abhängigkeit, jedoch Toleranzentwicklung bezüglich der meisten Wirkungen. Personen, die regelmäßig Cannabis konsumieren, berichten oft über körperliche wie psychische Lethargie und Anhedonie (Unlust). Leichte Formen der Depression, Angst oder Reizbarkeit kommen bei einem Drittel der Personen vor. Wird Cannabis in hohen Dosen eingenommen, kann es zu einer Wirkung kommen, die der von Hallizinogenen (z.B. LSD) ähnelt. So kann es bei hohen Dosierung auch zu "bad trips" kommen. Diese reichen von leichter Angst bis hin zu schweren Angstreaktionen, welche Panikattacken ähneln. In schweren Fällen kann es zu paranoiden Ideenbildung kommen, die von Argwohn zu offenem Wahn und Halluzinationen reicht. Prävalenz Wie bei den meisten anderen illegalen Drogen treten Störungen durch Cannabiskonsum häufiger bei Männern auf und die Prävalenz ist bei 18- bis 30jährigen am höchsten. Eine Untersuchung von 1991 in den USA ergab, daß ungefähr ein Drittel der Bevölkerung mindestens einmal im Leben Marihuanna genommen hat. 10% hatten es im letzten Jahr konsumiert und 5% im letzten Monat. Zugehörige körperliche Untersuchungsbefunde und medizinische Krankheitsfaktoren Cannabis reizt sehr stark den Nasen-Rachen-Raum und die Bronchien und erhöht somit das Risiko für chronischen Husten. Chronischer Cannabiskonsum hängt manchmal mit einer Gewichtszunahme zusammen, die wahrscheinlich von zu vielem Essen und reduzierter körperlicher Aktivität herrührt. Marihuanarauch enthält mehr Karzinogene (Krebserzeuger) als Tabak und starker Konsum kann daher das Risiko bösartiger Erkrankungen erhöhen. Andere Cannabisinduzierte Störungen Cannabisintoxikationsdelir, Cannabisinduzierte Psychotische Störung und Cannabisinduzierte Angststöung. 24 Diese Störungen werden nur dann anstelle einer Cannabisintoxikation diagnostiziert, wenn die Symptome deutlich über diejenigen hinausgehen, die normalerweise mit einer Cannabisintoxikation verbunden sind und wenn sie schwer genug sind, um für sich allein genommen klinische Beachtung zu rechtfertigen. Differentialdiagnose Cannabisinduzierte Störungen sind durch Symptome (z.B. Angst) charakterisiert, die primären psychischen Störungen (z.B. Generalisierter Angstörung versus Cannabisinduzierter Angststörung)ähnlich sind. Chronische Cannabiseinnahme kann Symptome produzieren, die einer Dysthymen Störung ähnlich sind. Äußerst starke Reaktionen auf Cannabis sollten von Symptomen einer Panikstörung, Major Depression, Wahnhaften Störung, Bipolaren Störung oder Schizophrenie vom Paranoiden Typus unterschieden werden. Dietrich Arnold, Claudia Ehrenhuber, Melanie Mayer, Florian Rößner und Martina Meiser, Anna Rösch, Ruth Stelle und Andrea Geyer Schizophrenie und andere psychotische Störungen Schizophrenie l. Allgemeines Charakteristisch für die Schizophrenie ist das Auftreten psychotischer Symptome. Eine enge Definition von 'psychotisch' beschreibt die Symptome Wahnphänomene oder ausgeprägte Halluzinationen ohne Einsicht in ihren pathologischen Charakter. Dazu kann auch ein Verlust der Ich-Grenze sowie der Realitätskontrolle gehören. Bei Personen, die an Schizophrenie erkrankt sind, scheint sich die Persönlichkeit aufzulösen. Die Wahrnehmung ist oft verzerrt (vgl. Wahnphänomene und Halluzinationen) und die Emotionen sind abgestumpft. Die Sprache ist oft fremdartig und die Gedanken sind bizarr. Beim katatonen Typus wirken die Betroffenen körperlich wie erstarrt. Allgemein kann man zwischen der Typ-1-Symptomatik und der Typ-2-Symptomatik unterscheiden. Patienten mit der Typ-1-Symptomatik weisen sogenannte Positiv-Symptome auf (s.u.) mit plötzlichen, intensiven Krankheitszeichen; sie sprechen gut auf medikamentöse Behandlung an. Patienten mit der Typ-2-Symptomatik zeigen Negativ-Symptome (s.u.), der Verlauf ist schleichend und chronisch; sie sprechen nicht auf antipsychotische Behandlung an. Studien in Europa und Asien ergeben eine Prävalenz von 0,2 -1%. Die Krankheit tritt bei Männern eher vor dem 25. Lebensjahr, bei Frauen typischerweise zwischen 25. und 45. Lebensjahr auf. 1.1 Die charakteristischen Symptome Negative Symptome (Verhaltensdefizite) l.) Willensschwäche 2.) Alogie (Spracharmut) 3.) Anhedonie (Lustlosigkeit) 4.) Flacher Affekt Positive Symptome (Übermäßige Produktion) l.) Wahnphänomene (Verzerrung des schlußfolgernden Denkens) 2.) Halluzinationen 3.) Desorganisierte Sprachäußerungen 4.) Grob desorganisiertes oder katatones Verhalten 1.2 Die Kriterien des DSM-IV 25 Die oben beschriebenen charakteristischen Symptome faßt das DSM-IV unter dem Kriterium A zusammen, wobei die positiven Symptome unter den Kriterien A1-A4 eingeordnet werden, die negativen unter dem Kriterium A5. Das Kriterium B ist erfüllt, wenn der Patient eine deutliche berufliche und soziale Dysfunktion aufweist und sein Leistungsniveau unter dem liegt, was vor dem Beginn der Symptomatik erreicht wurde. Bei schizophrenen Störungen im Kinder- und Jugendalter kann es eher zu einem Zurückbleiben hinter alterstypischen Entwicklungsschritten als zu einer Leistungsminderung kommen. Unter dem Kriterium C in Verbindung mit Kriterium A wird definiert, wie lange die oben beschreibenen Symptome auftreten. Charakteristische Symptome müssen für mindestens einen Monat vorhanden sein, und einige Zeichen des Störungsbildes müssen für mindestens sechs Monate anhalten. Zur Erfüllung der Kriterien D und E wird gefordert, daß das Störungsbild nicht besser durch die schizoaffektive oder eine affektive Störung mit psychotischen Merkmalen erklärt werden kann und nicht auf die direkte körperliche Wirkung einer Substanz oder eines medizinischen Krankheitsfaktors zurückgeht. Wurde bei einer Person früher eine autistische oder andere tiefgreifende Entwicklungsstörung diagnostiziert, so ist die zusätzliche Diagnose Schizophrenie nur bei ausgeprägten Wahnphänomenen oder Halluzinationen während mindestens einem Monat gerechtfertigt (Kriterium F). 2. Subtypen Paranoider Typus Menschen, die am paranoiden Typus der Schizophrenie erkrankt sind, weisen meist ausgeprägte Wahnphänomene oder akustische Halluzinationen bei weitgehendem Erhalt der Affektivität und der kognitiven Funktionen auf. Der Wahn konzentriert sich meist auf Verfolgungsthemen oder Grandiosität, teilweise auch auf beides. Die Störung beginnt im Vergleich zu anderen Schizophrenietypen meist später und die charakteristischen Merkmale können auf lange Sicht stabiler sein. Dafür ist die Prognose im Hinblick auf die berufliche Leistungsfähigkeit und die Fähigkeit zur selbständigen Lebensführung meist günstiger. Kriterien: A: Starke Beschäftigung mit einem oder mehreren Wahnphänomenen oder häufige akustische Halluzinationen B: Keines der folgenden Merkmale steht im Vordergrund: desorganisierte Sprechweise, desorganisiertes oder katatones Verhalten oder verflachter oder inadäquater Affekt Desorganisierter Typus A. Vorherrschend sind desorganisierte Sprechweise, desorganisiertes Verhalten und verflachter oder inadäquater Affekt B. Kriterien für den Katatonen Typus sind nicht erfüllt Katatoner Typus Mind. 2 der folgenden Kriterien müssen erfüllt sein: (1) motor. Unbeweglichkeit, die sich in Katalepsie oder Stupor zeigt (2) übermäßige motor. Aktivität (3) extremer Negativismus oder Mutismus (4) merkwürdige Willkürbewegungen, die sich als Haltungsstereotypien, stereotype Bewegungsabläufe, ausgeprägte Manierismen oder ausgeprägtes Grimassieren äußern (5) Echolalie oder Echopraxie Undifferenzierter Typus Kriterium A für Schizophrenie ist erfüllt, ohne daß Kriterien für den paranoiden, desorganisierten oder katatonen Typus erfüllt sind. Residualer Typus A: Fehlen von ausgeprägten Wahnphänomenen, Halluzinationen, desorganisierter Sprechweise und von grob desorganisiertem oder katatonem Verhalten B: Fortbestehende Hinweise auf das Störungsbild, die sich im Vorhandensein von Negativsymptomen zeigen oder von zwei oder mehr Symptomen in abgemilderter Form, wie sie im Kriterium A für Schizophrenie aufgelistet sind. Andere psychotische Störungen 1. Schizophreniforme Störung (295.40) Kriterien: A: Kriterien A, D und E für Schizophrenie sind erfüllt. B: Dauer: mindestens 1 Monat, höchstens 6 Monate (eventuell Zusatz: "vorläufig", wenn 6 Monate noch nicht vorbei!) 26 Zusätzlich ist zu bestimmen, ob günstige prognostische Merkmale vorliegen (z:B. gute prämorbide soziale und berufliche Leistungsfähigkeit, kein abgeflachter Affekt etc.). 2. Kurze psychotische Störung (298.8) Kriterien: A: mindestens ein Symptom der folgenden: 1. Wahn 2. Halluzinationen 3. Desorganisierte Sprache 4. Grob desorganisiertes oder katatones Verhalten B: Dauer: 1 Tag - 1 Monat C: Das Störungsbild kann nicht besser durch eine affektive oder eine andere psychotische Störung erklärt werden. Das prämorbide Leistungsniveau wird nach Remission wieder voll erreicht, die Störung kann aber schwere Beeinträchtigungen beinhalten, evtl. ist Aufsicht nötig (Suizidgefahr!). 3. Schizoaffektive Störung (295.70) Kriterien: A: Ununterbrochene Episode mit mindestens 1 Monat Kriterium A für Schizophrenie und gleichzeitig mindestens 2 Wochen Major Depression oder 1 Woche Manie oder bipolare Episode B: Direkt vor oder nach der Periode mit psychotischen und affektiven Symptomen eine mindestens 2-wöchige Phase mit ausschließlich Wahn oder Halluzinationen C: Erheblicher Anteil der Phase mit psychotischen und affektiven Symptomen an der Gesamtdauer der Störung 4. Wahnhafte Störung (297.1) Kriterien: A: Nicht-bizarre Wahnphänomene für mind. 1 Monat B: Kriterium A für Schizophrenie war nie erfüllt C: Abgesehen von den Folgen des Wahns ist die Leistungsfähigkeit nicht wesentlich beeinträchtigt D: Wenn affektive Symptome vorkommen, ist ihr Anteil an der Gesamtdauer gering E: Störung geht nicht direkt auf eine Substanz oder ein medizinisches Krankheitsbild zurück Subtypen: Verfolgungswahn, Liebeswahn, Größenwahn, religiöser Wahn, Eifersuchtswahn 5. Gemeinsame psychotische Störung (297.3) Kriterien: A: Ein Wahn entwickelt sich bei einer Person, die eine enge Beziehung zu einer Person hat, die schon vorher einen Wahn hat B: Die Wahninhalte sind bei beiden Personen die gleichen C: Die Störung kann nicht besser durch eine affektive oder eine andere psychotische Störung erklärt werden; kaum andere Symptome! 6. Psychotische Störung aufgrund eines medizinischen Krankheitsfaktors (293.xx) Kriterien: A: Ausgeprägte Halluzinationen oder Wahnsymptome B: Befunde, die eindeutig auf die medizinische Ursache schließen lassen (Anamnese, körperliche Befunde, Laborbefunde) C: Die Störung ist nicht besser durch eine andere psychotische Störung erklärbar D: Die Störung ist nicht ausschließlich auf ein Delir, eine Alzheimer oder veskuläre Demenz zurückzuführen Mögliche medizinische Ursachen: Trauma, Tumor, Epilepsie, Hyperthyrreose, Entzündungen des ZNS etc. 27 7. Substanzinduzierte psychotische Störung (Code je nach Substanz) Kriterien: A: Ausgeprägte Wahnsymptome oder Halluzinationen, außer wenn der Betroffene einsieht, daß die Halluzination auf die Substanz oder deren Entzug zurückzuführen ist B: Hinweise (Anamnese, körperliche oder Laborbefunde) auf 1 oder 2 1. Symptome entwickelten sich während eines Monats mit Substanzintoxikation oder Entzug 2. Medikamenteneinnahme ist Ursache für Störung C: Störung kann nicht besser durch andere psychotische Störung erklärt werden D: Störung nicht ausschließlich wegen Delir 8. Nicht näher beschriebene psychotische Störung (298.9) Symptome: Wahn, Halluzinationen, desorganisierte Sprache oder Verhalten, katatone Symptome. Die Kriterien für eine spezifische psychotische Störung sind nicht erfüllt. Beispiele: - Post-Partum-Psychose. - Anhaltende akustische Halluzinationen ohne andere psychotische Symptome, wenn unklar bleibt, ob Störung primär psychotisch, substanzinduziert oder durch einen medizinischen Krankheitsfaktor verursacht ist. Ätiologie Nach der WHO-Studie von Jablensky, Sartorius, Ernberg et al, 1992 liegen die Inzidenzraten 10/100 000 bei enger Schizophreniedefinition. Dabei zeigte sich eine hohe Konstanz über verschiedene Regionen und Zeitperioden. Grundsätzlich hat Geschlecht keinen Einfluß auf die Inzidenz, jedoch beginnt die Erkrankung bei Frauen später als bei Männern (Häfner, 1995). Dies kann so interpretiert werden, daß weder ökonomische, kulturelle noch ethnische Faktoren einen Einfluß auf das Krankheitsrisiko haben. Dies verweist auf eine starke Bedeutung biologischer, vor allem genetischer Faktoren bei der Entstehung der Schizophrenie. a) Genetik: Maßgeblich waren Untersuchungen über Verwandtschaftsgrad und Erkrankungshäufigkeit, Zwillingsstudien und Adoptionsuntersuchungen. Es wurde bei den biologischen Verwandten von Schizophrenen ein erhöhtes und nach dem Verwandtschaftsgrad abgestuftes Morbiditätsrisiko gefungen. Als Lebenszeitmorbiditätsrisiko ausgedrückt haben demnach eineiige Zwillingspartner eines schizophrenen Patienten und die Kinder zweier schizophrener Elternteile das höchste Risiko (48% bzw. 46%), die Kinder eines Elternteiles noch ein Risiko von 13 % (McGue & Gottesmann, 1989). b) Biologische Faktoren: Eine Reihe von Befunden belegt, daß mit den Akutsymptomen wie Halluzinationen und Wahnideen eine gesteigerte Aktivität dopaminerger Neurone einhergeht. Evidenz dafür liefert die Wirkungsweise anitpsychotischer neuroleptischer Medikamente, die postsynaptische Dopaminrezeptoren blockieren, dadurch die Rate der Neurotransmission an den Synapsen absenken und das Abklingen akuter Symptome bewirken. Umgekehrt können Substanzen wie Amphetamin, die die dopaminerge Aktivität erhöhen, zu Akutsymptomen führen. Außerdem wurde eine erhöhte Konzentration an Homovanillinsäure (Dopaminmetabolit) im Liquor gefunden. Allerdings ist dieses Transmittersystem komplex und die Art und Weise wie sich die Symptome der Schizophrenie dadurch bedingen, im Einzelnen nicht geklärt (Liebermann & Koreen, 1993). Hirnorganisch konnte die Vergrößerung der Seitenventrikel diagnostiziert werden. Bei 1/3 der Personengruppe liegen hirnorganische Veränderungen vor, aber die bisherigen Untersuchungen lassen keinen eindeutigen Schluß zu (Übersicht von Cannon & Marco, 1994). c) neurokognitive Defizite: Schizophrene Patienten zeigen Beeinträchtigungen bei der selektiven Aufmerksamkeit (Cornblatt & Keillp, 1994). In zahlreichen Assoziationsuntersuchungen nannten schizophrene Probanden im Vergleich zu Gesunden seltener das übliche Wort, wenn ihnen ein Reizwort genannt wurde. Im Rahmen von Netzwerkansätzen werden diese Befunde als Hinweis auf das Fehlen hemmender Einflüsse auf die Assoziationsbildung interpretiert (Spitzer, 1993). Von Cohen & Servan-Schreiber (1992) wurden diese Befunde zu andersartigen Aktivierungs- und Hemmungsprozessen auf Störungen der dopaminergen Modulation neuronaler Netzwerke im Frontallappen zurückgeführt. Entsprechend der erweiterten Dopaminhypothese nehmen sie eine verminderte Dopaminfreisetzung im frontalen Cortex an. d) Psychosoziale Faktoren prämorbide Sozialisationsbedingungen double bind (Bateson, Jackson et al., 1956): ist eine besonders ungünstige Form der Kommunikation zwischen Eltern und Kindern. Es werden entgegengesetze Botschaften übermittelt wie z.B. Zuneigung im verbalen Ausdruck bei gleichzeitig nonverbal ausgedrückter Ablehnung. Die wenigen empirische Arbeiten dazu belegen jedoch weder, daß 28 solche Kommunikationsweisen mit hinreichender Zuverlässigkeit identifiziert werden können, noch, daß sie bei den Müttern schizophrener Patienten gehäuft anzutreffen sind. (vgl. Hirsch, 1979) Mangel an Klarheit in Kommunikation innerhalb der Familie: Die Arbeitsgruppe um Synne und Singer ermittelte deutliche Unterschiede im Kommunikationsverhalten der Eltern schizophrener Patienten. Es konnten Komponenten ermittelt werden, es ist jedoch nicht gelungen, anzugeben, welche Bedeutung solche Störungen für die Entwicklung einer Schizophrenie haben. Das Problem liegt darin, daß solche Störungen auch als Folge der psychischen Erkrankung eines Familienmitgliedes auftreten kann, zum anderen darin, daß die direkte Kommunikation zwischen Familienmitgliedern und Patient selten untersucht wurde. Psychosoziale Belastungen: Faris und Dunham (1939) fanden die höchsten Prävalenzraten für Schizophrenie in Wohngebieten der Innenstadt Chicagos, die vorwiegend von Unterschichtsangehörigen bewohnt wurden und somit einen Zusammenhang zwischen sozioökonomischen Status und der Schizophrenieerkrankung vermuten ließ. Als Erklärungsansatz wurde dazu angeführt, daß das Leben unter psychosozial schwierigen Bedingungen für die erhöhte Schizophrenierate verantwortliche sei. Besser belegt ist der Zusammenhang zwischen lebensverändernde Ereignissen und einem "Rückfall", d.h. dem erneuten Auftreten akuter Symptome nach der Ersterkrankung. Die rückfälligen Patienten hatten im Monat vor der Wiederaufnahme mehr Belastungen erlebt als in den Monaten zuvor und mehr als die nicht-rückfälligen Patienten in den Vergleichsmonaten (Ventura, Nuechterlein et al., 1989). Fazit: Es besteht ein komplexes Faktorengefüge mit verschiedenen Risikofaktoren, die die Vielfalt möglicher Interaktionen zwischen den Risikofaktoren auch unterschiedliche Krankeitsbilder, prämorbide Auffälligkeiten und längerfristige Verläufe bestimmt. Therapiemöglichkeiten Alle Behandlungsformen für die Schizophrenie sind in erster Linie nur Symptombehandlung, denn die Ursachen sind immer noch weitgehend unbekannt. Eine Symptombehandlung ist jedoch nie so wirkungsvoll wie eine unmittelbare Ursachenbeseitigung. Daher sollte die Therapie von schizophrenen Patienten immer auch Rehabilitation und Prävention umfassen. In der akuten Phase ist eine medikamentöse Behandlung mit Neuroleptika unumgänglich. Verlaufsuntersuchungen an Patienten belegen jedoch, daß das Rückfallrisiko bei Patientenam geringsten ist, die eine Kombination aus medikamentöser Behandlung und psychotherapeutischer und/oder sozio-therapeutischer Behandlung erfahren haben. Medikamentöse Behandlung mit Neuroleptika: Diese lassen sich in die Gruppen der Phenothiazine bzw. der Butyrophenone und deren Derivate und in das Clozapin einteilen. Neuroleptika wirken dämpfend auf die vorwiegend akute Symptomatik wie Denkstörungen, Halluzinationen, psychotisches Wahndenken, schizophrene Ich-Störungen, katatone Verhaltensstörungen, affektive Spannungen, aggressives Verhalten und psychomotorische Erregungszustände. Apathie, Antriebslosigkeit, Affektverflachung oder soziale Zurückgezogenheit kann dagegen durch Neuroleptika kaum beeinflußt werden. Nebenwirkungen von Neuroleptika sind: Akathisien (hoher Grad motorischer Unruhe), Parkinsonismus und Dyskinesien. Außerdem kann es durch eine Verminderung der Adrenalinausschüttung zu einer Beeinflussung des autonomen Nervensystems kommen, dies führt zu Herzrhythmusstörungen und zu Blutdruckabfall. Psychotherapeutische Behandlung: Verhaltenstherapie Diese läßt sich nach Curran et al (1985) in drei Gruppen einteilen: Programme, die das Ziel haben einen bestimmten Aspekt schizophrener Symptomatologie zu beseitigen. Durch diese Interventionen kann zwar eine schizophrene Symptomatik erfolgreich behandelt werden, es gibt aber nur wenige Studien, die belegen, daß sich eine langfristig positive Veränderung im Verhalten eingestellt hat, oder eine Generalisierung der positiven Effekte auf andere nicht behandelte Symptome. Token-economy (Münzverstärkungsprogramme entwickelt in den 50iger Jahren durch Behavioristen: Beeinflussung der Störungsmuster durch systematische Anwendung operanter Methoden). Bei festgelegtem Zielverhalten erhalten die Patienten Wertmarken, welche sie dann gegen Vergünstigungen einlösen können. Ein Problem dieses Ansatzes besteht nach Jones (1978) darin, daß die Patienten sich ihre eigenen individuellen Bewältigungsstrategien zur Kompensation ihrer Behinderung entwickelt haben und sich deshalb nicht auf die neuen Strukturen eines Münzverstärkungsprogrammes umstellen. Eine weitere Einschränkung für die Wirksamkeit besteht darin, daß eine Generalisierung auf neue andere unerwünschte Verhaltensweisen in der Regel ausbleibt und daß die nicht unmittelbar in das Behandlungskonzept einbezogenen Verhaltensweisen sich verschlechtern können. Social skills training, das Training sozialer Fähigkeiten beruht auf der Erkenntnis, daß Defizite in sozialen Fähigkeiten oder Fertigkeiten ein herausragender Syndromkomplex sind. Die soziale Inkompetenz wird direkt oder indirekt durch die Behandlungskomponenten: Training der sozialen Wahrnehmung, soziales Verhaltenstraining, Kommunikationstraining und verhaltensorienierte Gruppentherapie abgebaut. Sozialtherapie oder Soziotherapie Im Zentrum der Therapie schizophrener Menschen steht praktischer Rat und Lebensanpassung. Soziotherapeuten helfen ihren Patienten manchmal auch bei der Suche nach Arbeit, finanzieller Unterstützung oder einer angemessenen Wohnung. Die Patienten werden über Selbstmedikation und Syptommangement aufgeklärt. Das heißt sie werden darüber aufgeklärt wie die 29 Medikamente wirken, wie sie eingenommen werden sollen und Warnzeichen für einen Rückfall zu erkennen. Den Betroffenen wird dadurch ein besseres Verständnis ihrer Störung vermittelt, ihr Selbstvertrauen wird gestärkt und Hilflosigkeitsgefühle werden verringert. Forschungsergebnissen zufolge führt diese Form der Therapie zur Vermeidung eines wiederholten stationären Aufenthalts. Familientherapie Ungefähr zwischen 25 und 40% der nichthospitalisierten schizophrenen Patienten leben während der Genesung bei ihren Familien. Ein Zusammenleben bringt besondere Belastungen, sowohl für die Familie als auch für die Angehörigen mit sich. Genesende schizophrene Patienten werden stark beeinflußt von dem Verhalten und den Reaktionen der Angehörigen. Die Angehörigen werden ihrerseits oft vom Verhalten eines schizophrenen Familienmitgliedes in Mitleidenschaft gezogen. Um die Chancen auf Gesundung zu erhöhen und die Probleme innerhalb der Familie zu lösen werden deshalb die Familienmitglieder in die Therapie miteinbezogen. Die Familientherapie bietet den Angehörigen Anleitung, praktischen Rat, Aufklärung über Schizophrenie (Psychoedukation), sowie emotionale Unterstützung und Empathie. Den schizophrenen Patienten wird geholfen die Belastungen des Familienlebens zu bewältigen, familiäre Hilfsquellen besser zu nutzen und problematische Interaktionen zu vermeiden. Mit diesem Ansatz gelingt es oft die Kommunikation in der Familie zu verbessern und Spannungen zu verringern und somit die Rückfallquote zu senken. Gemeindenahe Psychiatrie Entstanden in den USA, führte zu einer Deinstitutionalisierung, d.h. die Regierung ordnete an, die Patienten aus der stationären Behandlung der Landeskrankenhäuser zu entlassen und in den Gemeinden zu versorgen. Zu den zentralen Bestandteilen einer leistungsfähigen gemeindepsychatrischen Versorgung gehören die Koordination der Dienste durch ein kommunales psychatrisches Behandlungszentrum, kurzzeitige Hospitalisierung gefolgt von Nachsorge, Tageskliniken, Übergangsheimen und berufliche Rehabilitation. Leider erhält auch heute nur die Hälfte aller schizophrener Patienten wirksame gemeindepsychatrische Dienstleistungen. Dies liegt zum einen an der schlechten Koordination der Dienst und zum anderen an der Knappheit der Mittel. Trotzdem ist diese Art Versorgung zur Haupttherapieform genesender schizophrener Menschen in Ländern auf der ganzen Welt geworden und die erzielten Erfolge sollten zu weiteren Anstrengungen auf diesem Gebiet ermutigen. Literatur Hans Reinecker. (1994). Lehrbuch der Klinischen Psychologie. Göttingen: Hogrefe Verlag für Psychologie Ronald J. Comer (1995). Klinische Psychologie. Heidelberg: Spektrum Akademischer Verlag Urs Baumann und Meinrad Perrez. (1998). Lehrbuch klinische Psychologie – Psychotherapie. Bern: Verlag Hans Huber. Miriam Hebing, Imke Herrmann, Andreas Sattler und Vera Glökler und Miriam Knazurova AFFEKTIVE STÖRUNGEN Major Depression 1) Diagnostische Verschlüsselung: Die ersten drei Ziffern lauten 296. Eine MD kann entweder aus einer einzelnen Episode (diagnostische Verschlüsselung 2 an vierter Stelle also 296.2) oder aus zwei oder mehreren Episoden einer Major Depression bestehen (= rezidivierend; diagnostische Verschlüsselung 3 an vierter Stelle). Episoden werden dann als getrennt gewertet, wenn in einem mindestens zweimonatigen Intervall die Kriterien für eine Episode einer MD nicht erfüllt sind. Die fünfte Ziffer kodiert die Ausprägung, also den Schweregrad: 1= leicht, 2 = mittelschwer, 3= schwer ohne psychotische Merkmale, 4= teilremittiert (Symptome erfüllen Kriterien nicht mehr, oder Zweimonatszeitraum ist noch nicht vorbei), 5= vollremittiert, 0= unspezifisch Beispiel: 296. 23 ist Major Depression mit einmaliger Episode, Schwer; 2) Kriterien: Hauptmerkmal ist ein klinischer Verlauf mit einer oder mehreren Episoden der MD und keine Manischen, Hypomanen oder Gemischten Episoden in der Vorgeschichte. Kriterien für eine Episode der Major Depression: Mindestens fünf der folgenden Symptome bestehen während derselben Zwei-Wochen-Periode; mindestens eines der Symptome ist entweder (1) Depressive Verstimmung oder (2) Verlust an Interesse oder Freude. 1. Depressive Verstimmung 2. Verlust an Interesse oder Freude 3. Deutlicher Gewichtsverlust ohne Diät oder Gewichtszunahme 4. Vermehrter Schlaf oder Schlaflosigkeit 5. Psychomotorische Unruhe oder Verlangsamung 6. Übermäßige, unangemessene Schuldgefühle oder Gefühle von Wertlosigkeit an fast allen Tagen 7. Subjektive oder beobachtbare verminderte Denk- und Entscheidungsfähigkeit 8. Müdigkeit und Energieverlust 9. Suizidale Gedanken und/oder Handlungen 30 Die Symptome verursachen in klinisch bedeutsamer Weise Leiden oder Beeinträchtigungen; Die Symptome können nicht besser durch einfache Trauer erklärt werden; 3) Zugehörige Merkmale: Neigung zum Weinen, Reizbarkeit, Schwermut, zwanghaftes Grübeln, Angst, Phobien, übertriebene Besorgnis um körperliche Gesundheit, Schwierigkeiten im sozialen Umgang, sexuelle Probleme, Substanzmissbrauch, versuchter oder vollendeter Suizid (15%); Frauen erkranken zweimal häufiger als Männer. Die Erkrankungsrate ist bei den 25-44jährigen am höchsten und bei den 65jährigen am niedrigsten. Meist entwickeln sich die Symptome einer MD über einige Tage oder Wochen. Die Dauer einer unbehandelten Episode beträgt normalerweise 6 Monate oder länger. Bei ca. 50-60% der Patienten mit einer einzelnen Episode ist mit dem Auftreten einer weiteren zu rechnen; bei zwei abgeschlossenen Episoden steigt die Wahrscheinlichkeit auf 70%, bei drei Episoden auf 90%. Etwa 2/3 der Episoden einer MD remittieren vollständig, 1/3 remittiert teilweise bis gar nicht. 4) Differentialdiagnose der Major Depression: Eine Manische, Gemischte oder Hypomane Episode in der Anamnese schließt die Diagnose MD aus! Abgrenzung zur Dysthymen Störung: Unterscheidung bezüglich Schweregrad, Chronizität und Dauer. Abgrenzung zur Schizoaffektiven Störung: Auftreten von Wahnphänomenen oder Halluzinationen über zwei Wochen, ohne deutliche affektive Symptome; depressive Symptome sind hier Begleitsymptome. Abgrenzung zur Demenz: v.a. kognitive Symptome; bei Demenz eher kontinuierliche Abnahme der Leistungsfähigkeit, bei MD abrupte Abnahme mit Beginn der Episode; Dysthyme Störung 1) Diagnostische Verschlüsselung: Der Code für die ‚Dysthyme Störung‘ ist 300.4 2) Kriterien: A) Hauptmerkmal ist eine chronisch, depressive Verstimmung mit trauriger oder niedergeschlagener Stimmung, über 2 Jahre hinweg die meiste Zeit des Tages (bei Kindern und Jugendlichen über 1 Jahr). B) Dabei müssen mindestens zwei der folgenden Symptome vorliegen: 1. Reduzierter oder gesteigerter Appetit 2. Reduziertes oder übermäßiges Schlafbedürfnis 3. Energielosigkeit 4. Geringes Selbstwertgefühl 5. Konzentrationsstörungen oder Entscheidungserschwernis 6. Gefühl der Hoffnungslosigkeit In diesen 2 Jahren darf keine Episode einer MD auftreten und kein symptomfreier Zeitraum über 2 Monate vorliegen. Es sind keine Manischen, Hypomanen oder Gemischten Episoden in der Anamnese aufgetreten, auch die Kriterien für eine Zyklothyme Störung waren nie erfüllt. Die affektiven Symptome der Dysthymen Störung verursachen in klinisch bedeutsamer Weise Leiden oder Beeinträchtigung. 3) Zugehörige Beschreibungsmerkmale: Minderwertigkeitsgefühle, allgemeiner Verlust von Interesse oder Freude, sozialer Rückzug, Schuldgefühle, subjektive Gefühle von Gereiztheit, reduzierte Aktivität. Bei Frauen ist die Dysthyme Störung zwei bis drei mal so häufig wie bei Männern. Lebenszeitprävalenz beträgt ca. 6%. Die Dysthyme Störung zeigt oft einen frühen und schleichenden Beginn (Kindheit, Adoleszenz, frühes Erwachsenenalter) und hat zumeist einen chronischen Verlauf. 4) Differentialdiagnose zur Dysthymen Störung: Abgrenzung zur Major Depression: Dysthyme Störung ist zumeist chronisch, länger andauernd und weniger stark ausgeprägt als MD. Eventuell gleichzeitig bestehende Persönlichkeitsstörungen werden parallel diagnostiziert. Depressive Symptome bei chronisch psychotischen Erkrankungen werden nicht zusätzlich als Dysthyme Störung diagnostiziert. Erklärungsansätze der unipolaren Depression Reaktive Depressionen folgen auf klar umrissene auslösende Ereignisse. Endogene Depressionen werden anscheinend ohne Vorbedingungen von inneren Faktoren verursacht. Modernes Erklärungsmodell berücksichtigt umweltbedingte, biologische und psychologische Faktoren. · Soziokulturelles Modell: Stressoren/ Mangelnde soziale Unterstützung als Ursache. · Biologische Sicht: Mangel an Noradrenalin und Serotonin bzw. Störung des hormonellen Systems (abnormer Kortisol- oder Melantoninspiegel) · Kognitiv-verhaltenstherapeutisches Modell: Mangelnde positive Verstärkung · Theorie der gelernten Hilflosigkeit: Kontrollverlust wird internal, stabil und global attribuiert · Becks Modell: Negatives Denken: Ihre Umwelt, sich selbst und ihre Zukunft interpretieren Betroffene negativ aufgrund logischer Denkfehler wie z.B. Willkürliches Schlussfolgern oder Übergeneralisierungen. Therapie · Antidepressiva: MAO-Hemmer, Tri- und Tetrazyklische Antidepressiva, SSRI, SNRI (selektive Serotonin- oder NoradrenalinWiederaufnahmehemmer) · Kognitiv-verhaltenstherapeutische Ansätze: Einstellungsänderung; Häufig Kombination von beidem · Familientherapie 31 · · · Schlafentzug Lichttherapie EKT: Elektrokrampftherapie Bipolar I Störung 1) Diagnostische Verschlüsselung: Die Kodierung an den ersten drei Stellen, sowie an der fünften Stelle ist analog zur Kodierung der MD. Die vierte Ziffer bezeichnet die Art der Episode: 0 = einzelne Episode; 4 = Hypomane oder Manische Episode, 5 = Episode einer MD, 6 = Gemischte Episode; 7 = Unspezifische Episode. Beispiel: 296.03: Bipolar Störung, einzelne Episode, schwer ohne psychotische Merkmale 2) Kriterien: Hauptmerkmal sind eine oder mehrere Manische oder Gemischte Episoden, die gewöhnlich mit Episoden einer MD einhergehen. Kriterien für eine Manische Episode (Manie griechisch: Raserei, Wahnsinn): A) Für den Zeitraum von mindestens einer Woche (bei Hospitalisierung auch kürzer) liegt eine abnorm und anhaltend gehobene, expansive oder reizbare Stimmung vor. B) Während der Periode der Stimmungsveränderung bestehen mindestens drei (bei nur reizbarer Verstimmung mindestens vier) der folgenden Symptome in einem deutlichen Ausmaß: 1. Übersteigertes Selbstwertgefühl oder Größenideen 2. Vermindertes Schlafbedürfnis 3. Rededrang 4. Subjektives Gefühl des Gedankenrasens oder Ideenflucht 5. Erhöhte Ablenkbarkeit 6. Übermäßiger Tatendrang oder psychomotorische Unruhe 7. Übermäßige Beschäftigung mit angenehmen Aktivitäten, die mit hoher Wahrscheinlichkeit unangenehme Konsequenzen nach sich ziehen Kriterien für eine Gemischte Episode: A) Für die Zeitspanne von mindestens einer Woche sind die Kriterien für eine Manische Episode und auch die Kriterien für eine Episode einer MD beinahe täglich erfüllt. Stimmung wechselt rasch zwischen Traurigkeit, Reizbarkeit und Euphorie. Die häufigsten Symptome sind psychomotorische Unruhe, Schlaflosigkeit, Appetitveränderungen, psychotische Merkmale und Suizidgedanken. Beachte: Sowohl bei der Manischen als auch bei der Gemischten Episode ist die Störung schwer genug, um eine deutliche Beeinträchtigung in beruflichen, sozialen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen zu verursachen oder eine Hospitalisierung wegen Fremd- oder Selbstgefährdung erforderlich zu machen oder es sind psychotische Symptome vorhanden. Eine Bipolar I Störung liegt vor, wenn eine einzelne Manische oder Gemischte Episode vorkommt oder wenn es sich um einen rezidivierenden Verlauf handelt. Rezidivierender Verlauf bedeutet: a) zwischen zwei Manischen Episoden bzw. Gemischten Episoden liegt ein mindestens zweimonatiges Intervall ohne manische bzw. gemischte Symptomatik. b) ein Polaritätswechsel findet statt (z.B. Übergang von einer Episode einer MD in eine Manische oder Gemischte Episode). 3) Zugehörige Beschreibungsmerkmale: In Manischen Episoden oft keine Krankheitseinsicht, starke Veränderung des Erscheinungsbildes, desorganisiertes oder bizarres Verhalten, antisoziales Verhalten, Fremdaggression, Suizidalität (15%). Begleitende psychische Störungen sind Anorexia Nervosa, Bulimia Nervosa, Panikstörung, Soziale Phobie. Durchschnittliches Ersterkrankungsalter für Bipolar I Störungen liegt um die 20 Jahre. Häufig tritt die Manische Episode nach psychosozialen Belastungsfaktoren auf. Die Symptome eskalieren schnell, dauern wenige Wochen bis Monate an (kürzer als Episoden einer MD) und enden abrupt. Mehr als 90% der Patienten erleben weitere Episoden. 60 – 70% der Manischen Episoden treten unmittelbar vor oder nach einer Episode einer Major Depression auf. Bei ungefähr 5-15% der Bipolar Störungen treten im Laufe 1 Jahres vier oder mehr affektive Episoden auf (Zusatzcodierung: Rapid Cycling). 4) Differentialdiagnose zur Bipolar I Störung: Abgrenzung zur Major Depression, Dysthymen Störung, Bipolar II Störung und Zyklothymen Störung: durch das Auftreten mindestens einer Manischen oder Gemischten Episode. Abgrenzung zu Psychotischen Störungen: Die manischen oder depressiven Symptome die während einer Psychotischen Störung auftreten können, erfüllen nur selten nach Zahl, Dauer und Intensität die Kriterien einer Manischen oder Depressiven Episode. Bipolar II Störung 1) Diagnostische Verschlüsselung: Der Code für die ‚Bipolar II Störung‘ ist 296.89 2) Kriterien: Hauptmerkmal sind eine oder mehrere Episoden einer MD und mindestens eine Hypomane Episode. Beachte: Hypomane Episode darf nicht mit dem postremissiven Normalbefinden nach einer Episode der MD verwechselt werden, daher spielt bei der Diagnose die Fremdanamnese eine große Rolle. 32 Kriterien für eine Hypomane Episode: Die Symptome der Hypomanen Episode unterscheiden sich von denen der Manischen Episode nur durch Ihre Ausprägung. Bei der Hypomanen Episode liegt keine deutliche Beeinträchtigung der sozialen und beruflichen Funktionsfähigkeit vor oder die Erfordernis einer Hospitalisierung. 3) Zugehörige Beschreibungsmerkmale: Neben der Borderline-Persönlichkeitsstörung können weitere Komplikationen, die unter den zugehörigen Beschreibungsmerkmalen der Bipolar I Störung aufgelistet sind, auftreten. Die Lebenszeitprävalenz liegt bei 0,5%. Etwa 60-70% der Hypomanen Episoden treten unmittelbar vor oder nach einer Episode einer MD auf. Sie beginnen meist plötzlich, eskalieren schnell innerhalb ein oder zwei Tagen und können einige Wochen bis Monate andauern. Bei 5 bis 15% der Betroffenen mit Hypomanie tritt im späteren Verlauf eine Manische Episode auf. 4) Differentialdiagnose zur Bipolar II Störung: Abgrenzung zur MD und Dysthymen Störung: Durch das Vorhandensein mindestens einer Hypomanen Episode in der Anamnese; Abgrenzung zur Bipolar I Störung: Durch das Fehlen jeglicher Manischer oder Gemischter Episoden in der Anamnese. Abgrenzung zu Psychotischen Störungen: Diese sind gekennzeichnet durch Episoden mit psychotischer Symptomatik ohne ausgeprägte affektive Symptome. Zyklothyme Störung 1) Diagnostische Verschlüsselung: Der Code für ‚Zyklothyme Störung‘ ist 301.13 2) Kriterien: Hauptmerkmal ist eine chronisch, fluktuierende Affektive Störung, die sich aus Perioden mit manischen und Perioden mit depressiven Symptomen zusammensetzt. Diese Symptome reichen aber von Anzahl, Schwere, Intensität und Dauer nicht aus um eine Episode einer MD oder eine Manische Episode zu diagnostizieren. Innerhalb eines Zweijahreszeitraums (1 Jahr bei Kindern und Heranwachsenden) gibt es weder ein symptomfreies Intervall von mehr als zwei Monaten, noch tritt eine Episode einer MD oder eine Manische Episode auf. 3) Zugehörige Beschreibungsmerkmale: Störungen im Zusammenhang mit Psychotropen Substanzen und Schlafstörungen können vorliegen. Die Zyklothyme Störung beginnt oft im Jugend- oder frühen Erwachsenenalter, zeigt einen schleichenden Beginn und einen chronischen Verlauf. Das Risiko eine Bipolar I oder Bipolar II Störung zu entwickeln liegt bei 15-50% 4) Differentialdiagnose: Abgrenzung zur Bipolar I und Bipolar II Störung (mit Rapid Cycling): Die Symptome der Zyklothymen Störung erfüllen nicht die vollen Kriterien für eine Manische, Gemischte oder Depressive Episode. Abgrenzung zur Borderline Persönlichkeitsstörung: Ähnlich ausgeprägte Stimmungsschwankungen können vorliegen. Es können auch beide Störungen gleichzeitig diagnostiziert werden. Nicht Näher Bezeichnete Bipolare Störung Code: 296.80. Störungen mit bipolaren Merkmalen, die nicht die Kriterien für eine spezifische Bipolare Störung erfüllen. Z.B.: - rascher Wechsel zwischen manischen und depressiven Symptomen, die nicht die Zeitkriterien einer Manischen Episode oder einer Episode einer Major Depression erfüllen - rezidivierende Hypomane Episoden ohne dazwischenliegende depressive Symptomatik - Manische oder Gemischte Episoden, die eine Wahnhafte Störung, ein schizophrenes Residuum oder eine Nicht Näher Bezeichnete Psychotische Störung überlagern usw. Affektive Störung Aufgrund eines Medizinischen Krankheitsfaktors Code: 293.83 Diagnostische Merkmale: Das Hauptmerkmal ist eine ausgeprägte und anhaltende Stimmungsveränderung, die auf die direkte körperliche Wirkung eines medizinischen Krankheitsfaktors zurückgeführt wird (depressive Verstimmung oder gehobene, expansive oder reizbare Verstimmung). Die Störung wird als direkte Folge eines medizinischen Krankheitsfaktors belegt. Die Störung tritt nicht ausschließlich im Verlauf eines Delirs auf. Prävalenz: Bei 25-40% bestimmter neurologischer Erkrankungen kommt es zu einer ausgeprägten depressiven Störung. Wenn ZNS nicht betroffen ist variiert die Prävalenz zwischen 8-60%. Die Diagnose ist unzulässig: - beim Auftreten der Affektiven Störungen ausschließlich im Verlauf eines Delirs - oder im Verlauf einer Demenz vom Alzheimer Typ oder einer Vaskulären Demenz - bei einer aktuellen oder chronischen Substanzeinnahme Substanzinduzierte Affektive Störung 33 Diagnostische Merkmale: Das Hauptmerkmal ist eine ausgeprägte und anhaltende affektive Veränderung die als direkte körperliche Folge einer Substanz angesehen wird (depressive Verstimmung oder gehobene, expansive oder reizbare Verstimmung). Die Störung darf nicht besser durch eine andere, nicht-substanzinduzierte Affektive Störung erklärt werden. Die Diagnose wird nicht gestellt, wenn die Affektive Störung ausschließlich im Verlauf eines Delirs auftritt. Die Diagnose sollte den Diagnosen: Substanzintoxikation und Substanzentzug nur dann vorgezogen werden, wenn die affektive Symptomatik über ein bei Intoxikation oder Entzug von der jeweiligen Substanzen übliches Maß deutlich hinausgeht. Nicht Näher Bezeichnete Affektive Störung Code: 296.90 Wird diagnostiziert wenn die Kriterien für eine spezifische Affektive Störung, eine Nicht Näher Bezeichnete Depressive Störung und eine Nicht Näher Bezeichnete Bipolare Störung nicht erfüllt sind. Erklärungsmodelle zu bipolaren Störungen Permissive Theorie: - niedrige Serotoninaktivität begleitet von niedriger oder normaler Noradrenalinaktivität führt zu Depression - niedrige Serotoninaktivität begleitet von hoher Noradrenalinaktivität führt zu Manie Natriumionenaktivität: - ein gestörter Transport von Natriumionen durch die Nervenzellmembran im Gehirn führt zur Änderung der Weiterleitung der Impulse zu anderen Zellen: - Neuronen feuern leicht => Manie - Neuronen feuern erschwert => Depression Genetische Prädisposition – unterschiedliche Untersuchungsergebnisse Therapie - genaue Aufklärung - vorbeugende Maßnahmen: - Streßreduzierende Verhaltensweisen - regelmäßiger Schlaf - Vermeidung von Substanzmißbrauch - Lithium-Prophylaxe - Mono- oder Kombinationstherapie von: - Stimmungsstabilisatoren - Neuroleptika - Antidepressiva Maria Loderer Angststörungen Angst ist ein normales menschliches Phänomen, eine aus evolutionärer Sicht entwickelte Schutzfunktion, die das Überleben des Organismus sichert. Erst unangepaßte, übertriebene, der Situation nicht angemessene Angstreaktionen kann man als Störung bezeichnen. Formen von Angststörugen: Panikstörung mit/ohne Agoraphobie Agoraphobie ohne Panikstörung Spezifische Phobie Soziale Phobie Zwangsstörung Posttraumatische Belastungsstörung (PTSD) Akute Belastungsstörung Generalisierte Angststörung Angststörung aufgrund eines Medizinischen Krankheitsfaktors Substanzinduzierte Angststörung Nicht näher bezeichnete Angststörung 34 1. Panikstörung mit/ohne Agoraphobie Panikattacke: (Pan = gr. Mythologie Hirtengott, soll die Perser bei der Schlacht bei Marathon in Angst und Schrecken, "Panik" versetzt haben) Merkmale: abgrenzbare Periode intensiver Angst und Unbehagens, begleitet von kognitiven und somatischen Symptomen setzt plötzlich, anfallsartig ein, erreicht schnell einen Höhepunkt, oft begleitet von einem Gefühl drohender Gefahr mit starkem Drang zum Fliehen. Symptome: Herzklopfen, Schwitzen, Zittern, Gefühl der Atemnot, Erstickungsgefühle, Schwindel Derealisation (Veränderung der Wahrnehmung der äußeren Welt, diese erscheint fremd oder irreal) Depersonalisation (Veränderung der Selbstwahrnehmung, Gefühl als beobachte man seine eigenen körperlichen und geistigen Prozesse von außen) Angst, die Kontrolle zu verlieren oder "verrückt" zu werden Todesangst Man unterscheidet folgende Formen von Attacken unerwartete (nicht ausgelöste) Panikattacken treten spontan "wie aus heiterem Himmel" auf situationsgebundene Panikattacken: treten in Konfrontation mit bestimmten Reizen auf (z.B. Anblick einer Schlange), charakteristisch für soziale und spezifische Phobien situationsbegünstigte Panikattacken Auftreten ist in bestimmten Situationen wahrscheinlicher (z.B. U-Bahn fahren) Die Panikattacke ist keine codierbare Störung, codiert wird eine spezifische Diagnose innerhalb der die Panikattacken auftreten (z.B. Panikstörung mit oder ohne Agoraphobie) Agoraphobie: (agora = gr.: offener Platz) Merkmale: Angst sich an bestimmten Orten oder Situationen zu befinden, bei welchen Paniksymptome auftreten oder die eine Flucht schwierig oder peinlich machen. Die Angst führt üblicherweise zum Vermeiden solcher Situationen (z.B. nicht alleine aus dem Haus gehen, Vermeidung von Menschenmengen). Das Vermeidungsverhalten kann zu Beeinträchtigung der Lebensführung führen (z.B. zur Arbeit fahren) Agoraphobie ist keine codierbare Störung, sondern es wird die spezifische Störung z.B. Agoraphobie mit Panikstörung codiert. Ausschlußkriterien: Es ergibt sich eine Schwierigkeit der Abgrenzung zu Sozialer Phobie, Spezifischer Phobie und Trennungsangst, da diese alle durch Vermeidung charakteristischer Situationen gekennzeichnet sind. Weitere Ausschlußkriterien sind: Zwangsstörung (z.B. zwanghafte Vermeidung von Schmutz), Posttraumatische Belastungsstörung. Erklärungsansatz des Konditionierungsmodells (Lerntheorie): Es tritt z.B. eine Panikattacke während der Fahrt mit der U-Bahn auf. Nach der klassischen Konditionierung wird nun das U-Bahnfahren (neutraler Reiz) mit der Panikattacke (unkonditionierter Reiz) verknüpft und zum konditionierten Reiz. In der Folge wird nun das UBahnfahren vermieden. Dieses Verhalten wird dadurch negativ verstärkt, daß keine Panikattacken auftreten, wenn der unangenehme Reiz vermieden wird. Durch die negative Verstärkung lernt die Person Situationen zu vermeiden, die Panikattacken auslösen könnten. Ein möglicher Therapieansatz wäre hier eine verhaltenstherapeutische Intervention durch systematische Desensibilisierung oder Konfrontation mit der angstauslösenden Situation. Diagnostische Merkmale der Panikstörung: wiederkehrende unerwartete Panikattacken 35 anhaltende Besorgnis über das Auftreten weiterer Attacken Sorgen über die Folgen wie, Kontrolle zu verlieren, Herzinfarkt, Kontrollverlust Je nachdem ob Kriterien für Agoraphobie ebenfalls erfüllt sind, wird Panikstörung mit oder ohne Agoraphobie diagnostiziert Zugehörige Merkmale: immer wieder auftretende Angstgefühle, die sich nicht auf bestimmte Situationen beziehen häufig hypochondrische Symptome Häufiges Vorkommen einer Major Depression (50-65%) Komorbidität mit anderen Angststörungen ist häufig (z.B. 15-30% mit sozialer Phobie) Störungen mit Trennungsangst in der Kindheit werden ebenfalls mit Pankikstörungen in Zusammenhang gebracht Ausschlußkriterien: Panikattacken gehen nicht auf die Wirkung einer Substanz (z.B. Koffeinintoxikation) oder eines medizinischen Krankheitsfaktors zurück (z.B. Schilddrüsenüberfunktion) Panikattacken werden nicht durch andere psychische Störung, wie z.B. Soziale Phobie, Spezifische Phobie, Zwangsstörung, Posttraumatische Belastungsstörung erklärt Prävalenz und Verlauf: 1,5 - 3,5%, ein Drittel bis zur Hälfte der Personen mit Panikstörung haben auch eine Agoraphobie, Ersterkrankung zw. später Adoleszenz und Mitte 30, meist chronisch 2. Agoraphobie ohne Panikstörung Die Kriterien für eine Agoraphobie sind erfüllt, aber die Kriterien für eine Panikstörung fehlen bzw. die Symptomatik ist unvollständig. Prävalenz: In klinischen Einrichtungen weisen fast alle Personen mit Agoraphobie auch eine Panikstörung auf, in epidemiologischen Studien dagegen kommt Agoraphobie ohne Panikstörung häufiger vor. Dafür könnten aber auch Probleme bei der Erhebung verantwortlich sein, da bei einer jüngst wiederholten Untersuchung, bei einer Mehrzahl der Personen anstatt einer Agoraphobie Spezifische Phobien diagnostiziert wurden. 3. Spezifische Phobie Diagnostische Merkmale: Ausgeprägte und anhaltende Angst vor eng umschriebenen Objekten oder Situationen, die übertrieben oder unbegründet ist. Konfrontation mit phobischem Stimulus ruft unmittelbare Angstreaktion hervor Es können in diesem Zusammenhang auch Panikattacken auftreten, wenn die Person dem auslösenden Stimulus nicht ausweichen kann. Angstauslösende Situationen oder Objekte werden typischerweise vermieden oder nur unter starker Angst ertragen Erwachsenen (bei Kindern nicht notwendig) erkennen, daß die Phobie übermäßig und unbegründet ist (wenn nicht, wird anstelle der spezifischen Phobie eine wahnhafte Störung diagnostiziert). Diagnose sollte nur gestellt werden wenn die Vermeidung des auslösenden Stimulus das alltägliche Leben beeinträchtigen oder die Person stark unter der Phobie leidet. Subtypen: Tier-Typus: Tiere oder Insekten Umwelt-Typus: Angst vor Umweltphänomenen, wie Sturm, Wasser etc. Blut-Spritzen-Verletzungstypus: Anblick von Blut, Verletzung oder Injektion Situativer Typus: z.B. Flugangst, Fahrstühle, öffentliche Verkehrsmittel Anderer Typus: z.B. Ersticken, laute Geräusche Verlauf: 36 Die meisten dieser spezifischen Ängste beginnen im Kindesalter. Prädisponierende Faktoren können traumatische Erlebnisse sein (z.B. von einem Tier angegriffen werden), oder auch wiederholte Warnungen vor bestimmten Situationen oder Objekten durch Eltern oder Medien (z.B. Flugzeugunfälle). Phobien die bis ins Erwachsenenalter anhalten remittieren nur selten. Prävalenz: Spezifische Phobien kommen sehr häufig vor, führen aber selten zu hoher Beeinträchtigung, die Diagnose hängt also davon ab welche Schwelle für die Bestimmung der Beeinträchtigung festgelegt wird, Bevölkerungsstichprobe ca. 9% 4. Soziale Phobie Diagnostische Merkmale: Hauptmerkmal ist eine ausgeprägte und anhaltende Angst vor sozialen oder Leistungssituationen. Die Personen haben Angst Verhalten zu zeigen, das demütigend oder peinlich sein könnte. Sie befürchten sich zu blamieren und von anderen als ängstlich oder dumm beurteilt zu werden. Oft besteht die Angst darin, daß andere Personen Ihre Angst, z.B. das Zittern ihrer Stimme beim Sprechen bemerken könnten Personen mit sozialer Phobie vermeiden Leistungssituationen oder Situationen die peinlich sein könnten oder ertragen sie nur mit schwerer Angst, wie z.B. öffentliches Sprechen, Essen oder Schreiben. Die Konfrontation mit gefürchteten sozialen Situationen ruft unmittelbare Angstreaktion hervor, kann situationsbegünstigte Panikattacke annehmen. Fast immer werden dabei Angstsymptome wie Herzklopfen, Zittern, Schwitzen, Erröten von der Person wahrgenommen. Die Angst oder das Vermeidungsverhalten muß deutlich die normale Lebensführung beeinträchtigen. Z.B. würde Angst vor öffentlichem Sprechen nicht unter die Diagnose fallen, wenn die Person nicht aus beruflichen Gründen regelmäßig dazu gezwungen ist dies zu tun oder sehr darunter leidet. Besonders bei Kindern und Jugendlichen kommt eine gewisse soziale Phobie (die Angst sich zu blamieren) häufig vor. Auschlusskriterien: Diagnostiziert sollte soziale Phobie nicht werden wenn z.B. der Prüfling tatsächlich nicht auf seine Prüfung vorbereitet ist und deswegen Angst vor dem Versagen hat. (Allerdings kann hier ein Teufelskreis entstehen aus Erwartungsangst zu versagen, die dann tatsächlich zu schlechten Leistungen führen kann und diese Angst wiederum verschärft). Andere psychische Störungen, wie Panikstörung, Störung mit Trennungsangst, Entwicklungsstörung, Schizoide Persönlichkeitsstörung oder ein medizinischer Krankheitsfaktor Körperliche Wirkungen von Medikamenten oder Drogen Zusatzcodierung: Generalisiert: wenn die Ängste viele verschiedene soziale Situationen betreffen, z.B. Gespräch beginnen und aufrechterhalten, Teilnahme an Gruppen, Verabredungen, Sprechen mit Autoritätspersonen, Parties und öffentliche Leistungssituationen. Zugehörige Merkmale: Überempfindlichkeit gegenüber Kritik, negative Bewertung oder Ablehnung, geringes Selbstwertgefühl oder Minderwertigkeitskomplexe. Personen schneiden in Schule oder Beruf in der Leistung oft schlechter ab wegen des Vermeidens von Sprechen oder Angst in Prüfungssituationen Soziales Netz ist häufig klein, oft Rückzug in die Herkunftsfamilie Verlauf: beginnt typischerweise im Alter von ca. 15 Jahren, entwickelt sich manchmal aus Schüchternheit in der Kindheit. Meist kontinuierlicher Verlauf, häufig lebenslang Prävalenz: Da Prüfungsangst, Lampenfieber und Schüchternheit in sozialen Situationen mit fremden Personen weit verbreitet sind, ist es schwierig zu bestimmen wo die Schwelle für Belastung und Beeinträchtigung festgelegt wird. Je nach der Schwelle der Bestimmung liegt sie bei 3 bis 13%. Eine Studie hat ergeben, daß 20% der Befragten ausgesprochene Ängste bei öffentlichem Sprechen haben davon aber nur 2% hinreichende Beeinträchtigungen haben, die eine Diagnose einer sozialen Phobie rechtfertigen würden. 5. Zwangsstörung 37 Zwangsgedanken: Anhaltende Ideen, Gedanken oder Vorstellungen die als aufdringlich oder unangemessen empfunden werden und ausgeprägte Angst oder Leiden verursachen. Die Person empfindet den Inhalt der Gedanken als fremd und nicht der Kontrolle unterliegend (ich-dyston). Die Person kann jedoch erkennen, daß die Zwangsgedanken Produkt des eigenen Geistes sind und nicht von außen auferlegt sind. Häufiger Inhalt der Zwangsgedanken sind wiederkehrende Gedanken verschmutzt oder infiziert zu werden (z.B. beim Händeschütteln) oder Zweifel darüber ob man z.B. die Tür abgeschlossen oder den Ofen ausgemacht hat oder aggressive Impulse z.B. sein Kind zu verletzen oder Obszönitäten in der Kirche auszurufen, oder wiederkehrende pornographische Vorstellungen. Zwangsgedanken sind nicht durch ausgeprägte Sorgen über reale Lebensprobleme definiert. Person versucht Gedanken zu ignorieren, zu unterdrücken oder mit anderen Gedanken oder Handlungen zu neutralisieren. (z.B. immer wieder überprüfen ob der Ofen aus ist) Zwangshandlungen: Sich wiederholende Verhaltensweisen (z.B. Hände waschen) oder auch geistige Handlungen (z.B. Zählen, Wörter wiederholen), um Angst oder Unwohlsein zu verhindern. Die häufigsten Zwangshandlungen sind: Waschen, Putzen, Zählen, Nachprüfen, Ordnen. Die Person fühlt sich gezwungen Zwangshandlungen auszuführen, um Unwohlsein oder Angst zu reduzieren oder befürchtete Ereignisse zu verhindern. Wenn die Person versucht den Zwangshandlungen zu widerstehen, entwickelt sich ein Gefühl wachsender Angst oder Anspannung, die abnimmt, wenn die Zwangshandlung ausgeführt wird. Die Zwangsgedanken oder Zwangshandlungen müssen erhebliche Belastung, hohen Zeitaufwand hervorrufen (mehr als 1 Stunde täglich) oder die normale Tagesroutine deutlich beeinträchtigen, um diagnostiziert zu werden. Zwangsstörung wird nicht diagnostiziert, wenn der Inhalt der Gedanken ausschließlich mit anderen psychischen Störungen zusammenhängt, wie bei Körperdysmorphen Störung, Spezifischer oder Sozialer Phobie, Major Depression, Generalisierter Angststörung, Hypochondrie, Schizophrenie, Tic-Störung, Eßstörung. Zugehörige Merkmale: Häufig werden Situationen vermieden, die den Inhalt der Zwangsgedanken betreffen, wie z.B. Schmutz. Oft hypochondrische Sorgen mit häufigen Arztbesuchen oder Schuldgefühle oder ein pathologisches Gefühl von Verantwortung, Schlafstörungen. Die Ausübung der Zwangshandlung kann zum hauptsächlichen Lebensinhalt werden, was zu schweren Beeinträchtigung der Ehe, des Berufs und des Soziallebens führen kann. Die Zwangsstörung kann gemeinsam mit Major Depression oder Angststörungen auftreten Prävalenz und Verlauf: Lebenszeitprävalenz ca. 2,5%, Beginn ist üblicherweise in der Adoleszenz oder frühem Erwachsenenalter, kann aber auch in der Kindheit beginnen. Meist chronischer Verlauf mit Symptomverschlechterung. 5. Posttraumatische Belastungsstörung (PTSD) Bei der posttraumatischen Belastungsstörung entwickeln sich charakteristische Symptome nach dem Erleben oder auch durch das Beobachten eines extrem traumatischen Ereignisses, das mit Androhung des Todes, schweren Verletzungen oder Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit einhergeht. (z.B. Krieg, Folterung, Konzentrationslager, Vergewaltigung, sexueller Mißbrauch im Kindesalter, Raubüberfall, Entführung, Geiselnahme, schwere Unfälle). Je intensiver und direkter der Belastungsfaktor erlebt wurde, desto wahrscheinlicher scheint die Ausbildung der Störung zu sein. Man unterteilt die traumatischen Erfahrungen in zwei Typen: Typ I: einmalige, eher kurzfristige Ereignisse (z.B. Unfall, Vergewaltigung, Naturkatastrophe) Typ II: wiederholte, länger andauernde Stressoren (z.B. körperliche und sexuelle Mißhandlungen, Krieg, Gefangenschaft). Oft versucht das Opfer sich den Umständen anzupassen, um zu überleben und entwickelt hierzu Strategien wie dissoziatives Abspalten oder emotionales Abstumpfen, um Schmerz zu vermeiden. Hier ist die Gefahr einer tiefgreifenden Beeinflussung der gesamten Persönlichkeit sehr hoch. Typische Folgen einer Typ IITraumatisierung können sich auch in folgenden Bereichen finden: Somatisierung, Affektregulation, Beziehungsunfähigkeit, Reviktimisierung Diagnostische Kriterien: 38 (hier wird im Gegensatz zu den meisten anderen psychischen Störungen auch die Entstehung, d.h. das traumatische Ereignis, in die Definition miteinbezogen) Konfrontation mit dem traumatischen Ereignis Person war mit einem Ereignis konfrontiert, das tatsächlichen oder drohenden Tod oder ernsthafte Verletzung oder Gefahr körperlicher Unversehrtheit der eigenen Person oder anderer Personen beinhaltet Die Reaktion der Person umfasste intensive Furcht, Hilflosigkeit oder Entsetzen. Bei Kindern kann sich dies durch aufgelöstes oder agitiertes Verhalten äußern. Wiedererleben des traumatischen Ereignisses wiederkehrende, belastende Erinnerungen an das Ereignis (Bilder, Gedanken, Wahrnehmungen), bei kleinen Kindern können Aspekte des Traumas in Spielen ausgedrückt werden. wiederkehrende belastende Träume (Alpträume) von dem Ereignis, bei Kindern können stark beängstigende Träume ohne wiedererkennbaren Inhalt auftreten. Handeln oder Fühlen als ob das Ereignis wiederkehrt (Illusionen, Halluzinationen, Flash-Backs) Intensive psychische Belastung oder körperliche Reaktionen bei Konfrontation mit Hinweisreizen (internal und external), die an das traumatische Ereignis erinnern. Vermeidung von Reizen, die mit Trauma verbunden sind bewußtes Vermeiden von Gedanken, Gefühlen, Gesprächen die mit dem Trauma in Verbindung stehen bewußtes Vermeiden von Aktivitäten, Orten, Personen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen Unfähigkeit sich an einen wichtigen Aspekt des Traumas zu erinnern (Dissoziation) vermindertes Interesse an wichtigen Aktivitäten Gefühl der Losgelöstheit oder Entfremdung von anderen eingeschränkte Bandbreite des Affekts (z.B. Unfähigkeit, zärtliche Gefühle zu empfinden) Gefühl einer eingeschränkten Zukunft Symptome erhöhten Arousals (Erregtheit) Schwierigkeiten ein- oder durchzuschlafen Reizbarkeit, Wutausbrüche, Konzentrationsschwierigkeiten, Hypervigilanz, übertriebene Schreckreaktionen Man unterscheidet zwischen: akut: Symptome weniger als 3 Monate chronisch: Symptome mehr als 3 Monate verzögertem Beginn: es liegen mindestens 6 Monate zwischen Ereignis und Beginn der Symptome Zugehörige Merkmale: Es können qualvolle Schuldgefühle auftreten (z.B. überlebt zu haben, während andere nicht überlebt haben). Das phobische Vermeiden bestimmter Hinweisreize auf das Trauma kann zu Konflikten in zwischenmenschlichen Beziehungen oder am Arbeitsplatz führen. Weitere Merkmale sind Gefühle der Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung, ständiges Gefühl des Bedrohtseins, selbstschädigendes Verhalten. Differentialdiagnose: Die Symptomatik muß länger als einen Monat andauern, da diese sich nach einem traumatischen Ereignis oft innerhalb eines Monats zurückbildet. Der Belastungsfaktor muß extrem sein (lebensbedrohlich), ansonsten Anpassungs-störung. Wenn Symptome wie Vermeidung, Empfindungslosigkeit, erhöhtes Arousal schon vor dem Trauma vorhanden waren, sind Kriterien für PTSD nicht erfüllt (evtl. affektive Störung oder andere Angststörung). Bei Zwangsstörungen sind im Gegensatz zu PTSD die wiederkehrenden Gedanken unangemessen und stehen inhaltlich nicht in Zusammenhang mit einem traumatischen Erlebnis. 39 Verlauf: Posttraumatische Belastungsstörungen können in jedem Alter auftreten (einschließlich der Kindheit). Normalerweise treten die Symptome innerhalb der ersten 3 Monate nach dem Ereignis auf, sie können aber auch um Monate und Jahre verzögert sein. Es gibt Hinweise, dass soziale Unterstützung, Kindheitserfahrungen, Persönlichkeitsvariablen die Ausbildung einer PTSD beeinflussen können. Prävalenz: In der Allgemeinbevölkerung 1-14%, je nach Erfassungsmethode und untersuchter Stichprobe. Studien an Risikopopulationen (z.B. Kriegsveteranen, Opfer krimineller Gewalt) ergaben Raten zw. 3-58%. 7. Akute Belastungsstörung Man spricht von Akuter Belastungsstörung, wenn die charakteristischen Symptome nach einem traumatischen Ereignis innerhalb eines Monats nach dem traumatischen Erlebnis auftauchen, das Störungsbild mindestens 2 Tage anhält und nicht länger als 4 Wochen nach dem Erlebnis anhält. 8. Generalisierte Angststörung Diagnostische Merkmale: ausgeprägte Angst und Sorge in Bezug auf eine Reihe von Ereignissen oder Tätigkeiten, mindestens über 6 Monate an Mehrzahl von Tagen. (z.B. berufliche Verpflichtungen, Finanzen, Gesundheit, Sorgen um Kinder) Person findet es schwierig die Sorgen zu kontrollieren Mindestens 3 der folgenden Symptome treten auf: Ruhelosigkeit, leichte Ermüdbarkeit, Konzentrationsschwierigkeiten, Muskelspannung, Reizbarkeit, Schlafprobleme Intensität, Dauer und Häufigkeit der Angst und Sorge sind deutlich übertrieben im Vergleich zur Wahrscheinlichkeit des gefürchteten Ereignisses Differentialdiagnose: Panikstörung, Soziale Phobie, Zwangsstörung, Somatisierungstörungen, PTSD oder substanzinduzierte Störungen Zugehörige Merkmale und Störungen: Zittern, wacklige Gefühle, Verspannungen, kalte, feuchte Hände, Übelkeit, Schwitzen, Gefühl einen Kloß im Hals zu haben, depressive Symptome Die generalisierte Angststörung tritt häufig gemeinsam mit einer Affektiven Störung oder anderen Angststörungen auf. Prävalenz und Verlauf: Lebenszeitprävalenz liegt bei 5%. Oft haben sich die Personen ihr ganzes Leben lang ängstlich und nervös gefühlt. Die Hälfte der Personen berichtet den Beginn im Kindes- oder Adoleszenzalter, aber auch der Beginn nach dem 20. Lebensjahr kommt häufig vor. 9. Angststörung aufgrund eines medizinischen Krankheitsfaktors ausgeprägte Angst, Panikattacken, Zwangsgedanken/Handlungen, aufgrund eines medizinischen Krankheitsfaktors. Dazu gehören endokrinologische Krankheitsfaktoren, (z.B. Schilddrüsenüberfunktion/-Unterfunktion, Nebennierenrindenüberfunktion), kardiovaskuläre Krankheitsfaktoren (z.B. Herzfehler), Atemwegserkrankungen, Stoffwechselerkrankungen, neurologische Krankheitsfaktoren Ausgeschlossen werden Angststörung aufgrund eines Delirs und substanzinduzierte Angststörung 40 10. Substanzinduzierte Angststörung ausgeprägte Angstsymptome, Panikattacken, Zwangsgedanken, aufgrund einer Substanz (z.B. Droge, Medikament), die sowohl während der Intoxikation als auch beim Entzug der Substanz auftreten können (ausgeschlossen Delir). 11. Nicht näher bezeichnete Angststörung Darunter fallen ausgeprägte Angst oder phobische Vermeidung, die nicht die Kriterien für irgendeine Angststörung, Anpassungsstörung oder Affektive Störung erfüllen. Monika Kaesberg, Sabine Steffen Somatoforme Störungen 1. Einleitung: Historisches und Klassifikationsversuche Somatoforme Störungen umfassen Krankheitsbilder, bei denen körperliche Beschwerden im Vordergrund stehen, die aber nicht eindeutig auf organische Ursachen zurückzuführen sind oder bei denen Ängste um die körperliche Gesundheit von krankhaftem Ausmaß sind. Die Patienten haben Beschwerden, die ausschließlich psychische Ursachen haben. Die Erkenntnis des Zusammenhangs psychischer Prozesse und körperlicher Beschwerden geht bis ins frühe Altertum zurück. So wurde angenommen, daß ein unerfüllter Kinderwunsch bei Frauen zu Bewegungen in der Gebärmutter führt, verbunden mit Unterleibsschmerzen (griech. hystera = Gebärmutter). Die Bezeichnung "Hysterie" wurde in der psychiatrischen Diagnostik lange für vielfältige, psychische Erlebens- und Verhaltensstörungen verwendet: Bereiche wie gestörte Persönlichkeitsentwicklung, Konversionsstörungen und dissoziative Störungen. Man unterstellte einen gemeinsamen Verursachungs- und Verarbeitungsmodus. Doch wegen der Vielgestaltigkeit des Begriffs Hysterie und wegen einer heterogenen Sicht der Ätiologie wurden die Begriffe "Hysterie", "hysterische Neurose" und "hysterische Persönlichkeit" seit dem DSM-III (1980) und dem ICD-10 (1991) abgeschafft. Das DSM-IV faßt die somatoformen Störungen in 7 Untergruppen zusammen, dies geschah aufgrund der klinischen Nützlichkeit, weniger aufgrund von Annahmen bezüglich einer gemeinsamen Ätiologie oder gemeinsamer Mechanismen. Gemeinsame Merkmale dieser Gruppe: - körperliche Symptome, die einen medizinische Krankheitsfaktor nahelegen, dadurch aber nicht vollständig erklärbar sind - verursachen in klinisch bedeutsamer Weise Leiden/Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Bereichen - körperliche Symptome sind nicht willentlich erzeugt - kognitiv: Aufmerksamkeitsfokus auf körperliche Prozesse - affektiv: Niedergeschlagenheit, Hilflosigkeit bis hin zur Depression - verhaltensbezogen: Schonverhalten, sozialer Rückzug, "checking behaviour" Daneben gewann der Begriff "Psychosomatik" in letzter Zeit an Bedeutung, worunter man körperliche Krankheiten versteht, bei denen psychische Prozesse in der Ätiologie zumindest bei einem Teil der Patienten eine Rolle spielt. Sie werden primär unter organischen Krankheiten diagnostiziert. Sind jedoch psychische Prozesse bei Entstehung und Aufrechterhaltung dieser Krankheiten besonders hervorstechend, kann als psychische Zusatzdiagnose nach dem DSM-IV die Nummer 316 (spezifische Faktoren, die eine körperliche Krankheit beeinflussen) verwendet werden. Doch bei der Unterscheidung von psychosomatischen Krankheiten und somatoformen Störungen gibt es einen großen Überlappungsbereich und einige Krankheitsbilder sind schwerlich einer der beiden Gruppen zuzuordnen (z.B. unklare Magen- und Darmbeschwerden, chronisches Erschöpfungssyndrom). 2. Somatoforme Störungen 2.1. Somatisierungsstörung 300.81 (F45.0) Hauptmerkmal ist ein Muster von rezidivierenden, multiplen, klinisch bedeutsamen somatischen Beschwerden bei fehlenden Laborbefunden, die die subjektiven Beschwerden erklären könnten. Diagnostische Kriterien: siehe DSM–IV, Seite 514 Zugehörige Merkmale und Störungen: "Doktorshopping", kann zu gewagten Kombinationen von Behandlungsmaßnahmen führen. Weitere Symptome: ausgeprägte Angstsymptome, depressive Stimmungen, impulsives und antisoziales Verhalten, Suiziddrohungen und -versuche sowie Eheschwierigkeiten. Häufig auch Major Depression, Panikstörungen oder Störungen in Zusammenhang mit Pychotropen Substanzen, Histrionische, Antisoziale und Borderline Persönlichkeitsstörungen. 41 Besondere kulturelle und Geschlechtsmerkmale: In Afrika und Südasien häufiger pseudoneurologische Symptome, wie Brennen in den Händen, Würmer im Kopf oder Krabbeln von Ameisen unter der Haut. Bei Männern in den USA nur selten, eine höhere Häufigkeit ist bei griechischen und puertoricanischen Männern zu beobachten. Prävalenz: Bei Frauen zwischen 0,2-2%, bei Männern unter 0,2 %. Verlauf: Die Somatisierungsstörung remittiert selten vollständig. Die diagnostischen Kriterien werden typischerweise bis zum 25. Lebensjahr erreicht, die ersten Symptome können jedoch schon während der Adoleszenz vorhanden sein, bei Frauen können Menstruationsprobleme auftreten. Oftmals besteht eine Beziehung zwischen sexuellen Symptomen und ehelicher Unzufriedenheit. Familiäres Verteilungsmuster: 10-20 % der weiblichen biologischen Verwandten 1. Grades von erkrankten Frauen weisen ebenfalls eine Somatisierungsstörung auf. Männliche Verwandte: zeigen eine erhöhte Risikobereitschaft für die Antisoziale Persönlichkeitsstörung und für Störungen im Zusammenhang mit Psychotropen Substanzen. Kinder aus betroffenen Adoptivfamilien sind ebenso häufiger betroffen. Differentialdiagnose: Es gibt drei Merkmale, die eher die Diagnose einer Somatisierungsstörung nahelegen als die eines medizinischen Krankheitsfaktors: - Beteiligung mehrerer Organsysteme - früher Beginn und chronischer Verlauf ohne erkennbare körperliche Symptome oder struktureller Entwicklungen - Fehlen von abnormen Laborbefunden. Weitere Abgrenzungen und Unterscheidungen müssen betroffen werden zu: Schizophrenie, Angst-, und Panikstörungen, Generalisierte Angststörung, Affektiven Störungen und Depressiven Störungen. 2.2. Undifferenzierte Somatoforme Störung 300.81 (F45.1) Ähnlich der Somatoformen Störung, Diagnostische Kriterien: siehe DSM – IV, Seite 514 Differentialdiagnose: Es gelten die gleichen Kriterien für die Abgrenzung zu anderen Krankheitsbildern wie bei der Somatoformen Störung. Bestehen die körperlichen Beschwerden weniger als sechs Monate, sollte die Diagnose der Nicht Näher Bezeichneten Somatoformen Störung gestellt werden. 2.3. Konversionsstörung 300.11 (F44.xx) Konversionssymptome betreffen die willkürlichen motorischen oder sensorischen Funktionen. Aufgrund der dargebotenen Symptome oder Defizite werden folgende Subtypen beschrieben: Mit motorischen Symptomen oder Ausfällen: Koordinations- oder Gleichgewichtsstörungen, Lähmungen oder umschriebene Muskelschwäche, Aphonie, Schluckschwierigkeiten, Kloßgefühl im Hals sowie Harnverhaltung. Mit sensorischen Symptomen oder Ausfällen: Dieser Subtyp umfaßt den Verlust der Berührungs- und Schmerzempfindung, das Sehen von Doppelbildern, Blindheit, Taubheit und Halluzinationen. Mit Anfällen oder Krämpfen: Es treten (Krampf-) Anfälle oder Krämpfe mit Beteiligung der Willkürmotorik und –sensorik auf. Mit gemischten Erscheinungsbild: Symptome aus mehr als einer Kategorie treten auf. Bei ca. einem Viertel bis zur Hälfte der Patienten, bei denen eine Konversionsstörung diagnostiziert wurde, fanden sich zu einem späteren Zeitpunkt somatische Ursachen, besonders bei der Multiplen Sklerose. Diagnostische Kriterien: Siehe DSM – IV, Seite 522 Prävalenz: Die Angaben schwanken sehr stark und liegen zwischen 11/100.000 und 300/100.000. Verlauf: Beginn üblicherweise zwischen der späten Kindheit und dem frühen Erwachsenenalter, bei akuter Symptomatik von nur kurzer Dauer. Bei stationärer Behandlung Remission innerhalb von zwei Wochen. Häufiges Wiederauftreten, bei einem Fünftel bis Viertel der Betroffenen innerhalb eines Jahres. Familiäres Verteilungsmuster: Erhöhtes Risiko bei Verwandten von Konversionsstörungen. Differentialdiagnose: Ausschluß verborgener neurologischer oder anderer medizinischer Krankheitsfaktoren sowie substanz- einschließlich medikamenteninduzierter Ätiologien. Abgrenzung zur Schmerzstörung, Hypochondrie, Körperdysmorpher Störung, Sexueller Funktionsstörung, Somatisierungsstörung, anderer Psychischer-, Psychotischer- oder Affektiver Störungen. Die Zuordnung von Halluzinationen zur 42 Konversionsstörung ist umstritten, da hier Krankheitseinsicht vorhanden und häufig mehr als eine Sinnesmodalität betroffen (z.B. optische und akustische Halluzinationen) ist. 2.4. Schmerzstörung Diagnostische Kriterien: Siehe DSM–IV, Seite 527 307.80 (F 45.4) Schmerzstörung in Verbindung mit Psychischen Faktoren Bestimme ob: Akut: Dauer weniger als sechs Monate; chronisch: Dauer sechs Monate oder länger 307.89 (F45.4) Schmerzstörung in Verbindung mit sowohl Psychischen Faktoren wie einem Medizinischen Krankheitsfaktor Bestimme ob: Akut: s.o., oder chronisch: s.o. Zugehörige Merkmale und Störungen: Abhängigkeit von Opiaten und Benzodiazepinen, Depressionen bei chronische Schmerzen, akute Zustände stehen häufig mit Angststörungen in Verbindung. Störungen des Bewegungsapparates, Neuropathien und Malignome sind häufige Krankheitsfaktoren. Die Behandlung der Schmerzen können zu zusätzlichen Problemen und Schmerzen (z.B. gastrointestinale Beschwerden) führen. Kulturelle, Alters- und Geschlechtsmerkmale Unterschiede bestehen in der Reaktion auf einen schmerzhaften Reiz und wie dieser ausgedrückt wird. Die Schmerzstörung kann in jedem Alter auftreten, bei Frauen sind häufiger Kopf- und Bewegungsapparatschmerzen als bei Männern zu beobachten. Prävalenz und familiäres Verteilungsmuster: Relativ häufig, 10-15% der Erwachsenen sind alleine wegen Rückenschmerzen in ihrer Arbeitsfähigkeit eingeschränkt. Verwandte 1. Grades sind bzgl. chronischer Schmerzen häufiger betroffen. Verlauf: Akute Schmerzen remittieren nach relativ kurzer Zeit. Chronisch erkrankte Patienten kommen erst nach vielen Jahren erfolgloser Behandlungen in psychiatrische Einrichtungen. Die Aufrechterhaltung planmäßiger Aktivitäten spielt bei der Gesundung eine große Rolle. Differentialdiagnose: Schmerzstörung in Verbindung mit Medizinischen Krankheitsfaktoren. Der diagnostische Code wird aufgrund des zugrundeliegenden medizinischen Krankheitsfaktors oder auf Grund der anatomischen Lokalisation der Schmerzen ausgewählt. Beispiel: Lumbago (724.2) Abgrenzung zur Somatisierungsstörung und Konversionsstörung Dyspareunie (Schmerzen beim Geschlechtsverkehr) andere psychische Störungen Vorgetäuschte Störung oder Simulation 2.5. Hypochondrie (300.7; F45.2) Übermäßige Beschäftigung mit der Angst oder Überzeugung, eine ernsthafte Krankheit zu haben, was auf einer Fehlinterpretation von körperlichen Symptomen oder körperlichen Funktionen durch die betroffene Person beruht. Weitere Kennzeichen: - ausführliche Schilderung körperlicher Anamnese - häufige Arztbesuche ("doctor-shopping") und Verschlechterung der Arzt-Patient-Beziehung - soziale Beziehungen werden belastet - Beeinträchtigung der Leistung am Arbeitsplatz - ernsthafte Erkrankungen in der Kindheit oder Tod naher Personen können Auslöser sein Prävalenz: in Allgemeinpraxen ca. 4 - 9 % Verlauf: Beginn: meist frühes Erwachsenenalter; Verlauf gewöhnlich chronisch, jedoch kommt es manchmal zur vollständigen Remission; Differentialdiagnose: - medizinischer Krankheitsfaktor - körperliche Symptome bei Kindern - Gesundheitssorgen im hohen Alter - Abgrenzen zu Körperdysmorphe Störung oder Spezifische (Krankheits-) Phobie 2.6. Körperdysmorphe Störung (300.7; F45.2) Sie ist gekennzeichnet durch die übermäßige Beschäftigung mit einem eingebildeten oder überbewerteten Mangel oder einer Entstellung des körperlichen Aussehens. 43 Zugehörige Merkmale und Störungen - Überprüfung der "Entstellung" im Spiegel bei bestimmter Beleuchtung und durch Vergrößerungsgläser - oder Vermeiden von Spiegeln - beruhigende Rückversicherung Dritter - "Schönheitsfehler" überdecken - Vermeidung gewohnten Aktivitäten => soziale Isolation - wiederholte Krankenhausaufenthalte, suizidale Gedanken Prävalenz: kommt häufiger vor als früher angenommen, konkrete Zahlen fehlen; Verlauf: Beginnt im frühen Erwachsenenalter, doch erst später diagnostiziert; Beginn graduell oder abrupt; oft kontinuierlicher Verlauf mit wenig symptomfreien Intervallen; Differentialdiagnose Nicht diagnostizieren, wenn - übermäßiges Beschäftigen besser durch eine andere psychische Störung erklärt werden kann - bei Anorexia Nervosa bei Sorgen um "Dicksein" - Störungen der Geschlechtsidentität - während einer Episode einer Major Depression 2.7 Nicht näher bezeichnete somatoforme Störung (300.81; F45.9) Hier werden Störungen mit Somatoformen Symptomen zusammengefaßt, die nicht die Kriterien für eine spezifische Somatoforme Störung erfüllen, z. B. Scheinschwangerschaft 3. Erklärungsansätze und Therapie Somatoformer Störungen 3.1. Erklärungsansätze a) Genetischer Aspekt Es kann von einer genetischen Disposition ausgegangen werden, monozygote Zwillinge erkranken häufiger, als dizygote Zwillinge. b) Biologische Aspekte biochemischer Aspekt: zentralnervöse, auch endokrine und immunologische Prozesse beeinflussen die Wahrnehmung körperlicher Empfindungen, wobei besonders ein erhöhter Cortisolspiegel eine Rolle spielt. neurophysiologischer Aspekt: bei der Verteilung somatoformer Symptome bezüglich bestimmter Körperregionen scheint es eine Bevorzugung für die linke Körperhälfte zu geben auf Grund der Hemisphärenspezialisierung des Gehirns psychophysiologischer Aspekt: Ein erhöhtes physiologisches Aktivierungsniveau trägt dazu bei, dass körperliche Signale verzerrt wahrgenommen und somit auch leicht als krankhaft fehlinterpretiert werden. c) Umweltkonzepte Sozialisation: Kranksein über Modellernen Sozialpsychologische Konzepte: Die Bewertung von Körperempfindungen und die darauffolgenden Verhaltenskonsequenzen spielen eine große Rolle, ebenso wie der zu eng gefaßte Begriff von Gesundheit (bei Hypochondrie). Bagatellempfindungen werden als Krankheitszeichen bewertet. Belastungen/Streß: Traumatische Lebensereignisse, sexuelle Gewalt, Alkoholprobleme Soziologische Hinweise: Somatoforme Störungen häufiger bei Frauen, ebenso bei Personen aus unteren, städtischen Schichten. d) Persönlichkeitskonzepte Stabiles Persönlichkeitsmerkmal, körperliche Sensationen verstärkt zu beachten u. fehlzuinterpretieren 3.2. Therapie Therapeutische Ansätze gründen auf Befunde zur Entstehung und Aufrechterhaltung der Störung. Klinisch-psychologische Interventionen 44 Somatoforme Störungen: psychotherapeutischen Ansatz, z.B. stationäre verhaltensmedizinische Behandlung, Chronifizierungsprozesse verhindern. Hypochondrie: kognitive Verhaltenstherapie, wo irrationale Annahmen der Patienten erarbeitet werden, verbunden mit Verhaltensexperimenten und Streßmanagement, das auf die Bewältigung von möglichen Auslösesituationen abzielt, Gruppentherapeutischer Ansatz, Familientherapie. Konversionsstörungen: Bearbeitung traumatischer Vorerfahrungen, Interventionsansätze, die für die Posttraumatische Belastungsstörung von Relevanz sind. Medikamentöse Behandlung Symptomatisch: ß- Rezeptorenblocker bei Herzbeschwerden, Muskelrelaxantien bei Schmerzsyndromen usw., psychopharmakologische Behandlung mit Neuroleptika und Tranquilizern vom Benzodiazepin-Typus. Einsatz von Antidepressiva, was mit der Komorbidität zu depressiven Erkrankungen begründet wird. Isabell Braumandl, Thomas Klass Vorgetäuschte Störungen 1. Diagnostische Kriterien: A: absichtliches Erzeugen oder Vortäuschen körperlicher oder psychischer Symptome B: Motivation für Verhalten liegt in Einnahme der Krankenrolle (= psychisches Bedürfnis) C: es gibt keine äußeren Anreize für Verhalten (meist offensichtlich) wie: - ökonomischer Nutzen - Vermeidung von legaler Verantwortung - Verbesserung des körperlichen Wohlbefindens Hierin liegt der Unterschied zur Simulation!!! Vorgetäuschte Störungen beinhalten immer psychopathologische Erscheinungen. Im Unterschied dazu kann die Simulation als Anpassung gesehen werden!!! 2. Prinzipielle geäußerte/ beobachtbare Symptome und Differentialdiagnose als Kombination der aufgezeigten Einzelsymptome: Vier verschiedene Möglichkeiten grundsätzlich: ganz erfunden selbst erzeugt und real vorhanden Übertreibung oder Verschlimmerung eines bestehenden medizinischen KHF (Krankheitsfaktors) Kombination oder Variation der 3 vorher genannten Symptome - Vortrag der Krankengeschichte mit großem dramatischen Geschick - befragt nach Einzelheiten geben Patienten nur vage und unbestimmte Äußerungen von sich - pathologische Lügen (Pseudologia phantastica) - häufig haben diese Patienten ausgezeichnete Kenntnisse bzgl. medizinischer Termini und Klinikroutinen - häufiges Klagen über Schmerzen und Forderung nach Analgetika - Unterstützung der Symptomerzeugung evtl. durch Einnahmen von: Stimulantien -> Ruhe- und Schlaflosigkeit Halluzinogenen -> veränderter Wahrnehmungszustand Analgetika -> Euphorie Hypnotika -> Lethargie - bei Klinikaufenthalt oft destruktives Verhalten auf der Station (Diskussion/ Regelverstöße) - z.T. Verhaltensweisen nur, wenn sich Patient beobachtet fühlt - näherungsweise richtiges Fragenbeantworten (z.B. 8x8=65) - wechselhafter klinischer Verlauf mit Komplikationen/ neuen pathologischen Erscheinungen) - konsequent vielfältige invasive Untersuchungen/ Operationen; hier mögliches auffälliges Indiz: "Grillrost-Unterbauch"!!! Ziel der Patienten: - intensive Behandlung und damit Aufmerksamkeit zu erhalten - wenn keine Änderung der Hauptbeschwerden erfolgt, werden weitere Symptome erzeugt; hier gute Überführungsmöglichkeit!!! (Bsp. "Würger von L.A.) Verhalten der Patienten bei Konfrontation mit "Vortäuschungs-Vermutung": - extreme Abwehr und fluchtartiges Verlassen der Klinik (auch gegen ärztlichen Rat) - meist kurze Zeit später Einweisung in die nächste Klinik - dies führt oft zu iatrogen verursachten KHF hier gute Diagnosemöglichkeit!!! ("Münchhausen-Syndrom") 45 Auffälligkeiten im sozialen Kontext: - Verhinderung stabiler Arbeitssituationen - Verhinderung stabiler familiärer Bindungen und Beziehungen mögliche prädisponierende Faktoren: - psychische Störung/ medizinischer KHF in Kindheit/ Adoleszenz, die zu intensiven Behandlungen/ Klinikaufenthalten führten - Groll gegen Mediziner oder sehr wichtige Beziehung zu einem/r Arzt/Ärztin in der Vergangenheit - Beschäftigung im medizinischen Bereich - Vorliegen einer Persönlichkeitsstörung 3. Subtypen: 300.16 (F 68.1) Vorgetäuschte Störung mit vorwiegend psychischen Zeichen und Symptomen - Vortäuschung psychischer/ psychotischer Störungen - Ziel: Einnehmen der Krankenrolle - häufig keine Übereinstimmung mit typischem Syndrom der entsprechenden Krankheit - ungewöhnlicher Verlauf - unübliches Ansprechen auf Behandlung oder Verschlechterung der Symptomatik (wenn Person sich beobachtet fühlt) - "Symptomdarbietung" erfolgt entsprechend der Vorstellung des Betroffenen von psychischen Störungen (d.h., sie muß nicht mit der diagnostischen Kategorie übereinstimmen) - Verhalten des Patienten kann wie folgt gekennzeichnet sein: äußerst suggestibel Bestätigung vieler Sympome negativistisch unkooperativ Beispiele: Angabe von Depressionen/ suizidalen Gedanken nach angeblichem Tod des Ehepartners (Befragung von Familienmitgliedern bestätigen die Aussage über Tod nicht) Amnesie bzgl. zurückliegender Ereignisse Halluzinationen dissoziative Symptome Fallbsp.: Vorgetäuschte Störung: "Ewige Patientin", "Der Angeber", " Der Würger von L.A." Simulation: "Es ist etwas passiert" 300.19 (F 68.1) Vorgetäuschte Störung mit vorwiegend körperlichen Zeichen und Symptomen Symptome entsprechen scheinbarem medizinischen KHF mögliche Substanzabhängigkeit aufgrund Sedativa/ Analgetika "Münchhausen-Syndrom" (Kliniktourismus) häufige klinische Bilder: - heftige Schmerzen im rechten unteren Quadranten des Bauches mit Erbrechen und Übelkeit - Benommenheit und Ohnmacht - massive Hämoptyse - generalisierte Hautausschläge und Abszesse - Fieber unbestimmter Genese - Blutungen nach Einnahme von Antikoagulantien und "lupusähnliche" Syndrome - prinzipiell alle Organsysteme für "Symptomauswahl" möglich (entsprechend den medizinischen Kenntnissen/ Vorstellungskraft und Spitzfindigkeit des Betroffenen) Fallbsp.: Vorgetäuschte Störung: "Frl. von Willebrand" Simulation: "Sprachlos" 300.19 (F 68.1) Vorgetäuschte Störung mit sowohl psychischen wie körperlichen Zeichen und Symptomen Symptome beider o.g. Diagnosen treten gemischt auf 4. Prävalenz: einerseits sehr selten diagnostiziert (evtl. nicht erkannt, siehe Bsp. "Würger von L.A.) andererseits als chronische Form überschätzt (häufige Arztbesuche/ in wechselnden Kliniken unter jeweils anderem Namen) Vermutung, daß mehr Männer als Frauen betroffen sind Literatur: ICD-10 Fallbuch Psychiatrie, 1993, Verlag Hans Huber, Bern Diagnostische Kriterien und Differentialdiagnosen des Diagnostischen und Statistischen Manuals Psychischer Störungen DSM-III-R, 1989, Beltz-Verlag, Weinheim Diagnostisches und Statistisches Manual DSM-IV, 1991, Hogrefe, Göttingen Susanne Dirnberger, Miriam Schopp 46 Dissoziative Störungen Wortbetrachtung: Dissoziation (lat. dissociare = verunreinigen, trennen): Zerteilung, Trennung, Auflösung z.B. das Zerfallen von assoziativen Vorstellungsverbindungen unter dem Einfluß neuer Eindrücke Hauptmerkmale der Dissoziativen Störungen sind Funktionsunterbrechungen in den Bereichen: Bewußtsein Gedächtnis Identität Wahrnehmung der Umwelt. Dissoziative Störungen umfassen: Dissoziative Amnesie Dissoziative Fugue Dissoziative Identitätsstörung Depersonalisationsstörung Nicht Näher Bezeichnete Dissoziative Störungen Dissoziative Amnesie: Diagnostische Merkmale: Das vorherrschende Störungsbild zeigt sich in einer oder mehreren Episoden, in denen eine Unfähigkeit besteht, sich an wichtige persönliche Informationen zu erinnern, die zumeist traumatischer oder belastender Natur sind; diese ist zu umfassend, um durch gewöhnliche Vergeßlichkeit erklärt zu werden. Die Störung tritt nicht ausschließlich im Verlauf einer Dissoziativen Identitätsstörung, Dissoziativen Fugue, Posttraumatischen Belastungsstörung, Akuten Belastungsstörung oder Somatisierungsstörung auf und geht nicht zurück auf die direkte körperliche Wirkung einer Substanz (z.B. Droge, Medikament) oder eines neurologischen oder anderen medizinischen Krankheitsfaktors (z.B. eine Amnestische Störung aufgrund eines Schädel-Hirn-Traumas). Die Symptome verursachen in klinisch bedeutsamer Weise Leiden oder Beeinträchtigung in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen. Formen der Amnesie: lokalisierte Amnesie: Ein umschriebener Zeitabschnitt nach einem traumatischen Ereignis (meist die ersten Stunden danach) wird nicht erinnert. selektive Amnesie: Einige, aber nicht alle Ereignisse in einem umschriebenen Zeitabschnitt werden erinnert. generalisierte Amnesie: Die Amnesie erstreckt sich auf das gesamte Leben kontinuierliche Amnesie: Fehlende Erinnerung von einem bestimmten Zeitpunkt bis in die Gegenwart zeichnet diese Form aus. systematisierte Amnesie: Dies bedeutet einen Verlust von bestimmten Kategorien von Informationen, z.B. über eine Person. Die letzten drei Formen deuten auf eine umfassendere dissoziative Störung, z.B. der Dissoziativen Identitätsstörung hin. Zusatzinfos: Alle Altersklassen, aber bei Kindern schwer diagnostizierbar, da Erinnerung vor dem fünften Lebensjahr sowieso schwer ist. Im Rahmen des spätentdeckten Kindesmißbrauchs heiß diskutiert: Verdrängte Kindheitserinnerungen versus Syndrom der falschen Erinnerung. Prävalenz: Vermehrte Diagnosen werden kontrovers diskutiert: höhere Identifikationsmöglichkeiten versus überdiagnostiziert bei Personen mit hoher Suggestibilität. 47 Abzugrenzen von: Amnestische Störung aufgrund eines Medizinischen Krankheitsfaktors: z.B. Schädeltrauma oder Epilepsie (Vorgeschichte, Laboruntersuchung, körperliche Untersuchung) Amnestische Störung aufgrund einer Hirnverletzung: (häufig retrograd, umfaßt Zeitabschnitt vor Trauma), falls nicht eindeutig: Hypnose Anfallsleiden: (Gedächtnisstörung setzt plötzlich ein, motorische Auffälligkeiten, EEG) Delir, Demenz: (Gedächtnisverlust geht weit über die autobiographischen Informationen hinaus und betrifft auch die kognitiven Fähigkeiten im allgemeinen) Persistierende Substanzinduzierte Amnestische Störung: (Kurzzeitgedächtnis gestört) Substanzintoxikation: (Amnesie gewöhnlich nicht reversibel, Zusammenhang mit Drogen) Posttraumatische Belastungsstörung, Akute Belastungsstörung, Somatisierungsstörung: (Amnesie, die ausschließlich im Verlauf dieser Störungen auftritt, führt nicht zur Diagnose Dissoziative Amnesie) Simulation: (schwer feststellbar, Hypnotisierbarkeit, dissoziative Fähigkeiten, potentieller sekundärer Gewinn, bei rechtlichen oder finanziellen Problemen) Altersbedingter Kognitiver Abbau Nicht pathologische Formen der Amnesie Dissoziative Fugue Diagnostische Merkmale: Das vorherrschende Störungsbild ist ein plötzliches, unerwartetes Weggehen von zu Hause oder vom gewohnten Arbeitsplatz, verbunden mit der Unfähigkeit, sich an seine Vergangenheit zu erinnern. Verwirrung über die eigene Identität oder die Annahme einer neuen Identität (teilweise oder vollständig). Die Störung tritt nicht ausschließlich im Verlauf einer Dissoziativen Identitätsstörung auf und geht nicht auf die direkte körperliche Wirkung einer Substanz (z.B. Droge, Medikament) oder eines medizinischen Krankheitsfaktors zurück (z.B. Temporallappen-Epilepsie). Die Symptome verursachen in klinisch bedeutsamer Weise Leiden oder Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen. Zusatzinfos: Weggehen variiert: kurze Zeiträume (Stunden/Tage) oder lange Perioden (Wochen/Monaten) bzw. unauffällige Wanderungen oder Überschreitung nationaler Grenzen, manchmal Tausende von Kilometern. In der Regel während einer Fugue psychopathologisch unauffällig, nur Amnesie bzw. Mangel an Bewußtheit für die eigene Identität ist auffällig. Meist keine Herausbildung einer neuen Identität. Wenn dann meist gesellig und gut integriert, was Störung nicht vermuten ließe. Meist bei Erwachsenen. Prävalenzrate: 0,2% (in Kriegszeiten oder bei Naturkatastrophen höher). Fugue endet meist abrupt. Teilweise kommt die Erinnerung spontan zurück, manchmal wird Hilfestellung benötigt. Interessant ist, daß viele Betroffene den Zeitraum der Fugue vergessen, wenn sie sich wieder an die Erlebnisse erinnern. Abzugrenzen von: direkte körperliche Folgeerscheinung eines bestimmten medizinischen Krankheitsfaktors: (siehe Dissoziative Amnesie) Anfallsleiden: (siehe Dissoziative Amnesie) direkte körperliche Wirkung einer Substanz: (siehe Dissoziative Amnesie) Umherwandern im Rahmen einer manischen Episode: (Größenideen, andere manische Symptome, erregen durch unangemessenes Verhalten Aufmerksamkeit, keine wechselnde Identität) 48 Schizophrenie: (Wahn, Negativsymptomatik) Simulation: (Gewinn) Erklärungen für dissoziative Störungen: Die psychodynamische Ansicht sieht sie als Extremform der Verdrängung, um Angst abzuwehren. Auch die behavioristische Ansicht geht von traumatischen Ereignissen aus und daß die Störungen zur Vermeidung von Angst dienen. Der Akt des Vergessens wird verstärkt und sie lernen – unbewußt – daß sie durch Vergessen Angst vermeiden können. Die Theoretiker des Zustandsabhängigen Lernens glauben, daß Menschen mit dissoziativen Störungen extrem starre und enge Verbindungen zwischen Zustand und Gedächtnis haben. Während das Ereignis vielleicht große Angst hervorrief, ist der Zustand der Ruhe anschließend nicht geeignet, die Erinnerung zu aktivieren. Therapie der dissoziativen Amnesie und Fugue: Manchmal nicht nötig, da spontan und völlige Wiederherstellung Dynamische Therapie Hypnotherapie Versetzung in einen Beinahe- Schlafzustand mit Natriumamobarbital oder Natriumpentobarbital (mit Vorsicht einzusetzen) Dissoziative Identitätsstörung 300.14 (F44.81) (vormals Multiple Persönlichkeitsstörung) Diagnostische Kriterien: Die Anwesenheit von zwei oder mehr unterscheidbaren Identitäten oder Persönlichkeitszuständen (jeweils mit einem eigenen, relativ überdauernden Muster der Wahrnehmung von, der Beziehung zur und dem Denken über die Umgebung und das Selbst). Mindestens zwei dieser Identitäten oder Persönlichkeitszustände übernehmen wiederholt die Kontrolle über das Verhalten der Person. Eine Unfähigkeit, sich an wichtige persönliche Informationen zu erinnern, die zu umfassend ist, um durch gewöhnliche Vergeßlichkeit erklärt werden zu können. Die Störung geht nicht auf die direkte körperliche Wirkung einer Substanz (wie bei z.B.Blackouts oder ungeordnetem Verhalten während einer Alkoholintoxikation) oder eines medizinischen Krankheitsfaktors zurück (wie bei z.B. komplex-partiellen Anfällen). Wichtig: Bei Kindern sind die Symptome nicht durch imaginierte Spielkameraden oder andere Phantasiespiele zu erklären. Differentialdiagnose: Die Dissoziative Identitätsstörung ist abzugrenzen von: Symptomen, verursacht durch die direkte körperliche Wirkung eines medizinischen Krankheitsfaktors Dissoziativen Symptomen aufgrund von komplex-partiellen Anfällen Symptomen, die durch die direkte körperliche Wirkung einer Substanz verursacht werden Trance- und Besessenheitstrancesymptomatik, bei denen von Patientenseite typischerweise beschrieben wird, daß externe Geister oder Wesen in ihren Körper eingedrungen seien und die Kontrolle übernommen hätten Schizophrenie und anderen psychotischen Störungen Bipolarer Störung Angststörungen Somatisierungsstörungen Persönlichkeitsstörungen Simulation, v.a. in Situationen, in denen es um finanziellen oder forensischen Nutzen geht. Depersonalisationsstörung 300.6 (F48.1) Diagnostische Kriterien: Andauernde oder wiederkehrende Erfahrungen, sich von den eigenen geistigen Prozessen oder vom eigenen Körper losgelöst oder sich wie ein außenstehender Beobachter der eigenen geistigen Prozesse oder des eigenen Körpers zu fühlen (z.B. sich fühlen, als sei man in einem Traum). 49 Während der Depersonalisationserfahrung bleibt die Realitätsprüfung intakt. Die Depersonalisation verursacht in klinisch bedeutsamer Weise Leiden oder Beeinträchtigung in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen. Das Depersonalisationserleben tritt nicht ausschließlich im Verlauf einer anderen psychischen Störung auf wie Schizophrenie, Panikstörung, Akute Belastungsstörung oder eine andere Dissoziative Störung, und geht nicht auf die direkte körperliche Wirkung einer Substanz (z.B. Droge, Medikament) oder eines Medizinischen Krankheitsfaktors (z. B. Temporallappen-Epilepsie) zurück. Differentialdiagnose: Die Depersonalisationsstörung ist abzugrenzen von: Symptomen, die auf die körperliche Folge eines medizinischen Krankheitsfaktors zurückgehen Depersonalisation, die durch die direkte körperliche Wirkung einer Substanz verursacht ist (Substanzeinnahme kann die Symptome einer schon bestehenden Depersonalisation jedoch auch verstärken) Depersonalisation im Rahmen von Panikstörung, Sozialer- oder Spezifischer Phobie und Posttraumatischer oder Akuter Belastungsstörung Schizophrenie (im Gegensatz zu dieser wird bei der Depersonalisation eine intakte Realitätsprüfung aufrechterhalten. Nicht Näher Bezeichnete Dissoziative Störung 300.15 (F44.9) In diese Kategorie fallen Störungen, die zwar durch ein dissoziatives Symptom gekennzeichnet sind, jedoch nicht die Kriterien für eine spezifische dissoziative Störung erfüllen. Beispiele: Fälle, die einer Dissoziativen Identitätsstörung ähneln, jedoch nicht sämtliche Kriterien für diese Störung erfüllen. Derealisation bei Erwachsenen, die nicht von Depersonalisation begleitet wird. Dissoziative Zustände bei Personen, die einem langen und intensiven Prozeß von Zwangsmaßnahmen zur Veränderung von Einstellungen ausgesetzt waren ("Gehirnwäsche" bzw. Indoktrination). Dissoziative Trance-Störung (in bestimmten Gebieten oder Gesellschaften verbreitet (z.B. Amok in Indonesien, Besessenheit in Indien). Sie gilt nicht als normaler Teil akzeptierter kollektiver, kultureller oder religiöser Praktiken. Bewußtseinsverlußt, Stupor oder Koma, die nicht auf eine körperliche Krankheit zurückgeführt werden können. Ganser-Syndrom: Das Geben von annäherungsweise richtigen Antworten auf Fragen (z.B. 2+2=5), nicht einhergehend mit Dissoziativer Amnesie oder Dissoziativer Fugue. Verwendete Literatur: Saß, Wittchen, Zaudig, Diagnostisches & Statistisches Manual Psychischer Störungen DSM-IV R.J.Comer, Klinische Psychologie, Heidelberg, Berlin, Oxford, 1995 Spitzer, Gibbon, Skodol, Williams, First, DSM-III-R Falldarstellungen, Weinheim und Basel, 1991 Ingrid Herrmann, Ramona Marx, Sabine Müller Sexuelle und Geschlechtsidentitätsstörungen Sexuelle Funktionsstörungen Störung im Ablauf des sexuellen Reaktionszyklus oder Schmerzen im Zusammenhang mit Geschlechtsverkehr. Phasen des sexuellen Reaktionszyklus: Appetenz - Erregung - Orgasmus - Entspannung Störung der verminderten Appetenz (302.71) Kriterium A Anhaltender oder wiederkehrender Mangel an (oder Fehlen von) sexuellen Phantasien und des Verlangens nach sexueller Aktivität. Der Untersucher beurteilt den Mangel oder das Fehlen unter Berücksichtigung von Faktoren, die die sexuelle Funktionsfähigkeit beeinflussen, wie Lebensalter und Lebensumstände der Person. 50 Zugehörige Merkmale und Störungen Geringes sexuelles Interesse ist häufig verbunden mit Schwierigkeiten der sexuellen Erregung und des Orgasmus. Mögliche medizinische Krankheitsfaktoren sind Schwäche, Schwierigkeiten mit der eigenen Körperlichkeit, Schmerzen, depressive Störungen. Verlauf Die lebenslange Form beginnt in der Pubertät. Häufiger sind Störungen im Erwachsenenalter nach psychischen Leiden, kritischen Lebensereignissen oder zwischenmenschlichen Schwierigkeiten. Störung mit sexueller Aversion (302.79) Kriterium A Anhaltende oder wiederkehrende extreme Aversion gegenüber und Vermeidung von jeglichem (oder fast jeglichem) genitalen Kontakt mit einem Sexualpartner. Zugehörige Merkmale und Störungen Wenn Personen mit sexuellen Situationen konfrontiert werden, sind Panikattacken mit extremer Angst, Gefühlen des Schreckens, der Ohnmacht, Übelkeit, Herzklopfen, Schwindel und Atembeschwerden möglich. Deswegen werden sexuelle Situationen oft vermieden. Störung der sexuellen Erregung bei der Frau (302.72) Kriterium A Anhaltende oder wiederkehrende Unfähigkeit, Lubrikation und Anschwellung der äußeren Genitale als Zeichen genitaler Erregung zu erlangen oder bis zur Beendigung der sexuellen Aktivität aufrecht zu erhalten. Zugehörige Merkmale und Störungen Die Störung der sexuellen Erregung bei der Frau ist häufig begleitet von Störungen der sexuellen Appetenz und weiblicher Orgasmusstörung. Sie kann zu geringem oder gar keinem subjektiven Empfinden von sexueller Erregung führen. Differentialdiagnose Tritt auf bei Reduktion des Östrogenspiegels in der Menopause oder Postmenopause, bei Strahlentherapie im Becken etc. Erektionsstörung beim Mann (302.72) Kriterium A Anhaltende oder wiederkehrende Unfähigkeit, eine adäquate Erektion zu erlangen oder bis zur Beendigung der sexuellen Aktivität aufrecht zu erhalten. Zugehörige Merkmale und Störungen Ursachen sind sexuelle Angst, Versagensangst, Sorgen hinsichtlich der sexuellen Interaktion etc. Oft sind Scheitern von ehelichen oder sexuellen Beziehungen oder Nicht-Vollzug der Ehe die Auswirkungen. Verlauf Das Alter variiert deutlich beim Beginn der Störung. Er ist auch abhängig vom Partnertyp oder der Intensität oder der Qualität der Beziehung. Differentialdiagnose Bei Multipler Sklerose, Nierenversagen, peripheren Gefäßerkrankungen, Rückenmarksverletzungen etc. als vorliegende Krankheitsfaktoren. Substanzinduzierte sexuelle Funktionsstörung z.B. durch Antidepressiva, Neuroleptika, Drogen etc. Ältere Männer benötigen möglicherweise stärkere Stimulierung und mehr Zeit zur Erektion; dabei spricht man aber nicht von einer Erektionsstörung. Weibliche Orgasmusstörung (302.73) 51 Kriterium A Eine anhaltende oder wiederkehrende Verzögerung oder ein Fehlen des Orgasmus nach einer normalen sexuellen Erregungsphase. Frauen zeigen eine große Variabilität hinsichtlich Art oder Intensität der Stimulation, die zum Orgasmus führt. Zugehörige Merkmale und Störungen Chronische medizinische Krankheitsfaktoren wie Diabetes oder Krebserkrankungen im Beckenraum beeinträchtigen die Erregungsphase, aber die Orgasmusfähigkeit bleibt relativ intakt. Die Orgasmusfähigkeit korreliert nicht mit der Scheidengröße oder der Stärke der Beckenmuskulatur. Verlauf Die Orgasmusfähigkeit steigt mit dem Alter. Deshalb sind auch Störungen häufiger bei jungen Frauen zu beobachten, meistens lebenslange Störungen, z.B. erworben durch Vergewaltigung. Männliche Orgasmusstörung ( 302.74) Kriterium A Hauptmerkmal: anhaltende oder wiederkehrende Verzögerung oder das Fehlen des Orgasmus nach normaler sexueller Erregungsphase. Bei der Einschätzung, ob der Orgasmus verzögert auftritt, wird das Alter; die Intensität, die Dauer und die Art der sexuellen Stimulierung berücksichtigt. Differentialdiagnose: Unterscheidung von Sexuellen Funktionsstörungen aufgrund eines medizinischen Krankheitsfaktors Ejaculatio Praecox 302.75 Kriterium A Anhaltendes oder wiederkehrendes Auftreten einer Ejakulation bei minimaler sexueller Stimulation vor, bei oder kurz nach der Penetration und bevor die Person es wünscht. Häufigkeit: 10-38% (!); Die Zahlenangaben schwanken, da auch die Definition des Problems schwankt, d. h. wie kurz darf es denn dauern, um überhaupt von Ejaculatio Praecox sprechen zu können. Betrachtet man die tatsächliche Dauer des Verkehrs, so stellte der Kinsey-Report fest, daß bei vielleicht drei Vierteln aller Männer der Orgasmus innerhalb von zwei Minuten erreicht ist (Kinsey et al. 1948, S. 580). Die Studie von Morton Hunt im Jahre 1974 jedoch ergab, daß sich in den vergangenen 26 Jahren die Dauer des Verkehrs "dramatisch" auf 10 - 14 Minuten gesteigert hatte. Hauptsächlich betroffen: Männer unter 30 Jahre Therapie: fast 100%iger Erfolg durch direktes, verhaltenstherapeutisches Training der Kontrollfähigkeit über die Ejakulation. Dyspareunie (302.76) Kriterium A Wiederkehrende oder anhaltende genitale Schmerzen in Verbindung mit dem Geschlechtsverkehr, entweder bei Mann oder Frau Therapie: Es gibt keine spezifische Therapie, da diese Störung im Grunde mangelnde Erregung ist. Daher: Allgemeine sexualtherapeutische Verfahren und spezifische Techniken zur Förderung von Erregung und Orgasmus bei der Frau. Vaginismus ( 302.76) Kriterium A 52 Wiederkehrende oder anhaltende unwillkürliche Spasmen der Muskulatur des äußeren Therapie: Übungen: Anspannen und Lockern der Beckenbodenmuskulatur, bis die Vaginalmuskeln willentlich kontrolliert werden können. Überwindung der Angst vor der Penetration durch Einführen eines Sortiments immer dickerer Dilatatoren Sexuelle Funktionsstörung aufgrund eines medizinischen Krankheitsfaktors Kriterium A Klinisch bedeutsame sexuelle Funktionsstörung, die zu deutlichem Leiden oder zwischenmenschlichen Schwierigkeiten führt. Substanzinduzierte Sexuelle Funktionsstörung Kriterium A Klinisch bedeutsame sexuelle Funktionsstörung, die zu deutlichem Leiden oder zwischenmenschlichen Schwierigkeiten führt Achtung: Diese Diagnose nur dann anstelle der Diagnose einer Substanzinduzierten Störung stellen, wenn die sexuelle Funktionsstörung deutlich über diejenigen Symptome hinausgeht, die üblicherweise mit dem Intoxikationssyndrom verbunden sind und wenn die Funktionsstörung schwer genug ist, um für sich allein genommen klinische Betrachtung zu rechtfertigen. Nicht näher bezeichnete sexuelle Funktionsstörung ( 302.70) Störungen, die nicht die Kriterien für Spezifische Funktionsstörungen erfüllen; z. B. keine ( oder beträchtlich verminderte) subjektive erotische Gefühle bei ansonsten normalem Ablauf von Erregung und Orgasmus Situationen, für die der Untersucher zu dem Schluß gekommen ist, daß eine sexuelle Funktionsstörung vorliegt, aber nicht in der Lage ist festzustellen, ob diese primär, aufgrund eines medizinischen Krankheitsfaktors oder substanzinduziert aufgetreten ist. Paraphilien Verhaltensweisen, die von der Form der von einer bestimmten Gesellschaft als normal angesehenen sexuellen Beziehung oder Betätigung abweichen (Def. lt. Duden) Diagnostische Merkmale Die Hauptmerkmale einer Paraphilie sind wiederkehrende intensive sexuell erregende Phantasien, sexuell dranghafte Bedürfnisse oder Verhaltensweisen, die sich in allgemeinen auf 1. nichtmenschliche Objekte, 2. das Leiden oder die Demütigung von sich selbst oder seines Partners oder 3. Kinder oder andere nicht einwilligende oder nicht einwilligungsfähige Personen beziehen und die über einen Zeitraum von mindestens 6 Monaten auftreten (Kriterium A). Das Verhalten, die sexuell dranghaften Bedürfnisse oder Phantasien führen in klinisch bedeutsamer Weise zu Leiden oder Beeinträchtigung in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen (Kriterium B). Paraphile Vorstellungen können mit einem nicht einwilligenden oder nicht einwilligungsfähigen Partner in einer Weise ausagiert werden, die diesen schädigen können. Codierungsregeln Die jeweiligen Paraphilien werden nach dem jeweils charakteristischen paraphilen Hauptinteresse differenziert. Sofern allerdings die sexuellen Neigungen einer Person die diagnostischen Kriterien für mehr als eine Paraphilie erfüllen, sollten alle diagnostiziert werden. 302.4 (F65.2) Exhibitionismus 53 A: Ober einen Zeitraum von mindestens 6 Monaten wiederkehrende intensive sexuell erregende Phantasien, sexuell dranghafte Bedürfnisse oder Verhaltensweisen, die das ZurSchau-Stellen der eigenen Genitalien gegenüber einem nichtsahnenden Fremden beinhalten. B: dto = Kriterium B der Einleitung 302.81 (F65.0) Fetischismus A: Ober einen Zeitraum von mindestens 6 Monaten wiederkehrende intensive sexuell erregende Phantasien, sexuell dranghafte Bedürfnisse oder Verhaltensweisen, die den Gebrauch von unbelebten Objekten (z.B. weibliche Unterwäsche) beinhalten. B: dto C: Die fetischistischen Objekte beschränken sich nicht auf Teile der weiblichen Kleidung, die zum Tragen der Kleidung des anderen Geschlechts verwendet werden (wie beim Transvestitischen Fetischismus) oder auf Geräte, die zum Zwecke der genitalen Stimulation hergestellt wurden (z.B. ein Vibrator). 302.89 (F65.8) Frotteurismus A: Ober einen Zeitraum von mindestens 6 Monaten wiederkehrende intensive sexuell erregende Phantasien, sexuell dranghafte Bedürfnisse oder Verhaltensweisen, die das Berühren und Sich-Reiben an einer nicht einwilligenden Person beinhalten. B: dto 302.2 (F65.4) Pädophilie A: Ober einen Zeitraum von mindestens 6 Monaten wiederkehrende intensive sexuell erregende Phantasien, sexuell dranghafte Bedürfnisse oder Verhaltensweisen, die sexuelle Handlungen mit einem präpubertären Kind oder Kindern (in der Regel 13 Jahre und jünger) beinhalten. B: dto C: Die Person ist mindestens 5 Jahre älter als das Kind oder die Kinder nach Kriterium A. Bestimme, ob: - Beschränkt auf Inzest Bestimme den Typus: - Ausschließlicher Typus (nur auf Kinder orientiert) - Nicht Ausschließlicher Typus 302.84 (F65.5) Sexueller Sadismus A: Ober einen Zeitraum von mindestens 6 Monaten wiederkehrende intensive sexuell erregende Phantasien, sexuell dranghafte Bedürfnisse oder Verhaltensweisen, weiche (reale, nicht simulierte) Handlungen beinhalten, in denen das psychische oder physische Leiden (einschl. Demütigung) des Opfers für die Person sexuell erregend ist. B: dto 302.3 (F65.1) Transvestitischer Fetischismus A: Über einen Zeitraum von mindestens 6 Monaten wiederkehrende intensive sexuell erregende Phantasien, sexuell dranghafte Bedürfnisse oder Verhaltensweisen, welche das Tragen der Kleidung des anderen Geschlechts beinhalten. B: dto Bestimme, ob: - Mit Geschlechtsdysphorie 302.82(F65.3) Voyeurismus A: Ober einen Zeitraum von mindestens 6 Monaten wiederkehrende intensive sexuell erregende Phantasien, sexuell dranghafte Bedürfnisse oder Verhaltensweisen, welche die Beobachtung einer nichtsahnenden Person, die nackt ist, sich gerade entkleidet oder sexuelle Handlungen ausführt, beinhalten. B: dto 54 Geschlechtsidentitätsstörungen Diagnostische Merkmale A: Ein starkes und andauerndes Zugehörigkeitsgefühl zum anderen Geschlecht (d.h. nicht lediglich das Verlangen nach irgendwelchen kulturellen Vorteilen, die als mit der Zugehörigkeit zum anderen Geschlecht verbunden werden). B: Anhaltendes Unbehagen im Geburtsgeschlecht oder Gefühl der Person, daß die Geschlechtsrolle des eigenen Geschlechts für sie nicht die richtige ist. C: Das Störungsbild ist nicht von einem somatischen Intersex - Syndrom begleitet. D: Das Störungsbild verursacht in klinisch bedeutsamer Weise Leiden oder Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen. Codierungsregeln basierend auf dem aktuellen Alter: 302.6 (F64.2) Geschlechtsidentitätsstörungen bei Kindern 302.85 (F64.0) Geschlechtsidentitätsstörungen bei Jugendlichen oder Erwachsenen 302.6 (F64.9) Nicht Näher Bezeichnete Geschlechtsidentitätsstörung 302.9 (F52.9) Nicht Näher Bezeichnete Sexuelle Störung Literaturverzeichnis Baumann U./ Perrez M. (Hrsg.). (1998). Klinische Psychologie - Psychotherapie. Bern: Huber. Comer R. (1995). Klinische Psychologie. Heidelberg: Spektrum. Dilling H./ Mombour W./ Schmidt M.H. (Hrsg.). (1993). ICD-10. Bern. Huber. Reinecker H. (Hrsg). (1998). Lehrbuch der klinischen Psychologie. Göttingen: Hogrefe. Saß H./ Wittchen H.U./ Zaudig M./ Houben 1. (Dt.Bearb.).(1998). DSM-IV. Göttingen: Hogrefe. Bettina Böhm, Sonja Einödshofer, Heidemarie Schaer Eßstörungen Essen und Trinken als wesentliche Determinanten für die Aufrechterhaltung aller Lebensfunktionen beherrschen einen großen Teil unserer täglichen Aktivitäten. “Normales Eßverhalten” läßt sich dennoch nur schwer charakterisieren. Versteht man Normalität im statistisch deskriptiven Sinne - normal ist, was die Mehrheit tut - so können die normalen Eßgewohnheiten bestimmter Gruppen Verhaltensweisen mit einschließen, die nach physiologischen Standards unangemessen sind. ANOREXIA NERVOSA 307.1 (ICD 10: F50.00; F50.01) - Magersucht Anorexie bedeutet eigentlich Appetitmangel, was im Fall dieser Störungsbezeichnung falsch ist, da die Betroffenen andauernd Hunger haben, sich das Essen eben aber nicht oder nur sehr eingeschränkt erlauben. Allgemein: - Körpergewicht der Person weniger als 85 % des für Alter und Größe als normal geltend (BMI von unter 17) - 90 - 95 % aller Betroffenen sind weiblich - Verhältnis Mann/Frau 1:20 bei einem steigenden männlichen Anteil - Störungsbeginn meist zwischen 14 und 18 Jahren - Mortalitätsrate: 5 - 18 % Ausgangssituation: - meist eine Diät; bei Männern, weil sie tatsächlich leicht übergewichtig sind, bei Frauen, weil sie sich zu dick fühlen Diagnostische Merkmale: - Streben nach Schlankheit - Krankhafte Angst übergewichtig zu werden - Ständiges Beschäftigung mit dem Thema “Essen” als solches 55 - Zwanghaftigkeit - Kognitive Störungen - Persönlichkeits- und affektive Störungen - Charakteristische medizinische Folgen: Amenorrhoe, Auszehrung, physiologische Dysfunktionen uvm. Subtypen: - Anorexie, restriktiver Typus: gemäßigtes Eßverhalten - Anorexie, Purging Typus: Freß- und Brechgelage, Mißbrauch von Laxantien, Diuretika Das beständige Abnehmen scheint für die Betroffenen, neben dem “Schrei nach Hilfe und nach altersentsprechender Zuwendung auch ein Mittel zu sein, Macht auf ihre Umwelt auszuüben. Anorektiker weigern sich, Erwachsen zu werden, und sich von den Eltern in entwicklungsimmanenter Form abzugrenzen. Meist sind es Menschen, die als Kinder völlig “unproblematisch” erschienen, und gute schulische Leistungen erbrachten. Sie empfinden ihr Abnehmen als Überwindung der körperlichen Bedürfnisse, die sie alsbald nur noch gestört wahrnehmen, und fühlen sich als “Frau” bzw. “Herr” über den Hunger, was sie mit erheblichem Stolz und dem Gefühl der Unabhängigkeit erfüllt. Dieses Gefühl gepaart mit dem zwanghaften Eßverhalten und enormer sportlicher Betätigung entwickelt als Sucht sehr bald ein Eigenleben, das nicht mehr vom Individuum kontrolliert werden kann. Die Sucht wird Herr über das Individuum: Magersucht. BULIMIA NERVOSA 307.51 (ICD-10: F50.2) Diagnostische Kriterien: A. Wiederholte Episoden von “Freßattacken”. Eine “Freßattacken”-Episode ist gekennzeichnet durch beide der folgenden Merkmale: (1) Verzehr einer Nahrungsmenge in einem bestimmten Zeitraum (z. B. innerhalb eines Zeitraums von 2 Stunden), wobei diese Nahrungsmenge erheblich größer ist, als die Menge, die die meisten Menschen in einem vergleichbaren Zeitraum und unter vergleichbaren Bedingungen essen würden. (2) Das Gefühl, während der Episode die Kontrolle über das Eßverhalten zu verlieren (z. B. das Gefühl, weder mit dem Essen aufhören zu können, noch Kontrolle über Art und Menge der Nahrung zu haben). B. Wiederholte Anwendung von unangemessenen, einer Gewichtszunahme gegensteuernden Maßnahmen, wie z. B. selbstinduziertes Erbrechen, Mißbrauch von Laxantien, Diuretika, Klistieren oder anderen Arzneimitteln, Fasten oder übermäßige körperliche Betätigung. C. Die “Freßattacken” und das unangemessene Kompensationsverhalten kommen drei Monate lang im Durchschnitt mindestens zweimal pro Woche vor. D. Figur und Körpergewicht haben einen übermäßigen Einfluß auf die Selbstbewertung. E. Die Störung tritt nicht ausschließlich im Verlauf von Episoden einer Anorexia Nervosa auf (bulimische Anorektiker). “Purging”-Typus: Die Person induziert während der aktuellen Episode der Bulimia Nervosa regelmäßig Erbrechen oder mißbraucht Laxantien, Diuretika oder Klistiere. “Nicht-Purging”-Typus: Die Person hat während der aktuellen Episode der Bulimia Nervosa andere unangemessene, einer Gewichtszunahme gegensteuernde Maßnahmen gezeigt wie beispielsweise Fasten oder übermäßige körperliche Betätigung, hat aber nicht regelmäßig Erbrechen induziert oder Laxantien, Diuretika oder Klistiere mißbraucht. “Freßattacken” finden heimlich statt, meist ausgelöst durch strenge Diät, Stimmungsschwankungen oder zwischenmenschliche Belastungssituationen. Es werden große Mengen an Nahrungsmitteln gegessen, bevorzugt werden meist süße, hochkalorische Nahrungsmittel oder kohlehydratreiche Nahrungsmittel. Nach dem Freßanfall: Scham, depressive Stimmung, Kontrollverlustgefühle nasse Bulimie: (80-90 %) selbstinduziertes Erbrechen oder Mißbrauch von Abführmitteln führt zur sofortigen Erleichterung des körperlichen Unbehagens und Reduktion der Angst vor Gewichtszunahme o d e r trockene Bulimie: hungern oder übermäßige körperliche Betätigung. Orientierung am gängigen Schlankheitsideal ( Magersucht), Phobie dick zu werden. Figur und Körpergewicht erhält eine übermäßige Bedeutung. Großes Schamgefühl, Versuch die Symptome zu verbergen. Oft Ablösung von anderen Suchten oder in Verbindung mit Alkohol und Drogen. Prävalenz: 1-3 % bzw. 2-4 %, davon 90-95 % Frauen Verlauf: Beginn meist in der späten Adoleszenz ( Anorexie, Pubertät), oft während oder nach einer Diät Körperliche Folgen: Zahnschäden, vergrößerte Speicheldrüsen, Narben und Schwielen auf dem Handrücken bzw. den Fingern, Herz/Kreislaufprobleme, Herzrhythmusstörungen bis zum Herzstillstand (Kaliummangel), Störungen im Flüssigkeits- und Elekrolythaushalt, Nierenversagen, etc. Differentialdiagnose: · Kleine-Levin-Syndrom: gestörtes Eßverhalten, jedoch keine übermäßige Besorgnis hinsichtlich der Figur bzw. des Körpergewichts 56 · Major Depression Mit Atypischen Merkmalen: übermäßiges Essen, jedoch kein Kompensationsverhalten. Erklärungsansätze für Eßstörungen Psychodymanischer Ansatz: a) ältere Erklärung: ungelöste orale Konflikte: Ablösung von der Mutter kann nicht zum angemessenen Zeitpunkt erfolgen Fixierung auf das orale Stadium Anorexie. b) moderne Erklärung: mangelhaftes Selbstgefühl, Beziehungsprobleme Multidimensionaler Risikoansatz: Wichtige Faktoren dabei sind: 1. Soziokulturelle Belastungen - gängiges Schlankheitsideal - bestimmte Bevölkerungsschichten sind häufiger betroffen - Klima der Vorurteile und der Feindseligkeit gegenüber dicken Menschen 2. Familiäres Milieu - Familien als Hauptvermittler von Werten - Systemische Familientheoretiker gehen davon aus, daß in den betroffenen Familien ein verstricktes Familienmuster herrscht und die eßgestörten Mitglieder als Symptomträger fungieren und so das Gleichgewicht innerhalb der Familie aufrecht erhalten. - Ausdruck von Gefühlen ist in solchen Familien eher unerwünscht; wenig Raum für Individualität und Autonomie Zeit der Adoleszenz stellt mit dem Bestreben nach Unabhängigkeit eine Bedrohung für das System dar. 3. Ich-Schwäche und kognitive Störungen - gestörte Mutter-Kind-Interaktion führt beim Kind zu Ich-Schwächen (u.a. schwaches Autonomie- und Kontrollbewußtsein), zu Wahrnehmungsstörungen und anderen kognitiven Störungen kann Eßstörungen produzieren (Hilde Bruch 1986; 1981; 1973; 1962) - unangemessene Reaktionen der Bezugspersonen auf Bedürfnisse des Kindes hindern dieses daren, die eigenen Bedürfnisse wahrnehmen und unterscheiden zu lernen - später übermäßige Eigenkontrolle als Kompensationsversuch gegen die eigene Hilflosigkeit und Verwirrtheit - starke Abhängigkeit von der Beurteilung anderer Menschen 4. Biologische Faktoren - Vermutung: evtl. erhöhtes Bedürfnis nach Kohlehydraten. Heftiges Verlangen danach, wenn mit deren Konsum begonnen wird Freßanfälle (kein konsistenter Nachweis für diese Theorie) - Forschung konzentriert sich jetzt auf die Rolle des Hypothalamus. Beeinflussung des endokrinen Systems über die Hypophyse - “Set-Point-Theorie”: jeder Mensch hat ein bestimmtes Gewicht als sein spezielles Körpergewicht. Sinkt das Gewicht unter diesen Level, wird ein Hungergefühl ausgelöst über den lateralen Hypothalamus, um das Gewicht wieder diesem Set-Point-Gewicht anzugleichen, gleichzeitig erfolgt eine Reduktion des Energieumsatzes. - Kampf gegen diesen Set-Point entspricht einem Kampf gegen körpereigene Kompensationsmechanismen. 5. Affektive Störungen Symptome der Major Depression wie Traurigkeit, niedriges Selbstwertgefühl, Pessimismus, Denkfehler, etc. Literatur: Alexander Franz, 1977, Psychosomatische Medizin - Grundlagen und Anwendungsgebiete, Walther de Gruyter & Co. Bauer, Anderson, Hyatt, 1994, Bulimie, Psychologie Verlags Union, Weinheim Comer Ronald J., 1995, Klinische Psychologie, Spektrum Akademischer Verlag Heidelberg Habermas Tilmann, 1994, Zur Geschichte der Magersucht, Fischer Taschenbuch Verlag GmbH, Frankfurt/Main Herzog W., Munz D., Kächele H., 1996, Analytische Psychotherapie bei Eßstörungen, K. Schattauer Verlagsges. mbH, Stuttgart Jacobi C., Paul T., de Zwaan M. & Nutzinger D., 1998, Effekte stationärer verhaltenstherapeutischer Behandlung bei Patientinnen mit Anorexia nervosa, Bulimia nervosa und Binge Eating Disorder, Psychotherapeuten-Forum, Verlag für Psychotherapie, Münster, 2/98, 8-15 Jäger Burkard, 1998, Die multizentrische Studie zur psychodynamischen Therapie von Eßstörungen, Psychotherapeuten-Forum, Verlag für Psychotherapie, Münster, 3/98, 4-6 Klessmann Edda, 1998, Abendländischer Kulturboden als geistiger Nährboden für anorektisches Verhalten? Und was dann?, Psychotherapeuten-Forum, Verlag für Psychotherapie, Münster, 3/98, 7-9 Lawrence Marilyn (Hg.), 1989, Satt aber hungrig, Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Hamburg · Minuchin S., Rosman B.L., Baker L., 1991, Psychosomatische Krankheiten der Familie, Klett-Cotta, Stuttgart Petersen Henriette, 1998, Die Anorexia nervosa im Lichte des klientenzentrierten Krankheitskonzeptes - ein Fallbeispiel, PsychotherapeutenForum, Verlag für Psychotherapie, Münster, 2/98, 19-34 Reinecker Hans (Hrsg.), 1994, Lehrbuch der Klinischen Psychologie, Hogrefe, Göttingen Roche Louise, 1987, Essen als Strafe, Knaur, München Tuschen-Caffier Brunna & Florin Irmela, 1998, Therapie der Bulimie, Psychotherapeuten-Forum, Verlag für Psychotherapie, Münster, 2/98, 4-7 ICD-10 Fallbuch Psychiatrie, 1993, Verlag Hans Huber, Bern Diagnostische Kriterien und Differentialdiagnosen des Diagnostischen und Statistischen Manuals Psychischer Störungen DSM-III-R, 1989, Beltz-Verlag, Weinheim Diagnostisches und Statistisches Manual DSM-IV, 1991, Hogrefe, Göttingen 57 Janna Köhm, Günter Tischner Schlafstörungen I. Primäre Schlafstörungen: Dyssomnien, Parasomnien II. Schlafstörung in Zusammenhang mit einer Anderen Psychischen Störung III. Andere Schlafstörungen Differentialdiagnose: Gilt für alle hier aufgeführten Schlafstörungen: Unterscheidung von psychischen Störungen, die die jeweilige Schlafstörung als Haupt- oder Nebenmerkmale einschließen. Keine Diagnose bei Auftreten ausschließlich im Verlauf einer anderen psych. Störung. I. Primäre Schlafstörungen 1. Dyssomnien Dyssomnien sind primäre Ein- und Durchschlafstörungen oder eine ausgeprägte Müdigkeit, die durch Veränderungen in Dauer, Qualität und zeitlicher Abfolge des Schlafs charakterisiert sind. 1.1 Primäre Insomnie; 307.42 (F51.0) Diagnostische Kriterien S. 634 Hauptmerkmal: Klagen über Ein- bzw. Durchschlafschwierigkeiten oder über nicht erholsamen Schlaf mit einer Dauer von mindestens 1 Monat. Mögliche Folgen: Verschlechterung von Stimmung und Motivation, Herabsetzung v. Aufmerksamkeit, Antrieb und Konzentration, Zunahme v. Müdigkeit und Unbehagen. Gefahr des Mißbrauchs bzw. einer Abhängigkeit durch unangemessenem Gebrauch von Medikamenten. Besondere Alters- und Geschlechtsmerkmale: Beschwerden über Insomnie häufiger mit zunehmendem Alter und bei Frauen. Verlauf: Unterschiedlich. Typisch: Anfangsphase mit fortschreitender Verschlechterung über Wochen bis Monate, gefolgt von chron. Phase anhaltender Schlafschwierigkeiten. 1.2 Primäre Hypersomnie; 307.44 (F.51.1) Diagnostische Kriterien S. 639 Hauptmerkmal: übermäßige Schläfrigkeit seit mind. 1 Monat, die entweder durch verlängerte Schlafepisoden oder fast tägl. auftretende Episoden von Tagesschlaf charakterisiert ist. Auftreten üblicherweise bei Unterstimulation und Situationen mit geringer Aktivität. Zusatzcodierungen: Aufwachschwierigkeiten mit Schlaftrunkenheit am Morgen trotz guter Schlafeffizienz. Häufig automatisierte Handlungsabläufe ohne nachfolgendes Erinnern. Verlauf: Beginn üblicherweise zw. dem 15. und 30. Lebensjahr mit allmählicher Progredienz über Wochen bis Monate. Bei Nichtbehandlung weiterer Verlauf meist chronisch und stabil. 1. 3 Narkolepsie; 347 (G47.4) Diagnostische Kriterien S. 639 Hauptmerkmal: wiederholte unwiderstehbare Anfälle von erholsamem Schlaf, Kataplexie und wiederkehrende Einstreuungen von Elementen des Rapid Eye Movement (REM)-Schlafs in die Übergangsperiode vom Schlaf zum Wachsein über einen Zeitraum von mindestens 3 Monaten täglich. Verlauf: Allgemein: Klinische Auffälligkeit in der Adoleszenz. Zeitlich stabiler Verlauf der übermäßigen Schläfrigkeit. Auftreten d. Kataplexie meist erst nach Monaten, Jahren o. Jahrzehnten. Familiäres Verteilungsmuster: Hinweis auf genetische Faktoren. 1.4 Atmungsgebundene Schlafstörung; 780.59 (G47.3) Diagnostische Kriterien S. 652 Hauptmerkmal: Unterbrechung des Schlafs, führt zu übermäßiger Schläfrigkeit oder Insomnie, Abnormitäten der Atmung während des Schlafs. Unfähigkeit zur Kontrolle der Schläfrigkeit. Abweichende Atmungsereignisse während des Schlafs: - Apnoen (Episoden des Atemstillstandes) 58 - Hypnoen (abweichend langsame oder flache Atmung) - Hypoventilation (abweichende Sauerstoff- und Kohlendioxidwerte im Blut) 3 Arten: Obstruktives Schlaf-Apnoe-Syndrom: (häufigste Form, wiederholte Episoden von Obstruktionen (Verstopfung) der oberen Atemwege im Schlaf, gekennzeichnet durch lautes Schnarchen o. kurzes nach Luft japsen, ca. 2 - 30 sec.) Zentrales Schlaf-Apnoe-Syndrom: (zeitweiser Atemstillstand während des Schlafs ohne Obstruktion der Atemwege) Zentrales alveoläres Hypoventilationssyndrom: (Beeinträchtigung der Atmungskontrolle, führt zu weiterer Verschlechterung des Schlafs) Zugehörige Merkmale und Störungen: Nächtl. thorakale Beschwerden, Erstickungs- und Erdrosselungsgefühle, Entwicklungsverzögerungen bei Kindern mit Lernschwierigkeiten. Besondere Alters- und Geschlechtsmerkmale: Verhältnis zw. Männern und Frauen beim obstrukt. Schlafapnoesyndrom ca. 8:1. Verlauf: Schleichender Beginn der Atmungsgebundenen Schlafstörung, graduelles Fortschreiten und chronischer, üblicherweise jedoch progredienter Verlauf. 1.5 Schlafstörung mit Störung des Zirkardianen Rhythmus (vormals Störung des Schlaf-Wach-Rhytmus) 307.45 (F51.2) Diagnostische Kriterien. S. 658 Hauptmerkmal: beständiges oder wiederkehrendes Muster von Schlafunterbrechungen, Diskrepanz zwischen dem endogenen zirkadianen Schlaf-WachSystem einer Person und den exogenen Anforderungen bzgl. Zeitpunkt und Dauer des Schlafs. 3 Typen: Typus mit verzögerter Schlafphase: Durchgängiges Muster von verspätetem Schlafbeginn und späten Aufwachzeiten. Jet-Lag-Typus: Schläfrigkeit und Wachheit, v. a. nach wiederholten Reisen durch mehr als eine Zeitzone. Schichtarbeitstypus: Insomnie während der Hauptschlafperiode oder übermäßige Schläfrigkeit während der Hauptwachepisode bei nächtlicher oder häufig wechselnder Schichtarbeit. Unspezifischer Typus: Vorliegen eines anderen Musters einer zirkadianen Störung. Besondere Alters- und Geschlechtsmerkmale: Zunahme des vorverlagerten Schlafphasen-Musters mit dem Alter. Verlauf: Typus mit Verzögerter Schlafphase: üblicherweise über Jahre oder Jahrzehnte hinweg. Schichtarbeits-Typus: einhergehend mit der Dauer des bestimmten Zeitplans. 1.6 Nicht Näher bezeichnete Insomnie; 307.47 (F51.9) Diese Kategorie gilt für Insomnien, Hypersomnien oder Störungen des Zirkadianen Rhytmus, die die Kriterien für keine spezifische Dyssomnie erfüllen. Beispiele: * Beschwerden über klin. bedeutsame Insomnie o. Hypersomnie aufgrund v. Umweltfaktoren * Übermäßige Schläfrigkeit durch forlaufendem Schlafentzug * Idopathisches “Restless-Legs-Syndrom”: Unangenehme Empfindungen (z.B. Kribbelgefühle), die zu intensivem Drang führen, die Beine zu bewegen. 2. Parasomnien Parasomnien sind Störungen, die durch abweichende Verhaltens- oder physiologische Ereignisse gekennzeichnet sind, die im Zusammenhang mit Schlaf, bestimmte Schlafstadien oder dem Übergang vom Schlaf zum Wachsein auftreten. 2.1 Schlafstörung mit Alpträumen; 307.47 (F51.5) Zentrale diagnostische Merkmale S. 662/663 A: Wiederholtes Auftreten furchterregender Träume, die zum Aufwachen aus dem Schlaf führen. B: Nach dem Erwachen ist der Betroffene rasch orientiert und wach. - Alptraum: Lange, detaillierte Traumsequenz, in hohem Maße angstauslösend und erschreckend - Patienten können beim Erwachen üblicherweise Traumverlauf und -inhalt detailliert beschreiben. - Alpträume erfolgen fast immer während der REM-Schlafphase - Alpträume sind in der Kindheit häufig; Bei einer Minderheit, Alpträume mit hoher Auftretens- häufigkeit bis ins Erwachsenenalter 2.2 Pavor Nocturnus (“Nachtangst”, “Inkubus”); 307.46 (F51.4) Zentrale diagnostische Merkmale S. 667 59 A: Wiederholte Episoden von plötzlichem Hochschrecken aus dem Schlaf, die gewöhnlich mit einem panischen Schrei beginnen. B: Starke Angst und Anzeichen vegetativer Arousals wie Tachykardie, schnelles Atmen und Schwitzen während jeder Episode. C: Fast keine Reaktion auf die Bemühungen anderer, den Betroffenen während der Episode zu beruhigen. D: Es wird kein detaillierter Traum erinnert, und es besteht eine Amnesie für die Episode. - Üblicherweise pro Nacht nur eine Episode; Dauer 1-10 Minuten - Beginn bei Kindern gewöhnlich zwischen dem 4. und dem 12. Lebensjahr, spontane Remission während der Adoleszenz; Kinder mit Pavor Nocturnus haben keine höhere Inzidenz anderer psychischer oder seelischer Störungen als die Allgemeinbevölkerung. - Bei Beginn im Erwachsenenalter häufig chronischer Verlauf, zugleich häufiger psychopathologische Veränderungen z.B. Persönlichkeitsstörungen - Familäres Verteilungsmuster: Positive Familienanamnese; Genetische Übertragung wahrscheinlich. 2.3 Schlafstörung mit Schlafwandeln; 307.46 (F51.3) Zentrale diagnostische Merkmale S. 672 A: Wiederholte Episoden von Aufstehen aus dem Bett und Umhergehen im Schlaf B: Während des Schlafwandelns ausdrucksloses, starres Gesicht; Kaum Reaktionen; Kann nur mit größter Schwierigkeit geweckt werden. C: Beim Aufwachen Amnesie für die Episode D: Nach dem Aufwachen aus einer Schlafwandel-Episode besteht keine Beeinträchtigung der geistigen Funktionen oder des Verhaltens. - Auftretende Verhaltensweisen meist routinemäßiger Art und wenig komplex. - In der Kindheit relativ häufig Ende meist in der frühen Adoleszenz. - Im Erwachsenenalter selten, wenn dann häufig chronisch bei gleichzeitig auftretenden Persönlichkeitsstörungen, Affektiven Störungen oder Angststörungen. Familäres Verteilungsmuster: Positive Familienanamnese; Genetische Übertragung wahrscheinlich. 2.4 Nicht näher bezeichnete Parasomnien; 307.47 (F51.8) Störungsbilder mit abweichenden Verhaltens- oder physiologischen Ereignissen, die jedoch nicht die Kriterien einer spezifischen Parasomnie erfüllen. 1. REM-Schlaf-Verhaltensstörung 2. Schlafparalyse 3. Parasomnien, bei denen es unklar ist, ob primär oder im Zusammenhang mit einem medizinischen Krankheitsfaktor oder einer induzierten Substanz stehend. II Schlafstörungen in Zusammenhang mit einer Anderen Psychischen Störung 1. Insomnie in Zusammenhang mit einer Anderen Psychischen Störung; 307.42(F51.0) 2. Hypersomnie in Zusammenhang mit einer Anderen Psych. Störung; 307.44(F51.1) Zentrale diagnostische Merkmale S. 678/679 A: Hauptmerkmal: Vorkommen einer Insomnie oder einer Hypersomnie, die als zeitlich oder kausal mit einer anderen psychischen Störung zusammenhängend beurteilt wird. B: Die Schlafstörung ist schwer genug, um für sich allein genommen klinische Beachtung zu recht fertigen. - Eine Schlafstörung ist häufig eines der frühesten Symptome einer späteren psychischen Störung (Schlafprobleme bei allen Arten von psychischen Störungen). - Codierungsregeln: Achse I: Typus der Schlafstörung zusätzlich Bezeichnung der spezif. mit ihr einhergehenden Achse I- oder Achse IIStörung Dazu spezif. psychische Störung auf Achse I oder Achse II codieren III Andere Schlafstörungen 1. Schlafstörung Aufgrund eines Medizinischen Krankheitsfaktors; 780.xx (G47.x) Zentrale diagnostische Merkmale S. 682/683 A: Vorherrschende Beeinträchtigung des Schlafes, die für sich allein genommen schwer genug ist, um klinische Beachtung zu rechtfertigen. B: Rückführbarkeit auf einen medizinischen Krankheitsfaktor - Subtypen: ° Insomnie-Typus ° Hypersomnie-Typus ° Parasomnie-Typus ° Mischtypus - Codierungsregeln: ° Spezifische Phänomenologie der Störung mit dem entsprechenden Subtypus; Zusätzlich spezifischer medizinischer Krankheitsfaktor, der 60 als Ursache für die Achse I-Störung bewertet wurde. ° Zudem Code für den medizinischen Krankheitsfaktor auf Achse III vermerken. 2. Substanzinduzierte Schlafstörung Zentrale diagnostische Merkmale S. 688/689 A: Ausgeprägtes Störungsbild des Schlafes, das schwer genug ist, um für sich allein genommen klinische Beachtung zu rechtfertigen. B: Als Folge der direkten körperlichen Wirkung einer Substanz bewertet. - Substanzinduzierte Schlafstörung nur in Verbindung mit Intoxikations- oder Entzugszuständen. - Codierungsregeln: ° Nennung der spezifischen Substanz, die als verursachend angesehen wird. ° Der diagnostische Code wird aus den aufgelisteten Substanzklassen ausgewählt. ° Zusatzcodierungen: “Mit Beginn während der Intoxikation”, “Mit Beginn während des Entzuges” ° Bei mehr als einer Substanz, sollte jede Substanz separat aufgeführt werden. Rosina Maria Gasteiger, Konrad Gorck, Andreas Will und Katrin Landstorfer Störungen der Impulskontrolle, Nicht Andernorts Klassifiziert Hauptmerkmal: Versagen, dem Impuls, Trieb oder der Versuchung zu widerstehen, eine Handlung auszuführen, die für die Person selbst oder für andere schädlich ist bei den meisten Störungen: vor Durchführung der Handlung: zunehmende Spannung oder Erregung während Durchführung: Vergnügen, Befriedigung oder Gefühl der Entspannung nach der Handlung: evtl. Reue, Selbstvorwürfe oder Schuldgefühle PYROMANIE 312.33 (F63.1) A. Kurzer Überblick über Bedeutung und Historie der Pyromanie aus psychiatrischer Sicht 1. Was versteht man unter Pyromanie pyr(o) (gr.) = Feuer ; - manie = Wahn, Affektstörung Pathologische Brandstiftung, die wiederholt und ohne erkennbares Motiv begangen wird, und aus einem zwanghaften Impuls oder Trieb, Feuer zu legen, resultiert, dem der Pyromane nicht widerstehen kann. 2. Pyromanie als nicht andernorts klassifizierte Störung der Impulskontrolle Impulsivität ist als Symptom Bestandteil zahlreicher psychischer Störungen. Deshalb ist Brandstiftung ein Bestandteil des Krankheitsbildes vieler psychischer Störungen. Bei der Pyromanie ist die Impulsivität das zentrale beeinträchtigende Merkmal und muß darum differentialdiagnostisch von allen Störungsbildern mit evtl. vorkommender Brandstiftung abgegrenzt werden. 3. Geschichte der Pyromanie in der Psychatrie - Anfang des 19. Jahrhunderts wird die "Feuergierde" als Krankheit entdeckt (Osiander). - Die instinktive Monomanielehre aus Frankreich (Esquirol) postuliert die Existenz isolierter Einzelwahne ohne sonstige Wahnerscheinungen und prägt neben anderen Monomanien den Begriff der Pyromanie. - Noch in der 1.Hälfte des 19. Jahrhunderts kommt Kritik am Konzept der Pyromanie auf (Pyromanie als Aberglaube). - Die Existenz von Pyromanie wird heute immer mehr angezweifelt. 4. Wie erlebt der Pyromane seine Krankheit - Der Impuls ist so mächtig, daß nicht über die Konsequenzen nachgedacht wird. - Pyromanie als Sucht besonderer Art Allerdings : 10-jährige Studie des IFT (Institut für Therapieforschung) in München behauptet, Pyromanie, Kleptomanie und exzessives Spielen sind keine Süchte. 61 - Der Prozeß, innerhalb dessen dem Feuerimpuls nachgegeben wird, durchläuft typischerweise folgende Stadien: starke Anspannung, Kurzschlußhandlung (=Feuerlegen), Entspannung und evtl. Schuldgefühle danach. B. Diagnostische Kriterien Kriterium A : Gewolltes und absichtsvolles Feuerlegen bei mehr als einer Gelegenheit. Kriterium B : Spannungsgefühl oder affektive Erregung vor der Handlung. Kriterium C : Faszination, Interesse, Neugier und Anziehung in Hinblick auf Feuer und damit zusammenhängende Situationen (z.B. entsprechende Utensilien, Gebräuche, Folgen). Kriterium D : Vergnügen, Befriedigung oder Entspannung beim Feuerlegen, beim Zuschauen oder beim Beteiligtsein an den Folgen. Kriterium E : Das Feuerlegen geschieht nicht wegen des finanziellen Profits, als Ausdruck einer soziopolitischen Ideologie, zum Verdecken einer Straftat, um Wut oder Rache auszudrücken, um die Lebensumstände zu verbessern, als Reaktion auf Wahnphänomene oder Halluzinationen oder infolge verminderter Urteilsfähigkeit (z.B. bei Demenz, Geistiger Behinderung oder Substanzintoxikation). Kriterium F : Das Feuerlegen kann nicht besser durch eine Störung des Sozialverhaltens, eine Manische Episode oder eine Antisoziale Persönlichkeitsstörung erklärt werden. C. Differentialdiagnose Pyromanie ist abzugrenzen von: - vorsätzlicher Brandstiftung mit offensichtlichem Motiv ohne deutliche psychische Störung - Brandstiftung im Rahmen einer Störung des Sozialverhaltens - Brandstiftung im Rahmen einer Antisozialen Persönlichkeitsstörung - Brandstiftung bei Schizophrenie - Brandstiftung bei organisch bedingten psychiatrischen Störungen - Brandstiftung unter Alkohol-,Drogen- oder Medikamenteneinfluß - Brandstiftung bei Oligophrenie oder Demenz - Brandstiftung bei Psychopathie - kommunikativer Brandstiftung D. Kritik am Konzept der Pyromanie Die instinktive Monomanielehre gilt als überholt. Störungen wie Pyromanie sind wissenschaftlich unhaltbar geworden. E. Psychoanalytische Sichtweise der Pyromanie Tiefenpsychologische Hypothesen: Brandstiftungen sind versteckte sexuelle Akte oder sexuelle Ersatzhandlungen. Es bestehen psychodynamische Verbindungen zu Urethralerotik, Enuresis und Harninkontinenz. F. Verlauf 62 Typisch ist der rückfällige Wiederholungstäter. Über den Langzeitverlauf ist nichts bekannt. G. Prävalenz Pyromanie kommt offentsichtlich selten vor. H. Besondere Alters- und Geschlechtsmerkmale 1. viel häufiger bei Männern als bei Frauen 2. allgemein hängen wohl eine Menge von Faktoren zusammen: - schlechte elterliche Beziehungen - individuelles Temperament - mangelhafte soziale Fertigkeiten - mögl. neuro-chemische Prädispositionen I. Forensischer Aspekt In foro haben es Psychologen und Psychiater häufig mit Fällen von Brandstiftung zu tun. Krankheitsbilder von forensischer Bedeutung bei Brandstiftung sind hauptsächlich Schizophrenie und Oligophrenie. Bei der Diskussion um die Schuldfähigkeit eines Delinquenten muß der Sachverständige bei Berufung auf eine Pyromanie als Schuldminderungsgrund besonders auf der Hut sein, da nicht selten eine Pyromanie simuliert wird, um strafrechtlichen Konsequenzen zu entkommen. Intermittierende explosible Störung 312.34 (F63.9) Diagnostische Kriterien: - mehrere umschriebene Episoden des Versagens, aggressiven Impulsen zu widerstehen, die zu schweren Gewalttätigkeiten oder zu Zerstörung von Eigentum führen - Das Ausmaß der gezeigten Aggressivität steht in grobem Mißverhältnis zu irgendeinem auslösenden psychosozialen Belastungsfaktor - Die aggressiven Episoden können nicht besser durch eine andere psychische Störung erklärt werden und gehen nicht auf die direkte körperliche Wirkung einer Substanz oder eines medizin. Krankheitsfaktor zurück Prävalenz: sehr selten; häufiger bei Männern Verlauf: Beginn zwischen der späten Adoleszenz und drittem Lebensjahrzehnt Nicht Näher Bezeichnete Störung der Impulskontrolle 312.30 (F63.9) Diese Kategorie ist für Störungen der Impulskontrolle vorgesehen, die weder die Kriterien irgendeiner spezifischen Störung der Impulskontrolle erfüllen, noch die einer anderen psychischen Störung, die Merkmale einer Störung der Impulskontrolle aufweist und andernorts im DSM IV beschrieben ist. (Z.B. Substanzabhängigkeit, eine Paraphilie). Pathologisches Spielen ("Spielsucht") 312.31 (F63.0) Diagnostische Kriterien für pathologisches Spielen Andauerndes und wiederkehrendes fehlangepaßtes Spielverhalten, was sich in mindestens fünf der folgenden Merkmale ausdrückt: Ist stark eingenommen vom Glücksspiel (z.B. starkes Beschäftigtsein mit gedanklichen Nacherleben vergangener Spielerfahrungen, mit Verhindern oder Planen der nächsten Spielunternehmungen, nachdenken über Wege, Geld zum Spielen zu beschaffen), Muß mit immer höheren Einsätzen spielen, um die gewünschte Erregung zu erreichen, hat wiederholt erfolglose Versuche unternommen, das Spielen zu kontrollieren, einzuschränken oder aufzugeben, ist unruhig und gereizt beim Versuch, das Spielen einzuschränken oder aufzugeben, spielt, um Problemen zu entkommen oder um eine dysphorische Stimmung (z.B. Gefühle von Hilflosigkeit, Schuld, Angst, Depression) zu erleichtern, kehrt, nachdem er beim Glücksspiel Geld verloren, oft am nächsten Tag zurück, um den Verlust auszugleichen (dem Verlust "hinterherjagen"), 63 belügt Familienmitglieder, den Therapeuten oder andere, um das Ausmaß seiner Verstrickung in das Spielen zu vertuschen, hat illegale Handlungen wie Fälschung, Betrug, Diebstahl oder Unterschlagung begangen, um das Spielen zu finanzieren, hat eine wichtige Beziehung, seinen Arbeitsplatz, Ausbildungs- oder Aufstiegschancen wegen des Spielens gefährdet oder verloren, verläßt sich darauf, daß andere ihm Geld bereitstellen, um die durch das Spielen verursachte hoffnungslose finanzielle Situation zu überwinden. Das Spielverhalten kann nicht besser durch eine Manische Episode erklärt werden. Das pathologisches Spielen ist abzugrenzen von: Gewohnheitsmäßigem Spielen und wetten: Häufiges Spielen wegen der aufregenden Spannung oder um damit Geld zu verdienen; bei schweren Verlusten oder anderen negativen Auswirkungen schränken diese Personen ihre Gewohnheit zumeist ein. Exzessivem Spielen manischer Patienten Spielen bei Personen mit soziopatischer bzw. dissozialer Persönlichkeit: diese Menschen weisen eine weitreichende und dauernde Störung des Sozialverhaltens auf, die sich in aggresiven Handlungen oder einem fehlenden Gefühl für das Wohlergehen und Gefühle anderer Menschen äußert. Prävalenz: Ungefähr 1-3%, wobei wenig Daten zu Verfügung stehen und dabei nur die Erwachsenenbevölkerung betrachtet wird (hauptsächlich Männer). Trichotillomanie 312.39 (F63.3) Diagnostische Kriterien für Tichotillomanie Wiederholtes Ausreißen des eigenen Haares, was zu deutlichen Haarausfall führt. Ein zunehmendes Spannungsgefühl unmittelbar vor dem Haarausreißen oder beim Versuch, der Handlung zu wiederstehen. Vergnügen, Befriedigung oder Entspannung während des Haareausreißens. Das Verhalten kann nicht besser durch eine andere psychische Störung oder einen medizinischen Krankheitsfaktor (z.B. eine dermatologische Erkrankung) erklärt werden. Die Störung verursacht in klinisch bedeutsamer Weise Leiden oder Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen. Prävalenz: Ungefähr 1-2% bei Umfragen unter College Studenten. Literatur: Saß, H. Wittchen, H.-U. Zaudig (dt. Bearbeitung): " Diagnostisches und Statistisches Manual psychischer Störungen DSM IV", Hofgrefe, Göttingen, 2. Auflage 1998. Füchtenschnieder Ilona, Petry Jörg: "Glücksspielsucht: Gesellschaftliche und therapeutische Aspekte"; Profil Verlag Gmbh München Wien; Auflage 1998; ISBN 3-89019-444-3. Kleptomanie (Pathologisches Stehlen) 312.32 (F63.2) Der Begriff Kleptomanie geht auf die Monomanielehre des französischen Psychiaters Esquirol im 19. Jh. zurück. Diagnostische Kriterien: Wiederholtes Versagen, Impulsen zum Stehlen von Gegenständen zu widerstehen, die weder zum persönlichen Gebrauch noch wegen ihres Geldwertes benötigt werden. Zunehmendes Gefühl von Spannung unmittelbar vor Begehen des Diebstahls. Vergnügen, Befriedigung oder Entspannung beim Begehen des Diebstahls. Das Stehlen wird nicht begangen, um Wut oder Rache auszudrücken und erfolgt nicht als Reaktion auf Wahnphänomene oder Halluzinationen. 64 Das Stehlen kann nicht besser durch eine Störung des Sozialverhaltens, eine Manische Episode oder eine Antisoziale Persönlichkeitsstörung erklärt werden. Typische diagnostische Leitlinien - zugehörige Merkmale und Störungen: Ansteigende Spannung/intensiver Drang zum Stehlen vor der Handlung und das Gefühl der Befriedigung und Erleichterung während und nach der Tat. Zwischen den Diebstählen: depressive Gefühle, Angst, Verzagtheit, Insuffizienz- und Schuldgefühle, ohne daß dies den Rückfall verhindert. Der Impuls zum Stehlen wird als ich-dyston erlebt; ebenso Bewußtsein darüber, daß die Handlung falsch und sinnlos ist. Die Betroffenen fürchten häufig gefaßt zu werden und versuchen i. d. R. ihre Taten zu verbergen, verhalten sich dabei aber inkonsequent. Der Diebstahl wird immer alleine, ohne Komplizen durchgeführt. Affektive Störungen (v. a. Majore Depression), Angst-, Persönlichkeits- und Eßstörungen (besonders Bulimia Nervosa) können mit Kleptomanie einhergehen. Juristische, familiäre, berufliche und persönliche Schwierigkeiten aufgrund der Störung. Prävalenz: Äußerst seltene Störung - bei weniger als 5 % aller aufgedeckten Diebstahlsdelikte. Häufiger bei Frauen als bei Männern anzutreffen. Verlauf: dazu nur wenig systematische Information, dennoch kann man drei typische Verläufe unterscheiden: sporadisch mit kurzen Episoden und langen Zeitspannen der Remission; episodisch mit langandauernden Perioden des Stehlens und Perioden der Remission; chronisch mit einem gewissen Maß an Fluktuation (trotz wiederholter Verurteilung wegen Diebstahls kann Störung jahrelang fortdauern); Differentialdiagnose: Das pathologische Stehlen ist abgrenzen von: Ladendiebstahl oder gewöhnlichem Diebstahl, der (geplant oder impulsiv) absichtlich begangen wird und durch die persönliche Bereicherung oder den Nutzen des gestohlenen Objekts motiviert ist. Diebstahl als Mutprobe (besonders häufig in der Adoleszenz), als Akt der Rebellion oder als Übergangsritus. Simulation - Nachahmung der typische Symptome der Kleptomanie, um einer Strafverfolgung zu entgehen. Antisozialer Persönlichkeitsstörung und Störung des Sozialverhaltens, welche allgemein mit antisozialem Verhalten einhergehen. von beabsichtigtem oder fahrlässigem Stehlen, das während einer Manischen Episode (Depressive Störung), als Reaktion auf Wahnphänomene oder Halluzinationen (z. B. bei Schizophrenie) auftritt. Organisch bedingtem Störungen: wiederholtes Nichtbezahlen von Waren als Folge schlechten Gedächtnisses (Demenz) oder anderer intellektueller Beeinträchtigungen. Ähnliche diagnostische Kriterien pathologischen Stehlens in der ICD-10: hier wird Kleptomanie ebenfalls unter Störungen der Impulskontrolle klassifiziert; differentialdiagnostischer Ausschluß umfasst zusätzlich depressive Störungen, in denen nach forensischen Erfahrungen häufig gestohlen wird; allerdings Verzicht auf die Ausschlußkriterien Wut und Rache, sowie der Erwähnung, daß Antisoziale Persönlichkeitsstörung oder eine Störung des Sozialverhaltens dem entsprechendes Verhalten zugrunde liegen können; Kleptomanie - Kodierung auf Achse I - ist in der Regel mit weiteren psychischen Störungen (z. B. narzißtische oder histrionische Persönlichkeitsstörung) - Kodierung auf Achse II - verbunden und in diese eingebettet. Sowohl im DSM-IV, als auch in der ICD-10 erscheint Kleptomanie gemeinsam mit pathologischem Spielen, Pyromanie, Trichotillomanie (krankhaftes Haareausreißen) und anderen abnormen Gewohnheiten. Für die Zusammenfassung, dieser in ihrer Verursachung nicht aufgeklärten Störungen unter dem Bereich Störungen der Impulskontrolle - nicht andernorts klassifiziert, werden gewisse Ähnlichkeiten in der Beschreibung geltend gemacht, vor allem weil bei all diesen Störungen wiederholt Handlungen ohne vernünftige Motivation auftreten, die im allgemeinen die Interessen der betroffenen Person oder anderer Menschen schädigen. Das Hauptmerkmal von Störungen der Impulskontrolle ist das Versagen, dem Impuls, Trieb oder der Versuchung zu widerstehen (dies wird oft als unwiderstehlicher Zwang erlebt) eine derartige, für die Person selbst oder für andere, schädliche Handlung auszuführen. Charakteristisch ist ein zunehmendes Spannungsgefühl oder Erregung, bevor die Handlung durchgeführt wird, dem folgt das Erleben von Vergnügen, Befriedigung oder Entspannung während der Handlung. Nach der Handlung können - jedoch nicht zwingend - Selbstvorwürfe, Reue-, oder Schuldgefühle auftreten. 65 Angelika Loenicker, Sabine Sauer Anpassungsstörungen Diagnostische Kriterien: Kriterium A (Hauptmerkmal einer Anpassungsstörung): Entwicklung von klinisch bedeutsamen emotionalen oder verhaltensmäßigen Symptomen als Reaktion auf einen oder mehrere identifizierbare psychosoziale Belastungsfaktoren. Die Symptome müssen sich innerhalb von 3 Monaten nach Beginn der Belastung(en) entwickeln. Kriterium B: Diese Symptome oder Verhaltensweisen sind insofern klinisch bedeutsam, als sie (1) zu deutlichem Leiden führen, welches über das hinausgeht, was man bei Konfrontation mit diesem Belastungsfaktor erwarten würde. (2) zu bedeutsamen Beeinträchtigungen in sozialen oder beruflichen (schulischen) Funktionsbereichen führen. Kriterium C: Das belastungsabhängige Störungsbild erfüllt nicht die Kriterien für eine andere spezifische Störung auf Achse I und stellt nicht nur eine Verschlechterung einer vorbestehenden Störung auf Achse I oder Achse II dar. Kriterium D: Die Symptome sind nicht Ausdruck einer einfachen Trauer Kriterium E: Wenn die Belastung (oder deren Folgen) beendet ist, dann dauern die Symptome nicht länger als weitere 6 Monate an. Bestimme, ob: Akut: Wenn die Störung weniger als 6 Monate anhält oder Chronisch: Wenn die Störung länger als 6 Monate andauert (Reaktion auf eine chronische Belastung: z.B.ein chronischer, behindernder medizinischer Krankheitsfaktor oder Reaktion auf eine Belastung mit langanhaltenden Folgen: z.B. finanzielle und emotionale Schwierigkeiten, die sich aus einer Scheidung ergeben). Belastungsfaktoren: Bei dem Belastungsfaktor kann es sich um ein einzelnes Ereignis handeln (z.B. Beendigung einer Liebesbeziehung), oder es können mehrere Belastungsfaktoren vorliegen (z.B. erhebliche Schwierigkeiten am Arbeitsplatz und in der Ehe). Die Belastungen können wiederkehrend (z.B. verbunden mit saisonalen Geschäftskrisen) oder kontinuierlich sein (z.B. Leben in einer kriminellen Umgebung). Die Belastungsfaktoren können eine einzige Person betreffen, eine ganze Familie oder eine größere Gruppe oder Gemeinde (wie z.B. bei Naturkatastrophen). Einige Belastungen können im Zusammmenhang mit spezifischen Lebensphasen stehen (z.B. Schulbeginn, Verlassen des Elternhauses, Heirat, Elternschaft, Nichterreichen beruflicher Ziele, Rente/Pensionierung) Subtypen und Zusatzcodierungen: Anpassungsstörungen werden entsprechend dem Subtypus codiert, der das vorherrschende Symptombild am besten charakterisiert: 309.0 (F43.20) Mit depressiver Stimmung. Dieser Subtypus sollte verwendet werden, wenn die vorherrschenden Symptome depressive Stimmung, Weinerlichkeit, oder Gefühle von Hoffnungslosigkeit sind. 309.24 (F43.22) Mit Angst. Dieser Subtypus sollte verwendet werden, wenn die vorherrschenden Symptome Nervosität, Sorgen oder Ängstlichkeit oder bei Kindern Trennungsangst von einer wesentlichen Bezugsperson sind. 309.28 (F43.22) Mit Angst und Depressiver Stimmung, Gemischt. Die Kombination von Angst und Depression steht im Vordergrund. 309.3 (F43.24) Mit Störungen des Sozialverhaltens. Vorherrschende Symptomatik stellt eine Störung des Sozialverhaltens dar, bei der es zur Verletzung von Rechten anderer kommt oder von wesentlichen altersgemäßen Normen und Regeln (z.B. Schuleschwänzen, Vandalismus, rücksichtsloses Fahren, Schlägereien, Mißachtung von rechtlichen Verpflichtungen). 309.4 (F43.25) Mit Emotionalen Störungen und Störungen des Sozialverhaltens, Gemischt. Verwendung findet dieser Subtypus, wenn sowohl emotionale Symptome (z.B. Deprssion, Angst) als auch Störungen des Sozialverhaltens (s.o.) vorliegen. 309.9 (F43.9) Unspezifisch. Dieser Subtypus findet Verwendung bei unangepaßten Reaktionen (z.B. körperliche Beschwerden, sozialer Rückzug oder Störungen im Arbeits-oder Schulbereich) auf psychosoziale Belastungsfaktoren, die sich nicht als eine der spezifischen Subtypen der Anpassungsstörung klassifizieren lassen. Codierungsregeln: Die vorherrschenden Symptome einer Anpassungssörung sollten dadurch kenntlich gemacht werden, daß aus der obigen Liste der Begriff und die Codierung gewählt werden, gefolgt, falls gewünscht, von der Zusatzcodierung Akut oder Chronisch. 66 Zum Beispiel: 309.0 (F43.20) Anpassungsstörung mit Depressiver Stimmung, Akut. Bei einer Multiaxialen Diagnostik kann die Art der Belastung auf Achse IV kenntlich gemacht werden: Beispiel Achse I: 309.0 Anpassungsstörung mit depressiver Stimmung Achse II:301.00 Paranoide Persönlichkeitsstörung Achse III: Keine Diagnose Achse IV: Scheidung Achse V: GAF=65 (zur Zeit) Zugehörige Merkmale und Störungen: Mit Anpassungsstörungen verbundene subjektive Leiden oder Beeinträchtigungen in verschiedenen Funktionsbereichen drücken sich häufig aus in einer verminderten Leistung bei der Arbeit oder in der Schule und in vorübergehenden Veränderungen in sozialen Beziehungen. Anpassungsstörungen gehen mit einem erhöhten Risiko von Suizidversuchen und Suiziden einher. Ferner können sie zu Verlaufskomplikationen eines medizinischen Krankheitsfaktors führen (z.B. durch mangelnde Compliance mit den empfohlenen medizinischen Maßnahmen oder verlängerte Aufenthaltsdauer im Krankenhaus). Besondere kulturelle, Alters- und Geschlechtsmerkmale: Bei der klinischen Beurteilung, ob die Reaktion der Person auf die Belastung unangepaßt ist, muß der kulturelle Kontext der Person berücksichtigt werden Anpassungsstörungen können in jeder Altersgruppe auftreten. Männer und Frauen sind gleich häufig betroffen. Prävalenz: Anpassungstörungen kommen häufig vor.Von den Patienten, die sich in psychotherapeutischer/psychiatrischer Behandlung befinden, haben etwa 5-20% als Hauptdiagnose eine Anpassungstörung. Personen, die sich in ungünstigen Lebensumständen befinden, erleben mehr Belastungsfaktoren und haben möglicherweise ein höheres Risiko für diese Störung. Verlauf und Prognose: Definitionsgemäß beginnt eine Anpassungsstörung innerhalb von 3 Monaten nach Beginn der Belastung und dauert nicht länger als 6 Monate, nachdem die Belastung oder deren Folgen beendet sind. Wenn der Belastungsfaktor in einem akuten Ereignis besteht (z.B. Kündigung des Arbeitsplatzes), beginnt die Störung normalerweise sofort (oder innerhalb weniger Tage) und die Dauer ist relativ kurz (z. B. nicht mehr als wenige Monate). Dauern die Belastung oder deren Folgen an, kann auch die Anpassungsstörung bestehen bleiben. Bei einer über fünf Jahre durchgeführten Untersuchung bei 100 Patienten mit dieser Diagnose wurde festgestellt,daß 79% bei der Nachuntersuchung gesund waren. Die übrigen 21% hatten zum Zeitpunkt der Untersuchung eine psychische Störung(z.B. Schizoaffektive Störung, Major Depression, Alkoholismus). Klinische Behandlung: Eine Individuelle Psychotherapie, die dem Patienten eine Möglichkeit gibt, die Bedeutung und den Stellenwert des psychosozialen Belastungsfaktors zu erkennen, ist oft nützlich, um dem Patienten dabei zu helfen, sich an die Belastung anzupassen, wenn sie weiter besteht, oder sie zu verstehen, wenn die Belastung vorbei ist. Gruppentherapeutische Ansätze können bei Patienten hilfreich sein, die ähnliche Belastungen erlebt haben, wie z.B bei Patienten, die als HIV-positiv diagnostiziert wurden. In der Gruppe kann die unterstützende Atmosphäre, die von den Personen kommt, die früher oder jetzt die gleiche Belastung erlebt haben, für das Individuum sehr wirkungsvoll bei der Anpassung sein. Pharmakologische Interventionen können nützlich sein , besonders wenn somatische Symptome im Vordergrund stehen.Ein Patient mit einer Anpassungsstörung nit depressiver Verstimmung, der eine Einschlafstörung hat, kann von einem Hypnotikum zur Schlafenszeit über einige Tage hinweg profitieren. Differentialdiagnose: Die Anpassungsstörung ist eine Restkategorie, die verwendet wird, um klinische Bilder zu beschreiben, die eine Reaktion auf einen identifizierbaren Belastungsfaktor darstellen und die nicht die Kriterien für eine andere spezifische Störung auf Achse I erfüllen. Zeigt z. B. eine Person als Reaktion auf eine Belastung Symptome, die die Kriterien einer Major Depression erfüllen, kann die Diagnose einer Anpassungsstörung nicht angewendet werden. Eine Anpassungsstörung kann nur dann zusätzlich zu einer anderen Störung auf Achse I diagnostiziert werden, wenn letztere die spezifischen Symptome, die als Reaktion auf die Belastung aufgetreten sind, nicht erklärt. Anpassungsstörung, Posttraumatische Belastungsstörung und Akute Belastungsstörung erfordern alle das Vorhandensein eines psychosozialen Belastungsfaktors. Die Posttraumatische und die akute Belastungsstörung sind charakterisiert durch das Vorhandensein einer extremen Belastung (z.B. Kriegserlebnisse, Vergewaltigung) und einer spezifischen Konstellation von Symptomen (Wiedererleben des Traumas, Vermeidung von Reizen, die mit dem Trauma verbunden sind, Chronische Übererregung). Im Gegensatz dazu kann eine Anpassungsstörung durch einen Belastungsfaktor jedweder Schwere ausgelöst werden und kann vielfältige Symptome beeinhalten. Einfache Trauer wird grundsätzlich anstelle einer Anpassungsstörung diagnostiziert, wenn die Reaktion eine zu erwartende Antwort auf den Tod einer geliebten Person darstellt. Die Diagnose einer Anpassungsstörung kann jedoch angemessen sein , wenn die Reaktion über das hinausgeht, was man erwarten würde, oder wenn sie länger als üblich andauert. Persönlichkeitsstörungen blühen ebenfalls häufig unter Belastungen auf. Sind die Symptome, die auf die Belastung auftreten, nicht typisch für die Persönlichkeitsstörung (z.B. depressive Verstimmung nach Arbeitsplatzverlust bei paranoider Persönlichkeitsstörung), so kann die zusätzliche Diagnose einer Anpassungsstörung angemessen sein. Literatur: Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen DSM-IV, 1996, Hogrefe, Göttingen Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen DSM-III-R, 1991, Beltz-Verlag Andreasen Black, Lehrbuch Psychiatrie, 1993, Beltz-Verlag 67 Nicole Liwon-Wöllenstein, Anita Regenberg Persönlichkeitsstörungen Persönlichkeit: Stabiles Muster der Wahrnehmung, der inneren Erfahrung und des Verhaltens, das jedem Menschen eigen ist. Individuum handelt konsistent zu unterschiedlichen Zeitpunkten in unterschiedlichen Situationen mit unterschiedlichen Menschen. Verhalten ist relativ vorhersagbar. Bei Umgebungsveränderungen zeigt sich eine gewisse Anpassungsfähigkeit und Flexibilität in Reaktionen. Individuen mit Persönlichkeitsstörungen sind dazu nicht in der Lage. Persönlichkeitsstörungen: Umfassendes, überdauerndes, unflexibles Erlebens- und Verhaltensmuster, das von Erwartungen der Kultur abweicht. Störung belastet Betroffene oft weniger stark als die Menschen, die täglich mit ihnen Kontakt haben. Persönlichkeitsstörungen gelten als schwer behandelbar. Beginn: erkennbar im frühen Erwachsenenalter Prävalenz: 4 - 15% Krankheitserklärung: Psychodynamische Theorie: frühe Interaktionen mit fordernden und ablehnenden Eltern. Erleben als Kind Zurückweisung oder Liebesmangel. Das Fehlen von verläßlicher elterlicher Liebe und wiederholte Mißhandlung im Säuglings- und Kleinkindzeit bewirke, daß manche Personen übermäßig wachsam nach Gefahr und negativen Reaktionen von anderen Ausschau halten, was in ein breites Mißtrauen gegenüber anderen mündet oder Minderwertigkeit. (aus Comer). Wenn wir nun die Persönlichkeitsstörungen betrachten, sollten wir nicht dem Fehler verfallen, irgendwelche Kategorien zu sehr auf uns selbst oder den Bekanntenkreis zu ziehen. Nur zu leicht findet man sich in den Beschreibungen wieder. Wir alle zeigen Persönlichkeitszüge, das gehört zum Menschsein. Und viele dieser Züge ähneln unweigerlich denjenigen, die charakteristisch sind für Persönlichkeitsstörungen. Nur selten sind sie so unflexibel, fehlangepaßt und belastend, daß sie als Störung gelten können.(aus: Comer) Persönlichkeitsstörungen sind Achse II-Störungen. Andes als bei den Achse I Störungen gibt es bei den Persönlichkeitsstörungen keine Remissionsphasen. Es ist allerdings nicht ungewöhnlich, daß Achse I + II nebeneinander stehen, z.B. Achse I: 295.30 Schizophrenie vom Paranoiden Typus. Achse II 301.20 -Schizoide Persönlichkeitsstörung (prämorbid). DSM-IV unterscheidet 11 Persönlichkeits-Typen und teilt sie nach deskriptiven Ähnlichkeiten in 3 Gruppen auf: Cluster A-Persönlichkeitsstörungen. Sonderbares oder exzentrisches Verhalten, enthält die paranoide, die schizoide und die schizotypische Persönlichkeitsstörung. Paranoide Persönlichkeitsstörung, Kodierung nach DSM-IV 301.00 - ICD-10 F 60.0 Betroffene zeigen ein Muster von tiefgreifenden Mißtrauen und Argwohn gegenüber anderen. Scheuen enge Beziehungen. Stets auf der Hut, vorsichtig und reaktionsbereit erwarten diese Menschen ständig, betrogen oder ausgenutzt zu werden. Stehen Beziehungen skeptisch und zurückhaltend gegenüber. Bleiben kalt und distanziert, zögern anderen zu vertrauen. Sehr kritisch gegenüber Schwächen und Fehlern bei anderen, insbesondere im Arbeitsumfeld, sehen sich selbst als makellos, sind empfindlich gegenüber Kritik. Streitsüchtig. Können nicht verzeihen. Pathologische Eifersucht, möchen intime Partnerschaft vollständig kontrollieren. Gewöhnlich kein Realitätsverlust. Selbstzentriertheit, Überempflindlichkeit, Machtprobleme innerhalb Grenzen der Realität, allerdings übertrieben und fehlangepaßt Sollte nicht diagnostiziert werden, wenn das Verhaltensmuster im Verlauf einer Schizophrenie, einer Affektiven Störung mit Psychotischen Merkmalen auftritt oder wenn es auf eine neurolog. Störung z.B. Temporallappenepilepsie zurückgeht. Typische Gedankenmuster: Letztendlich werden die Leute versuchen, mir weh zu tun. 68 Man kann den Leuten nicht vertrauen. Sie wollen mich immer ausnutzen. Die Leute versuchen, mich zu stören oder zu ärgern. Paß auf, sei immer auf das Schlimmste gefaßt. Kompromisse sind Niederlagen. Prävalenz: 0,5 - 2,5% der Gesamtbevölkerung zeigen paranoide Persönlichkeitsstörung, mehr Männer als Frauen, 10-30% bei stationären und 2-10% bei ambulanten Patienten psychiatrischer Kliniken. Kann sich in der Kindheit und Adoleszenz zeigen in Form von Einzelgängertum, spärlichen Beziehungen zu Gleichaltrigen, sozialer Angst, Überempfindlichkeit Krankheitserklärung/Therapie: Psychoanalyse: hat bisher zugrundeliegende Dynamik mehr beschrieben als verändert. Entsprechend häufig werden Betroffene als schwierig oder als nicht behandelbar charakterisiert. Störung wird zumeist als das Ergebnis einer gewohnheitsmäßigen Projektion unzulässiger Gefühle und Impulse auf andere Menschen angesehen. Durch diese Abwehr- oder Übertragungsmechanismen werden vor allem Schuldgefühle bezüglich der eigenen Impulse und Bedürfnisse reduziert. In der Therapie sollte das Augenmerk auf die Entwicklung und den Behalt einer vertrauensvollen Beziehung Wert gelegt werden. Extreme Konfrontation sollte vermieden werden. Das Sprechen über Beziehungsgefühle ermögliche es den Betroffenen, sich zu öffnen. Verhaltenstherapie:bisher geteilte Meinung zur Verhaltenstherapie. Es sollte ein ruhig-sachliche, formale und respektivolle Art der Kooperation bestehen. Überempfindlichkeit und das Mißlingen bisheriger Problemlöseversuche sollten Thema sein. Kognitive Therapie: Erster Schritt: Gefühl der Eigeneffizienz und Selbstsicherheit der Patienten im Umgang mit zwischenmenschlichen Konfliktsituationen erhöhen. Zweiter Schritt: Aspekte des automatischen Denkens und der paranoiden Grundannahmen modifizieren. Medikamentöse Therapie im allgemeinen unwirksam Mindestens 4 Diagnostische Kriterien müssen nach DSM-IV, S. 720, gegeben sein. Beispiele Film: Die Caine war ihr Schicksal, Doktor Seltsam oder wie ich lernte, die Bombe zu lieben. Geschichte: Hanna Ahrendt: Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft. 1995. Piper Verlag (zu den Diktatoren Hitler und Stalin) Schizoide Persönlichkeitsstörung,Kodierung nach DSM-IV 301.20 - ICD F 60.1 Hauptmerkmal: Beziehungsprobleme. Tiefgreifendes Muster von Zurückhaltung gegenüber sozialen Beziehungen und einer eingeschränkten Bandbreite des Gefühlsausdrucks. Werden von anderen für Einzelgänger gehalten, zurückhaltend und verschlossen. Wenig interessiert an sexuellen Beziehungen. Hobbies, die keine Interaktion mit anderen Menschen beinhalten. (Computer- oder math. Spiele). Keine engen Freunde. Erscheinen oftmals gleichgültig gegenüber Kritik oder Lob. Wirken sozial unbeholfen. Selten Gesten oder Gesichtsausdrücke wie Lächeln oder Nicken. Sie geben von sich an, daß sie selten Wut oder Freude empfinden. DD wie bei paranoider Persönlichkeitsstörung/Autismus. Erklärung (aus Comer): Aufgrund gestörter Interaktionen mit ihren Eltern können sie die Grundbedürfnisse ihres sich entwickelnden Selbst nicht befriedigen. Das heißt, sie gelangen weder zu Selbstachtung, Selbstbestätigung, Selbstvertrauen oder der Fähigkeit, sich selbst zu trösten, dazuzugehören oder sich in die menschl. Gemeinschaft einzufügen. Sie erleben eine fundamentale Aufspaltung des Selbst in ein Bündel von unintegrierter Bilder von sich. Sie wissen nicht genau, wer sie sind. Leiden an tiefreichender Unschärfe und Armut des Denkens und einer Unfähigkeit, die Umgebung wirksam zu prüfen und wichtig wahrzunehmen. Typische Gedankenmuster: Warum sollte ich mit Leuten vertraulich werden? Anderen nahe zu sein ist mir nicht wichtig. Ich bin mir selbst mein eigener bester Freund. Bleibe ruhig, Gefühle zu zeigen ist unnötig und peinlich. 69 Was andere sagen, interessiert mich wenig und ist mir nicht sehr wichtig. Sex ist in Ordnung, aber nur zur Entspannung. Prävalenz unbekannt. Mehr Männer als Frauen sollen betroffen sein. Therapie: Medikamentöse Therapie nicht hilfreich. Psychoanalytiker interpretieren die Neigung der Betroffenen zur sozialen Selbstisolation und Kontaktvermeidung als Form der Abwehr gegen zwischenmenschlich nahe und intime Beziehungen. Daraus resultiert, daß wenig Interesse besteht, eine Therapie aufzunehmen. Veränderung nur dann, wenn Leidensdruck gegeben ist. In der Therapie auf keinen Fall Forcierung der inhaltlichen Arbeit. Eher dem Patienten entgegenkommen, das heißt, an die Distanzierungs- und Selbstschutzbemühungen anknüpfen. Tagesprotokolle oder Tagebuchaufzeichnungen anfertigen lassen und diese dann besprechen. Verhaltens- und Kognitive Therapie: Soziales Training, Rollenspiele, Videoarbeit, Gruppenarbeit. Mindestens 4 Diagnostische Kriterien nach DSM-IV, S. 724, müssen gegeben sein. Literatur: Der Fremde, Camus Film: Clint Eastwood: the pale Rider. Schizotypische Persönlichkeitsstörung, Kodierung nach DSM-IV 301.22 - ICD 10 F 21 Hauptmerkmal: Beziehungsprobleme, kognitive Wahrnehmungsstörung. In allen Interaktionen mit Menschen deutlich beeinträchtigt, Verzerrungen des Denkens und Wahrnehmens, exzentrisches Verhalten. Isolieren sich, erleben in Gegenwart anderer beträchtliche Ängste, haben kaum Freunde. Im Wesen und Ausmaß ihrer kognitiven Verzerrungen und ihres exzentrischen Verhaltens liegt das Unterscheidungskriterium zu Menschen mit paranoider/schizoider Persönlichkeitsstörung. Zeigen ebenfalls Argwohn gegen die Motive anderer, wie bei paranoider Persönlichkeitsstörung, doch weist ihr Denken viele weitere Eigentümlichkeiten auf. Sie haben Beziehungsideen, beziehungslose Ereignisse geben sie besondere Bedeutung. Körperillusion: spüren äußere Kraft oder nicht vorhandene Personen. Magisches Denken. Zeigen auch exzentrisches Verhalten. Nachlässige Kleidung. Haben Schwierigkeiten, ihre Aufmerksamkeit zu konzentrieren. Weitschweifige Sprache. Haben keinen vollständigen Realitätsverlust. Unternehmen häufiger als die Allgemeinbevölkerung Suizidversuche und werden häufiger wegen anderer psychischer Störungen stationär aufgenommen. Möglichkeit einer Exazerbation in die schizophrene Psychose ist gegeben! DD: Schizophrenie, Autismus Prävalenz: 3%, mehr Männder als Frauen. Erklärung: Ähnlich wie bei Schizophrenie. Gestörte familiäre Kommunikation in der Kindheit, psychischen Störungen der Eltern. Dopamin im Hirn erhöht. Vergrößerte Hirnventrikel- (eine strukturelle Auffälligkeit, die mit Schizophrenie in Verbindung gebracht wird, evtl. genetische Grundlage). Schizotypische Persönlichkeitsstörung kommt unter nahen Vewandten von Betroffenen häufiger vor als in der Allgemeinbevölkerung. Therapie: Antipsychotische Medikamente unter engmaschiger Kontrolle hilft einigen Patienten. Verhaltenstherapie, Training sozialer Fertigkeiten, angemessene Kleidung Mindestens 5 Kriterien nach DSM-IV, S. 729, müssen gegeben sein. Film: Taxi Driver Cluster B-Persönlichkeitsstörungen Dramatisches, emotionales oder launenhaftes Verhalten Antisoziale Persönlichkeitsstörung, Kodierung nach DSM-IV 301.7 - ICD-10 F 60.2 70 Hauptmerkmal: tiefgreifendes Muster von Mißachtung und Verletzung der Rechte anderer, das in der Kindheit oder frühen Adoleszenz beginnt und bis ins Erwachsenenalter fortdauert. VH-Muster wird auch als Psychopathie, Soziopathie oder dissoziale Persönlichkeitsstörung bezeichnet. Täuschung und Manipulation anderer steht im Vordergrund. Stellen Opfer als Schwächlinge hin. Die antisoziale Persönlichkeitsstörung hängt am engsten mit kriminellen Verhalten aller Art bei Erwachsenen zusammen. Aggressiv, impulsiv handeln, ohne vorher zu planen. Haben keine feste Adresse, kein Ziel oder Vorhaben, fehlendes Mitgefühl, abgebrüht, zynisch, arrogante Selbsteinschätzung. Können zusätzlich an Angstörungen, Unfähigkeit, Langeweile zu ertragen, Somatisierungsstörungen leiden. Zwischen Störungen durch Alkohol/Drogen und der antisozialen Persönlichkeitsstörung besteht komplexe Beziehung. Kinder mit Störung des Sozialverhaltens als auch mit Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörung tragen höheres Risiko, später antisoziale Persönlichkeitsstörung zu entwickeln. Typische Gedankenmuster: Nur Narren folgen allen Regeln. Regeln sind dafür da, um gebrochen zu werden. Versuche, die Nr. 1 zu sein. Mein eigener Spaß geht vor. Wenn mein Verhalten andere kränkt, verletzt oder ihnen Umstände macht, ist das deren Problem. Lebe im Jetzt! Ich lasse es nicht zu, daß ich frustriert werde. Ich werde alles tun, was ich tun muß, um alles zu kriegen, was ich will. Ich bin wirklich heller als andere. Prävalenz: 1,5 - 3,5% der erwachsenen Bevölkerung. Sollte nicht vor 18. Lebensjahr diagnostiziert werden. Erklärung: Mangel an elterlicher Liebe, Scheidung, Gewalt Therapie: ¼ aller Patienten mit antisozialer Persönlichkeitsstörungen werden therapiert. Keine Interventionsform erfolgreich. Mangelnde Motivation, fehlendes Gewissen. Beispiel: Charles Manson, Clockwork Orange Borderline-Störung, Kodierung nach DSM-IV 301.83 - nach ICD-10 F 60.31 Hauptmerkmal: tiefgreifendes Muster von Instabilität in zwischenmenschlichen Beziehungen, im Selbstbild und in den Affekten sowie von deutlicher Impulsivität. Betroffene zeigen schwere Stimmungsschwankungen, durchleben schwere Depressionen, Angst- und Erregungszustände, die Stunden bis Tage anhalten. Neigen zu Wutanfällen und Anwandlungen von Feindseligkeiten, tätlichen Aggressionen und Gewalttätigkeiten; oft Wut, auch nach innen gerichtet und drücken diese in selbstschädigenden Handlungen aus. Selbstzerstörerische Handlungen reichen von Alkohol-, Drogenmißbrauch, Freßanfällen, Delinquenz, bis zu gefährlichen sexuellen Kontakten, Kauforgien, riskantem Fahren, Aderlässen. Katamnestische Studie ermittelte in 15 Jahren eine Suizidrate von 8,5%. Gehen konfliktträchtige Beziehungen ein, schwanken zwischen Überidealisierung und Entwertung der anderen Personen. Haben Probleme, eine angemessene interpersonelle Distanz zu wahren. Sind schnell enttäuscht und erbost, wenn andere Menschen nicht ihre Erwartungen erfüllen; bleiben dennoch mit ihnen verbunden und gelähmt vor Angst vor dem Alleingelassenwerden. Suiziddrohungen und -handlungen, um andere Person daran zu hindern, die Beziehung zu beenden. Beträchtlicher Teil der psychiatrischen Notfälle sind Borderline-Patienten. Beginn: frühes Erwachsenenalter, zeigt sich in verschiedenen Situationen. Typische Gedankenmuster: 71 Ich weiß nicht, wer ich bin. Ich werde irgendwann bestimmt verlassen. Mein Schmerz (psychisch) ist so intensiv, daß ich ihn nicht ertrage. Er/sie ist so extrem gut zu mir, daß ich so glücklich sein kann. Er/sie ist so furchtbar zu mir, daß ich ihn /sie nicht ertragen kann. Prävalenz: ca. 2%, davon sind 75% Frauen. Bei Frauen häufiger gleichzeitig bestehende affektive Störungen und selbstdestruktives Verhalten. Männer neigen zusätzlich stärker zu Störungen des Sozialverhaltens, der Aufmerksamkeit und zu antisozialer Persönlichkeitsstörung. Erklärung: Beziehungsproblem zwischen Kind und Eltern (Kernberg et al.), Verlust des Selbstwertgefühls, gesteigerte Abhängigkeit von Eltern, herabgesetzte Fähigkeit, Trennungen zu bewältigen.Vernachlässigung und Zurückweisung des Kindes. In Familie häufiger Scheidungen, Todesfälle in früher Kindheit. Untersuchungen zeigen hohe Prävalenz von Kindesmißhandlung und -mißbrauch einschließlich Inzest. Biologisch: niedrige Serotoninaktivität im Gehirn. Auffälligkeiten im REM-Schlaf, wie bei depressiven Patienten. Kulturell: Borderline-Störungen nehmen zu, wenn Kultur sich rasch verändert und ihren Zusammenhalt verliert. Therapie: Kognitiv-verhaltenstherapeutische Strategien. Borderline-Patienten setzen Widerstand gegen Therapie. Realistisches Ziel dürfte eine allgemeine, allerdings begrenzte Charakteränderung sein. Therapie dauert lange, Thema: Bindungs- und Trennungsproblematik, Identitätsproblematik. Medikamentös: Antidepressiva, antibipolare, antipsychotische Medikation kann beruhigend einwirken. Vorsicht! Erhöhtes Suizidrisiko. Patienten werden nach Selbstverletzung oder Suizidversuch häufig hospitalisiert. Offene milieuorientierte Station nützlicher als eine geschlossene. Schriftliche Verträge/Abmachungen mit Patienten wichtig, sollen gefährliches Verhalten unter Kontrolle halten und Patienten helfen, angesichts unerwarteter Ereignisse einen gleichmäßigen Kurs zu steuern. Beispiel: Eine verhängnisvolle Affaire. Histrionische Persönlichkeitsstörung, Kodierung nach DSM-IV 301.50 - ICD-10 F 60.4 früher hysterische Persönlichkeitsstörung Übertriebene Emotionalität und übermäßiges Verlangen nach Aufmerksamkeit. Stimmung kann rasch wechseln. Irrationale und wütende Ausbrüche, stehen ständig auf der "Bühne", mit theatralischen Gesten, sind ständig aktiv. Passen sich an wie ein Chamäleon. Brauchen ständige Anwesenheit von anderen zur Bestätigung ihres Daseins. Beifall und Lob sind Lebenselixier. Körperliche Erkrankungen und Beschwerden stellen sie übertrieben dar. Suizidversuche als manipulative Geste sind nicht selten. Machen alle Modeerscheinung und Trends mit, wollen bewundert werden. Intime Vertraute nehmen sie als flüchtige Bekannte wahr. Fühlen sich von unangemessenen Liebespartnern angezogen, werden schlecht behandelt und verstricken sich in eine unbefriedigend enge Beziehung. Sind auf andere bezogen und hauptsächlich an negativer Verstärkung ausgerichtet. Sind extrem abhängig von anderen. Typische Gedankenmuster: Das äußere Erscheinungsbild einer Person ist wichtig. Ich muß auffallen. Ich darf in meinem Leben nie frustriert sein. Ich muß alles, was ich will auch kriegen. Gefühle sollten schnell und direkt ausgedrückt werden. Schönheit ist das wichtigste Kriterium bei der Beurteilung von jemandem. 72 Prävalenz: 2-3% der Erwachsenen, Männer und Frauen gleich. Erklärung: Als Kind Verlustängste, Eltern kalt und kontrollierend. Therapie: Im Gegensatz zu den anderen Persönlichkeitsstörungen kommen Betroffene oft Therapie: Ziel: innere Quelle von Befriedigung erschliessen und selbständige Lebensweise entwickeln. Funktionierendes Gleichgewicht zwischen Unterstützung, Planung eines logischen Verhaltens und dem Setzen und Durchhalten strenger professioneller Grenzen. Medikamentöse Therapie nicht indiziert. Narzißtische Persönlichkeitsstörung, Kodierung nach DSM-IV 301.81 - ICD-10 F60.8 Zeigen Muster von Großartigkeit, Bedürfnis nach Bewunderung, Mangel an Einfühlungsvermögen, ausgeprägte Selbstbezogenheit. Mangel an Empathie, Unfähigkeit und Unvermögen, die Gefühle, Gedanken und Bedürfnisse anderer anzuerkennen. Ständig beschäftigt mit eigener Macht und Erfolg. Erwarten, daß andere ihnen immer zu Diensten stehen. Typische Gedankenmuster: Ich muß mich in jeder Interaktion durchsetzen. Ich darf mich auf keinen Fall daran hindern lassen, meinen Spaß oder mein Ansehen zu suchen. Ich bin besser als alle anderen. Ich sollte nur mit besonderen Leuten, die so sind wie ich, verkehren. Ich muß bewundert werden. Niemand sollte von irgendwas mehr haben als ich. Prävalenz: < 1%, 50-75% Männer. Verhalten und Denken vom narzißtischen Typ sind unter Jugendlichen häufig und normal! Erklärung: Gestörte Eltern-Kind-Beziehung. Therapie: Sprechen auf Therapie wenig an. Beispiel: Pablo Picasso Cluster C: Angst oder furchtgeprägte Persönlichkeitsstörungen Die Betroffenen zeigen ängstliches und furchtsames Verhalten Viele Symptome dieser Störungen ähneln denjenigen, die für Angst und depressiven Störungen der Achse I charakteristisch sind - ein unmittelbarer Zusammenhang ist nicht belegt. Vermeidend-Selbstunsichere Persönlichkeitsstörung, Kodierung nach DSM-IV 301.82 - ICD-10 F60.6 Hauptmerkmal: Beziehungsprobleme, sensibel. Zeigen chronisches und durchgängiges Muster von Hemmung in sozialen Situationen, Minderwertigkeitsgefühlen und extremer Empfindlichkeit negativer Bewertung. Meiden Gelegenheiten oder Tätigkeiten, die zwischenmenschlichen Kontakt erfordern. Gedanken kreisen darum, wie andere Personen sie wohl wahrnehmen. Sogar in engen Beziehungen handeln und benehmen sie sich gehemmt, aus Angst, beschämt oder lächerlich gemacht zu werden. Halten sich für unattraktiv. Haben gewöhnlich wenige oder gar keine Freunde, obwohl sie sich danach sehnen und sich häufig leer, depressiv und einsam fühlen. Ein Zusammenhang wird von einigen Theoretikern vermutet bei sozialen Phobie und einer selbstunsicheren Persönlichkeitsstörung. Angst vor Demütigung und geringes Selbstvertrauen tritt bei beiden auf. Allerdings fürchten Menschen mit sozialer Phobie eher die sozialen Begleitumstände als die engen sozialen Beziehungen, vor denen sich selbstunsichere Personen ängstigen. Typische Gedankenmuster: 73 Man muß mich mögen. Ich darf anderen oder mir selbst niemals ungeschickt oder dumm erscheinen. Die Welt ist gefährlich. Ich muß dafür sorgen, daß andere für mich sorgen. Vermeidung und Alleinsein ist besser als zu riskieren, verletzt zu werden. Jede Kritik ist gleichbedeutend mit Niederlage. Die kleinste Kritik ist dasselbe wie massiver Angriff. Man muß mir bedingungslose Akzeptanz garantieren, bevor ich mich darauf einlasse, mit jemandem in eine Beziehung zu treten. Prävalenz: 0,5 - 1% der Gesamtbevölkerung soll bei ca. 10% der ambulanten Patienten in psychiatr. Kliniken auftreten Erklärung: Gelernte Ängste, beunruhigende Denkprozesse, genet. Disposition, biochemische Auffälligkeiten. Tiefgreifende Scham in Kindheitserfahrung, durch Eltern lächerlich gemacht, Eltern bekunden selten Stolz und Liebe. Therapie: Betroffene profitieren von einer Therapie. Verhaltenstherapie, kognitive Therapie, Gruppentherapie sinnvoll, medikament. Interventionen möglich. Literatur: Glasmenagerie, Tennesee Williams Mindestens 4 Diagnostische Kriterien, nach DSM-IV, S. 751, müssen gegeben sein. Dependente Persönlichkeitsstörung, Kodierung nach DSM-IV 301.6 - nach ICD-10 F60.7 Zeigen unterwürfige und anklammernde Verhaltensweisen sowie Trennungsängste, verlassen sich völlig auf andere, fürchten, nicht selbst für sich sorgen zu können. Zeigen hohe Anpassungsleistung an Elternhaus, haben kein sicheres Selbst herausgebildet. Entwickeln vielmehr die Fähigkeit, die Erwartung der Eltern oder der anderen mit seismographischer Sicherheit zu erspüren. Keine autonome Gefühlswelt.Passen sich gewandt an Wünsche und Erwartungen anderer an. Leiden an pathologischem Ausmaß unter Unglück, Einsamkeit, Depression, Selbstkritik und niedrigem Selbstwertgefühl. Tragen hohes Risiko, eine Depression, Phobie oder andere Angststörung zu entwickeln. Anfällig für Suizidgedanken. DD: Angststörung / Depression Typische Gedankenmuster: Ich kann ohne die Unterstützung anderer nicht funktionieren. Ohne den Rat und die Rückversicherung durch andere kann ich nicht leben. In jeder Situation liege ich wahrscheinlich verkehrt. Ich darf andere nicht beleidigen, weil sie wütend werden und mich verlassen könnten. Wenn ich verlassen werde, bringe ich mich um. Ich muß Leute um mich haben. Wenn ich alleine bin, könnte ich mich verletzen. Mit anderen zu arbeiten ist viel besser als alleine zu arbeiten. Prävalenz: nicht bekannt, zählt zu den in psychiatrischen Kliniken am häufigsten diagnostizierten Persönlichkeitsstörungen Erklärung: Freudianer: ungelöster Konflikt in der oralen Phase. Andere: Überengagement der Eltern, autoritär oder liebevoll. 74 Therapie: Alle Therapierichtungen sind angezeigt. Selbstsicherheitstraining, Gruppentherapie. Ressourcen oder Kompetenzen herausarbeiten. In aller Regel übertragen die Patienten ihre Abhängigkeitswünsche sehr bald auf die Therapie oder den Therapeuten. Wegen dieser ambivalenten Eingangsbedingungen wird als Vorgehen empfohlen, den Patienten ausgesprochen personzentriert und vorsichtig eine Einsicht in seine Dependenz zu ermöglichen und dann langsam eine Veränderung der Dependenz in Richtung Autonomie zu streben mit eher langfristiger Therapieperspektive. Literatur: Alice Miller: Drama des begabten Kindes Mrs. Stone und ihr römischer Frühling, Tennessee Williams Film: Zelig, Woody Allen Mindestens 5 Diagnostische Kriterien nach DSM-IV, S. 755, müssen gegeben sein: Zwanghafte Persönlichkeitsstörung, Kodierung nach DSM-IV 301.4 - ICD-10 F60.5 Hauptmerkmal: kontrollierend, manipulativ. Betroffene sind übermäßig mit Ordnung, Perfektionismus, psychischer und interpersoneller Kontrolle beschäftigt. Verlieren sich in Details, verlieren das Ziel der Tätigkeit aus den Augen. Arbeit wird häufig mit Verzögerund beendet. Setzen hohe Maßstäbe, sind nie mit ihrer Leistung zufrieden. Weigern sich, Arbeiten zu delegieren oder mit Team zu arbeiten. Gelten als engstirnig. Beziehungen sind formell und oberflächlich. Geben kaum Geld aus, sind geizig, können sich von alten Gegenständen nicht trennen. DD: Depression Typische Gedankenmuster: Es gibt klare Regeln im Leben. Indem man sich auf die Details einer Situation konzentriert, kann man die Wahrscheinlichkeit, Fehler zu machen, reduzieren. Eine Person ist durch das, was sie tut, zu definieren. Je besser die Arbeit ist, die man tut, desto besser ist man als Person. Regeln müssen ohne Änderung eingehalten werden. Wirf nie etwas weg, denn es könnte irgendwann nützlich sein. Gefühle muß man kontrollieren. Prävalenz: 1,7%, ca. 3-10% der in psychiatrischen Kliniken gesehenen Patienten. Erklärung: Freudianer: regrediert auf anale Stufe, übermäßig strenge u. bestrafende Sauberkeitserziehung. Andere: Kind wird von Eltern mit aggressiven Impulsen überflutet. Therapie: Begeben sich meist wegen einer Achse-I-Störung in Therapie (Angst, Depression). Sprechen gut auf kognitive oder psychodynamische Therapie an. Weniger auf Medikamente oder Verhaltenstherapie, da bisher Training sozialer Kompetenzen keinen Erfolg zeigen. Klassische Psychoanalyse: geeignete Behandlunsform, langfristige Therapie. Klare Absprachen über die Regelmäßigkeit der Therapiesitzungen sowie über Gefühle und Gedanken, über die frei gesprochen werden soll. Mindestens 4 diagnostische Kriterien nach DSM-IV, S. 759, müssen gegeben sein. Literatur: Sherlock Holmes Film: Die Brücke am Kwai (Alec Guiness), Star Trek Mr. Spock DSM-IV, Anhang B Nicht im DSM-IV, aber in der amerikanischen Klassifikation seit DSM-I 1952 werden kodiert: 75 Passiv-aggressive/negativistische Persönlichkeitsstörung Hauptmerkmal: tiefgreifendes Muster negativistischer Einstellungen und passiven Widerstand gg. Forderungen nach angemessener Leistung im sozialen und beruflichen Bereich. Tritt im frühen Erwachsenenalter auf. DD: Major Depression, Dysthyme Störung Typische Gedankenmuster: Ich sollte nur tun müssen, was ich auch will. Leute sollten keine Forderungen an mich stellen. Andere unterschätzen meine Arbeit und meinen Wert. Leute in gehobener Stellung sind im allgemeinen unfair. Es ist nicht richtig, daß man so viel Arbeit von mir verlangt. Termine und anderer Druck sind unfair, man sollte sich dem widersetzen. Ärger kann man nicht direkt ausdrücken. Ärger ist gefährlich und sollte vermieden werden. Vermeide alles was nur möglich ist. Wenn man etwas auf morgen verschieben kann, dann sollte man dies auch verschieben. Therapie. In der Verhaltenstherapie, Pat. Gefühl vermitteln, daß sie in der Therapie grundsätzlich und aktiv entscheiden können. Wege sollten ausgelotet werden, die es von Anfang an unmöglich machen, passiv-aggressive Interaktionsroutine zu entfalten. Psychonanalyse: ähnl. Erklärung wie bei dependenten Psychoanalyt. Störung orale Phase. Therapie meistens nicht erfolgreich. Film: Die Katze, Simone Signoret, Jean Gabin Affektiv-depressive Persönlichkeitsstörung Hauptmerkmal: Depression, Traurigkeit. Patienten zeigen unterschwellige Eigenarten eines hyperthymen, depressiven oder zyklothomen Temperaments auf. DD: Major Depression Therapie: Depressionstherapie nach NIMH-Studie Diagnostikinstrumente: Der MMPI (Minnesota Multiphasic Personality Inventory), von McKinley & Hathaway, ist der weltweit am häufigsten eingesetzte Persönlichkeitsfragebogen. Er wurde entwickelt für psychiatrisch/klinisch auffällige Patienten und enthält folgende Unterskalen in der Auswertung: Hd = Hypochondrie, D = Depression, Hy = Hysterie, Pp = Psychopathie, Mf = Mänlich/weibliche Interessen, Pa = Paranoia, pt = Psychasthenie, Sc = Schizoidie, Ma = Manie, Si = Soziale Introversion. Diese Skalen deuten bei erhöhtem Wert auf zumindest Persönlichkeitsakzentuierungen im jeweiligen Bereich hin. Die Auswertung findet computerisiert statt. Die HARE-PCL-R (Hare-Psychopathy-Checklist), von Robert D. Hare, mißt die antisoziale Persönlichkeit. Anhand von 20 Items, die im semistrukturierten Interview mit dem Probanden erhoben werden. Jedes Item wird mit 0 (=nicht vorhanden), 1 (=möglich) oder 2 Punkten (=vorhanden) bewertet. Bei einem CUT-OFF von 25 Punkten diagnostiziert man eine antisoziale Persönlichkeitsstörung (in den USA bei 30). Das NI (Narzißmus-Inventar), von Deneke & Hilgenstock, mißt narzißtische Anteile der Persönlichkeit und deren Ausprägung, mittels eines Fragebogens. 76 Das DIB (Diagnostisches Interview für das Borderline-Sndrom), von Gunderson, und das BPI (Borderline-Persönlichkeits-Inventar) diagnostizieren die Borderline-Störung. Wittchen hat mit anderen das sog. SKID (Strukturiertes Klinisches Interview für DSM IV) entwickelt, das SKID II ist speziell für die Diagnose von Störungen der Achse II!!! Zusätzlich wurden noch sog. IDCL-P´ s (Internationale Diagnosen Checklisten für Persönlichkeitsstörungen nach ICD10 und DSM IV) entwickelt (Bronisch, Hiller, Mambour & Zaudig) anhand derer man ähnlich wie mit den "Diagnose-Bäumen" zur Diagnose gelangt. Literatur: Wittchen et al.: DSM IV. 1997. Comer: Klinische Psychologie. Spektrum der Wissenschaft. 1995. Fiedler: Persönlichkeitsstörungen, 2. Überarbeitete und erweiterte Auflage. Beltz, Psychologische Verlagsunion.Weinheim: 1994. Lelord/André: Der ganz normale Wahnsinn: Vom Umgang mit schwierigen Menschen. Kiepenheuer Verlag. Beck, Freeman: Kognitive Therapie der Persönlichkeitsstörungen. Weinheim:1993. Psychometrische Tests in der Klinischen Psychologie Jutta Hilleprandt, Sabina Mathes, Christiane Viereck 1. Befindlichkeitstests 1.1 BDI (Beck-Depressions-Inventar); Autor: Beck, A.T. Selbsteinschätzungsfragebogen zur Messung der Schwere der Depression entstand 1961 aufgrund klinischer Beobachtungen der Beschwerden und Klagen depressiver Patienten: Erfassung von vier Aspekten der Depression: Schuldgefühle, Selbstbestrafung, Somatische Störungen, Allgemeine Traurigkeit 1978 modifiziert, um ungünstige Abstufungen der Itemantworten zu eliminieren 21 Items (= depressive Symptomgruppen) mit folgenden Inhalten: (A) Traurige Stimmung; (B) Pessimissmus; (C) Versagen; (D) Unzufriedenheit; (E) Schuldgefühle; (F) Strafbedürfnis; (G) Selbsthaß; (H) Selbstanklagen; (I) Selbstmordimpulse; (J) Weinen; (K) Reizbarkeit; (L) Soz. Rückzug und Isolierung; (M) Entschlussunfähigkeit; (N) negatives Körperbild; (O) Arbeitsunfähigkeit; (P) Schlafstörungen; (Q) Ermüdbarkeit; (R) Appetitverlust; (S) Gewichtsverlust; (T) Hypochondrie; (U) Libidoverlust Durchführung: Einzeln oder in Gruppen im Alter zwischen 18 und 80 Jahren in klinischen und nicht-klinischen Stichproben (Screeninginstrument) Auswertung auf 4-stufiger Skala (0-3) hinsichtlich des Auftretens und der Intensität während der letzten Woche: Beispiel: (G) Selbsthaß 0 Ich bin nicht von mir enttäuscht 1 Ich bin von mir enttäuscht 2 Ich finde mich fürchterlich 3 Ich hasse mich je höher der Punktwert, desto höher die Ausprägung der Depression Summenwerte zwischen 0 und 63 möglich (Addition der angkreuzten Aussagen): < 11 unauffällig, normal; 11-17 milde bis mäßige Ausprägung depressiver Symptome; >18 klinisch relevante Ausprägung (Mittelwert: 6,45; Standardabw. 5,2) Interessante Tendenzen: - Bei jungen Patienten geschlechtsunabhängig ausgeprägter als bei älteren Patienten: affektive und motivationale Symptome (Versagensgefühle, Strafbedürfnis, Selbstanklage, Suizidimpulse) - Mit dem Alter nehmen dann somatische Symptome wie Schlafstörungen, Appetitverlust und Libidoverlust zu. - Traurigkeit u. Soziale Isolation über alle Diagnose-, Alters- u. Geschlechtsgruppen hinweg relativ invariant. - Diskriminanzanalyse: Frauen und Männer unterscheiden sich im BDI-Gesamtwert nicht; aber Unterschiede auf einzelnen BDI-Items: Depressive Frauen weinen mehr bzw. sind weinunfähig, haben ein negativeres Körperbild u. vermehrt Appetitverlust. Depressive Männer leiden eher unter Suizidimpulsen, sozialem Rückzug und Isolierung. Fazit: Das BDI erweist sich insgesamt als zuverlässiges, konsistentes, valides, sensibles u. damit gut brauchbares Instrument zur Messung der Schwere depressiver Symptomatik u. deren Veränderung durch Behandlungsmaßnahmen. 1.2 SCL-90-R (Symptom Checklist 90 Items-Revised); Autor: Derogatis, L.R. 77 Selbsteinschätzungsfragebogen zur Beurteilung verschiedener belastender Symptome. Die Items sind auf einfachstem sprachlichen Niveau formuliert und vermeiden psychopathologische Fachbegriffe. Falls in Form von Fremdbeurteilung durchgeführt: streng darauf achten, dass nur äußerlich beobachtbare Verhaltensweisen und vom Patienten explizit ausgesprochene Klagen der Bewertung zugrunde gelegt werden! 90 Items die auf 9 Symptomfaktoren laden: (1) Somatisierung (12 Items) (2) Zwanghaftigkeit (10 I.) (3) Unsicherheit im Sozialkontakt (9 I.) (4) Depressivität (13 Items) (5) Ängstlichkeit (10 Items) (6) Aggressivität u. Feindseligkeit (6 I.) (7) Phobische Angst (7 I.) (8) Paranoides Denken (6 I.) (9) Psychotizismus (10 Items) Beispiel-Items: zu 1: Ohnmachts- oder Schwindelgefühle; zu 2: Beunruhigung wegen Achtlosigkeit und Nachlässigkeit; zu 3: Verletzlichkeit in Gefühlsdingen; zu 4: dem Gefühl, wertlos zu sein; zu 5: Schreck- oder Panikanfällen; zu 6: dem Drang, Dinge zu zuerbrechen oder zu zerschmettern; zu 7: Abneigung gegen Menschenmengen, z. B. beim Einkaufen oder im Kino; zu 8: dem Gefühl, dass die Leute Sie ausnutzen, wenn Sie es zulassen würden; zu 9: dem Auftauchen von Gedanken, die nicht ihre eigenen sind. Durchführung: Speziell konstruiert zur Erfassung von Effekten medikamentöser Therapie. In erster Linie für ambulante Patienten gedacht jedoch auch gut geeignet zur Verlaufsbeschreibung (Messwiederholung) bei stationären Patienten. Patient füllt allein aus. Zeitbedarf ca. 15 Minuten; jedoch keine zeitl. Beschränkung. Den Bezugsrahmen der Beurteilung bilden die letzten 7 Tage. Auswertung: Ergibt eine sachdienliche Kurzinformation über den unmittelbaren Symptomzustand des Patienten (Skalenpunkte: 0 = überhaupt nicht / 1 = ein wenig / 2 = ziemlich / 3 = stark / 4 = sehr stark). Zum einen Durchschnittswerte zu jedem der 9 Symptomkomplexe, zum anderen individuelles Symptomprofil mit zusätzlichen Erläuterungen sowie 3 verschiedene Gesamtindexwerte: General Symptomatic Index: GSI = Summe der Antworten auf alle Items / 90 Positiv Symptom Total: PST = Anzahl der Items auf die eine "postive" (1-4) Antwort gegeben wurde Positiv Symptom Distress Index: PSDI = Summe Antworten auf alle Items PST Interessante Tendenz: - 8 der 9 Faktoren sind weitestgehend geschlechtsunabhängig (Ausnahme: Paranoides Denken) Fazit: Die SCL-90-R ist das wichtigste Verfahren der "Psychopathology Rating Scale Series" zu der noch drei weitere auf die 9 Faktoren der SCL-90-R abgestimmte Verfahren gehören: eine 53- Items umfassende Kurzform (Brief Symptom Inventory BSI), eine Schätzform für den Psychiater mit 8 zusätzlichen Dimensionen, die der Selbstbeurteilung nicht zugänglich sind (Hopkins Psychiatric Rating Scale HPRS) und eine visuelle Analogform für Beurteiler ohne psychiatrische Ausbildung. 2. Angsttests 2.1 STAI (State-Trait- Anxiety Inventory); Autoren: Spielberger, Gorsuch und Lushene, 1970 Anwendung: Der Test dient zur Beschreibung der Beziehung zwischen Angst als Zustand und Angst als Eigenschaft unter Berücksichtigung von Situationseinflüssen und verschiedenen intrapsychischen Prozessen. Theoretischer Kontext: Triebtheorie von Hull als theoretischer Kontext für das State-Trait- Angstinventar. Das Hull'sche Triebkonzept wurde zuerst von Taylor (1953) mit Hilfe der "Taylor Manifest Anxiety Scale" (TMAS) operationalisiert: Fragebogen in Form einer TraitAngstskala, der chronifizierte Unterschiede im Antriebsniveau bzw. das Ausmaß der emotionalen Reagibilität erfassen soll. Das zentrale Problem der TMAS: Da die Skala den aktuelle Angstzustand nicht mißt, konnte nur mit Hilfe der Überprüfung von Lernleistungen gemessen werden, ob Unter- schiede im Antriebsniveau situationsabhängig oder situationsunabhängig sind. Das STAI von Spielberger et al. (1970) als Spezifizierung und Komplementierung der Triebtheorie der Angst: State-Angstskala als adäquate Operationalisierung des Hull'schen Triebkonzeptes, Einsatz von Trait-Angstskalen nur zur Vorhersage des Ausmaßes der Zustandsangst in den jeweiligen Situationen. Unterschiedlich hoher Anstieg der Zustandsangst bei Hoch- bzw. Niedrigängstlichen nur in Stress-Situationen, die ich-involvierend bzw. selbstwertbedrohend sind. Leistungsunterschiede zwischen Hoch- und Niedrigängstlichen bestehen nur dann, wenn Unterschiede in der Zustandsangst vorliegen. Konzeption: Das STAI besteht aus zwei voneinander unabhängigen Selbstbeschreibungsskalen, die je nach Fragestellung zusammen oder jede für sich eingesetzt werden können. State-Skala: Messung der Zustandsangst: Zustandsangst = emotionaler Zustand, der durch Anspannung, Besorgtheit, Nervosität, innere Unruhe, Furcht vor zukünftigen Ereignissen, erhöhte Aktivität des autonomen Nervensystems etc. gekennzeichnet ist und in der Intensität über Zeit und Situationen variiert. Die State- Skala besteht aus 20 Feststellungen (Items), mit denen der Proband beschreiben soll, wie er sich jetzt in diesem Moment fühlt: 10 Feststellungen sind in Richtung "Angst" formuliert (z.B.: Ich fühle mich angespannt) und 10 Feststellungen sind in Richtung "Angstfreiheit" formuliert (z.B.: Ich bin froh). Untergliederung der Items in Richtung Angst bzw. Angstfreiheit, um den möglichen Einfluß der Zustimmungstendenz ausschließen zu können. Die Beantwortung erfolgt auf einer vierstufigen Skala mit Intensitätsangaben. Die Standardinstruktion kann so verändert werden, daß die Erfassung der Zustandsangst für beliebige Situationen retrooder prospektiv möglich wird, z.B. in experimentellen Untersuchungen, in Stress-Situationen des Schulbereichs, vor medizinischen Eingriffen. Trait- Skala: Messung der Eigenschaftsangst: Eigenschaftsangst = bezieht sich auf relativ stabile interindividuelle Unterschiede in der Neigung, Situationen als bedrohlich zu bewerten und hierauf mit einem Anstieg der Zustandsangst zu reagieren; Bedrohlichkeitsbewertung wird durch situationsspezifische Fähigkeiten, angeeignete Bewältigungstechniken sowie durch bisherige Erfahrungen beeinflußt. Die TraitSkala besteht aus 20 Items, mit denen der Proband beschreiben soll, wie er sich im allgemeinen fühlt: 13 Items sind in Richtung "Angst" formuliert (z.B. Mir ist zum Weinen zu Mute ) und 7 Items sind in Richtung "Angstfreiheit" formuliert (z.B. Ich bin glücklich). Die Beantwortung erfolgt auf einer vierstufigen Skala mit Häufigkeitsangaben. Die Skala wird zur Feststellung interindividueller Unterschiede 78 im Persönlichkeitsmerkmal "Ängstlichkeit" angewandt und im klinischen Kontext im Bereich der Angststörungen und der affektiven Störungen eingesetzt. Handhabung: Das STAI kann aufgrund der geringen sprachlichen Anforderungen und der relativ kurzen Bearbeitungszeit (3-6 Min. pro Skala) von einem großem Personenkreis angewandt werden. Er kann einzeln oder in Gruppen bearbeitet werden. Die Standardinstruktionen befinden sich auf den jeweiligen Testformularen: Die Standardinstruktion der State-Skala kann je nach Fragestellung verändert werden. Es gibt keine Zeitbegrenzung bei der Bearbeitung. Der Begriff "Angst" sollte vom Testleiter vermieden werden. Wie bei den Probanden der Eichstichprobe sollte immer erst die State-Skala vorgelegt werden, da eine vorherige Bearbeitung der Trait-Skala die Zustandsangstwerte beeinflussen könnte. Auswertung: Zur Ermittlung des Testpunktwertes eines Probanden werden für beide Skalen getrennt die jeweiligen Summenwerte berechnet: minimal 20 Punkte = Nichtvorhandensein des Merkmals bzw. des Gefühls maximal 80 Punkte = Maximale Intensität des Gefühls bzw. des Merkmals Items, die in Richtung Angstfreiheit formuliert sind, müssen umgerechnet werden: Zu summierender Wert = (5 - angekreuzter Wert) Eine Auswertung der Skala sollte nicht erfolgen, wenn mehr als zwei Items unbearbeitet bleiben. Bei bis zu zwei unbeantworteten Items ist Schätzung des Summenwertes möglich. (Mittelwert der Items berechnen, Wert mit 20 multiplizieren, das Ergebnis aufrunden) Interessante Tendenzen: (Ergebnisse der Eichstichprobe N = 2385) - Bei State- und Trait-Werten zeigten sich Interaktionseffekte der Faktoren "Geschlecht" und "Alter". - Bei beiden Skalenwerten zeigten Frauen ab 60 Jahren auffallend höhere Werte. - Konsistenzkoeffizient a für beide Skalen hoch (0.9) - Korrigierte Trennschärfen der Items zufriedenstellend (0.4 - 0.7) - Berechnung der Vergleichsnormen für die Traitskala erfolgte getrennt für Männer und Frauen für jeweils drei Altersbereiche (15-29 Jahre, 30-59 Jahre, 60 Jahre und älter). - Aufgrund der Abweichungen von der Normalverteilung (signifikante Schiefe und Ekzess-Werte) erfolgte die Berechnung der T-Werte als Feinnormen und der Stanine-Werte als Grobnormen aus den korrigierten Prozenträngen. - Normentabelle für State-Skala liegt nicht vor, da die Testpunktwerte der Skala je nach Angstzustand variieren. 2.2. SAS (Self-Rating Anxiety Scale); Autor: Zung Anwendung: Selbstbeurteilungsskala zur Erfassung von Angst als klinischer Erkrankungsform; wird bei Erwachsenen mit Angstsymptomen angewandt. Konzeption: Die SAS enthält 20 Kriterien für Angst, von denen sich 5 Items auf affektive Symptome (z.B. Ich habe das Gefühl, zusammenzubrechen) und 15 Items auf somatische Symptome beziehen (z.B: Ich leide unter Magenschmerzen und Verdauungsstörungen), 5 Items sind gesundheitsorientiert . Die Beantwortung der Items erfolgt auf einer vierstufigen Skala mit Häufigkeitsangaben, die je nach Formulierung der Items (negativ oder positiv) beantwortet werden sollen. Die Skala eignet sich für Verlaufsbeschreibungen: Sie wird einmal vor und einmal nach der Behandlung angewandt; zusätzliche Meßwiederholungen in wöchentlichen Abständen sind möglich. Handhabung: Die Instruktion befindet sich auf dem Testformular, der Proband muß angeben, wie er sich in der Woche vor Durchführung des Testes gefühlt hat. Die Feststellungen sind sprachlich relativ einfach formuliert, so daß gewährleistet sein sollte, daß der Proband alle Items korrekt beantworten kann. Auswertung: Die Summe der Urteilsausprägungen ergibt den Gesamtrohwert (=Score 1) Berechnung des SAS - Index = Summe der Urteilsausprägungen x 100 / 80 Indexwerte ab 45 gelten als Morbiditätshinweis! 2.3 HAMA (Hamilton Anxiety Scale); Autor: M. Hamilton Anwendung: Fremdbeurteilungsskala zur Bewertung eines Angstzustandes; geeignet für Patienten, bei denen eine Angststörung bereits diagnostiziert ist. Der HAMA ist nicht geeignet zur Beurteilung einer ängstlichen Persönlichkeit (d.h. Trait-Angst kann nicht erfaßt werden!) sowie nicht zur Beurteilung der Angst bei Patienten mit agitierter Depression, bei Zwangsstörungen, organischer Demenz oder Schizophrenie. Konzeption: Zur Erstellung der Skala wurden eine Reihe von Einzelsymptomen gesammelt und zu Symptomkomplexen gruppiert, wobei jeder Komplex durch einen umfassenden Begriff und eine Reihe von dazugehöriger Symptome bezeichnet ist. Die Skala besteht aus insgesamt 14 Symptomkomplexen bzw. Items, wovon sich 13 Items auf Angstzustände und 1 Item auf das beobachtbare Verhalten des Patienten während der Befragung bezieht. Die 14 Symptomkomplexe beziehen sich auf psychische (z.B. Furcht: vor Fremden, vor Tieren...) und somatische Auswirkungen (z.B. Kardiovaskuläre Symptome) der Angst. Die 14 Symptomkomplexe werden auf einer 5-stufigen Intensitätsskala eingeschätzt. Die Skala eignet sich für Verlaufsbeschreibungen: Sie sollte einmal bei der Vorbehandlung und mindestens einmal bei einer Nachbehandlung angewandt werden; zusätzliche Meßwiederholungen sind möglich. Handhabung: Beurteilen dürfen nur Psychiater und klinische Psychologen. In der Regel sollten immer zwei Fachleute unabhängig voneinander den Zustand des Patienten bewerten, wobei aber nur einer von beiden die Befragung durchführt. Die Durchführung des Interviews ist zeitlich nicht limitiert. Auswertung: Der Gesamtrohwert (=Score 3) des Probanden kann als Gradmesser der Angst des Patienten interpretiert werden. Berechnung der Faktorenwerte = Summe der gewichteten Items/ Anzahl der zugeordneten Items - Score 1: Faktorenwert für die somatische Angst (= Item 7,8,9,10,11,12,13) - Score 2: Faktorenwert für die psychische Angst (= Item 1,2,3,4,5,6 und 14) 79 2.4. ASI (Anxiety Status Inventory); Autor: Zung Anwendung: Fremdbeurteilungsskala zur Erfassung von Angst als gemeinsames Symptom verschiedener psychischer Erkrankungen. Sie ist geeignet für Patienten mit psychosomatischen Störungen, Angst- und Zwangsstörungen. Konzeption: Die Skala besteht aus 20 Items, wovon sich die Items 1,5 und 20 auf affektive Angstsymptome und die Items 6-19 auf somatische Angstsymptome beziehen. Der Beurteiler ordnet die Antworten einer vierstufigen Intensitätsskala zu. Handhabung: Die Fragen können vom Beurteiler variiert werden, es können Einzelheiten nachgefragt werden. Die Skala sollte erst verwendet werden, wenn über den Patienten über eine Woche hinweg Informationen gesammelt worden sind; sie ist geeignet für Verlaufsbeschreibungen und sollte einmal vor der Behandlung und mindestens ein weiteres Mal im Verlauf der Behandlung angewandt werden. Der Abstand zwischen zwei Messungen (Interviews) soll ca. 1 Woche betragen. Die ASI- Skala wurde zur Ergänzung der Selbstbeurteilungsskala SAS entwickelt, um pathologische Angstzustände klinisch einschätzen zu können. Auswertung: Die Summe der Items ergibt den Gesamtrohwert (=Score 1) Berrechnung des ASI- Index (= Score 2): Summe der Itemwerte x 100 / 80 3. Persönlichkeitstests Der Klient füllt den Fragebogen selbständig aus, gibt also eine Art Selbstauskunft ab. Fragebogentests sind weitgehend von der Person des Untersuchers oder des Auswerters unabhängig und ermöglichen so einen direkten Zugang zu den Merkmalen der Persönlichkeit. Sie weisen eine hohe Okonomie beim Erhalt vieler Informationen in relativ kurzer Zeit auf. Ein Problem kann bes. im klinischen Bereich auftreten: Da Persönlichkeitstests ein typisches Verhalten fordern, ist eine Simulation auffälliger Verhaltensweisen bei Gesunden als auch eine Dissimulation bei Kranken möglich. Für die Anwendung in der klinischen Psychologie sind die Persön-lichkeitstests, die explizit die Beschreibung der Normalpersönlichkeit anstreben, wie z.B. der 16 PF Persönlichkeitstest von Cattell, Schneewind et al. 1994, meist wenig ergiebig. Es stehen Tests, die zur Erfassung von Normabweichungen dienen im Vordergrund. 3.1 MMPI-2 (Minnesota Multiphasic Personality Inventory); Autor: Butcher et al. 1989 Die derzeit gültige Fassung enthält 567 Testitems, die sich sowohl auf überdauernde Persönlichkeitsmerkmale als auch auf Symptome psychischer Störungen beziehen. Die Items werden in Form von Fragestellungen präsentiert, die von den Probanden mit richtig bzw. falsch beantwortet werden sollen. Testaufbau: Es werden 10 klinische Basisskalen unterschieden: 1. Skala Hypochondrie (Hd) 2. Skala Depression (D) 3. Skala Hysterie (Hy) 4. Skala Psychopathie (Devianz, nonkonformistisches Vh.), (Pp) 5. Skala Männliche versus weibliche Interessenrichtung (Mf) 6. Skala Paranoia (Pa) 7. Skala Psychastenie (Angst- und Zwangssymptome), (Pt) 8. Skala Schizoidie (Sc) 9. Skala Manie (Depression in manischer Phase), (Ma) 10. Skala Soziale Introversion (Si) Daneben gibt es 4 sogenannte Validitätsskalen, um Antworttendenzen zu erfassen und eine Korrektur der individuellen Werte in den klinischen Skalen zu ermöglichen. 1. "Cannot say score" - Die Zahl der unbeantworteten Items 2. Lügenskala (L) - Scheinheiligkeit, Abstreiten von kleinen Fehlern, Antworten im Rahmen der sozialen Erwünschtheit. 3. F-Skala (F) - Irreguläre Bearbeitung des Tests; offenes Eingestehen besonders vieler seltener Symptome. Dadurch erhält man ein Profil mit zweifelhafter Validität, eventuell türkt die Versuchsperson. 4. Korrekturskala (K) - Zeigt eine starke Abwehrhaltung oder eine extreme Offenheit auf. Auswertung: Von seiner Struktur her ist der MMPI ein objektiver Persönlichkeitsfragebogen, der mit Hilfe von Schablonen ausgewertet und zu 13 Skalen zusammengefaßt wird, um dann mit den Daten einer Standardisierungsstichprobe (= Bezugsstichprobe) verglichen zu werden, wobei die Skalen Nummer 1 bis 3 (sog. Validitätsskalen) eine Aussage darüber zulassen, ob das vorliegende Profil als gültig betrachtet werden kann. Dadurch erhält man für jeden erfaßten Persönlichkeitsbereich einen Skalenwert, der die relative Ausprägung des untersuchten Merkmals bei dem jeweiligen Patienten im Vergleich zur Bezugsstichprobe angibt. Zur Bearbeitung des MMPI-2 wird Hauptschulabschlußniveau für das Leseverständnis gefordert. Da bei Jugendlichen oft eine große Diskrepanz zwischen Fremd- und Selbstwahrnehmung vorliegt sind die MMPI Profile für die Altersgruppe der 13 - 18 jährigen mit Vorsicht zu interpretieren. 80 Fazit: Der MMPI deckt den Merkmalsbereich psychischer Störungen am vollständigsten ab. Es sollen Hauptmuster von Persönlichkeits- und Emotionsstörungen beurteilt werden. 3.2 FPI-R (Freiburger Persönlichkeitsinventar); Autoren: Fahrenberg, Hampel & Selg (1994) Der FPI-R besteht aus 137 Testitems und einem Item, das auf die Anleitung verweist und deshalb nicht mit ausgewertet wird. Zur Erfassung von relativ unabhängigen Persönlichkeitsdimensionen stehen 10 Standardskalen und 2 Zusatzskalen zur Verfügung. Testaufbau: 1. Lebenszufriedenheit 2. Soziale Orientierung 3. Leistungsorientierung 4. Gehemmtheit 5. Erregbarkeit 6. Aggressivität 7. Beanspruchung 8. Körperliche Beschwerden 9. Gesundheitssorgen 10. Offenheit E. Extraversion N. Emotionalität Die Skalen 1 mit 7 und 10 beziehen sich auf Charaktereigenschaften, die Skalen 8 und 9 auf psychosomatische Konzepte. E. und N. bezeichnen die Zusatzskalen. Auswertung: Die individuellen Itemantworten werden hinsichtlich der Standardskalen und Zusatzskalen anhand eines Itemschlüssels ausgezählt. Die Standardskalen beinhalten je 12 Items, die Zusatzskalen jeweils 14 Items. 18 der 137 Items sind negativ gepolt ("stimmt nicht"). Die Zusatzskala "Extraversion" enthält 6 Items, die schon für die Standardskala ausgewertet werden und 8 zusätzliche Items. Bei der Zusatzskala "Emotionalität" liegt das Verhältnis bei 5:9. Die Skalen werden mit Hilfe von Schablonen ausgezählt und die Rohwerte ermittelt. Diese werden in normalisierte, flächentransformierte Stanine-Werte umgewandelt (Mittelwert: 5; Standardabweichung: 2) Fazit: Der FPI-R ist sowohl in Einzel- als auch in Gruppenverfahren durchführbar. Er bildet den Bereich psychischer Störungen nicht komplett ab, reicht aber über den relativ engen Gültigkeitsbereich normaler Persönlichkeitsinventare hinaus. Bei der Skalenauswahl wurde auf stärker psychopathologisch orientierte Skalen sowie auf sehr spezielle Persönlichkeitsmerkmale (z.B. Kontrollüberzeugungen) verzichtet, da hierfür bereits andere Fragebogenskalen vorlagen. 3.3 16-PF-R (16 Persönlichkeits-Faktoren Test); Autoren: Schneewind, Schröder, Cattel (1994) Die erste deutsche Ausgabe des Tests lag 1983 vor. Einsatzgebiete: Forschungszwecke, Arbeits- und Organisationspsych., Berufspsych., Pädagogische Psych., Klinische Psych. Testaufbau: Der 16-PF-R besteht aus 184 Items mit jeweils 3 Antwortalternativen und 9-13 Items pro Skala. Die Items werden 16 Primärdimensionen, einer Skala zur Erfassung der Tendenz zur sozialen Erwünschtheit und 5 Globaldimensionen der Persönlichkeit/Sekundärfaktoren zugeordnet. Die 5 Globaldimensionen der Persönlichkeit lauten: Extraversion, Unabhängigkeit, Selbstkontrolle, Angstlichkeit und Unnachgibigkeit Die 16 Primärfaktoren lauten: A Sachorientierung vs. Kontaktorientierung B Konkretes Denken vs. Abstraktes Denken C Emotion. Störbarkeit vs. Emotionale Widerstandsfähigkeit E Soziale Anpassung vs. Selbstbehauptung F Besonnenheit vs. Begeisterungsfähigkeit G Flexibilität vs. Pflichtbewußtsein H Zurückhaltung vs. Selbstsicherheit I Robustheit vs. Sensibilität L Vertrauensbereitsch vs. Skeptische Haltung M Pragmatismus vs. Unkonventionalität N Unbefangenheit vs. Uberlegtheit O Selbstvertrauen vs. Besorgtheit Q1 Sicherheitsinteresse vs. Veränderungsbereitschaft Q2 Gruppenverbundenh vs. Eigenständigkeit Q3 Spontanität vs. Selbstkontrolle Q4 Innere Ruhe vs. Innere Gespanntheit Die Sekundärfaktoren lauten: 81 QI Geringe vs. Hohe Normgebundenheit QII Geringe vs. Hohe Belastbarkeit QIII Geringe vs. Hohe Unabhängigkeit QIV Geringe vs. Hohe Entschlußbereitschaft QV Geringe vs. Hohe Kontaktbereitschaft Auswertung: Mittels einer Schablone werden die individuellen Rohwerte für jede Primärskala ermittelt. Anhand der Normtabelle werden diese dann in Sten-Werte umgewandelt und im Testprofilbogen eingetragen, wo sie dann zu einem Persönlichkeitsprofil verbunden werden können. Dadurch ist erkennbar, auf welchen Persönlichkeitsdimensionen der Pbn im Durchschnittsbereich liegt und auf welchen Merkmalen er/sie extreme Ausprägungen aufweist. Fazit: Es handelt sich bei dem 16-PF-R um einen objektiven Test zur mehrdimensionalen Persönlichkeitsdiagnostik im Erwachsenenalter. 3.4 DPQ (Differential Personality Questionaire); Autor: Tellegen Selbsteinschätzungsfragebogen. Zugrunde liegende Konstrukte: Absorption und Stress. Absorption = Fähigkeit zum völligen Involviertsein in eine reale und imaginative Aktivität. Sie beschreibt einen Zustand der "totalen Aufmerksamkeit", in dem der gesamte Organismus auf das Erkunden und Wahrnehmen des "Objekts der Aufmerksamkeit" ausgerichtet ist. Das "Objekt der Aufmerksamkeit" kann dabei z. B. eine Landschaft, ein Mensch, ein Ton, ein erinnertes Ereignis oder ein Aspekt des eigenen Selbst sein (Tellegen & Atkinson, 1974). Absorption ist das Konstrukt, das sich bei der Forschung zur Hypnotisierbarkeit (Suggestibilität) als wahrscheinlich wichtigste Komponente hypnotischer Empfänglichkeit herauskristallisiert hat. Absorption wird als "Cognitive-Motivational-Trait" betrachtet (Tellegen & Atkinson, 1974): Der kognitive Aspekt beschreibt die Fähigkeit, viele verschiedene Darstellungsweisen eines Objektes synergetisch zu verbinden (oft im Zusammenhang mit künstlerischer Kreativität zu finden). Die motivationale, affektive Komponente beschreibt die Offenheit für Erfahrungen, den Wunsch und die Bereitschaft, mit Objekten in intensive Beziehung zu treten. Hoch-absorptive Personen scheinen eine Affinität für mystische Erfahrungen zu haben. 60 Items (34 Items laden auf Absorption 26 auf Stress), die mit Ja oder Nein zu beantworten sind. Beispiel-Items: 1. Absorption: "Manchmal fühle oder erlebe ich etwas so, wie ich es als Kind auch getan habe"; "Manchmal erinnern mich bestimmte Stoffe (z. B. Wolle, Sand, Holz) an Farben oder an eine Musik"; "Die Flammen und das Knacken eines Holzfeuers regen meine Phantasie an" 2. Stressanfälligkeit: "Ich leide an Nervosität"; "Durch Unerwartetes bin ich leicht zu erschrecken"; "Meist kann ich Ängste und Sorgen aus meinem Bewusstsein drängen, wenn ich will"; "Oft fühle ich mich ohne Grund matt, müde und lustlos" Durchführung: Die Probanden füllen den Bogen selbst aus, es gibt keine zeitliche Begrenzung Auswertung: Die Ja-Antworten werden pro Skala aufaddiert und zu Stanine-Werten (1-9) umgerechnet. Die Normstichprobe der deutschen Übersetzung besteht aus 457 Probanden aus Kursen für Autogenes Training. Die Auswertung erfolgt getrennt nach Geschlechtern und getrennt nach beiden Skalen. Verwendete Literatur: 1) Beck, Steer (1984): Beck-Depressions-Inventar (BDI); Testhandbuch; 1. Aufl. - Bern, Göttingen, Toronto: Huber, 1994 2) Brickenkamp (1997): Handbuch psychologischer und pädagogischer Tests, Göttingen: Hogrefe 3) Laux, Glanzmann, Schaffner, Spielberger: Das State-Trait-Angstinventar STAI, theoretische Grundlagen und Handanweisung, Beltz Test 4) Lienert, Raatz: Testaufbau und Testanalyse; 5. Aufl., Beltz Psychologie Verlagsunion 5) Tellegen, Atkinson (1974): Openness to absorbing and self-altering experiences (absorption), a trait related to hypnotic susceptibility. Journal of Abnormal Psychology, 83(3), 268-277 82