1 Anorganische Chemie für Biochemiker Skriptum zur Vorlesung im 4. Semester für den Studiengang Biochemie/Molekularbiologie an der Universität Hamburg Dieter Rehder Sommersemester 2006 1. Einleitende Bemerkungen Neben „organischen Elementen“, d.h. solchen, die am Aufbau der Biomasse beteiligt sind – C, H, O, N, S – spielen viele „anorganische Elemente“ eine Rolle im physiologischen Geschehen, darunter insbesondere viele Metallionen. Vergl. hierzu das Periodensystem der biologisch und medizinisch wichtigen Elemente in Abb. 1. Abbildung 1. Periodensystem biologisch essentieller und therapeutisch/diagnostisch wichtiger Elemente. Farbcode: die Biomasse aufbauende Elemente, weitere essentielle Elemente, essentiell in einigen Organismengruppen, therapeutisch/diagnostisch verwendete Elemente. Bedeutung einiger Bioelemente (Auswahl) Na+ und K+: wichtigste „freie“ Ionen; Regulation des osmotischen Druckes, der Membranpotenziale, der Enzymaktivität, ... Mg2+: Chlorophyll; anaerober Energie-„Metabolismus“ (ATP ATP); Knochenaufbau Ca2+: Muskelkontraktion; als Hydroxylapatit (Calciumphosphat Ca5(PO4)3(OH)) wichtiger Bestandteil der Knochen; als Aragonit und Calcit (beides CaCO3) Gerüstsubstanz in Muscheln, Schnecken, Korallen. VIV/V, MoIV/VI, WIV/VI, MnII/III/IV, FeII/III, NiI/II/III, CuI/II: aktive Zentren in ElektronentransferEnzymen, Oxigenasen, Dismutasen, ... Fe und Cu: Sauerstofftransport FeIII: Eisenspeicherproteine (Ferritine) 2 FeII + FeIII: als Magnetit (Fe3O4) in Orientierungsorganen von Bakterien, Bienen, Tauben Co: Syntheasen und Isomerasen (Cobalamine, z.B. Vitamin-B12); Methylierungen Zn2+: im aktiven Zentrum von Hydrolasen, Carboanhydrase, Alkoholdehydrogenase; Zinkfinger (genetische Transskription), Stabilisierung der Tertiär- und Quartärstrukturen von Proteinen; Reparaturenzyme SiIV: Knochenaufbau; in Form von SiO2/Silicagelen Stützsubstanz (Pflanzen) und Gerüstsubstanz (Kieselalgen) PV: als Bestandteil des Hydroxylapatits im Knochen; als Phosphat Aktivierung diverser organischer Substrate (s. z.B. ATP, NADPH, Glucosephosphat ...); als Phosphatester Bestandteil der Zellmembran. Se-II: als Selenocystein in einigen Enzymen (z.B. Glutathionperoxidase) F-: als Fluorapatit (Ca5(PO4)3F) im Knochen, Zahnbein), Zahnschmelz Cl-: neben Hydrogencarbonat wichtigstes freies Anion. I: Bestandteil mehrerer Schilddrüsenhormone. Medizinisch relevante Elemente (Auswahl): Li+: Behandlung manisch Depressiver (bipolar disorder). Gd3+: Kontrastmitteln bei der Diagnose durch kernmagnetische Resonanz. BaSO4: Kontrastmittel bei der Röntgendiagnose im Darmtrakt. Tc (metastabiler -Strahler): in der Radiodiagnostik 99m PtII: z.B. als Cisplatin (cis-[Pt(NH3)2Cl2]) in der Chemotherapie von Hoden- und Ovariarkrebs. AuI: in der Therapie rheumatischer Arthritis. SbIII: Behandlung von entzündlichen Hautunreinheiten. BiIII: Behandlung von Magengeschwüren. Ganz generell trägt die anorganischen Chemie zu Fragestellungen aus dem Bereich des Lebens über ihr Teilgebiet „Bioanorganische Chemie“ bei. Im Rahmen der bioanorganischen Chemie wird, oft in enger Kooperation mit Biochemikern und Medizinern, der Frage nachgegangen, welche chemischen Eigenschaften z.B. eines bestimmten Metallions oder eines anorganischen Moleküls (wie CO, NO, O3) eine spezifische Struktur-FunktionsWechselbeziehung generieren. Warum z.B katysiert Zink Hydrolyse-Reaktionen, während Eisen vornehmlich Bestandteil von Redox-Enzymen ist? Warum eignet sich Platin in der Krebstherapie, nicht aber Silber? Nicht selten steht der Wunsch im Vordergrund, natürliche 3 Abläufe, an denen Metallionen beteiligt sind, „im Reagenzglas“ nachzuvollziehen – und letztlich industriell zu verwerten: Wie bringen es Mikroorganismen unter Verwendung von Eisen und Molybdän (oder Vanadium) fertig, unter Normaldruck und Normaltemperatur aus Luftstickstoff Ammoniumionen zu erzeugen (im Haber-Bosch Prozess werden hierzu Drucke um 200 bar und Temperaturen um 500 °C benötigt)? 2. Eisen Eisen spielt eine zentrale Rolle im biologischen Geschehen. Hierfür sind einerseits Abundanz und das ubiquitäres Vorkommen von Eisens in der Biosphäre verantwortlich, also dessen prinzipielle Verfügbarkeit, andererseits eine Reihe besonderer Eigenschaften: (1) Der leicht erfolgende Übergang zwischen den Oxidationszuständen +II und +III; (2) die Befähigung der Hexaaquaeisenionen, Protonen zu übertragen, also als Kationensäure zu fungieren; (3) die Tendenz zur Oligo- und Polymerisation der Aquahydroxo-Komplexe; (4) der Wechsel zwische high-spin- und low-spin-Eisen in Ligandenfeldern mittlerer Stärke (z.B. hämartige Eisenzentren); (5) Flexibilität gegenüber der Ligandenart (weiche Thioliganden werden ebenso komplexiert wie harte Sauerstoff- und Stickstoff-funktionelle Liganden), der Koordinationszahl (3, 4, 5, 6) und Koordinationsgeometrie. Mit durchschnittlich 5 g (bei ca. 70 kg Körpergewicht) ist Eisen das häufigste Übergangsmetall im Organismus. 70% hiervon sind in den Sauerstofftransport/speicherProteinen Hämoglobin und Myoglobin festgelegt, annähernd 30 % in den Eisenspeicherproteinen (Ferritine), und etwa 1 % im Eisentransportprotein Transferrin und in zahlreichen eisenhaltigen Enzymen. Letztere kann man, wie in Abb. 2 gezeigt, auf drei Gruppen aufteilen. L Hämartige N (z.B . C ytochrome, C atalase) N Fe N N L Eisen-Schwefel-Proteine (B eispiel: [2Fe-2Fe]-Ferredoxin) Zweieisen-Zentren (z.B . RibonucleotidReduktase) O/N S SR SR Fe Fe SR SR S O Fe O/N N H O O O Abbildung 2. Gruppen eisenhaltiger Enzyme. O/N Fe O/N O N 4 Die wässrige Eisenchemie Das Redoxpotential für Fe2+/Fe3+ bei pH = 7 zeigt, dass Eisen(II) unter aeroben Bedingungen zu Eisen(III) oxidiert wird: 4Fe2+ + O2 + 4H+ 4Fe3+ + 2H2O + 4e-; E = -0.23 V (bei pH 7) vergl. 2H2O O2 + 4H+ + 4e-; E (pH 7) = +0.82 V NADH + H+ NAD+ + 2H+ + 2e-; E (pH 7) = -0.32 V Hexaaquaeisen(III)-Ionen wirken als Kationsäuren: [Fe(H2O)6]3+ + H2O [Fe(H2O)5OH]2+ + H3O+ [Fe(H2O)5(OH)]2+ + H2O [Fe(H2O)4(OH)2]+ + H3O+ [Fe(H2O)4(OH)2]+ + H2O [Fe(H2O)3(OH)3] (= Fe(OH)3·aq) + H3O+ pKS1 = 2.2 pKS2 = 3.5 pKS3 = 6.0 Die Bildung von Eisenhydroxid (Fe(OH)3·aq) beginnt danach bereits in schwach saurem Medium. Neben solchen Protolysereaktionen sind Kondensationsreaktionen, bei denen Oxound Hydroxo-verbrückte Aggregate entstehen, für Eisen typisch: 2[Fe(H2 O)6 ]3+ -H2O, -2H + H2 O OH2 Fe H2 O OH2 H O O H OH2 OH2 Fe 4+ -2H + OH2 H2 O OH2 2+ OH2 Fe O OH2 H O O Fe Fe O HO Fe OH2 O Fe OH2 Kolloide H2 O OH2 OH2 Fe Die Kondensation führt über Kolloide (Sphäroide mit einer Molmasse M von ca. 1.5·105 g/mol und einem Durchmesser von ca. 70 Å; oder Nadeln mit M = 1.9·106 und einer Länge von 500 Å) schließlich zu schwerlöslichen Eisenoxid-Hydraten [Eisenhydroxide der Zusammensetzung FeO(OH) (Goethit) bis 5Fe2O3·9H2O (Ferrihydrit)]. Mobilisierung von Fe3+ durch Siderophore Die Schwerlöslichkeit von Eisenhydroxid [Löslichkeitsprodukt L = 2·10-39, Löslichkeit (pH 7) l = 10-18 mol·l-1] hat viele Organsimengruppen gezwungen, geeignete Mobilisierungssysteme für FeIII zu entwickeln. Diese von den Zellen exkretierten so gen. Siderophore sind mehrzähnige, anionische Liganden, die mit Fe3+ äußerst stabile Komplexe bilden (die Komplexbildungskonstanten können, wie in den Enterobactin-Komplexen, bis zu 1050 betragen). Die funktionellen Gruppen sind in vielen Fällen Catecholate (bei den Enterobactinen) oder Hydroxamate (bei den Ferrioxaminen und Ferrichromen). Die Komplexe sind mehr oder weniger globulär gebaut und verfügen über eine Peripherie aus 5 hydrophilen Gruppen (Amid- und Esterfunktionen), die die Wasserlöslichkeit und den Transport im aquatischen System gewährleisten. Das Herauslösen des Eisens aus dem Komplex nach dessen Internalisierung – z.B. mittels Endocytose – erfolgt durch Reduktion des Fe3+ zu Fe2+ und/oder oxidative Zerstörung des Liganden. Beispiele für zwei Klassen von Siderophoren sind in Abb. 3 zusammengestellt. Exkurs: Komplexe (1) Komplexe sind in sich geschlossene Verbindungen, in deren Zentrum ein Metallion steht, das eine definierte Anzahl von Liganden (Ionen oder Moleküldipole) in definierter Anordnung bindet. Jeder Ligand stellt dabei ein freies e--Paar als Bindungselektonenpaar zur Verfügung (koordinative Kovalenz; dative Bindung; Donorbindung). Stabile e-Konfigurationen für das Metall (eigene Valenzelektronen + Summe der von den Liganden stammenden Elektronen) sind 18 oder 16 Elektronen. M + nL [MLn]q (M = Metall, L = Ligand, n = Anzahl der Liganden, q = Ladung) c(MLn) =K c(M) cn(L) K ist die Stabilitäts- oder Komplexbildungskonstante (sie wird groß bei stabilen Komplexen); ihr Kehrwert wird als Zerfalls- oder Dissoziationskonstante bezeichnet. pK = -log(K) O - O O O -O HN Catecholate O R O O 3- NH O O O O O O O O O O O NH O O - Fe3+ -Enterobaktin-Komplex - O Hydroxamate NH NH N O Ferrichrom NH NH O (CH2)3 - R' O NH O O O Fe O - Enterobaktin R-C - - N O C O CH3 Abbildung 3. Beispiele für Siderophore NH O (CH2)3 - O N O C O CH3 (CH2)3 - N O C O CH3 - 6 Exkurs: Komplexe (2) Biologisch wichtige Liganden NH R = -CH2 N -CH2 N -H NH -CH2 N -CH2 + N His (H) Tyr (Y) O O -(CH2)n-C n = 1: Asp (D), n = 2 Glu (E) O Koordinationsmodi (M = Metallion): -C O -C O M Ser (S) -(CH2)2-S CH3 H O O H Aqua Hydroxo O -CH2-S O O M O M end-on verbrückend C ys (C ) -CH2-Se Selenocysteinat M et (M ) 2 O-O O-O S H Oxo -C M side-on (zeizähnig, chelatartig) end-on einzähnig -CH2-O O Peroxo Hyperoxo (Superoxo) 2 Sulfido (Thio) N N N Porphyrine N Eisenaufnahme, -transport und -speicherung Eisen gelangt über die Nahrung üblicherweise als Fe3+ in den Magen-Darm-Trakt. Im Darm erfolgt, bei intaktem Darmmilieu, Reduktion zu Fe2+. Nur in dieser Form kann Eisen durch die Epithelzellen der Darmmucosa resorbiert werden. Für den Weitertransport ist erneute Oxidation zu Fe3+ erforderlich. Die Oxidation Fe2+ Fe3+ in der Mucosa wird durch ein kupferhaltiges Enzym (Ceruloplasmin; Cu+ Cu2+) katalysiert. Die Fe3+ werden sodann vom Apotransferrin (H2Tf) aufgenommen (zugleich wird Carbonat an das Eisen koordiniert) und über das Serum an den Ort einer potenziellen Verwendung transportiert, z.B. zum Einbau in Hämoglobin. Hierzu muss das Eisen reduktiv (durch Ascorbat) aus dem Transferrin (Tf) herausgelöst werden: H2Tf + Fe3+ + HCO3- [(Tf)FeIII(CO3)]- + 3 H+ s. Abbildung 4 [(Tf)FeIII(CO3)]- + e- + 3 H+ H2Tf + HCO3- + Fe2+ 7 Fe2+ + (Protoporphyrin-IX)2- + Globin Hämoglobin Etwa 40 mg Fe werden täglich von Tf in das Rückenmark zur Synthese von Hämoglobin verbracht; ca. 1 mg Fe werden täglich resorbiert; ca. 6 mg Fe werden mittels Tf aus Ferritin mobilisiert oder dort eingebaut (s.u.). Transferrin ist ein Glycoproteid der Molmasse 80 kD (mit ca. 6% Kohlenhydratanteil) und zwei Bindungstellen für Eisen – jeweils im C- und im Nterminalen Ende. pK bei pH 7.4: -20.2. Ferritine sind Eisenspeicherproteine. Sie bestehen aus einer Protein-Hohlkugel (Apoferritin) mit einem Außendurchmesser von 130 Å und einem Innendurchmesser von 70 Å. Die Innenseite der Hohlkugel (M = 450 kD, 24 Untereinheiten zu je 163 Aminosäuren) ist mit Carboxylatfunktionen ausgekleidet, die Fe3+ koordinieren. Bis zu 4500 Fe3+ können aufgenommen werden. Dreizählige Kanäle von 10 Å Weite gestatten den Austausch der Fe3+. Der Eisenkern hat die Zusammensetzung 8FeO(OH)·FeO(H2PO4). Und ähnelt in seinem Aufbau kolloiden Eisenoxidhydraten (s.o.). NH2 Arg HN NH2 O Tyr O O Asp O O O Fe N O Tyr NH His Abbildung 4: Fe3+-Carbonat-Transferrin-Komplex Abbildung 5. Ferritin. Links: Protein-Hohlkugel (Apoferritin) mit Carboxylatfunktionen im Inneren; Mitte: Schematische Darstellung des Aufbaus aus Untereinheiten mit Kanälen; rechts: Untereinheit. 8 Exkurs: Komplexe (3) Ligandenfeldaufspaltung [Fe(H 2O)6] 2+ Jahn-Teller-Verzerrung Energie [Fe(CN) 6] 2- eg schwache Störung unter Oh-Symmetrie Störung unter D4h-Symmetrie starke Störung unter Oh-Symmetrie t2g sphärische Störung OH2 ungestört CN H2O H2O OH2 OH2 NC NC CN CN CN OH2 Kristallfeldstabilisierungsenergie: Energiegewinn durch Einfüllen der Elektronen in energetisch stabilisierte Orbitale. Das Einfüllen von zwei Elektronen in ein Orbital erfordert Paarungsenergie. Bei schwacher Aufspaltung (H2O) wird daher größt mögliche Multiplizität angestrebt high-spin Komplex. Bei starker Aufspaltung (CN-) erfolgt dagegen Paarung low-spin Komplex. Ungepaarte Elektronen geben Anlass zu Paramagnetismus. Abschätzung des magnetischen Momentes µ mittel µ = n(n+2) [in den Einheiten „Bohrsche Magnetone“, µB], n = Anzahl der ungepaarten Elektronen. s.a. Komplexe (4) Exkurs: Komplexe (4) Reihe der Ligandenstärke: Halogenide {S} < {O} < {N} < CN- < NO+ CO „hart-weich“-Prinzip (nach Pearson): harte Metallzentren (hoch geladene, z.B. Fe3+) bevorzugen harte Liganden (d.h. stärker elektronegative, z.B. {O}), weiche Metallzentren (z. B. Cu+) dagegen weiche Liganden, z.B. {S}. Hier gibt es allerdings viele Ausnahmen. Chelateffekt: Stabilisierung eines Komplexes durch mehrzähnige Liganden. Der Chelateffekt ist ein Entropieeffekt (Zunahme der Teilchenzahl): [Fe(H2O)6]3+ + Enterobactin6- [Fe(Enterobactin)]3- + 6H2O 9 Exkurs: Symmetrie 2 3 1 2 E Einheitsoperation 4 1 2 C4 3 1 3 4 4 C4 2 1 4 3 3 4 C4 1 3 2 2 4 C4 1 1 C2 3 1 1 4 C2 4 2 2 3 3 1 4 (C2)2 = E 2 C2 3 1 4 C2 1 2 3 2 4 1 4 2 3 1 h 3 1 2 3 4 Drehung um zweizählige diagonale Achse (180°) 3 Spiegelung an horizontaler Spiegelebene 1 v 4 1 4 2 v 4 2 3 1 3 4 Spiegelung an vertikaler Spiegelebene v)2 = E h C8 2 1 3 4 4 i 3 1 2 Drehspiegelung 2 i 1 3 4 4 Drehung um zweizählige Achse (180°) (C2)2 = E 2 3 (C4)4 = E Drehung um vierzählige Achse (90°) 2 2 Inversion (Punktspiegelung) i2 = E Die Gesamtheit der Symmetrieoperationen definiert die Symmetrie- (Punkt-)Gruppe 10 Bei unterschiedlichen Vorzeichen kann sich ein System bezüglich Inversion gerade (g) oder ungerade (u) verhalten:. z + x, y s-Orbitale sind gerade z z y x, y d-Orbitale sind gerade x dxz, dxy, dyz dx2-y2 px, py, pz p-Orbitale sind ungerade dz2 (offen: +; schraffiert: -) 3. Sauerstofftransport Sauerstoff, in der Trockenluft zu 20.96 Vol.-% enthalten (in 100 ml Wasser von 20 °C lösen sich 30.5 ml O2; das entspricht einer Stoffmengenkonzentration von ca. 20 mM), wird in der Lunge vom Erythrocyten-gebundenen Hämoglobin (Hb, M = 65 kD; Abbildung 6) aufgenommen. Simultan wird Hydrogencarbonat in Kohlensäure überführt. Die Kohlensäure wird, katalysiert durch ein Zinkenzym (Carboanhydrase), in CO2 und H2O zerlegt: Hb·H+ + O2 + HCO3- Hb·O2 + H2CO3 Desoxi-Hb Oxi-Hb H2CO3 H2O + CO2 Nach Transport über die Blutbahn erfolgt die Übertragung des O2 auf Myoglobin (Mb) im Gewebe. Mb hat, wie in Abbildung 6 gezeigt, eine höhere Affinität zu O2 als Hb. Abbildung 6. Links: Schematischer Aufbau des Hämoglobins (Homo-Tetramer; je Untereinheit eine Häm-Gruppierung). Myoglobin ist ein Monomer. Rechts: Affinität von Hämoglobin und Myoglobin zu Sauerstoff. Der Sauerstoffpartialdruck am Sättigungspunkt 11 (100%) beträgt etwa 100 Torr (ca. 0.13 bar = 13 kPa). Die Kurven gelten für normalen BlutpH von 7.35. Erniedrigung des pH vermindert die Affinität. In der Desoxiform des Hb liegt Fe2+ im high-spin Zustand vor, entsprechend einem Paramagnetismus von vier ungepaarten Elektronen. Der Durchmesser beträgt 92 pm; das Fe2+ Ion ist damit zu groß für eine coplanare Koordination mit den vier Stickstofffunktionen des Porphyrinliganden: es steht 40 pm unterhalb dessen Ebene in Richtung auf das proximale His. Vergl. hierzu Abbildung 7. Diese Form bezeichnet man als T-Form (T = tensed). Bei der Sauerstoffaufnahme geht das Eisen in den low-spin Zustand über; damit veringert sich der Durchmesser auf 75 pm (Fe2+, keine ungepaarten Elektronen) bzw. 69 pm (Fe3+, 1 ungepaartes Elektron), und das Eisenion wandert nun in die Porphyrinebene. Hierbei wird auf das proximale His ein Zug ausgeübt, der sich den anderen Untereinheiten vermittelt, sodass auch deren Eisenzentren Sauerstoff aufnehmen (kooperativer Effekt): R-Form (R = relaxed). Oxi-Hb ist diamagnetisch. Bleibt das Eisen bei der O2-Aufnahme im Zustand Fe2+, so muss davon ausgegangen werden, dass der Sauerstoff bei der Koordination vom (paramagnetischen) Triplettzustand in den (diamagnetische) Singulettzustand übergeht. Wenn andererseits die Koordination von O2 im Sinne einer oxidativen Addition erfolgt (Fe2+ + O2 Fe3+-O2-), muss es zu einer Kopplung zwischen dem ungepaarten e- am Hyperoxid und dem ungepaarten e- des Fe3+ kommen. Die Situation beschreibt man zweckmäßig durch ein Resonanzhybrid: O Fe2+ O Fe3+ O O Exkurs: Sauerstoff Man unterscheidet drei Sauerstoffmodifikationen: Singulett-Sauerstoff (1O2; energiereich und instabil, diamagnetisch), Triplett-Sauerstoff (3O2, stabil, Biradikal und damit paramagnetisch) und O3 (Ozon; toxisch; sehr reaktiv [starkes Oxidationsmittel]). O O O O 1O2 3O2 O O O3 O O O O2 - O O O22- Ozonaufbau in der Troposphäre (Ozonsmog): NO + O2 NO2 + O; O2 + O O3; NO2 + h NO + O Ozon in der Stratosphäre: Stratosphärisches Ozon filtert einen Großteil des (u.U. Hautkrebs auslösenden) „harten“ (d.h. kurzwelligen) UV-Lichtes heraus: O2 + h ( < 240 nm) 2O; O2 + O O3 O3 + h ( < 315 nm) O2 + O In Gegenwart von Radikalen, z.B. NO, wird Ozon katalytisch abgebaut (Ozonloch) NO + O3 NO2 + O2, NO2 + O NO + O2 Auch andere Radikale katalysieren den Ozonabbau, z.B. Chloratome, die unter stratosphärischen Bedingungen aus FCKWs [Fluor-Chlor-Kohlenwasserstoffen] freigesetzt werden. Durch Reduktion von O2 können Peroxid (O22-, starkes Oxidans) und Hyperoxid (engl.: superoxide: O2-, Radikal, starkes Oxidans) enstehen. Diese Spezies treten auch im physiologischen Geschehen auf, und müssen zügig liquidiert werden (Peroxid durch Katalasen: H2O2 H2O + O2; Hyperoxid durch Superoxiddismutasen: 2O2- + 2H+ H2O2 + O2). 12 Abbildung 7 (s. unten). Desoxi- und Oxiform des Hämoglobins/Myoglobins. Das zentrale Ligandensystem, Protoporphyrin IX, ist hier ohne die charakteristischen Substituenten gezeigt. N distales His N N H N H O N N N N Fe Fe N N N N N proximales His N O N N Desoxi-Hb, T-Form Oxi-Hb, R-Form Bildung, Transport, und Zerlegung von Hydrogencarbonat Der Sauerstoff wird letztendlich in der mitochondrialen Atmungskette (s. Kapitel 4) zu Wasser reduziert. Die Reduktionsäquivalente entstammen organischen Verbindungen wie Glucose, die dabei zu CO2 (und Wasser) abgebaut werden. CO2 wird gemäß CO2 + H2O H2CO3 enzymatisch in Kohlensäure überführt, aus der, wie oben gezeigt, mit Hb·O2 unter Deprotonierung Hydrogencarbonat (HCO3-) entsteht. Etwa 95% des HCO3- wird aus den Erythrocyten ausgeschleust (im Gegenzuge wird Cl- aufgenommen) und über das Blutserum in die Lunge transportiert, wo die Rückreaktion mit Hb·H+ zu Kohlensäure erfolgt (gekoppelt mit der O2-Aufnahme durch Hämoglobin), die sodann enzymatisch in CO2 und H2O zerlegt wird. Das den Auf- und Abbau der Kohlensäure katalysierende Enzym ist die Carboanhydrase (älterer Name: Kohlensäureanhydratase, engl.: carbonic anhydrase), ein Enzym der Molmasse 29.7 kD mit Zn2+ im Wirkzentrum. Zn2+ ist an drei Histidinreste koordiniert sowie an einen Aqua- (im „resting state“) bzw, einen Hydroxoliganden (im aktiven Zustand). Der Wirkmechanismus ist in Abbildung 8 dargelegt. H O C Zn N O O N N (His) H O O C O O O Zn Zn N N N (His) N N (His) N N H O H H O H2O N N NH C Zn N HCO3- N N (His) 13 Abbildung 8. Mechanismus der Aktivierung und Protonierung von CO2 im aktiven Zentrum der Carboanhydrase. Die weitere Protonierung von Hydrogencarbonat zu Kohlensäure übernimmt im Enzym ein His in der Nähe des aktiven Zentrums. Inaktivierung von Hämoglobin Eine Sauerstoffaufnahme kann natürlich nur dann erfolgen, wenn die Position am Eisen in Richtung auf das distale His frei ist. Kommt es, etwa mutationsbedingt, zu Veränderungen in der Aminosäuresquenz in der Nähe des Häm-Zentrums, z.B. zum Austausch eines Phe gegen ein Tyr (so gen. Boston-Hämoglobin), so wird diese Position durch Koordination an den Phenolat-Sauerstoff blockiert. Auch Kohlenmonoxid blockiert Hb (Toxizität von CO!). CO wird etwa 220mal stärker an das Fe gebunden als O2. Bereits ¼ VolPromille CO in der Atemluft blockiert ¼ des Hb. Ähnlich problematisch wirkt NO (entsteht z.B. durch Reduktion von Nitrit). Durch Oxidantien (Peroxid, Hyperoxid, OH-Radikale, ...) wird ständig ein Teil des Eisens in Methämoglobin (MetHb) überführt: Hb(Fe2+) + H2O MetHb(Fe3+-OH) + e- + H+ Met-Hb vermag gleichfalls keinen Sauerstoff mehr aufzunehmen. Durch MethhämoglobinReduktase (Cofaktor: NADH) wird der Schaden jedoch wieder behoben. Sauerstofftransport durch Hämocyanine und Hemerythrin Hämocyanine sind Sauerstofftransportproteine, die in Arthropoden (Spinnen, Krebse) und Mollusken (Schnecke, Tintenfische) vorkommen und je Untereinheit ein zweikerniges Kupferzentrum enthalten. Die Molmassen liegen zwischen 450 kD (Arthropoden, Untereinheiten zu 75 kD) und bis zu 9 MD, (Mollusken, Untereinheiten 50-55 kD). Der Sauerstoff wird im Sinne einer oxidativen Addition (O2 O22-, 2Cu+ 2Cu2+) reversibel gebunden; das Peroxid koordiniert dabei side-on verbrückend; Abbildung 9a. Zwischen den beiden Typen von Hämocyaninen besteht nur im Bereich der Cu-Bindungszentren weitgehende Sequenzhomologie. I HN N Cu N NH I Cu N N N N NH HN NH HN NH N II + O2 - O2 N NH HN N O Cu N II Cu NH N O N NH NH Abbildung 9a. Reversible Aufnahme/Abgabe von Sauerstoff durch Hämocyanine. Ein weiteres Sauerstofftransportprotein, dessen sich einige niedere Würmer bedienen, ist das Hämerythrin (Abbildung 9b) mit einer Molmasse von 108 000 D (acht Untereinheiten mit zwei Eisenzentren je UE), die in der sauerstofffreien Desoxiform (Fe2+) über eine OHGruppe, ein Aspartat und ein Glutamat verbrückt sind. Eines der Fe-Zentren ist zusätzlich an 3 His, das andere an 2 His gebunden. Die Sauerstoffaufnahme erfolgt am unterkoordinierten Fe im Sinne einer oxidativen Addition: Fe2+ wird zu Fe3+; die µ-OH Gruppe wird deprotoniert 14 zur µ-O Gruppe, das Proton übertragen auf das koordinierte Peroxid, das hiermit zum Hydroperoxid HO2- wird. O O 2+ (His)N Fe (His)N (His)N O O 3+ (His)N Fe (His)N O O N(His) + O2 Fe2+ O N(His) H (His)N O O O N(His) Fe3+ N(His) O H O Abbildung 9b. Haemerythrin. 4. Die mitochondrielle Atmungskette Die Bruttoreaktion kann z.B. wie folgt repräsentiert werden: O2 + 2 (NADH + H+) 2H2O + 2 NAD+ Die Freie Reaktionsenthalpie (Reaktionsarbeit) dieser Reaktion beläuft sich auf –217 kJ/mol; das Redoxpotenzial unter physiologischen Bedingungen beträgt 1.14 V. Die Reduktionsäquivalente für die (4-Elektronen-)Reduktion des O2 zu Wasser entstammen energiereichen organischen Verbindungen, typischerweise Glucose bzw. ihren Abbauprodukten, z. B. Lactat: H - H3C C CO2 OH Lactat + + NAD - H3C C CO2 + + NADH + H O Pyruvat Die Reduktion des O2 verläuft schrittweise im Sinne einer Reaktionskaskade; hiermit wird gewährleistet, dass die Reaktionsenthalpie nicht schlagartig (und damit zellschädigend) frei wird. Die Reaktionskaskade wird als Atmungskette bezeichnet. Ort: Mitochondrien. Sie dient der aeroben Energieerzeugung. Zum Gesamtablauf s. Abbildung 10. 15 NADH Ferredoxin Fe 2.5+ NAD H S O O NH2 NH2 N N R R + 2H Ubichinon Fe2.25+ 4 S Fe S Fe S S S Fe S Fe MeO MeO O Me O OH Me H2O O2, 4H + Cu Fe 2.5+ 2 N S Fe Fe S S N H 6-10 Cytochrom-c-Oxidase 2+ Fe 3+ S R R= S OH Rieske-Protein 2 Fe 3+/Fe 3+ Cu2+ Cytochrom-b/c Fe 3+ Fe 2+ L Cu1.5+ 2 Fe 2+ /Fe 2+ Cu+ N N Fe N N N Abbildung 10. Reaktionskaskade der mitochondriellen Atmungskette (verkürzt). Schritt 1: Primärer Akzeptor für die Reduktionsäquivalente (2e-) des NADH ist ein Eisenschwefelprotein vom Typ der [4Fe,4S]-Ferredoxine (zur Systematik der FeS-Proteine s. weiter unter). Ein solcher Eisen-Schwefelcluster vermag nur ein e- aufzunehmen bzw. abzugeben; die Ladung ist über den gesamten Cluster delokalisiert: die mittlere Oxidationsstufe eines Eisenzentrums beträgt +2.5 in der oxidierten und +2.25 in der reduzierten Form. Schritt 2: Elektronenakzeptor für das Ferredoxin ist sodann ein Chinon (so gen. Ubichinon), ein 2e--Akzeptor. Das Chinon geht, unter gleichzeitiger Aufnahme von 2 Protonen, in Hydrochinon über. Schritte 3 uns 4: Ein weiteres Eisen-Schwefelprotein, das Rieske-Protein, übernimmt die Reduktionsäquivalente, die sodann an ein Cytochrom-b (Cyt-b) und schließlich an Cytochrom-c (Cyt-c) weitergeleitet werden. In der oxidierten Form des Rieskeproteins liegen beide Eisenzentren in der Oxidationsstufe +III vor; in der reduzierten Form wird das von den vier Schwefelfunktionen koordinierte Eisen in die Stufe +II reduziert (die mittlere Oxidationsstufe beträgt also +2.5; im reduzierten Rieske-Zentrum sind die Ladungen jedoch lokalisiert). Die Cytochrome sind hämartige, einkernige Eisenproteine (s.u.) mit FeIII bzw. FeII. Schritt 5: Die reduzierte Form des Cytochrom-c wird von der Cytochrom-c-Oxidase oxidiert, einem Enzym mit einem komplexen Mehrmetallzentrum (2 FeII/III vom Hämtyp, 3 CuI/II, sowie Zn2+ und Mg2+). Zn und Mg haben lediglich Strukturfunktion; die Cu- und Fe-Zentren sind redoxaktiv. Zu Details s.u. Schritt 6: Cytochrom-c-Oxidase (Cyt-c-Ox) kann insgesamt 4e- aufnehmen. Diese vier Elektronen werden zur Reduktion des Sauerstoffs zu Wasser verwendet: 4Cyt-c(Fe2+) + [Cyt-c-Ox]ox 4Cyt-c(Fe3+) + [Cyt-c-Ox]red [Cyt-c-Ox]red + O2 + 8H+in [Cyt-c-Ox]ox + 2H2O + 4H+ex 16 Parallel hierzu wirkt die Cyt-c-Ox auch als Protonenpumpe (Transport von H+ aus dem mitochondrialen Innen- in den Außenraum). Die Eisen-Schwefel-Proteine Eine Zusammenstellung der wichtigsten Typen findet sich in Abbildung 11. Man unterteilt die FeS-Proteine in vier Gruppen: (1) Rubredoxine mit einem Eisenzentrum und vier Cysteinat-Liganden; (2) [2Fe,2S]-Ferredoxine mit zwei Eisenzentren, zwei verbrückenden Sulfid- und je zwei Cysteinat-Liganden; (3) [4Fe,4S]-Ferredoxine mit vier Eisenzentren und vier verbrückenden S2- in kuboidaler Anordnung sowie einem Cysteinat pro Fe; (4) HiPIPs (High Potential Iron Proteins) mit derselben Anordnung wie in den 4-FeFerredoxinen. Während in den [4Fe,4S]-Ferredoxinen die Redoxpotenziale typischerweise -200 bis -400 mV betragen, liegen die Redoxpotenziale der HiPIPs bei +400 mV. Die mittlere Oxidationsstufe der Eisenionen der reduzierten Form ist +2¼ ([4Fe,4S]-Ferredoxine) bzw. +2½ (HiPIPs), die der oxidierten Form +2½ ([4Fe,4S]-Ferredoxine) bzw. +2¾ (HiPIPs). In der reduzierten Form der [2Fe,2S]-Ferredoxine liegen lokalisierte FeII und FeIII Zentren vor. Dagegen sind in den Proteinen mit 4 Fe-Zentren in der Regel die Elektronen über alle Eisenzentren delokalisiert. Der Sulfidschwefel wird auch als anorganischer oder labiler (mit HCl als H2S mobilisierbar) Schwefel bezeichnet. Neben diesen klassischen Formen sind vor allem noch die Rieske-Proteine von Bedeutung. In den Rieske-Proteinen mit relativ hohen Redoxpotenzialen sind die beiden Cysteinat-Liganden eines der beiden Fe-Zentren der [2Fe,2S]-Ferredoxine durch Histidin ersetzt. Die Koordinationsgeometrie dieses FeS2N2Zentrums weicht stark von der Tetraeder-Geometrie ab: der N-Fe-N Winkel liegt bei ca. 90°. SR SR 2-/SR Fe SR S Fe SR SR Fe S SR (His) 1-/0 SR S N Fe Fe SR S N (His) Rieske-Zentrum 3-/2- SR [2Fe-2S]-Ferredoxin Rubredoxin 3-/2- SR Fe S Fe S Fe SR S SR Fe S SR SR [4Fe-4S]-Ferredoxin 2-/Fe S S Fe S Fe SR Fe S SR SR HiPIP Abbildung 11. Die Eisenzentren der häufigsten Eisenschwefelproteine. Die Ladungen sind für die reduzierte/oxidierte Form angegeben. SR steht für Cysteinat. 17 Exkurs: Oxidation und Reduktion Oxidationen entsprechen der Abgabe von e- (Erhöhung der Oxidationszahl), Reduktionen der Aufnahme von e- (Erniedrigung der Oxidationszahl): 2Fe2+ + ½O2 + 2H+ 2Fe3+ + H2O Das Oxidationsmittel für FeII ist hier der Sauerstoff; das Reduktionsmittel für den Sauerstoff FeII. Reduktion und Oxidation laufen gekoppelt ab. Eine Redoxreaktion ist grundsätzlich eine Gleichgewichtsreaktion. In welcher Richtung die Reaktion läuft, hängt von den elektrochemischen Redxpotenzialen der Redoxpaare ab. Die Standardpotenziale E0 (298 K, 105 Pa, c = 1 mol/l) sind tabelliert: Fe2+ Fe3+ + e-, E0 = +0.771 V H2O ½O2 + 2e- + 2H+, E0 = +1.229 V [zu beachten: in der angelsächsischen Literatur wird die oxidierte Form des Redoxpaares links, die reduzierte Form rechts des Gleichheitspfeils gesetzt] Die Umrechnung auf E für reale Konzentrationen erfolgt mittels der Nernstschen Gleichung: E = E0 + (0.059/n)log(cOx/cRed) Hierin ist n die Zahl der transferierten Elektronen, cOx die Konzentration der oxidierten, cRed die Konz. der reduzierten Reaktionspartner. Insbesondere die pH-Abhängigkeit von E ist hier auch zu beachten: So wird bei pH 7 (c(H+) = 10-7) das Potenzial E für H2/H+ -0.414 V (E0 = O), für H2O/O2 +0.815 V. Cytochrome und Cytochrom-c-Oxidase Cyt-b und Cyt-c, sowie die Cytochrome-a und -a3 der Cytochrom-c-Oxidase enthalten Eisenzentren vom Häm-Typ. Sie unterscheiden sich durch das Substitutionsmuster am Protoporphyrin und durch die axialen Liganden am Eisens; vergl. Abb. 12). Sie transportieren Elektronen über einen Wechsel der Oxidationsstufe des Eisens zwischen +II und +II. Die Cytc-Oxidase (zur Organisation s. Abb. 13) enthält neben zwei Eisenzentren vom Typ Häm-A (Cyt-a und Cyt-a3; Abb. 12) drei Kupferzentren. Zwei der drei Cu bilden ein zweikerniges Zentrum (CuA). In der reduzierten Form liegt das Kupfer in der mittleren Oxidationsstufe 1.5 vor, in der oxidierten Form sind beide Cu in der Stufe +II. Das dritte Kupferzentrum (CuB) kooperiert mit dem Cyt-a3; der Abstand Cu···Fe beträgt 5.6 Å. Es wechselt zwischen CuI und CuII. Der Sauerstoff wird durch Bindung als Peroxid zwischen CuB und Cyt-a3 aktiviert. Cytochrom a: R1= Vinyl, R 2 = C17H34OH, R3 = Formyl L2 3 R Me L1 = L2 = His 2 HO2(CH2)2 R N N L1 und L2 frei oder His Fe N N Me Me 1 HO2(CH2)2 L1 Cytochrom b: R 1= R 2= Vinyl, R 3 = Me R Cytochrom c: R1 = R 2 = -CH(Me)-S-CH2-C(O)NHR3 = ; L1 = His, L2 = Met Cytochrom P450 : R1 = R 2 = Vinyl, R 3 = Me L1 = Cys, L2 = H 2O Hb und Mb: R1= R 2 = Vinyl, R 3 = Me (Protoporphyrin IX) L1 = His, L2 frei oder O2 18 Abbildung 12. Proteine mit Häm als prosthetischer Gruppe. Zum Cyt-P450 s. den Abschnitt über Oxigenasen. Cyt-c e (Cys) S (His) N S (Met) Cu A Cu + H S (Cys) O N (His) e außen (His) N Fe N (His) a Membran e (His) N innen + H B (His) N Cu N (His) (O2) Fe N (His) a3 Abbildung 13. Organisation der redoxaktiven Metallzentren in der Cytochrom-c-Oxidase. Exkurs: Eisensulfide und Evolution Eisen(II)sulfid (FeS) war möglicherweise maßgeblich beteiligt bei der Genese organischer Grundbausteine für größere „Biomoleküle“ als Bauelemente für erste präzelluläre Strukturen. Hauptbestandteile der Uratmosphäre der Erde waren N2, CO2 und H2O. Daneben enthielt die Uratmosphäre O2 und H2 (größenordnungsmäßig jeweils ca. 0.1%) und Spurengase wie H2S und CH3SH. Mit H2O steht H2S in einem Brønstedtschen SäureBase-Gleichgewicht (H2O + H2S H3O+ + HS-). In Gegenwart von FeS bildet sich Eisen(II)disulfid (Pyrit, FeS2), wobei zwei Reduktionsäquivalente freigesetzt werden: FeS + HS- FeS2 + 2e- + H+; E0 = -620 mV Die Reduktionskraft reicht z.B. zur reduktiven C-C-Kupplung von CO2 und CH3SH. Der dabei gebildete Thioessigsäuremethylester („aktive Essigsäure“) kann mit Aminen Amide bilden: O CO2 + 2CH3SH + FeS H3C C SCH3 + FeS2 + H2O + H2NR + FeS O H3C C NHR + CH4 + FeS2 Ein weiteres biogenes Eisensulfid, das von einigen magnetostatischen Bakterien für die Orientierung im Magnetfeld der Erde genutzt wird, ist der Greigit, FeII(FeIII)2S4. 19 5. Die Photosynthese Die Phostosynthese (Assimilation) ist der zur Atmung (Dissimilation) komplementäre Prozess: h CO2 + 2H2O* {CH2O} + O2* + H2O {CH2O} symbolisiert ein Kohlenhydrat, z.B. 1/6 Glucose. Kohlendioxid wird durch Wasser in einer 4e--Reduktion zu Glucose {CH2O} reduziert, die Oxogruppe des Wassers dabei zu Sauerstoff oxidiert. Der Vorgang bedarf der Energiezufuhr in der Form von Licht (h). Statt Licht kann auch chemische Energie verwendet werden; statt CO2 sind auch alternative Kohlenstoffquellen (z.B. Acetat) möglich: Lichtenergie: phototroph Chemische Energie: chemotroph CO2 als C-Quelle: autotroph Andere C-Quellen: heterotroph Grüne Pflanzen, Cyanobakterien und andere Mikroorganismen, die Chlorophyll enthalten oder auf Chlorophyll zurückgreifen können, erzeugen Biomasse photo-autotroph. Eine 100 Jahre alte Buche produziert pro Tag etwa 1000 l O2 und 12 kg Kohlenhydrate (oder, je m2 Blattwerk, 100 ml O2 und 1.2 g Glucose). Eine deutlich größere Menge an Biomasse wird jedoch von chemo-autotrophen und chemo-heterotrophen Mikroorganismen produziert. Beispiele für chemische Prozesse, die die erforderliche Energie liefern, sind Oxidationen wie Fe2+ Fe3+ + eH2 2H+ + 2eHS- + 4H2O SO42- + 9H+ + 8eMn2+ + 3H2O MnO(OH)2 +4H+ + 2eMan unterscheidet bei der Photosynthese zwischen Lichtreaktion und Dunkelreaktion. An der Lichtreaktion sind zwei Photosysteme beteiligt: Photosystem II (PSII) und Photosystem I (PSI): Lichtreaktion: PSII: P680 + h [P680]+ + e- (über Phäophytin, ein „Chlorophyll“ ohne Mg)) 2[P680]+ + H2O 2P680 + ½O2 + 2H+ (katalysiert durch die Wasseroxidase) e--Übertragungskette vom PSII zum PSI (s. Abb. 14) PSI: P700 + h [P700]+ + e[P700]+ + e- P700 NADP+ + 2e- + 2H+ NADPH + H+ (katalysiert durch [2Fe,2S]) Dunkelreaktion: 2(NADPH + H+) + CO2 {CH2O} + 2 NADP+ + H2O (unter ATPVerbrauch) Die Photosysteme sind Kollektive von proteingebundenen Pigmentmolekülen (ca. 200), im Wesentlichen Chlorophyll-a und -b, sowie Carotinoide, die das Sonnenlicht einsammeln und an die Reaktionszentren leiten: spezielle Moleküle Chlorophyll-a, P680 im PSII; P700 im PSI; s. Abb. 15. 20 P680 h O - e ,H [P680]+ OH Me Me + {FeN4O} Me Me O Me 6-10 Me 6-10 OH Plastochinon/Hydrochinon - H+ [S(Met)] N S(Met) N Fe e- (His)N N Cu S(Cys) (His)N [P700]+ (Cu 2+ N (Fe3+ Plastocyanin N(His) S Fe Fe S (Cys)S (Fe3+ N(His) Fe2.5+ ) Rieske-Protein N Cu 1+ ) (Cys)S Fe2+ ) Cytochrome b, c Abbildung 14. Vereinfachte Darstellung der Elektronenübertragungskette vom PSII zum PSI. Dimerisierung über H-Brücken in den Reaktionszentren der O Photosysteme H H R H2C=CH O R gesättigt im Bakteriochlorophyll CH2CH3 H3C N N Mg N N H3C = CH3: Chl. a = CHO: Chl. b H2C H2C O=C O H29C20 N C=O NH O OCH3 (His) Dimerisierung über H-Brücken in den Reaktionszentren der Photosysteme CH3 H O Mg H Abbildung 15: Chlorophylle Die Wasseroxidase (Oxygen Evolving Centre, OEC), die die Oxidation von Wasser durch P680 katalysiert, ist ein Enzym mit einem Cluster aus vier Mn und einem Ca, die wie in Abb. 16 gezeigt organisiert sind. Abb. 16 illustriert auch einen möglichen Mechanismus der enzymatischen Reaktion: 21 P680 (Asp)O H2O P680 OH2 H2O Mn O(Glu) H2O O H2O Ca (Glu)O O Mn O III Mn (Asp) O H Tyr + e H III Mn O - - Tyr H O N(His) O + H Mn O H IV Mn O Mn H III H2O H III O(Glu) Mn 2 Mn Mn N(His) H2O + 1/2O2 O O Mn O. 2x H Abbildung 16. Organisation der Wasseroxidase (links) und ein möglicher Ablaufmechanismus der Katalyse (rechts). Das am Ende der Elektronenübertragungskette stehende Plastocyanin gehört zur Gruppe der Blauen Kupferproteine (Typ I Cu-Proteine). Hier ist das Cu+/2+ trigonal-pyramidal von zwei Cys und einem His koordiniert. Das axiale Met ist nur schwach gebunden. Die intensiv blaue Farbe der oxidierten Form (mit CuII, d9) kommt durch einen Ligand-to-MetalCharge-Transfer (LMCT) zustande, also eine Übertragung von Elektronendichte von den freien Elektronenpaaren am koordinierten Cysteinat-Schwefel in die 3d-Elektronenlücke des Cu2+. Während elektronischen Übergänge innerhalb des d-Systems, so gen. d-d-Übergänge (und damit Übergänge zwischen geraden Orbitalen; s. Exkurs „Symmetrie“, unten) Paritäts(Laport-)verboten und daher intensitätsschwach sind (vergl. wässrige Cu2+-Salzlösungen, die das Ion [Cu(H2O)6]2+ enthalten), sind LMCT-Übergänge erlaubt und somit ausgesprochen intensitätsstark. Exkurs: Systematik Kupferproteine Typ I (Blaue Cu-Proteine): trigonale Koordinationsgeometrie; Liganden: zwei Cys(1-), 1 His, 1 schwach koordinierendes Met; starke LMCT-Bande bei 600 nm; Funktion: e-Transfer; Beispiel: Plastocyanin in der e-Übertragungskette PSII PSI. Typ II: tetragonale Koordinationsgeometrie; Liganden: His, Tyr(1-), H2O; „normales“ optisches Verhalten (d-d-Übergänge); Funktion: Redoxreaktionen; Beispiele: Galaktoseoxidase (RCH2OH RCHO + 2H+ + 2e-), CuZn-Superoxiddismutase (2O2- + 2H+ O2 + H2O2) Typ III: enthalten zwei kooperierende Cu-Zentren; trigonale Koordinationsgeometrie; Liganden: 3 His je Cu; in der oxidierten Form ebenfalls blau (LMCT); Funktion: Sauerstofftransport und –übertragung; Beispiele Hämocyanin (s. Abb. 9), Tyrosinase (Tyr + ½O2 + 2e- DOPA). Ceruloplasmin, ein Cu-Protein mit 7 Cu-Zentren, das die Eisen- und Kupferresorption reguliert, enthält TypI-, TypII- und TypIII-Kupfer. Sonstige: s. z.B. CuA und CuB in der Cytochrom-c-Oxidase; Abb. 13. 22 6. Oxigenasen, Oxidoreduktasen und Dismutasen Hydrogenasen/Dehydrogenasen (häufig mit NADH oder FADH2 als Cofaktor) H2 2H+ + 2eSubstratH2 Substrat + 2H+ + 2e- (bzw. H+ + H-) Oxigenasen übertragen, ausgehend zumeist von Sauerstoff O2, Oxogruppen auf ein Substrat: Substrat + O2 Substratoxid/-hydroxid oft gekoppelt mit: ½O2 + 2H+ + 2e- H2O Die Substrate können organischer Natur sein (RH ROH; (CH3)2S (CH3)2S=O), oder anorganisch (NO NO2). Oxidoreduktasen verwenden Sauerstoff, um ein Substrat zu dehydrogenieren (Oxidasen), oder Wasser, um ein Substrat zu hydrogenieren (Reduktasen): SubstratH2 + ½O2 Substrat + H2O Peroxidasen verwenden H2O2 als Oxidationsmittel: Substrat + H2O2 Substratoxid + H2O Dismutasen disproportionieren Sauerstoffspezies mittlerer Oxidationsstufe (Peroxid, Hyperoxid (engl: superoxide)): Katalasen: H2O2 H2O + ½O2 Teilschritte: H2O2 O2 + 2H+ + 2eH2O2 + 2H+ + 2e- 2H2O Superoxiddismutasen: 2O2- + 2H+ H2O2 + O2 Teilschritte: O2- O2 + eO2- + e- + 2H+ H2O2 Im Folgenden werden ausgewählte Beispiele diskutiert. Cytochrom P450, eine Oxigenase vom Typ der Hämeisenproteine. Axiale Liganden sind Cysteinat und – in der Ruheform (resting form) – H2O; das Substrat RH wird in der Nähe des aktiven Zentrums vom Protein gebunden. Summenreaktion: RH + O2 + 2H+ + 2e- ROH + H2O. Mechanismus: 23 N N RH RH OH2 Fe N RH N III N N e- N III Fe N N N N S(Cys) S(Cys) S(Cys) N II Fe O2 ROH H2O RH O N V N Fe N RH + 2H N N N S(Cys) O O RH O III Fe N N eN N S(Cys) H2O O III Fe N N S(Cys) Im ersten Schritt wird FeIII zu FeII reduziert. Sauerstoff wird sodann oxidativ addiert (FeII + O2 FeIII-O2-). Im folgenden Schritt wird das Hyperoxid zu Peroxid reduziert (Fe III-O2- + e- FeIII-O22-). Sodann kommt es zu einer intramolekularen Redoxreaktion: FeIII überträgt zwei Elektronen auf den Peroxoliganden; eine der Oxogruppen (O2-) verbleibt am Eisen (FeV), die andere wird durch zwei Protonen unter Bildung von Wasser abgefangen. Das hoch reaktive {O=FeV} überträgt sodann die Oxogruppe auf das Substrat und wird seinerseits vom Substrat zu FeIII zurückreduziert: RH + O=FeV ROH + FeIII) Tyrosinase und Catecholoxidase: Diese eng verwandten Enzyme enthalten ein Kupferzentrum vom Typ III, ähneln also, was das aktive Zentrum anbelangt, dem Hämocyanin (Kap. 3). Die Homologie der Aminosäureabfolge beschränkt sich allerdings auf die unmittelbare Umgebung des aktiven Zentrums. Die Aktivierung des Sauerstoffs erfolgt im Sinne einer oxidativen Addition: 2CuI + O2 CuII(O22-)CuII Die Tyrosinase-Funktion besteht in einer Oxigenierung von Tyrosin zu Dopa, die Catecholoxigenase-Funktion in der Oxidation von Dopa zum entsprechenden o-Chinon. Im Weiteren wird dann durch Dehydrogenierung Indolchinon gebildet, das weiter reagiert zum Melanin. Melanin, eine äußerst komplexe Verbindung, ist das braune Pigment z.B. der Haut (Sonnenbräune oder natürliche Pigmentierung), der Leberflecken, und der Bruchflächen frischen Obstes und Gemüses. NH OC NH OH + - + O2 + 2H + 2e OC OH Tyrosin Dopa OH - 2[H] N Melanin O NH OC O Indolchinon - 4[H] O OC O + H2O 24 Galaktoseoxidase, ein Typ II Kupferprotein, katalysiert die Oxidation primärer Alkohole zu Aldehyden: RCH2OH RCHO + H2O + 2H+ + 2e- Cu2+-Tyr· + 2e- Cu+-Tyr- ½O2 + 2H+ + 2e- H2O In dieser Zweielektronen-Oxidation kann Cu nur ein Elektron aufnehmen (CuII + e- CuI). Das zweite Elektron wird von einem der an das Kupfer koordinierte Tyrosinreste (als TyrosylRadikal, Tyr·) aufgenommen, das dabei in Tyrosinat übergeht (Tyr· + e- Tyr-). Die Stabilisierung des Tyr· erfolgt durch Delokalisierung des ungepaarten Elektrons über den Phenylring und eine Thioethergruppierung in o-Position zum Tyrosinsauerstoff: O(Tyr) (His)N N(His) I Cu reduzierte (links) und oxidierte Form (unten; drei mesomere Grenzformen sind skizziert) der Galaktoseoxidase O H2O S H2C HO(Tyr) HO(Tyr) (His)N II Cu H2O N(His) (His)N .O S (His)N N(His) II Cu H2O HO(Tyr) .S O O H2O . S H2C H2C H2C N(His) II Cu Molybdän-haltige Oxigenasen/Desoxigenasen enthalten den Cofaktor Molybdopterin, Abb. 17. O N H2 N O N N N O N N O O H P O Pterin O O VI Mo X S S H N N H2N O O VI Mo X S S O O P O Cyt/Gua OH Molybdopterin + Substrat S O IV Mo X + SubstratO S 25 Abbildung 17. Oxidierte Form des Cofactors Molybdopterin (rechts oben) aus molybdänhaltigen Oxigenasen. X ist z.B. Serinat oder Cysteinat. Molybdopterin überträgt Oxogruppen in einer 2-Elektronenoxidation/reduktion auf ein Substrat (Su). Ein Beispiel ist die Nitratreduktase, ein Enzym, das im ersten Schritt der bakteriellen Denitrifizierung (Überführung von Nitrat in Nitrit: NO3- + 2e- + 2H+ NO2- + H2O) eine Rolle spielt: O O IV Mo + NO3 Mo O O O NO2 N O VI Mo O + + FADH 2 Ein weiteres Beispiel ist Xanthinoxidase, die die folgende Reaktion katalysiert: OH (Adenosin OH N ) O N NH N NH O NH NH Xanthin O NH Harnsäure Vanadatabhängige Haloperoxidasen aus marinen Algen katalysieren die Oxidation von Halogenid (Hal-) zu Hypohalogeniger Säure mittels Wasserstoffperoxid Die Hypohalogenige Säure halogeniert sodann nicht-enzymatisch organische Substrate; s.a. Abb. 18: Hal- + H2O2 + H+ HalOH + H2O HalOH + RH RHal + H2O NH N H 2O H H + OH H 2O O OH O V HO CH2 O CH N V O + H O + H2O2 V O O H2O - O V Br O O H HOBr NH Abbildung 18. Aktives Zentrum der vanadatabhängigen Haloperoxidasen (links), und Mechanismus der Bildung von Unterbromiger Säure aus Bromid, H2O2 und H+. Cu,Zn-Superoxiddismutase enthält neben dem katalytisch aktiven Kupferzentrum ein strukturelles Zinkzentrum; Abb. 19. Das Enzym katalysiert die Disproportionierung (engl.: dismutation) von Hyperoxid (engl.: superoxide) zu Wasserstoffperoxid und Sauerstoff. Wasserstoffperoxid wird von Katalysen zu Wasser und Sauerstoff abgebaut. 26 (Arg) +NH2 H H O (His)N II N(His) Cu (His)N N(His) N - N Zn N(His) O(Asp) Abbildung 19. Aktives Zentrum der Cu,ZnSuperoxiddismutase Summenreaktion: 2O2- + 2H+ H2O2 + O2 Reaktionsfolge: (1) CuII(H2O) + O2- CuII(O2-) + H2O (Austausch Wasser gegen Hyperoxid) (2) CuII(O2-) + O2- CuI(O2-) + O2 (Oxidation externen Hyperoxids durch Cu2+) (3) CuI(O2-) + H+ CuII(HO2-) (Bildung von Hydroperoxid am Cu-Zentrum) (4) CuII(HO2-) + H+ + H2O CuII(H2O) + H2O2 (Abspaltung von Wasserstoffperoxid) 6. Die Biochemie des Zinks Mit 2.5 g/70 kg Körpergewicht ist Zink das zweithäufigste Übergangsmetall mit biologischer Bedeutung. Anders als etwa Eisen, Kupfer, Mangan und Molybdän ist Zink nicht redoxaktiv (Valenzelektronenkonfiguration 3d10). Zn2+ übernimmt in den Zinkproteinen entweder eine katalytische oder strukturelle Funktion; s. die Klassifizierung weiter unten. Der tägliche Bedarf an Zink liegt bei 3-25 mg; dieser Bedarf wird, da Zink ubiquitär ist, durch die Nahrung gedeckt. Zinkmangel-Erkrankungen (Wachstumsstörungen, Arthritis-ähnliche Erscheinungen, Immunversagen, Geschmacksbeeinträchtigung) treten daher für gewöhnlich nur bei Resorptionsstörungen auf. Den Transport von Zn2+ im Blut übernehmen Albumin und Transferrin, die Speicherung Thioneine (s.u.). Exkurs: Anorganische Chemie des Zinks Wichtige Vorkommen: ZnS (Zinkblende, Wurtzit, Sphalerit), ZnCO3 (Zinkspat, Galmei). Die Erdhülle (Erdkruste (17 km) + Hydro- + Atmosphäre) enthält 0.007 Gew.-% Zn. Darstellung durch Rösten von ZnS ( ZnO + SO2) und Reduktion des ZnO mit Kohle, oder durch elektrolytische Reduktion von Zinksulfatlösungen. Verwendung z.B. zum Verzinken, in Legierungen, in der Taschenlampenbatterie (Leclanché-Element). Das Redoxpotenzial beträgt E0 = -0.763 V, d.h. Zn wird von H+ oxidiert. An der Luft ist Zink jedoch infolge Passivierung [Bildung dichter Überzüge aus ZnO, Zn(OH)2, Zn(OH)(HCO3)] beständig. In wässrigem Medium liegt Zn in Form der Brønstedtsäure [Zn(H2O)6]2+ vor; Zn2+ ist eine Lewissäure (u.a. hierauf beruht seine enzymatische Funktion). Zinkhydroxid ist amphoter: Zn(OH)2 + 2H+ Zn2+ + 2H2O; Zn(OH)2 + 2OH- [Zn(OH)4]2-. Mit Halogenalkanen RX bildet Zn die den Grignardreagenzien verwandten zinkorganischen Verbindungen RZnX, die durch Erwärmen in ZnX2 und ZnR2 übergehen. RZnX und ZnR2 sind Alkylierungsmittel. Zn2+ bildet Komplexe u.a. der Koordinationszahl 4 ([Zn(SR)4]2-, tetraedrisch; [Zn(Gly)2], quadratisch planar), 5 ([Zn(acac)2H2O] (acac = acetylacetonat(1-), quadratisch-pyramidal) und 6. 27 Zinkhaltige (ZnO, Zn(OH)2, Zn-Lactat) Salben wurden bereits im Mittelalter – und werden bis heute – als Wundsalben verwendet. Die Essentialität von Zn wurde 1869 von Raulin entdeckt (Hemmung des Wachstums von Asparagillus niger bei Zn-Mangel). 1940 wurde die Carboanhydrase als erstes Zn-Enzym von Keilin und Mann entdeckt, 1954 folgte die Carboxipeptidase, 1985 die Etablierung der Rolle des Zn in der genetischen Transkription, und um 1995 die Entdeckung von Zn im Ada Repair-Protein. Klassifizierung von Zinkproteinen nach Funktion: 1. Enzymatisch: - Ligasen und Syntheasen (C-C-Verknüpfung, z.B. Aldolasen) - Hydrolasen: Hier ist Zn2+ von drei Aminosäureseitenresten (His, Cys und/oder Asp) aus der Proteinmatrix sowie von einem Wasser (in der inaktiven „resting“ Form) bzw. einer Hydroxylgruppe (in der aktiven Form) koordiniert. + O O + H2O R-C H R-C Z-R' + HZ-R' OH z.B. Z = O: Esterasen Z = NH: Peptidasen Z = Phosphat: Phosphatasen saure Hilfsgruppe H 2+ Zn O Protein nukleophiler Angriff - Andere: Carboanhydrase (CO2 + OH HCO3 ; s. Kap. 3) Alkoholdehydrogenase (RCH2OH RCHO + 2H+ + 2e-; s.u.) elektrophiler Angriff Strukturell: - Stabilisierung der Tertiärstruktur (von Proteindomänen) in Enzymen (z.B. Cu,Zn-Superoxiddismutase, Alkoholdehydrogenase, Cytochrom-c-Oxidase). Zn2+ ist von vier Aminosäureseitenresten der Proteinmatrix tetraedrisch koordiniert. Stabilisierung von Quartärstrukturen, z.B. der hexameren Speicherform des Peptidhormons Insulin: die monomeren Einheiten werden von drei [Zn(His)3(H2O)3]2+ verknüpft. Zinkfinger sind Bestandteile von Transkriptionsfaktoren. Koordination typischerweise [Zn(Cys)2(His)2]. Ada Repair-Protein: Repariert (entmethyliert) methylierte Phosphatlinker in der DNA durch Übertragung der Methylgruppe auf den Cysteinat-S. Thioneine: Speicherung von Zn2+/Speicherung von Cystein; Entgiftung von Cd2+ u.a.; Koordination: [Zn(Cys)4]2- O Base O O P O O CH3 O Base S S Zn S S Funktionsbeispiele für Enzyme (zur Carboanhydrase s. Kap. 3 ) Carboxypeptidase A (aus Rinderpankreas), ein Enzym der Molmasse 36.4 D, ist eine vom Cterminalen Ende her Proteine abbauende Exopeptidase. Das Substrat (Peptid) wird durch 28 Koordination über den Carbonylsauerstoff der Peptidbindung an das Zn2+ aktiviert. Zum Ablauf der enzymatischen Hydrolyse s. Abb. 20. O C O (Glu) O H H HO C O O (Tyr) (Glu) R H C N r O H N Zn r N N (His) (His) O O C (Glu) HO (Tyr) H H O Zn N (His) O R O C + N (His) C O (Glu) O H C O (Glu) R = Restprotein r = CH R' CO2H + H2O O (Tyr) R OH H H C N r O Zn R C OH + H N O N O (His) O H C r N (His) (Glu) Abbildung 20. Funktionsablauf der enzymatische Peptidhydrolyse durch Carboxypeptidase. Alkoholdehydrogenase ist ein Homodimer der Molmasse 80 kD, das die folgende Reaktion katalysiert: RCH2OH + NAD+ RCHO + NADH2 Der Cofaktor NAD ist in der Nähe des aktiven Zentrums in das Protein über H-Brücken eingebunden. Je Untereinheit gibt es ein katalytisches Zinkzentrum (Cys, H2O, zweimal His) und ein strukturelles Zink-Zentrum (viermal Cys). Der Mechanismus der Alkoholdehydrogenierung ist in Abb. 21 skizziert: Der Alkohol wird an das Zinkzentrum gebunden und durch die benachbarte OH-Gruppe deprotoniert. Der Alkoxoligand überträgt sodann ein Hydridion auf den Cofaktor NAD+, und das Carbokation stabilisiert sich durch Abspaltung als Aldehyd. H H H O O O Zn S + HOCH2R O Zn N S CH2R CH2R Zn S N S + NAD S - H2O + + NAD H NAD H O + -H N S CHR O Zn S N S + H2O Zn S S + NAD + - - RCHO, H + 2e NADH N 29 Abbildung 21. Funktionsablauf der enzymatischen Oxidation primärer Alkohole durch Alkoholdehydrogenase. Zink in der genetischen Transkription (Zinkfinger) Zellkern DNA Ribosom RNA-Synthease t-RNA m-RNA Proteinsynthese Transkriptionsfaktor Transkription Translatation Die Transkription der in der DNA enthaltenen genetischen Informationen in eine Proteinstruktur erfolgt im ersten Schritt derart, dass an der DNA eine Messenger-RNA synthetisiert wird, und zwar unter Mitwirkung einer RNA-Polymerase. Zur Erkennung des Bindungsortes für dieses Enzym bedarf es der Transskriptionsfaktoren. Diese Proteine mit „Lotsenfunktion", die an X spezifischen Basenkombinationen der DNA andocken F und ihrerseits die Anbindung der RNA-Polymerase vermitteln, sind u.a. die Zinkfinger, so genannt, weil durch Y Zn2+-Ionen (typischerweise tetraedrisch an zwei Cys und zwei His koordiniert) fingerartige Proteinschlaufen mit C L spezifischen Aminosäureabfolgen stabilisiert werden, die C H dann in die große Furche der DNA binden. NebensteZn hend ist ein solcher Zinkfingern schematisch dargestellt. Z F H C = Cys(1-), H = His, F = Phe, Y = Tyr, L = Leu, Z = Glx (Glu, Glu(1-) oder Gln). Thioneine Thioneine sind kleine Proteine (ca. 6000 D; 61 Aminosäuren) mit einem hohen Anteil an Cystein (ca. 1/3) und Serin. Aromatische Aminosäuren fehlen ganz. Die Thioneine können bis zu sieben Zn2+ oder andere Metallionen aufnehmen und dienen wahrscheinlich als Zinkund/oder Cystein-Speicherproteine. Sie werden vom Organismus weiterhin zur vorübergehenden Detoxifizierung von Schwermetallionen wie Cd2+ und Hg2+ eingesetzt. Abb. 22 skizziert die Metallbindungsdomänen. S S S S S OOC S S S NH3 S S S S S S S S S S S S S S 30 Abbildung 22. Struktur eines (M2+)7-Thioneins. Die Metallzentren sind durch schraffierte Kreise dargestellt, die ausgezogen geschlängelte Linie markiert das „Rückrat“ des Proteins, der Pfeil die Position, an der die beiden Domänen (sesselförmiger Sechsring bzw. adamantanoide Anordnung) enzymatisch voneinander getrennt werden können. 7. Cadmium und Quecksilber Die beiden höheren Homologen des Zinks, Cadmium und Quecksilber, sind entgegen dem Zink toxisch. Die Toxizität von Cd2+ beruht dabei einerseits darauf, dass es wegen seiner höheren Affinität zu Cysteinat Zn2+ aus dessen Enzymen verdrängt. Da Cd2+ wegen seines größeren Ionenradius (s. Tabelle) eine deutlich geringere Lewis-Azidität hat als Zn2+ führt dies zu einer Deaktivierung der Enzyme. [Es gibt allerdings auch – in der Kieselalge Thalassiosira weissflogii – eine spezielle Cd-Carboanhydrase der Molmasse 43 kD]. Die Vergleichbarkeit der Ionenradien von Cd2+ und Ca2+ macht Cd2+ auch zu einem Antagonisten von Ca2+. So kann Cd2+ anstelle des Ca2+ in den Hydroxylapatit der Knochen eingebaut werden, was zu Osteoporose-ähnlichen Erscheinungen führt (Itai-Itai-Krankheit). Gegenüberstellung einiger Daten für Cd2+, Zn2+ und Ca2+ Elektronegativität Ionenradius (Koord.Zahl 6) / pm 2+ Cd 1.5 95 Zn2+ 1.7 73 2+ Ca 1.0 100 Schließlich hat Cd2+ auch eine hohe Affinität zu den Phospholipiden der Zellmembranen; durch Koordination von Cd2+ wird deren Funktionen beeinträchtigt (s. rechts). Die Entgiftung erfolgt durch Phytochelatine (-Glu-Cys)n-Gly, durch Thioneine (s. o.), oder durch Glutathion -Glu-Cys-Gly (s. u.). Die Entgiftung durch Thioneine ist allerdings nur vorübergehender Natur, da Cd nach ca. 2 Wochen in der Nierenrinde deponiert wird ( chronische Vergiftung durch Nierenversagen). Die biologische Halbwertszeit wird auf 10-30 Jahre geschätzt. O O H2N CH CH2 C NH CH C NH CH2 CO2H CO2H Normalpotenzial / V -0.40 -0.76 -2.87 H2C O C O R O HC O C R H2C O P O (H2O)nCd O O CH2 O C CH O NH2 CH2 SH Während der anthropogene Eintrag von Cd in die Atmosphäre und Aquasphäre den natürlichen Eintrag (Vulkanismus, Verwitterung, mikrobilelle Aktivität um das Zwanzigfache übertrifft, halten sich bei Hg natürlicher und anthropogener Eintrag in etwa die Waage. Der anthropogene Eintrag wird durch den natürlichen "maskiert", sodass es keine nennenswerte globale Kontamination durch Hg gibt. Quecksilber wird heute vor allem im Rahmen der Chloralkalielektrolyse nach dem Amalgamverfahren, von Müllverbrennungsanlagen (HgBatterien) und Krematorien (Amalgamplomben) emittiert. Diese Emissionen können zu erheblichen lokalen Belastungen führen. Die Emissionen sind aber wegen sich ständig verbessernder Rückhaltemethoden, der verstärkten Rezyklierung von Hg und nachlassenden Einsatzes von Hg rückläufig. 31 Quecksilber und Quecksilberverbindungen sind sehr toxisch, organische Hg-Verbindungen auch teratogen. Erinnert sei an die Unglücksfälle an der Minamata-Bucht [Japan, 1953-56: Vergiftung durch Quecksilberverbindungen industriellen Ursprungs (papierverarbeitende Industrie), die sich über die Nahrungskette in Fischen angereichert hatten; "Minamatagift" MeHgSH] und im Irak (1971-72: Vergiftung mit Saatgut, das mit Ethylquecksilber-p-tolylsulfanilid gebeizt worden war). Besonders toxisch ist wegen seiner Lipo- und Hydrophilie das "Methylquecksilber MeHg+" (eigentlich MeHgCl). Wegen des hohen Dampfdruckes aller Hg-Verbindungen, aber auch des Hg selbst (1 m3 Luft vermag bei 20 °C 14 mg Hg-Dampf aufzunehmen), sind Hg und seine Verbindungen Atemgifte. Selbst Zinnober (HgS) steht noch mit 10 ng Hg pro m3 Luft im Gleichgewicht. Exkurs: Cadmium Cadmium ist ständiger Begleiter von Zink (z.B. enthält die Zinkblende 0.1-0.5% Cd). Geringe Mengen finden sich ferner im Schiefer, in der Steinkohle, in Sedimenten marinen Ursprungs und in Phosphormineralien (Phosphorit). Durch letztere kommt Cd auch in die Düngemittel. Verwendet wird Cd in Akkus, als Korrosionsschutz für Eisen, in gelben bis roten Cd-Pigmenten und Cd-Seifen (Weichmachern), sowie in Regelstäben in den AKWs. Küstennahes Meerwasser enthält bis zu 30 µg/l Cd. Angereichert wird Cd durch Meeresalgen, Muscheln, Tintenfische und Fische, Pilze und Blattgemüse wie Spinat. Andere Gemüse (z.B. Kartoffeln, Karotten, Weizen) und Gras reichern Cd nur dann an, wenn sie auf Cd-belasteten Böden wachsen. Die Belastung wird durch Phosphatdünger und Düngen mit Schlamm aus Flusssedimenten eingebracht, in Industrieregionen auch durch Immission. Laut WHO ist die Aufnahme von 70 µg Cd pro Tag tolerierbar. Über nicht-belastete Nahrung werden ca. 35 µg per diem aufgenommen; Raucher inhalieren noch einmal etwa die selbe Menge. Akute Vergiftungssymptome treten ab 15 mg bei einmaliger Aufnahme auf; ca. 500 mg sind tödlich. Der MAK-Wert liegt in Deutschland bei 0.1 mg/m3 Atemluft, der BAT-Wert für Urin bei 15 µg/l, für Blut bei 1.5 µg/l. [MAK = maximale Arbeitsplatz-Konzentartion; BAT = Biologische Arbeitsstoff-Toleranz]. Cd ist kanzerogen (A2), mutagen (C2) und teratogen. Exkurs: Quecksilber Hg kommt in der Natur hauptsächlich gediegen und als Zinnober (HgS) vor. Metallisches Quecksilber ist „edel“, d.h. es verändert sich an der Luft nicht und wurde früher vor allem zur Füllung von Thermometern, Barometern und dergl. verwendet. Weitere Verwendungsbereiche: Batterien; Zahntechnik (Amalgamplomben), Chloralkalielektrolyse. Die MAK-Werte liegen bei 0.1 (Hg und HgCl2) bzw. 0.01 (MeHgCl) mg/m3, BAT-Werte bei 50 (Hg in Blut), 200 (HgCl2 in Harn) und 100 (MeHg+) µg/l. der LD50-Wert (Ratte, oral) beträgt 57 mg/kg [LD50: letale Dosis für 50% der Versuchstiere]. Paracelsus verwendete Hg-haltige Präparate gegen Hautkrankheiten, Syphilis und Entzündungen im Augenbereich. Hg-Verbindungen wurden lange zur Desinfektion eingesetzt (Sublimat = HgCl2; Mercurochrom). Anders als seine höheren Homologen Cd und Zn bildet Hg neben zwei- auch einwertige Verbindungen, z.B. Kalomel = Hg2Cl2. 32 Quecksilber und seine Verbindungen unterliegen einer umfangreichen Speziation in der Atmo-, Aqua- und Siderosphäre, die teils abiotisch (chemisch und photochemisch), teils biotisch (z. B. Methylierung von Hg) abläuft. Einige wichtige wechselseitige Umwandlungen sind in Abb. 23 zusammengefasst. Die Methylierung anorganischer Hg-Verbindungen (in der Regel HgCl2) erfolgt durch Methylcobalamin. C2H6 2e- Hg Licht Hg 2+Reduktase MeI + Licht Hg(SMe)2 MeS HgMe2 MeHgI - Methylierung Cl- SuCH3 + Hg(SMe)+ MeHgCl Methylierung HgCl2 H 2S Lyase Su MeHg(SMe) Atmosphäre Methylierung 2x MeHgSH 2x Hydrosphäre sulfidoxidierende Bakterien HgS + HgMe2 + H2S H2S + (MeHg)2S Acetat + Licht Siderosphäre MeHg+ Abbildung 23. Speziation von Quecksilber. Anthropogene Hg-Einträge sind eingerahmt, mikrobielle Vorgänge in rot gekennzeichnet. Su ist ein Substrat. 8. Stickstofffixierung Hierunter versteht man die biogene und nicht-biogene Überführung von Luftstickstoff in Stickstoffverbindungen, wozu es der Überwindung der Bindungsenergie (949 kJ/mol) bedarf. Die biogene Fixierung durch stickstofffixierende Bakterien (freilebend: Azotobacter; Cyanobakterien; in Symbiose mit Schmetterlingsblütlern als „Knöllchenbakterien“ in deren Wurzelbereich: Rhizobium) führt zum Ammoniumion, die nicht-biogene (aus Luft unter dem Einfluss elektrischer Entladungen in der Troposphäre und der Höhenstrahlung in der Stratosphäre [N2 2N; N + O2 NO + O]) über Stickstoffoxide NOx zu Nitrat. Vergl. hierzu den Stickstoffkreislauf Abb. 24. Eine wichtige Rolle spielt auch die anthropogene Stickstofffixierung: industriell nach dem Haber-Bosch-Verfahren (s. u.), sowie – umweltrelevant – als Nebenprodukt bei der Mitverbrennung stickstoffhaltiger Bestandteile fossiler „Brennstoffe“ (Erdgas, Kohle, Öl, sowie daraus durch Raffination gewonnener Produkte wie Diesel und Benzin). Vergleich Haber-Bosch-Verfahren // biogene Stickstofffixierung: Haber-Bosch biogen N2 + 3H2 2NH3 N2 + 10H+ + 8e- 2NH4+ + H2 ( je e- gekoppelt mit: 2 ATP + 2H2O 2ADP + 2Pi) Temperatur: 500 °C Temperatur: um 20 °C 33 Druck: 200 bar Druck: 1 bar Katalysator: Fe (+ Al2O3 + K2O + …) Kat.: Nitrogenase (Fe/Mo- oder Fe/V-S-Cluster) Ausbeute: 17% Ausbeute: 75% Jahresproduktion ca. 109 t Jahresproduktion ca. 108 t Exkurs: Stickstoff Vorkommen: Atmosphäre (als N2, 78.1 Vol-%; 4·1015 t); Hydrosphäre (als N2 gelöst im Wasser; 1012 t); mineralisch (Salpeter NaNO3) und in Gesteine (2·1017 t); organisch gebunden in Bodenorganismen (3·1011 t) und Pflanzen und Tieren (1010 t). Die N-Atome im N2 sind durch eine Dreifachbindung miteinander verknüpft; die Bindungsenergie beträgt 945 kJ/mol N2 ist reaktionsträge. Wasserstoffverbindungen: NH3 (Ammoniak; Herstellung aus H2 und N2 nach dem Haber-Boschverfahren) und Ammoniumionen (NH4+), N2H4 (Hydrazin), HN3 (Stickstoffwasserstoffsäure; deren Salze sind die Azide, z.B NaN3, gebräuchlich als Fungizid und Bakterizid in Bioessays). Nitride, z.B. Na3N, leiten sich formal vom Ammoniak her. Sauerstoffverbindungen: N2O (Distickstoffmonoxid, Lachgas), NO (Stickstoffmonoxid; Herstellung durch Ammoniakverbrennung nach dem Ostwald-Verfahren), NO2 (Stickstoffdioxid, steht im Gleichgewicht mit N2O4. NO2 bildet mit Wasser Salpetrige Säure HNO2 + Salpetersäure HNO3), N2O5 (Distickstoffpentoxid). Die sich von der Salpetersäure herleitenden Salze heißen Nitrate, die der Salpetrigen Säure Nitrite. Verwendung: Düngemittel (Ammoniumverbindungen, Nitrate), Sprengstoffe (Nitrate; Schwarzpulver ist eine Mischung aus Salpeter, Aktivkohle und Schwefelblume). HNO3 auch als Nitriermittel in der organischen Chemie. Organische Stickstoffverbindungen: Amine (NH2R, R = Phenyl: Anilin; NHR2; NR3), StickstoffHeterocyclen (Auswahl, s.u.), Säureamide (1a) und Peptide (1b), Hydroxamsäuren (2), Aminosäuren (3), Nitroverbindungen (4), Nitrosamine (5), Diazoverbindungen (6). NH2 NH N NH N Pyridin Piperidin Jahresproduktion ca. 109 t NH2 O CH2 C R NH NH NH Adenin Pyrrol Imidazol H2N CH CO2H bzw. H3N R (1b) NH CH R' R R N N OH (4) (5) H R CH CO2 R (3) NO R NO2 (2) R N Jahresproduktion ca. 108 t CH C CH2 C (1a) N O O R N N N R' (6) Weitere Stickstoffverbindungen: Cyanid CN-, Cyanat NCO- und Thiocyanat NCS- (können als Stoffwechselprodukte auftreten und an Metallionen komplexieren). Insbesondere Cyanid ist toxisch: Blockierung der Cytochrome. Die Amide der Kohlensäure H2CO3: Carbamate, z.B. NH4+(CO2NH2)- = Hirschhornsalz, und Harnstoff O=C(NH2)2. 34 N2O Fixierung N2 NO Denitrifizierung Fixierung NH4 + Nitrifizierung - NO3 Ammonifizierung NO2 - Assimilation {N-C} Abbau Abbildung 24: Der Stickstoffkreislauf. Biogene Prozesse sind rot gekennzeichnet. Zur Reduktion von Nitrat zu Nitrit mittels der Nitratreduktase s. Abschnitt 5. Die Organisation der Nitrogenase ist in Abb. 25 gezeigt. Die zur Reduktion des Stickstoffs erforderlichen Elektronen werden vom Eisenprotein, das als Cofaktor ein 4Fe4SFerredoxin enthält, in das Eisen-Molybdän- (bzw. Eisen-Vanadium-)Protein überführt und dort zunächst vom P-Cluster (ein Doppelcuban mit einem Fe8S7-Kern) aufgenommen und sodann in den M-Cluster überführt, in dem die eigentliche Reduktion erfolgt. M -Cluster - S (Cys)S Fe S Fe Fe S Fe CH2CO2 Gln S Fe S S N Fe S O C Mo O-C - CH2CH2CO2 O N(His) Fe S S Abbildung 25. Aufbau der Nitrogenase (oben) und Struktur des M-Clusters. des EisenMolybdän-Proteins. Der zweizähnige Ligand am Molybdän ist Homocitrat. 9. Stickstoffmonoxid N O O NO entsteht unter troposphärischen Bedingungen bei elektrischen Entladungen, unter stratosphärischen Bedingungen unter dem Einfluss harter UV- und kosmischer Strahlung, und wird leicht weiteroxidiert zu NO2: N2 2 N; N + O2 NO + O 2NO + O2 2NO2 Mit der Luftfeuchtigkeit und weiterem Sauerstoff wird Salpetersäure gebildet (Beitrag zum „Sauren Regen“): 2NO2 + H2O + ½O2 2HNO3 N 35 Industriell wird NO durch Ammoniakverbrennung am Platinkontakt erzeugt und zu Salpetersäure weiterverarbeitet (Ostwaldverfahren): 2NH3 + 2½O2 2NO + 3H2O NO ist, neben unverbrannten Kohlenwasserstoffen, Wasser und CO2 auch Bestandteil der Auspuffgase des Kfz-Verkehrs sowie industrieller Abgase und der Abgase des Hausbrandes. Unter Sonneneinstrahlung zerfällt NO2 in NO und Sauerstoffatome, die Kohlenwasserstoffe letztlich zu Alkylperoxiden oxidieren, und mit molekularem Sauerstoff Ozon bilden (Sommersmog): NO2 + h NO· + O O + O2 O3 O + C2H6 + NO2· C2H5O2· + NO· In der Stratosphäre katalysiert NO den Ozonabbau: NO + O3 NO2 + O2 NO2 + O NO + O2 __________________ O3 + O 2 O2 (ohne Katalysator kinetisch gehemmt) (s. auch „Exkurs Sauerstoff in Kap. 3) Im Organismus spielt NO als weitverbreiteter und multifunktioneller Botenstoff und Neurotransmitter eine wichtige Rolle. Metallzentren in Metallaproteinen (insbesondere vom HämTyp) und cGMPase sind die Zielobjekte für NO. Synthetisiert wird NO durch Oxidation einer NH2-Gruppe des Arginins unter Mitwirkung einer NO-Synthase (NOS) über Hydroxyarginin zu Citrullin. Man kennt drei unterschiedliche NOS: nNOS (in den Neuronen; beteiligt an der Signalübertragung und Gedächtnisfunktion), iNOS (in den Macrophagen; induziert die Bildung von NO bei Infektionen und ist damit an der Funktion des Immunsystems beteiligt) und eNOS (in den Endothel-Zellen der Blutgefäße; steuert den Muskeltonus der Gefäßmuskulatur und damit den Blutdruck). Die relaxierende Wirkung von NO auf die Gefäßmuskulatur wird auch bei der Medikation akuten Bluthochdrucks und von Angina pectoris mit NO-freisetzenden Agentien genutzt: Amylnitrit (C5H11NO2); Nitroglycerin (Glycerintrinitrat); Nitroprussidnatrium (NaPentacyanonitrosylferrat Na2[Fe(NO)(CN)5]). NO wird auch von den Glühwürmchen (Johanniskäfern) zum „Anknipsen“ ihrer Leuchtorgane genutzt. Der Leuchtvorgang ist zurückzuführen auf die Oxidation von Luciferyl-AMP über dessen Peroxid zum Oxiluciferin. Dieser – Sauerstoff-verbrauchende – Vorgang läuft ab, wenn der konkurrierende Sauerstoffverbrauch durch die Mitochondien durch NO-Freisetzung blockiert wird. Vergl. Abb. 26. 36 Größere Mengen von NO sind toxisch, da NO die Eisen- und Kupferzentren eisen- und kupferhaltiger Enzyme durch Bildung von Nitrosylkomplexen blockiert. Hämoglobin bindet NO etwa 3·105-mal effektiver als O2; NO wird dabei als NO- (Nitrosylanion; isoelektronisch mit O2) wie O2 end-on gewinkelt gebunden. NO COOH HO S N N Luciferin S ATP(Mg2+) (Luciferase) Luciferyl-AMP O HO P O O O P O OH O2 HO S N N S OOH O C OPO3H HO HOAMP + CO2 + Licht O S N S N Oxiluceferin Abbildung 26. NO induzierter Leuchtvorgang in Glühwürmchen. 10. Die Rolle der Alkali- und Erdalkalimetallionen Physiologisch relevant sind die Alkalimetallionen Na+ und K+, sowie die Erdalkalimetallionen Mg2+ und Ca2+. Li+ ist von therapeutischem Interesse (z.B. bei der Behandlung manisch-depressiv Kranker; s. Kap. 1). Das Übergangsmetallion Mn2+ weist Ähnlichkeiten mit Ca2+ und Mg2+ auf. Gehalte im Menschen (bezogen auf 70 kg): Na 105, K 140, Mg 35, Ca 1050 g Täglicher Bedarf: Na 1.1-3.3, K 2.0-5.0, Mg 0.3.0.4, Ca 0.8-1.2 g. Mit Ausnahme von Mg2+ weisen die Kationen starke Unterschiede hinsichtlich ihrer intra- und extrazellulären Konzentrationen auf. In der folgenden Tabelle sind die Konzentrationen, auch im Vergleich zu denen im Meerwasser („der Wiege des Lebens“) und zu den wichtigsten Anion-Konzentationen zusammengestellt. Der Erhaltung dieser Konzentrationsunterschiede und damit der spezifischen Aufgaben der unterschiedlichen Kationen kommt große Bedeutung zu. Ionen-Konzentrationen (mM) intrazellulär und extrazellulär (am Beispiel der roten Blutkörperchen) sowie im Meerwasser; in mM K+ Na+ Ca2+ Mg2+ ClHCO3HPO42Intrazellulär 92 11 0.1 2.5 155 190 in Erythrocyten Blutplasma 5 152 2.5 1.5 130 195 30 Meerwasser 10 500 10 50 500 variabel 0.002 SO42- 29 37 Intracellulär Mittelwert Extrazellulär Mittelwert 155 10 0.001 15 8 10 65 0.5 4 142 2.5 0.9 120 27 1 10 Funktionsübersicht (Auswahl): - Stützfunktion (Endo- und Exoskelette, Zähne): Ca (und Mg) - Informationstransfer durch Bewegung in einem Konzentrations- oder Potenzialgradienten: alle Ionen - Regulation des osmotischen Druckes und von Membranpotenzialen: Na, K - Enzymaktivierung (durch Koordination): Ca (und Mg und K) - Chlorophyll: Mg - Phosphat und anaerober Energiemetabolismus: Mg - Stabilisierung von Zellmembranen durch Ausbildung von Cross-links zwischen Proteinen und Polysaccchariden: Mg (und Ca) Für die physiologischen Funktionen spielen die Ladungsdichten (LD = Ionenradius/Ionenladung) der Kationen eine Rolle: Li+ Na+ K+ Mg2+ Ca2+ r/Å* 0.76 1.02 1.38 0.72 1.00 LD 0.76 1.02 1.38 0.36 0.50 * für die Koordinationszahl 6 Mn2+ 0.83 0.42 Je höher die Ladungsdichte, um so höher die Befähigung, andere Moleküle zu polarisieren. Es fällt auf, dass die Ladungsdichte von Mg2+ besonders hoch ist; Mg2+ bildet im Unterschied zum Ca2+ und den Alkalimetallionen, aber in Übereinstimmung mit vielen Übergangsmetallionen, stabile Komplexe auch mit N-funktionellen Liganden; vergl. Chlorophyll. Die Alkali- und Erdalkalimetallionen sind im Übrigen eher mobil; ihre Komplexe haben in der Regel kleine Stabilitätskonstanten (große Dissoziationskonstanten). Ohne Anwesenheit zusätzlicher Liganden liegen die Ionen hydratisiert vor. Die Geschwindigkeitskonstanten für den Austausch hydratisierten Wassers mit Umgebungswasser, also für den Vorgang [M(H2O)x]n+ („Mn+·aq“) Mn+ + xH2O liegen für Na+, K+ und Ca2+ im Bereich 10-10-10-7 s-1, für Mg zwischen 10-7 und 10-5 s-1; Mg2+Komplexe sind damit nicht nur thermodynamisch sondern auch kinetisch stabiler als die der anderen Ionen. Magnesium übernimmt u.a. im Phosphat- (und damit auch im Energie-)Metabolismus eine essentielle Rolle, indem es durch Bindung an Diphosphat oder Phosphat + Carboxylat/Alkoholat die erforderlichen Aktivierungsschritte ermöglicht. Beispiele sind Kinasen, ATPasen, Phosphatasen, Isomerasen, Enolasen, Proteinsyntheasen und -Polymerasen; s. das folgende Beispiel sowie die ATPase weiter unten: O HO O P O O P O O O P O O Adenosyl Mg2+ ATP hydrolysegeschützt (Mg2+ koordiniert an P und P) O HO P O O O O P O P O O O Mg2+ Adenosyl ATP hydrolyseanfällig (Mg2+ koordiniert an P und P) H2O O HO O P O P O O O Mg2+ ADP Adenosyl O + HO P O OH P i Die Komplexbildungskonstanten der MgATP/ADP-Komplexe (Mg2+ + ATP3- [MgATP]-) liegen bei 104 M-1 (die Dissoziationskonstanten entsprechend bei 0.1 mM). Die 38 Koordinationssphäre des Mg2+ ist zusätzlich von Wasser besetzt. Die freie Reaktionsenthalpie für die ATP-Hydrolyse liegt bei G = -35 kJ/mol. Die Phosphatgruppe kann z.B. auf Zucker übertragen werden (katalysiert durch eine Hexosephosphatase), in Zellen mit hohem ATPUmsatz auch auf Creatin; Phosphocreatin dient seinerseits als Phosphatspeicher für die rasche Regenerierung von ATP. Der tägliche Umsatz an ATP entspricht im Ruhezustand etwa dem halben Körpergewicht. - H2C CO2 H3C N (Creatinkinase) NH2 + MgATP - NH2 H2C CO2 O P O N N H3C OH H NH2 + MgADP Creatin Phosphocreatin Mg vermitteln auch die Hydrolyse von Phosphoesterbindungen durch Phosphatasen, wobei ein trigonal-bipyramidaler Übergangszustand durchlaufen wird: 2+ R R O O O P O (H2O)nMg2+ OH O R' O (H2O)nMg2+ P O OH O Übergangszustand R' (trigonal-bipyramidal) HO (H2O)nMg2+ O P O R + H O R OH O R' Exkurs: Gibbs-Helmholtz-Gleichung Sie verknüpft die Reaktionsenthalpie (H) mit der Freien Reaktionsenthalpie (G, Nutzarbeit), der Reaktionsentropie (S) und der Temperatur T: G = H – TS Hiernach wird ein Teil der Reaktionsenthalpie für eine Entropieänderung umgesetzt. Im Gesamtsystem erfolgt stets eine Zunahme der Entropie (+S); in Teilsystemen kann die Entropie auch abnehmen (-S). Nur für negative G kann eine Reaktion freiwillig ablaufen. Beispiel: H2 + ½ O2 H2O: H = -286 kJ/mol, TS = -49 kJ/mol (bei 298 K); G = -239 kJ/mol Natrium und Kalium Zur Aufrechterhaltung der intra- und extrazellulären Konzentrationen an Na+ und K+ sind Transportvorgänge über die Zellmembran erforderlich (vergl. Abb. 32). Ein solcher Transport kann passiv (d.h. durch Diffusion) erfolgen, oder aktiv, d.h. mittels einer Na,KPumpe. Da die Zellmem-bran – eine lipophile Doppelschicht aus Phospholipiden – für die hydrophilen, hydratisierten Natrium- und Kaliumionen nicht ohne Weiteres durchlässig ist, müssen Transportmediatoren (Ionophore; s.u.) eingesetzt werden. Alternativ – und rascher – kann der Transport auch durch Ionenkanäle in der Membran erfolgen. Solche Ionenkanäle sind Gruppierungen von Transmembranproteinen mit nach innen weisenden sauren (Carboxylat-) Gruppen. Die Na+/K+-spezifische Pumpe ist eine ATPase, im Folgenden mit E (für Enzym) abgekürzt, die durch Phosphorylierung die Energie liefert, Na+ gegen ein Konzentrationsgefälle – also aktiv – aus der Zelle heraus und K+ in die Zelle hineintransportiert. E besteht aus zwei Glycoproteiden der Molmassen 131 bzw. 62 kD, von denen die größere Untereinheit das eigentliche Transportprotein ist. Im Verlaufe der mit dem 39 Ionentransport gekoppelten Phosphorylierung wechselt es zwischen den Konformationen E1 (Na+-sensitiv) und E2 (K+-sensitiv). Pro hydrolysiertem MgATP werden 2 K+ ein- und 3 Na+ ausgeschleust: MgATP- + 3Na+in + 2K+ex MgADP + Pi- + 3Na+ex + 2K+in Das dadurch entstehende elektrische Ungleichgewicht wird z. Tl. durch eine Na+,Ca2+ATPase, zum Teil durch passiven Transport ausgeglichen. Im Einzelnen laufen die durch die Na,K-ATPase katalysierten Vorgänge wie in Abb. 27 dargestellt ab. Das Durchschleusen der Alkalimetallionen bei gleichzeitiger Änderung der Konformation des Enzyms kann man sich anschaulich wie in Abb. 28 dargelegt vorstellen. Zur Phosphorylierung der ATPase s. Abb. 29. MgATP + 3Na + 2K E1(Na, Mg, ATP) E1(K) ADP E1(Na) Mg2+ ,Pi E1(Na, Mg, P) E i n n e n a u ß e n E2(K) E2(K, Mg, P) E2(Na, Mg, P) E2(Mg, P) + 3Na + 2K Abbildung 27. Wirkungsweise der Na,K-Pumpe (Na,Kabhängigen ATPase), E. Einzelvorgänge (vergl. Abb. 27): (1) Aufnahme von intrazellulärem Na+, Mg2+ und ATP durch E1; (2) Phosphorylierung des Enzyms (vergl. Abb. 29); (3) Konformationswechsel E1 E2 (vergl. Abb. 28); (4) Extrusion von Na+ in den extrazellulären Raum und Aufnahme von K+; (5) Dephosphorylierung des Enzyms: Abgabe von Phosphat und Mg2+ in das Zellinnere; (6) Konformationsumkehr E2 E1; (7) Abgabe von K+ in den intrazellulären Raum, (8) Reaktivierung des Enzyms durch Aufnahme von Mg2+: E1 + Mg2+ E1(Mg2+). vorstellen. P - O O 3Na+ O O C C - O O C O OO C C O i n n e n ATP ADP O - -C O O O C C O O- a u ß e n E1 2K+ E2 40 Abbildung 28. Transmembrantransport von Na+ und K+ durch ATPase. E1 und E2 repräsentieren unterschiedliche Konformationen der ATPase. Na OH + OH O Mg O P Na OH O Mg O O ADP H O 2 O O NH C HC CH HC C C 2 O P O O NH + OH + ADP C CH2 O Abbildung 29. Phosphorylierung der ATPase. Durch den Phosphatantagonisten Vanadat (H2VO4-) wird der trigonal-bipyramidale Zwischenzustand fixiert, der Phosphorylierungsschritt damit blockiert, die ATPase also inhibiert. Ionenkanäle und Ionophore Neben dem ATP-getriebenen aktiven Transport können Alkali- (und Erdalkali-) Metallionen die Membran auch "passiv" über Ionenkanäle (hydrophiler Transport) oder mit Hilfe von Transportvehikeln, so gen. Ionophore überwinden (hydrophober Transport). Ionenkanäle sind mit Carboxylatfunktionen von Asp und Glu ausgekleidet und ermöglichen so den hydrophilen Transmembrantransport. Dieser kann als Symport (Kation gegen Anion) oder Antiport (Kation gegen Kation) erfolgen. Im einzelnen unterscheidet man die folgenden Typen von Kanälen: - Leak channels (nur für K+): sie sind immer offen; - Gated channels = Kanäle mit Schleusen: sie sind geschlossen, können aber bei Bedarf geöffnet werden, und zwar spannungskontrolliert (voltage gated) durch chemische Reize, z.B. Neurotransmitter wie Acetylcholin, Glutamat, NO; Toxine wie Nicotin; Ca2+-Ausschüttung mechanische Reize, z.B. physikalische Veränderung der Membran durch Dehnung. Ionophore sind Makrozyklen mit im wesentlichen O-funktionellen Gruppen, die in vivo spezifisch Na+ oder K+ komplexieren. Modelle für solche Ionophore sind Kronenether, Kryptanden und Calixarene; Abb. 30. Die Spezifizität für von Na+ bzw. K+ wird hier wie in den biogenen Ionophoren durch die Größe der verfügbaren Hohlräume prädestiniert. Abb. 31 zeigt als Beispiele für natürlich vorkommende Ionophore Nonactin, Enniatin (beide für K+) und Antamanid (für Na+). Antamanid ist ein cyclisches Decapeptid (-Val-Pro-Pro-Ala-PhePhe-Pro-Pro-Phe-Phe-). 41 O O O O O O O O O O O O O O O O 15C5 O 18C6 Dibenzo-18C6 R O N O O N O O O C-221 O N O O O O OH N OH HO OH R R R C-222 Calix[4]aren Abbildung 30. Für die Komplexierung von Alkalimetallionen geeignete Kronenether (oben), Kryptanden (unten links und Mitte) und Calixarene (Metacyclophane, unten rechts). 18C6 = 18-Krone-6 (18-gliedrig, 6 O-Funktionen); C221 = Kryptand-221 (221 bezieht sich auf Anzahl der O-Funktionen in den drei Brücken). Antanamanid Enniatin B Abbildung 31. Ionophore für K+ (Nonactin und Enniatin B) und Na+ (Antamanid). Calcium Schwerlösliche Calciumverbindungen (Carbonate, Phosphate, Sulfate, Carboxylate) übernehmen Stützfunktionen, indem sie am Aufbau von Exo- und Endoskelettstrukturen beteiligt sind (s. Exkurs „Biomineralisation“). Ein 70 kg schwerer Mensch enthält ca. 1.1 kg Calcium, im Wesentlichen in der Knochensubstanz. Nur etwa 10 g sind nicht an Knochenmaterial gebunden. Diese 10 g sind für eine Vielzahl von Funktionen im Organismus zuständig. Hierzu gehört die Regulation von Zellfunktionen, der Muskelkontraktion, der Blutgerinnung und Enzymregulation, letztere mittels spezieller Ca2+-bindender Proteine (Calmoduline; s.u.). Ganz allgemein wirkt Ca2+ als „second messenger“, indem es Signale auslöst, reguliert und verstärkt. Daneben kann Ca2+, ähnlich wie Zn2+, als Cofaktor in 42 Enzymen auch Hydrolasefunktion übernehmen (z.B. die Hydrolyse der PhosphodiesterBindung durch bestimmte Nucleasen), sowie als Bestandteil von Proteinen Strukturfunktion haben (z.B. im Thermolysin und der Proteinase-K). In der Regel ist für die Funktion von Calcium eine nur sehr niedrige cytosolische Konzentration (von 0.1 bis 1 µM) erforderlich. Die extrazellulären Konzentrationen liegen bei 1 mM. Den Austausch übernehmen Ca2+ATPasen (s.a. weiter unten). Fehlfunktionen im Ca2+-Stoffwechsel können u.a. zur Ablagerung schwerlöslicher Calciumverbindungen in den Blutgefäßen und Sekretionsorganen führen, sowie zu Erkrankungen des cardiovaskulären Systems. Im Unterschied zu Mg2+, das oktedrische Koordination bevorzugt, neigt Ca2+ zur Ausbildung der Koordinationszahlen 7 und 8. Bevorzugte Liganden sind H2O, Carboxylate (Asp, Glu), die Carbonylgruppe aus der Peptidbindung, und Alkoholat (aus Serin). Ein Beispiel ist Parvalbumin (s. rects), ein Ca2+-haltiges Protein in der glatten Muskulatur, beteiligt an der Muskelrelaxation. O O O NH H2O Ca O O O Exkurs: Biomineralisation Hierunter versteht man die Generierung anorganischer („mineralischer“) Materialien oder anorganisch-organischer Kompositmaterialien durch biologische Aktivität. Beispiele sind Magnetit (Fe3O4) und Greigit (Fe3S4) in den Magnetosomen magnetostatischer Bakterien, Calciumcarbonate (CaCO3: Calcit, Aragonit) als Exoskelette von Muscheln, Schnecken, Seeigeln und Korallen sowie in den Zähnen der Raspelzungen von Schnecken, Gips (CaSO4·½H2O) als Schwerkraftsensoren in Tiefseequallen (Periphylla) und in Algen der Gattung Closterium, und Siliziumdioxid-Hydrate in den Exoskeletten von Radiolarien und Diatomeen (Kieselalgen). In allen Fällen werden die mineralischen Stoffe an einer Proteinmatrix aufgebaut (was zu den oft filigranartigen Strukturen führt), die sich – im 0.1%Bereich – in solchen Materialien auch wiederfinden. Magnetit und Greigit in einem magnetostatischem Bakterium Calcit der Seeigelschale SiO2-Skelette von Radiolarien (links) und Diatomeen Ein Beispiel für ein Kompositmaterial ist das Endoskelett der Wirbeltiere: Knochen bestehen, jeweils etwa zur Hälfte, aus Kollagenfasern und Hydroxylapatit, Ca5(PO4)3(OH)xF1-x (x 0.01). Unerwünschte Deponate sind Ca-Oxalate, -Phosphate und -Steroide in Blutgefäßen („Verkalkung“) und exkretorischen Organen (Gallen-, Blasen-, Nierensteine). Den Transmembran-Transport von Ca2+ (vom intra- in den extrazellulären Raum), gekoppelt mit dem Transport von Na+ (vom extra- in den intrazellulären Raum; 2Na+ je Ca2+) übernimmt eine Na,Ca-ATPase. Die Ca2+-Extrusion ist dabei mit der Synthese von 43 ATP aus ADP und Pi verknüpft. Das so in die Zelle eingeschleuste Na+ wird durch die Na,KPumpe wieder hinausbefördert. S. a. Abb. 32. extrazellulär intrazellulär + c(Na ) = 140 + c(K ) = 5 3Na+ + c(Na ) = 10 mM + c(K ) = 150 ATP + 2K + aktiver Transport durch die Na,K-ATPase + K , Na passiver Transport ("Diffusion") Ca2+ 2Na c(Ca2+) = 1 ADP + Pi + ADP + Pi ATP aktiver Transport durch die Na,C a-ATPase c(Ca2+) = 10-3 Abbildung 32. Der Transmembran-Transport der Ionen Na+, K+ und Ca2+ Ca2+ spielt eine essentielle Rolle bei der Muskelkontraktion. Muskelzellen enthalten Muskelfasern (Muskelfibrillen, Myofibrillen), die eingebettet sind in das Sarkoplasmatische Retikulum (SR). Dieses enthält Zisternen (Vesikel; ves), die Ca2+ vorrätig halten. Die Ca2+Konzentration in den Vesikeln liegt bei 1-5 mM. Die Speicherung von Ca2+ wird durch das saure Protein Calsequesterin gewährleistet: 50 kD, kann mittels zahlreicher Asp und Glu bis zu 50 Ca2+ binden. Die Muskelkontraktion wird durch Ausschüttung von Ca2+ in das Cytoplasma (cyt) des SR über die Membran des SR bewirkt, wobei wieder eine ATPase (E) involviert ist, die zwischen den Konformationen E1 und E2 wechselt: - Der Transport aus den Vesikeln in das Cytoplasma (mit dem Konzentrationsgefälle), gekoppelt mit der Synthese von ATP, löst die Kontraktion der Muskelfibrillen aus: 2Ca2+(ves) + E2-Phosphat + ADP 2Ca2+(cyt) + E1 + ATP - Rücktransport der Ca2+ aus dem Cytoplasma in die Vesikeln des SR führt zur Muskelrelaxation (Verbrauch von ATP): 2Ca2+(cyt) + E1 + ATP 2Ca2+(ves) + E2Phosphat + ADP Die Aktivierung Ca2+-abhängiger Enzyme wird durch Proteine der Calmodulin-Gruppe initiiert. Calmodulin = calcium modulating protein. Dies sind kleine Proteine der Molmasse 17 kD, die vier Ca2+ binden können und dabei eine Konformationsänderung erfahren, die eine Ankopplung an die zu aktivierenden Enzyme (z.B. Ca-ATPasen, NO-Synthasen [vergl. Abschnitt 9.], NAD-Kinasen, Adenylat-Cyclase) ermöglicht; s. Abb. 33. + 4Ca2+ 44 Abbildung 33. Modell für die Aktivierung von Enzymen (grau; z.B. NO-Synthase) durch Ca2+-Calmodulin. Blau: Substrat (z.B. Arginin); rot: aktiviertes Substrat.